IIASA-Studie: Die Landwirtschaft hat großes Potenzial, CO2 zu binden statt auszustoßen

FacebookredditlinkedinmailFacebookredditlinkedinmail
Lesedauer 2 Minuten.   

Das Nahrungsmittelsystem ist eine der bedeutendsten Quellen von Treibhausgasemissionen auf der Erde. Die Reduzierung der Emissionen in diesem Sektor ist daher für politische Entscheidungsträger auf der ganzen Welt eine Priorität. Forscher:innen des IIASA untersuchten das Potenzial der Kohlenstoffbindung auf landwirtschaftlichen Flächen zur Bekämpfung des Klimawandels und lieferten Einblicke in die wirtschaftlichen Auswirkungen sowie das Potenzial zur Eindämmung des Klimawandels.

Unter Kohlenstoffbindung auf landwirtschaftlichen Flächen versteht man den Prozess der Bindung und Speicherung von Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre im Boden und in Pflanzen auf landwirtschaftlichen Flächen. Laut den Autor:innen einer neuen IIASA-Studie, die gerade in Nature Food veröffentlicht wurde, haben diese Praktiken ein großes Potenzial zur Reduzierung der globalen Erwärmung und zur Senkung der gesamtwirtschaftlichen Kosten für die Eindämmung des Klimawandels.

Um Kohlendioxid aus der Luft zu absorbieren und im Boden oder in Pflanzen auf ihren Farmen zu speichern, können Landwirt:innen beispielsweise Techniken wie den Anbau von Zwischenfrüchten, die Verwendung von Biokohle (eine Art Holzkohle aus organischen Abfällen) oder Agroforstwirtschaft (Anpflanzen von Bäumen neben Feldfrüchten oder Weiden) anwenden und so ihre landwirtschaftlichen Flächen in eine Kohlenstoffsenke verwandeln.

Die Studienergebnisse zeigen, dass diese landwirtschaftlichen Praktiken bis 2050 ebenso viele Treibhausgasemissionen reduzieren könnten wie das Pflanzen neuer Wälder, insbesondere in Regionen wie Afrika südlich der Sahara und Südamerika. Die Kohlenstoffbindung auf landwirtschaftlichen Flächen ist nicht nur für die Bemühungen zur Eindämmung des Klimawandels wichtig, sondern kann auch die landwirtschaftliche Produktivität und Widerstandsfähigkeit gegen den Klimawandel verbessern und den Sektoren Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Landnutzung helfen, bis 2050 weltweit Netto-Null-Emissionen zu erreichen, und zwar zu Kosten zwischen 80 und 120 US-Dollar pro Tonne CO2-Äquivalent.

„Diese Bemühungen würden nicht nur die gesamtwirtschaftlichen Kosten der Emissionsreduzierung senken, sondern auch die Verluste der globalen Wirtschaftsleistung bis Mitte des Jahrhunderts um 0,6 % reduzierent“, bemerkt Studienkoautor Andrey Lessa Derci Augustynczik. „Darüber hinaus könnten Landwirt:innen durch diese Aktivitäten beträchtliche Einnahmen erzielen – bis zu 235 Milliarden Dollar bis 2050 –, wenn sie bei einem prognostizierten Treibhausgaspreis von 160 Dollar pro Tonne CO2-Äquivalent im Jahr 2050 für jede zusätzliche Tonne CO2, die sie in Böden und Biomasse speichern, finanzielle Anreize erhalten.“

Die Autor:innen betonen, dass die Umsetzung dieser Änderungen starke Institutionen und eine weltweite Überwachung der Systeme erfordert, um sicherzustellen, dass die Landwirte diese Praktiken richtig anwenden und für ihre Bemühungen fair bezahlt werden.

Referenz

Frank, S., Lessa Derci Augustynczik, A., Havlík, P., Boere, E., Ermolieva, T., Fricko, O., Di Fulvio, F., Gusti, M., Krisztin, T., Lauri, P., Palazzo, A., Wögerer, M. (2024). Die Verbesserung landwirtschaftlicher Kohlenstoffsenken bringt Vorteile für Landwirte und Klima. Nature Food DOI: 10.1038/s43016-024-01039-1

FacebookrssyoutubeinstagramFacebookrssyoutubeinstagram
Folge uns auch auf Bluesky

Spezielle Bodenbakterien könnten Treibhausgas aus der Landwirtschaft um ein Drittel reduzieren

FacebookredditlinkedinmailFacebookredditlinkedinmail
Lesedauer 3 Minuten.   

Neue Forschungsergebnisse der Norwegischen Universität für Biowissenschaften (NMBU) und des IIASA schlagen vor, Bodenbakterien zu verwenden, um Treibhausgasemissionen aus der Lebensmittelproduktion zu reduzieren.

Stickstoffdüngung führt zu Emissionen des Treibhausgases Distickstoffmonoxid (N₂O) aus landwirtschaftlichen Böden, die einen erheblichen Anteil der gesamten Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft ausmachen. Lange Zeit wurde angenommen, dass diese N₂O-Emissionen unvermeidbar sind.

Ein internationales Forscherteam unter der Leitung der Norwegischen Universität für Biowissenschaften hat nun eine Methode entdeckt, um diese Emissionen zu reduzieren. Sie haben Bakterien identifiziert, die Distickstoffmonoxid „verbrauchen“ können, wenn es im Boden entsteht, und so verhindern, dass das Gas in die Atmosphäre entweicht. Die Forscher glauben, dass allein diese Methode das Potenzial hat, die landwirtschaftlichen Distickstoffmonoxidemissionen in Europa um ein Drittel zu reduzieren.

Pflanzen brauchen viel Stickstoff, um zu wachsen. Eine produktive Landwirtschaft erfordert daher eine reichliche Versorgung mit Stickstoffdünger. Dies war ein Engpass in der Landwirtschaft, bis Fritz Haber Pionierarbeit für die Technologie zur industriellen Herstellung von Stickstoffdünger aus atmosphärischem Stickstoff leistete. Diese Technologie hat 120 Jahre lang dazu beigetragen, dass die weltweite Nahrungsmittelproduktion mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten konnte.

Allerdings gibt es Mikroorganismen im Boden, die das Treibhausgas N₂O produzieren, und Düngung stimuliert diese Produktion.

„Dieses Treibhausgas hat eine etwa 300-mal stärkere Wirkung als CO₂, und die Landwirtschaft ist für etwa drei Viertel der europäischen N2O-Emissionen verantwortlich“, erklärt Wilfried Winiwarter, einer der Koautoren der Studie und leitender Forscher in der Pollution Management Research Group des IIASA Energy, Climate, and Environment Program.

„Außerdem ist die Landwirtschaft weltweit die Hauptquelle von Lachgas in der Atmosphäre. Lachgasemissionen werden hauptsächlich durch Bodenbakterien reguliert, was Reduzierungsbemühungen aufgrund ihrer schwer fassbaren Natur schwierig macht“, fügt er hinzu.

Forscher der NMBU betreiben seit über 20 Jahren Grundlagenforschung darüber, wie Mikroorganismen im Boden Stickstoff umwandeln. Sie haben unter anderem gründlich untersucht, was passiert, wenn den Mikroben nicht genügend Sauerstoff zur Verfügung steht, ein Zustand, der Hypoxie genannt wird.

Wenn gedüngt wird (und während Regenfällen), werden einige Teile des Bodens hypoxisch. Da die Mikroben dann keinen Sauerstoff mehr haben, sind sie gezwungen, andere Wege zu finden, um Energie zu gewinnen. Viele Mikroben können Nitrat anstelle von Sauerstoff verwenden und durch einen Prozess namens Denitrifikation wandeln sie das Nitrat in andere Gase um. Eines davon ist Lachgas, und auf diese Weise tragen die Mikroorganismen zu Treibhausgasemissionen bei.

Die Forscher haben bedeutende Entdeckungen hinsichtlich der Regulierung dieses Prozesses gemacht und eine einzigartige Methode zur Untersuchung der Denitrifikation entwickelt. Sie verwenden unter anderem Roboterlösungen sowohl im Labor als auch im Feld und haben einen speziellen Roboter entwickelt, der in Echtzeit Messungen der Lachgasemissionen aus dem Boden durchführen kann.

Die Lösung zur Reduzierung der N₂O-Emissionen besteht in der Verwendung einer speziellen Bakterienart, die zwar kein Lachgas produzieren kann, Lachgas jedoch zu harmlosem Stickstoffgas (N₂) reduzieren kann.

„Wenn wir diese Mikroben in organischen Abfällen züchten, die als Dünger verwendet werden, können wir die N₂O-Emissionen reduzieren. Dies könnte eine Lösung für das Problem der N₂O-Emissionen aus der Landwirtschaft bedeuten“, sagt Lars Bakken, Hauptautor der Studie und Professor an der NMBU.

„Aber es war nicht einfach, das richtige Bakterium zu finden. Es muss in organischen Abfällen schnell wachsen, im Boden gut funktionieren und lange genug überleben, um die N₂O-Emissionen während einer gesamten Wachstumsperiode zu reduzieren. Es war auch eine Herausforderung, von der Erprobung im Labor zur Erprobung in der Natur überzugehen und sicherzustellen, dass es die N₂O-Emissionen im Feld tatsächlich reduziert“, fügt Bakken hinzu.

Das Forschungsteam arbeitet nun daran, weitere Bakterien zu finden, die Lachgas verbrauchen, und diese in verschiedenen Arten von organischen Abfällen zu testen, die weltweit als Düngemittel verwendet werden. Das Ziel ist es, eine breite Palette von Bakterien zu finden, die in verschiedenen Bodenarten und mit verschiedenen Düngemittelmischungen funktionieren können.

https://iiasa.ac.at/news/may-2024/new-method-could-significantly-reduce-agricultural-greenhouse-gas-emissions

FacebookrssyoutubeinstagramFacebookrssyoutubeinstagram
Folge uns auch auf Bluesky

Offener Brief: Wissenschaftler:innen sind besorgt über Rückschritte in der EU-Umweltgesetzgebung

FacebookredditlinkedinmailFacebookredditlinkedinmail
Lesedauer 8 Minuten.   

Als Reaktion auf den Rückschritt in der Umweltgesetzgebung in der EU haben 11 wissenschaftliche Vereinigungen und Netzwerke am 29.05.2024 einen Offenen Brief veröffentlicht, in dem sie ihre ernste Besorgnis über diese Entscheidungen ausdrücken und zu verantwortungsvollem Handeln aufrufen.

Aktualisierung: Am 5. 6. haben insgesamt 20 Vereinigungen den Offenen Brief unterzeichnet. Der untenstehende Link führt zur aktuellsten Version.

