Earth Commission Report: Gerechtigkeit ist die Voraussetzung für die Sicherheit des Planeten und der Menschen

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Lesedauer 7 Minuten.   

Das erweiterte Konzept der „planetaren Grenzen“: Sichere und gerechte Erdsystemgrenzen

von Martin Auer

Wir müssen unsere Wirtschaftssysteme und Technologien drastisch ändern, um zumindest einen grundlegenden Lebensstandard für alle Menschen auf der Erde aufrechtzuerhalten. Das belegt ein bahnbrechendes Dokument, das letzten Monat in der Zeitschrift „Lancet Planetary Health“ veröffentlicht worden ist: der Bericht der Earth CommissionEine gerechte Welt auf einem sicheren Planeten1. Der Bericht ist das Ergebnis der dreijährigen Arbeit von über 60 führenden Wissenschaftler:innen aus den Natur- und Sozialwissenschaften, geleitet von Johan Rockström vom Stockholm Institut für Klimafolgenforschung, Joyeeta Gupta von der Universität Amsterdam und Qin Dahe von der chinesischen Akademie der Wissenschaften.

Die Forschung beruht auf drei Säulen: Erstens dem Konzept der „Planetaren Grenzen“, das bereits 2009 von einer Gruppe um Johan Rockström entwickelt (und seither von verschiedenen Wissenschaftler:innen ergänzt und erweitert) wurde, und das die ökologischen Grenzen der Belastbarkeit für verschiedene Erdsysteme untersuchte. Zweitens dem Konzept der „Doughnut-Economics“, das 2012 von Kate Raworth erstmals präsentiert wurde und auf den Planetaren Grenzen aufbauend den „sicheren und gerechten Bereich“ für die Menschheit zwischen den Minimalanforderungen für ein menschenwürdiges Leben und den maximalen Möglichkeiten des Planeten definierte. Als dritte Säule bezieht sich der Bericht der Earth Commission auf die UNO-Ziele für nachhaltige Entwicklung bis 2030 (SDGs).

Die Arbeit baut auf früheren Forschungsarbeiten auf , die zeigten, dass viele der wesentlichen Belastbarkeitsgrenzen der Erde, die für die Stabilität des Planeten und ein sicheres Leben der Menschen notwendig sind – die sogenannten Erdsystemgrenzen – bereits überschritten sind. In diesem Bericht konzentrieren sich die Forscher:innen auf fünf dieser Systeme: Klima, Wasserhaushalt, Nährstoffkreislauf, intakte Natur und Aerosole.

Für jedes dieser Systeme haben die Forscher:innen einen „sicheren und gerechten Bereich“ errechnet. Sie haben nicht nur die oberen Belastbarkeitsgrenzen für die Stabilität des Planeten untersucht – „safe boundaries“ – sondern auch die Belastungsgrenzen, die nicht überschritten werden können, ohne Menschen erheblichen Schaden zuzufügen – „just boundaries“.

Dazu haben sie auch noch für jedes Erdsystem das Mindestmaß an Belastung festgestellt, das notwendig ist, um allen Menschen das Notwendigste für ihr Wohlergehen zur Verfügung zu stellen. Der sichere und gerechte Bereich für das Gedeihen der Menschen und des Planeten wird nach unten durch dieses Minimum begrenzt, nach oben durch die gerechte“ oder die „sichere“ Grenze, je nachdem, welche die strengere ist.

1.5°C ist sicher, aber nicht gerecht

Ein Beispiel mach das deutlich: Die sichere Grenze für die Klimaerwärmung sind die bekannten 1,5°C über dem vorindustriellen Niveau. Die Einhaltung dieser Grenze verhindert, dass wesentliche Subsysteme des Planeten kippen, beispielsweise, dass das Grönlandeis abschmilzt oder der Amazonas-Regenwald zur Savanne wird. Doch bei dieser Temperatur würden bereits 200 bis 500 Millionen Menschen erheblichen Schaden erleiden: durch den Anstieg des Meeresspiegels, eine jährliche Durchschnittstemperatur von mehr als 29°C oder eine Feuchtkugeltemperatur über 35°C an mindestens einem Tag im Jahr – das ist eine Kombination von Hitze und Luftfeuchtigkeit, bei der der Körper sich nicht mehr durch Schwitzen abkühlen kann, und bei der ein längerer Aufenthalt im Freien daher tödlich ist. Deshalb liegt die gerechte Grenze weit unterhalb der sicheren Grenze, nämlich bei 1°C über dem vorindustriellen Niveau. Es ist offensichtlich, dass die gerechte Grenze bereits überschritten ist.

Konkrete Zahlen als Leitlinien

Die Earth Commission stellte sich zur Aufgabe, die sicheren ökologischen und die gerechten sozialen Grenzen nicht nur begrifflich darzustellen, sondern zu beziffern. Das gibt der Politik die Möglichkeit, konkrete Schritte zu planen und des gibt auch der Zivilgesellschaft handfeste Grundlagen, um Forderungen an die Politik zu stellen. Der Bericht zielt aber auch darauf ab, Städten und Unternehmen die Möglichkeit zu geben, die Grenzen auf ihren eigenen Maßstab herunterzubrechen, konkrete Schritte danach auszurichten. Städte und Unternehmen sind oft flexibler als Staaten, einige von ihnen sind nicht nur in ihren Nachhaltigkeitszielen, sondern auch in der praktischen Umsetzung viel weiter als die Staaten.

Klima

Eine globale Erwärmung um 1°C über das vorindustrielle Niveau − die bereits überschritten ist − würde eine mäßige Wahrscheinlichkeit für Kipppunkte wie den Zusammenbruch des Grönlandeises oder das plötzliche Auftauen des borealen Permafrosts bedeuten und würde erheblichen Schaden für Millionen Menschen vermeiden. Derzeit beträgt die Erwärmung schon 1,2°C. Da eine Rückkehr zu 1°C und zu einem CO2-Gehalt von 350ppm in absehbarer Zeit nicht möglich ist, sind Anpassungsmaßnahmen und Entschädigungen um so dringender.

Biosphäre

Für dieses Erdsystem werden zwei komplementäre Bereiche untersucht: Die Fläche von großteils intakten natürlichen Ökosystemen und die funktionelle Integrität aller Ökosysteme, städtische und landwirtschaftliche mit eingeschlossen. Auf Grundlage von Klima- Wasser- und Artenerhaltungsmodellen werden großteils intakte natürliche Gebiete im Ausmaß von 50 bis 60 Prozent der globalen Landflächen für erforderlich gehalten, dazu auch Meeresgebiete in einer ähnlichen Größenordnung. Das ist sowohl für die Kohlenstoffbindung an Land und im Wasser notwendig als auch um weiteres Artensterben an Land und im Wasser großteils zu vermeiden. Derzeit sind 45 bis 50 Prozent der Landfläche noch großteils intakte Ökosysteme.

Da die Biosphäre eng vernetzt ist, müssen auch naturnahe Flächen relativ gleichmäßig verteilt sein. Die Forscher schlagen vor, dass auf jedem Quadratkilometer 20 bis 25 Prozent naturnahe Fläche vorhanden sein sollen. Es ist leicht einsehbar, dass Bestäuber oder Nützlinge, die Pflanzenschädlinge erbeuten, nur jeweils in einem relativ kleinen Umkreis wirksam sind, dass manche Pflanzen ihre Samen nur wenige Meter weit verbreiten können, dass kleine Säugetiere zu einander finden müssen, um sich fortpflanzen zu können und so weiter. Kleinräumigkeit von naturnahen Flächen ist auch notwendig für den den Wasserhaushalt, die Wasserqualität, Bodenschutz, Schutz vor Naturgefahren und die Erholungsmöglichkeiten für Menschen. Derzeit liegt nur ein Drittel der von Menschen bewohnten Landfläche innerhalb dieser Grenze.

Süßwasser

Strömungsveränderungen von Flüssen gehören zu den Hauptursachen für den Artenverlust im Süßwasser, der noch schlimmer ist als in terrestrischen oder marinen Systemen. Das beeinträchtigt die Ökosystemleistungen für Menschen wie Küsten- und Flussfischerei, von der Millionen Menschen abhängig sind. Als sichere Grenze wird angenommen, dass die Wasserführung von Flüssen zu 80 Prozent auf dem natürliche Niveau verbleiben muss und nur 20 Prozent für Bewässerung, Stromerzeugung etc. abgezweigt werden dürfen. Zwei Drittel der globalen Landfläche erfüllen diese Vorgaben.

