Am 28. Februar 2022 wurde Teil 2 des 6. Sachstandsberichts des Weltklimarats (IPCC) veröffentlicht: „Klimawandel 2022: Folgen, Anpassung und Verwundbarkeit“. Das Climate Change Centre Austria (CCCA) lud aus diesem Anlass zu einer Pressekonferenz ein. Teil 1 kam letzten Sommer heraus.
Der Bericht der Arbeitsgruppe II wurde von 270 Autor*innen aus 67 Ländern verfasst und beinhaltet mehr als 34.000 wissenschaftliche Zitate, erklärte Prof. Harald Rieder, Vorstand des CCCA: Der Bericht zeigt, dass sowohl die Schwere des Klimawandels als auch die Risiken und Folgen direkt von den mittel- und kurzfristigen Maßnahmen im Bereich Klimaschutz und Anpassung abhängen, und dass unser Handeln im nächsten Jahrzehnt ganz entscheidend ist. Drei der am Bericht beteiligten Wissenschaftler*innen waren bei der Pressekonferenz anwesend und gaben einen Überblick über den Inhalt des Berichts.
„Der Klimawandel ist eine Bedrohung für das Wohlbefinden der Menschen und die Gesundheit des Planeten. Jede weitere Verzögerung eines global konzertierten Handelns wird ein kurzes und sich schnell schließende Zeitfenster verpassen und die Sicherung einer lebenswerten und nachhaltigen Zukunft gefährden.“
Den Anfang machte Georg Kaser, Gletscherkundler an der Universität Innsbruck. Er war am Kapitel über Europa und an dem Querschnittsbeitrag zu Bergregionen beteiligt.
Georg Kaser spannte die Brücke vom Bericht der Arbeitsgruppe I von den naturwissenschaftlichen Grundlagen zum Bericht der Arbeitsgruppe II. Arbeitsgruppe II untersuchte, aufbauend auf den naturwissenschaftlichen Grundlagen, die Auswirkungen des Klimawandels auf menschliche Gesellschaften und Ökosysteme, deren Verwundbarkeit (Vulnerabilität) und Anpassungsmöglichkeiten.
Als wichtigste Ergebnisse der Arbeitsgruppe I nannte Kaser: Die Oberflächentemperatur auf der Erde, das Meereis in der Arktis und die Versauerung der Ozeane können nur dann stabilisiert werden, wenn es gelingt, den Temperaturanstieg gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter auf 1,5 °C oder höchstens 2 °C zu begrenzen. Überschreiten wir diese Werte, dann werden Prozesse in Gang gesetzt, die nicht mehr aufzuhalten sind. Allerdings wird der Anstieg des Meeresspiegels auch nach den günstigsten Szenarien auch nach Ende der CO2-Emissionen weitergehen, und bis 2100 höchstwahrscheinlich etwa 1 Meter betragen. Bei hohen Emissionen kann ein Anstieg von bis zu 15 Metern bis zum Jahr 2300 nicht ausgeschlossen werden.
Wichtige Erkenntnisse aus dem Bericht der Arbeitsgruppe I betreffen Extremereignisse: So treten etwa Hitzewellen, die früher im Mittel einmal in zehn Jahren aufgetreten sind, jetzt schon drei Mal pro zehn Jahre auf. Bei einer Erwärmung von 2°C werden sie 6 Mal in 10 Jahren auftreten und auch im Durchschnitt um 2,6°C heißer sein. Bei einer drüber hinaus gehenden Erwärmung muss man mit solchen Hitzewellen praktisch jedes Jahr rechnen, und sie werden mehr als 5°C heißer sein.
Die klimabedingten Veränderungen in den Bergen, sagte Kaser, haben weitreichende Auswirkungen. In den 1960er Jahren waren 600 Millionen Menschen von Wasser aus den Bergen abhängig, heute sind es zwei Milliarden. Klimabezogene Katastrophen haben in den letzten 30 Jahren zugenommen. Investitionen im Wert von Milliarden Euro für Kraftwerke und andere Anlagen sind klimabezogenen Gefahren ausgesetzt, zum Beispiel Schlammlawinen, Felsstürzen oder Hochwasser. Ökosysteme, Landwirtschaft und Tourismus im Gebirge sind ebenfalls stark vom Klimawandel betroffen. Tiefer gelegene Gletscher werden bereits bei einer Erwärmung um 1,5 °C verloren gehen. In hohen Gebirgen und in höheren Breiten könnte die Hälfte der Gletscher erhalten bleiben, wenn die Erwärmung nicht mehr ansteigt. Das würde auch bedeuten, den Anstieg des Meeresspiegels um 15 bis 20 cm zu verringern. Regionen, die vom Wasser aus Gletscher- und Schneeschmelze abhängig sind, müssen damit rechnen, dass je nach Jahreszeit nur die Hälfte des Wasserangebots zur Verfügung steht. Bei einer Erwärmung um mehr als 1,5 °C werden Hangrutschungen und Hochwasser, aber auch Wasserknappheit stark zunehmen, vor allem in den Anden, im Himalaya und in Zentralasien, aber auch in den Alpen. Das würde auch unumkehrbar Verluste für kulturelle Identitäten und Lebensweisen bedeuten. Auch Bevölkerungsbewegungen können eintreten, wenn einerseits Menschen aus exponierten Regionen abwandern, weil dort Felsstürze und Hangrutschungen ihre Siedlungen bedrohen, und andererseits Menschen aus den tieferen Lagen wegen zunehmender Hitze und Trockenheit sich in höheren Lagen ansiedeln.
