Die Treibhausgas-Emissionen aus dem Verkehr zu reduzieren ist eine der größten Herausforderungen, vor denen wir beim Klimaschutz stehen. In der EU sind von 1990 bis 2017 die Emissionen in allen Bereichen gesunken, außer im Verkehr. Die benzin- und dieselgetriebenen Fahrzeuge durch elektrische zu ersetzen, wird nicht ausreichen, um mit dem notwendigen Tempo Klimaneutralität zu erreichen.
Radfahren und Gehen sind bekanntlich die nachhaltigsten Formen des Personenverkehrs. Doch wie viel an Treibhausgas-Emissionen kann dadurch wirklich eingespart werden? Das wurde bis jetzt noch nicht eingehend untersucht.
Doch die hier zitierte Studie, die heuer in der Fachzeitschrift Transportation Research veröffentlicht wurde, hat sich mit der Frage gründlich befasst. Das Ergebnis ist eindrucksvoll.
Der Inhalt
Die Studie nahm den Verkehr in sieben europäischen Städten unter die Lupe: Antwerpen, Barcelona, London, Gerebro, Rom, Wien und Zürich. 3.836 Personen füllten 9.859 „Fahrtenbücher“ für jeweils einen Tag aus und berichteten insgesamt über 34.203 zurückgelegte Wege. Sie produzierten durchschnittlich 3,18 kg CO2 pro Person und Tag, doch die Hälfte der Teilnehmenden produzierte weniger al 0,81 kg CO2 pro Tag. Ein kleiner Teil, nämlich 10 Prozent der Personen, produzierte die meisten Emissionen, nämlich 59 Prozent. Mit dem Auto zurückgelegte Wege trugen 70 Prozent zu den Emissionen bei und mit dem Fahrrad zurückgelegte Wege 1 Prozent. Der Rest fiel auf öffentlichen Verkehr und andere Fahrzeugtypen. Dabei wurden die Emissionen während des gesamten Lebenszyklus des Verkehrsmittels einbezogen, also von der Rohstoffgewinnung über die Produktion bis zur Entsorgung – deswegen führt natürlich auch Radfahren zu Emissionen.
Die Ergebnisse
Die Berechnungen ergaben: Wer eine Autofahrt durch eine Fahrt mit dem Fahrrad ersetzt, senkt seinen täglichen Emissionen um zwei Drittel. Daraus ergibt sich, dass eine allgemeine Umstellung von Auto- zu Fahrradverkehr der effektivste Weg wäre, die Emissionen aus dem Stadtverkehr rasch zu reduzieren, und zwar rascher, als es durch technologische Veränderungen alleine möglich wäre.
Studie: Lamb, William F.; Mattioli, Giulio; Levi, Sebastian; Roberts, J. Timmons; Capstick, Stuart; Creutzig, Felix et al. (2020): Discourses of climate delay. In: Glob. Sustain. 3. DOI: 10.1017/sus.2020.13 .
Dieser Artikel kann gerne als Vortrag verwendet werden. Die Folien dazu finden sich in der Präsentationensammlung von Scientists for Future unter Autor*innenvorträge.
Im Zuge der Klimawandeldiskussion haben wir verschiedene Taktiken kennengelernt, um Maßnahmen gegen Klimawandel zu verhindern. Da gibt es die direkte Leugnung, dass der Klimawandel menschengemacht sei. Dann ein Herunterspielen der Auswirkungen des Klimawandels. Und schließlich direkte Angriffe auf die Person von Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen.
Eine vierte Variante hat bisher zu wenig Aufmerksamkeit bekommen: Diskurse, die anerkennen, dass der Klimawandel real ist, die aber darauf abzielen, Maßnahmen zu verhindern oder zumindest zu verzögern.