Der Brief kann hier eingesehen werden

Übersetzung der Zusammenfassung (aus dem Englischen)

(Zur Übersetzung des Briefes geht es hier)

In diesem Offenen Brief bringen Wissenschaftsverbände und -netzwerke aus ganz Europa ihre tiefe Besorgnis über eine Reihe von Entscheidungen europäischer Entscheidungsträger zum Ausdruck, die die Umweltagenda der EU und ihre internationalen Verpflichtungen untergraben. Wir stellen fest, dass diese Angriffe auf den Green Deal die Natur gefährden und die Zukunft der EU-Bürger:innen aufs Spiel setzen.

Während die politischen Entscheidungsträger der EU behaupten, dass die Maßnahmen als Reaktion auf die Proteste der Landwirte getroffen wurden, betonen Wissenschaftler:innen, dass die Entscheidungen schlecht begründet sind, die Probleme, die sie lösen sollen, nicht angehen und gleichzeitig stichhaltige wissenschaftliche Beweise gegen sie ignorieren. Wir weisen insbesondere hin auf die Ablehnung der Verordnung zur nachhaltigen Nutzung (SUR), die Schwächung grundlegender Umweltstandards in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), den Aufschub der Genehmigung des Gesetzes zur Wiederherstellung der Natur (NRL), den Vorschlag der Kommission für Ausnahmen in der Nitratrichtlinie und die Entscheidung der Kommission, den Rahmen für nachhaltige Lebensmittelsysteme (FSFS) auf Eis zu legen.

Die Wissenschaftsgemeinschaft hält diese Entscheidungen für schlecht begründet und gefährlich. Sie führen zu einem Rückbau von Umweltstandards und -vorschriften, von denen einige das Ergebnis jahrzehntelanger Bemühungen sind und von Wissenschaft und Gesellschaft stark unterstützt werden.

In einer Zeit zahlreicher Krisen, die meist auf die Überschreitung der planetaren Belastungsgrenzen zurückzuführen sind, halten wir es für inakzeptabel, dass sich europäische Gouverneure dafür entscheiden, die Bedingungen, die diese Krisen verursachen, zu verschlimmern. Als Wissenschaftler:innen lehnen wir politische Entscheidungen, die diese vermeidbaren Krisen beschleunigen, entschieden ab.

Wir fordern die politischen Entscheidungsträger:innen auf, eine klare und ehrgeizige Agenda für den Umweltschutz und den Green Deal für die Zeit nach den Wahlen festzulegen, sich mit Wissenschaftler:innen zu beraten, um nicht auf der Grundlage von Fehlinformationen zu handeln, Änderungen innerhalb der GAP zurückzunehmen, die NRL dringend zu genehmigen und eine weitere Verwässerung der Umweltvorschriften und -politiken zu vermeiden.

Wir fordern außerdem Bürger:innen, zivilgesellschaftliche Organisationen und politische Parteien auf, eine verantwortungsvolle Politikgestaltung zu unterstützen, die eine sichere(re) Zukunft sichert.

Übersetzung des gesamten Briefs (aus dem Englischen)

Ausdruck der Besorgnis von Wissenschaftler:innen: Rückschritt in der EU-Umweltgesetzgebung und -politik gefährdet die Zukunft der EU-Bürger

Liebe Entscheidungsträger:innen,

Als Wissenschaftler:innen beobachten wir mit großer Sorge die überstürzte Deregulierung der Umweltstandards und -vorschriften in der EU und den ungerechtfertigten Widerstand gegen den Green Deal. Innerhalb von nur wenigen Monaten wurden Entscheidungen getroffen, die einem systematischen, rückschrittlichen Angriff auf den Green Deal gleichkommen. Diese Maßnahmen untergraben nicht nur die eigene Agenda der EU und ihre internationalen Verpflichtungen und ihre Rolle als globale Vorreiterin, sondern machen sogar vergangene Erfolge zunichte. Wir listen einige der wichtigsten Entscheidungen und Maßnahmen auf, für die wir eine schwache Begründung feststellen, gegen die wir aber substanzielle wissenschaftliche Beweise sehen.

1) Verordnung zur nachhaltigen Nutzung (Sustainable Use Regulation, SUR)

Der ursprüngliche SUR-Vorschlag der Kommission entsprach den eindeutigen Erkenntnissen über die breite und wachsende Verbreitung von Agrochemikalien in unseren Lebensmitteln und unserem Wasser und die damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt. Trotz wiederholter Abschwächung wurde die SUR vom Europäischen Parlament abgelehnt und dann von der Kommission zurückgezogen. Dabei ignorierten sie einen auf Fakten basierenden offenen Brief, der von 6.000 Wissenschaftler:innen unterzeichnet wurde, sowie einen Appell von über einer Million Bürger:innen zugunsten der SUR.

2) Gemeinsame Agrarpolitik (GAP)

Sowohl das Parlament als auch der Rat stimmten hastig für einen Vorschlag der Kommission, die Umweltwirksamkeit von fünf von neun grundlegenden Umweltstandards zu schwächen – darunter die Beseitigung von Brachen auf Ackerland und die Verbesserung der Möglichkeiten, Grünland in Ackerland umzuwandeln. Obwohl es keine Beweise dafür gibt, dass diese Entscheidungen die Kernprobleme der Landwirte lösen würden, könnten sie die Risiken für die Landwirtschaft – und die Ernährungssicherheit – erhöhen, indem sie Bodenerosion, Bodendegradation und den Verlust der Artenvielfalt beschleunigen, die potenziellen Auswirkungen extremer Wetterereignisse verschlimmern und wichtige Ökosystemleistungen, die für die Landwirtschaft von entscheidender Bedeutung sind, wie Schädlingsbekämpfung, Bestäubung und Wasserrückhaltung, weiter beeinträchtigen.

3) Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (NRL)

Die Kosteneffizienz der Naturwiederherstellung ist bekannt. Die Tatsache, dass 80 % der Lebensraumtypen in der EU in schlechtem Zustand sind und die rasche Verschlechterung des Zustandes der Umwelt insgesamt zeigen die Dringlichkeit des NRL zur Wiederherstellung von Ökosystemen. Dessen positive Beiträge für die Gesellschaft, darunter die menschliche Gesundheit, die Ernährungssicherheit, die Widerstandsfähigkeit gegenüber extremen Wetterereignissen und die Kohlenstoffbindung, wurden wiederholt von Wissenschaftler:innen, der Zivilgesellschaft und Unternehmen hervorgehoben und gefordert. Nach intensiven Trilogverhandlungen zwischen dem Parlament, dem Rat und der Kommission wurde das NRL schließlich vom Parlament angenommen. Es wird nun von einigen Ländern verhindert, die verfahrensmäßige Minderheitenschutzbestimmungen anwenden, im Widerspruch zu einem etablierten wissenschaftlichen Konsens und einem Appell von über 1 Million Bürger:innen zugunsten des NRL.

4) Kommissionsentwurf für Ausnahmen in der Nitratrichtlinie

Die aktuellen Pläne der EU-Kommission zur Lockerung der Verpflichtungen im Rahmen der Nitratrichtlinie könnten zu einer erhöhten Nitratanwendung in der Landwirtschaft führen. Zu den Folgen gehören die Verschlechterung der Wasserqualität in Oberflächen- und Grundwasser sowie Auswirkungen auf nachgelagerte Gebiete, z. B. auf Nord- und Ostsee, deren Zustand bereits mehr als kritisch ist. Da die Stickstoffüberschüsse in mehreren Regionen Europas außergewöhnlich hoch sind, könnte diese Lockerung die Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft (erneut) erhöhen, die Umweltverschmutzung verstärken und im Widerspruch zur Verpflichtung der EU stehen, Klimaneutralität anzustreben.

5) Rahmenwerk für nachhaltige Lebensmittelsysteme (FSFS):

Der Vorschlag der Kommission für ein FSFS, dessen Veröffentlichung für Herbst 2023 geplant war, könnte viele Bedenken sowohl der Landwirt:innen als auch der Verbraucher:innen ausräumen. Die Tatsache, dass er trotz Veröffentlichungsreife vom Schreibtisch der Kommission verschwand, rechtfertigt eine gesellschaftliche Debatte.

Dies sind nur wichtige Beispiele unter anderen – darunter die erneute Zulassung der Verwendung von Glyphosat für weitere 10 Jahre, die Herabstufung des „Bodengesundheitsgesetzes“ zu einer bloßen „Bodenüberwachung“, anhaltende Diskussionen über die Herabstufung des Schutzstatus großer Fleischfresser, Forderungen nach einer Abschwächung oder sogar Aufhebung der Entwaldungsverordnung und die Einstellung der Diskussionen über den strengen Schutz von Urwäldern. Diese Entscheidungen und Prozesse spiegeln einen allgemeinen Geist der Rücknahme von Umweltstandards und -vorschriften wider, von denen einige das Ergebnis jahrzehntelanger Bemühungen sind, die von Wissenschaft und Gesellschaft stark unterstützt wurden.

Bei zu vielen Entscheidungsträger:innen der EU scheint eine umweltfeindliche Stimmung vorzuherrschen. Dies ist aus mehreren Gründen besorgniserregend: Erstens, weil viele Begründungen für diese Entscheidungen auf Fehlinformationen beruhen. Zweitens, weil diese Entscheidungen stark von den besonderen Interessen bestimmter Untergruppen und Wirtschaftsunternehmen innerhalb eines engen Spektrums der Gesellschaft beeinflusst zu sein scheinen – die sich teilweise in gewalttätigen und/oder undemokratischen Ansätzen äußern. Drittens, weil diese Entscheidungen im Widerspruch zu ihren eigenen erklärten Zielen stehen, indem sie gegen die Prinzipien der Nachhaltigkeit vertoßen. Nach bestem Wissen der Wissenschaft sind diese Entscheidungen nämlich schlecht begründet und gefährden unsere gemeinsame Zukunft – einschließlich der Zukunft der Landwirt:innen, denen sie angeblich helfen. Und schließlich sendet die EU als globale Vorreiterin in Sachen Klima-, Biodiversitäts- und Umweltgesetzgebung nun höchst bedauerliche Signale an den Rest der Welt.

In einer Zeit zahlreicher Krisen, die meist aus der Überschreitung der planetaren Belastungsgrenzen resultieren, ist es inakzeptabel, dass sich europäische Regierungen dafür entscheiden, die Bedingungen zu verschlimmern, die diese Krisen verursachen: nämlich die Übernutzung der Ressourcen der Erde, den Ausstoß von Treibhausgasen und Schadstoffen sowie die Entsorgung von Müll, Mikroplastik und giftigem Material um uns herum. Als Wissenschaftler:innen lehnen wir politische Entscheidungen, die diese vermeidbaren Krisen beschleunigen, entschieden ab. Wenn die Ernährungssicherheit auf dem Spiel steht, müssen die wahren Ursachen identifiziert und bekämpft werden. Diese sind umweltbedingt und werden durch sozioökonomische Faktoren verschärft. Dementsprechend sind wir der Ansicht, dass diese Entscheidungen angesichts der Gefahren, die sie mit sich bringen, gegen Kernprinzipien des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verstoßen, wie etwa das Präventionsprinzip, das Vorsorgeprinzip (AEUV-Artikel 191) und die Sorgfaltspflicht.

