Hitzestress ist ein unsichtbarer und lautloser Killer, der schnell zu Krankheiten, Hitzschlag oder sogar zum Tod führen kann. Im Laufe der Zeit kann er bei Arbeitnehmern auch zu schweren Herz-, Lungen- und Nierenproblemen führen, unterstreicht die Studie.
Arbeitnehmer:innen in Afrika, den arabischen Staaten sowie in Asien und im Pazifik sind am häufigsten übermäßiger Hitze ausgesetz. In diesen Regionen sind zwischen 75 und 93 Prozent der Arbeitnehmer:innen betroffen.
Doch im relativ begünstigten Europa verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen durch Hitze schneller als überall sonst. Der Anteil der von Hitzestress betroffenen Arbeitnehmer:innen stieg von 2000 bis 2020 um 17,3 Prozent, fast doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt. Die Zahl der Arbeitsunfälle, die durch diesen Hitzestress verursacht werden, stieg in Europa um 16 Prozent.
Im Jahr 2020 waren 231 Millionen Arbeitnehmer:innen Hitzewellen ausgesetzt, was einem Anstieg von 66 Prozent seit 2000 entspricht, und 4.200 Arbeitnehmer:innen haben durch Hitzewellen ihr Leben verloren. Dennoch sind neun von zehn Arbeitnehmer:innen weltweit auch außerhalb von Hitzewellen übermäßiger Hitze ausgesetzt und acht von zehn Arbeitsunfällen durch extreme Hitze traten außerhalb von Hitzewellen auf.
Verbesserte Sicherheits- und Gesundheitsmaßnahmen zur Vermeidung von Verletzungen durch übermäßige Hitze am Arbeitsplatz könnten weltweit bis zu 361 Milliarden US-Dollar einsparen – an Einkommensverlusten und Kosten für medizinische Behandlung –, da sich die Hitzestresskrise beschleunigt und die globalen Regionen unterschiedlich betrifft, betont die Studie. Die Schätzungen der ILO zeigen, dass insbesondere Volkswirtschaften mit niedrigem und mittlerem Einkommen am stärksten betroffen sind, da die Kosten für Verletzungen durch übermäßige Hitze am Arbeitsplatz etwa 1,5 Prozent des nationalen BIP erreichen können.
„Dies ist ein Menschenrechtsproblem, ein Problem der Arbeitnehmerrechte und ein wirtschaftliches Problem, und Volkswirtschaften mit mittlerem Einkommen tragen die größte Last. Wir brauchen ganzjährige Hitzeaktionspläne und Gesetze zum Schutz der Arbeitnehmer sowie eine stärkere globale Zusammenarbeit zwischen Experten, um die Beurteilung von Hitzestress am Arbeitsplatz zu harmonisieren“, sagt ILO-Generaldirektor Gilbert F. Houngbo.
Mehr als eineinhalb Milliarden Menschen haben bis Ende Mai dieses Jahres mindestens an einem Tag unter lebensgefährlicher Hitze gelitten, zeigt eine Analyse der Washington Post. Als lebensbedrohlich gilt ein Hitze-Index von 39,4°C. Dieser Hitzeindex wird aus der tatsächlichen Lufttemperatur und der Luftfeuchtigkeit errechnet. Je höher die Luftfeuchtigkeit ist, um so schwerer fällt es dem Körper, sich durch Schwitzen abzukühlen. Für ältere Menschen und Menschen mit gesundheitlichen Problemen kann schon ein geringerer Hitzeindex lebensgefährlich sein. Am stärksten betroffen waren Bangkok (Thailand) mit 76 Tagen, Ho Chi Minh City (Vietnam) mit 61 Tagen, Dhaka (Bangladesh) mit 45 Tagen, Baranquilla (Kolumbien) mit 41 Tagen und Mumbai (Indien) mit 36 Tagen. Quelle: Washington Post Die katastrophale Hitze in Mekka während der Hadsch im Juni ist in dieser Analyse noch nicht enthalten. Bei über 51°C starben vermutlich 1.000 Menschen an Hitzefolgen. Quelle: Der Spiegel
Die gute Nachricht ist, dass es so etwas gibt. Die schlechte Nachricht ist, dass so etwas nötig ist: In Phoenix, Arizona, patrouillieren bei extremen Temperaturen Hitzeeinsatzeinheiten durch die Stadt, verteilen Wasser, bringen Menschen in klimatisierte Räume und öffnen Kühlzentren, um Linderung zu verschaffen. „Wir nutzen 911-(Notruf-)Daten, um herauszufinden, wo sich die am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen befinden. Wir wissen, dass Obdachlose einem höheren Risiko ausgesetzt sind. Auch bei älteren Menschen sehen wir hohe Zahlen“, sagt ein Teammitglied. Sie arbeiten auch daran, die US-Stadt längerfristig abzukühlen, indem sie Plätze ausfindig machen, wo Bäume gepflanzt werden können. Gerade im Stadtzentrum ist das schwierig. In Phoenix sind im letzten Jahr fast 400 Menschen an Hitzefolgen gestorben. Quelle: Wired
Olympionik:innen, die die extreme Hitze in Paris im August fürchten, fordern ein Ende des Sponsorings der Spiele durch fossile Brennstoffunternehmen. Extreme Hitze stellt nicht nur ein Gesundheitsrisiko für Athlet:innen dar: Übermäßiger Schweiß kann die Handhabung der Ausrüstung gefährlich machen – Sprungstäbe für Stabhochspringer:innen beispielsweise werden rutschig. Ein Bericht einer Gruppe von Olympionik:innen und Wissenschaftler:innen zeigt, dass seit den letzten Pariser Spielen im Jahr 1924 die Durchschnittstemperatur während der Wochen der Spiele um 3,1 °C gestiegen ist. Neben dem Ende des Sponsorings durch Fossile Konzerne fordert die Gruppe Hitzeschutz für Athleten. „Wir müssen so schnell wie möglich von fossilen Brennstoffen wegkommen“, sagt Rugbyspieler Jamie Farndale.
Am 28. April, drei Tage vor dem internationalen Tag der Arbeit, wird in vielen Ländern der Workers Memorial Day begangen, zum Gedenken an Lohnarbeiter:innen, die bei der Arbeit getötet, verstümmelt, verletzt wurden oder erkrankt sind. Der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) hat diesen Tag heuer unter das Thema „Klimarisiken für Arbeitnehmer:innen“ gestellt.
Extreme Wetterbedingungen gefährden die Sicherheit am Arbeitsplatz und die Gesundheit der Arbeitnehmer:innen in der Landwirtschaft, auf dem Bau und in anderen Berufen, wo sie im Freien arbeiten. Hitzebedingte Todesfälle und Krankheiten sind stark angestiegen. Die Arbeit bei extremen Wetterbedingungen macht besonders müde und daher anfällig für Unfälle und Verletzungen. Stressbedingte Krankheiten nehmen zu. Während der Hitzewellen im Jahr 2023 starben Berichten zufolge unter anderem Postangestellte und Zustellfahrer:innen während der Arbeit an Hitzschlag. Es gibt echte Gründe zur Besorgnis darüber, dass weder Arbeitgeber noch Aufsichtsbehörden das Problem mit der nötigen Ernsthaftigkeit behandeln.
Ein Report1 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) vom September 2023 hält fest: „Der Klimawandel hat zahlreiche gesundheitliche Auswirkungen auf Arbeitnehmer, darunter Verletzungen, Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Atemwegserkrankungen und Auswirkungen auf ihre psychosoziale Gesundheit. Die geschätzte Zahl der Todesfälle unter der Weltbevölkerung im erwerbsfähigen Alter aufgrund der Einwirkung heißer Temperaturen ist gestiegen.“
Deshalb fordert der Internationale Gewerkschaftsbund robuste Richtlinien und Praktiken, um die arbeitende Bevölkerung vor den gefährlichen Auswirkungen des Klimawandels zu schützen. Klimarisikobewertungen und Notfallvorsorge müssen in die Arbeitssicherheits- und Gesundheitsstandards integriert werden. Dazu gehören Konsultationen mit Gewerkschaften, die Durchführung umfassender Sicherheitsschulungen und die Durchsetzung strenger Sicherheitsstandards, um die mit extremen Wetterbedingungen verbundenen Risiken zu mindern. „Im Mittelpunkt steht dabei die Demokratie, denn Demokratie am Arbeitsplatz bedeutet, dass den Arbeitnehmern zugehört wird und sie zu ihrer eigenen Sicherheit beitragen können“, so der Generalsekretär des IGB Luc Triangle.