Die Autor*innen der Studie Discourses of Climate Delay (erschienen in der Zeitschrift Global Sustainability, herausgegeben von Cambridge University Press) haben diese Diskurse untersucht und vier Hauptgruppen herausgearbeitet:
1. Individualismus: Die Verantwortung abwälzen
Diese Taktik zielt darauf ab, den Einzelnen die Verantwortung für klimagerechtes Verhalten aufzubürden. Einige Beispiele: „Das Leitprinzip der Yale-Universität beruht darauf, dass der Konsum von fossilen Brennstoffen die Wurzel des Klimawandelproblems ist, nicht ihre Produktion“ (Yale-Universität). Oder die Social-Media-Kampagne von BP: „Unsere Kampagne ‚Kenne deinen CO2-Fußabdruck‘hat ein Erlebnis geschaffen, das Menschen nicht nur ermöglicht, ihren jährlichen CO2-Emissionen zu entdecken, sondern ihnen auch ermöglicht, auf vergnügliche Art darüber nachzudenken, wie sie sie verringern können, und ihre Selbstverpflichtungen mit der Welt zu teilen.“
Eine weitere Taktik, die Verantwortung abzuwälzen, ist Whataboutism, also die Rhetorik: „Und was ist mit …?“ Dabei wird mit dem Finger auf große CO2-Verursacher gezeigt wie zum Beispiel China. „Wir sind eine Nation, die 1,8 Prozent des globalen CO2 produziert, also verstehe ich nicht, warum wir unsere Aluminiumschmelzen, unsere Stahlproduktion und jetzt auch unsere Raffinerien schließen sollten.“ (Der UK-Politiker Nigel Farage). Ähnlich operieren einzelne Sektoren, wenn zum Beispiel der Transport-Sektor fordert, die Landwirtschaft sollte ebenfalls mit einem CO2-Preis belegt werden und umgekehrt die Landwirtschaft fordert, erst sollten die Leute kleinere Autos kaufen.
Oft wird auch das Trittbrettfahrer-Argument verwendet: Wenn nicht alle Individuen, alle Industrien oder alle Länder gleichzeitig ihre Emissionen reduzieren, dann wird irgendjemand von den Reduktionen anderer profitieren. Wie Donald Trump sagte: Beim Pariser Abkommen ginge es „weniger um das Klima als darum, dass andere Länder einen finanziellen Vorteil über die USA erlangen.“
2. Nicht-transformative Lösungen propagieren
In diese Kategorie fällt technologischer Optimismus: technologischer Fortschritt wird in der Zukunft rasche Verminderungen der Emissionen ermöglichen: „Die menschliche Erfindungsgabe ist unbegrenzt, auch wenn die Ressourcen der Erde begrenzt sind“, schreibt das Cato-Institut. Diese Hoffnungen sind in Einzelfällen gerechtfertigt, meinen die Autor*innen, werden aber oft von empirisch nicht haltbaren Behauptungen begleitet. „Man sagt mir, dass elektrische Flugzeuge schon am Horizont sind“ (UK-Gesundheitsminister Matt Hancock). Dazu gehört auch die Behauptung, Marktanreize allein würden genügen, um technologischen Fortschritt hervorzubringen, Regulierungen seinen nicht notwendig.
Eine weitere Taktik ist, fossile Energieträger als Teil der Lösung anzupreisen. Die amerikanische Ölindustrie pumpt zig Millionen Dollar in Werbung, die „sauberere“ fossile Brennstoffe anpreist.
Oft werden auch Erfolgskriterien so definiert, dass sie leicht erreicht werden können. Ambitionierte Klimaziele werden beschlossen, aber ohne konkrete Schritte zur Umsetzung. So kann sich eine Regierung vor der Bevölkerung rühmen, beim Klimaschutz weltführend zu sein.
Auf einer eher ideologischen Ebene scheuen viele Akteure davor zurück, restriktive Maßnahmen zu setzen. Die Autor*innen nennen dies: Keine Peitsche, nur Zuckerbrot („No sticks, just carrots“). Man befürwortet etwas den Bau von Hochgeschwindigkeitsbahnen, bezeichnet aber eine Vielflieger-Abgabe als zu „paternalistisch“ oder zu belastend für die Bevölkerung.
