Universitätsprofessor Dr. Christoph Görg arbeitet am Institut für soziale Ökologie an der Universität für Bodenkultur in Wien. Er gehört zu den Herausgeber:innen und Leitautor:innen des APCC Special Report Strukturen für ein klimafreundliches Leben, und ist Autor des Buchs: Gesellschaftliche Naturverhältnisse. Mit ihm spricht Martin Auer von °CELSIUS.
Eine der Kernaussagen des Kapitels „Soziale und politische Ökologie“, für das Professor Görg Leitautor ist, besagt, dass „bisherige Innovationsgebote (wie grünes Wachstum, E-Mobilität, Kreislaufwirtschaft, energetische Nutzung von Biomasse)“ nicht ausreichen, um ein klimafreundliches Leben zu ermöglichen. „Der globale Kapitalismus beruht auf dem industriellen Metabolismus, der auf fossile und damit endliche Ressourcen angewiesen ist und damit keine nachhaltige Produktions- und Lebensweise darstellt. Eine gesellschaftliche Selbstbegrenzung der Ressourcennutzung ist notwendig.“
Menschen mit geringem Einkommen verursachen mit ihrem Konsum bekanntlich weniger Treibhausgas-Emissionen als Menschen mit hohem Einkommen. Diese Ungleichheit nimmt weiter zu, wie der jüngste Bericht des Ökonomen Lucas Chancel vom World Inequality Lab aufzeigt. Dieses Institut ist an der Paris School of Economics situiert, mit dem Ökonomen Thomas Piketty („Das Kapital im 21. Jahrhundert“) in leitender Position.
Laut dem Climate Inequality Report 20231, ist die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung nur für 11,5 % der weltweiten Emissionen verantwortlich, während die obersten 10 % fast die Hälfte der Emissionen verursachen, nämlich 48 %. Das oberste eine Prozent ist für 16,9 % der Emissionen verantwortlich.
Abbildung 1: Anteil der verschiedenen Einkommensgruppen an den weltweiten Treibhausgas-Emissionen
Noch krasser werden die Unterschiede, sieht man sich die Pro-Kopf-Emissionen der verschiedenen Einkommensgruppen an. Um das 1,5°C-Ziel zu erreichen, dürfte jede:r Bewohner:in des Erdballs bis 2050 nur 1,9 Tonnen CO2 pro Jahr verursachen. Tatsächlich bleiben die Ärmsten 50 % der Weltbevölkerung mit 1,4 Tonnen pro Kopf weit unter diesem Limit, während das oberste eine Prozent mit 101 Tonnen pro Kopf das Limit um das 50-fache überschreitet.
Abbildung 2: Emissionen pro Kopf nach Einkommensgruppen
Von 1990 bis 2019 (dem Jahr vor der Covid-19-Pandemie) sind die Pro-Kopf-Emissionen der ärmsten Hälfte der Weltbevölkerung von durchschnittlich 1,1 auf 1,4 Tonnen CO2e gestiegen. Die Emissionen des obersten einen Prozent sind im selben Zeitraum von 80 auf 101 Tonnen pro Kopf gestiegen. Die Emissionen der anderen Gruppen sind etwa gleich geblieben.
Der Anteil der ärmsten Hälfte an den Gesamtemissionen ist von 9,4 % auf 11,5 % gestiegen, der Anteil des reichsten einen Prozent von 13,7 % auf 16,9 %.
Fahrrad-Reparaturwerkstatt, Indien. Foto: ibnebattutas, via Wikimedia, CC BY-NC-SA
In Europa sind die Pro-Kopf Emissionen von 1990 bis 2019 insgesamt gesunken. Doch der Blick auf die Einkommensgruppen zeigt: Die Emissionen der Ärmsten Hälfte und der mittleren 40 Prozent sind um jeweils etwa 30 % gesunken, die Emissionen der obersten 10 Prozent um nur 16,7 % und die des reichsten einen Prozent um nur 1,7 %. Die Fortschritte sind also hauptsächlich zu Lasten der unteren und mittleren Einkommen gegangen. Das erklärt sich unter anderem auch dadurch, dass diese Einkommen von 1990 bis 2019 real kaum gestiegen sind.
In t CO2e/a
Unterste 50 %
Mittlere 40%
Oberste 10 %
Oberstes 1 %
1990
7.2
15.5
35.3
92.1
2000
6.2
13.8
36.7
107.8
2010
6.1
12.9
33.8
98.2
2019
5
10.7
29.4
90.6
Abnahme gegenüber 1990
30,6 %
31,0 %
16,7 %
1,7 %
Tabelle 1: Entwicklung der Pro-Kopf-Emissionen in Europa nach Einkommensgruppen von 1990 bis 2019
War die globale Ungleichheit 1990 vor allem durch die Unterschiede zwischen armen und reichen Ländern gekennzeichnet, so wird sie heute vor allem durch die Unterschiede zwischen Armen und Reichen innerhalb der Länder verursacht. Auch in den Ländern mit geringem und mittlerem Einkommen sind Klassen von Reichen und Superreichen entstanden. In Ostasien etwas verursachen die oberen 10 Prozent deutlich mehr Emissionen als in Europa, die untersten 50 Prozent aber deutlich weniger. In den meisten Regionen der Welt liegen die Pro-Kopf-Emissionen der ärmeren Hälfte nahe oder unter dem Limit von 1,9 Tonnen jährlich, nur nicht in Nordamerika, Europa und Russland/Zentralasien.
Abbildung 3: CO2-Fußabdruck nach Einkommensgruppen und Weltregionen 2019
Gleichzeitig sind die Ärmsten viel stärker von den Folgen des Klimawandels betroffen. Drei Viertel der Einkommensverluste durch Dürren, Überschwemmungen, Waldbrände, Wirbelstürme und so weiter treffen die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung, während die reichsten 10 % nur 3 % der Einkommensverluste zu tragen haben.
Abbildung 4: Verluste durch Klimawandel, Emissionen und Anteil am globalen Vermögen nach Einkommensgruppen
Die ärmste Hälfte der Bevölkerung besitzt nur 2 % des globalen Vermögens. Ihr stehen also nur sehr geringe Mittel zur Verfügung, um sich vor den Folgen des Klimawandels zu schützen. Die reichsten 10 % besitzen 76 % des Vermögens, haben also um ein Vielfaches mehr Möglichkeiten.
In vielen Regionen mit geringem Einkommen ist durch den Klimawandel die Produktivität der Landwirtschaft um 30 % zurückgegangen. Über 780 Millionen Menschen sind derzeit durch schwere Überflutungen und daraus resultierende Armut gefährdet. Viele Länder im globalen Süden sind heute deutlich ärmer, als sie ohne den Klimawandel wären. Viele tropische und subtropische Länder könnten bis zur Jahrhundertwende Einkommensverluste von mehr als 80 % erleiden.