Es ist nicht nur das veränderte Klima, das zu gesteigerter Gefährdung der Arbeitenden führt, es sind auch die globalen Machtverhältnisse. In einer 2024 in den Annals of the American Association of Geographers2 veröffentlichten Studie über den südostasiatischen Ziegelgürtel untersuchten Forscher:innen aus Großbritannien und Südostasien, wie der Rückgang der Ziegelproduktionskapazität im Vereinigten Königreich nach der Finanzkrise von 2008 zu einem steilen Anstieg der Ziegelimporte, von außerhalb der EU, geführt hat. Ziegel werden in Indien während der heißesten Zeit des Jahres hergestellt. Während dieser Zeit sind die Arbeiter gezwungen, in der intensiven, direkten Sonneneinstrahlung zu arbeiten und haben kaum Zugang zu Schatten. Viele der Arbeitenden in der Industrie stehen in Schuldknechtschaft und sind – oft gemeinsam mit ihren Familien – gezwungen, unter ungesunden und manchmal tödlichen Bedingungen zu arbeiten, um Zinsen für langfristige Schulden bei den Besitzern der Brennöfen zu begleichen3.
Zwei Millionen Lebensjahre verloren durch hitzebedingte Unfälle
Mit steigender Temperatur steigt auch die Unfallrate am Arbeitsplatz. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) der Vereinten Nationen schätzt, dass Hitze am Arbeitsplatz im Jahr 2020 weltweit 23 Millionen Arbeitsunfälle und 19.000 Todesfälle verursacht hat und insgesamt 2 Millionen behinderungsbereinigte Lebensjahre (Disability Adjusted Life Years, DALYs) gekostet hat.
Eine UCLA-Studie4 aus dem Jahr 2021 ergab, dass selbst ein geringfügiger Anstieg der Temperaturen am Arbeitsplatz in Kalifornien zu 20.000 zusätzlichen Verletzungen pro Jahr führte, was gesellschaftliche Kosten in Höhe von 1 Milliarde US-Dollar verursachte.
Die Studie ergab, dass Arbeiter:innen an Tagen mit Temperaturen über 32 °C ein um 6 bis 9 Prozent höheres Verletzungsrisiko haben, als an Tagen mit kühleren Temperaturen. Wenn das Thermometer 38 °C überschreitet, steigt das Verletzungsrisiko um 10 bis 15 Prozent.
In einem Artikel aus dem Jahr 2019 im American Journal of Industrial Medicine heißt es: „Unter Bauarbeitern, die 6 Prozent der arbeitenden Bevölkerung ausmachen, geschahen zwischen 1992 und 2016 in den USA 36 Prozent aller berufsbedingten hitzebedingten Todesfälle. Die Durchschnittstemperaturen von Juni bis August stiegen im Untersuchungszeitraum allmählich an. Steigende Sommertemperaturen von 1997 bis 2016 waren mit höheren hitzebedingten Sterberaten verbunden.“
Auch die Arbeit in der Landwirtschaft ist ein Beruf mit hohem Risiko. Ein Artikel im American Journal of Industrial Medicine5 aus dem Jahr 2015 kam zu dem Schluss, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Landarbeiter an hitzebedingten Todesfällen sterben, 35-mal höher ist als bei Arbeitern in anderen Berufen.
Die Lasten der Arbeit unter schlechten Bedingungen tragen die Arbeitnehmer:innen, ihre Familien und Gemeinschaften. Aber auch die Auswirkungen auf die Gewinne sind beträchtlich: Bei hohen Temperaturen verringert sich die Arbeitsproduktivität, weil es entweder zu heiß zum Arbeiten ist oder die Arbeiter langsamer arbeiten müssen. Im Jahr 2019 prognostizierte die ILO6, dass bis 2030 weltweit 2,2 Prozent der Gesamtarbeitszeit durch hohe Temperaturen verloren gehen werden – ein Produktivitätsverlust, der 80 Millionen Vollzeitarbeitsplätzen entspricht. Bis 2030 könnte das die weltweite Wirtschaftsleistung um 2,4 Milliarden USD verringern.
Hitzebedingte Krankheiten
Eine globale ILO-Analyse von Klimamodellen, globalen Temperaturprognosen, Arbeitskräftedaten und arbeitsmedizinischen Informationen aus dem Jahr 2024 ergab, dass im Jahr 2020 mindestens 2,41 Milliarden Vollzeitbeschäftigte der Hitze am Arbeitsplatz ausgesetzt waren. Für viele kann dies ernsthaft gesundheitsschädlich sein.
Der Schweregrad hitzebedingter Erkrankungen reicht von leichtem Hitzeausschlag und Schwellungen über Hitzestress und Hitzeerschöpfung bis hin zu schwerwiegenden und möglicherweise tödlichen Erkrankungen wie Rhabdomyolyse (Muskelschäden), akuter Nierenschädigung, Hitzschlag und durch Hitzestress verursachten Herzstillstand. Arbeitnehmer mit Vorerkrankungen wie Diabetes, Lungen- oder Herzerkrankungen können besonders gefährdet sein7.
Eine kürzlich bekanntgewordene chronische Nierenerkrankung (CKDu), wurde bei Bananenarbeitern und anderen Personen beobachtet, die schwere Handarbeit bei heißen Temperaturen verrichten. Diese Krankheit tötet jedes Jahr Tausende. Ein Artikel aus dem Jahr 2016 im Clinical Journal der American Society of Nephrology8 deutete darauf hin, dass CKDu eine der ersten durch den Klimawandel verursachten Epidemien darstellen könnte.
Gemeinsame Schätzungen von WHO und ILO, die 2023 in der Zeitschrift Environment International9 veröffentlicht wurden, gehen davon aus, dass im Jahr 2019 weltweit 1,6 Milliarden Arbeitnehmer beruflich der UV-Strahlung der Sonne ausgesetzt waren, „was 28,4 Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter entspricht“. Es ist der häufigste berufsbedingte Krebsrisikofaktor, wenn Arbeitnehmer routinemäßig Konzentrationen ausgesetzt sind, die über den empfohlenen Tagesgrenzwerten liegen.
UV-Strahlung kann auch zu irreversiblen Schäden an den Augen führen, entweder durch Schädigung durch sehr hohe kurzfristige Belastung oder durch langfristige Belastung, was zu Makuladegeneration, Augentumoren und grauem Star führt.
Studienergebnisse, die im April 2024 im International Journal of Obstetrics & Gynaecology10 veröffentlicht wurden, besagen, dass die Arbeit bei extremer Hitze das Risiko einer Tot- und Fehlgeburt bei schwangeren Frauen verdoppeln kann. An der Studie nahmen 800 schwangere Frauen im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu teil, die alle mittlere bis schwere Arbeit verrichteten.
Auch Arbeiter:innen in geschlossenen Räumen können gefährdet sein. Erdrückende Temperaturen, insbesondere dort, wo Prozesse Hitze erzeugen, wie Bäckereien, Gießereien, Wäschereien und Glashütten, können die Konzentration beeinträchtigen und möglicherweise ernsthafte körperliche und geistige Belastungen verursachen.
Extremwetter
In Kentucky starben 2021 acht Arbeiter:innen, als die Kerzenfabrik Mayfield Consumer Products durch einen Tornado dem Erdboden gleichgemacht wurde. Man hatte ihnen mitgeteilt, dass sie entlassen würden, wenn sie den Arbeitsplatz verlassen würden. Die US-Sicherheitsbehörde OSHA verhängte gegen das Unternehmen eine Geldstrafe von 40.000 US-Dollar wegen sieben „schwerwiegender“ Sicherheitsverstöße im Zusammenhang mit den Todesfällen.
Am selben Tag starben sechs Arbeiter:innen, als ein von einem Tornado heimgesuchtes Amazon-Lagerhaus in Edwardsville, Illinois, einstürzte. In einer Erklärung der Einzelhandels-, Großhandels- und Kaufhausgewerkschaft (RWDSU)11 wurde Amazon dafür kritisiert, dass es von seinen Arbeitern verlangt habe, während eines großen Tornados weiterzuarbeiten.
Waldbrände – die infolge des Klimawandels viel häufiger auftreten – können tödlich sein, wobei Rettungskräfte besonders gefährdet sind. Es sind nicht nur die Hitze und die Flammen – auch der Rauch ist ein echter Killer. Im Jahr 2023 erlangten die spanischen Gewerkschaften, die Feuerwehrleute der Andalusischen Umwelt- und Wasserbehörde vertreten, die Anerkennung, dass der Rauch krebserregend ist.
Laut der Sicherheitsforschungsbehörde der US-Regierung NIOSH12 gehört zu den häufigsten Gefahren, denen Feuerwehrleute bei der Arbeit an der Feuerlinie ausgesetzt sind, „vom Feuer eingeschlossen zu werden, hitzebedingte Krankheiten und Verletzungen, Rauchvergiftung, fahrzeugbedingte Verletzungen (einschließlich Flugzeuge), Ausrutschen, Stolpern und Stürze “ Darüber hinaus besteht bei ihnen aufgrund längerer intensiver körperlicher Anstrengung möglicherweise ein „Risiko für plötzlichen Herztod und Rhabdomyolyse“.
Überschwemmungen können den Transport für alle Arbeitnehmer:innen gefährlich machen und ein erhöhtes Infektionsrisiko mit sich bringen. Je nachdem, wo auf der Welt sie sich befinden, kann das alles sein, von Erkältungen bis hin zu Cholera. Landarbeiter:innen könnten bei Überschwemmungen einen gefährlichen oder gar keinen Job mehr haben.
