Die Theorie von der „Tragödie der Commons“ taucht immer wieder in der Diskussion um die Klimakatastrophe und die planetare Krise auf. Laut ihr sind Gemeingüter unweigerlich der Übernutzung und dem Verfall preisgegeben. Die Politologin und Ökonomin Elinor Ostrom hat gezeigt, warum das nicht so sein muss und wie Ressourcen von selbstorganisierten Gemeinschaften oft über Jahrhunderte nachhaltig genutzt werden können.
Intelligente Wesen, die unseren Planeten beobachten, müssten zu dem Schluss kommen, dass sich hier eine schreckliche Tragödie abspielt: Wir Erdenmenschen zerstören unseren Planeten. Wir wissen, dass wir ihn zerstören. Wir wollen ihn nicht zerstören. Und doch scheint es, dass wir keinen Weg finden, die Zerstörung zu beenden.
Eine theoretische Formulierung dieses Phänomens stammt von dem US-amerikanischen Ökologen Garrett Hardin (1915 bis 2003). Mit seinem 1968 erschienenen Artikel „The Tragedy of the Commons„1 – auf Deutsch: „Die Tragödie der Commons“ oder „Die Tragik der Allmende“ – hat er ein geflügeltes Wort geschaffen, das den Vorgang beschreibt, bei dem das Handeln Einzelner zu einem Ergebnis führt, das niemand gewollt hat. In dem Beitrag versucht Hardin zu zeigen, dass frei zugängliche Allgemeingüter wie die Atmosphäre, die Weltmeere, Fischgründe, Wälder oder gemeinschaftliche Weidegründe notwendig übernutzt und zugrunde gerichtet werden. Von der Gemeindeflur, der Weide, die von einem Dorf gemeinsam benutzt wurde, nimmt er auch den Begriff der „Commons“ beziehungsweise der „Allmende“. Eine solche gemeinschaftlich genutzte Weide dient ihm als Beispiel.
Die Rechnung geht ungefähr so: Auf einer Weide grasen 100 Kühe. Das sind gerade so viele, dass sich die Weide jedes Jahr regenerieren kann. Zehn dieser Kühe gehören mir. „Als rationales Wesen“, sagt Hardin, „strebt jeder Viehzüchter danach, seinen Nutzen zu maximieren“: Wenn ich jetzt statt zehn Kühen noch eine elfte auf die Weide schicke, verringert sich der Milchertrag pro Kuh um ein Prozent, weil jede jetzt weniger zu fressen hat. Zwar sinkt auch mein Milchertrag pro Kuh, aber da ich jetzt elf statt zehn Kühe habe, steigert sich mein gesamter Milchertrag um fast neun Prozent. Ich wäre also dumm, wenn ich auf die elfte Kuh verzichten würde, um die Weide nicht zu überlasten. Und noch dümmer wäre ich, wenn ich zusehen würde, wie andere Viehzüchter zusätzliche Kühe auf die Weide treiben, und ich als einziger die Weide schonen wollte. Der Milchertrag meiner zehn Kühe würde sich verringern, und die anderen hätten den Vorteil. Ich würde also bestraft werden dafür, dass ich mich verantwortungsvoll verhalte.
Derselben Logik müssen auch alle anderen Viehzüchter folgen, wenn sie nicht untergehen wollen. Und darum ist es so unausweichlich wie das Schicksal in der griechischen Tragödie, dass die Weide übernutzt wird und schließlich verödet.
Feindbild Bevölkerungswachstum
Um die Tragödie zu verhindern, gibt es laut Hardin nur zwei Möglichkeiten: entweder die Regulierung durch eine zentrale Verwaltung oder die Aufteilung der Gemeinschaftsgüter in private Parzellen. Ein Viehzüchter, der seine Kühe auf seinem eigenen Land weidet, wird darauf achten, seinen Boden nicht zu zerstören, so das Argument. „Entweder privates Unternehmertum oder Sozialismus“, formulierte er später. Die meisten Darstellungen der „Tragik der Allmende“ enden hier. Doch es ist gut zu wissen, welche weitergehende Schlussfolgerungen Hardin gezogen hat. Es sind Argumentationen, die immer wieder in der Debatte über die Klimakatastrophe auftauchen.