Mögliche Auswirkungen der Armutsbekämpfung auf die Treibhausgas-Emissionen
An oberster Stelle der UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs2) für 2030 steht die Beseitigung von Armut und Hunger. Würde es das CO2-Budget, das uns noch für die Erreichung der Pariser Klimaziele zur Verfügung steht, nennenswert belasten, die weltweite Armut zu besiegen? Die Studie legt Berechnungen vor, wie höhere Einkommen für die Ärmsten deren Treibhausgas-Ausstoß erhöhen würden.
Die Berechnungen des Berichts beziehen sich auf die Armutsgrenzen, die die Weltbank zwischen 2015 und 2022 ihren Schätzungen zugrunde gelegt hat. Im September hat die Weltbank allerdings neue Armutsgrenzen festgelegt, um die Preissteigerungen für lebenswichtige Güter zu berücksichtigen. Als extreme Armut wird seither ein Einkommen unter USD 2,15 pro Tag angesehen (vorher USD 1,90). Die beiden anderen Grenzen betragen jetzt USD 3,65 für „Länder mit unterem mittleren Einkommen“ (vorher USD 3,20) und USD 6,85 für „Länder mit oberem mittleren Einkommen“ (vorher USD 5,50). Diese Einkommensgrenzen entsprechen aber in der Kaufkraft den vorherigen.
In extremer Armut leben 2019 laut Weltbank3 648 Millionen Menschen4. Würden ihre Einkommen auf das unterste Minimum angehoben, würde das die globalen Treibhausgas-Emissionen um ca. 1 % erhöhen. In einer Situation, wo es auf jedes Zehntelgrad und auf jede Tonne CO2 ankommt, ist das sicherlich keine vernachlässigbare Größe. Unter der mittleren Armutsgrenze lebt fast ein Viertel der Weltbevölkerung. Würden ihre Einkommen auf die mittlere Armutsgrenze angehoben, würde das die weltweiten Emissionen um ca. 5% erhöhen. Zweifellos eine wesentliche Belastung für das Klima. Und das Einkommen von fast der Hälfte der Bevölkerung auf die oberste Armutsgrenze anzuheben, würde eine Erhöhung der Emissionen um ganze 18% verursachen!
Ist es also unmöglich, gleichzeitig die Armut zu beseitigen und den Zusammenbruch des Klimas abzuwenden?
Ein Blick auf Abbildung 5 macht deutlich: Die Emissionen des reichsten einen Prozents machen dreimal so viel aus, wie die Beseitigung des mittleren Armutsniveaus verursachen würde. Und die Emissionen der reichsten zehn Prozent (siehe Abbildung 1) betragen etwas weniger als das Dreifache dessen, was notwendig wäre, um allen Menschen ein Mindesteinkommen über der oberen Armutsgrenze zu ermöglichen. Die Beseitigung der Armut erfordert also eine massive Umverteilung der CO2-Budgets, aber sie ist keineswegs unmöglich.
Abbildung 5: CO2-Emissionen durch Armutsbekämpfung im Vergleich zu den Emissionen des reichsten einen Prozents
Diese Umverteilung würde freilich an der Gesamtheit der globalen Emissionen noch nichts ändern. Die Emissionen der Reichen und Wohlhabenden müssen also noch über dieses Maß hinaus gesenkt werden.
Gleichzeitig kann die Bekämpfung der Armut nicht nur darin bestehen, den Menschen die Möglichkeit zu geben, ihr Geld-Einkommen zu erhöhen. Nach der neoliberalen Wirtschaftsideologie würden die Ärmsten die Möglichkeit zum Geldverdienen bekommen, wenn durch Wirtschaftswachstum mehr Arbeitsplätze geschaffen werden5. Doch Wirtschaftswachstum in seiner gegenwärtigen Form führt zu einem weiteren Anstieg der Emissionen6.
Der Bericht zitiert eine Studie von Jefim Vogel, Julia Steinberger et al. darüber, unter welchen sozio-ökonomischen Bedingungen menschliche Bedürfnisse mit geringem Energieaufwand befriedigt werden können7. Diese Studie untersucht 106 Länder darauf, in welchem Maß sechs grundlegende menschliche Bedürfnisse befriedigt werden: Gesundheit, Ernährung, Trinkwasser, Sanitäranlagen, Bildung und Mindesteinkommen, und in welchem Verhältnis sie zum Energieverbrauch stehen. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass Länder mit guten öffentlichen Dienstleistungen, guter Infrastruktur, geringer Ungleichheit in den Einkommen und allgemeinem Zugang zu Elektrizität die besten Möglichkeiten habe, diese Bedürfnisse mit geringem Energieaufwand zu befriedigen. Als eine der wichtigsten möglichen Maßnahmen sehen die Autor:innen eine universelle Grundversorgung8. Armut kann durch höheres Geldeinkommen gelindert werden, aber auch durch ein sogenanntes „soziales Einkommen“: Auch öffentlich und kostenlos oder billig zur Verfügung gestellte Dienste und Güter, die ökologisch verträglich sind, entlasten die Geldbörse.
Ein Beispiel: Rund 2,6 Milliarden Menschen auf der Welt kochen mit Kerosin, Holz, Holzkohle oder Dung. Das führt zu einer katastrophalen Luftverschmutzung in den Innenräumen mit schlimmen Folgen für die Gesundheit, von chronischem Husten bis zu Lungenentzündung und Krebs. Allein Holz und Holzkohle zum Kochen verursachen Emissionen von 1 Gigatonne CO2 jährlich, rund 2 % der globalen Emissionen. Der Gebrauch von Holz und Holzkohle trägt außerdem zur Entwaldung bei, was dazu führt, dass Brennholz über immer weitere Strecken herbeigeschafft werden muss, oft auf dem Rücken von Frauen. Kostenloser Strom aus erneuerbaren Quellen würde also gleichzeitig die Armut lindern, die Gesundheit fördern, Gesundheitskosten senken, Zeit für Bildung und politische Teilhabe freisetzen und die globalen Emissionen verringern9.
Frauen in Tanzania holen Brennholz Foto: M-Rwimo , Wikimedia, CC BY-SA
Weitere Vorschläge sind: Die Festlegung von Mindest- und Höchsteinkommen, progressive Steuern auf Vermögen und Erbschaft; die Verlagerung auf ökologisch günstigere Formen der Bedürfnisbefriedigung (das Wärmebedürfnis kann nicht nur durch Heizung, sondern auch durch bessere Isolation befriedigt werden, das Bedürfnis nach Nahrung durch pflanzliche statt tierische Lebensmittel), die Verlagerung des Verkehrs von individuellem auf öffentlichen Verkehr, von motorisierter auf aktive Mobilität.
Wie können die Bekämpfung der Armut, die Eindämmung des Klimawandels und die Anpassung an den Klimawandel finanziert werden?