Überschwemmungen können auch ein Risiko durch Krankheiten im Zusammenhang mit dem Rückfluss von Abwasser darstellen. Risiken durch Trümmer wie umgestürzte Bäume oder eindringendes Wasser, die die elektrische Sicherheit oder den Brandschutz gefährden, können die Arbeit gefährlich oder unmöglich machen.
Luftverschmutzung
Luftverschmutzung und Smogereignisse können zu akuten und langfristigen Gesundheitsrisiken führen. In einem Artikel aus dem Jahr 2023 im Journal of Occupational and Environmental Hygiene13 wurde darauf hingewiesen, dass sich die zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels auf die Luftschadstoffwerte unverhältnismäßig stark auf Arbeiter auswirken werden, die im Freien arbeiten, da sie stärker Feinstaub, Ozon und Allergenen ausgesetzt sind. „Diese Studie zeigt, dass Arbeitnehmer:innen im Zusammenhang mit dem Klimawandel einer erhöhten Morbidität und Mortalität ausgesetzt sind.“
Und der Klimawandel kann die alltäglichen Gefahren am Arbeitsplatz verschlimmern. Der ILO-Leitfaden 2023 zu Risiken, die von Chemikalien als Folge des Klimawandels ausgehen14, warnt davor, dass zu den unvorhergesehenen Risiken ein erhöhter Einsatz gefährlicher Pestizide gehören kann, um veränderte Auswirkungen von Schädlingen auf Nutzpflanzen und Nutztiere zu bewältigen. Viele Prozesse, wie etwa Gießereien, Hochöfen oder die chemische Produktion, sind für den kontinuierlichen Betrieb ausgelegt. Extreme Wetterereignisse können diese Prozesse oder wesentliche Sicherheitsmaßnahmen unterbrechen und möglicherweise verheerende Folgen haben.
Arbeiter:innen, die an Rettungs-, Aufräum- und Wiederherstellungsmaßnahmen nach extremen Wetterereignissen beteiligt sind, können einem hohen Risiko ausgesetzt sein, da sie zwangsläufig unter den gefährlichsten Bedingungen und oft stundenlang arbeiten müssen, manchmal ohne die notwendige Unterstützung und Schutzausrüstung.
Systemrelevante Arbeitskräfte – diejenigen, die unsere Gesundheitsfürsorge, den Transport, die Ernährung und andere lebens- und gesellschaftserhaltende Dienstleistungen erbringen – sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt, da sie auch unter extremen Bedingungen arbeiten müssen, unter normalen Umständen jedoch möglicherweise nicht als besonders gefährdet gelten und daher eventuell nicht über die erforderliche Ausbildung, Schutzkleidung oder Ausrüstung verfügen.
Infektionen
Auch am Arbeitsplatz stellen Infektionen eine zunehmende Bedrohung dar. „Die Klimakrise, die Urbanisierung und die veränderte Landnutzung wirken sich auf die Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz aus und haben dazu geführt, dass biologische Gefahren neue Risiken oder Risiken an neuen Orten mit sich bringen“, heißt es in einem Briefing15 des IGB vom Dezember 2023 zu biologischen Gefahren.
Der Policy Brief der ILO vom September 2023 „Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz in einem gerechten Übergang“16 warnt: „Risiken durch vektorübertragene Krankheiten wie Malaria oder Dengue-Fieber werden mit steigenden Temperaturen zunehmen, einschließlich möglicher Verschiebungen in der geografischen Verbreitung diese Vektoren als Folge des Klimawandels.“
„Diese Entwicklung betrifft alle Arbeiter, insbesondere Outdoor-Arbeiter, bei denen ein höheres Risiko besteht, sich durch Vektoren wie Mücken, Flöhe und Zecken übertragene Krankheiten anzustecken.“
Das Recht unsichere und gefährliche Arbeit zu verweigern
Mit der Verschärfung der Klimakrise werden Arbeitnehmer zunehmend mit natürlichen Gefahren am Arbeitsplatz konfrontiert sein, warnte ein Bericht des US-amerikanischen National Employment Law Project17. Es wird argumentiert, dass Arbeitnehmer zunehmend von ihrem Recht Gebrauch machen müssen, gefährliche Arbeit zu verweigern – und darüber hinaus zusätzliche neue Rechte benötigen. „Sie müssen ein echtes Recht haben, angesichts von Naturkatastrophen gefährliche Arbeit zu verweigern, und dies muss durch Bestimmungen zum Schutz vor Vergeltungsmaßnahmen und umfangreiche Leistungen der Arbeitslosenversicherung unterstützt werden.“
Artikel 13 der ILO-Konvention 155 über Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz besagt, dass alle Arbeitnehmer, die glauben, dass ihre Arbeit „eine unmittelbare und ernsthafte Gefahr“ für das Leben darstellt, „im Einklang mit den nationalen Bedingungen und Praktiken vor unangemessenen Folgen geschützt werden müssen.“ Artikel 19 fügt hinzu: „Ein Arbeitnehmer meldet unverzüglich seinem unmittelbaren Vorgesetzten jede Situation, von der er begründet annehmen kann, dass sie eine unmittelbare und ernsthafte Gefahr für sein Leben oder seine Gesundheit darstellt. Bis der Arbeitgeber erforderlichenfalls Abhilfemaßnahmen ergriffen hat, kann der Arbeitgeber nicht verlangen, dass die Arbeitnehmer an einen Arbeitsplatz zurückkehren, an dem weiterhin eine unmittelbare und ernsthafte Gefahr für Leben oder Gesundheit besteht.“
Selbst wenn Treibhausgas-Emissionen ab heute drastisch reduziert würden, müsste die Weltwirtschaft aufgrund des Klimawandels bis 2050 bereits mit einem Einkommensverlust von 19 Prozent rechnen. Das zeigt eine Studie, die jetzt in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurde. Die Forschenden schätzen die jährlichen Schäden im Jahr 2050 auf weltweit rund 38 Billionen Dollar. Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels auf 2°C würden nur ein Sechstel davon kosten.
Die Forschenden des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung haben für diese Studie empirische Daten aus mehr als 1.600 Regionen über die letzten 40 Jahre analysiert.
„Für die meisten Regionen, darunter Nordamerika und Europa, werden hohe Einkommensverluste vorhergesagt, wobei Südasien und Afrika am stärksten betroffen sind“, sagt PIK-Forscher und Erstautor der Studie Maximilian Kotz. „Diese Verluste werden durch unterschiedlichste wirtschaftsrelevante Wirkungen des Klimawandels verursacht, wie zum Beispiel Folgen für landwirtschaftliche Erträge, Arbeitsproduktivität oder Infrastruktur.“ Insgesamt schätzen die Forschenden die jährlichen Schäden im Jahr 2050 auf weltweit rund 38 Billionen Dollar. „Diese Schäden resultieren hauptsächlich aus dem Temperaturanstieg, aber auch aus Veränderungen bei den Niederschlägen und der Temperaturvariabilität. Die Berücksichtigung anderer Wetterextreme wie Stürme oder Waldbrände könnte sie noch weiter erhöhen“, so Kotz.
Enorme wirtschaftliche Kosten auch für die Vereinigten Staaten und die Europäische Union
„Unsere Studie zeigt, dass der Klimawandel innerhalb der nächsten 25 Jahre in fast allen Ländern der Welt massive wirtschaftliche Schäden verursachen wird, auch in Ländern wie Deutschland, Frankreich und den Vereinigten Staaten“, sagt PIK-Forscherin Leonie Wenz, die die Studie leitete. „Diese Schäden innerhalb der nächsten Jahre sind eine Folge unserer bisherigen Emissionen. Wenn wir zumindest einige davon vermeiden wollen, brauchen wir mehr Anpassungsmaßnahmen. Zusätzlich müssen wir unsere CO2-Emissionen drastisch und sofort reduzieren – andernfalls werden die wirtschaftlichen Verluste in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts noch höher sein und bis Ende des Jahrhunderts im globalen Durchschnitt bis zu 60 Prozent betragen. Es kostet uns viel weniger, das Klima zu schützen, als dies nicht zu tun – und zwar selbst dann, wenn man nur rein wirtschaftliche Auswirkungen berücksichtigt und weitere Folgen wie die Verluste von Menschenleben oder der biologischen Vielfalt außen vor lässt.“
Bisherige Prognosen der durch den Klimawandel verursachten globalen wirtschaftlichen Schäden haben sich hauptsächlich auf die Folgen des Anstiegs der Jahresmitteltemperatur auf Länderebene fokussiert und lange Zeiträume betrachtet. In der vorliegenden Studie nutzte das Forschungsteam hingegen neueste empirische Erkenntnisse darüber, wie Wetterextreme und -änderungen das Wirtschaftswachstum in mehr als 1.600 subnationalen Regionen weltweit in den letzten 40 Jahren beeinflusst haben. Auf diese Weise konnten die Forschenden die durch Temperatur- und Niederschlagsveränderungen zu erwartenden zukünftigen Schäden zeitlich und räumlich sehr detailliert beziffern. Zudem berücksichtigten sie, wie lange sich die Klimafolgen in der Vergangenheit auf die Wirtschaft ausgewirkt haben. Indem sie sich dann auf die nächsten 26 Jahren konzentrierten, konnten sie Unsicherheiten reduzieren, die mit langfristigen Projektionen verbunden sind. Dafür kombinierte das Team die empirischen Ergebnisse mit Simulationen von 21 Klimamodellen der neusten Generation.