Für Grundwasser liegt auf der Hand, dass nicht mehr Wasser entnommen werden darf, als in einem Jahr wieder aufgefüllt wird. Es wird geschätzt, dass in 47 Prozent der Wasserscheiden der Grundwasserspiegel immer mehr absinkt, weil zu viel Wasser entnommen wird.

Nährstoffkreisläufe

Stickstoff und Phosphor sind unentbehrliche Bausteine für alles Leben. Die Ernährung von Milliarden Menschen ist von Stickstoff-. und Phosphordüngung abhängig. Doch wenn mehr Stickstoff und Phosphor ausgebracht wird, als die zu düngenden Pflanzen aufnehmen, wird der Überschuss ausgespült und gelangt in die Gewässer. Hohe Konzentrationen vor allem in ursprünglich nährstoffarmen Gewässern beeinträchtigen Ökosysteme und ihre Leistungen durch Eutrophierung, also übermäßiges Wachstum von Algen und Wasserpflanzen, die anderen Spezies die Lebensgrundlage entziehen. So können Fischbestände zusammenbrechen, Algenblüten Giftstoffe abgeben. Nitratverseuchtes Trinkwasser gefährdet die Gesundheit ebenso wie Luftverschmutzung durch aus Ammoniak entstehende Aerosole. Daher wird eine sichere und gerechte Grenze von 61 Gigatonnen Stickstoffüberschuss und 4,5 bis 9 Gigatonnen Phosphorüberschuss pro Jahr festgelegt. Derzeit werden pro Jahr 232 Gigatonnen Stickstoff eingesetzt, wovon mehr als die Hälfte, nämlich 119 Gigatonnen überschüssig sind. Gleichzeitig sind manche Menschen vom Zugang zu Düngemitteln ausgeschlossen. Der Phosphor-Überschuss beträgt ca. 10 Gigatonnen pro Jahr, die jährliche Förderung ca. 17 Gigatonnen. Dazu ist zu bedenken, dass mineralisches Phosphat eine begrenzte Ressource ist, und der Abbau arme und marginalisierte Gemeinschaften durch Bergbauabfälle, Zerstörung von Land und Verletzung von Menschenrechten schädigt.

Luftverschmutzung durch Aerosole

Einerseits ist Luftverschmutzung durch Aerosole, insbesondere Feinstaub, gesundheitsgefährdend. Andererseits wirken sich Aerosole auf die Sonneneinstrahlung aus. Ein zu großer Unterschied zwischen dem Aerosolgehalt auf der Nord- und auf der Südhalbkugel könnte eine Verschiebung des Monsunregens nach Norden oder Süden bewirken. Der Unterschied sollte daher nicht mehr als 15 Prozent betragen.

Um die Wahrscheinlichkeit von erheblichem Schaden durch Erkrankungen der Atemwege und des Herz-Kreislaufsystems zu minimieren, sollte der Schadstoffgehalt der Luft nicht mehr als 15 μg pro m³ betragen. 85 Prozent der Weltbevölkerung sind derzeit höheren Feinstaubkonzentrationen ausgesetzt, was bewirkt, dass jedes Jahr 4,2 Millionen Menschen vorzeitig sterben.

Gefahr von negativen Kipppunkten

Die Autor:innen warnen, dass dieser sichere und gerechte Bereich immer kleiner wird und dass es ohne drastische Veränderungen im Jahr 2050 nicht mehr möglich sein könnte, im Rahmen der Erdsystem-Grenzen allen Menschen auch nur grundlegende Ressourcen wie Nahrung, Wasser und Energie zur Verfügung zu stellen.

„Es besteht die Gefahr, dass die Systeme der Erde Kipppunkte überschreiten und weiteren Schaden anrichten, wenn wir nicht unsere Energie-, Nahrungsmittel- und Stadtsysteme grundlegend verändern“, erklärt IIASA-Forscherin Caroline Zimm, eine der Studienautor:innen.

Ungleichheit ist das Hauptproblem

Die Studie hebt hervor, dass Ungleichheit und der übermäßige Verbrauch von Ressourcen durch einen kleinen Teil der Weltbevölkerung die Hauptursachen für diesen schrumpfenden Lebensraum sind, und dass ärmere Gemeinschaften, die bereits jetzt am stärksten unter Klimawandel, Artensterben und Umweltverschmutzung leiden, am stärksten gefährdet sind.

In einer früheren Arbeit stellte sich die Earth Commission die Frage: Was würde es für die Erdsystem bedeuten, wenn man allen Menschen, die heute in Armut leben, die Mindestmenge an Ressourcen zur Verfügung stellen würde, die einen grundlegenden Lebensstandard ermöglichen? Das Ergebnis war, dass die Gewährleistung eines Mindestzugangs in der heutigen ungleichen Welt den Druck auf die natürlichen Erdsysteme nur gering vergrößern würde. Mit einer Ausnahme: dem Klima. Auswirkungen auf das Klimasystem könnten erheblich sein. Die Annahme, dass Wirtschaftswachstum zur Verringerung der Armut führt, weil es den Wohlstand für alle, also auch die Ärmsten, erhöht, stimmt nicht mehr. Die Ressourcen der Erde geben das nicht mehr her. Aber der Druck, der entstehen würde, wenn etwa das ärmste Drittel der Menschheit in der Größenordnung des „Mindestzugangs“ konsumieren würde, wäre genauso hoch wie der Druck, der durch den Konsum der reichsten 1 bis 4 Prozent entsteht. Dies bedeutet, dass zur Erreichung gesellschaftlicher und ökologischer Ziele ein transformativer Wandel Ressourcenverbrauch von den „Überkonsument:innen“ zu den „Unterkonsument:innen“ umverteilen muss.

Auch die Wohlhabenden sind gefährdet

Niemand ist jedoch vor den Folgen einer anhaltenden Schädigung der Erdsysteme sicher. Selbst die Wohlhabenden, die die Auswirkungen zunächst vielleicht weniger spüren, sind auf lange Sicht gefährdet, wenn die Umweltsysteme, die Leben und Wirtschaft ermöglichen, zusammenbrechen.

„Wir beginnen zu erkennen, welchen Schaden die Ungleichheit der Erde zufügt. Zunehmende Umweltverschmutzung und schlechte Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen fügen Menschen und Natur erheblichen Schaden zu. Je länger wir die Kluft zwischen denen, die zu viel haben, und denen, die nicht genug haben, vergrößern, desto extremer sind die Folgen für alle, da die Unterstützungssysteme, die unsere Lebensweise, unsere Märkte und unsere Volkswirtschaften stützen, zusammenbrechen“, erklärt Studienleiterin Joyeeta Gupta, ehemalige Co-Vorsitzende der Earth Commission und Professorin für Umwelt und Entwicklung im globalen Süden an der Universität Amsterdam.

Drei Schlüsselbereiche

Um weiteren Schaden zu verhindern und eine stabile Zukunft zu gewährleisten, fordern die Autor:innen dringendes Handeln in drei Schlüsselbereichen:

  • Wirtschaft und Gesellschaft: Regierungen, Unternehmen und Gemeinschaften müssen zusammenarbeiten, um Strategien zu entwickeln, die die Ungleichheit verringern und gleichzeitig den Druck auf den Planeten senken.
  • Ressourcenmanagement: Ressourcen müssen gerechter und effizienter geteilt werden.
  • Nachhaltige Technologien: Wir brauchen mehr Investitionen in nachhaltige Technologien, die weniger Ressourcen verbrauchen und den schrumpfenden sicheren und gerechten Raum wieder öffnen .

Große Veränderungen sind nötig

Diese Veränderungen erfordern große Veränderungen in der Funktionsweise von Gesellschaften, Unternehmen und Volkswirtschaften. Die Autor:innen betonen jedoch, dass das Wissen und die Instrumente für diese Transformationen bereits vorhanden sind.

„Städte und Unternehmen sind besonders gut positioniert, um diese Bemühungen anzuführen, da sie über die Flexibilität verfügen, die Transformation hin zu einem positiven Kippen menschlicher Systeme zu leiten, um ein negatives Kippen des Erdsystems zu vermeiden. Indem sie wissenschaftlich fundierte Ziele setzen und sich auf die Verbesserung der Effizienz und Angemessenheit bei der Nutzung planetarischer Ressourcen und Erdsystemdienste konzentrieren, können sie eine Schlüsselrolle bei der Schaffung einer sicheren und gerechten Zukunft für alle spielen“, sagt der Co-Autor der Studie und IIASA Distinguished Emeritus Research Scholar, Nebojsa Nakicenovic.