Die reichen Länder müssen ihre Anstrengungen für Entwicklungszusammenarbeit verstärken, sagen die Autoren. Doch internationale Transfers werden nicht ausreichen, um die globale Klima-Ungleichheit anzupacken. Tiefgreifende Veränderungen in nationalen und internationalen Steuersystemen werden erforderlich sein. Auch in Ländern mit geringem und mittlerem Einkommen sollten durch stark progressive Steuern auf Kapitaleinkommen, Erbschaften und Vermögen die Einnahmen erzielt werden, mit denen vulnerable Gruppen unterstützt werden könnten.
Als gelungenes Beispiel führt der Bericht Indonesien an: 2014 kürzte die indonesische Regierung Subventionen für Treibstoff drastisch. Das bedeutete höhere Einnahmen für den Staat. aber auch höhere Energiepreise für die Bevölkerung, was zunächst starken Widerstand hervorrief. Die Reform wurde aber akzeptiert, als die Regierung beschloss, die Einnahmen für die Finanzierung einer allgemeinen Krankenversicherung zu verwenden.
Steuereinnahmen von multinationalen Unternehmen
Die internationalen Regeln für die Besteuerung multinationaler Konzerne sollten so gestaltet werden, dass die Steuern für Gewinne, die in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen gemacht werden, auch zur Gänze diesen Ländern zugute kommen. Die globale Mindestkörperschaftsteuer von 15 Prozent nach dem Modell der OECD würde zum größten Teil reichen Ländern zugute kommen, wo die Konzerne ihren Sitz haben, und nicht den Ländern, wo die Gewinne gemacht werden.
Abgaben auf internationalen Flug- und Schiffsverkehr
Abgaben auf Flug- und Schiffsverkehr wurden schon mehrmals im Rahmen des UNFCCC und anderer Foren vorgeschlagen. 2008 legten die Maldiven in Vertretung der kleinen Inselstaaten ein Konzept für eine Flugpassagier-Abgabe vor. 2021 brachten die Marshal-Inseln und Solomon-Inseln bei der internationalen Seeschiffahrtsorganisation den Vorschlag für eine Schiffsverkehrs-Abgabe ein. Beim Klimagipfel in Glasgow griff der UN Sonderberichterstatter für Entwicklung und Menschenrechte die Vorschläge auf und betonte die Verantwortung von „wohlhabenden Einzelnen“. Laut seinem Bericht könnten die beiden Abgaben zwischen 132 und 392 Milliarden USD jährlich bringen, um die kleinen Inselstaaten und die am wenigsten entwickelten Länder bei der Bewältigung von Verlusten und Schäden und Klimaanpassung zu unterstützen.
Eine Vermögenssteuer für die Superreichen zugunsten von Klimaschutz und -anpassung
Rund 65.000 Menschen (etwas mehr als 0,001 % der erwachsenen Bevölkerung) besitzen ein Vermögen von mehr als 100 Millionen USD. Eine mäßige progressive Steuer auf solche extremen Vermögen könnte die Mittel für die notwendigen Klimaanpassungs-Maßnahmen aufbringen. Laut dem UNEP Adaptation Gap Report beträgt die Finanzierungslücke 202 Mrd USD jährlich. Die Steuer, die Chancel vorschlägt, beginnt bei 1,5 % für Vermögen von 100 Millionen USD bis zu 1 Mrd. USD, 2% bis 10 Mrd. USD, 2,5 % bis 100 Mrd. USD und 3 % für alles, was darüber liegt. Diese Steuer (Chancel nennt sie „1,5 % für 1,5°C“) könnte jährlich 295 Mrd. USD einbringen, also fast um die Hälfte mehr, als der Finanzierungsbedarf für Klimaanpassung. Die USA und die europäischen Länder könnten mit einer solchen Steuer zusammen schon 175 Mrd. USD für einen globalen Klimafonds aufbringen, ohne dass 99,99 % ihrer Bevölkerung belastet würden.
Würde die Steuer schon ab 5 Millionen USD eingehoben – und auch das würde nur 0,1 % der Weltbevölkerung treffen – könnten jährlich 1.100 Mrd. USD für Klimaschutz und -anpassung eingenommen werden. Der gesamte Finanzierungsbedarf für Klimaschutz und -anpassung bis 2030 für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen ohne China wird auf 2.000 bis 2.800 Mrd USD jährlich geschätzt. Ein Teil davon wird durch bereits bestehende und geplante Investitionen abgedeckt, sodass eine Finanzierungslücke von 1.800 Mrd. USD bleibt. Die Steuer auf Vermögen über 5 Millionen USD könnte also einen großen Teil dieser Finanzierungslücke abdecken.
Gesichtet: Christian Plas Titelfoto: Ninara, CC BY Tabellen: Climate Inequality Report, CC BY
5 Z.B.Dollar, David & Kraay, Art (2002): „Growth is good for the poor“, Journal of Economic Growth,Vol. 7, No. 3, 195-225. https://www.jstor.org/stable/40216063
7 Vogel, Jefim; Steinberger, Julia K.; O’Neill, Daniel W.; Lamb, William F.; Krishnakumar, Jaya (2021): Socio-economic conditions for satisfying human needs at low energy use: An international analysis of social provisioning. In: Global Environmental Change 69, S. 102287. DOI: 10.1016/j.gloenvcha.2021.102287.
8 Coote, A., Percy, A., 2020. The Case for Universal Basic Services. John Wiley & Sons.
Ein Team von Scientists for Future Salzburg hat anlässlich der Landtagswahl am 23. April 2023 einen Fragenkatalog an die wahlwerbenden Parteien verfasst. Dieser umfasst die Bereiche Energie, Mobilität, Wohnen und Artenvielfalt. Zudem werden die Eischätzung der aktuellen Energie- und Klimastrategie 2050 des Landes sowie die Klimamaßnahmen im öffentlichen Bereich und die strukturelle Verankerung von Klimapolitik abgefragt. Insgesamt wurden 25 Fragen gestellt. Nun liegen die Antworten von ÖVP, SPÖ, GRÜNE, NEOS, FPÖ und KPÖ vor.
DieAuswertung enthält die Antworten inklusive einer Zusammenfassung, eine Einschätzung durch Scientists for Future sowie eine Punktebewertung von 1 – 10. In der Skala bedeutet 0 Punkte „Auf dem Weg in die Klimakatastrophe“, 5 Punkte „Weiter so wie bisher“ und 10 Punkte „Kompatibel mit dem Abkommen von Paris“ mit den jeweiligen Abstufungen. Im Ranking liegen GRÜNE und KPÖ mit je sieben Punkten vorne, gefolgt von der SPÖ mit 6 Punkten, der ÖVP und NEOS mit je 5 Punkten. Schlusslicht mit 3 Punkten ist die FPÖ, so das Befragungsteam aus Gunter Sperka, Hans Holzinger und Markus Gastinger.