Die eigentliche Ursache für Übernutzung von Ressourcen sieht Hardin im Bevölkerungswachstum. Er macht das am Beispiel der Umweltverschmutzung fest: Wenn ein einsamer Pionier im Wilden Westen seinen Abfall in den nächsten Fluss geschmissen hat, war das weiter kein Problem. Ab einer gewissen Bevölkerungsdichte kann die Natur unseren Abfall nicht mehr aufnehmen. Doch die Lösung der Privatisierung, die – nach Hardins Ansicht – für Viehweiden funktionieren soll, funktioniert nicht für Flüsse, Meere oder die Atmosphäre. Die lassen sich nicht einzäunen, die Verschmutzung breitet sich überallhin aus. Da er einen direkten Zusammenhang zwischen Umweltverschmutzung und Bevölkerungsdichte sieht, lautet Hardins Schlussfolgerung: „Die Freiheit zur Fortpflanzung ist nicht tolerierbar.“ („Freedom to breed is intolerable.“)
Rassismus und Ethno-Nationalismus
In einem späteren Artikel von 1974 mit dem Titel „Life Boat Ethics: the Case against Helping the Poor“ („Rettungsboot-Ethik: Plädoyer gegen Hilfe für die Armen“)2 wird er deutlich: Nahrungsmittelhilfe für arme Länder fördere nur das Bevölkerungswachstum und verschärfe so die Probleme der Übernutzung und Verschmutzung. Die Bevölkerung der reichen Länder, so seine Metapher, sitzt in einem Rettungsboot, das nur eine begrenzte Zahl an Menschen tragen kann. Das Boot ist umgeben von verzweifelten Ertrinkenden, die hineinwollen. Doch sie ins Boot zu lassen würde den Untergang aller bedeuten. Solange es keine Weltregierung gebe, die die Fortpflanzung der Menschen kontrolliere, sagt Hardin, sei eine Ethik des Teilens nicht möglich. „Für die vorhersehbare Zukunft ist unser Überleben davon abhängig, dass wir unser Handeln von der Ethik des Rettungsboots leiten lassen, so hart diese auch sein mag.“
Hardin schrieb 27 Bücher und verfasste 350 Artikel, von denen viele offen rassistisch und ethno-nationalistisch waren. Doch wenn Hardins Ansichten der Öffentlichkeit präsentiert werden, wird der weiße Nationalismus, von dem sein Denken geprägt war, weitgehend übergangen. Hauptsächlich auf Webseiten von weißen Suprematisten findet man Erörterungen seines vollständigen Gedankenguts. Wie die US-Organisation SPLC schreibt, wird er dort als Held gefeiert.3
Muss es also tragisch enden? Müssen wir wählen zwischen Diktatur und Untergang?
Der Streit um „Zentralgewalt“ oder „Privatisierung“ dauert bis heute an. Dass es zwischen den beiden Polen noch eine dritte Möglichkeit gibt, zeigte die US-amerikanische Ökonomin Elinor Ostrom (1933 bis 2012). Sie erhielt 2009 als erste Frau den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften für ihr Werk4, in dem sie sich intensiv mit den Fragen der Commons auseinandersetzte. In der Würdigung des Nobel-Komitees heißt es, dass sie gezeigt hat, „wie gemeinschaftliches Eigentum von Nutzerorganisationen erfolgreich verwaltet werden kann“.
Jenseits von Markt und Staat
In ihrem 1990 erstmals erschienenen Buch „Governing the Commons“4 (deutsch: „Die Verfassung der Allmende – Jenseits von Markt und Staat“) stellte Ostrom Hardins These von der Tragik der Allmende auf den Prüfstand. Sie untersuchte vor allem praktische Beispiele für Gemeinschaften, die über lange Zeit hinweg eine Ressource nachhaltig verwaltet und genutzt haben, aber auch Beispiele für das Misslingen einer solchen Selbstverwaltung. Bei der theoretischen Analyse nutzte sie Spieltheorie, um zu zeigen, dass weder die Kontrolle durch eine äußere (staatliche) Macht noch die Privatisierung optimale Lösungen für die nachhaltige Nutzung und dauerhafte Erhaltung von Gemeingütern garantieren.
