Forschungsgruppe zu Klimakommunikation: Konzentration auf Kipppunkte nicht geeignet, um Menschen zu aktivieren

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Eine Konzentration auf klimatische „Kipppunkte“ – Momente abrupter und irreversibler Veränderungen im Erdsystem wie etwa der Verlust des Amazonas-Regenwalds – sei nicht hilfreich, argumentiert eine interdisziplinäre Gruppe von zehn Forschern, zu der Klimawissenschaftler, Wissenschaftskommunikatoren und Umweltsoziologen gehören in der Zeitschrift Nature Climate Change. Die damit verbundenen Probleme seien zwar wichtig zu untersuchen, aber die Darstellung sei zu abstrakt und beängstigend, um sinnvolle Maßnahmen auszulösen, und nicht streng genug, um politische Entscheidungen zu beeinflussen, argumentieren sie. Sie empfehlen, dass Wissenschaftler die Idee nicht als wissenschaftliches Instrument verwenden und sie stattdessen als „ein schwammiges, grenzübergreifendes Konzept ähnlich der ‚Nachhaltigkeit‘“ betrachten.

Kipppunkte haben in den Debatten zum Klimawandel stark an Bedeutung gewonnen. Die Autor:innen kritisieren das „Kipppunkt“-Framing, weil esdie vielfältigen Dynamiken komplexer natürlicher und menschlicher Systeme zu stark vereinfacht und Dringlichkeit vermittelt, ohne eine sinnvolle Grundlage für Klimaschutzmaßnahmen zu schaffen. Mehrere sozialwissenschaftliche Rahmenwerke legen nahe, dass die tiefe Unsicherheit und wahrgenommene Abstraktheit von Klima-Kipppunkten sie unwirksam macht, um Maßnahmen auszulösen und Regierungsziele festzulegen. Das Framing fördert auch die Verwirrung zwischen temperaturbasierten politischen Benchmarks (wie dem 1,5°C-Ziel) und Eigenschaften des Klimasystems. Sowohl in natürlichen als auch in menschlichen Systemen plädieren die Autor:innen für eine klarere, spezifischere Sprache zur Beschreibung der als Kipppunkte bezeichneten Phänomene und für eine kritische Bewertung, ob, wie und warum unterschiedliche Framings das wissenschaftliche Verständnis und das Klimarisikomanagement unterstützen können.

Quelle: Kopp, R.E., Gilmore, E.A., Shwom, R.L. et al. ‘Tipping points’ confuse and can distract from urgent climate action. Nat. Clim. Chang. (2024). https://doi.org/10.1038/s41558-024-02196-8

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Nach einem Überschreiten des 1,5-Grad-Limits muss die Erwärmung so schnell wie möglich zurückgeführt werden, um das Risiko für Kippelemente zu minimieren

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Die derzeitige Klimapolitik birgt ein hohes Risiko für das Kippen kritischer Elemente des Erdsystems, selbst wenn die globale Erwärmung nach einer Zeit der Überschreitung wieder auf unter 1,5 °C beschränkt wird. Eine neue Studie in der Fachzeitschrift Nature Communications zeigt: Dieses Risiko kann minimiert werden, wenn die Erwärmung rasch wieder umgekehrt wird. Dafür sei die Verringerung der Emissionen im laufenden Jahrzehnt ganz entscheidend, schreiben Forschende des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), des Internationalen Instituts für Angewandte Systemanalyse (IIASA) und anderer Institute. Im Zentrum ihrer Studie stehen vier miteinander verbundene zentrale Klima-Kippelemente: Der grönländische Eisschild, der westantarktische Eisschild, die atlantische meridionale Umwälzzirkulation (AMOC) und der Regenwald im Amazonas. 

