Studie: Lamb, William F.; Mattioli, Giulio; Levi, Sebastian; Roberts, J. Timmons; Capstick, Stuart; Creutzig, Felix et al. (2020): Discourses of climate delay. In: Glob. Sustain. 3. DOI: 10.1017/sus.2020.13 .
Dieser Artikel kann gerne als Vortrag verwendet werden. Die Folien dazu finden sich in der Präsentationensammlung von Scientists for Future unter Autor*innenvorträge.
Im Zuge der Klimawandeldiskussion haben wir verschiedene Taktiken kennengelernt, um Maßnahmen gegen Klimawandel zu verhindern. Da gibt es die direkte Leugnung, dass der Klimawandel menschengemacht sei. Dann ein Herunterspielen der Auswirkungen des Klimawandels. Und schließlich direkte Angriffe auf die Person von Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen.
Eine vierte Variante hat bisher zu wenig Aufmerksamkeit bekommen: Diskurse, die anerkennen, dass der Klimawandel real ist, die aber darauf abzielen, Maßnahmen zu verhindern oder zumindest zu verzögern.
Die Autor*innen der Studie Discourses of Climate Delay (erschienen in der Zeitschrift Global Sustainability, herausgegeben von Cambridge University Press) haben diese Diskurse untersucht und vier Hauptgruppen herausgearbeitet:
1. Individualismus: Die Verantwortung abwälzen
Diese Taktik zielt darauf ab, den Einzelnen die Verantwortung für klimagerechtes Verhalten aufzubürden. Einige Beispiele: „Das Leitprinzip der Yale-Universität beruht darauf, dass der Konsum von fossilen Brennstoffen die Wurzel des Klimawandelproblems ist, nicht ihre Produktion“ (Yale-Universität). Oder die Social-Media-Kampagne von BP: „Unsere Kampagne ‚Kenne deinen CO2-Fußabdruck‘hat ein Erlebnis geschaffen, das Menschen nicht nur ermöglicht, ihren jährlichen CO2-Emissionen zu entdecken, sondern ihnen auch ermöglicht, auf vergnügliche Art darüber nachzudenken, wie sie sie verringern können, und ihre Selbstverpflichtungen mit der Welt zu teilen.“
Eine weitere Taktik, die Verantwortung abzuwälzen, ist Whataboutism, also die Rhetorik: „Und was ist mit …?“ Dabei wird mit dem Finger auf große CO2-Verursacher gezeigt wie zum Beispiel China. „Wir sind eine Nation, die 1,8 Prozent des globalen CO2 produziert, also verstehe ich nicht, warum wir unsere Aluminiumschmelzen, unsere Stahlproduktion und jetzt auch unsere Raffinerien schließen sollten.“ (Der UK-Politiker Nigel Farage). Ähnlich operieren einzelne Sektoren, wenn zum Beispiel der Transport-Sektor fordert, die Landwirtschaft sollte ebenfalls mit einem CO2-Preis belegt werden und umgekehrt die Landwirtschaft fordert, erst sollten die Leute kleinere Autos kaufen.
Oft wird auch das Trittbrettfahrer-Argument verwendet: Wenn nicht alle Individuen, alle Industrien oder alle Länder gleichzeitig ihre Emissionen reduzieren, dann wird irgendjemand von den Reduktionen anderer profitieren. Wie Donald Trump sagte: Beim Pariser Abkommen ginge es „weniger um das Klima als darum, dass andere Länder einen finanziellen Vorteil über die USA erlangen.“
2. Nicht-transformative Lösungen propagieren
In diese Kategorie fällt technologischer Optimismus: technologischer Fortschritt wird in der Zukunft rasche Verminderungen der Emissionen ermöglichen: „Die menschliche Erfindungsgabe ist unbegrenzt, auch wenn die Ressourcen der Erde begrenzt sind“, schreibt das Cato-Institut. Diese Hoffnungen sind in Einzelfällen gerechtfertigt, meinen die Autor*innen, werden aber oft von empirisch nicht haltbaren Behauptungen begleitet. „Man sagt mir, dass elektrische Flugzeuge schon am Horizont sind“ (UK-Gesundheitsminister Matt Hancock). Dazu gehört auch die Behauptung, Marktanreize allein würden genügen, um technologischen Fortschritt hervorzubringen, Regulierungen seinen nicht notwendig.
Eine weitere Taktik ist, fossile Energieträger als Teil der Lösung anzupreisen. Die amerikanische Ölindustrie pumpt zig Millionen Dollar in Werbung, die „sauberere“ fossile Brennstoffe anpreist.