Die Autor:innen kommen zu dem Schluss, dass der einzige Weg in eine nachhaltige und gerechte Zukunft darin besteht, die Ungleichheit zu verringern und die Art und Weise zu verändern, wie wir die Ressourcen der Erde nutzen. Wenn wir jetzt handeln, können wir immer noch sicherstellen, dass jede und jeder auf dem Planeten der Armut entkommt und vor Schäden durch Umweltveränderungen geschützt ist. Das Zeitfenster für Maßnahmen schließt sich jedoch schnell.

Referenz
Gupta, J., Bai, X., Liverman, DM, Rockström, J., Qin, D., Stewart-Koster, B., Rocha, JC, Jacobson, L., et al. (2024). Eine gerechte Welt auf einem sicheren Planeten: ein Bericht der Lancet Planetary Health–Earth Commission über Grenzen, Verschiebungen und Transformationen des Erdsystems. The Lancet Planetary Health DOI: 10.1016/S2542-5196(24)00042-1



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Der Climate Action Tracker Leitfaden für gute Klimaziele 2035

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Zum zweiten Mal in Folge bricht die Welt Temperaturrekorde, während die Treibhausgasemissionen immer weiter steigen. Extreme Hitze und Überschwemmungen sind die Folge, die weltweit Menschenleben fordern und viele Menschen obdachlos machen.

Laut dem Pariser Abkommen sollen die Regierungen ihre Klimaziele („National festgelegte Beiträge“, – NDCs) mit Zielen für 2035 bis Anfang 2025 vorlegen. Die Analysen des Climate Action Tracker (CAT) zeigen jedoch immer noch, dass sowohl die individuellen als auch die kollektiven Minderungsambitionen der Länder für die Ziele für 2030 nicht mit dem übereinstimmen, was notwendig ist, um die Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen. Noch besorgniserregender ist, dass die Regierungen nicht genügend politische Maßnahmen ergreifen, um selbst diese unzureichenden Ziele zu erreichen!

Regierungen müssen in den Notfallmodus wechseln

Ab November dieses Jahres müssen die nationalen Regierungen 1,5°C-angepasste NDC-Ziele für 2035 vorlegen, aber damit die Welt das 1,5˚C-Temperaturziel des Pariser Abkommens einhalten kann, müssen sie in den Notfallmodus wechseln und die Ambitionen ihrer NDC-Ziele für 2030 sowie ihre aktuellen politischen Maßnahmen verstärken. Ziele und Maßnahmen für 2030 müssen mit dem Weg zu Netto-Null-CO2-Emissionen bis 2050 weltweit übereinstimmen, der dann auch die NDC-Ziele für 2035 definieren sollte.

Wenn es nicht gelingt, die Ambitionen der aktuellen Ziele und Maßnahmen für 2030 deutlich zu steigern, wird eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 °C nicht möglich sein und wahrscheinlich zu einer jahrzehntelangen, deutlichen Überschreitung dieser Grenze führen, selbst wenn dann strenge Ziele für 2035 folgen. In dem Briefing hebt das CAT vier Schlüsselelemente für das hervor, was von der nächsten Runde der NDCs für 2035 benötigt wird: Sie müssen ehrgeizig, fair, glaubwürdig und transparent sein und Aspekte der Klimafinanzierung sowie eines gerechten und fairen Übergangs beinhalten.

Ambition

Die Regierungen müssen in den Notfallmodus wechseln und sowohl ihre Ziele für 2030 als auch ihre aktuellen Richtlinien überarbeiten, um erhebliche Emissionssenkungen einzuschließen und wesentlich zur Schließung der Emissionslücke 2030 beizutragen, wenn die Welt eine echte Chance haben soll, die Erderwärmung auf 1,5°C zu begrenzen. Die Regierungen sollten bis Anfang 2025 ehrgeizige NDC-Ziele für 2035 vorschlagen, die mit einem 1,5°C-kompatiblen Netto-Null-Pfad übereinstimmen, damit die COP30 in Brasilien die Fortschritte in Richtung 1,5°C-Anpassung umfassend bewerten kann. Ehrgeizige landesweite NDC-Ziele müssen auf sektoralen Zielen und Plänen aufbauen, sich an 1,5°C-kompatiblen Benchmarks orientieren und zu den globalen sektoralen Zielen aus dem Global Stocktake beitragen.

Finanzen & Gerechtigkeit

Die Industrieländer müssen die internationale Klimafinanzierung und andere Unterstützungsmaßnahmen deutlich aufstocken. Die Industrieländer sollten in ihren NDCs 1,5°C-angepasste nationale Minderungsziele festlegen und die finanzielle und andere Unterstützung kommunizieren, die sie den Entwicklungsländern gewähren werden. Die Entwicklungsländer sollten klar kommunizieren, welche Klimafinanzierung, sie benötigen, um ehrgeizige 1,5°C-angepasste bedingte Ziele festzulegen und zu erreichen.

Glaubwürdigkeit

Glaubwürdige NDCs sollten auf robusten nationalen Planungsprozessen aufbauen, die das wirtschaftsweite Emissionsreduktionsziel in allen Sektoren in die Tat umsetzen. Die Regierungen müssen die Umsetzung ihrer bestehenden Ziele beschleunigen und ihre Strategien weiterentwickeln, um die – immer noch erhebliche – Emissionslücke zwischen den aktuellen Strategien und 1,5°C-kompatiblen Pfaden zu schließen.

Widersprüchliche Strategien müssen angegangen und umgekehrt werden: Die Produktion fossiler Brennstoffe muss schrittweise eingestellt werden, während die Exploration fossiler Brennstoffe und die Subventionen fossiler Brennstoffe beendet werden müssen.

Transparenz

Die Regierungen sollten absolute, wirtschaftsweite Emissionsreduktionsziele festlegen, die alle Treibhausgase einschließen und die Emissionswerte für jedes Jahr als X MtCO2e (ohne LULUCF3) angeben, damit sie klar, transparent und immun gegen kreative Buchführung sind. Die NDC-Ziele sollten sich in erster Linie auf ihre inländischen Reduktionen konzentrieren, indem alle Wirtschaftssektoren dekarbonisiert werden, anstatt sich auf Forstsenken, andere Kohlendioxidentfernungen (CDR) oder Kohlenstoffmärkte zu verlassen. Die Regierungen sollten die folgenden Elemente (zusätzlich zu ihrem inländischen Ziel) klar und transparent kommunizieren:

  • Der inländische Beitrag der Forstwirtschaft und Landnutzung
  • Der erwartete Beitrag anderer CDR nach Art
  • Ihre Absicht, Artikel 6 zu nutzen und die zu erwartenden Beiträge1


Titelbild: Martin Auer mithilfe von AI


1 Artikel 6 des Pariser Abkommens „erkennt an, dass sich einige Vertragsparteien für eine freiwillige Zusammenarbeit bei der Umsetzung ihrer national festgelegten Beiträge entscheiden, um ehrgeizigere Minderungs- und Anpassungsmaßnahmen erreichen und eine nachhaltige Entwicklung und Umweltintegrität fördern zu können.“

2 Für die Jüngeren unter unseren Leser:innen: So hieß ein Western von Sergio Leone aus dem Jahr 1966 mit Clint Eastwood und Lee van Cleef .