Länder, die den Klimawandel am wenigsten verursacht haben, sind am stärksten betroffen
„Unsere Studie verdeutlicht die erhebliche Ungleichheit der Klimafolgen: Zwar stellen wir fast überall Auswirkungen fest, insgesamt das 80-fache des derzeitigen Bundeshaushalts von Deutschland, aber die tropischen Länder sind am meisten betroffen. Weil es dort bereits wärmer ist, schlägt dort der Klimawandel am heftigsten zu. Die Länder, die am wenigsten für den Klimawandel verantwortlich sind, werden voraussichtlich Einkommensverluste erleiden, die 60 Prozent höher sind als in den Ländern mit höherem Einkommen und 40 Prozent höher als in den Ländern mit höheren Emissionen. Sie verfügen auch über die geringsten Ressourcen, um sich an die Klimafolgen anzupassen. Die Entscheidung liegt bei uns: Ein Strukturwandel hin zu einem erneuerbaren Energiesystem ist für unsere Sicherheit notwendig und ist auch die ökonomisch vernünftige Lösung. Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird der Klimawandel zu katastrophalen Folgen führen. Die Temperatur des Planeten kann nur stabilisiert werden, wenn wir aufhören Öl, Gas und Kohle zu verbrennen“, sagt Anders Levermann, Leiter der Forschungsabteilung Komplexitätsforschung am PIK und Autor der Studie.
Artikel: Maximilian Kotz, Anders Levermann, Leonie Wenz (2024): The economic commitment of climate change. Nature. [DOI: 10.1038/s41586-024-07219-0]
Was haben Waschbär, Götterbaum und Roter Amerikanischer Sumpfkrebs gemeinsam? Sie alle sind in Österreich invasive gebietsfremde Arten – vom Menschen eingeführte Arten, die der Natur Schaden zufügen. Und damit oft genug auch uns Menschen.
Das Auftreten neuer Tier- oder Pflanzenarten klingt vielleicht zunächst nicht weiter bedrohlich. Tatsächlich macht die Mehrheit eingeführter Arten wenig Probleme. Die weltweit mehr als 3500 invasiven Arten allerdings verändern Boden, Gewässer und Ökosysteme, verdrängen heimische Arten oder übertragen Krankheiten. In österreichischen Süßgewässern breiten sich beispielsweise eine Reihe invasiver amerikanischer Krebsarten (Roter Amerikanischer Sumpfkrebs, Signalkrebs, Marmorkrebs) aus. Sie übertragen die Krebspest, die ihnen selbst wenig anhaben kann, einheimische Krebse dagegen stark dezimiert. Ein anderes Beispiel sind Waschbären, deren Vorfahren vor Jahrzehnten aus Pelztierfarmen entkamen und die nun österreichweit vorkommen. Sie ernähren sich unter anderem von lokalen Tierarten, von Amphibien bis hin zu Vögeln, und können für deren Populationen problematisch werden; zudem richten sie Schäden an Gebäuden an.
Insgesamt sind die Auswirkungen invasiver Arten enorm, wie ein kürzlich publizierter Bericht des Weltbiodiversitätsrates IPBES betont: Sie spielen beispielsweise weltweit bei geschätzt 60% der Aussterbeereignisse eine Rolle; bei 16% sind sie sogar der alleinige Auslöser1. Sie zählen zu den fünf Hauptursachen der Biodiversitätskrise (genau wie übrigens der menschengemachte Klimawandel). Die global durch invasive Arten entstehenden jährlichen Kosten werden auf 423 Milliarden US-Dollar geschätzt1. Den Menschen in Österreich schaden invasive Arten als Landwirtschafts- oder Forstschädlinge (wie der Maiswurzelbohrer, ein maiszerstörender Käfer), Krankheitsüberträger (wie die Tigermücken), Allergieauslöser (wie die Beifuß-Ambrosie) oder unerwünschte Mitbewohner (wie der Waschbär).
Invasive Arten nehmen zu
Wie kommt es, dass wir Menschen diese Arten verbreiten? In der Vergangenheit geschah das oft mit Absicht. Seit dem 15. oder 16. Jahrhundert brachten „Entdeckungsreisende“ exotische Pflanzen aus ästhetischen Gründen nach Europa, die sich dann unter Umständen in die Natur ausbreiteten (auch heute noch stammen viele invasive Pflanzen aus dem gärtnerischen Bereich). Umgekehrt bildeten sich in Kolonien wie Australien „Akklimatisationsgesellschaften“ – Gruppen von Europäern, die die dortige Natur durch Einführung von Arten aus ihrer Heimat „verbessern“ wollten. Heute wird ein Großteil der neuen Arten unbeabsichtigt mit Waren in neue Gebiete transportiert, z.B. per Schiff. Auf Holzgütern, Getreide oder Gemüse können Insekten oder Pflanzensamen leicht unbemerkt mitreisen. Und da globale Vernetzung und Handel immer weiter zunehmen, steigt auch die Zahl der invasiven Arten rasant1.
Die Einführung potenziell invasiver Arten ist aber nur der erste Schritt. Für eine echte Invasion müssen sie sich im neuen Gebiet etablieren und ausbreiten. Wie invasive Arten dies in einem ihnen fremden Ökosystem überhaupt schaffen, ist nicht immer klar. Ein Grund kann sein, dass sie dort oft von Fressfeinden und Krankheitserregern befreit sind, durch die sie in ihrem Herkunftsgebiet in Schach gehalten werden. Das verschafft ihnen Vorteile gegenüber heimischen Arten.
Was haben invasive Arten mit der Klimakrise zu tun?
Ob sich eine neue Art ausbreiten kann, hängt aber auch entscheidend vom lokalen Klima ab. Eine aus den Tropen kommende Art wird sich in der Arktis meist nicht wohlfühlen. Wir verändern das Klima – wie wirkt sich das auf invasive Arten aus? Um diese Frage zu beantworten, analysieren Forschende bereits erfolgte Invasionen und treffen Vorhersagen für die Zukunft. Ein wichtiges Instrument dazu sind Verbreitungsmodelle. Sie kombinieren Informationen über die Umweltbedingungen (z.B. Temperatur und Niederschlag), an die eine Art angepasst ist, mit zukünftigen Klimaszenarien (z.B. denen des Weltklimarates IPCC). So kann prognostiziert werden, in welche Gebiete sich die Art möglicherweise in Zukunft ausbreiten kann.
Der Bericht des Weltbiodiversitätsrates2 fasst die Ergebnisse solcher und weiterer Studien zusammen und zeigt: Klimaveränderungen beeinflussen Ausbreitung und Auswirkungen invasiver Arten deutlich, und das oftmals zugunsten der invasiven Arten und auf Kosten heimischer Arten und des Menschen. Wie genau können diese Effekte aussehen?
Invasive Arten breiten sich aus. Invasive Arten werden oft durch kalte Winter aufgehalten. Gerade viele Insekten kommen mit Frostperioden schlecht zurecht. Selbst wenn sie in wärmeren Jahreszeiten ein neues Gebiet besiedeln können, sterben sie im Winter wieder aus. Das kann sich durch den Klimawandel ändern: Höhere Temperaturen ermöglichen es vielen invasiven Arten, sich polwärts und / oder in die Höhe auszubreiten3. So nehmen in Europa mit zunehmenden Wintertemperaturen beispielsweise invasive Schädlingsinsekten zu4. Dazu kommt, dass einige gebietsfremde Arten momentan noch an menschliche Strukturen wie Wohngebäude, Gewächshäuser oder Städte gebunden sind, in denen für sie angenehme Temperaturen herrschen. Diese Arten sind „Schläfer“ – steigen die Durchschnittstemperaturen, breiten sie sich in die Natur aus2. Neben der Temperatur können auch andere Aspekte des Klimawandels invasive Arten begünstigen; einige Arten profitieren sogar von Stürmen oder Waldbränden2.
Heimische Arten ziehen den Kürzeren. Die Klimakrise stresst heimische Arten, die oft nicht an die veränderten Bedingungen angepasst sind. So haben invasive Arten weniger Konkurrenz. Letztere sind oft bereits aus ihrem Ursprungsgebiet an höhere Temperaturen gewöhnt. Das trifft z.B. auf einige der oben erwähnten in Österreich invasiven Krebsarten zu, die somit neben der Resistenz gegen die Krebspest einen weiteren Vorteil gegenüber heimischen Arten haben5. Es wird außerdem vermutet, dass invasive Arten generell besonders anpassungs- und verbreitungsfähig sein könnten und dadurch besser auf Umweltveränderungen reagieren können6. So wurde z.B. gezeigt, dass sich invasive Pflanzenarten in den wärmer werdenden Alpen doppelt so schnell in die Höhe ausbreiten wie heimische Arten7.