Wir fordern die politischen Entscheidungsträger:innen auf,

• eine klare und ehrgeizige Agenda für den Umweltschutz und den Green Deal für die Zeit nach den Wahlen festzulegen und Umweltprobleme ernst zu nehmen, da sie eine ernsthafte Bedrohung für die Gesellschaft darstellen;

• im Zweifelsfall Wissenschaftler:innen zu konsultieren, um nicht auf der Grundlage von Fehlinformationen zu handeln;

• Änderungen innerhalb der GAP zurückzunehmen, da sie die Gefahr einer Verschärfung von Umweltproblemen und Gesundheitsgefahren bergen;

• das NRL als dringende Maßnahme zu genehmigen, um die Umsetzung bestehender Maßnahmen zur Bewältigung der Biodiversitätskrise und zur Verbesserung der Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft gegenüber dem Klimawandel zu ergänzen und besser zu koordinieren;

• eine weitere Verwässerung der Umweltvorschriften und -politiken (Nitratrichtlinien, Entwaldungsverordnung) unbedingt zu vermeiden.

Abschließend rufen wir Bürger:innen, zivilgesellschaftliche Organisationen und politische Parteien dazu auf, eine verantwortungsvolle Politikgestaltung zu unterstützen, die eine sichere(re) Zukunft innerhalb der Grenzen unseres Planeten sichert.

Mit freundlichen Grüßen

Society for Conservation Biology – Region Europa

Scientists for Future (Interdisziplinäres Wissenschaftliches Gremium)

Society for Ecological Restoration Europe ALTER-Net

Ökologische Gesellschaft für Deutschland, Österreich und die Schweiz – European Ecological Federation

Niederländisches Netzwerk für ökologische Forschung EuropeForNature

Partnerschaft für Ökosystemdienstleistungen – Region Europa

International Mire Conservation Group

Society of Wetland Scientists

*

Die Society for Conservation Biology – Region Europa widmet sich der Erleichterung, Förderung und Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Erforschung und Erhaltung der biologischen Vielfalt.
https://conbio.org/groups/sections/europe

Scientists for Future (Interdisziplinäres Wissenschaftliches Gremium) unterstützt die globale Klimabewegung, indem es Aktivisten, Politikern, Entscheidungsträgern, Pädagogen und der breiten Öffentlichkeit Fakten und Materialien auf der Grundlage zuverlässiger und anerkannter wissenschaftlicher Daten zur Verfügung stellt. Es ist ein unabhängiges und freiwilliges Kollektiv von Wissenschaftler:innen, Forscher:innen und Akademiker:innen aus allen Disziplinen, die durch die tiefe Sorge für eine gemeinsame Zukunft vereint sind:
https://scientists4future.org

Die Society for Ecological Restoration Europe ist ein Netzwerk, das die Wissenschaft, Praxis und Politik der ökologischen Wiederherstellung vorantreibt, um die Artenvielfalt zu erhalten, die Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel zu verbessern und ein ökologisch gesundes Verhältnis zwischen Natur und Kultur wiederherzustellen.
https://chapter.ser.org/europe/

Alter-Net ist das Netzwerk der führenden Institute aus 21 europäischen Ländern, die das Ziel der Integration ihrer Forschungsfähigkeit zur Beurteilung von Veränderungen in der biologischen Vielfalt analysieren, die Auswirkungen dieser Veränderungen auf Ökosystem-Leistungen und die Öffentlichkeit und die Entscheidungsträger:inneneuropaweit zu informieren. https://alterneteurope.eu/

Die Gesellschaft für Ökologie E.V. ist der Ökologie in Wissenschaft und Praxis gewidmet. Die Gesellschaft unterstützt ökologische Forschung und Ausbildung und fördert den Austausch von Ökolog:innen in akademischen Einrichtungen, der öffentlichen Verwaltung und dem Privatsektor, indem sie jährliche Treffen und Arbeitsgruppen organisiert.

Das Niederländische ökologische Forschungsnetzwerk (NERN) ist das Netzwerk professioneller Ökolog:innen in den Niederlanden, an dem alle Universitäten und Forschungsinstitute mit einem Ökologieprogramm teilnehmen.

Die Initiative EurpeForNature setzt sich zum Ziel, Bürger:innen in Europa darauf aufmerksam machen, wie wichtig es ist, Natur und Nachhaltigkeit zu priorisieren, und sie zu befähigen, ihre Stimme zu nutzen, indem sie: 1) das kollektive Fachwissen, die Erkenntnisse und Visionen von Wissenschaftler:innen in ganz Europa für eine nachhaltige Zukunft nutzen; und 2) durch proaktives Engagement und Lobbyarbeit eine breite öffentliche Unterstützung für nachhaltige europäische Politik demonstrieren.
https://europefornature.eu/

Ecosystem Services Partnership (ESP) – Europäische Region. ESP ist ein globales Netzwerk, das über 3.500 Menschen verbindet und Wissenschaftler:innen, Praktiker:innen, Interessenvertreter:innen und politische Entscheidungsträger:innen im Bereich Ökosystemleistungen auf lokaler, nationaler, regionaler und globaler Ebene vernetzt. ESP zielt darauf ab, Kommunikation, Koordination und Zusammenarbeit zu verbessern und ein starkes Netzwerk von Einzelpersonen und Organisationen aufzubauen, die an Ökosystemdienstleistungen arbeiten.
http://www.es-partnership.org/

Die International Mire Conservation Group (IMCG) ist ein internationales Netzwerk von Spezialist:innen, die den Schutz von Mooren und verwandten Ökosystemen international fördern, unterstützen und, wo angemessen, koordinieren und den Austausch von Informationen und Erfahrungen in Bezug auf Moore und sie beeinflussende Faktoren international verbessern. IMCG umfasst über 550 Kontakte in fast 60 Ländern.
https://www.imcg.net/

Die Society of Wetland Scientists (SWS) setzt sich für die Förderung bewährter Verfahren in den Bereichen Feuchtgebietsforschung, -bildung, -erhaltung, -wiederherstellung und -management ein. Die SWS hat über 3.000 Mitglieder in mehr als 60 Ländern.
https://www.sws.org

Ausgewählte Links zu relevanten Veröffentlichungen und offenen Briefen von Wissenschaftler:innen:

Zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP):

  • Leopoldina (2020): Biodiversity and Management of Agricultural Landscapes,
    Published by the German National Academy of Sciences Leopoldina, Halle/Saale.
    https://bit.ly/3RVnXtW
  • WBAE (2019): Designing an effective agri-environment-climate policy as part of the post-2020 EU Common Agricultural Policy, Statement of the Scientific Board for Food and Environmental Policy (WBAE) at the Federal Ministry for Food and Agriculture, Berlin.
    https://bit.ly/4aDojvb
  • WBAE (2018): For an EU Common Agricultural Policy serving the public good after 2020: Fundamental questions and recommendations, Statement of the Scientific Board for Food and Environmental Policy (WBAE) at the Federal Ministry for Food and Agriculture, Berlin.
    https://bit.ly/4bKtLOk
  • Pe’er et al. (2020): Action needed for the EU Common Agricultural Policy to address sustainability challenges, People and Nature 2 (2): 305-316.
    https://doi.org/10.1002/pan3.10080
  • Pe’er et al. (2022): How can the European Common Agricultural Policy help halt biodiversity loss? Recommendations by over 300 experts, Conservation Letters 15 (6): e12901.
    https://doi.org/10.1111/conl.12901
  • Jongeneel, R.A. (2018): Research for AGRI Committee – The CAP support beyond 2020: assessing the future structure of direct payments and the rural developments interventions in the light of the EU agricultural and environmental challenges, European Parliament, Policy Department for Structural and Cohesion Policies,Brussels.
    http://bit.ly/2zStfOk

Zu NRL und SUR:

  • Pe’er et al. (2023) Scientists support the EU’s Green Deal and reject the unjustified argumentation against the Sustainable Use Regulation and the Nature Restoration Law. https://doi.org/10.5281/zenodo.8128624 – signed by 6000 scientists

Zum Renaturierungsgesetz (NRL):

Zu Fleischfressern in Europa:

  • Revilla et al. 2023. Institutional Science for Policy Report on the damages produced by and the conservation status of wolves in Europe. Estación Biológica de Doñana CSIC.
    https://digital.csic.es/handle/10261/337169

Zum Green Deal als Ganzes:

Titelbild: Martin Auer mithilfe von KI

FacebookrssyoutubeinstagramFacebookrssyoutubeinstagram
Folge uns auch auf Bluesky

Anderes Klima, andere Arten: Wie die Klimakrise sich auf biologische Invasionen auswirkt
von Anja Marie Westram

FacebookredditlinkedinmailFacebookredditlinkedinmail
Lesedauer 7 Minuten.   

Was haben Waschbär, Götterbaum und Roter Amerikanischer Sumpfkrebs gemeinsam? Sie alle sind in Österreich invasive gebietsfremde Arten – vom Menschen eingeführte Arten, die der Natur Schaden zufügen. Und damit oft genug auch uns Menschen.

Das Auftreten neuer Tier- oder Pflanzenarten klingt vielleicht zunächst nicht weiter bedrohlich. Tatsächlich macht die Mehrheit eingeführter Arten wenig Probleme. Die weltweit mehr als 3500 invasiven Arten allerdings verändern Boden, Gewässer und Ökosysteme, verdrängen heimische Arten oder übertragen Krankheiten. In österreichischen Süßgewässern breiten sich beispielsweise eine Reihe invasiver amerikanischer Krebsarten (Roter Amerikanischer Sumpfkrebs, Signalkrebs, Marmorkrebs) aus. Sie übertragen die Krebspest, die ihnen selbst wenig anhaben kann, einheimische Krebse dagegen stark dezimiert. Ein anderes Beispiel sind Waschbären, deren Vorfahren vor Jahrzehnten aus Pelztierfarmen entkamen und die nun österreichweit vorkommen. Sie ernähren sich unter anderem von lokalen Tierarten, von Amphibien bis hin zu Vögeln, und können für deren Populationen problematisch werden; zudem richten sie Schäden an Gebäuden an.

Insgesamt sind die Auswirkungen invasiver Arten enorm, wie ein kürzlich publizierter Bericht des Weltbiodiversitätsrates IPBES betont: Sie spielen beispielsweise weltweit bei geschätzt 60% der Aussterbeereignisse eine Rolle; bei 16% sind sie sogar der alleinige Auslöser1. Sie zählen zu den fünf Hauptursachen der Biodiversitätskrise (genau wie übrigens der menschengemachte Klimawandel). Die global durch invasive Arten entstehenden jährlichen Kosten werden auf 423 Milliarden US-Dollar geschätzt1. Den Menschen in Österreich schaden invasive Arten als Landwirtschafts- oder Forstschädlinge (wie der Maiswurzelbohrer, ein maiszerstörender Käfer), Krankheitsüberträger (wie die Tigermücken), Allergieauslöser (wie die Beifuß-Ambrosie) oder unerwünschte Mitbewohner (wie der Waschbär).