3 LULUCF: Land use, land use change and forestry (Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft)

Das komplette Dokument des CAT:



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Rassismus als Brennglas für Klimawandelfolgen
von Barbara Tiefenbacher-Jami

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Die Auswirkungen des Klimawandels auf sozial marginalisierte und armutsbetroffene Roma-Communities

Zehn bis zwölf Millionen Roma und Rom:nija leben in Europa. Besonders in den ehemaligen kommunistischen Ländern Zentral- und Südosteuropas sind bis zu 80 Prozent von Armut und Rassismus betroffen und leben am Rande der Nicht-Roma-Gesellschaft.1

Das jahrzehntelange Zusammenspiel von Armut und Rassismus hat dazu geführt, dass Roma und Rom:nija zu den vulnerabelsten Gruppen in Europa gehören. Es besteht die Befürchtung, dass die Verwundbarkeit dieser Bevölkerungsgruppe im Zuge der globalen Erderwärmung weiter zunehmen wird.2 Untersuchungen aus den USA zeigen, dass Menschen, die von Diskriminierung und Rassismus betroffen sind, wie etwa die afroamerikanische Bevölkerung, stärker von den Folgen des Klimawandels betroffen sind.3

Man kann davon ausgehen, dass es in Europa ähnlich ist. Aber nicht alle Roma und Rom:nija sind gleich betroffen. Diejenigen Rom:nija, die zur Mittelschicht gehören oder nicht als Teil der Roma-Community wahrgenommen werden, sind nicht im gleichen Maße betroffen wie jene, die in segregierten Roma-Siedlungen in bitterer Armut leben.4

Die Roma-Dachorganisation ERGO (European Roma Grassroots Organisations Network) in Brüssel hat schon vor einigen Jahren unter dem Blickwinkel des Umweltrassismus Benachteiligungen aufgrund des Wohnortes beziehungsweise der Wohnsituation aufgegriffen. Gemeinsam mit dem European Environmental Bureau haben sie auf die katastrophale Situation von Roma-Siedlungen hingewiesen. Häufig befinden sich Siedlungen in der Nähe von Industrieanlagen, neben oder auf kontaminierten Böden, oder in Hochwasserrisikogebieten. Viele verfügen auch nicht über eine ausreichende Trinkwasserversorgung oder eine funktionierende Kanalisation und Müllentsorgung.5

Mit der Zunahme von Extremwetterereignissen wie Hitze und Starkregen sind diese minderwertigen Wohngebiete weiteren Umwelteinflüssen ausgesetzt. Ein konkretes Beispiel aus Hamburg verdeutlicht die Problematik: Roma und Rom:nija erhielten dort als „Wiedergutmachung“ ein Grundstück auf einer ehemaligen Mülldeponie. Durch die Erderwärmung werden nun verstärkt giftige Dämpfe freigesetzt, die massive Gesundheitsschäden verursachen.6

Wie verheerend wiederum die Folgen von Starkregenereignissen sein können, wurde 1998 in der ostslowakischen Ortschaft Jarovnice deutlich, wo es zu starken Überflutungen kam, von denen insbesondere die am Fuße der Ortschaft gelegene Roma-Siedlung betroffen war. Dutzende Häuser wurden zerstört. Mehr als 50 Menschen starben, 40 davon Kinder aus der Roma-Siedlung.7 2014 kam es infolge von Starkregen zur Zerstörung der Roma-Siedlung Asparuhova in der bulgarischen Stadt Varna, 14 Menschen kamen ums Leben.8

Aber auch indirekt können Starkregenereignisse Rassismus verstärken, wie das folgende Beispiel vom letzten Sommer aus Kroatien vor Augen führt: Während sich die Bewohner:innen der Roma-Siedlung Autoput vor dem herannahenden Hochwasser in einer Turnhalle in Sicherheit brachten, rissen unbekannte Täter:innen die zurückgelassenen Häuser mit Baggern nieder.9

Rassismus und Ausgrenzung erschweren häufig auch die berufliche Teilhabe von Rom:nija. Dies führt zu einer niedrigen Erwerbsquote und folglich zu hoher Armut, wie die eingangs zitierte FRA-Studie aufzeigt. So lag 2021 die Erwerbsquote bei Rom:nija in den untersuchten Ländern bei 43%, bei der Nicht-Roma-Community hingegen durchschnittlich bei rund 70%.10 Gleichzeitig reichen die staatlichen Sozialleistungen kaum aus, um das Existenzminimum zu finanzieren. Um ihre Lebenssituation zu verbessern, wählen betroffene Roma und Rom:nija insbesondere in den zentral- und osteuropäischen Ländern als Ausweg die Migration in den “Westen”, unter anderem nach Österreich. Je nach vorhandenen Ressourcen und sozialen Netzwerken gehen sie in der Migration verschiedenen Beschäftigungen nach,11 unter anderem auch informellen Tätigkeiten im öffentlichen urbanen Raum, wie Betteln, dem Verkauf von Straßenzeitungen oder dem Ausüben von Straßenmusik, um Geld zu verdienen.12 Diese Menschen sind besonders vulnerabel, da sie sich im Freien aufhalten müssen, um Geld zu verdienen. Gleichzeitig sind sie auch darauf angewiesen, dass sich andere Menschen, die ihnen eine Spende zukommen lassen oder eine Zeitung abkaufen, ebenfalls im öffentlichen Raum bewegen. Bei Hitzewellen sind jedoch weniger PassantInnen unterwegs und auch für die Armutsmigrant:innen selbst, kann der Aufenthalt im überhitzten urbanen Raum gesundheitsgefährdend sein. Folglich haben sie finanzielle Einbußen, was sich wiederum auf ihre Familien in den Herkunftsländern auswirkt. Im August 2023 gab die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) bekannt, dass in Österreich in den letzten Jahrzehnten Hitzewellen um 50% häufiger geworden sind und auch länger andauern, wovon insbesondere städtische Gebiete betroffen sind.13 Menschen, die informellen Tätigkeiten nachgehen, können jedoch bei extremer Hitze ihre Aktivitäten nicht einfach in kühlere ländliche Regionen oder in klimatisierte Innenräume verlegen – sie sind auf den öffentlichen urbanen Raum angewiesen, um Geld zu verdienen.

Die prekäre finanzielle Situation beeinflusst weiters auch die Möglichkeiten, Lebensmittel zu kaufen. In der FRA-Studie wurde erhoben, dass 29% der Roma-Kinder in Haushalten leben, in denen mindestens ein Mal im letzten Monat eine Person hungrig zu Bett gegangen ist.14 Nehmen Extremwetterereignisse zu, kann dies zu einem Ansteigen der Lebensmittelpreise führen.15 Folglich wird die Zahl der armutsbetroffenen Rom:nija, die an Mangelernährung und Hunger leiden, weiter zunehmen. Bereits jetzt ist im EU-Durchschnitt die Lebenserwartung von Rom:nija um zehn Jahre kürzer als die von Nicht-Rom:nija, wie die Studie der FRA aufzeigt.16 Dies ist einerseits der schlechten sozioökonomischen Situation geschuldet und andererseits aber auch Rassismus und Diskriminierung im Gesundheitswesen. So gaben rund 14% der Rom:nija in den untersuchten Ländern an, dass sie in den letzten zwölf Monaten aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit zur Roma-Community Diskriminierung im Gesundheitswesen erfahren haben.17 Nach wie vor gibt es in Krankenhäusern eigene nach Ethnizität (Roma vs. Nicht-Roma) getrennte Abteilungen. Werden Viruserkrankungen, wie Zoonosen, aufgrund der Erderwärmung wahrscheinlicher, werden auch die Herausforderungen für die Gesundheitsversorgung zunehmen. Ist das Gesundheitswesen zudem rassistisch und diskriminierend, werden vulnerable Gruppen einem erhöhtem Risiko ausgesetzt.

Auch dass während Hitzewellen keine Abkühlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, ist besonders für Kinder, ältere Menschen und gesundheitlich beeinträchtigte Personen gesundheitsgefährdend. Dies ist besonders erschreckend, wenn es daran liegt, dass der Zugang zu Freibädern, Seen oder auch (halb-)öffentlichen klimatisierten Räumlichkeiten wie Büchereien, Museen oder Einkaufszentren nicht allen gleichermaßen offen steht. In den letzten Jahren hat u.a. das European Roma Rights Center in Nordmazedonien, Bulgarien, Rumänien, Spanien, Groß Britannien und der Slowakei Fälle dokumentiert, in denen Roma und Rom:nija aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit der Zutritt zu öffentlichen Bädern verwehrt worden ist.18 Diese Beispiele verdeutlichen, dass Ethnizität eine zentrale Kategorie sein kann, die darüber bestimmt, ob Menschen Schutz vor Hitze erhalten oder nicht.

Die Verknüpfung von rassistisch motivierten Praktiken und den Auswirkungen der Erderwärmung macht deutlich, dass marginalisierte und armutsbetroffene Roma und Rom:nija aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit und ökonomischen Handlungsfähigkeit weitaus stärker von den Folgen des Klimawandels betroffen sind und sein werden als Nicht-Rom:nija. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, dass Roma-NGOs und Menschenrechtsorganisationen gemeinsam mit Klimaschutzaktivist:innen und Klimawissenschaftler:innen Allianzen bilden, um das Bewusstsein dafür zu stärken. Denn es gilt zu erkennen, dass Rassismus und Armut die Auswirkungen der globalen Erderwärmung auch in Europa verschärfen werden.


