Immer mehr Klimawissenschaftler:innen kommen zum Schluss, dass es nicht genügt, die Ergebnisse ihrer Forschungen den Regierungen zur Verfügung zu stellen, schreibt Daniel Grossman in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift nature1. Sie sind empört und verzweifelt darüber, dass immer düsterere Prognosen und immer schlimmere Extremwetterereignisse nicht die erforderlichen Handlungen hervorrufen. Als Beispiel zitiert der Beitrag die Geowissenschaftlerin Rose Abramoff und den Astrophysiker Peter Kalmus, die beide mit spektakulären Aktionen Festnahmen und den Verlust ihrer Jobs riskierten.
Kalmus zum Beispiel blockierte im April 2022 zusammen mit drei Kolleg:innen den Zugang zu einer Filiale der Bank J. P. Morgan in Los Angeles, die große Summen in fossile Unternehmen investiert. Er wurde wegen Besitzstörung festgenommen. Gemeinsam mit Abramoff störte er eine Konferenz der American Geophysical Union mit einem Banner der Scientist Rebellion. Abramoff verlor ihren Job beim Oak Ridge National Laboratory in Tennessee. Kalmus wurde von seinem Arbeitgeber Jet Propulsion Laboratory nur verwarnt.
Abramoffs politisches Erwachen geschah 2019, als sie diverse Kapitel des IPCC-Reports begutachtete. Der neutrale Ton des Dokuments, der der Größe der drohenden Katastrophe nicht gerecht wurde, empörte sie. Am 6. April 2022 kettete sie sich während eines Klimaprotests an den Zaun des weißen Hauses. Sie wurde am selben Tag festgenommen wie Kalmus auf der anderen Seite des Kontinents. Seither setzte sie 14 spektakuläre Aktionen, von denen sieben zu einer Festnahmen führten.
Das sind nur zwei Beispiele für eine ständig wachsende Gruppe Gruppe von Wissenschaftler:innen, die sich nicht mehr damit begnügen wollen, ihre erschütternden Erkenntnisse neutral formuliert in Papers und Zeitschriften zu veröffentlichen. Eine kürzlich veröffentlichte Studie von Fabian Dablander (Universität Amsterdam)2 hat ergeben, dass 90 Prozent von 9.220 befragten Forscher:innen der Ansicht sind, dass „fundamentale Veränderungen der sozialen, politischen und ökonomischen Systeme notwendig sind“. Für die Studie wurden Forscher:innen in 115 Ländern befragt, die zwischen 2020 und 2022 in wissenschaftlichen Journalen publiziert hatten. Die Befragung wurde an 250.000 Autor:innen verschickt. Studienautor Dablander räumt ein, dass vermutlich ein Ungleichgewicht zugunsten der politisch denkenden Autor:innen besteht, weil die eher bereit sein würden, den Fragebogen auszufüllen und zurückzuschicken. 78 Prozent der Antwortenden hatten Fragen des Klimawandels außerhalb ihrer Kollegenschaft diskutiert. 23 Prozent hatten sich an legalen Protesten beteiligt und 10 Prozent – beinahe 900 Wissenschaftler:innen – an Aktionen des zivilen Ungehorsams.. Der Unterschied zwischen Wissenschaftler:innen, die mit Klimafragen beschäftigt sind und Forscher:innen anderer Disziplinen ist deutlich: An Protesten beteiligten sich 2,5 Mal so viele Klimaforscher:innen wie Nichtklimaforscher:innen. Unter den Teilnehmer:innen an Aktionen des zivilen Ungehorsams überwogen Klimaforscher:innen 4:1.
Eine andere Studie von Viktoria Cologna (Universtät Zürich)3 von 2021 hat ergeben, dass von 1.100 Klimawissenschaftler:innen 90 Prozent sich zumindest einmal öffentlich in Klimafragen engagiert hatten, etwa durch Presseinterviews, Briefings für Entscheidungsträger:innen oder auf Social Media. Oft befürchten Wissenschaftler:innen, dass sie an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn sie sich politisch äußern. Doch Colognas Studie, die auch Nicht-Wissenschaftler:innen einbezog, ergab, dass 70 Prozent der Deutschen und 74 Prozent der Amerikaner:innen es begrüßen, wenn Wissenschaftler:innen sich aktiv für Klimaschutzmaßnahmen einsetzen.
Titelfoto: Stefan Müller via Wikimedia. CC BY – Aktivist von Scientist Rebellion, wird von der Polizei nach Brückenblockade unter Anwendung von Schmerzgriffen abgeführt.
1 Großmann, Daniel (2024): Scientists under arrest: the researchers taking action over climate change. In: Nature 626, 710-712 (2024) doi: https://doi.org/10.1038/d41586-024-00480-3, bzw. https://www.nature.com/articles/d41586-024-00480-3
2 Dablander, F., Sachisthal, M. & Haslbeck J. (2024): Going Beyond Research: Climate Actions by Climate and Non-Climate Researchers. Preprint at PsyArXiv https://doi.org/10.31234/osf.io/5fqtr
3 Cologna, V., Knutti, R., Oreskes, N. & Siegrist, M. (2021): Majority of German citizens, US citizens and climate scientists support policy advocacy by climate researchers and expect greater political engagement. In: Environ. Res. Lett. 16, 024011. https://dx.doi.org/10.1088/1748-9326/abd4ac
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