Invasive Arten nehmen zu

Wie kommt es, dass wir Menschen diese Arten verbreiten? In der Vergangenheit geschah das oft mit Absicht. Seit dem 15. oder 16. Jahrhundert brachten „Entdeckungsreisende“ exotische Pflanzen aus ästhetischen Gründen nach Europa, die sich dann unter Umständen in die Natur ausbreiteten (auch heute noch stammen viele invasive Pflanzen aus dem gärtnerischen Bereich). Umgekehrt bildeten sich in Kolonien wie Australien „Akklimatisationsgesellschaften“ – Gruppen von Europäern, die die dortige Natur durch Einführung von Arten aus ihrer Heimat „verbessern“ wollten. Heute wird ein Großteil der neuen Arten unbeabsichtigt mit Waren in neue Gebiete transportiert, z.B. per Schiff. Auf Holzgütern, Getreide oder Gemüse können Insekten oder Pflanzensamen leicht unbemerkt mitreisen. Und da globale Vernetzung und Handel immer weiter zunehmen, steigt auch die Zahl der invasiven Arten rasant1.

Die Einführung potenziell invasiver Arten ist aber nur der erste Schritt. Für eine echte Invasion müssen sie sich im neuen Gebiet etablieren und ausbreiten. Wie invasive Arten dies in einem ihnen fremden Ökosystem überhaupt schaffen, ist nicht immer klar. Ein Grund kann sein, dass sie dort oft von Fressfeinden und Krankheitserregern befreit sind, durch die sie in ihrem Herkunftsgebiet in Schach gehalten werden. Das verschafft ihnen Vorteile gegenüber heimischen Arten.

Was haben invasive Arten mit der Klimakrise zu tun?

Ob sich eine neue Art ausbreiten kann, hängt aber auch entscheidend vom lokalen Klima ab. Eine aus den Tropen kommende Art wird sich in der Arktis meist nicht wohlfühlen. Wir verändern das Klima – wie wirkt sich das auf invasive Arten aus? Um diese Frage zu beantworten, analysieren Forschende bereits erfolgte Invasionen und treffen Vorhersagen für die Zukunft. Ein wichtiges Instrument dazu sind Verbreitungsmodelle. Sie kombinieren Informationen über die Umweltbedingungen (z.B. Temperatur und Niederschlag), an die eine Art angepasst ist, mit zukünftigen Klimaszenarien (z.B. denen des Weltklimarates IPCC). So kann prognostiziert werden, in welche Gebiete sich die Art möglicherweise in Zukunft ausbreiten kann.

Der Bericht des Weltbiodiversitätsrates2 fasst die Ergebnisse solcher und weiterer Studien zusammen und zeigt: Klimaveränderungen beeinflussen Ausbreitung und Auswirkungen invasiver Arten deutlich, und das oftmals zugunsten der invasiven Arten und auf Kosten heimischer Arten und des Menschen. Wie genau können diese Effekte aussehen?

  1. Invasive Arten breiten sich aus. Invasive Arten werden oft durch kalte Winter aufgehalten. Gerade viele Insekten kommen mit Frostperioden schlecht zurecht. Selbst wenn sie in wärmeren Jahreszeiten ein neues Gebiet besiedeln können, sterben sie im Winter wieder aus. Das kann sich durch den Klimawandel ändern: Höhere Temperaturen ermöglichen es vielen invasiven Arten, sich polwärts und / oder in die Höhe auszubreiten3. So nehmen in Europa mit zunehmenden Wintertemperaturen beispielsweise invasive Schädlingsinsekten zu4. Dazu kommt, dass einige gebietsfremde Arten momentan noch an menschliche Strukturen wie Wohngebäude, Gewächshäuser oder Städte gebunden sind, in denen für sie angenehme Temperaturen herrschen. Diese Arten sind „Schläfer“ – steigen die Durchschnittstemperaturen, breiten sie sich in die Natur aus2. Neben der Temperatur können auch andere Aspekte des Klimawandels invasive Arten begünstigen; einige Arten profitieren sogar von Stürmen oder Waldbränden2.
  2. Heimische Arten ziehen den Kürzeren. Die Klimakrise stresst heimische Arten, die oft nicht an die veränderten Bedingungen angepasst sind. So haben invasive Arten weniger Konkurrenz. Letztere sind oft bereits aus ihrem Ursprungsgebiet an höhere Temperaturen gewöhnt. Das trifft z.B. auf einige der oben erwähnten in Österreich invasiven Krebsarten zu, die somit neben der Resistenz gegen die Krebspest einen weiteren Vorteil gegenüber heimischen Arten haben5. Es wird außerdem vermutet, dass invasive Arten generell besonders anpassungs- und verbreitungsfähig sein könnten und dadurch besser auf Umweltveränderungen reagieren können6. So wurde z.B. gezeigt, dass sich invasive Pflanzenarten in den wärmer werdenden Alpen doppelt so schnell in die Höhe ausbreiten wie heimische Arten7.
  3. Negative Auswirkungen auf den Menschen nehmen zu. Einige invasive Arten, die sich durch Klimaveränderungen weiter ausbreiten, haben gesundheitliche Auswirkungen. Die Beifuß-Ambrosie (Ragweed) ist ein starker Allergieauslöser. Mit ihrer Ausbreitung in Europa wird wohl auch die Zahl allergischer Menschen deutlich zunehmen8, denn eine Allergie wird bei wiederholtem Kontakt mit den Pollen wahrscheinlicher. Die Klimakrise begünstigt zudem viele invasive Arten, die Krankheiten übertragen können. Zwei invasive Mückenarten, die Asiatische Tigermücke und die Gelbfiebermücke, können z.B. Zika-Virus und Chikungunya-Virus übertragen. Beide Mückenarten mögen es warm. Modelle sagen voraus, dass sich die Bedingungen für die aus Afrika stammende Gelbfiebermücke in vielen Teilen der Erde verbessern werden, auch in Südeuropa9. Die Asiatische Tigermücke hat sich bereits jetzt bis nach Österreich ausgebreitet10. Momentan spielt sie hier glücklicherweise als Krankheitsüberträger keine große Rolle; dies kann sich jedoch in Zukunft leicht ändern.
  4. Invasive Arten profitieren nicht immer und überall. Während invasive Arten in den gemäßigten Zonen wahrscheinlich zunehmen werden, können sich die Bedingungen für einige Arten in den Tropen verschlechtern, z.B. durch zu extreme Hitze4. Neben der Temperatur bestimmen weitere Faktoren wie die Niederschlagsmengen, wo eine Art leben kann – so kann eine Zunahme von Dürreperioden zu einer Abnahme invasiver Arten führen2. Viele Aspekte der Klimakrise, wie z.B. die Zunahme von Extremereignissen, haben komplexe, noch nicht ausreichend untersuchte Auswirkungen2.

Was können wir tun?

Die Bekämpfung invasiver Arten ist nicht einfach. Zum einen stellt sie bei Tieren ein ethisches Problem dar. Das großangelegte Töten invasiver Säugetiere wie Ratten oder Katzen in Australien wirkt auf viele Menschen drastisch. Zum anderen ist die Zurückdrängung invasiver Arten aufwendig und kostenintensiv. Zwar sind Ausrottungsversuche durchaus oft erfolgreich, vor allem, wenn das besiedelte Gebiet relativ begrenzt war. Aber nicht alle Arten lassen sich aufhalten – viele Pflanzen bilden jahrelang keimfähige Samen, die man kaum alle einsammeln kann, und Gewässerorganismen sind schwer kontrollierbar. Aus diesen Gründen gilt: Prävention ist besser als Bekämpfung. Maßnahmen, die früh ansetzen, sind z.B. Import- und Grenzkontrollen sowie die Überwachung von Ökosystemen, damit neue invasive Arten so schnell wie möglich entdeckt werden1.

Da das Problem invasiver Arten eng mit internationalem Handel und Transport zusammenhängt, kann es nicht allein lokal gelöst werden. Weltweite Abkommen erkennen invasive Arten inzwischen als kritisches Problem an. Im Dezember 2022 beschloss die internationale Staatengemeinschaft im Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework, die Einführung und Etablierung invasiver Arten bis zum Jahr 2030 um mindestens 50% zu reduzieren. Für die EU gibt es bereits seit Jahren eine Liste invasiver Arten, die nicht eingeführt, gehandelt oder freigesetzt werden dürfen. Trotzdem sind sich WissenschaftlerInnen einig, dass noch viel zu tun ist1. So haben die meisten Länder zwar Ziele festgelegt, setzen diese aber größtenteils nicht durch konkrete Bestimmungen um.

Obwohl invasive Arten und die Biodiversitätskrise insgesamt – genau wie die Klimakrise – globale Herausforderungen sind, die politisch angegangen werden müssen, können wir auch im Kleinen einen Beitrag leisten. Das Wichtigste: Versuchen, nicht selbst zum Problem beizutragen. Dazu gehört, keine Gartenabfälle in der Natur zu entsorgen, im Garten möglichst heimische Arten anzupflanzen, und keine exotischen Tiere zu kaufen und dann freizusetzen (was unsere LeserInnen hoffentlich sowieso nie tun würden).

Wer mit unterschiedlichen Süßgewässern in Kontakt kommt, z.B. AnglerInnen, TaucherInnen und BenutzerInnen von Freizeitbooten, sollte besonders vorsichtig sein und vor jedem „Gewässerwechsel“ das Material reinigen. Zwei der bedeutendsten invasiven Arten sind die Zebramuschel und ihre Verwandte, die Quaggamuschel. Diese setzen sich an Booten fest und können, falls ein Boot in ein anderes Gewässer transportiert wird, dort wieder freigesetzt werden. Einmal in einem Gewässer etabliert, bilden diese Muscheln Massenvorkommen, verändern das Nahrungsnetz und besetzen Boote, Stege und Rohre großflächig. Die Verbreitung dieser Muschelarten kann durch Reinigung der Boote verhindert werden11.

Auch zur Früherkennung invasiver Arten kann man beitragen. Auf Plattformen wie iNaturalist (www.inaturalist.org) können Fotos von Tieren, Pflanzen und Pilzen – ob invasiv oder nicht – mit Fundort hochgeladen werden; die App unterstützt dann bei der Artbestimmung. So entstehen riesige Datensätze, die automatisch auch Daten zu Vorkommen und Ausbreitung invasiver Arten beinhalten. Gezielter gehen Citizen Science-Projekte vor, bei denen BürgerInnen aufgefordert werden, Daten zu bestimmten Artengruppen zu sammeln. Über die App „Mosquito Alert“ (www.mosquitoalert.com) können Fotos mutmaßlich invasiver Mücken eingereicht werden, die dann von ExpertInnen begutachtet werden. So wird die Ausbreitung der Mückenarten in Echtzeit verfolgt.