3. Die Nachteile betonen
Nicht selten werden die Kosten von Klimaschutzmaßnahmen ins Treffen geführt, ohne zu berücksichtigen, dass fehlender Klimaschutz noch weit höhere Kosten verursacht. Hier zielt man dann oft auf die einkommensschwächeren Gruppen, denen man nahelegt, dass auf sie besonders schwere Lasten zukommen.
Besonders gern wird hier soziale Gerechtigkeit ins Spiel gebracht: „Wir können nicht zulassen, dass Klimaschutz unseren Wohlstand und unsere Jobs gefährdet“ (der deutsche Wirtschafts- und Energieminister Peter Altmaier). Oder UK-Finanzminister Robert Jenrick: Eine Flugticket-Steuer würde „hart arbeitende Familien treffen und ihnen die Chance nehmen, einen Auslandsurlaub zu genießen“.
Eine andere Form dieses Diskurses zielt generell auf Wohlstand und Fortschritt ab: „Würden morgen keine fossilen Energien mehr verwendet, wären die ökonomischen Folgen katastrophal – zum Beispiel wäre Hungersnot die Folge, wenn den Traktoren der Sprit ausgeht“ ( David J. O’Donnell, Associate Director, Massachusetts Petroleum Council). „Fossile Brennstoffe so schnell wie möglich aufzugeben, wie viele Umweltaktivisten fordern, würde das Wachstum bremsen, das Milliarden von Menschen aus der Armut geholt hat“ (Bjørn Lomborg, Präsident des Copenhagen Consensus Centre).
Dann fällt in diese Kategorie noch der Maßnahmen-Perfektionismus. Hier wird ein besonders vorsichtiges Vorgehen gefordert, um nicht die öffentliche Unterstützung zu verlieren. So verteidigt Peter Altmaier einen niedrigen CO2-Preis mit dem Argument: „Wir haben auch eine Verantwortung für den sozialen Frieden in diesem Land“. Er übergeht dabei die Möglichkeiten, Überzeugungsarbeit zu leisten und einen öffentlichen Konsens für gerechte Klimaschutzmaßnahmen herbeizuführen.
4. Aufgeben
Hier wird in Zweifel gezogen, dass die Klimakatastrophe überhaupt noch abgewendet werden könne. Die politischen, sozialen oder biophysikalischen Herausforderungen seien einfach zu groß. „Die Emissionen in den nächsten fünf oder zehn Jahren komplett zu reduzieren, müssten wir radikal praktisch jede menschliche ökonomische und soziale Produktion neu orientieren, eine Aufgabe, die kaum vorstellbar und noch weniger durchführbar ist“ (Kommentar in der New York Times).
Eine Variante ist das Verbreiten von Weltuntergangsstimmung: Alles, was man tun könnte, ist sowieso zu wenig und kommt zu spät. „Die Klima-Apokalypse kommt. Um auf sie vorbereitet zu sein, müssen wir akzeptieren, dass wir sie nicht verhindern können“ (Kommentar im New Yorker).
Abschließend meinen die Autor*innen, dass alle diese Diskurse durchaus überzeugend sein können. Sie bauen auf berechtigten Bedenken und Befürchtungen auf. Doch sie werden zu Verzögerungstaktiken, wenn sie die Wirklichkeit verzerrt darstellen anstatt aufzuklären, wenn sie auf Gegnerschaft statt Konsens abzielen oder wenn sie unterstellen, dass Handeln nicht möglich sei.