Negative Auswirkungen auf den Menschen nehmen zu. Einige invasive Arten, die sich durch Klimaveränderungen weiter ausbreiten, haben gesundheitliche Auswirkungen. Die Beifuß-Ambrosie (Ragweed) ist ein starker Allergieauslöser. Mit ihrer Ausbreitung in Europa wird wohl auch die Zahl allergischer Menschen deutlich zunehmen8, denn eine Allergie wird bei wiederholtem Kontakt mit den Pollen wahrscheinlicher. Die Klimakrise begünstigt zudem viele invasive Arten, die Krankheiten übertragen können. Zwei invasive Mückenarten, die Asiatische Tigermücke und die Gelbfiebermücke, können z.B. Zika-Virus und Chikungunya-Virus übertragen. Beide Mückenarten mögen es warm. Modelle sagen voraus, dass sich die Bedingungen für die aus Afrika stammende Gelbfiebermücke in vielen Teilen der Erde verbessern werden, auch in Südeuropa9. Die Asiatische Tigermücke hat sich bereits jetzt bis nach Österreich ausgebreitet10. Momentan spielt sie hier glücklicherweise als Krankheitsüberträger keine große Rolle; dies kann sich jedoch in Zukunft leicht ändern.
Invasive Arten profitieren nicht immer und überall. Während invasive Arten in den gemäßigten Zonen wahrscheinlich zunehmen werden, können sich die Bedingungen für einige Arten in den Tropen verschlechtern, z.B. durch zu extreme Hitze4. Neben der Temperatur bestimmen weitere Faktoren wie die Niederschlagsmengen, wo eine Art leben kann – so kann eine Zunahme von Dürreperioden zu einer Abnahme invasiver Arten führen2. Viele Aspekte der Klimakrise, wie z.B. die Zunahme von Extremereignissen, haben komplexe, noch nicht ausreichend untersuchte Auswirkungen2.
Was können wir tun?
Die Bekämpfung invasiver Arten ist nicht einfach. Zum einen stellt sie bei Tieren ein ethisches Problem dar. Das großangelegte Töten invasiver Säugetiere wie Ratten oder Katzen in Australien wirkt auf viele Menschen drastisch. Zum anderen ist die Zurückdrängung invasiver Arten aufwendig und kostenintensiv. Zwar sind Ausrottungsversuche durchaus oft erfolgreich, vor allem, wenn das besiedelte Gebiet relativ begrenzt war. Aber nicht alle Arten lassen sich aufhalten – viele Pflanzen bilden jahrelang keimfähige Samen, die man kaum alle einsammeln kann, und Gewässerorganismen sind schwer kontrollierbar. Aus diesen Gründen gilt: Prävention ist besser als Bekämpfung. Maßnahmen, die früh ansetzen, sind z.B. Import- und Grenzkontrollen sowie die Überwachung von Ökosystemen, damit neue invasive Arten so schnell wie möglich entdeckt werden1.
Da das Problem invasiver Arten eng mit internationalem Handel und Transport zusammenhängt, kann es nicht allein lokal gelöst werden. Weltweite Abkommen erkennen invasive Arten inzwischen als kritisches Problem an. Im Dezember 2022 beschloss die internationale Staatengemeinschaft im Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework, die Einführung und Etablierung invasiver Arten bis zum Jahr 2030 um mindestens 50% zu reduzieren. Für die EU gibt es bereits seit Jahren eine Liste invasiver Arten, die nicht eingeführt, gehandelt oder freigesetzt werden dürfen. Trotzdem sind sich WissenschaftlerInnen einig, dass noch viel zu tun ist1. So haben die meisten Länder zwar Ziele festgelegt, setzen diese aber größtenteils nicht durch konkrete Bestimmungen um.
Obwohl invasive Arten und die Biodiversitätskrise insgesamt – genau wie die Klimakrise – globale Herausforderungen sind, die politisch angegangen werden müssen, können wir auch im Kleinen einen Beitrag leisten. Das Wichtigste: Versuchen, nicht selbst zum Problem beizutragen. Dazu gehört, keine Gartenabfälle in der Natur zu entsorgen, im Garten möglichst heimische Arten anzupflanzen, und keine exotischen Tiere zu kaufen und dann freizusetzen (was unsere LeserInnen hoffentlich sowieso nie tun würden).
Wer mit unterschiedlichen Süßgewässern in Kontakt kommt, z.B. AnglerInnen, TaucherInnen und BenutzerInnen von Freizeitbooten, sollte besonders vorsichtig sein und vor jedem „Gewässerwechsel“ das Material reinigen. Zwei der bedeutendsten invasiven Arten sind die Zebramuschel und ihre Verwandte, die Quaggamuschel. Diese setzen sich an Booten fest und können, falls ein Boot in ein anderes Gewässer transportiert wird, dort wieder freigesetzt werden. Einmal in einem Gewässer etabliert, bilden diese Muscheln Massenvorkommen, verändern das Nahrungsnetz und besetzen Boote, Stege und Rohre großflächig. Die Verbreitung dieser Muschelarten kann durch Reinigung der Boote verhindert werden11.
Auch zur Früherkennung invasiver Arten kann man beitragen. Auf Plattformen wie iNaturalist (www.inaturalist.org) können Fotos von Tieren, Pflanzen und Pilzen – ob invasiv oder nicht – mit Fundort hochgeladen werden; die App unterstützt dann bei der Artbestimmung. So entstehen riesige Datensätze, die automatisch auch Daten zu Vorkommen und Ausbreitung invasiver Arten beinhalten. Gezielter gehen Citizen Science-Projekte vor, bei denen BürgerInnen aufgefordert werden, Daten zu bestimmten Artengruppen zu sammeln. Über die App „Mosquito Alert“ (www.mosquitoalert.com) können Fotos mutmaßlich invasiver Mücken eingereicht werden, die dann von ExpertInnen begutachtet werden. So wird die Ausbreitung der Mückenarten in Echtzeit verfolgt.
Wer mehr Zeit hat, kann an Aktionen lokaler Naturschutzgruppen teilnehmen. Manchmal suchen diese HelferInnen für das Entfernen von Pflanzen wie Goldrute oder Drüsiges Springkraut, die dichte Bestände bilden und heimische Arten verdrängen. Zumindest lokal tragen solche Maßnahmen zur Eindämmung der invasiven Pflanzen und zum Schutz des Ökosystems bei.
Zu guter Letzt: Ein Bewusstsein in der Bevölkerung ist wichtig, damit politischer Handlungsdruck entsteht und die Einführung und Ausbreitung invasiver Arten verhindert werden kann1. Und so kann man bereits durch Ansprechen des Themas einen Beitrag leisten.