„Die globale Erwärmung von 1,1 °C hat in Europa zu Verlusten und Schäden an Menschen, Ökosystemen, Ernährungssystemen, Infrastruktur, Energie und Wasserverfügbarkeit, Gesundheit und Wirtschaft geführt.“
Als zweite Wissenschaftlerin berichtete Birgit Bednar-Friedl über die Lage in Europa. Sie ist Ökonomin an der Universität Graz und war als Leitautorin am Kapitel 13 (Europa) des Berichts beteiligt. Die Evidenz, dass der Klimawandel auch in Europa Schäden und Verluste zur Folge hat, hat sich in den letzten Jahren erhärtet. Betroffen sind Menschen, Ökosysteme, Ernährungssysteme, Infrastruktur, Verfügbarkeit von Energie und Wasser, Gesundheit und Wirtschaft. Erstmals konnte der wissenschaftliche Nachweis erbracht werden, dass der menschengemachte Klimawandel Ursache für wirtschaftliche Einbußen ist. Die schwersten Auswirkungen sind heute schon im Mittelmeerraum zu sehen. Insgesamt wurden für Europa vier Hauptrisiken festgestellt: Hitze, Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion, Wasserknappheit und Überschwemmungen.
- Die Zahl der Todesfälle und der von Hitzestress betroffenen Menschen in Europa steigt bei 3 °C um das Zwei- bis Dreifache gegenüber 1,5 °C globaler Erwärmung. Auch bei 1,5 °C wäre ein Drittel der Bevölkerung von Hitzestress betroffen.
- Die Erwärmung wird die für verschiedene Ökosysteme zur Verfügung stehende Flächen verringern und daher wird sich die Ökosystem-Zusammensetzung unumkehrbar verändern, indem sie sich nach Norden und in die Höhe verlagern. Durch Waldbrand gefährdete Gebiete werden sich auf große Flächen von Europa ausdehnen.
- Für die meisten Regionen Europas werden erhebliche landwirtschaftliche Produktionsverluste aufgrund von Hitze und Dürre prognostiziert. Bei einer Erwärmung um 3 °C könnte sich beispielsweise der Maisertrag halbieren.
- In Südeuropa wird bei 2 °C globaler Erwärmung mehr als ein Drittel der Bevölkerung Wasserknappheit ausgesetzt sein; bei 3 °C verdoppelt sich dieses Risiko und nimmt auch in West-, Mittel- und Südeuropa und in vielen Städte stark zu.
- Die Risiken für Menschen und Infrastrukturen durch Überschwemmungen an Küsten und entlang von Flüssen in Europa nehmen zu. Bei über 3 °C globaler Erwärmung können sich die Schäden durch Überflutungen, deren Kosten und die Anzahl der betroffenen Menschen verdoppeln.
Es gibt bereits heute ein wachsendes Spektrum an Anpassungsoptionen in Europa, sagte Birgit Bednar-Friedl, viele mit hoher Wirksamkeit und Machbarkeit. Zum Beispiel Schutz vor Überflutungen, Schutz vor Hitze, Sicherstellung der Wasserverfügbarkeit. Die meisten Anpassungsoptionen benötigen aber Wasser- und Landressourcen, die begrenzt sind und bei zunehmender Erwärmung noch knapper werden. Das heißt, je höher die Erderwärmung, umso schneller stoßen die Möglichkeiten zur Anpassung an ihre Grenzen. Die Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen in Europa macht zwar Fortschritte, erfolgt jedoch nicht in dem Ausmaß, das nötig wäre, um die Risiken zu vermeiden. Haupthindernisse sind begrenzte Ressourcen, mangelndes Engagement, unzureichende Mobilisierung von Finanzmitteln, mangelnde politische Führung und geringes Dringlichkeitsbewusstsein.
Städte sind „Hotspots“ für zahlreiche Risiken. Hitze, Starkregen und Trockenheit wirken sich in Städten stärker aus. Andererseits gibt es in Städten aber auch mehr Möglichkeiten der Anpassung. Besonders wirksam sind Maßnahmen, die einen Zusatznutzen bringen. Begrünung beispielsweise trägt sowohl zur Anpassung an den Klimawandel als auch zu seiner Minderung bei, hat sowohl positive Effekte für die Gesundheit als auch für die Biodiversität.