Barbara Tiefenbacher-Jami beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Fragestellungen aus dem Bereich der Romani Studies. Sie promovierte zu Prozessen und Folgen der Selbst- und Fremdethnisisierung von Roma-Communities. Von 2009 bis 2021 war sie Vorstandsmitglied von Romano Centro – Verein für Roma in Wien. Zudem arbeitete sie 2007/08 in einer segregierten Roma-Siedlung in der Slowakei in einem Freizeitzentrum mit armutsbetroffenen und marginalisierten Kindern und Jugendlichen.

Titelfoto: Barbara Tiefenbacher-Jami – Kaum mehr lesbarer Wegweiser zu einer Roma-Siedlung in der Slowakei


1 Fundamental Rights Agency (2022): Roma in European Countries – Main Results, Roma Survey https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2022-roma-survey-2021-main-results2_en.pdf (abgerufen 27.01.2024)

2 Vgl dazu auch: Antal, Atilla (2018): Climate and social justice in Eastern and Southern Europe: The social nature of climate change (Working Paper 1), https://www.inogov.eu/wp-content/uploads/2018/08/Antal_WP1.pdf (abgerufen 03.02.2024).

3 https://www.mckinsey.com/bem/our-insights/impacts-of-climate-change-on-black-populations-in-the-united-states# (abgerufen 04.02.2024)

4 Zu den Folgen von Selbst- und Fremdethnisierungen siehe: Tiefenbacher, Barbara (2014): “Es springt so hin und her.” Verhandlungen um ethnische Zugehörigkeiten in post-/migrantischen Romani Communitys in Österreich (Dissertation), Univ. Wien.

5 https://eeb.org/wp-content/uploads/2020/04/Pushed-to-the-Wastelands.pdf (abgerufen am 28.01.2024) Ende Jänner fand zu dem Thema auch eine Online-Veranstaltung statt: https://ergonetwork.org/2024/01/roma-and-environmental-racism-the-role-of-the-eu-strategic-framework-in-ensuring-environmental-rights-and-dignity/ (abgerufen 29.01.2024).

6 https://www.boell.de/sites/default/files/2021-12/E-Paper Der Elefant im Raum – Umweltrassismus in Deutschland Endf.pdf S.14 (abgerufen 04.02.2024).

7 http://www.errc.org/roma-rights-journal/the-aftermath-of-the-summer-floods-in-jarovnice-slovakia (abgerufen 28.01.2024).

8 https://www.opensocietyfoundations.org/voices/flood-lays-bare-inequality-bulgaria (abgerufen 04.02.2024)

9 https://www.slobodnaevropa.org/a/romi-hrvatska-naselje/32573019.html und https://glaspodravine.hr/podravski-romi-bagerima-su-nam-bez-znanja-sravnili-naselje-u-kojem-smo-zivjeli/ (abgerufen 27.01.2024)

10 https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2022-roma-survey-2021-main-results2_en.pdf S. 43 (abgerufen 28.01.2024).

11 Vgl. zB Grill, Jan (2011): From Street Busking in Switzerland to meat factories in the UK. A comparative study of two Roma migrations from Slovakia. In: Kaneff, Deema / Pine, Frances (Hg.): Global Connections and Emerging inequalities in Europe, Perspectives on poverty and transnational migration. London – New York – Delhi: Anthem Press, S. 79– 102.

12 Benedik, Stefan / Tiefenbacher, Barbara / Zettelbauer, Heidrun, u. Mitarb. v. Edit Szénássy (2013): Die imaginierte „Bettlerflut“. Migrationen von Roma/Rom:nija – Konstrukte und Positionen. Klagenfurt/Celovec: Drava; Tiefenbacher, Barbara (2014): “Es springt so hin und her” Verhandlungen um ethnische Zugehörigkeiten in post-/migrantischen Romani Communitys in Österreich (Dissertation), Univ. Wien.

13 https://www.zamg.ac.at/cms/de/klima/news/hitzewellen-laenger-und-haeufiger (abgerufen 04.02.2024)

14 https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2022-roma-survey-2021-main-results2_en.pdf S. 61 (abgerufen 28.01.2024).

15 https://www.derstandard.at/story/3000000202535/climateflation-wird-der-klimawandel-zum-preistreiber-bei-lebensmitteln?ref=nl). (abgerufen am 28.01.2024)

16 https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2022-roma-survey-2021-main-results2_en.pdf (abgerufen 28.01.2024).

17 https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2022-roma-survey-2021-main-results2_en.pdf S. 49 (abgerufen 28.01.2024).

18 http://www.errc.org/news/romani-children-win-discrimination-case-after-being-denied-entry-to-a-public-swimming-pool-in-romania); http://www.errc.org/press-releases/macedonian-court-rules-against-swimming-pool-for-discriminating-against-roma; https://www.rferl.org/a/bulgaria-roma-discrimination-swimming-pools/32529839.html (alle abgerufen am 28.01.2024)



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Everyday Stories of Climate Change: Eine Graphic Novel zum Klimawandel

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Lesedauer 4 Minuten.   

von Simon Probst

In fünf Geschichten rund um die Welt

Bei „Everyday Stories of Climate Change“ handelt es sich um eine Graphic Novel von Gemma Sou, die auf einer Studie von ihr selbst, Adeeba Nurging Risha und Gina Ziervogel basiert. Illustriert wurde die Geschichte von Cat Sims. Es erzählt verschiedene Geschichten über unterschiedlichste Seiten des Klimawandels überall auf der Welt.

Die drei Autorinnen forschen selbst an ihren jeweiligen Universitäten zum Thema Klimawandel und wurden außerdem noch von der University of Manchester, der Geography Teachers Association of Victoria sowie dem Economic & Social Research Council unterstützt. Cat Sims selbst arbeitet seit mehr als zehn Jahren als freischaffende Illustratorin.

„Everyday Stories of Climate Change“ stellt eine Studie dar, bei der die Auswirkungen des Klimawandels im weiteren Sinn auf Menschen in sehr unterschiedlichen Teilen dargestellt werden. Die Erkenntnisse wurden dabei in Form eines Graphic Novels bzw. Comics dargestellt und über fünf unterschiedliche Teilgeschichten erklärt. Teil der Unterlagen sind außerdem neben dem Graphic Novel selbst noch weitere Informationen über den Klimawandel, Fragen für weitere Diskussionspunkte im Unterricht sowie Gründe für die graphische Illustration von Forschung.

Zu Beginn der Geschichte begleiten wir die Schülerin Jasmine aus Australien. Aus ihrer Heimat kennt sie bereits häufig auftretende Buschfeuer die mit dem Klimawandel im Zusammenhang stehen. Im Englischunterricht hört sie fünf Geschichten aus anderen Teilen der Welt wie Bangladesch, Südafrika, Bolivien, Puerto Rico und Barbuda die ebenfalls den Klimaveränderungen geschuldet sind.

Fünf Geschichten, fünf Seiten des Klimawandels

In der ersten Station, Khulna in Bangladesch, leben Rohima und ihre Familie in einfachen Hütten. Die Geschichte zeigt schnell die Problematik des versalzenen Grundwassers auf. Entwicklungsprojekte wie Deiche, die hier eigentlich die Bevölkerung vor tropischen Wirbelstürmen schützen sollten, haben hier die Flüsse versalzen und führen damit zu einem Trinkwassermangel für die Bevölkerung, die nun nicht nur sehr weite Wege für Trinkwasser auf sich nehmen muss, sondern auch keine Erntepflanzen mehr anbauen kann.

In Südafrika, genauer in Kapstadt, treffen wir auf Elna, die aufgrund anhaltender Dürren Wasser sparen muss. Das kommt bei ihr zwar im Gegensatz zu Rohimas Situation aus der Leitung, die jedoch schlecht gewartet wird. Als sie bricht, möchte sie die Stadt davon überzeugen sie zu reparieren, trifft jedoch auf Widerstand, der aufgrund der immer noch vorherrschenden Apartheit systematisch ist.

In Cochabamba, Bolivien, regnet es im Gegensatz zu Südafrika sogar zu viel, vor allem aber auch sehr unvorhersehbar. Dies führt dazu, dass teilweise ganze Häuser abrutschen. Mauge, die auf ihre beiden Enkel aufpasst, spricht darüber am Telefon mit ihrer Tochter Noelia, die sie nach Spanien geschickt hat, um dort zu arbeiten. Noelia tut dabei ihr Bestes, um ein Zuhause im fernen Bolivien zu finanzieren, weil es dort nicht genug Jobs gibt, damit sie bei ihrer Familie bleiben könnte.