Wer mehr Zeit hat, kann an Aktionen lokaler Naturschutzgruppen teilnehmen. Manchmal suchen diese HelferInnen für das Entfernen von Pflanzen wie Goldrute oder Drüsiges Springkraut, die dichte Bestände bilden und heimische Arten verdrängen. Zumindest lokal tragen solche Maßnahmen zur Eindämmung der invasiven Pflanzen und zum Schutz des Ökosystems bei.

Zu guter Letzt: Ein Bewusstsein in der Bevölkerung ist wichtig, damit politischer Handlungsdruck entsteht und die Einführung und Ausbreitung invasiver Arten verhindert werden kann1. Und so kann man bereits durch Ansprechen des Themas einen Beitrag leisten.

Literatur

1.           Roy, H. E. et al. IPBES Invasive Alien Species Assessment: Summary for Policymakers. (2023).

2.           Hulme, P. E. et al. IPBES Invasive Alien Species Assessment: Chapter 3. Drivers Affecting Biological Invasions. (2024).

3.           Grünig, M., Calanca, P., Mazzi, D. & Pellissier, L. Inflection point in climatic suitability of insect pest species in Europe suggests non-linear responses to climate change. Global Change Biology 26, 6338–6349 (2020).

4.           Bellard, C. et al. Will climate change promote future invasions? Global Change Biology 19, 3740–3748 (2013).

5.           Capinha, C., Larson, E. R., Tricarico, E., Olden, J. D. & Gherardi, F. Effects of climate change, invasive species, and disease on the distribution of native European crayfishes. Conservation Biology 27, 731–740 (2013).

6.           Davidson, A. M., Jennions, M. & Nicotra, A. B. Do invasive species show higher phenotypic plasticity than native species and, if so, is it adaptive? A meta-analysis. Ecology Letters 14, 419–431 (2011).

7.           Dainese, M. et al. Human disturbance and upward expansion of plants in a warming climate. Nature Clim Change 7, 577–580 (2017).

8.           Lake, I. R. et al. Climate change and future pollen allergy in Europe. Environmental Health Perspectives 125, 385–391 (2017).

9.           Iwamura, T., Guzman-Holst, A. & Murray, K. A. Accelerating invasion potential of disease vector Aedes aegypti under climate change. Nat Commun 11, 2130 (2020).

10.         Reichl, J. et al. A citizen science report—Tiger mosquitoes (Aedes albopictus) in allotment gardens in Graz, Styria, Austria. Parasitol Res 123, 79 (2023).

11.         De Ventura, L., Weissert, N., Tobias, R., Kopp, K. & Jokela, J. Overland transport of recreational boats as a spreading vector of zebra mussel Dreissena polymorpha. Biol Invasions 18, 1451–1466 (2016).

FacebookrssyoutubeinstagramFacebookrssyoutubeinstagram
Folge uns auch auf Bluesky

Gesetz zur Widerherstellung der Natur passiert Europäisches Parlament

FacebookredditlinkedinmailFacebookredditlinkedinmail
Lesedauer < 1 Minute.   

Am 27. Februar verabschiedete das Europäische Parlament das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur und markierte damit einen bedeutenden Schritt zur Wiederherstellung der europäischen Ökosysteme. Dieses Gesetz verpflichtet die europäischen Staaten, bis 2030 mindestens 20 % ihrer Land- und Meeresflächen und bis 2050 alle geschädigten Ökosysteme wiederherzustellen.

Das Gesetz wurde mit 329 Ja-Stimmen, 275 Nein-Stimmen und 24 Enthaltungen angenommen. Die prominenteste Fraktion unter den Gegnern des Verordnungsvorschlages war die christdemokratische und konservative EVP. Sie argumentierte, die Verordnung drohe das Geschäft von Landwirten und Fischern einzuschränken.

Staaten haben zwei Jahre Zeit, einen nationalen Restaurierungsplan zu erstellen, um die Umwelt ihrer Bürger in einen ursprünglicheren Zustand zu bringen.

10 Prozent der Agrarflächen sollen als Naturflächen wiederhergestellt werden. Es sollen Maßnahmen zugunsten der Flüsse getroffen werden, sodass es in der EU wieder insgesamt 25.000 km freifließende Fließgewässer gibt. Außerdem sollen bis 2030 30 Prozent der Moorflächen renaturiert werden, von denen mindestens ein Viertel wiedervernässt werden soll. Das endgültige Ziel für 2050 ist die Wiederherstellung von 70 Prozent der entwässerten landwirtschaftlichen Moorflächen.

Das Gesetz soll nun vor seiner Veröffentlichung im EU-Amtsblatt vom Rat verabschiedet werden und 20 Tage später in Kraft treten.
https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20240223IPR18078/parlament-ja-zur-renaturierung-von-20-der-land-und-meeresflachen-der-eu

FacebookrssyoutubeinstagramFacebookrssyoutubeinstagram
Folge uns auch auf Bluesky

Dürren im Klimawandel von Douglas Maraun und Laurenz Roither

FacebookredditlinkedinmailFacebookredditlinkedinmail
Lesedauer 5 Minuten.   
  • In den letzten Jahren führten regenarme Sommer wiederholt zu starken Sommerdürren.
  • Reine Niederschlagsdefizite (meteorologische Dürre) sind bisher Ausdruck natürlicher Schwankungen; Jahrzehnte vergleichbarer oder sogar stärkerer Defizite gab es in den letzten 210 Jahren mehrmals.
  • In Sommerdürren der letzten Jahre trocknete auch der Boden sehr stark aus (Bodenfeuchtedürre), da die Verdunstung über die letzten Jahrzehnte anstieg. Dies lässt sich zu einem großen Teil auf den Klimawandel zurückführen, teilweise aber auch auf sinkende Aerosolkonzentrationen. (Aerosole sind Schwebstoffe, die Sonnenlicht zurückstreuen, v. a. Schwefeldioxid, das bei Verbrennung von Kohle und Öl entsteht.)
  • Aussagen über meteorologische Dürren im Klimawandel sind noch mit großen Unsicherheiten behaftet. Auch wenn es grundsätzlich immer wieder feuchte und trockene Dekaden geben wird, begünstigen steigende Temperaturen die Austrocknung des Bodens, sodass Bodenfeuchtedürren künftig sowohl trockener als auch intensiver ausfallen werden.

Sommerdürren, ihre Auslöser und Folgen

Dürre ist ein äußerst komplexes Phänomen. Aufgrund der relevanten Folgen werden vor allem Sommerdürren betrachtet. Tritt ein langanhaltendes Niederschlagsdefizit im Vergleich zum langjährigen Mittel auf, spricht man von einer meteorologischen Dürre, die Wochen bis Jahre dauern kann [1]. In den mittleren Breiten werden diese typischerweise durch anhaltende blockierende Wetterlagen ausgelöst. Ist die Verdunstung höher als der Niederschlag, trocknet der Boden aus und es herrscht eine Bodenfeuchtedürre, wegen sinkender Erträge auch landwirtschaftliche Dürre genannt [1]. Hohe Temperaturen im Sommer und Temperatur-Rückkopplungen, ein vorangegangener trockener Winter oder Frühling, sowie starkes Vegetationswachstum im Frühling (und die resultierende starke Verdunstung) können Bodenfeuchtedürren im Sommer verstärken [2]. Während hydrologischer Dürren sinken schließlich auch die Flusswasserstände und Grundwasserspiegel [3]. Hoher Wasserverbrauch und Eingriffe in Gewässer können Dürren weiter verstärken [4]. Ausbleibender Regen, hohe Temperaturen und Sonneneinstrahlung sowie starke Winde können, wie im Sommer 2012 in den USA, Bodenfeuchtedürren sehr schnell (innerhalb von Wochen) intensiv werden lassen, man spricht dann von Flash Droughts [5].

Dürren können gravierende ökologische und sozioökonomische Folgen haben, wobei die Auswirkungen nach Dauer, Jahreszeit, und Art der Auswirkung stark variieren.

Temperatur-Rückkoppelung: wird Wasser verdunstet, entzieht es der Umgebung Wärme. Trocknet der Boden stark aus, sinkt dieser Kühleffekt und die Umgebungstemperaturen erhöhen sich noch stärker.
Verdunstung über Land: aktive Wasseraufnahme der Wurzeln, Transport und Verdunstung über große Blattoberfläche der Pflanzen erhöht Verdunstungsrate im Vergleich zu nacktem Boden.

Jüngste Ereignisse im Kontext des Klimawandels

Meteorologische Dürre – definiert als reine Niederschlagsdefizite – und Bodenfeuchtedürre können sich im Klimawandel sehr unterschiedlich ändern, eine differenzierte Betrachtung ist deshalb wichtig. Seit dem Beginn des 21. Jh. häufen sich schwere Dürren in Europa. So gab es 2019 und 2015 die stärksten österreichweiten Niederschlagsdefizite im Sommer seit 1961, die meteorologische Dürre von 2003 war im Westen Österreichs die stärkste seit 1950 [6]. Im Frühling und Sommer 2018 waren vor allem der Westen und Norden Österreichs von der Rekorddürre in Mittel- und Westeuropa betroffen. Betrachtet man längere Zeiträume, zeigt sich allerdings die Bedeutung von natürlichen Klimaschwankungen für das Auftreten von Niederschlägen und somit meteorologischer Dürre. Dekaden mit ausgeprägten Niederschlagsdefiziten traten immer wieder auf, die stärksten Niederschlagsdefizite der letzten 210 Jahre gab es in den 1860er und 1940er Jahren [7].
Die Niederschlagsdefizite der letzten Jahre trafen aber mit einer in den letzten Jahrzehnten gestiegenen Verdunstung zusammen, so dass sich die Dürren der letzten Jahre zu sehr intensiven Bodenfeuchtedürren entwickelten. Die Trends zu mehr Verdunstung [8] lassen sich teilweise auf den Klimawandel, teilweise auf verbesserte Luftqualität seit den 1980er Jahren zurückführen.
Erstens ist durch sinkende Aerosolkonzentrationen die Sonnenscheindauer gestiegen [9]; zweitens sind die Temperaturen vor allem durch den menschgemachten Klimawandel, aber auch durch die sinkenden Aerosolkonzentrationen gestiegen [9]; und drittens ist, als direkte Folge der Temperaturänderungen, die Vegetationsperiode, während der die Pflanzen dem Boden Wasser entziehen, länger geworden [10].