Literatur
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Die Auswirkungen des Klimawandels auf sozial marginalisierte und armutsbetroffene Roma-Communities
Zehn bis zwölf Millionen Roma und Rom:nija leben in Europa. Besonders in den ehemaligen kommunistischen Ländern Zentral- und Südosteuropas sind bis zu 80 Prozent von Armut und Rassismus betroffen und leben am Rande der Nicht-Roma-Gesellschaft.1
Das jahrzehntelange Zusammenspiel von Armut und Rassismus hat dazu geführt, dass Roma und Rom:nija zu den vulnerabelsten Gruppen in Europa gehören. Es besteht die Befürchtung, dass die Verwundbarkeit dieser Bevölkerungsgruppe im Zuge der globalen Erderwärmung weiter zunehmen wird.2 Untersuchungen aus den USA zeigen, dass Menschen, die von Diskriminierung und Rassismus betroffen sind, wie etwa die afroamerikanische Bevölkerung, stärker von den Folgen des Klimawandels betroffen sind.3
Man kann davon ausgehen, dass es in Europa ähnlich ist. Aber nicht alle Roma und Rom:nija sind gleich betroffen. Diejenigen Rom:nija, die zur Mittelschicht gehören oder nicht als Teil der Roma-Community wahrgenommen werden, sind nicht im gleichen Maße betroffen wie jene, die in segregierten Roma-Siedlungen in bitterer Armut leben.4
Die Roma-Dachorganisation ERGO (European Roma Grassroots Organisations Network) in Brüssel hat schon vor einigen Jahren unter dem Blickwinkel des Umweltrassismus Benachteiligungen aufgrund des Wohnortes beziehungsweise der Wohnsituation aufgegriffen. Gemeinsam mit dem European Environmental Bureau haben sie auf die katastrophale Situation von Roma-Siedlungen hingewiesen. Häufig befinden sich Siedlungen in der Nähe von Industrieanlagen, neben oder auf kontaminierten Böden, oder in Hochwasserrisikogebieten. Viele verfügen auch nicht über eine ausreichende Trinkwasserversorgung oder eine funktionierende Kanalisation und Müllentsorgung.5
Mit der Zunahme von Extremwetterereignissen wie Hitze und Starkregen sind diese minderwertigen Wohngebiete weiteren Umwelteinflüssen ausgesetzt. Ein konkretes Beispiel aus Hamburg verdeutlicht die Problematik: Roma und Rom:nija erhielten dort als „Wiedergutmachung“ ein Grundstück auf einer ehemaligen Mülldeponie. Durch die Erderwärmung werden nun verstärkt giftige Dämpfe freigesetzt, die massive Gesundheitsschäden verursachen.6
Wie verheerend wiederum die Folgen von Starkregenereignissen sein können, wurde 1998 in der ostslowakischen Ortschaft Jarovnice deutlich, wo es zu starken Überflutungen kam, von denen insbesondere die am Fuße der Ortschaft gelegene Roma-Siedlung betroffen war. Dutzende Häuser wurden zerstört. Mehr als 50 Menschen starben, 40 davon Kinder aus der Roma-Siedlung.7 2014 kam es infolge von Starkregen zur Zerstörung der Roma-Siedlung Asparuhova in der bulgarischen Stadt Varna, 14 Menschen kamen ums Leben.8
Aber auch indirekt können Starkregenereignisse Rassismus verstärken, wie das folgende Beispiel vom letzten Sommer aus Kroatien vor Augen führt: Während sich die Bewohner:innen der Roma-Siedlung Autoput vor dem herannahenden Hochwasser in einer Turnhalle in Sicherheit brachten, rissen unbekannte Täter:innen die zurückgelassenen Häuser mit Baggern nieder.9
Rassismus und Ausgrenzung erschweren häufig auch die berufliche Teilhabe von Rom:nija. Dies führt zu einer niedrigen Erwerbsquote und folglich zu hoher Armut, wie die eingangs zitierte FRA-Studie aufzeigt. So lag 2021 die Erwerbsquote bei Rom:nija in den untersuchten Ländern bei 43%, bei der Nicht-Roma-Community hingegen durchschnittlich bei rund 70%.10 Gleichzeitig reichen die staatlichen Sozialleistungen kaum aus, um das Existenzminimum zu finanzieren. Um ihre Lebenssituation zu verbessern, wählen betroffene Roma und Rom:nija insbesondere in den zentral- und osteuropäischen Ländern als Ausweg die Migration in den “Westen”, unter anderem nach Österreich. Je nach vorhandenen Ressourcen und sozialen Netzwerken gehen sie in der Migration verschiedenen Beschäftigungen nach,11 unter anderem auch informellen Tätigkeiten im öffentlichen urbanen Raum, wie Betteln, dem Verkauf von Straßenzeitungen oder dem Ausüben von Straßenmusik, um Geld zu verdienen.12 Diese Menschen sind besonders vulnerabel, da sie sich im Freien aufhalten müssen, um Geld zu verdienen. Gleichzeitig sind sie auch darauf angewiesen, dass sich andere Menschen, die ihnen eine Spende zukommen lassen oder eine Zeitung abkaufen, ebenfalls im öffentlichen Raum bewegen. Bei Hitzewellen sind jedoch weniger PassantInnen unterwegs und auch für die Armutsmigrant:innen selbst, kann der Aufenthalt im überhitzten urbanen Raum gesundheitsgefährdend sein. Folglich haben sie finanzielle Einbußen, was sich wiederum auf ihre Familien in den Herkunftsländern auswirkt. Im August 2023 gab die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) bekannt, dass in Österreich in den letzten Jahrzehnten Hitzewellen um 50% häufiger geworden sind und auch länger andauern, wovon insbesondere städtische Gebiete betroffen sind.13 Menschen, die informellen Tätigkeiten nachgehen, können jedoch bei extremer Hitze ihre Aktivitäten nicht einfach in kühlere ländliche Regionen oder in klimatisierte Innenräume verlegen – sie sind auf den öffentlichen urbanen Raum angewiesen, um Geld zu verdienen.
Die prekäre finanzielle Situation beeinflusst weiters auch die Möglichkeiten, Lebensmittel zu kaufen. In der FRA-Studie wurde erhoben, dass 29% der Roma-Kinder in Haushalten leben, in denen mindestens ein Mal im letzten Monat eine Person hungrig zu Bett gegangen ist.14 Nehmen Extremwetterereignisse zu, kann dies zu einem Ansteigen der Lebensmittelpreise führen.15 Folglich wird die Zahl der armutsbetroffenen Rom:nija, die an Mangelernährung und Hunger leiden, weiter zunehmen. Bereits jetzt ist im EU-Durchschnitt die Lebenserwartung von Rom:nija um zehn Jahre kürzer als die von Nicht-Rom:nija, wie die Studie der FRA aufzeigt.16 Dies ist einerseits der schlechten sozioökonomischen Situation geschuldet und andererseits aber auch Rassismus und Diskriminierung im Gesundheitswesen. So gaben rund 14% der Rom:nija in den untersuchten Ländern an, dass sie in den letzten zwölf Monaten aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit zur Roma-Community Diskriminierung im Gesundheitswesen erfahren haben.17 Nach wie vor gibt es in Krankenhäusern eigene nach Ethnizität (Roma vs. Nicht-Roma) getrennte Abteilungen. Werden Viruserkrankungen, wie Zoonosen, aufgrund der Erderwärmung wahrscheinlicher, werden auch die Herausforderungen für die Gesundheitsversorgung zunehmen. Ist das Gesundheitswesen zudem rassistisch und diskriminierend, werden vulnerable Gruppen einem erhöhtem Risiko ausgesetzt.
Auch dass während Hitzewellen keine Abkühlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, ist besonders für Kinder, ältere Menschen und gesundheitlich beeinträchtigte Personen gesundheitsgefährdend. Dies ist besonders erschreckend, wenn es daran liegt, dass der Zugang zu Freibädern, Seen oder auch (halb-)öffentlichen klimatisierten Räumlichkeiten wie Büchereien, Museen oder Einkaufszentren nicht allen gleichermaßen offen steht. In den letzten Jahren hat u.a. das European Roma Rights Center in Nordmazedonien, Bulgarien, Rumänien, Spanien, Groß Britannien und der Slowakei Fälle dokumentiert, in denen Roma und Rom:nija aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit der Zutritt zu öffentlichen Bädern verwehrt worden ist.18 Diese Beispiele verdeutlichen, dass Ethnizität eine zentrale Kategorie sein kann, die darüber bestimmt, ob Menschen Schutz vor Hitze erhalten oder nicht.
Die Verknüpfung von rassistisch motivierten Praktiken und den Auswirkungen der Erderwärmung macht deutlich, dass marginalisierte und armutsbetroffene Roma und Rom:nija aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit und ökonomischen Handlungsfähigkeit weitaus stärker von den Folgen des Klimawandels betroffen sind und sein werden als Nicht-Rom:nija. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, dass Roma-NGOs und Menschenrechtsorganisationen gemeinsam mit Klimaschutzaktivist:innen und Klimawissenschaftler:innen Allianzen bilden, um das Bewusstsein dafür zu stärken. Denn es gilt zu erkennen, dass Rassismus und Armut die Auswirkungen der globalen Erderwärmung auch in Europa verschärfen werden.
Barbara Tiefenbacher-Jami beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Fragestellungen aus dem Bereich der Romani Studies. Sie promovierte zu Prozessen und Folgen der Selbst- und Fremdethnisisierung von Roma-Communities. Von 2009 bis 2021 war sie Vorstandsmitglied von Romano Centro – Verein für Roma in Wien. Zudem arbeitete sie 2007/08 in einer segregierten Roma-Siedlung in der Slowakei in einem Freizeitzentrum mit armutsbetroffenen und marginalisierten Kindern und Jugendlichen.
Titelfoto: Barbara Tiefenbacher-Jami – Kaum mehr lesbarer Wegweiser zu einer Roma-Siedlung in der Slowakei
4 Zu den Folgen von Selbst- und Fremdethnisierungen siehe: Tiefenbacher, Barbara (2014): “Es springt so hin und her.” Verhandlungen um ethnische Zugehörigkeiten in post-/migrantischen Romani Communitys in Österreich (Dissertation), Univ. Wien.
11 Vgl. zB Grill, Jan (2011): From Street Busking in Switzerland to meat factories in the UK. A comparative study of two Roma migrations from Slovakia. In: Kaneff, Deema / Pine, Frances (Hg.): Global Connections and Emerging inequalities in Europe, Perspectives on poverty and transnational migration. London – New York – Delhi: Anthem Press, S. 79– 102.
12 Benedik, Stefan / Tiefenbacher, Barbara / Zettelbauer, Heidrun, u. Mitarb. v. Edit Szénássy (2013): Die imaginierte „Bettlerflut“. Migrationen von Roma/Rom:nija – Konstrukte und Positionen. Klagenfurt/Celovec: Drava; Tiefenbacher, Barbara (2014): “Es springt so hin und her” Verhandlungen um ethnische Zugehörigkeiten in post-/migrantischen Romani Communitys in Österreich (Dissertation), Univ. Wien.
In den letzten Jahren führten regenarme Sommer wiederholt zu starken Sommerdürren.
Reine Niederschlagsdefizite (meteorologische Dürre) sind bisher Ausdruck natürlicher Schwankungen; Jahrzehnte vergleichbarer oder sogar stärkerer Defizite gab es in den letzten 210 Jahren mehrmals.