Luisa hat in Toa Baja, Puerto Rico, immer noch mit den Auswirkungen des Hurricane Maria zu kämpfen. Nach drei Monaten ist immer noch nicht überall die Elektrizität wieder hergestellt. Auch der Arbeitsmarkt hat sich noch immer nicht erholt, weshalb sie auch noch auf dieselben Essenspakete der Hilfsorganisationen angewiesen sind. Geht sie doch einmal einkaufen, sind die Produkte meist spärlich und teuer. Denn da die Regierungen größtenteils Materialien zum Wiederaufbau importieren, wird wenig Geld in den Aufbau von eigenen Produktionsmöglichkeiten investiert, solange keine direkte Hungernot droht.

Der letzte Stopp der Geschichte ist Codrington auf Barbuda. Auch hier kämpft die Bevölkerung, wie Protagonist Charles, mit den Auswirkungen eines Hurricanes. Hier zeigt sich das jedoch vor allem durch das Fehlen von Touristen, die immer noch nicht reparierten Schäden an Booten und Häusern und die psychologischen Nachwirkungen. Anstatt zu helfen, nutzt die Regierung hier die Gelegenheit, um private Investoren zu locken und ihnen das wertvolle Land an der Küste zu verkaufen, wenn die ursprünglichen Bewohner gezwungen sind, diese zu verlassen. Die Einheimischen wissen von den Folgen, die dies nicht nur für sie, sondern auch für das Biotop sowie die Vogelwelt vor Ort haben würde. Sie benötigen jedoch Hilfe von außerhalb, um sich durchzusetzen.

Information anders verpackt

Die Comics sind ein einfacher Weg, um das Hauptargument der Autorinnen zu verdeutlichen: Wissenschaftliche Forschungsergebnisse auf diese Art und Weise zu verpacken hilft, die Erkenntnisse verständlicher zu erklären und die handelnden Personen greifbar darzustellen. Außerdem sorgen sie dafür, dass man das Gefühl hat, an den Forschungsergebnissen mehr Anteil zu haben, da man sich wirklich in die Geschichte hineinversetzt fühlt. Auch die an den Befragungen beteiligten Menschen fühlen sich durch eine Geschichte besser repräsentiert und waren deshalb eher bereit, ihre Geschichte mit den Autorinnen zu teilen. Dies hängt damit zusammen, dass durch diese Art der Darstellung auch eine drei dimensionale Charakterentwicklung möglich ist und den Menschen eine Stimme, Identität und eine eigene Persönlichkeit gibt.

Durch die Zusatzinformationen, das einfache Englisch sowie den Stil, alles als Comic zu verpacken, stellt „Everyday Stories of Climate Change“ außerdem eine gute Lektüre für den Unterricht, beispielsweise in Englisch dar. Die zusätzlichen Informationen können dabei vom Lehrer an die Schüler weitergegeben werden, die aufgrund der dargelegten Diskussionspunkte auch selbst ihre Meinung mitteilen und vergleichen können. Dies gilt auch für den einzelnen Leser: Viele der angesprochenen Punkte regen zum Nachdenken und weiter recherchieren an. Die beiliegenden Informationen bilden dabei einen guten Startpunkt.

Dr. Gemma Sou ist Vice Chancellor’s Fellow an der RMIT-Universität, Australien. Sie erforscht Entwicklung in katastrophenbetroffenen Kontexten, Erfahrungen mit Katastrophen, Hilfsmaßnahmen und die mediale Darstellung von Katastrophen.

Website: www.gemmasou.com

E-Mail:

Adeeba Nuraina Risha arbeitet am Institut für Regierungsführung und Entwicklung der BRAC-Universität in Bangladesch. Sie erforscht die Auswirkungen des Auswirkungen des Klimawandels, Resilienz, Klimamigration, Umweltpolitik und Anfälligkeit.

E-Mail:

Dr. Gina Ziervogel ist außerordentliche Professorin an der Fakultät für Umwelt- und Geowissenschaften der Universität Kapstadt. Sie erforscht, wie Bürger und lokale Regierungen auf klimabedingte Wasserprobleme in städtischen in städtischen Gebieten reagieren.

E-Mail:

Twitter: @GinaZiervogel

Cat Sims ist eine in London lebende Künstlerin. Ihr Werk deckt ein breites Spektrum an Medien ab, von Grafik Design, Comics und Druckgrafik. Sie hat arbeitet seit über zehn Jahren als freiberufliche Illustratorin.

Website: www.catsims.org

Instagram: instagram.com/cat_sims

Das gesamte Material ist auf https://gemmasou.com/everyday-stories-of-climate-change/ gratis downloadbar. Erschienen ist das Ganze im Rahmen einer gemeinsamen Studie der RMIT University und der University of Manchester im August 2020. Die Rechte liegen bei den vier Herausgeberinnen.

Sou, G., Risha, A.N., Sims, C., and Ziervogel, G. (2022). Everyday Stories of Climate Change.



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Buchempfehlung: Verena Winiwarter – Der Weg zur klimagerechten Gesellschaft. Sieben Schritte in eine nachhaltige Zukunft

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Lesedauer 6 Minuten.   

von Martin Auer

In diesem kurzen, leicht zu lesenden Essay präsentiert die Umwelthistorikerin Verena Winiwarter sieben grundsätzliche Überlegungen für den Weg in eine Gesellschaft, die auch das Leben nachkommender Generationen sichern kann. Freilich ist es kein Anleitungsbuch – „In sieben Schritten zu …“ – sondern, wie Winiwarter im Vorwort schreibt, ein Beitrag zu einer Debatte, die geführt werden soll. Die Naturwissenschaften haben die Ursachen der Klima- und Biodiversitätskrise längst geklärt und auch die erforderlichen Maßnahmen benannt. Winiwarter setzt sich darum mit der gesellschaftlichen Dimension des notwendigen Wandels auseinander.

Die erste Überlegung betrifft die Daseinsfürsorge. In unserer vernetzten und arbeitsteiligen Industriegesellschaft können einzelne Menschen oder Familien nicht mehr unabhängig für das eigene Dasein sorgen. Wir sind abhängig von Gütern, die anderswo erzeugt werden und von Infrastrukturen wie Wasserleitungen, Abwasserkanälen, Gas und Stromleitungen, Verkehrsmitteln, Gesundheitseinrichtungen und vielen anderen, die wir nicht selber verwalten. Wir vertrauen darauf, dass das Licht angeht, wenn wir den Schalter betätigen, aber tatsächlich haben wir keine Kontrolle darüber. Alle diese Strukturen, die uns das Leben ermöglichen, wären ohne staatliche Institutionen nicht möglich. Entweder stellt der Staat sie selber zur Verfügung oder er reguliert ihre Bereitstellung durch Gesetze. Ein Computer mag von einer privaten Firma hergestellt werden, aber ohne das staatliche Bildungssystem gäbe es niemanden, der ihn konstruieren könnte. Nicht vergessen darf man dabei, dass die Daseinsfürsorge, der Wohlstand, wie wir ihn kennen, durch die Nutzung fossiler Energien ermöglicht wurde und mit der Armut der „Dritten Welt“ oder des globalen Südens untrennbar verbunden ist . 

Im zweiten Schritt geht es um die Daseinsvorsorge. Diese zielt auf die Zukunft, auf die Vorsorge für unser eigenes Dasein und das der nächsten und übernächsten Generationen. Daseinsvorsorge ist die Voraussetzung und Konsequenz einer nachhaltigen Gesellschaft. Damit ein Staat Daseinsvorsorge betreibt, muss er ein auf unveräußerlichen Menschen- und Grundrechten aufgebauter Rechtsstaat sein. Korruption hintertreibt wirksame Daseinsvorsorge. Auch wenn Institutionen der Daseinsfürsorge wie zum Beispiel die Wasserversorgung privatisiert werden, sind die Folgen negativ, wie die Erfahrung in vielen Städten  zeigt.