Unter dem Motto “Open your Course for Climate Crisis” (OC4CC) holen Wissenschaftler*innen und Lehrer*innen in der Woche vom 17.5 bis 23.5 2021 die Klimakrise in Klassenzimmer und Lehrveranstaltungen. Zusammen mit „Fridays For Future“, „Students For Future“, „Teachers for Future“ und „Scientists for Future“ soll die Klimakrise auch während der Pandemie die dringend nötige Aufmerksamkeit bekommen.
Gabriele Spilker vom Fachbereich Politikwissenschaft und Soziologie der Universität Salzburg spricht über Klimawandel und Politikwissenschaft.
Gabriele Spilker | Kurzvideo-Reihe: Der Klimawandel in meinem Fachgebiet
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Unter dem Motto “Open your Course for Climate Crisis” (OC4CC) holen Wissenschaftler*innen und Lehrer*innen in der Woche vom 17.5 bis 23.5 2021 die Klimakrise in Klassenzimmer und Lehrveranstaltungen. Zusammen mit „Fridays For Future“, „Students For Future“, „Teachers for Future“ und „Scientists for Future“ soll die Klimakrise auch während der Pandemie die dringend nötige Aufmerksamkeit bekommen.
Günter Getzinger von der Technischen Universität Graz sprich über Klimawandel und Technikphilosophie.
Günter Getzinger | Kurzvideo-Reihe: Der Klimawandel in meinem Fachgebiet
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Franz Schellhorns Reaktion auf die Fridays for Future imProfil vom 8. Mai 2021 ist vor allem eines: radikale Angstrhetorik. Er malt ein düsteres Zukunftsbild von staatlich verordnetem Verzicht und vermindertem Lebensstandard, um eine Bewegung zu diffamieren, die den bevorstehenden Wandel zu einer klimaneutralen Gesellschaft vorausschauend gestalten will. Er schließt sich damit der derzeitigen Argumentation der Wirtschaftskammer an und ignoriert damit, dass auch zukunftsorientierte Unternehmer*innen für Steuerungsmechanismen zum Klimaschutz eintreten.
Selbstverständlich verdanken wir unserem derzeitigen Wirtschaftssystem mehr Wohlstand für viele Gesellschaftsschichten. Effizientere Prozesse und andere Innovationen sind freilich auch Ergebnis einer effektiven Förderlandschaft und sinnvoller Regulierungen. Doch 2021 ist es internationaler wissenschaftlicher Konsens, dass ein „weiter wie bisher“ nicht funktioniert. Denn der Weg des unkontrollierten Wachstums befeuert die Klimakrise durch Übernutzung unserer natürlichen Ressourcen und bedroht die Lebensqualität der meisten Menschen dieser und der kommenden Generationen. Franz Schellhorn hofft darauf, dass unser Hals alleine durch technologische Innovationen und die Wirksamkeit des Marktes gerettet wird.
Der Artikel ignoriert auch die Frage der Verantwortung. In einer globalen Gesellschaft, in der nur ein geringer Teil der Weltbevölkerung aus wenigen Regionen den größten Beitrag zur Klimakrise und Übernutzung unserer natürlichen Ressourcen sowie dem Verlust der Biodiversität beigesteuert hat und noch immer beisteuert, haben die historischen Nutznießer auch Verantwortung zu übernehmen. Das bedeutet nicht nur, Klimaschulden abzutragen und klimaschädliche Subventionen einzustellen. Es bedeutet vor allem, klimafreundliche und ressourcenschonende Wirtschaftsweisen zu entwickeln, diese gesellschaftspolitisch zu unterstützen, und sie dann auch denen zur Verfügung zu stellen, die sich diese Erneuerungen selbst nicht leisten können. Glücklicherweise wären damit sogar zusätzliche Geschäfts- und Exportmöglichkeiten verbunden.