In Sommerdürren der letzten Jahre trocknete auch der Boden sehr stark aus (Bodenfeuchtedürre), da die Verdunstung über die letzten Jahrzehnte anstieg. Dies lässt sich zu einem großen Teil auf den Klimawandel zurückführen, teilweise aber auch auf sinkende Aerosolkonzentrationen. (Aerosole sind Schwebstoffe, die Sonnenlicht zurückstreuen, v. a. Schwefeldioxid, das bei Verbrennung von Kohle und Öl entsteht.)
Aussagen über meteorologische Dürren im Klimawandel sind noch mit großen Unsicherheiten behaftet. Auch wenn es grundsätzlich immer wieder feuchte und trockene Dekaden geben wird, begünstigen steigende Temperaturen die Austrocknung des Bodens, sodass Bodenfeuchtedürren künftig sowohl trockener als auch intensiver ausfallen werden.
Sommerdürren, ihre Auslöser und Folgen
Dürre ist ein äußerst komplexes Phänomen. Aufgrund der relevanten Folgen werden vor allem Sommerdürren betrachtet. Tritt ein langanhaltendes Niederschlagsdefizit im Vergleich zum langjährigen Mittel auf, spricht man von einer meteorologischen Dürre, die Wochen bis Jahre dauern kann [1]. In den mittleren Breiten werden diese typischerweise durch anhaltende blockierende Wetterlagen ausgelöst. Ist die Verdunstung höher als der Niederschlag, trocknet der Boden aus und es herrscht eine Bodenfeuchtedürre, wegen sinkender Erträge auch landwirtschaftliche Dürre genannt [1]. Hohe Temperaturen im Sommer und Temperatur-Rückkopplungen, ein vorangegangener trockener Winter oder Frühling, sowie starkes Vegetationswachstum im Frühling (und die resultierende starke Verdunstung) können Bodenfeuchtedürren im Sommer verstärken [2]. Während hydrologischer Dürren sinken schließlich auch die Flusswasserstände und Grundwasserspiegel [3]. Hoher Wasserverbrauch und Eingriffe in Gewässer können Dürren weiter verstärken [4]. Ausbleibender Regen, hohe Temperaturen und Sonneneinstrahlung sowie starke Winde können, wie im Sommer 2012 in den USA, Bodenfeuchtedürren sehr schnell (innerhalb von Wochen) intensiv werden lassen, man spricht dann von Flash Droughts [5].
Dürren können gravierende ökologische und sozioökonomische Folgen haben, wobei die Auswirkungen nach Dauer, Jahreszeit, und Art der Auswirkung stark variieren.
Temperatur-Rückkoppelung: wird Wasser verdunstet, entzieht es der Umgebung Wärme. Trocknet der Boden stark aus, sinkt dieser Kühleffekt und die Umgebungstemperaturen erhöhen sich noch stärker. Verdunstung über Land: aktive Wasseraufnahme der Wurzeln, Transport und Verdunstung über große Blattoberfläche der Pflanzen erhöht Verdunstungsrate im Vergleich zu nacktem Boden.
Jüngste Ereignisse im Kontext des Klimawandels
Meteorologische Dürre – definiert als reine Niederschlagsdefizite – und Bodenfeuchtedürre können sich im Klimawandel sehr unterschiedlich ändern, eine differenzierte Betrachtung ist deshalb wichtig. Seit dem Beginn des 21. Jh. häufen sich schwere Dürren in Europa. So gab es 2019 und 2015 die stärksten österreichweiten Niederschlagsdefizite im Sommer seit 1961, die meteorologische Dürre von 2003 war im Westen Österreichs die stärkste seit 1950 [6]. Im Frühling und Sommer 2018 waren vor allem der Westen und Norden Österreichs von der Rekorddürre in Mittel- und Westeuropa betroffen. Betrachtet man längere Zeiträume, zeigt sich allerdings die Bedeutung von natürlichen Klimaschwankungen für das Auftreten von Niederschlägen und somit meteorologischer Dürre. Dekaden mit ausgeprägten Niederschlagsdefiziten traten immer wieder auf, die stärksten Niederschlagsdefizite der letzten 210 Jahre gab es in den 1860er und 1940er Jahren [7]. Die Niederschlagsdefizite der letzten Jahre trafen aber mit einer in den letzten Jahrzehnten gestiegenen Verdunstung zusammen, so dass sich die Dürren der letzten Jahre zu sehr intensiven Bodenfeuchtedürren entwickelten. Die Trends zu mehr Verdunstung [8] lassen sich teilweise auf den Klimawandel, teilweise auf verbesserte Luftqualität seit den 1980er Jahren zurückführen. Erstens ist durch sinkende Aerosolkonzentrationen die Sonnenscheindauer gestiegen [9]; zweitens sind die Temperaturen vor allem durch den menschgemachten Klimawandel, aber auch durch die sinkenden Aerosolkonzentrationen gestiegen [9]; und drittens ist, als direkte Folge der Temperaturänderungen, die Vegetationsperiode, während der die Pflanzen dem Boden Wasser entziehen, länger geworden [10].
Auch der Sommer 2022 war vor allem in Kärnten, der Steiermark, dem Burgenland und Wien sehr trocken, von der Rekordhitze und Dürre in weiten Teilen Europas wurde Österreich aber verschont. Auslöser dieses Klimaextrems war ein stabiles Hochdruckgebiet über den Britischen Inseln, der Klimawandel erhöhte die Temperaturen zusätzlich und verstärkte damit auch die Austrocknung des Bodens [11]. Vor allem Spanien, Frankreich und die Po-Ebene in Italien waren betroffen. Zum Auftreten der auslösenden Wetterlage finden sich jedoch keine Langzeittrends [12].
Sommerdürren der Zukunft
Auch bezüglich Klimaprojektionen muss zwischen den Niederschlagsdefiziten der meteorologischen Dürren und Bodenfeuchtedürren unterschieden werden. Für Sommerniederschläge wird generell ein Rückgang über dem Alpenraum erwartet, nur wenige Klimamodelle simulieren eine leichte Zunahme [12]. Dieser Niederschlag wird außerdem an weniger Tagen fallen. Diesen Trends steht eine Zunahme des Niederschlags im Winter und Frühling entgegen [12]. Entscheidend für langanhaltende meteorologische Dürren ist die Häufigkeit und Dauer von blockierenden Hochdruckgebieten, die wiederum durch den polaren Jetstream bestimmt werden. Änderungen in diesen Wetterphänomenen sind jedoch mit großen Unsicherheiten behaftet [9], so dass unser Wissen über meteorologische Sommerdürren, definiert als reine Niederschlagsdefizite, im Klimawandel noch sehr begrenzt ist. Feuchte und trockene Dekaden werden jedoch immer wieder auftreten.
Mit steigenden Temperaturen wird die Verdunstung weiter zunehmen, so dass Bodenfeuchtedürren in Europa häufiger und länger auftreten und auch größere Flächen betreffen werden [13]. Diese Ergebnisse zeigen sich insbesondere auch für Österreich [14].
Douglas Maraun ist Leiter der Forschungsgruppe Regionales Klima an der Universität Graz
Laurenz Roither ist Mitarbeiter am Climate Change Centre Austria (CCCA)
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Beutetiere schützen sich durch Tarnfarben vor Fressfeinden. Fische können sich durch ihre längliche Form schnell im Wasser bewegen. Pflanzen locken mit Duftstoffen Bestäuberinsekten an: Anpassungen von Lebewesen an ihre Umwelt sind allgegenwärtig. Solche Anpassungen sind in den Genen des Organismus festgelegt und durch Evolutionsprozesse über Generationen entstanden – anders als zum Beispiel viele Verhaltensweisen werden sie also nicht spontan im Laufe des Lebens durch die Umwelt beeinflusst. Eine sich schnell verändernde Umwelt führt deshalb zu „Fehlanpassungen“. Physiologie, Farbe oder Körperbau sind dann nicht mehr auf die Umwelt abgestimmt, sodass Fortpflanzung und Überleben erschwert sind, die Populationsgröße abnimmt und die Population eventuell sogar ausstirbt.
Die menschengemachte Zunahme von Treibhausgasen in der Atmosphäre verändert die Umwelt auf vielfältige Weise. Bedeutet das, dass viele Populationen nicht mehr gut angepasst sind und aussterben werden? Oder können sich Lebewesen auch an diese Veränderungen anpassen? Werden im Laufe einiger Generationen also Tiere, Pflanzen und Pilze entstehen, die besser mit zum Beispiel Hitze, Trockenheit, Versauerung der Meere oder reduzierter Eisbedeckung von Gewässern umgehen und somit den Klimawandel gut überstehen können?
Arten folgen dem Klima, an das sie bereits angepasst sind, und sterben lokal aus
Tatsächlich haben Laborexperimente gezeigt, dass sich Populationen mancher Arten an veränderte Bedingungen anpassen können: In einem Experiment an der Vetmeduni Wien zum Beispiel legten Taufliegen nach etwas mehr als 100 Generationen (keine lange Zeit, da sich Taufliegen schnell vermehren) unter warmen Temperaturen deutlich mehr Eier und hatten ihren Stoffwechsel verändert (Barghi et al., 2019). In einem anderen Experiment konnten sich Miesmuscheln an saureres Wasser anpassen (Bitter et al., 2019). Und wie sieht es in der Natur aus? Auch dort zeigen einige Populationen Hinweise auf Anpassung an veränderte Klimabedingungen. Der Bericht der Arbeitsgruppe II des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) fasst diese Ergebnisse zusammen und betont, dass diese Muster vor allem bei Insekten gefunden wurden, die zum Beispiel als Anpassung an längere Sommer später mit ihrer „Winterpause“ beginnen (Pörtner et al., 2022).