Im dritten Schritt werden also der Rechtsstaat, Grund- und Menschenrechte beleuchtet: „Nur ein Rechtsstaat, in dem alle Amtsträger:innen sich dem Recht unterwerfen müssen und in dem eine unabhängige Justiz darüber wacht, kann Staatsbürger:innen vor Willkür und staatlicher Gewalt schützen.“ Vor Gericht kann in einem Rechtsstaat auch gegen staatliches Unrecht vorgegangen werden. In Österreich ist seit 1950 die Europäische Menschenrechtskonvention in Kraft. Diese garantiert unter anderem das Recht jedes Menschen auf Leben, Freiheit und Sicherheit. „Somit“ folgert Winiwarter, „müssten die Organe der Grundrechtsdemokratie Österreich, um verfassungsgemäß zu handeln, die Lebensgrundlagen der Menschen dauerhaft schützen und damit nicht nur das Pariser Klima-Abkommen umsetzen, sondern sich umfassend als Umwelt- und damit Gesundheitsschützer betätigen.“ Doch sind die Grundrechte in Österreich keine „Individualrechte“, die ein einzelner Mensch für sich in Anspruch nehmen kann, sondern nur eine Richtschnur staatlichen Handelns. Es wäre also nötig, die Verpflichtung des Staates, für Klimaschutz zu sorgen, in die Verfassung aufzunehmen. Doch müsste jede nationale Gesetzgebung zum Klimaschutz auch in einen internationalen Rahmen eingebettet sein, da der Klimawandel ein globales Problem ist. 

Schritt vier benennt drei Gründe, warum die Klimakrise ein „tückisches“ Problem ist. „Wicked problem“ ist ein Begriff, den die Raumplaner Rittel und Webber 1973 geprägt haben. Sie bezeichnen damit Probleme, die sich nicht einmal eindeutig definieren lassen. Tückische Probleme sind meistens einzigartig, daher gibt es keine Möglichkeit, durch Versuch und Irrtum eine Lösung zu finden, es gibt auch keine eindeutig richtigen oder falschen, sondern nur bessere oder schlechtere Lösungen. Die Existenz des Problem kann auf unterschiedliche Weisen erklärt werden, und mögliche Lösungen hängen von der jeweiligen Erklärung ab. Eine eindeutige Lösung für das Problem des Klimawandels gibt es nur auf der naturwissenschaftlichen Ebene: Keine Treibhausgase mehr in die Atmosphäre! Doch dies umzusetzen, ist ein gesellschaftliches Problem. Gelingt die Umsetzung durch technische Lösungen wie Carbon Capture and Storage und Geoengineering, oder durch Änderung des Lebensstils, Bekämpfung von Ungleichheit und Wertewandel oder durch ein Ende des vom Finanzkapital getriebenen Kapitalismus und seiner Wachstumslogik? Winiwarter hebt drei Aspekte hervor: der eine ist die „Tyrannei der Gegenwart“ oder einfach die Kurzsichtigkeit von Politiker:innen, die sich die Sympathie ihrer gegenwärtigen Wähler:innen sichern wollen: „Die österreichische Politik ist damit beschäftigt, durch Priorisierung von klimaschädlichem Wirtschaftswachstum die Pensionen für heutige Pensionist:innen zu sichern, statt mindestens ebenso stark durch klimaschützende Politik eine gute Zukunft für die Enkelkinder zu ermöglichen.“ Ein zweiter Aspekt ist, dass diejenigen, denen die Maßnahmen zur Lösung eines Problems nicht passen, dazu neigen, das Problem, in diesem Fall den Klimawandel, zu leugnen oder kleinzureden. Der dritte Aspekt betrifft das „kommunikative Rauschen“, also eine Überfülle an belanglosen Informationen, in denen die wesentlichen Informationen untergehen. Zudem werden gezielt  Fehlinformationen, Halbwahrheiten und regelrechter Schwachsinn verbreitet. Dadurch wird es den Menschen erschwert, richtige und sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Nur freie und unabhängige Qualitätsmedien können die rechtsstaatliche Demokratie schützen. Dazu braucht es aber auch eine unabhängige Finanzierung und ebenso unabhängige Aufsichtsgremien. 

Der fünfte Schritt benennt Umweltgerechtigkeit als die Basis aller Gerechtigkeit. Armut, Krankheit, Mangelernährung, Unbildung und Schädigung durch eine vergiftete Umwelt machen es Menschen unmöglich, sich an demokratischen Aushandlungen zu beteiligen. Umweltgerechtigkeit ist so die Basis des demokratischen Rechtsstaates, Basis der Grundrechte und der Menschenrechte, weil sie überhaupt erst die physischen Voraussetzungen für Teilhabe schafft. Winiwarter zitiert hier unter anderem den indischen Ökonomen Amartya Sen. Nach Sen ist eine Gesellschaft umso gerechter, je mehr durch Freiheit geschaffene „Verwirklichungschancen“ sie den Menschen ermöglicht. Freiheit umfasst die Möglichkeit politischer Teilhabe, ökonomische Institutionen, die für Verteilung sorgen, soziale Absicherung durch Mindestlöhne und Sozialhilfen, soziale Chancen durch Zugang zum Bildungs- und Gesundheitssystem und Pressefreiheit. Alle diese Freiheiten müssen partizipativ ausgehandelt werden. Und das ist nur möglich, wenn die Menschen Zugang zu Umweltressourcen haben und frei von Umweltlasten sind. 

Der sechste Schritt setzt sich weiter mit dem Begriff der Gerechtigkeit und den damit verbundenen Herausforderungen auseinander. Erstens ist der Erfolg von Maßnahmen, die zu mehr Gerechtigkeit führen sollen, oft nur schwer zu kontrollieren. Die Erreichung der 17 Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 etwa soll anhand von 242 Indikatoren gemessen werden. Eine zweite Herausforderung ist mangelnde Anschaulichkeit. Gravierende Ungleichheiten sind für nicht Betroffene oft gar nicht sichtbar, wodurch auch keine Motivation entsteht, dagegen vorzugehen. Drittens gibt es Ungleichheit nicht nur zwischen gegenwärtigen und zukünftigen Menschen, sondern auch zwischen dem globalen Süden und dem globalen Norden und nicht zuletzt innerhalb einzelner Nationalstaaten. Armutsbekämpfung im Norden darf nicht auf Kosten des Südens gehen, Klimaschutz nicht auf Kosten der schon bisher Benachteiligten und ein gutes Leben in der Gegenwart nicht auf Kosten der Zukunft . Gerechtigkeit kann nur ausgehandelt werden, doch dem Aushandeln stehen oft Verständigungsschwierigkeiten entgehen, besonders auf der globalen Ebene.

Schritt sieben betont: „Ohne Frieden und Abrüstung gibt es keine Nachhaltigkeit.“ Krieg bedeutet nicht nur unmittelbare Zerstörungen, auch in Friedenszeiten verursachen Militär und Rüstung Treibhausgase und andere Umweltschäden und beanspruchen riesige Ressourcen, die besser für den Schutz der Lebensgrundlagen aufgewendet werden sollten. Frieden erfordert Vertrauen, das nur durch demokratische Teilhabe und Rechtsstaatlichkeit erreicht werden kann. Winiwarter zitiert den Moralphilosophen Stephen M. Gardiner, der einen globalen Verfassungskonvent vorschlägt, um eine klimagerechte Weltgesellschaft zu ermöglichen. Als eine Art Probehandeln schlägt sie einen österreichischen Klimaverfassungskonvent vor. Damit sollte auch den Zweifeln begegnet werden, die viele Aktivist:innen, Beratungsgremien und Wissenschaftler:innen an der Fähigkeit der Demokratie hegen, mit den klimapolitischen Herausforderungen fertigzuwerden. Die Begrenzung des Klimawandels verlangt umfassende gesellschaftliche Anstrengungen, die nur möglich sind, wenn sie von einer faktischen Mehrheit unterstützt werden. Am demokratischen Ringen um Mehrheiten führt also kein Weg vorbei. Ein Klimaverfassungskonvent könnte die institutionellen Reformen anstoßen, die dafür notwendig sind, und könnte dazu beitragen, das Vertrauen herzustellen, dass eine gedeihliche Entwicklung möglich ist.  Denn je komplexer die Probleme sind, um so wichtiger ist Vertrauen, damit die Gesellschaft handlungsfähig bleibt.

Abschließend und fast nebenbei geht Winiwarter auf eine Institution ein, die eigentlich prägend für die moderne Gesellschaft ist: die „freie Marktwirtschaft“. Sie zitiert zuerst den Schriftsteller Kurt Vonnegut, der der Industriegesellschaft ein Suchtverhalten attestiert, nämlich die Sucht nach fossiler Energie, und einen „kalten Entzug“ vorhersagt. Und weiter den Drogenexperten Bruce Alexander, der die globale Suchtproblematik darauf zurückführt, dass die freie Marktwirtschaft die Menschen dem Druck zu Individualismus und Wettbewerb aussetzt. Die Abkehr von fossiler Energie könnte, meint Winiwarter, auch die Abkehr von der freien Marktwirtschaft zur Folge haben. Den Ausweg sieht sie darin, die psychosoziale Integration zu fördern, also die Wiederherstellung von Gemeinschaften, die durch Ausbeutung zerstört wurden, deren Umwelt vergiftet wurde. Diese müssen beim Wiederaufbau unterstützt werden. Eine alternative zur Marktwirtschaft wären Genossenschaften aller Art, in denen die Arbeit auf die Gemeinschaft ausgerichtet ist. Eine klimagerechte Gesellschaft ist demnach eine, die weder nach fossiler Energie noch nach bewusstseinsverändernden Drogen süchtig ist, weil sie durch Zusammenhalt und Vertrauen die mentale Gesundheit der Menschen fördert. 