Zu guter Letzt fehlt in dieser Attacke auf die Fridays for Future eine Zukunftsvision für ein besseres Leben für alle. Wird denn unser Lebensstandard tatsächlich verringert, wenn wir unseren Kindern ermöglichen, in einer Großstadt ohne Unfallgefahr mit dem Fahrrad in die Schule zu gelangen – oder gar auf der Straße zu spielen? Oder wenn der städtische Erdgeschoßwohnraum in Österreich durch verringerten Straßenlärm erst lebenswert wird? Würde eine ausgeglichene, qualitativ hochwertige Ernährung auf Basis nachhaltiger Landwirtschaft nicht mehr zu unserer Gesundheit und unserem Wohlbefinden beitragen als täglicher Fleischkonsum aus Massentierhaltung?
Innovationen bieten dann einen erstrebenswerten gesellschaftlichen Fortschritt, wenn sie nicht nur einem kleinen, ausgewählten Teil der Gesellschaft zugutekommen. Hier hat sich auch in der Vergangenheit gezeigt, dass demokratisch legitimierte Regulierungen auch Innovationen hervorbringen können, die sich inzwischen als globale Exportschlager erweisen. So ist nicht zuletzt Umwelttechnik „Made in Austria“ heute auch in den Wachstumsmärkten Indien und China heiß begehrt.
Ja, globale Probleme erfordern globale Lösungen. Gleichzeitig braucht es Pionier*innen, die die Zeichen der Zeit erkannt haben und – wenn notwendig – auch im Alleingang zeigen, dass eine nachhaltige Wirtschaft und ein effektiver Klimaschutz kein Widerspruch sind.
Franz Schellhorn und den Politiker*innen und Interessensvertreter*innen, die seine Agenda Austria berät, sei gesagt: „Klimaschutz geht nicht ohne gesellschaftlichen Fortschritt und Pioniergeist!“
Gerne liefern Ihnen die Scientists for Future Österreich sowie die CEOs FOR FUTURE die aktuellen wissenschaftlichen Fakten. Fragen und kontaktieren Sie uns für eine effektive Unterstützung auf dem Weg zu einer fossilfreien und ressourcenschonenden Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft.
Unter dem Motto “Open your Course for Climate Crisis” (OC4CC) holen Wissenschaftler*innen und Lehrer*innen in der Woche vom 17.5 bis 23.5 2021 die Klimakrise in Klassenzimmer und Lehrveranstaltungen. Zusammen mit „Fridays For Future“, „Students For Future“, „Teachers for Future“ und „Scientists for Future“ soll die Klimakrise auch während der Pandemie die dringend nötige Aufmerksamkeit bekommen.
Manfred Kienpointner vom Institut für Sprachwissenschaft der Universität Innsbruck spricht über Klimawandelrhetorik aus argumentationslinguistischer Perspektive.
Im Februar hat die Wirtschaftskammer Oberösterreich ein Schreiben an alle Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Oberösterreich geschickt, in dem sie Verbote von Verbrennungsmotoren und Ölheizungen als „standortfeindlich, bürgerfern und sozial ungerecht“ bezeichnete. Man könne doch fossile Brennstoffe durch synthetische ersetzen und so die bestehenden Infrastrukturen weiter benutzen.
Scientists for Future Österreich hat sich die Argumente der WKOÖ sehr genau angesehen und eine wissenschaftlich begründete Stellungnahme dazu ausgearbeitet, die wir allen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern zukommen ließen.
Studie: Ueckerdt, F., Bauer, C., Dirnaichner, A. et al. Potential and risks of hydrogen-based e-fuels in climate change mitigation. Nature Climate Change (2021). https://doi.org/10.1038/s41558-021-01032-7
E-Fuels oder synthetische Kraftstoffe sind Kohlenwasserstoff-Brennstoffe, die aus Wasserstoff und CO₂ synthetisiert werden. Dabei wird Wasserstoff durch Elektrolyse aus Wasser gewonnten. CO₂ kann direkt aus der Atmosphäre, aus Biomasse oder aus Industrieemissionen gewonnen werden. Diese flüssigen oder gasförmigen Brennstoffe können ihr jeweiliges fossiles Gegenstück perfekt ersetzen. Sie zeichnen sich aus durch hohe Energiedichte undkönnen gut gelagert und transportiert werden. Sie könnten also als Speicher für aus Windkraft- oder Solaranlagen gewonnene Energie genutzt werden.