Oft werden auch Erfolgskriterien so definiert, dass sie leicht erreicht werden können. Ambitionierte Klimaziele werden beschlossen, aber ohne konkrete Schritte zur Umsetzung. So kann sich eine Regierung vor der Bevölkerung rühmen, beim Klimaschutz weltführend zu sein.
Auf einer eher ideologischen Ebene scheuen viele Akteure davor zurück, restriktive Maßnahmen zu setzen. Die Autor*innen nennen dies: Keine Peitsche, nur Zuckerbrot („No sticks, just carrots“). Man befürwortet etwas den Bau von Hochgeschwindigkeitsbahnen, bezeichnet aber eine Vielflieger-Abgabe als zu „paternalistisch“ oder zu belastend für die Bevölkerung.
3. Die Nachteile betonen
Nicht selten werden die Kosten von Klimaschutzmaßnahmen ins Treffen geführt, ohne zu berücksichtigen, dass fehlender Klimaschutz noch weit höhere Kosten verursacht. Hier zielt man dann oft auf die einkommensschwächeren Gruppen, denen man nahelegt, dass auf sie besonders schwere Lasten zukommen.
Besonders gern wird hier soziale Gerechtigkeit ins Spiel gebracht: „Wir können nicht zulassen, dass Klimaschutz unseren Wohlstand und unsere Jobs gefährdet“ (der deutsche Wirtschafts- und Energieminister Peter Altmaier). Oder UK-Finanzminister Robert Jenrick: Eine Flugticket-Steuer würde „hart arbeitende Familien treffen und ihnen die Chance nehmen, einen Auslandsurlaub zu genießen“.
Eine andere Form dieses Diskurses zielt generell auf Wohlstand und Fortschritt ab: „Würden morgen keine fossilen Energien mehr verwendet, wären die ökonomischen Folgen katastrophal – zum Beispiel wäre Hungersnot die Folge, wenn den Traktoren der Sprit ausgeht“ ( David J. O’Donnell, Associate Director, Massachusetts Petroleum Council). „Fossile Brennstoffe so schnell wie möglich aufzugeben, wie viele Umweltaktivisten fordern, würde das Wachstum bremsen, das Milliarden von Menschen aus der Armut geholt hat“ (Bjørn Lomborg, Präsident des Copenhagen Consensus Centre).
Dann fällt in diese Kategorie noch der Maßnahmen-Perfektionismus. Hier wird ein besonders vorsichtiges Vorgehen gefordert, um nicht die öffentliche Unterstützung zu verlieren. So verteidigt Peter Altmaier einen niedrigen CO2-Preis mit dem Argument: „Wir haben auch eine Verantwortung für den sozialen Frieden in diesem Land“. Er übergeht dabei die Möglichkeiten, Überzeugungsarbeit zu leisten und einen öffentlichen Konsens für gerechte Klimaschutzmaßnahmen herbeizuführen.
4. Aufgeben
Hier wird in Zweifel gezogen, dass die Klimakatastrophe überhaupt noch abgewendet werden könne. Die politischen, sozialen oder biophysikalischen Herausforderungen seien einfach zu groß. „Die Emissionen in den nächsten fünf oder zehn Jahren komplett zu reduzieren, müssten wir radikal praktisch jede menschliche ökonomische und soziale Produktion neu orientieren, eine Aufgabe, die kaum vorstellbar und noch weniger durchführbar ist“ (Kommentar in der New York Times).
Eine Variante ist das Verbreiten von Weltuntergangsstimmung: Alles, was man tun könnte, ist sowieso zu wenig und kommt zu spät. „Die Klima-Apokalypse kommt. Um auf sie vorbereitet zu sein, müssen wir akzeptieren, dass wir sie nicht verhindern können“ (Kommentar im New Yorker).
Abschließend meinen die Autor*innen, dass alle diese Diskurse durchaus überzeugend sein können. Sie bauen auf berechtigten Bedenken und Befürchtungen auf. Doch sie werden zu Verzögerungstaktiken, wenn sie die Wirklichkeit verzerrt darstellen anstatt aufzuklären, wenn sie auf Gegnerschaft statt Konsens abzielen oder wenn sie unterstellen, dass Handeln nicht möglich sei.
Die Studie ist frei zugänglich
Titelbild: Nach https://pxhere.com/en/photo/1370585, CC 0, Bearbeitung: Martin Auer, CC BY
Durchgesehen: HF
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