Im ersten Fall müsste die staatliche Gewalt vollständige Informationen über die Eigenschaften der Ressource und das Verhalten der Nutzer:innen haben, um schädliches Verhalten korrekt sanktionieren zu können. Sind ihre Informationen unvollständig, können ihre Sanktionen erst wieder zu Fehlverhalten führen. Je besser und genauer die Überwachung ist, umso teurer wird sie aber. Diese Kosten werden von Befürworter:innen staatlicher Kontrolle meist außer Acht gelassen.
Privatisierung wiederum erlegt den Nutzer:innen Kosten für Einzäunung und Überwachung auf. Im Fall einer aufgeteilten Viehweide kann es geschehen, dass das Wetter einige Gebiete begünstigt, während andere unter Trockenheit leiden. Die Viehzüchter können aber jetzt nicht mehr in die fruchtbaren Gebiete ausweichen. Das führt zur Überweidung der trockenen Gebiete. Im nächsten Jahr kann die Dürre dann wieder andere Gebiete treffen. Futter aus den fruchtbaren Gebieten zu kaufen erfordert die Einrichtung neuer Märkte, was auch wieder Kosten verursacht.
Der dritte Weg
Sowohl theoretisch als auch empirisch legt Ostrom dar, dass es zwischen Markt und Staat noch andere Lösungen gibt. Sie untersucht so unterschiedliche Fallbeispiele wie Gemeinschaftsalmen und Gemeinschaftswälder in der Schweiz und in Japan, gemeinsam verwaltete Bewässerungssysteme in Spanien und den Philippinen, Grundwasserverwaltungen in den USA, Fischereigründe in der Türkei, Sri Lanka und Kanada. Einige der erfolgreichen Systeme ermöglichen schon seit Jahrhunderten eine nachhaltige gemeinschaftliche Bewirtschaftung.
Ostrom stellt in ihren Fallstudien und auch in Laborexperimenten fest, dass nicht alle Nutzer:innen eines Gemeinschaftsguts gleichermaßen „rationale Nutzenmaximierer“ sind. Es gibt Trittbrettfahrer:innen, die immer eigennützig handeln und in Entscheidungssituationen nie kooperieren. Es gibt Nutzer:innen, die nur dann kooperieren, wenn sie sicher sein können, dass sie nicht von Trittbrettfahrer:innen ausgenützt werden. Es gibt solche, die bereit sind, die Zusammenarbeit zu suchen, in der Hoffnung, dass ihr Vertrauen erwidert wird. Und schließlich gibt es vielleicht auch noch ein paar echte Altruist:innen, die immer das Wohl der Gemeinschaft suchen.
Wenn es einigen gelingt, vertrauensvoll zusammenzuarbeiten und dadurch gemeinsam einen höheren Nutzen zu erlangen, können andere, die das beobachten, motiviert werden, ebenfalls zu kooperieren. Wichtig ist, dass alle das Verhalten der anderen beobachten können und auch den Nutzen des gemeinsamen Handelns erkennen können. Der Schlüssel für die Bewältigung der Probleme liegt also in der Kommunikation und der Bildung von Vertrauen.
Was erfolgreiche Commons auszeichnet
Verallgemeinert stellt Ostrom fest, dass die nachhaltige gemeinsame Nutzung eines Gemeinguts dann wahrscheinlicher ist, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind:
- Es gibt klare Regeln, wer zur Nutzung berechtigt ist und wer nicht.
- Die Regeln für die Aneignung und Bereitstellung einer Ressource entsprechen den örtlichen Bedingungen. In unterschiedlichen Fischgründen werden zum Beispiel unterschiedliche Netze oder Fangleinen erlaubt. Gemeinsame Arbeiten im Wald oder bei der Ernte werden zeitlich festgelegt usw.
- Die Nutzer:innen selbst legen die Regeln fest und ändern sie nach Bedarf. Da sie selbst von den Regeln betroffen sind, können sie ihre Erfahrungen einbringen.
- Die Einhaltung der Regeln wird überwacht. In kleinen Gruppen können die Beteiligten das Verhalten der anderen direkt beobachten. Personen, die die Einhaltung der Regeln überwachen, sind entweder selbst Nutzer:innen oder sind von den Nutzer:innen bestellt und ihnen rechenschaftspflichtig.