Am 13. April laden Scientists und Fridays for Future zur Podiumsdiskussion „Salzburgs Klimapolitik in Diskussion“, in der die Antworten der Parteien besprochen werden. NAWI, 20.00.
Der Hintergrund: Am 1. Februar 2023 hat ein Bericht des renommierten Hamburger Climate, Climatic Change and Society Clusters Cliccs das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels als „nicht mehr plausibel“ beschrieben, da nicht genug gegen den menschengemachten Klimawandel unternommen wurde. Gleichzeitig hat der Salzburger Fortschrittsbericht 2022 der Arbeitsgruppe Klimawandelanpassung darauf hingewiesen, dass klimawandelbedingte Veränderungen „rascher fortschreitend und für Salzburg relevanter“ werden. Salzburg hat zwar mit der Klima+Energiestrategie 2050 zwar einen Fahrplan und dem Masterplan 2030 auch erste konkrete Maßnahmenpläne, aber die Ziel 2020 wurden leider verfehlt. Nur mit größeren Anstrengungen sind die Klimaziel 2030 (minus 50 % Treibhausgase, 65% Anteil erneuerbarer Energie) erreichen. Zudem brauchen wir Klimaneutralität bereits 2040 – und nicht wie in der Strategie festgeschrieben – 2050.
Die Fachgruppe Politik und Recht der S4F Österreich hat zusammen mit Diskurs. Das Wissenschaftsnetz am 16.03.23 ein Mediengespräch zum Thema „Generationengerechtigkeit und Klimaschutz“ organisiert. Thematische Inputs gab es von Univ.-Prof. Dr. Lukas Meyer (Universität Graz), Mag. Nikolaus Handig (Universität für Bodenkultur Wien) und Mag.a Judith Fitz (Universität für Bodenkultur Wien).
Unter Moderation von Alexander Behr widmete sich das Podium den Fragen
Welche Handlungsmöglichkeiten gibt es hinsichtlich Generationengerechtigkeit und Klimakrise?
Welche Aufgaben hierbei kommen auf uns zu und
welche Erkenntnisse bietet die Wissenschaft?
Hintergrund
Anlass des Gesprächs war eine Klimaklage von zwölf Kindern beim Verfassungsgerichtshof. Sie folgt dem Beispiel einer erfolgreichen Beschwerde mehrerer Jugendlicher beim deutschen Bundesverfassungsgericht: Hier wurde entschieden, dass die deutsche Regierung Klimaschutz auch im Lichte der Generationengerechtigkeit zu denken hat. Die Klage in Österreich verfolgt ähnliche Ziele. Denn Zeit zum Abwarten gibt es beim Klimaschutz nicht mehr: Aktuelle Versäumnisse im Bereich des Klimaschutzes gefährden die Lebensqualität zukünftiger Generationen. Dennoch sind konkrete Maßnahmen eher weniger zu sehen. Nicht zuletzt wartet die österreichische Bevölkerung bis heute auf ein neues Klimaschutzgesetz.
Generationengerechtigkeit bedeutet eine faire Verteilung materieller Ressourcen, Lebenschancen und Lebensqualität über verschiedene Generationen hinweg. Die Folgen des menschengemachten Klimawandels – wie Ressourcenknappheit, Hitze und Umweltkatastrophen – gefährden diesen fairen Ausgleich. Was aktuelle Generationen verbrauchen, haben spätere Generationen weniger. Die Klimakrise wird damit zum Gerechtigkeitsproblem und sollte als solches auch von der österreichischen Regierung behandelt werden.
Klimaschutzaktivist:innen der Umweltbewegung Letzte Generation Österreich machen mit Protestaktionen darauf aufmerksam, dass Entscheidungsträger:innen von heute die letzte Generation sind, die „den Zusammenbruch der Lebensgrundlagen noch aufhalten kann“. Der Name des Bündnisses ist also nicht zufällig gewählt. Sie kritisieren in diesem Zusammenhang, dass die österreichische Regierung laufend Verfassungsgesetze bricht, indem sie notwendige Maßnahmen nicht setzt.Dass der Vorwurf der Verfassungswidrigkeit staatlichen Handelns juristisch argumentierbar ist, zeigt jüngst die Klimaklage der zwölf minderjährigen Beschwerdeführer:innen, die sich vertreten durch Umweltanwältin Michaela Krömer an den Verfassungsgerichtshof wenden und dabei die teilweise Aufhebung des aktuellen Klimaschutzgesetzes als verfassungswidrig anstreben. Sucht man in der österreichischen Verfassungslandschaft nach dem Begriff „Generationengerechtigkeit“ wird man in Artikel 1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern fündig. Die Verfassungsbestimmung regelt, dass jedes Kind einen Anspruch auf die „Wahrung seiner Interessen auch unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit“ hat. Folgt daraus, Klimaschutzaktivist:innen sei in ihrer Annahme beizupflichten, die österreichische Bundesregierung verstoße mit der aktuellen Klimapolitik gegen Verfassungsrecht? Die klassische Antwort eine:r Jurist:in wäre wohl: Es kommt darauf
Generationengerechtigkeit und Klimakrise - Mediengespräch
Mit Klick auf das Bild wird eine Verbindung zu Youtube hergestellt und es werden deren Datenschutzbestimmungen wirksam!
Zusammenfassung der Inputs
Univ.-Prof. Dr. Lukas Meyer (Universität Graz)
Zu Beginn erfolgt eine Analyse der Generationengerechtigkeit aus philosophischer Perspektive. Diese geht davon aus, dass auch zukünftig lebende Personen Rechte gegenüber gegenwärtig lebenden Personen haben. In der Verfassung sind die subjektiven Rechte zukünftiger Generationen nicht ausdrücklich geschützt. Zukünftig Lebende sind von den Auswirkungen der Klimakrise allerdings besonders betroffen und haben wegen der prognostizierten gravierenden Folgen des Klimawandels massive Beeinträchtigungen ihrer Rechte zu befürchten. Das Ziel der Klimaneutralität soll diese Beeinträchtigung für künftige Generationen möglichst gering halten.
Darauf folgen Überlegungen zur Verantwortung einzelner Staaten im Hinblick auf ihren Emissionsausstoß: Die Aufgabe der einzelnen Staaten, Emissionen zu reduzieren, um Klimaneutralität zu erreichen, wird vielfach über Emissionsbudgets definiert. Die Annahme dabei ist, dass es globales Budget für Emissionen gibt, die (noch) ausgestoßen werden dürfen. Welcher Staat noch wie viel Budget hat, wird dabei mittels gleichmäßiger Pro-Kopf-Verteilung berechnet. Bisherige Emissionen werden nicht berücksichtigt. Diese Berechnung ist günstig für Staaten wie Deutschland und Österreich. Allerdings: Bei Berücksichtigung historischer Verantwortung und mit der Annahme (ab den 1990er Jahren), dass alle Menschen wenigstens in ihren Grundbedürfnissen geschützt werden, müsste das globale Budget anders aufgeteilt werden. Dies wäre für Staaten wie Österreich und Deutschland weniger günstig.