„Die globale Erwärmung um 1,1°C hat bereits weitreichende Auswirkungen für Ökosysteme und Milliarden von Menschen.“
Über globale Auswirkungen, Risiken und Anpassung sprach Reinhard Mechler vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA). Er war Leitautor für Kapitel 17 und beitragender Autor der Zusammenfassung für Entscheidungsträger*innen.
Die Risiken sind am höchsten in den Tropen, entlang von Küsten, oder wo Menschen in enger Verbindung mit Flüssen, mit Gletschern oder mit arktischem Eis leben. 50 Prozent der Weltbevölkerung sind schon jetzt jedes Jahr schwerer Wasserknappheit ausgesetzt. Global sterben schon über 300.000 Menschen pro Jahr an den Folgen von Hitze. Mehr als drei Milliarden Menschen sind für die Folgen der Erderwärmung besonders verwundbar, nämlich all jene, diein West-, Zentral und Ostafrika, in Südasien, in Mittel- und Südamerika, sowie in den kleinen Inselstaaten und in der Arktis leben.
Wie schon erwähnt, nehmen bei weiterer Erwärmung nicht nur die Risiken zu, sondern es werden auch Grenzen der Anpassungsmöglichkeiten erreicht. Bei Erwärmung um 1,5 °C werden 90 Prozent der Korallenriffe verloren gehen, bei stärkerer Erwärmung werden sie ganz verloren gehen. In Küstenfeuchtgebieten, einigen Regenwäldern, und im Kontext mancher Gletschern sind jetzt schon die Grenzen der Anpassunsoptionen erreicht. Dies sind „harte“ Grenzen, die sich nicht hinausschieben lassen. Es gibt auch „weiche“ Grenzen, das heißt solche, wo Maßnahmen möglich, aber noch nicht umgesetzt sind, vor allem solche in menschlichen Systemen. Küstennahe Siedlungen in Bangladesch und Indien sind derzeit schon massiv bedroht und stoßen schon stark an die Grenzen. Einige Gemeinden überlegen schon die Umsiedlung.
Auch die Subsistenzlandwirtschaft in Afrika – also Landwirtschaft, die hauptsächlich zur eigenen Ernährung betrieben wird und nicht für den Markt – stößt bereits an Grenzen der Anpassungsfähigkeit. Die Zahl der Tage mit Temperaturen über 35°C nimmt zu und das Risiko, dass Temperaturverhältnisse erreicht werden, in denen kein Überleben mehr möglich ist, nimmt zu.
Je stärker die Erderwärmung voranschreitet, umso größer werden also die Risiken. Steigt sie über 1,5 °C, werden wir auch bei der Wasserversorgung an harte Grenzen stoßen. Den Risiken des Meeresspiegelanstiegs sind bis 2050 eine Milliarde Menschen ausgesetzt.
Die Länder und Städte befassen sich mit Anpassungsmaßnahmen, doch global vergrößern sich die Anpassungslücken. Die Risiken werden auch komplexer, denn die Welt ist vernetzt. Ernteausfälle in einer Region haben Auswirkungen auf die übrige Welt. Anpassungsmaßnahmen müssen daher verstärkt und miteinander verschränkt werden. Dabei geht es sowohl um strukturelle Veränderungen als auch um Verhaltensänderungen.
Auch wenn Anpassungen unbedingt notwendig sind, muss in erster Linie der Klimaschutz, das heißt die Verringerung der Treibhausgasemisssionen, forciert werden. Eine Erwärmung um mehr als 1,5 °C hätte unumkehrbare existenzielle Folgen.
Bei allen Anstrengungen für Klimaschutz und Anpassungen gibt es Restrisiken. Darum wäre etwa ein internationaler Katastrophenfonds notwendig, der die Last dieser Risiken gerecht verteilt. Klimaresiliente Entwicklung muss gefordert werden zum Beispiel Neustrukturierung von Städten, nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass wohl bald zwei Drittel der Menschen in Städten wohnen werden. Hier gibt es, sagte Mechler, große Möglichkeiten, Klimaresilienz einzubauen.
Abschließend wies Reinhard Mechler auf den notwendigen Schutz von Ökosystemen und Biodiversität hin. Der Bericht besagt, dass 30 bis 50% der terrestrischen und ozeanischen Flächen für diesen Schutz bereitgestellt werden sollen.
Sämtliche Texte in Zusammenhang mit diesem IPCC-Bericht können sind unter https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg2/ frei verfügbar, einschließlich Präsentationsfolien. Eine inoffzielle deutsche Übersetzung eines Teils der Unterlagen steht auf https://www.de-ipcc.de/354.php zur Verfügung.
Titelbild Hurrikan Matthew, Foto: NASA, Public Domain
Gesichtet: Petra Seibert
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