Dadurch eignen sie sich sehr gut für den Einsatz in Bereichen, die nur schwer direkt elektrifiziert werden können, zum Beispiel für den Einsatz in der chemischen Industrie, für Langstreckenflüge, industrielle Prozesse, die hohe Temperaturen erfordern, Schwerlasttransporte und Langzeit-Energiespeicherung.
Problematisch ist laut den Autoren der Studie die Hoffnung, synthetische Brennstoffe könnten fossile Brennstoffe so weit ersetzen, dass der Umbau von Infrastrukturen für die direkte Elektrifizierung überflüssig wird. CO₂ mit Hilfe von synthetischen Brennstoffen einzusparen, kostet derzeit 800 bis 1.200 Euro pro Tonne. Bei großindustrieller Produktion könnten die Kosten bis 2050 auf 20 bis 270 Euro pro Tonne eingespartes CO₂ gesenkt werden. Doch die Autoren halten es für unwahrscheinlich, dass synthetische Brennstoffe früh genug reichlich und billig zu haben sein werden. Es wäre gefährlich, die Transformation zu direkter Elektrifizierung zu vernachlässigen. Das könnte zu einem Lock-In-Effekt führen: Sollten E-Fuels nicht den Erwartungen entsprechen, wäre man weiter auf fossile Brennstoffe angewiesen. Eine vernünftige Klimapolitik, so die Autoren, sollte den Einsatz von synthetischen Brennstoffen fördern, aber sich absichern gegen das Risiko, dass nicht genügend davon zur Verfügung stehen könnten.
Die Autoren berechnen, dass die Energieeffizienz – also die Umwandlung von Elektrizität in nutzbare Energie – je nach Einsatzgebiet 10 bis 35 Prozent beträgt. Daraus folgt, dass 2 bis 14 Mal so viel elektrische Energie benötigt wird, als für die direkte Elektrifizierung.
Die Klimawirksamkeit von E-Fuels hängt von der Kohlenstoff-Intensität der zur Erzeugung benötigten Elektrizität und der CO₂-Quelle ab. Beim derzeitigen Elektrizitätsmix in Deutschland etwa (Daten von 2018), würden E-Fuels in Autos, LKWs oder Flugzeugen 3 bis 4 Mal so viel Treibhausgas emittieren als fossile Brennstoffe! Bis 2030 kann also von synthetischen Kraftstoffen kein Klimaschutz-Effekt erwartet werden, es sei denn, sie könnten aus Ländern mit reichlich Wind- und Sonnenkraft und den für die Erzeugung notwendigen Anlagen importiert werden.
Anmerkung: Da auch in Österreich unter anderem von der Wirtschaftskammer Oberösterreich für E-Fuels als Ersatz für die Elektrifizierung von Heizung und Verkehr geworben wird, hat S4F unabhängig von dem nun erschienenen Artikel eine eigene Stellungnahme zu diesem Thema erarbeitet und kommt zu den gleichen Schlussfolgerungen:
Auf Grund der geringen Gesamteffizienz können bis 2030 synthetische Treibstoffe keinen nennenswerten Beitrag zur Reduktion unseres Ausstoßes liefern.
Die Herstellung ist derzeit nicht wirtschaftlich rentabel in Österreich umsetzbar.
Aufgrund der kleinen zu erwartenden Produktionsmenge sind syntehtische Kraftstoffe nur für Nischenanwendungen eine Lösung, dürfen aber nicht als Ausrede verwendet werden, eine Elektrifizierung im Heiz- und Verkehrssektor zu verzögern.