Die Berechnung der Emissionsbudgets geht von einem zukunftsorientierten Verständnis von Verantwortung aus – und diese bestimmt auch häufig den Diskurs. Für eine vollumfassende Verantwortungsübernahme sollte aber auch die Vergangenheit berücksichtigt werden. Werden zukunftsgerichtete Pflichten nämlich nicht erfüllt, ergeben sich daraus vergangenheitsgerichtete Pflichten. Die Versäumnisse der Vergangenheit müssen kompensiert werden. Anders ausgedrückt: Wenn hochindustrielle Staaten ihre Pflichten nicht erfüllen, müssen sie Verantwortung für entstandene Schäden übernehmen und jetzt sowie in der Zukunft entsprechend handeln.
Mag. Nikolaus Handig (Universität für Bodenkultur Wien)
Zu Beginn des Inputs wird Artikel 1 aus dem BVG Kinderrechte zitiert: „Jedes Kind hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für sein Wohlergehen notwendig sind, auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung sowie auf die Wahrung seiner Interessen auch unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit. Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein.“
Darauf folgt eine Begriffsbestimmung: Es gibt keine Legaldefinition für Generationengerechtigkeit. Der Duden beschreibt sie als den gerechten Ausgleich der zu tragenden gesellschaftlichen Lasten, der z.B. bei Rentenbeiträgen oder Staatsverschuldung Anwendung findet. Er bezieht sich also auf die Gerechtigkeit zwischen den Generationen.
Der Begriff „Generationengerechtigkeit“ wurde in Österreich noch nicht höchstgerichtlich definiert – zumindest eine einheitliche Auslegung gibt es nicht. Das Bundesverfassungsgericht in Deutschland ist schon einen Schritt weiter und zieht Generationengerechtigkeit als Kernargument zur Bewertung von Klimaschutzmaßnahmen heran. Es folgt dabei der Auffassung, Generationengerechtigkeit verlange die gleichmäßige Verteilung von Freiheiten und Lasten. Gravierende Eingriffe in gesamtgesellschaftliche Bereiche können die Generationen verletzten, v.a. bei irreversiblen Folgen. Dies betrifft auch die Bereiche Klimaschutz und Umweltschutz und macht sie zu Kernbereichen der Generationengerechtigkeit.
Die österreichischen Klimakläger:innen verfolgen eine der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ähnliche Argumentationslinie. Im Zentrum ihres Vorbringens steht das Kindeswohl. Dieses wird in der Praxis als Prüfungsmaßstab herangezogen; sowohl von Gerichten als auch von Behörden. Auch der Gesetzgeber ist bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen daran gebunden. Unambitionierte Klimaschutzgesetze könnten in Konflikt damit stehen, da sie sich in der Zukunft negativ auf das Kindeswohl auswirken können.
Mag.a Judith Fitz (Universität für Bodenkultur Wien)
Im letzten Beitrag erfolgt eine Darstellung der rechtlichen Hürden in Österreich, um Generationengerechtigkeit als Anspruch geltend zu machen. Ganz allgemein gilt: Eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu erheben, ist an nicht immer leicht zu erfüllende Zulässigkeitsvoraussetzungen geknüpft. Insbesondere das Erfordernis der „unmittelbaren Betroffenheit“ stellt Klimakläger:innen vor Schwierigkeiten. Bei der aktuellen Klimaklage geht es um das Klimaschutzgesetz und dieses richtet sich an die Verwaltung. Die zwölf Kinder sind damit nicht unmittelbare Normadressaten des Klimaschutzgesetzes. Daher ist bereits die Frage unklar, ob der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde der jungen Beschwerdeführer:innen überhaupt prüfen wird. Außerdem kann der Verfassungsgerichtshof zwar bestehende Gesetze aufheben, er kann aber weder selbst Gesetze erlassen noch den Gesetzgeber dazu verpflichten, Gesetze zu erlassen. Eine Verfassungsbeschwerde ist deshalb nur bedingt eine Möglichkeit, um gegen die Untätigkeit des Gesetzgebers vorzugehen.
Dass nur unter bestimmten Voraussetzungen Verfassungsbeschwerden eingebracht werden können, ist kein „Austriacum“. Vorreiter in Sachen erfolgreiche Klimaklagen sind vor allem die Niederlande und Deutschland. Im Fall Deutschland gibt es aber eine juristisch wirksame Maßnahme: Normalerweise muss eine gegenwärtige Verletzung eines Grundrechts vorliegen, damit Verfassungsbeschwerden eingebracht werden können. Da Klimaschutzmaßnahmen mit zeitlicher Verzögerung wirken und eine gegenwärtige Verletzung nicht vorliegen kann, schuf das Bundesverfassungsgericht eine eingriffsähnliche Vorwirkung. Hier wurde also eine Rechtsschutzlücke geschlossen. In Österreich gibt es diese Lücke noch – es bleibt abzuwarten, wie sich der Fall noch entwickelt.
Zu den Personen
Univ.-Prof. Dr. Lukas Meyer: ist Professor für Philosophie und Leiter des Arbeitsbereichs Praktische Philosophie am Institut für Philosophie der Universität Graz. Seine Arbeitsgebiete sind Philosophie, Ethik, Politische Philosophie, Rechtsphilosophie und Sozialphilosophie. Sein Forschungsschwerpunkt ist Gerechtigkeit in Zeit und Raum und seine laufenden Forschungsprojekte sind zu intergenerationeller Gerechtigkeit, Ethik des Klimawandels und historische Gerechtigkeit. Er ist zudem Sprecher (Projektleiter) des interfakultären FWF Doktoratskolleg „Klimawandel – Unsicherheiten, Schwellenwerte und Strategien“ und des Profilbereichs „Field of Excellence Climate Change Graz“.
Mag. Nikolaus Handig: ist Universitätsassistent am Institut für Rechtswissenschaften an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) und stellvertretender Leiter desselben. Er forscht und lehrt im Bereich des Umweltrechts und verfasst auch seine Dissertation zur Abwehr von Gefahr im Verzug im Umweltrecht. Zudem ist er Co- Herausgeber des Rechtsblogs „überzuckert – Tagesgeschehen rechtlich verstehen“.
Mag.a Judith Fitz: ist Universitätsassistentin am Institut für Rechtswissenschaften an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU). Sie forscht im Bereich des Klimaschutzrechts sowie der Grund- und Menschenrechte und verfasst ihre Dissertation zum Thema Klimaklagen. Sie ist zudem Vorstandsmitglied der Österreichischen Liga für Menschenrechte und Redaktionsmitglied der Fachzeitschrift juridikum.