Was diesen Essay auszeichnet, ist der interdisziplinäre Ansatz. Leser:innen werden Hinweise auf eine Reihe von Autor:innen aus unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen finden. Dass ein solcher Text nicht alle Fragen beantworten kann, ist klar. Doch da die Schrift auf den Vorschlag eines Klimaverfassungskonvents zugespitzt ist, würde man eine ausführlichere Darstellung der Aufgaben erwarten, die ein solcher Konvent zu lösen hätte. Um die gegenwärtige Verfassung um einen Artikel zu Klimaschutz und Daseinsvorsorge zu erweitern, würde ja ein Parlamentsbeschluss mit Zweidrittelmehrheit genügen. Ein eigens gewählter Konvent müsste sich wohl mit der grundlegenden Struktur unseres Staatswesens auseinandersetzen, vor allem mit der Frage, wie konkret die Interessen von künftigen Generationen, deren Stimme wir ja nicht hören können, in der Gegenwart vertreten werden können. Denn, wie Stephen M. Gardiner ausführt, unsere gegenwärtigen Institutionen, vom Nationalstaat bis zur UNO, sind dafür nicht konzipiert worden. Dazu würde dann auch die Frage gehören, ob  es außer der derzeitige Form der repräsentativen Demokratie durch Volksvertreter:innen noch andere Formen geben kann, die zum Beispiel Entscheidungsbefugnisse weiter nach „unten“, also näher zu den Betroffenen verlagern. Auch die Frage der Wirtschaftsdemokratie, des Verhältnisses von privater, profitorientierter Wirtschaft einerseits und gemeinschaftlicher, am Gemeinwohl orientierter Wirtschaft andererseits müsste Gegenstand eines solchen Konvents sein. Ohne strenge Regulierung ist eine nachhaltige Wirtschaft nicht denkbar, schon allein, weil zukünftige Generationen nicht als Konsument:innen über den Markt auf die Wirtschaft Einfluss nehmen können. Darum müsste geklärt werden, auf welche Weise solche Regulierungen zustande kommen sollen.

Auf jeden Fall ist Winiwarters Buch inspirierend, weil es den Blick weit über den Horizont von technologischen Maßnahmen wie Windkraft und Elektromobilität hinaus auf die Dimensionen menschlichen Zusammenlebens lenkt.

Verena Winiwarter ist Umwelthistorikerin. Sie wurde 2013 zur Wissenschaftlerin des Jahres gewählt, ist Mitglied der österreichischen Akademie der Wissenschaften und leitet dort die Kommission für interdisziplinäre ökologische Studien. Sie ist Mitglied von Scientists for Future. Ein Interview zum Thema Klimakrise und Gesellschaft ist auf unserem Podcast „Alpenglühen“ zu hören.

Verena Winiwarter
Der Weg zur klimagerechten Gesellschaft
Sieben Schritte in eine nachhaltige Zukunft
Picus Verlag
72 Seiten, gebunden
€ 14,00
https://www.picus.at/produkt/der-weg-zur-klimagerechten-gesellschaft/

Titelbild: Drew Beamer auf Unsplash



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1 Prozent der Weltbevölkerung verursacht 50 Prozent der CO2-Emissionen durch Flugverkehr

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Lesedauer 2 Minuten.   

Gössling, Stefan, & Humpe, Andreas. (2020). The global scale, distribution and growth of aviation: Implications for climate change. Global Environmental Change, 65, 102194. https://doi.org/10.1016/j.gloenvcha.2020.102194

Fliegen ist eine der Energie-intensivsten Konsum-Formen, stellen die Studienautoren fest. Laut IATA 1 fliegt der „Durchschnittsbürger“ einmal alle 22 Monate. Dieser Durchschnitt sagt nicht viel aus, wenn man bedenkt, dass mehr als 80 Prozent der Bevölkerung noch nie ein Flugzeug bestiegen haben und in einem Jahr nur 11 Prozent fliegen. Von diesen nehmen höchstens 4 Prozent der Weltbevölkerung internationale Flüge in Anspruch. Und 1 Prozent der Weltbevölkerung ist für 50 Prozent der CO2-Emissionen durch Flugverkehr verantwortlich.

Generell sind die Pro-Kopf-Emissionen auf der Welt höchst ungleich verteilt: 10 Prozent der Weltbevölkerung verursachen 45 Prozent der gesamten Emissionen, die untersten 50 Prozent tragen nur 13 Prozent bei. In der EU sind 1 Prozent der Bevölkerung für 27 Prozent der Emissionen verantwortlich, mit einem Pro-Kopf-Ausstoß von 55 Tonnen CO2e 2.

Im Kreis derer, die besonders viel CO2 verursachen, ist Flugverkehr die Konsumkategorie mit den höchsten Emissionen. Flugreisende sind überproportional wohlhabend. So ist zum Beispiel der Besitz von mehreren Wohnungen oder Häusern – womöglich in verschiedenen Ländern oder auf verschiedenen Kontinenten – ein Grund für häufiges Fliegen. Wer Business-Class fliegt, also einen größeren Teil des Flugzeugs für sich beansprucht, verursacht auch mehr Emissionen. Rund 70 Prozent aller Geschäftsreisen sind laut World Bank Business-Class (dreifache Emissionen) oder First Class (neunfache Emissionen). First Class Suite wird auf das Fünfzehnfache an Emissionen im Vergleich zu Economy geschätzt.

Doch die höchste Energie-Intensität haben Privatflugzeuge, da sie noch weniger Personen pro Energieeinheit transportieren. Schätzungen sagen, dass Privatflugzeuge bis zu 1.500 Tonnen CO2 pro Besitzer*in und Jahr verursachen.

Auch in Ländern mit hohem Durchschnitteinkommen fliegt nur eine Minderheit, z. B. 47 Prozent in den USA und 35 Prozent in Deutschland.

In einem Jahr besteigen 53 % der erwachsenen Bevölkerung der USA kein Flugzeug. 35 Prozent buchen 1 bis 5 Flüge pro Jahr. 12 Prozent buchen 6 oder mehr Flüge.
Quelle: Gössling, Stefan, & Humpe, Andreas. (2020). The global scale, distribution and growth of aviation: Implications for climate change. Global Environmental Change, 65, 102194. https://doi.org/10.1016/j.gloenvcha.2020.102194

Die Autoren der Studie kritisieren, dass der internationale Flugverkehr sowohl im Kyoto-Protokoll als auch im Pariser Abkommen aus der Berichtspflicht der Länder ausgenommen wurde. Ebenso halten sie fest, dass die beiden Abkommen sich nur auf langlebige Treibhausgase beziehen, aber den Strahlungsantrieb 3 durch Stickoxide und Wasserdampf (Kondensstreifen), der beim Flugbetrieb entsteht, außer acht lassen. Dieser Beitrag ist aber vergleichbar oder noch größer als der durch CO2 alleine, je nach Schätzung bis zu doppelt so hoch.

Die Autoren schließen, dass die gegenwärtige Klimapolitik in Bezug auf den Flugverkehr unzureichend ist. Sie fordern starke regulierende Eingriffe. Da eine geringe Zahl von sehr wohlhabenden Konsument*innen für den Großteil der Flugreisen verantwortlich ist, würden sich mäßige Preiserhöhungen kaum auswirken. Würde man dagegen die Flugaktivität des einen Prozent mit den meisten Flügen halbieren, so würde das die Emissionen aus dem kommerziellen Passagiertransport um über 25 Prozent senken.

Die Studie ist unter einer Creative Commons Lizenz allgemein zugänglich.

Foto: Hush Hush (CC BY 2.0)


1 International Air Transport Association

2 CO2-Äquivalent: Die Wirkung der Treibhausgase wird umgerechnet auf die Wirkung von CO2 und zusammengezählt.

3 Maß für die Änderung der Energiebilanz der Erde durch Änderung der Wirkung der Strahlung aus dem Weltraum, gemessen in Watt pro quadratmeter



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