Auch der Sommer 2022 war vor allem in Kärnten, der Steiermark, dem Burgenland und Wien sehr trocken, von der Rekordhitze und Dürre in weiten Teilen Europas wurde Österreich aber verschont. Auslöser dieses Klimaextrems war ein stabiles Hochdruckgebiet über den Britischen Inseln, der Klimawandel erhöhte die Temperaturen zusätzlich und verstärkte damit auch die Austrocknung des Bodens [11]. Vor allem Spanien, Frankreich und die Po-Ebene in Italien waren betroffen. Zum Auftreten der auslösenden Wetterlage finden sich jedoch keine Langzeittrends [12].

Sommerdürren der Zukunft

Auch bezüglich Klimaprojektionen muss zwischen den Niederschlagsdefiziten der meteorologischen Dürren und Bodenfeuchtedürren unterschieden werden.
Für Sommerniederschläge wird generell ein Rückgang über dem Alpenraum erwartet, nur wenige Klimamodelle simulieren eine leichte Zunahme [12]. Dieser Niederschlag wird außerdem an weniger Tagen fallen. Diesen Trends steht eine Zunahme des Niederschlags im Winter und Frühling entgegen [12]. Entscheidend für langanhaltende meteorologische Dürren ist die Häufigkeit und Dauer von blockierenden Hochdruckgebieten, die wiederum durch den polaren Jetstream bestimmt werden. Änderungen in diesen Wetterphänomenen sind jedoch mit großen Unsicherheiten behaftet [9], so dass unser Wissen über meteorologische Sommerdürren, definiert als reine Niederschlagsdefizite, im Klimawandel noch sehr begrenzt ist. Feuchte und trockene Dekaden werden jedoch immer wieder auftreten.

Mit steigenden Temperaturen wird die Verdunstung weiter zunehmen, so dass Bodenfeuchtedürren in Europa häufiger und länger auftreten und auch größere Flächen betreffen werden [13]. Diese Ergebnisse zeigen sich insbesondere auch für Österreich [14].

Douglas Maraun ist Leiter der Forschungsgruppe Regionales Klima an der Universität Graz

Laurenz Roither ist Mitarbeiter am Climate Change Centre Austria (CCCA)

CCCA Fact Sheet #45 | 2023, CC BY-NC-SA

Titelfoto: CIMMYT Images via flickr, CC BA-NC-SA


[1] Dai, A. (2011). Drought under global warming: a review. Wiley Interdisciplinary Reviews: Climate Change, 2(1), 45-65.
[2] Bastos, A., Ciais, P., Friedlingstein, P., Sitch, S., Pongratz, J., Fan, L., … & Zaehle, S. (2020). Direct and seasonal legacy effects of the 2018 heat wave and drought on European ecosystem productivity. Science advances, 6(24), eaba2724.
[3] Tallaksen, L.M., Van Lanen, H.A.J., 2023. Hydrological drought: processes and estimation methods for streamflow and groundwater, 2nd edition, Developments in water science. Elsevier. ISBN: 9780128190821.
[4] Van Loon, A. F., Gleeson, T., Clark, J., Van Dijk, A. I., Stahl, K., Hannaford, J., … & Van Lanen, H. A. (2016). Drought in the Anthropocene. Nature Geoscience, 9(2), 89-91.
[5] Yuan, X., Wang, Y., Ji, P., Wu, P., Sheffield, J., & Otkin, J. A. (2023). A global transition to flash droughts under climate change. Science, 380(6641), 187-191.
[6] Ionita, M., Tallaksen, L. M., Kingston, D. G., Stagge, J. H., Laaha, G., Van Lanen, H. A., … & Haslinger, K. (2017). The European 2015 drought from a climatological perspective. Hydrology and Earth System Sciences, 21(3), 1397-1419.
[7] Haslinger, K., & Blöschl, G. (2017). Space‐time patterns of meteorological drought events in the European Greater Alpine Region over the past 210 Years. Water Resources Research, 53(11), 9807-9823.
[8] Duethmann, D., & Blöschl, G. (2018). Why has catchment evaporation increased in the past 40 years? A data-based study in Austria. Hydrology and Earth System Sciences, 22(10), 5143-5158.
[9] IPCC (2021) Climate Change 2021: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change.
[10] IPCC (2022) Climate Change 2022: Impacts, Adaptation and Vulnerability. Contribution of Working Group II to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change.
[11] Faranda, D., Pascale, S., & Bulut, B. (2023). Persistent anticyclonic conditions and climate change exacerbated the exceptional 2022 European-Mediterranean drought. Environmental Research Letters.
[12] Ritzhaupt, N., & Maraun, D. (2023). Consistency of seasonal mean and extreme precipitation projections over Europe across a range of climate model ensembles. Journal of Geophysical Research: Atmospheres, 128(1), e2022JD037845.
[13] Samaniego, L., Thober, S., Kumar, R., Wanders, N., Rakovec, O., Pan, M., … & Marx, A. (2018). Anthropogenic warming exacerbates European soil moisture droughts. Nature Climate Change, 8(5), 421-426.
[14] Haslinger, K., Schöner, W., Abermann, J., Laaha, G., Andre, K., Olefs, M., and Koch, R.: Apparent contradiction in the projected climatic water balance for Austria: wetter conditions on average versus higher probability of meteorological droughts, Nat. Hazards Earth Syst. Sci., 23, 2749–2768, https://doi. org/10.5194/nhess-23-2749-2023, 2023.

FacebookrssyoutubeinstagramFacebookrssyoutubeinstagram
Folge uns auch auf Bluesky

Können sich Tiere, Pflanzen und Pilze an (menschengemachte) Klimaveränderungen anpassen?
von Anja Marie Westram

FacebookredditlinkedinmailFacebookredditlinkedinmail
Lesedauer 6 Minuten.   

Beutetiere schützen sich durch Tarnfarben vor Fressfeinden. Fische können sich durch ihre längliche Form schnell im Wasser bewegen. Pflanzen locken mit Duftstoffen Bestäuberinsekten an: Anpassungen von Lebewesen an ihre Umwelt sind allgegenwärtig. Solche Anpassungen sind in den Genen des Organismus festgelegt und durch Evolutionsprozesse über Generationen entstanden – anders als zum Beispiel viele Verhaltensweisen werden sie also nicht spontan im Laufe des Lebens durch die Umwelt beeinflusst. Eine sich schnell verändernde Umwelt führt deshalb zu „Fehlanpassungen“. Physiologie, Farbe oder Körperbau sind dann nicht mehr auf die Umwelt abgestimmt, sodass Fortpflanzung und Überleben erschwert sind, die Populationsgröße abnimmt und die Population eventuell sogar ausstirbt.

Die menschengemachte Zunahme von Treibhausgasen in der Atmosphäre verändert die Umwelt auf vielfältige Weise. Bedeutet das, dass viele Populationen nicht mehr gut angepasst sind und aussterben werden? Oder können sich Lebewesen auch an diese Veränderungen anpassen? Werden im Laufe einiger Generationen also Tiere, Pflanzen und Pilze entstehen, die besser mit zum Beispiel Hitze, Trockenheit, Versauerung der Meere oder reduzierter Eisbedeckung von Gewässern umgehen und somit den Klimawandel gut überstehen können?

Arten folgen dem Klima, an das sie bereits angepasst sind, und sterben lokal aus

Tatsächlich haben Laborexperimente gezeigt, dass sich Populationen mancher Arten an veränderte Bedingungen anpassen können: In einem Experiment an der Vetmeduni Wien zum Beispiel legten Taufliegen nach etwas mehr als 100 Generationen (keine lange Zeit, da sich Taufliegen schnell vermehren) unter warmen Temperaturen deutlich mehr Eier und hatten ihren Stoffwechsel verändert (Barghi et al., 2019). In einem anderen Experiment konnten sich Miesmuscheln an saureres Wasser anpassen (Bitter et al., 2019). Und wie sieht es in der Natur aus? Auch dort zeigen einige Populationen Hinweise auf Anpassung an veränderte Klimabedingungen. Der Bericht der Arbeitsgruppe II des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) fasst diese Ergebnisse zusammen und betont, dass diese Muster vor allem bei Insekten gefunden wurden, die zum Beispiel als Anpassung an längere Sommer später mit ihrer „Winterpause“ beginnen (Pörtner et al., 2022).

Leider legen wissenschaftliche Studien zunehmend nahe, dass (ausreichende) evolutionäre Anpassung an die Klimakrise wahrscheinlich eher die Ausnahme als die Regel ist. Die Verbreitungsgebiete zahlreicher Arten verschieben sich in höhere Lagen oder in Richtung der Pole, wie ebenfalls im IPCC-Bericht zusammengefasst wurde (Pörtner et al., 2022). Die Arten „folgen“ also dem Klima, an das sie bereits angepasst sind. Lokale Populationen am wärmeren Rand des Verbreitungsgebietes passen sich oft nicht an, sondern wandern ab oder sterben aus. Eine Studie zeigt zum Beispiel, dass bei 47% der 976 analysierten Tier- und Pflanzenarten Populationen am wärmeren Rand des Verbreitungsgebietes (kürzlich) ausgestorben sind (Wiens, 2016). Arten, für die eine ausreichende Verschiebung des Verbreitungsgebietes nicht möglich ist – zum Beispiel, weil ihre Verbreitung auf einzelne Seen oder Inseln beschränkt ist – können auch komplett aussterben. Eine der ersten nachweislich durch die Klimakrise ausgestorbenen Arten ist die Bramble-Cay-Mosaikschwanzratte: Sie kam nur auf einer kleinen Insel im Great Barrier Reef vor und konnte wiederholten Überschwemmungen und klimabedingten Vegetationsveränderungen nicht ausweichen (Waller et al., 2017).