Es ist nicht leicht, in Österreich klimafreundlich zu leben. In allen Bereichen der Gesellschaft, von Arbeit und Pflege über Wohnen bis zu Mobilität, Ernährung und Freizeit sind tiefgreifende Veränderungen notwendig, um dauerhaft ein gutes Leben für alle zu ermöglichen, ohne die Grenzen des Planeten zu sprengen. Die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschungen zu diesen Fragen haben österreichische Top-Wissenschaftler:innen in zweijähriger Arbeit zusammengetragen, gesichtet und bewertet. So ist dieser Bericht entstanden, der Antwort geben soll auf die Frage: Wie können die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass ein klimafreundliches Leben möglich ist?
Koordiniert hat die Arbeit am Bericht Dr. Ernest Aigner, der auch Scientist for Future ist. Im °CELSIUS-Interview gibt er Auskunft über die Entstehung, den Inhalt und die Ziele des Berichts. (Zu hören ist dieses Interview auf unserem Podcast AlpenGLÜHEN. Weitere Interviews mit Autor:innen zu den verschiedenen Themenfeldern werden folgen)
Umweltschützer:innen und örtliche Fiscber:innen haben vor Gericht durchgesetzt, dass eine Genehmigung für Öl- und Gasexploration vor der „Wilden Küste“ Südafrikas aufgehoben wurde. Die Genehmigung durch das Department of Mineral Resources and Energy hätte dem Ölriesen Shell erlaubt, mit einem Schiff, das eine sechs Kilometer lange Kette von seismischen Schallkanonen hinter sich ziehen sollte, den Meeresboden auf Öl- und Gasvorkommen abzuklopfen. Wissenschaftler warnen, dass dieser extreme Lärm über tausende Kilometer lärmempfindliche Tiere wie Wale, Delphine und Meeresschildkröten gefährdet. Das Gericht hat befunden, dass Shell keine echten Konsultationen mit der Bevölkerung gehalten hat. Das Vorhaben wurde durch Inserate bekannt gemacht, die nur Lesekundigen zugänglich waren und auch nicht in den Sprachen der örtlichen Bevölkerung abgefasst waren, und die Verhandlungen wurden nur mit örtlichen Oberhäuptern geführt statt mit der breiten Bevölkerung. https://insideclimatenews.org/news/02092022/oil-exploration-south-africa-wild-coast/
Die ecuadorianische Indigenenbewegung und die Regierung von Guillermo Lasso haben sich auf ein einjähriges Moratorium für neue Öl- und Minenkonzessionen geeinigt. Damit werdnen Pläne der Regierung, die Ölförderung zu verdoppeln in Frage gestellt. Die Einigung wurde nach zweimontagen Verhandlungen erzielt, denen 18 Tage dauernden Streik der Indigenen gegen steigende Lebenshaltungskosten, Umweltzerstörung und Rechtsverletzungen durch Öl- und Minenaktivitäten im Amazonasgebiet und den Anden vorangegangen war. Das Moratorium wird mindestens 12 Monate in Kraft bleiben oder bis ein neues Gesetz freie, informierte Konsultationen über geplante Erschließungen garantiert. https://amazonwatch.org/news/2022/0913-ecuador-declares-temporary-moratorium-on-new-oil-and-mining-concessions
In diesem kurzen, leicht zu lesenden Essay präsentiert die Umwelthistorikerin Verena Winiwarter sieben grundsätzliche Überlegungen für den Weg in eine Gesellschaft, die auch das Leben nachkommender Generationen sichern kann. Freilich ist es kein Anleitungsbuch – „In sieben Schritten zu …“ – sondern, wie Winiwarter im Vorwort schreibt, ein Beitrag zu einer Debatte, die geführt werden soll. Die Naturwissenschaften haben die Ursachen der Klima- und Biodiversitätskrise längst geklärt und auch die erforderlichen Maßnahmen benannt. Winiwarter setzt sich darum mit der gesellschaftlichen Dimension des notwendigen Wandels auseinander.
Die erste Überlegung betrifft die Daseinsfürsorge. In unserer vernetzten und arbeitsteiligen Industriegesellschaft können einzelne Menschen oder Familien nicht mehr unabhängig für das eigene Dasein sorgen. Wir sind abhängig von Gütern, die anderswo erzeugt werden und von Infrastrukturen wie Wasserleitungen, Abwasserkanälen, Gas und Stromleitungen, Verkehrsmitteln, Gesundheitseinrichtungen und vielen anderen, die wir nicht selber verwalten. Wir vertrauen darauf, dass das Licht angeht, wenn wir den Schalter betätigen, aber tatsächlich haben wir keine Kontrolle darüber. Alle diese Strukturen, die uns das Leben ermöglichen, wären ohne staatliche Institutionen nicht möglich. Entweder stellt der Staat sie selber zur Verfügung oder er reguliert ihre Bereitstellung durch Gesetze. Ein Computer mag von einer privaten Firma hergestellt werden, aber ohne das staatliche Bildungssystem gäbe es niemanden, der ihn konstruieren könnte. Nicht vergessen darf man dabei, dass die Daseinsfürsorge, der Wohlstand, wie wir ihn kennen, durch die Nutzung fossiler Energien ermöglicht wurde und mit der Armut der „Dritten Welt“ oder des globalen Südens untrennbar verbunden ist .
Im zweiten Schritt geht es um die Daseinsvorsorge. Diese zielt auf die Zukunft, auf die Vorsorge für unser eigenes Dasein und das der nächsten und übernächsten Generationen. Daseinsvorsorge ist die Voraussetzung und Konsequenz einer nachhaltigen Gesellschaft. Damit ein Staat Daseinsvorsorge betreibt, muss er ein auf unveräußerlichen Menschen- und Grundrechten aufgebauter Rechtsstaat sein. Korruption hintertreibt wirksame Daseinsvorsorge. Auch wenn Institutionen der Daseinsfürsorge wie zum Beispiel die Wasserversorgung privatisiert werden, sind die Folgen negativ, wie die Erfahrung in vielen Städten zeigt.
Im dritten Schritt werden also der Rechtsstaat, Grund- und Menschenrechte beleuchtet: „Nur ein Rechtsstaat, in dem alle Amtsträger:innen sich dem Recht unterwerfen müssen und in dem eine unabhängige Justiz darüber wacht, kann Staatsbürger:innen vor Willkür und staatlicher Gewalt schützen.“ Vor Gericht kann in einem Rechtsstaat auch gegen staatliches Unrecht vorgegangen werden. In Österreich ist seit 1950 die Europäische Menschenrechtskonvention in Kraft. Diese garantiert unter anderem das Recht jedes Menschen auf Leben, Freiheit und Sicherheit. „Somit“ folgert Winiwarter, „müssten die Organe der Grundrechtsdemokratie Österreich, um verfassungsgemäß zu handeln, die Lebensgrundlagen der Menschen dauerhaft schützen und damit nicht nur das Pariser Klima-Abkommen umsetzen, sondern sich umfassend als Umwelt- und damit Gesundheitsschützer betätigen.“ Doch sind die Grundrechte in Österreich keine „Individualrechte“, die ein einzelner Mensch für sich in Anspruch nehmen kann, sondern nur eine Richtschnur staatlichen Handelns. Es wäre also nötig, die Verpflichtung des Staates, für Klimaschutz zu sorgen, in die Verfassung aufzunehmen. Doch müsste jede nationale Gesetzgebung zum Klimaschutz auch in einen internationalen Rahmen eingebettet sein, da der Klimawandel ein globales Problem ist.
