Klima Overshoot: Gibt es ein Zurück nach 1,5 Grad Celsius?

Lesedauer 3 Minuten.   

Viele optimistische Vorhersagen für unsere Klimazukunft räumen ein, dass es uns nicht gelingen wird, die globale Erwärmung unter 1,5 Grad Celsius zu halten – gehen aber davon aus, dass wir der Katastrophe entkommen können, wenn wir nachträglich CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernen. Das könnte allerdings nur eine Illusion sein, argumentiert ein Leitartikel in der Zeitschrift Nature: Neue Forschungsergebnisse kommen zu dem Ergebnis, dass einige Erdsysteme wahrscheinlich nicht in ihr vorheriges Gleichgewicht zurückgeführt werden können, selbst wenn man davon ausgeht, dass die Entfernung des überschüssigen CO2 machbar ist.

Ein Team unter der Leitung von Carl-Friedrich Schleussner von Climate Analytics, einem gemeinnützigen Forschungsinstitut in Berlin, berichtet jüngst in der Zeitschrift Nature, dass selbst eine vorübergehende Temperaturüberschreitung dazu führen wird, dass sich die Klimaauswirkungen über die nächsten Jahrzehnte hinweg akkumulieren ( C.F Schleussner et al ., Nature 634 , 366-373; 2024).

Zu diesen Auswirkungen würden heftigere Stürme, Hitzewellen und die Zerstörung von Ökosystemen gehören, und es würde alles andere als einfach sein, genügend CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen, um den Kurs umzukehren.
Es ist nicht so, dass Methoden zur Kohlenstoffentfernung nicht funktionieren. Manche funktionieren. Die einfachste ist natürlich das Pflanzen von Bäumen, oder besser gesagt, die Schaffung und Wiederherstellung von natürlichen Kohlenstoffsenken wie Wäldern, Mooren und Feuchtgebieten, Mangrovenwäldern, Seegraswiesen und so weiter. Komplexere Maßnahmen umfassen die direkte Extraktion von Kohlenstoff aus der Atmosphäre. Wenn die derzeitigen Emissionen ungebremst weitergehen, müssten, wie Schleussner und seine Kollegen schätzen, bis zum Jahr 2100 bis zu 400 Gigatonnen CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden, um die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.

400 Gigatonnen CO2 enthalten 109 Gigatonnen Kohlenstoff, das ist fast ein Sechstel des derzeit in den Wäldern der Erde gespeicherten Kohlenstoffs. Die Wälder, die diesen Kohlenstoff ab 2050 aufnehmen sollen, müssten jetzt gepflanzt werden, weil nur reife Wälder die erforderliche Aufnahmekapazität haben. Tatsächlich verlieren wir aber derzeit jährlich 0,33 Prozent unserer Wälder.

Derzeit wird viel über CO2-Abscheidung gesprochen und geschrieben. Dabei geht es um unterschiedliche Verfahren mit unterschiedlichen Zwecken. CO2-Abscheidung und Nutzung (CCU: Carbon Capture and Utilization) soll CO2 aus Verbrennungsgasen (vor allem von Kraftwerken, Stahl- und Zementproduktionen) das Kohlenstoffdioxid herausfiltern und einer industriellen Nutzung zuführen. CO2-Abscheidung und Speicherung (CCS: Carbon Capture and Storage) soll das CO2 aus Verbrennungsgasen dauerhaft unterirdisch speichern. Beide Methoden verringern nicht den CO2-Gehalt der Atmosphäre. Es gelangt bloß weniger CO2 in die Atmosphäre als bei ungefilterter Verbrennung. Bei CCU gelangt das CO2 in den meisten Anwendungsbereichen überhaupt nur später in die Atmosphäre.

Um die Durchschnittstemperatur der Erdatmosphäre zu senken, muss jedoch der CO2-Gehalt der Atmosphäre verringert werden. Denn diese Temperatur ist abhängig von der absoluten Menge an CO2, die in der Atmosphäre enthalten ist. Zur technischen Verringerung des CO2-Gehalts kommt nur direkte Entnahme von CO2 aus der Luft und die anschließende Speicherung in Frage (DACS: Direct Air Capture and Storage). Hier werden große Mengen Luft mit riesigen Gebläsen durch einen Abscheideapparat geleitet. Das CO2 wird dort entweder in einer Flüssigkeit herausgewaschen oder an einen Feststoff gebunden. Anschließend wird das reine Gas je nachdem durch Verdampfen oder Erhitzen des Feststoffs entzogen.

Die größte derzeit geplante Anlage zur direkten Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre soll eine Kapazität von 500.000 Tonnen CO2 jährlich haben. Um die 400 Milliarden Tonnen zu bewältigen, müssten 16.000 solcher Anlagen 50 Jahre lang arbeiten. Die Kostenschätzungen für direkte Kohlenstoffentnahme bewegen sich zwischen 200 und 700 USD pro Tonne. Die Kosten würden sich also zwischen 80 und 280 Billionen Dollar bewegen.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass es möglich ist, diese Menge an CO2 beziehungsweise Kohlenstoff zu entfernen, werden einige Erdsysteme wahrscheinlich nicht zu ihrem vorherigen Gleichgewicht zurückkehren. Einige Veränderungen, wie der steigende Meeresspiegel, sich verändernde Ökosysteme und regionale Klimaveränderungen, werden wahrscheinlich von Dauer sein und nachhaltige Auswirkungen auf die Landwirtschaft und andere Industriezweige haben. Für viele Menschen wird das Klima, das sie nach einem Überschreiten der Zielvorgaben erleben werden, nicht das gleiche sein wie zuvor, selbst wenn die globalen Durchschnittstemperaturen auf das Niveau vor dem Überschreiten zurückkehren.

Gefahr von Kipppunkten

Darüber hinaus erhöhen höhere Temperaturen  –  selbst für kurze Zeit  –  das Risiko von Kipppunkten, die das Erdsystem oder Teile davon in einen völlig neuen Zustand versetzen könnten. Zu dieser Schlussfolgerung gelangen Annika Högner vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Tessa Möller vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse in Laxenburg, Österreich (T. Möller et al. Nature Commun. 15 , 6192; 2024) in einer im August veröffentlichten Studie.

Mit jedem weiteren Temperaturanstieg über 1,5 Grad Celsius nimmt das Risiko zu, klimatische Kipppunkte zu überschreiten. Und das wären Ereignisse, die nicht rückgängig gemacht werden können: Wenn der grönländische Eisschild zusammenbricht, kann er nicht wieder regeneriert werden, wenn der Amazonas-Regenwald sich in eine Savanne verwandelt, kann er nicht wieder zum Regenwald werden.

Regierungen und Industrie müssen sich mit aller Kraft auf die bevorstehenden Risiken und deren Eindämmung konzentrieren. Das bedeutet nichts weniger als die Emissionen drastisch zu senken und die Menschen durch Anpassungsmaßnahmen vor den Folgen der Klimaerhitzung möglichst zu schützen. Abzuwarten und die Atmosphäre später zu reinigen, wäre eine Katastrophe – für die Menschen und den Planeten.

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