Gössling, Stefan, & Humpe, Andreas. (2020). The global scale, distribution and growth of aviation: Implications for climate change. Global Environmental Change, 65, 102194. https://doi.org/10.1016/j.gloenvcha.2020.102194
Fliegen ist eine der Energie-intensivsten Konsum-Formen, stellen die Studienautoren fest. Laut IATA 1 fliegt der „Durchschnittsbürger“ einmal alle 22 Monate. Dieser Durchschnitt sagt nicht viel aus, wenn man bedenkt, dass mehr als 80 Prozent der Bevölkerung noch nie ein Flugzeug bestiegen haben und in einem Jahr nur 11 Prozent fliegen. Von diesen nehmen höchstens 4 Prozent der Weltbevölkerung internationale Flüge in Anspruch. Und 1 Prozent der Weltbevölkerung ist für 50 Prozent der CO2-Emissionen durch Flugverkehr verantwortlich.
Generell sind die Pro-Kopf-Emissionen auf der Welt höchst ungleich verteilt: 10 Prozent der Weltbevölkerung verursachen 45 Prozent der gesamten Emissionen, die untersten 50 Prozent tragen nur 13 Prozent bei. In der EU sind 1 Prozent der Bevölkerung für 27 Prozent der Emissionen verantwortlich, mit einem Pro-Kopf-Ausstoß von 55 Tonnen CO2e 2.
Im Kreis derer, die besonders viel CO2 verursachen, ist Flugverkehr die Konsumkategorie mit den höchsten Emissionen. Flugreisende sind überproportional wohlhabend. So ist zum Beispiel der Besitz von mehreren Wohnungen oder Häusern – womöglich in verschiedenen Ländern oder auf verschiedenen Kontinenten – ein Grund für häufiges Fliegen. Wer Business-Class fliegt, also einen größeren Teil des Flugzeugs für sich beansprucht, verursacht auch mehr Emissionen. Rund 70 Prozent aller Geschäftsreisen sind laut World Bank Business-Class (dreifache Emissionen) oder First Class (neunfache Emissionen). First Class Suite wird auf das Fünfzehnfache an Emissionen im Vergleich zu Economy geschätzt.
Doch die höchste Energie-Intensität haben Privatflugzeuge, da sie noch weniger Personen pro Energieeinheit transportieren. Schätzungen sagen, dass Privatflugzeuge bis zu 1.500 Tonnen CO2 pro Besitzer*in und Jahr verursachen.
Auch in Ländern mit hohem Durchschnitteinkommen fliegt nur eine Minderheit, z. B. 47 Prozent in den USA und 35 Prozent in Deutschland.
In einem Jahr besteigen 53 % der erwachsenen Bevölkerung der USA kein Flugzeug. 35 Prozent buchen 1 bis 5 Flüge pro Jahr. 12 Prozent buchen 6 oder mehr Flüge. Quelle: Gössling, Stefan, & Humpe, Andreas. (2020). The global scale, distribution and growth of aviation: Implications for climate change. Global Environmental Change, 65, 102194. https://doi.org/10.1016/j.gloenvcha.2020.102194
Die Autoren der Studie kritisieren, dass der internationale Flugverkehr sowohl im Kyoto-Protokoll als auch im Pariser Abkommen aus der Berichtspflicht der Länder ausgenommen wurde. Ebenso halten sie fest, dass die beiden Abkommen sich nur auf langlebige Treibhausgase beziehen, aber den Strahlungsantrieb 3 durch Stickoxide und Wasserdampf (Kondensstreifen), der beim Flugbetrieb entsteht, außer acht lassen. Dieser Beitrag ist aber vergleichbar oder noch größer als der durch CO2 alleine, je nach Schätzung bis zu doppelt so hoch.