Leider legen wissenschaftliche Studien zunehmend nahe, dass (ausreichende) evolutionäre Anpassung an die Klimakrise wahrscheinlich eher die Ausnahme als die Regel ist. Die Verbreitungsgebiete zahlreicher Arten verschieben sich in höhere Lagen oder in Richtung der Pole, wie ebenfalls im IPCC-Bericht zusammengefasst wurde (Pörtner et al., 2022). Die Arten „folgen“ also dem Klima, an das sie bereits angepasst sind. Lokale Populationen am wärmeren Rand des Verbreitungsgebietes passen sich oft nicht an, sondern wandern ab oder sterben aus. Eine Studie zeigt zum Beispiel, dass bei 47% der 976 analysierten Tier- und Pflanzenarten Populationen am wärmeren Rand des Verbreitungsgebietes (kürzlich) ausgestorben sind (Wiens, 2016). Arten, für die eine ausreichende Verschiebung des Verbreitungsgebietes nicht möglich ist – zum Beispiel, weil ihre Verbreitung auf einzelne Seen oder Inseln beschränkt ist – können auch komplett aussterben. Eine der ersten nachweislich durch die Klimakrise ausgestorbenen Arten ist die Bramble-Cay-Mosaikschwanzratte: Sie kam nur auf einer kleinen Insel im Great Barrier Reef vor und konnte wiederholten Überschwemmungen und klimabedingten Vegetationsveränderungen nicht ausweichen (Waller et al., 2017).
Für die meisten Arten ist eine ausreichende Anpassung unwahrscheinlich
Wie viele Arten bei zunehmender Klimaerhitzung und Meeresversauerung zu ausreichender Anpassung fähig sein werden und wie viele (lokal) aussterben werden, lässt sich nicht genau vorhersagen. Zum einen sind schon die Klimaprognosen selbst mit Unsicherheiten behaftet und können oft nicht kleinräumig genug getroffen werden. Zum anderen müsste man, um eine Vorhersage für eine Population oder Art zu treffen, deren für Klimaanpassungen relevante genetische Vielfalt messen – und das ist selbst mit kostspieligen DNA-Sequenzierungen oder aufwändigen Experimenten schwierig. Aus der Evolutionsbiologie wissen wir aber, dass für viele Populationen eine ausreichende Anpassung unwahrscheinlich ist:
Schnelle Anpassung benötigt genetische Vielfalt. Im Hinblick auf die Klimakrise bedeutet genetische Vielfalt, dass Individuen in der Ausgangspopulation durch genetische Unterschiede zum Beispiel unterschiedlich gut mit hohen Temperaturen zurechtkommen. Nur wenn diese Vielfalt vorliegt, können bei Erwärmung die warm-angepassten Individuen in der Population zunehmen. Die genetische Vielfalt hängt von vielen Faktoren ab – zum Beispiel von der Größe der Population. Arten, deren natürliches Verbreitungsgebiet klimatisch unterschiedliche Lebensräume einschließt, haben einen Vorteil: Genvarianten bereits warm-angepasster Populationen können in wärmer werdende Gebiete „transportiert“ werden und kalt-angepassten Populationen beim Überleben helfen. Wenn Klimaveränderungen dagegen zu Bedingungen führen, an die bis jetzt keine Population der Art angepasst ist, ist oft nicht genug nützliche genetische Vielfalt vorhanden – genau das passiert in der Klimakrise, vor allem am wärmeren Rand von Verbreitungsgebieten (Pörtner et al., 2022).
Umweltanpassung ist komplex. Die Klimaveränderung selbst stellt oft mehrfache Anforderungen (Veränderungen von Temperatur, Niederschlag, Sturmhäufigkeit, Eisbedeckung…). Dazu kommen indirekte Effekte: Das Klima wirkt sich auch auf andere Arten im Ökosystem aus, und damit zum Beispiel auf die Verfügbarkeit von Futterpflanzen oder die Anzahl der Fressfeinde. Viele Baumarten sind beispielsweise nicht nur größerer Trockenheit, sondern auch mehr Borkenkäfern ausgesetzt, da letztere von Wärme profitieren und mehr Generationen pro Jahr produzieren. Ohnehin geschwächte Bäume werden also noch zusätzlich belastet. In Österreich betrifft dies zum Beispiel die Fichte (Netherer et al., 2019). Je mehr unterschiedliche Herausforderungen die Klimakrise also stellt, desto unwahrscheinlicher wird eine erfolgreiche Anpassung.
Das Klima verändert sich durch menschliche Einflüsse zu schnell. Viele Anpassungen, die wir in der Natur beobachten, sind über tausende oder Millionen von Generationen entstanden – das Klima verändert sich dagegen momentan innerhalb weniger Jahrzehnte drastisch. Bei Arten, die eine kurze Generationszeit haben (sich also rasch vermehren), läuft die Evolution relativ schnell ab. Das könnte teilweise erklären, warum Anpassungen an menschengemachte Klimaveränderungen häufig bei Insekten festgestellt wurden. Dagegen brauchen große, langsam wachsende Arten, wie zum Beispiel Bäume, oft viele Jahre, bis sie sich reproduzieren. Das macht es sehr schwierig, mit der Klimaveränderung Schritt zu halten.
Anpassung bedeutet nicht Überleben. Populationen können sich durchaus in gewissem Maß an Klimaveränderungen angepasst haben – also zum Beispiel Hitzewellen heute besser überstehen als vor der industriellen Revolution – ohne dass diese Anpassungen ausreichen, langfristig Erhitzungen um 1,5, 2 oder 3°C zu überstehen. Zusätzlich ist wichtig, dass evolutionäre Anpassung auch immer bedeutet, dass schlechter angepasste Individuen wenige Nachkommen haben oder ohne Nachkommen sterben. Wenn das zu viele Individuen betrifft, sind die Überlebenden vielleicht besser angepasst – die Population kann aber trotzdem so sehr schrumpfen, dass sie früher oder später ausstirbt.
Manche Umweltveränderungen lassen keine schnellen Anpassungen zu. Wenn sich ein Lebensraum grundlegend verändert, ist Anpassung schlicht nicht vorstellbar. Fischpopulationen können sich nicht an ein Leben in einem ausgetrockneten See anpassen, und Landtiere überleben nicht, wenn ihr Lebensraum überflutet wird.
Die Klimakrise ist nur eine von mehreren Bedrohungen. Anpassung ist umso schwieriger, je kleiner die Populationen, je fragmentierter der Lebensraum, und je mehr Umweltveränderungen zeitgleich auftreten (siehe oben). Der Mensch erschwert Anpassungsprozesse durch Bejagung, Lebensraumzerstörung und Umweltverschmutzung also noch zusätzlich.
Was kann gegen das Aussterben unternommen werden?
Was kann man tun, wenn keine Hoffnung besteht, dass sich die meisten Arten erfolgreich anpassen? Das Aussterben lokaler Populationen wird kaum zu verhindern sein – aber zumindest können verschiedene Maßnahmen dem Verlust ganzer Arten und dem Zusammenschrumpfen von Verbreitungsgebieten entgegenwirken (Pörtner et al., 2022). Schutzgebiete sind wichtig, um Arten dort, wo sie gut genug angepasst sind, zu erhalten, und um vorhandene genetische Vielfalt zu bewahren. Wichtig ist außerdem die Vernetzung der unterschiedlichen Populationen einer Art, sodass warm-angepasste genetische Varianten sich gut verbreiten können. Zu diesem Zweck werden Natur“korridore“ eingerichtet, die geeignete Lebensräume miteinander verbinden. Das kann schon eine Hecke sein, die in einem landwirtschaftlich genutzten Gebiet verschiedene Baumbestände oder Schutzgebiete verbindet. Etwas umstrittener ist die Methode, Individuen bedrohter Populationen aktiv in Gebiete (zum Beispiel in höheren Lagen oder höheren Breitengraden) zu transportieren, in denen sie besser angepasst sind.
Bei all diesen Maßnahmen sind die Folgen jedoch nicht genau abzuschätzen. Auch wenn sie helfen können, einzelne Populationen und ganze Arten zu erhalten, reagiert doch jede Art anders auf Klimaveränderungen. Verbreitungsgebiete verschieben sich auf unterschiedliche Weise, und Arten treffen in neuen Kombinationen aufeinander. Interaktionen wie zum Beispiel Nahrungsketten können sich so grundlegend und unvorhersagbar verändern. Die beste Methode, Biodiversität und ihren unschätzbaren Nutzen für die Menschheit angesichts der Klimakrise zu erhalten, ist damit immer noch eine wirksame und schnelle Bekämpfung der Klimakrise selbst.
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