Schritt vier benennt drei Gründe, warum die Klimakrise ein „tückisches“ Problem ist. „Wicked problem“ ist ein Begriff, den die Raumplaner Rittel und Webber 1973 geprägt haben. Sie bezeichnen damit Probleme, die sich nicht einmal eindeutig definieren lassen. Tückische Probleme sind meistens einzigartig, daher gibt es keine Möglichkeit, durch Versuch und Irrtum eine Lösung zu finden, es gibt auch keine eindeutig richtigen oder falschen, sondern nur bessere oder schlechtere Lösungen. Die Existenz des Problem kann auf unterschiedliche Weisen erklärt werden, und mögliche Lösungen hängen von der jeweiligen Erklärung ab. Eine eindeutige Lösung für das Problem des Klimawandels gibt es nur auf der naturwissenschaftlichen Ebene: Keine Treibhausgase mehr in die Atmosphäre! Doch dies umzusetzen, ist ein gesellschaftliches Problem. Gelingt die Umsetzung durch technische Lösungen wie Carbon Capture and Storage und Geoengineering, oder durch Änderung des Lebensstils, Bekämpfung von Ungleichheit und Wertewandel oder durch ein Ende des vom Finanzkapital getriebenen Kapitalismus und seiner Wachstumslogik? Winiwarter hebt drei Aspekte hervor: der eine ist die „Tyrannei der Gegenwart“ oder einfach die Kurzsichtigkeit von Politiker:innen, die sich die Sympathie ihrer gegenwärtigen Wähler:innen sichern wollen: „Die österreichische Politik ist damit beschäftigt, durch Priorisierung von klimaschädlichem Wirtschaftswachstum die Pensionen für heutige Pensionist:innen zu sichern, statt mindestens ebenso stark durch klimaschützende Politik eine gute Zukunft für die Enkelkinder zu ermöglichen.“ Ein zweiter Aspekt ist, dass diejenigen, denen die Maßnahmen zur Lösung eines Problems nicht passen, dazu neigen, das Problem, in diesem Fall den Klimawandel, zu leugnen oder kleinzureden. Der dritte Aspekt betrifft das „kommunikative Rauschen“, also eine Überfülle an belanglosen Informationen, in denen die wesentlichen Informationen untergehen. Zudem werden gezielt Fehlinformationen, Halbwahrheiten und regelrechter Schwachsinn verbreitet. Dadurch wird es den Menschen erschwert, richtige und sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Nur freie und unabhängige Qualitätsmedien können die rechtsstaatliche Demokratie schützen. Dazu braucht es aber auch eine unabhängige Finanzierung und ebenso unabhängige Aufsichtsgremien.
Der fünfte Schritt benennt Umweltgerechtigkeit als die Basis aller Gerechtigkeit. Armut, Krankheit, Mangelernährung, Unbildung und Schädigung durch eine vergiftete Umwelt machen es Menschen unmöglich, sich an demokratischen Aushandlungen zu beteiligen. Umweltgerechtigkeit ist so die Basis des demokratischen Rechtsstaates, Basis der Grundrechte und der Menschenrechte, weil sie überhaupt erst die physischen Voraussetzungen für Teilhabe schafft. Winiwarter zitiert hier unter anderem den indischen Ökonomen Amartya Sen. Nach Sen ist eine Gesellschaft umso gerechter, je mehr durch Freiheit geschaffene „Verwirklichungschancen“ sie den Menschen ermöglicht. Freiheit umfasst die Möglichkeit politischer Teilhabe, ökonomische Institutionen, die für Verteilung sorgen, soziale Absicherung durch Mindestlöhne und Sozialhilfen, soziale Chancen durch Zugang zum Bildungs- und Gesundheitssystem und Pressefreiheit. Alle diese Freiheiten müssen partizipativ ausgehandelt werden. Und das ist nur möglich, wenn die Menschen Zugang zu Umweltressourcen haben und frei von Umweltlasten sind.
Der sechste Schritt setzt sich weiter mit dem Begriff der Gerechtigkeit und den damit verbundenen Herausforderungen auseinander. Erstens ist der Erfolg von Maßnahmen, die zu mehr Gerechtigkeit führen sollen, oft nur schwer zu kontrollieren. Die Erreichung der 17 Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 etwa soll anhand von 242 Indikatoren gemessen werden. Eine zweite Herausforderung ist mangelnde Anschaulichkeit. Gravierende Ungleichheiten sind für nicht Betroffene oft gar nicht sichtbar, wodurch auch keine Motivation entsteht, dagegen vorzugehen. Drittens gibt es Ungleichheit nicht nur zwischen gegenwärtigen und zukünftigen Menschen, sondern auch zwischen dem globalen Süden und dem globalen Norden und nicht zuletzt innerhalb einzelner Nationalstaaten. Armutsbekämpfung im Norden darf nicht auf Kosten des Südens gehen, Klimaschutz nicht auf Kosten der schon bisher Benachteiligten und ein gutes Leben in der Gegenwart nicht auf Kosten der Zukunft . Gerechtigkeit kann nur ausgehandelt werden, doch dem Aushandeln stehen oft Verständigungsschwierigkeiten entgehen, besonders auf der globalen Ebene.
Schritt sieben betont: „Ohne Frieden und Abrüstung gibt es keine Nachhaltigkeit.“ Krieg bedeutet nicht nur unmittelbare Zerstörungen, auch in Friedenszeiten verursachen Militär und Rüstung Treibhausgase und andere Umweltschäden und beanspruchen riesige Ressourcen, die besser für den Schutz der Lebensgrundlagen aufgewendet werden sollten. Frieden erfordert Vertrauen, das nur durch demokratische Teilhabe und Rechtsstaatlichkeit erreicht werden kann. Winiwarter zitiert den Moralphilosophen Stephen M. Gardiner, der einen globalen Verfassungskonvent vorschlägt, um eine klimagerechte Weltgesellschaft zu ermöglichen. Als eine Art Probehandeln schlägt sie einen österreichischen Klimaverfassungskonvent vor. Damit sollte auch den Zweifeln begegnet werden, die viele Aktivist:innen, Beratungsgremien und Wissenschaftler:innen an der Fähigkeit der Demokratie hegen, mit den klimapolitischen Herausforderungen fertigzuwerden. Die Begrenzung des Klimawandels verlangt umfassende gesellschaftliche Anstrengungen, die nur möglich sind, wenn sie von einer faktischen Mehrheit unterstützt werden. Am demokratischen Ringen um Mehrheiten führt also kein Weg vorbei. Ein Klimaverfassungskonvent könnte die institutionellen Reformen anstoßen, die dafür notwendig sind, und könnte dazu beitragen, das Vertrauen herzustellen, dass eine gedeihliche Entwicklung möglich ist. Denn je komplexer die Probleme sind, um so wichtiger ist Vertrauen, damit die Gesellschaft handlungsfähig bleibt.