Für die meisten Arten ist eine ausreichende Anpassung unwahrscheinlich

Wie viele Arten bei zunehmender Klimaerhitzung und Meeresversauerung zu ausreichender Anpassung fähig sein werden und wie viele (lokal) aussterben werden, lässt sich nicht genau vorhersagen. Zum einen sind schon die Klimaprognosen selbst mit Unsicherheiten behaftet und können oft nicht kleinräumig genug getroffen werden. Zum anderen müsste man, um eine Vorhersage für eine Population oder Art zu treffen, deren für Klimaanpassungen relevante genetische Vielfalt messen – und das ist selbst mit kostspieligen DNA-Sequenzierungen oder aufwändigen Experimenten schwierig. Aus der Evolutionsbiologie wissen wir aber, dass für viele Populationen eine ausreichende Anpassung unwahrscheinlich ist:

  • Schnelle Anpassung benötigt genetische Vielfalt. Im Hinblick auf die Klimakrise bedeutet genetische Vielfalt, dass Individuen in der Ausgangspopulation durch genetische Unterschiede zum Beispiel unterschiedlich gut mit hohen Temperaturen zurechtkommen. Nur wenn diese Vielfalt vorliegt, können bei Erwärmung die warm-angepassten Individuen in der Population zunehmen. Die genetische Vielfalt hängt von vielen Faktoren ab – zum Beispiel von der Größe der Population. Arten, deren natürliches Verbreitungsgebiet klimatisch unterschiedliche Lebensräume einschließt, haben einen Vorteil: Genvarianten bereits warm-angepasster Populationen können in wärmer werdende Gebiete „transportiert“ werden und kalt-angepassten Populationen beim Überleben helfen. Wenn Klimaveränderungen dagegen zu Bedingungen führen, an die bis jetzt keine Population der Art angepasst ist, ist oft nicht genug nützliche genetische Vielfalt vorhanden – genau das passiert in der Klimakrise, vor allem am wärmeren Rand von Verbreitungsgebieten (Pörtner et al., 2022).
  • Umweltanpassung ist komplex. Die Klimaveränderung selbst stellt oft mehrfache Anforderungen (Veränderungen von Temperatur, Niederschlag, Sturmhäufigkeit, Eisbedeckung…). Dazu kommen indirekte Effekte: Das Klima wirkt sich auch auf andere Arten im Ökosystem aus, und damit zum Beispiel auf die Verfügbarkeit von Futterpflanzen oder die Anzahl der Fressfeinde. Viele Baumarten sind beispielsweise nicht nur größerer Trockenheit, sondern auch mehr Borkenkäfern ausgesetzt, da letztere von Wärme profitieren und mehr Generationen pro Jahr produzieren. Ohnehin geschwächte Bäume werden also noch zusätzlich belastet. In Österreich betrifft dies zum Beispiel die Fichte (Netherer et al., 2019). Je mehr unterschiedliche Herausforderungen die Klimakrise also stellt, desto unwahrscheinlicher wird eine erfolgreiche Anpassung.
  • Das Klima verändert sich durch menschliche Einflüsse zu schnell. Viele Anpassungen, die wir in der Natur beobachten, sind über tausende oder Millionen von Generationen entstanden – das Klima verändert sich dagegen momentan innerhalb weniger Jahrzehnte drastisch. Bei Arten, die eine kurze Generationszeit haben (sich also rasch vermehren), läuft die Evolution relativ schnell ab. Das könnte teilweise erklären, warum Anpassungen an menschengemachte Klimaveränderungen häufig bei Insekten festgestellt wurden. Dagegen brauchen große, langsam wachsende Arten, wie zum Beispiel Bäume, oft viele Jahre, bis sie sich reproduzieren. Das macht es sehr schwierig, mit der Klimaveränderung Schritt zu halten.
  • Anpassung bedeutet nicht Überleben. Populationen können sich durchaus in gewissem Maß an Klimaveränderungen angepasst haben – also zum Beispiel Hitzewellen heute besser überstehen als vor der industriellen Revolution – ohne dass diese Anpassungen ausreichen, langfristig Erhitzungen um 1,5, 2 oder 3°C zu überstehen. Zusätzlich ist wichtig, dass evolutionäre Anpassung auch immer bedeutet, dass schlechter angepasste Individuen wenige Nachkommen haben oder ohne Nachkommen sterben. Wenn das zu viele Individuen betrifft, sind die Überlebenden vielleicht besser angepasst – die Population kann aber trotzdem so sehr schrumpfen, dass sie früher oder später ausstirbt.
  • Manche Umweltveränderungen lassen keine schnellen Anpassungen zu. Wenn sich ein Lebensraum grundlegend verändert, ist Anpassung schlicht nicht vorstellbar. Fischpopulationen können sich nicht an ein Leben in einem ausgetrockneten See anpassen, und Landtiere überleben nicht, wenn ihr Lebensraum überflutet wird.
  • Die Klimakrise ist nur eine von mehreren Bedrohungen. Anpassung ist umso schwieriger, je kleiner die Populationen, je fragmentierter der Lebensraum, und je mehr Umweltveränderungen zeitgleich auftreten (siehe oben). Der Mensch erschwert Anpassungsprozesse durch Bejagung, Lebensraumzerstörung und Umweltverschmutzung also noch zusätzlich.

Was kann gegen das Aussterben unternommen werden?

Was kann man tun, wenn keine Hoffnung besteht, dass sich die meisten Arten erfolgreich anpassen? Das Aussterben lokaler Populationen wird kaum zu verhindern sein – aber zumindest können verschiedene Maßnahmen dem Verlust ganzer Arten und dem Zusammenschrumpfen von Verbreitungsgebieten entgegenwirken (Pörtner et al., 2022). Schutzgebiete sind wichtig, um Arten dort, wo sie gut genug angepasst sind, zu erhalten, und um vorhandene genetische Vielfalt zu bewahren. Wichtig ist außerdem die Vernetzung der unterschiedlichen Populationen einer Art, sodass warm-angepasste genetische Varianten sich gut verbreiten können. Zu diesem Zweck werden Natur“korridore“ eingerichtet, die geeignete Lebensräume miteinander verbinden. Das kann schon eine Hecke sein, die in einem landwirtschaftlich genutzten Gebiet verschiedene Baumbestände oder Schutzgebiete verbindet. Etwas umstrittener ist die Methode, Individuen bedrohter Populationen aktiv in Gebiete (zum Beispiel in höheren Lagen oder höheren Breitengraden) zu transportieren, in denen sie besser angepasst sind.

Bei all diesen Maßnahmen sind die Folgen jedoch nicht genau abzuschätzen. Auch wenn sie helfen können, einzelne Populationen und ganze Arten zu erhalten, reagiert doch jede Art anders auf Klimaveränderungen. Verbreitungsgebiete verschieben sich auf unterschiedliche Weise, und Arten treffen in neuen Kombinationen aufeinander. Interaktionen wie zum Beispiel Nahrungsketten können sich so grundlegend und unvorhersagbar verändern. Die beste Methode, Biodiversität und ihren unschätzbaren Nutzen für die Menschheit angesichts der Klimakrise zu erhalten, ist damit immer noch eine wirksame und schnelle Bekämpfung der Klimakrise selbst.


Barghi, N., Tobler, R., Nolte, V., Jakšić, A. M., Mallard, F., Otte, K. A., Dolezal, M., Taus, T., Kofler, R., & Schlötterer, C. (2019). Genetic redundancy fuels polygenic adaptation in Drosophila. PLOS Biology, 17(2), e3000128. https://doi.org/10.1371/journal.pbio.3000128

Bitter, M. C., Kapsenberg, L., Gattuso, J.-P., & Pfister, C. A. (2019). Standing genetic variation fuels rapid adaptation to ocean acidification. Nature Communications, 10(1), Article 1. https://doi.org/10.1038/s41467-019-13767-1

Netherer, S., Panassiti, B., Pennerstorfer, J., & Matthews, B. (2019). Acute drought is an important driver of bark beetle infestation in Austrian Norway spruce stands. Frontiers in Forests and Global Change, 2. https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/ffgc.2019.00039

Pörtner, H.-O., Roberts, D. C., Tignor, M. M. B., Poloczanska, E. S., Mintenbeck, K., Alegría, A., Craig, M., Langsdorf, S., Löschke, S., Möller, V., Okem, A., & Rama, B. (Eds.). (2022). Climate Change 2022: Impacts, Adaptation and Vulnerability. Contribution of Working Group II to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change.

Waller, N. L., Gynther, I. C., Freeman, A. B., Lavery, T. H., Leung, L. K.-P., Waller, N. L., Gynther, I. C., Freeman, A. B., Lavery, T. H., & Leung, L. K.-P. (2017). The Bramble Cay melomys Melomys rubicola (Rodentia: Muridae): A first mammalian extinction caused by human-induced climate change? Wildlife Research, 44(1), 9–21. https://doi.org/10.1071/WR16157

Wiens, J. J. (2016). Climate-related local extinctions are already widespread among plant and animal species. PLOS Biology, 14(12), e2001104. https://doi.org/10.1371/journal.pbio.2001104

FacebookrssyoutubeinstagramFacebookrssyoutubeinstagram
Folge uns auch auf Bluesky

Wissenschaftler:innen verteidigen Gesetz zur Wiederherstellung der Natur

FacebookredditlinkedinmailFacebookredditlinkedinmail
Lesedauer < 1 Minute.   

Die öffentliche Debatte über das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law) und die Verordnung zur nachhaltigen Nutzung (Sustainable Use Regulation) wird derzeit von von Fehlinformationen angetrieben, die möglicherweise dazu führen, dass beide Verordnungen außer Kraft gesetzt werden.
Vor diesem Hintergrund hat eine Gruppe von Wissenschaftlern (unter der Leitung von Guy Pe’er, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, Deutschland) einen Brief zusammengestellt, in dem sie die wichtigsten Behauptungen der Gegner beider Verordnungen auflisten und ihnen wissenschaftliche Beweise gegenüberstellen. In dem Brief geht es insbesondere um die Frage, ob die Regelungen geeignet sind, die landwirtschaftliche Produktion zu verringern, der Meeresfischerei zu schaden, Arbeitsplätze abzubauen, eine Belastung für die Gesellschaft darzustellen und ob sie in Kriegszeiten zu riskant sind. Wissenschaftliche Erkenntnisse deuten darauf hin, dass alle diese Behauptungen falsch sind.
https://www.idiv.de/fileadmin/content/Files_CAP_Fitness_Check/ENGLISH_SPM_Scientists_support_Green_Deal_and_reject_attack_on_SUR_and_NRL_11.6.23.pdf

FacebookrssyoutubeinstagramFacebookrssyoutubeinstagram
Folge uns auch auf Bluesky

Die klimafreundliche Kuh

FacebookredditlinkedinmailFacebookredditlinkedinmail
Lesedauer 4 Minuten.   

von Martin Auer

Nicht die Kuh, sondern die industrielle Landwirtschaft ist der Klimaschädling, argumentiert die Tierärztin Anita Idel – eine der Lead-Autor:innen des Weltagrarberichts 2008[1] –  in dem gemeinsam mit der Agrarwissenschaftlerin Andrea Beste herausgegebenen Buch „Vom Mythos der klimasmarten Landwirtschaft“[2]. Die Kuh hat unter Klimaschützer:innen einen schlechten Ruf, weil sie Methan rülpst. Das ist tatsächlich schlecht fürs Klima, denn Methan (CH4) heizt die Atmosphäre 25 Mal so stark auf wie CO2. Doch hat die Kuh auch ihre klimafreundlichen Seiten.