- Regelverletzungen werden sanktioniert. Meistens werden erstmalige Übertretungen milde behandelt, mehrmalige umso strenger. Je sicherer die Beteiligten sind, dass sie nicht von Trittbrettfahrer:innen ausgenützt werden, umso eher werden sie sich selbst an die Regeln halten. Wird jemand beim Regelbruch ertappt, leidet auch sein oder ihr Ruf.
- Konfliktlösungsmechanismen sind schnell, kostengünstig und direkt, wie zum Beispiel örtliche Versammlungen oder ein von den Nutzer:innen bestelltes Schiedsgericht.
- Der Staat erkennt das Recht der Nutzer:innen an, ihre Regeln selbst zu bestimmen. Die Erfahrung zeigt, dass staatliche Eingriffe in traditionelle Commons oft zu einer Verschlechterung geführt haben.
- Eingebettete Organisationen: Wenn ein Gemeingut eng mit einem großen Ressourcensystem verbunden ist, zum Beispiel lokale Bewässerungssysteme mit größeren Kanälen, sind Verwaltungsstrukturen auf mehreren Ebenen miteinander „verschachtelt“. Es gibt nicht nur ein einziges Verwaltungszentrum.
Gemeinsam in den Holzschlag
Eine traditionelle Allmende zeigt dieses Video über eine „Waldnachbarschaft“ in Bladersbach, Nordrhein-Westfalen, deren Wurzeln bis in das 16. Jahrhundert zurückreichen.
Charakteristisch für die Waldnachbarschaften ist der ungeteilte Waldbesitz einer Gemeinde als Erbenwald. Die angestammten Familien nutzen ihn gemeinschaftlich. Im Winter wird Brennholz geschlagen. Die gewählten „Deputierten“ geben jedes Jahr einen Teil des Waldes zur Holzung frei. Dieser Teil wird entsprechend der Anzahl der Familien unterteilt. Die Grenzen der „Örter“ werden durch das Einschlagen von dicken Ästen markiert, die jeweils eine Nummer eingeschnitzt bekommen. Wenn das Ausmessen abgeschlossen ist, werden die einzelnen Waldabschnitte unter den Familien verlost. Danach markieren die Inhaber:innen der Nachbarflächen von den Grenzpfählen ausgehend gemeinsam die Grenzen ihrer Gebiete.
Bis in die 1960er-Jahre wurden die Eichen in diesem Mischwald zur Gewinnung von Gerberlohe genutzt. Die Arbeit des Rindenschälens geschah im Frühjahr. Im Winter konnten Birken, Hainbuchen und Erlen gefällt werden. In einer früheren Phase wurden nicht die Waldflächen verlost, sondern die Waldnachbarn machten die Arbeit gemeinsam und verlosten später die Brennholzstapel. Der Wald ist ein „Niederwald“. Die Triebe der Laubbäume wachsen aus dem Wurzelstock nach. Nach 28 bis 35 Jahren müssen die mittelstarken Stämme geschlagen werden, sonst ist die Wurzel zu alt, um neue Triebe zu bilden. Durch die rotierende Nutzung kann sich der Wald immer wieder regenerieren.
Commons müssen aber keineswegs nur traditionelle Dorfgemeinschaften sein. In der nächsten Folge dieser kleinen Serie sollen einige heute funktionierende Commons vorgestellt werden, von Wikipedia bis zu Cecosesola, einem Zusammenschluss von Kooperativen in Ecuador, der seit über 50 Jahren 100.000 Familien mit erschwinglichem Obst und Gemüse, Gesundheits- und Bestattungsdiensten versorgt.
Titelfoto: Marymoor Park community garden, USA. King County Parks, CC BY-NC-ND
Fußnoten:
1 Hardin, Garrett (1968): The Tragedy of the Commons. In: Science 162 (3859), S. 1243–1248. Online: https://www.jstor.org/stable/1724745.
2 Hardin, Garrett (1974): Lifeboat Ethics_ the Case Against Helping the Poor. In: Psychology Today (8), S. 38–43. Online: https://rintintin.colorado.edu/~vancecd/phil1100/Hardin.pdf
3 Vgl.. https://www.splcenter.org/fighting-hate/extremist-files/individual/garrett-hardin
4 Ostrom, Elinor (2015): Governing the Commons. Cambridge: Cambridge University Press. Das Buch ist erstmals 1990 erschienen.