Abschließend und fast nebenbei geht Winiwarter auf eine Institution ein, die eigentlich prägend für die moderne Gesellschaft ist: die „freie Marktwirtschaft“. Sie zitiert zuerst den Schriftsteller Kurt Vonnegut, der der Industriegesellschaft ein Suchtverhalten attestiert, nämlich die Sucht nach fossiler Energie, und einen „kalten Entzug“ vorhersagt. Und weiter den Drogenexperten Bruce Alexander, der die globale Suchtproblematik darauf zurückführt, dass die freie Marktwirtschaft die Menschen dem Druck zu Individualismus und Wettbewerb aussetzt. Die Abkehr von fossiler Energie könnte, meint Winiwarter, auch die Abkehr von der freien Marktwirtschaft zur Folge haben. Den Ausweg sieht sie darin, die psychosoziale Integration zu fördern, also die Wiederherstellung von Gemeinschaften, die durch Ausbeutung zerstört wurden, deren Umwelt vergiftet wurde. Diese müssen beim Wiederaufbau unterstützt werden. Eine alternative zur Marktwirtschaft wären Genossenschaften aller Art, in denen die Arbeit auf die Gemeinschaft ausgerichtet ist. Eine klimagerechte Gesellschaft ist demnach eine, die weder nach fossiler Energie noch nach bewusstseinsverändernden Drogen süchtig ist, weil sie durch Zusammenhalt und Vertrauen die mentale Gesundheit der Menschen fördert.
Was diesen Essay auszeichnet, ist der interdisziplinäre Ansatz. Leser:innen werden Hinweise auf eine Reihe von Autor:innen aus unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen finden. Dass ein solcher Text nicht alle Fragen beantworten kann, ist klar. Doch da die Schrift auf den Vorschlag eines Klimaverfassungskonvents zugespitzt ist, würde man eine ausführlichere Darstellung der Aufgaben erwarten, die ein solcher Konvent zu lösen hätte. Um die gegenwärtige Verfassung um einen Artikel zu Klimaschutz und Daseinsvorsorge zu erweitern, würde ja ein Parlamentsbeschluss mit Zweidrittelmehrheit genügen. Ein eigens gewählter Konvent müsste sich wohl mit der grundlegenden Struktur unseres Staatswesens auseinandersetzen, vor allem mit der Frage, wie konkret die Interessen von künftigen Generationen, deren Stimme wir ja nicht hören können, in der Gegenwart vertreten werden können. Denn, wie Stephen M. Gardiner ausführt, unsere gegenwärtigen Institutionen, vom Nationalstaat bis zur UNO, sind dafür nicht konzipiert worden. Dazu würde dann auch die Frage gehören, ob es außer der derzeitige Form der repräsentativen Demokratie durch Volksvertreter:innen noch andere Formen geben kann, die zum Beispiel Entscheidungsbefugnisse weiter nach „unten“, also näher zu den Betroffenen verlagern. Auch die Frage der Wirtschaftsdemokratie, des Verhältnisses von privater, profitorientierter Wirtschaft einerseits und gemeinschaftlicher, am Gemeinwohl orientierter Wirtschaft andererseits müsste Gegenstand eines solchen Konvents sein. Ohne strenge Regulierung ist eine nachhaltige Wirtschaft nicht denkbar, schon allein, weil zukünftige Generationen nicht als Konsument:innen über den Markt auf die Wirtschaft Einfluss nehmen können. Darum müsste geklärt werden, auf welche Weise solche Regulierungen zustande kommen sollen.
Auf jeden Fall ist Winiwarters Buch inspirierend, weil es den Blick weit über den Horizont von technologischen Maßnahmen wie Windkraft und Elektromobilität hinaus auf die Dimensionen menschlichen Zusammenlebens lenkt.
Verena Winiwarter ist Umwelthistorikerin. Sie wurde 2013 zur Wissenschaftlerin des Jahres gewählt, ist Mitglied der österreichischen Akademie der Wissenschaften und leitet dort die Kommission für interdisziplinäre ökologische Studien. Sie ist Mitglied von Scientists for Future. Ein Interview zum Thema Klimakrise und Gesellschaft ist auf unserem Podcast „Alpenglühen“ zu hören.
Armutsbekämpfung und ein besserer Schutz von Natur und Klima sind keine Gegensätze, wie eine neue wissenschaftliche Analyse1 deutlich macht. Entwicklungsziele wie weniger Armut und Ungleichheit, bessere Gesundheit und Bildung, sichere Versorgung mit Nahrung und Energie einerseits stehen in enger Wechselwirkung mit einer Stabilisierung des Klimas und dem Erhalt der Artenvielfalt andererseits. Nur gemeinsam lassen sich die Ziele erreichen, zeigt ein Bericht des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) für das Bundesministerium für Umwelt und Verbraucherschutz anlässlich des heute beginnenden Stockholm+50 Gipfeltreffens.
In mehr als 1.500 Fällen weltweit stehen derzeit Staaten oder Unternehmen vor Gericht, um sich für ihren Beitrag zum Klimawandel zu verantworten.
Bei diesen Klimaklagen (Englisch: climate change litigation) geht es darum, dass Klagen in Zusammenhang mit dem Klimawandel vor Gericht gebracht werden, um die Folgen des Klimawandels abzumildern und Staaten oder Unternehmen für die globale Klimaerwärmung oder die Nichteinhaltung von Treibhausgasemissionszielen zur Verantwortung zu ziehen. Besonders in den Vereinigten Staaten, aber auch in anderen Ländern, haben Aktivist*innen und Anwält*innen in den letzten 10 Jahren ihre Bemühungen intensiviert, inationale und internationale Rechtssysteme zu nutzen, um die Belange des Klimawandels voranzubringen. Dabei besteht eine breite rechtliche Übereinstimmung über die Ursachen, das Ausmaß, die Dringlichkeit und die Folgen des Klimawandels. Heute halten die Gerichte die wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass sich das Klima erwärmt, dass menschliche Aktivitäten die beobachteten und erwarteten Veränderungen vorantreiben und dass diese Veränderungen eine Reihe von negativen Auswirkungen für gültig und maßgebend (Banda, 2020, S. 2).