Die klimafreundliche Kuh lebt hauptsächlich auf der Weide. Sie frisst Gras und Heu und kein Kraftfutter. Die klimafreundliche Kuh ist nicht auf Extremleistung hochgezüchtet. Sie gibt nur 5.000 Liter Milch pro Jahr statt 10.000 der 12.000. Denn so viel schafft sie allein mit Gras und Heu als Futter. Pro Liter Milch, den sie gibt, rülpst die klimafreundliche Kuh tatsächlich mehr Methan als die Hochleistungskuh. Doch diese Rechnung erzählt  nicht die ganze Geschichte. Die klimafreundliche Kuh frisst dem Menschen nicht Getreide, Mais und Soja weg. 50 Prozent der globalen Getreideernte landen heute im Futtertrog von Kühen, Schweinen und Geflügel. Darum ist es auch vollkommen richtig, dass wir unseren Konsum von Fleisch und Milchprodukten reduzieren müssen. Denn für diese ständig wachsenden Mengen an Futterpflanzen werden Wälder abgeholzt und Grasland umgebrochen. Beides sind „Landnutzungsänderungen“, die äußerst klimaschädlich sind. Würden wir Getreide nicht verfüttern, könnte viel weniger Land viel mehr Menschen ernähren. Beziehungsweise könnte man mit weniger intensiven, dafür schonenderen Anbaumethoden arbeiten. Doch die klimafreundliche Kuh frisst Gras, das für Menschen unverdaulich ist. Darum müssen wir auch bedenken, auf welches Fleisch und welche Milchprodukte wir verzichten sollten. Von 1993 bis 2013 wurde zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen der Bestand an Milchkühen mehr als halbiert. Die verbleibenden Kühe produzierten allerdings mehr Milch als 20 Jahre zuvor alle zusammen. Man hatte die klimafreundlichen Kühe abgeschafft, die darauf gezüchtet waren, ihre Leistung wesentlich von Gras und Weide zu erbringen. Geblieben waren die Hochleistungskühe, die auf Kraftfutter von stickstoffgedüngten Äckern angewiesen sind, das zum Teil noch importiert werden muss. Damit gibt es zusätzliche CO2-Quellen beim Transport.

Von der Umwandlung von Gras- in Ackerland zur Produktion von Viehfutter profitieren vor allem die Industrien, die die landwirtschaftlichen Betriebe beliefern oder die Produkte weiterverarbeiten. Also die chemische Industrie mit Saatgut, Mineral- und Stickstoffdünger, Pestiziden, Futtermitteln, Antibiotika, Antiparasitika, Hormonen; die Landmaschinenindustrie, die Stalleinrichtungsfirmen und die Tierzuchtbetriebe; Transportunternehmen, Molkerei-, Schlacht und Lebensmittelkonzerne. Für die klimafreundliche Kuh interessieren sich diese Industrien nicht. Denn an ihr können sie kaum etwas verdienen. Weil sie nicht auf Extremleistung hochgezüchtet ist, lebt die klimafreundliche Kuh länger, wird seltener krank und muss nicht mit Antibiotika vollgepumpt werden. Das Futter der klimafreundlichen Kuh wächst da, wo sie ist und muss nicht von weit her transportiert werden. Der Boden, auf dem das Futter wächst, muss nicht mit diversen energiefressenden Landmaschinen bearbeitet werden. Er braucht keine Stickstoffdüngung und verursacht so keine Lachgasemissionen. Und Lachgas (N2O), das im Boden entsteht, wenn der Stickstoff nicht vollkommen von den Pflanzen aufgenommen wird, ist 300 Mal so klimaschädlich wie CO2. Tatsächlich verursacht Lachgas den größten Beitrag der Landwirtschaft zum Klimawandel. 

Foto: Nuria Lechner

Gräser haben sich über Millionen Jahre gemeinsam mit Rind und Schaf und Ziege und deren Verwandten entwickelt: in Koevolution. Darum ist Weideland von Weidetieren abhängig. Die klimafreundliche Kuh fördert durch ihren Biss das Graswachstum, ein Effekt, den wir vom Rasenmähen kennen. Dabei geschieht das Wachstum vor allem unterirdisch, im Wurzelbereich. Die Wurzeln und Feinwurzeln der Gräser erreichen das Doppelte bis zwanzigfache der oberirdischen Biomasse.  So trägt die Beweidung zur Humusbildung und zur Kohlenstoffspeicherung im Boden bei.  Jede Tonne Humus enthält eine halbe Tonne Kohlenstoff, was die Atmosphäre um 1,8 Tonnen CO2 entlastet. Insgesamt leistet diese Kuh mehr für das Klima, als sie durch das Methan, das sie rülpst, schadet. Je mehr Graswurzeln, umso besser kann der Boden Wasser speichern. Das dient dem Hochwasserschutz und der Widerstandsfähigkeit gegen Dürre. Und gut durchwurzelter Boden wird nicht so schnell weggespült. So hilft die klimafreundliche Kuh, die Bodenerosion zu verringern und Biodiversität zu erhalten. Freilich nur, wenn sich die Beweidung in nachhaltigen Grenzen hält. Gibt es zu viele Kühe, kann das Gras nicht schnell genug nachwachsen und die Wurzelmasse nimmt ab. Die Pflanzen, die die Kuh frisst, sind mit Mikroorganismen besetzt. Und die Kuhfladen, die sie hinterlässt, sind ebenfalls mit Bakterien angereichert. So hat sich im Lauf der Evolution eine Interaktion zwischen der ober- und unterirdischen Lebenssphäre der Bakterien entwickelt. Das ist unter anderem ein Grund, warum gerade Rinderexkremente die Bodenfruchtbarkeit besonders fördern. Die fruchtbaren Schwarzerdeböden in der Ukraine, in der Puszta, in der rumänischen Tiefebene, in den deutschen Tieflandbuchten und in vielen anderen Gegenden sind durch jahrausendelange Beweidung entstanden. Heute werden dort im Ackerbau hohe Erträge erzielt, doch die intensive Landwirtschaft entzieht dem Boden den Kohlenstoffgehalt in teilweise alarmierendem Tempo. 

40 Prozent der bewachsenen Landoberfläche der Erde sind Grasland. Neben dem Wald ist es das größte Biom der Erde. Seine Lebensräume reichen von extrem trocken bis extrem nass, von extrem heiß bis extrem kalt. Auch oberhalb der Baumgrenze gibt es noch Grasland, das beweidet werden kann. Grasgesellschaften sind auch kurzfristig sehr anpassungsfähig, denn sie sind Mischkulturen. Die Samen im Boden sind vielfältig und können je nach Umweltbedingungen keimen und wachsen. So sind Grasgesellschaften sehr widerstandsfähige – „resiliente“ – Systeme. Auch ihre Vegetationsperiode beginnt früher und endet später als die von Laubbäumen. Bäume bilden mehr Biomasse über der Erde als Gräser. Doch im Boden unter Grasland ist viel mehr Kohlenstoff gespeichert als in Waldböden. Als Viehweide macht Grasland zwei Drittel der gesamten landwirtschaftliche genutzten Fläche aus und bietet einem Zehntel der Weltbevölkerung die entscheidende Lebensgrundlage. Feuchtwiesen, Almen, Steppen und Savannen zählen nicht nur zu den größten Kohlenstoffspeichern, sondern bieten auch die größte Nährstoffbasis zur Proteinbildung auf der Erde. Denn der größte Teil der globalen Landfläche ist zur langfristigen Ackernutzung nicht geeignet. Für die menschliche Ernährung lassen sich diese Flächen nachhaltig nur als Weideland nutzen. Würden wir gänzlich auf tierische Produkte verzichten, würden wir die wertvolle Leistung der klimafreundlichen Kuh für die Erhaltung und Verbesserung der Böden, für Kohlenstoffspeicherung und Erhaltung der Biodiversität verlieren. 

Die 1,5 Milliarden Rinder, die heute unseren Planeten bevölkern, sind ganz sicher zu viel. Aber wie viele klimafreundliche Kühe könnte es geben? Die Antwort auf diese konkrete Frage finden wir in dieser Studie nicht. Sie könnte wohl nur spekulativ sein. Zur Orientierung kann man sich vor Augen halten, dass um 1900, also vor der Erfindung und dem massenhaften Einsatz von Stickstoffdünger, nur etwas über 400 Millionen Rinder auf der Erde lebten[3]Und noch ein Punkt ist wichtig: Nicht jede Kuh, die sich von Gras ernährt, ist klimafreundlich: 60 Prozent der Grasländer sind mittel oder stark überweidet und von Bodenzerstörung bedroht[4] Auch für die Weidewirtschaft ist ein kluges nachhaltiges Management notwendig. 

Dass Bäume wichtig für den Klimaschutz sind, hat sich inzwischen herumgesprochen. Es wird Zeit,  dass auch dem Ökosystem Grasland die notwendige Aufmerksamkeit zuteil wird.

Titelfoto: Nuria Lechner
Gesichtet: Hanna Faist


[1]    https://www.unep.org/resources/report/agriculture-crossroads-global-report-0

[2]    Idel, Anita; Beste, Andrea (2018): Vom Mythos der klimasmarten Landwirtschaft. oder Warum weniger vom Schlechten nicht gut ist. Wiesbaden: Die Grünen Europäische Freie Allianz im Europäischen Parlament.

[3]    https://ourworldindata.org/grapher/livestock-counts

[4]    Piipponen, J., Jalava, M., de Leeuw, J., Rizayeva, A., Godde, C., Cramer, G., Herrero, M., & Kummu, M. (2022). Global trends in grassland carrying capacity and relative stocking density of livestock. Global Change Biology, 28, 3902– 3919. https://doi.org/10.1111/gcb.16174

FacebookrssyoutubeinstagramFacebookrssyoutubeinstagram
Folge uns auch auf Bluesky

Dürre und Verbauungen gefährden Grundwasserspiegel, Seen, Flüsse und Agrarflächen

FacebookredditlinkedinmailFacebookredditlinkedinmail
Lesedauer < 1 Minute.   

„Der Klimawandel mit starken Niederschlagsdefiziten, die Versiegelung der Böden und die Regulierung der Flüsse mit daraus folgenden Erosionen des Flussbettes wirken sich nachhaltig negativ auf den Grundwasserspiegel aus“, erklärte Univ.Prof. DDr Helmut Habersack von der Universität für Bodenkultur bei einem Pressegespräch der Österreichischen Hagelversicherung. Dürreschäden bei Herbstkulturen wie Mais, Sojabohnen, Kürbis, Kartoffeln und Sonnenblumen werden heuer rund 100 Mio Euro betragen. Während in den 80iger Jahren alle zehn Jahre eine Dürre aufgetreten ist, treten große Dürreereignisse in Österreich nun durchschnittlich jedes zweite Jahr auf. See- und Flusswasserstände in Österreich sind auf einem langjährigen Tiefpunkt. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, ist ein Rückbau von Flüssen und Feuchtgebieten sowie die Reduktion des Bodenverbrauchs notwendig. Allein in den letzten 25 Jahren wurden in Österreich 150.000 ha Agrarflächen verbaut, das entspricht der gesamten Agrarfläche des Burgenlands.
https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20220812_OTS0051/duerre-und-verbauungen-gefaehrden-grundwasserspiegel-seen-fluesse-und-agrarflaechen-anhaenge

FacebookrssyoutubeinstagramFacebookrssyoutubeinstagram
Folge uns auch auf Bluesky