Die Autoren schließen, dass die gegenwärtige Klimapolitik in Bezug auf den Flugverkehr unzureichend ist. Sie fordern starke regulierende Eingriffe. Da eine geringe Zahl von sehr wohlhabenden Konsument*innen für den Großteil der Flugreisen verantwortlich ist, würden sich mäßige Preiserhöhungen kaum auswirken. Würde man dagegen die Flugaktivität des einen Prozent mit den meisten Flügen halbieren, so würde das die Emissionen aus dem kommerziellen Passagiertransport um über 25 Prozent senken.
Die Studie ist unter einer Creative Commons Lizenz allgemein zugänglich.
Studie: Global human-made mass exceeds all living biomass
Elhacham, Emily; Ben-Uri, Liad; Grozovski, Jonathan; Bar-On, Yinon M.; Milo, Ron (2020): Global human-made mass exceeds all living biomass. In: Nature 588 (7838), S. 442–444. DOI: 10.1038/s41586-020-3010-5 .
Eine Studie vom Weizmann-Institut in Israel, die im Dezember in nature veröffentlicht wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass die Menschheit im Jahr 2020 eine weitere Schwelle überschritten hat: Die Masse der von Menschen erzeugten Stoffe übersteigt nun die gesamte Biomasse1 des Planeten, obwohl wir Menschen selber nur 0,01 Prozent der gesamten Biomasse ausmachen.
Die massiven Veränderungen der Erdoberfläche durch den Menschen haben aber nicht erst im Industriezeitalter begonnen. Seit der landwirtschaftlichen Revolution vor ungefähr 3000 Jahren haben wir die pflanzliche Biomasse von damals ungefähr zwei Teratonnen2 um die die Hälfte reduziert. Wir bauen zwar großflächig Nutzpflanzen an, doch ist ihre Biomasse (0,01 Tt) nur äußerst gering im Verhältnis zum Verlust an Biomasse durch Abholzung, Waldbewirtschaftung und andere Änderungen der Landnutzung. Diese Verringerung der globalen Biomasse wirkt sich massiv auf den Kohlenstoffzyklus und damit aufs Klima aus.
Die anthropogene Masse hat sich laut der Studie in den letzten 100 Jahren alle 20 Jahre verdoppelt. Derzeit produziert die Menschheit pro Jahr 30 Gigatonnen an – Dingen. Das heißt, im Durchschnitt produziert jedes Menschenwesen in einer Woche mehr als sein eigenes Körpergewicht an anthropogener Masse. Hauptsächlich besteht diese Masse aus Beton, Aggregaten wie z. B. Schotter und Kies, Ziegeln und Asphalt. Es sind also oberflächennahe geologische Ablagerungen – Fels und Mineralien – die wir in für uns nützliche Form umwandeln. Und das hat weitgehende Folgen für natürliche Lebensräume, Biodiversität und verschiedene klimatische und biochemische Kreisläufe, wie die Autor*innen schreiben. Kurz gesagt: Wir betonieren und pflastern die Erde zu.
Plastik macht mengenmäßig nur einen Bruchteil der menschengemachten Masse aus. Doch macht die Menge an Plastik (8 Gigatonnen), die heute auf dem Planeten existiert, das Doppelte der Biomasse aller Tiere (4 Gigatonnen) aus. Gebäude und Infrastruktur übertreffen mit 1.100 Gigatonnen die Biomasse von Bäumen und Sträuchern (900 Gigatonnen).
Am Beginn des 20. Jahrhunderts betrug die anthropogene Masse erst 3 Prozent der globalen Biomasse. Erst nach dem 2. Weltkrieg setzte die „große Beschleunigung“ ein, eine rasante Zunahme des Konsums und der Urbanisierung.
Wenn dieser Trend sich fortsetzt, wird die anthropogene Masse inklusive Abfall im Jahr 2040 drei Teratonnen übersteigen und damit drei Mal so groß sein wie die dann vorhandene Biomasse.
Die vollständige Studie kann z. B. mit einem Zugang der Universitätsbibliothek Wien gelesen werden.