Der menschengemachte Klimawandel kann zu einer Destabilisierung von großräumigen Bestandteilen des Erdsystems wie Eisschilden oder Mustern von Luft- und Ozeanströmungen führen – den sogenannten Kippelementen. Zwar kippen diese Elemente nicht über Nacht, doch werden fundamentale Prozesse in Gang gesetzt, die sich über Jahrzehnte, Jahrhunderte oder Jahrtausende vollziehen. Diese Veränderungen sind so gravierend, dass ein Überschreiten der Kipppunkte unbedingt vermieden werden sollte, argumentieren die Forschenden. In ihrer neuen Studie untersuchen sie die Risiken einer Destabilisierung mindestens eines Kippelements als Folge des globalen Temperaturanstiegs auf über 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellem Niveau. Ihre Analyse unterstreicht die Folgen heutiger Klimapolitik für kommende Jahrhunderte bis Jahrtausende.

„Auch wenn sich Zeitskalen bis 2300 oder noch weiter in die Zukunft sehr weit weg anfühlen, ist es wichtig, die mit Kippelementen verbundenen Risiken so gut wie möglich aufzuzeigen und zu benennen. Unsere Ergebnisse unterstreichen, wie entscheidend es ist, Netto-Null-Treibhausgasemissionen zu erreichen und beizubehalten, um Kipprisiken in den kommenden Jahrhunderten und darüber hinaus wirksam zu begrenzen“, erklärt Tessa Möller, eine der Leitautorinnen der Studie und Wissenschaftlerin am IIASA und PIK. „Unsere Berechnungen zeigen: Bleibt es in diesem Jahrhundert beim Stand gegenwärtiger Klimapolitik und bestehender Klimaschutzmaßnahmen, besteht ein hohes Risiko von 45 Prozent, dass mindestens eines der vier untersuchten Elemente bis 2300 kippt.“ 

Mehr als 2 °C Erderwärmung erhöhen das Kipp-Risiko stark

„Wir sehen, dass das Kipp-Risiko mit jedem Zehntelgrad zunimmt, mit dem wir die 1,5 °C überschreiten. Wenn die globale Erwärmung auch noch 2 °C übersteigt, würde das Risiko noch schneller ansteigen. Das ist besorgniserregend, da Szenarien, die sich an der gegenwärtig umgesetzten Klimapolitik orientieren, bis zum Ende dieses Jahrhunderts schätzungsweise zu einer globalen Erwärmung von 2,6 °C führen werden“, sagt Annika Ernest Högner vom PIK, eine der Leitautorinnen.

„Unsere Studie bestätigt, dass Kipp-Risiken als Reaktion auf die Überschreitung der 1,5 °C minimiert werden können, wenn die Erwärmung rasch umgekehrt wird. Eine solche Umkehrung der globalen Erwärmung kann nur erreicht werden, wenn die Emissionen bis 2100 mindestens Netto-Null erreichen, also Emissionen soweit wie möglich reduziert werden und nicht vermeidbare Emissionen der Atmosphäre durch entsprechende Technologien oder natürliche Kohlenstoffsenken wieder entzogen werden. Die Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig die Klimaziele des Pariser Abkommens sind, die Erwärmung auch im Falle einer vorübergehenden Überschreitung von 1,5 °C auf deutlich unter 2 °C zu begrenzen“, sagt Studienautor Nico Wunderling vom PIK.

Die vier untersuchten Kippelemente regulieren maßgeblich die Stabilität des Klimasystems der Erde. Bislang sind die komplexen Erdsystemmodelle noch nicht in der Lage, das nichtlineare Verhalten, die Rückkopplungen und die Wechselwirkungen zwischen einigen der Kippelemente in vollem Umfang abzubilden. Deshalb nutzen die Forscher ein stilisiertes Erdsystemmodell, um die wichtigsten Eigenschaften und das Verhalten der Kippelemente zu repräsentieren und somit auch die relevanten Unsicherheiten in Kipppunkten und Interaktionen systematisch einzubeziehen. Berücksichtigt wurden dabei auch mögliche künftige stabilisierende Wechselwirkungen, wie die abkühlende Wirkung einer sich abschwächenden AMOC auf die nördliche Hemisphäre.

„Diese Analyse der Kipppunkt-Risiken untermauert erneut, dass wir Risiken unterschätzen und das rechtlich verbindliche Ziel des Pariser Abkommens, die globale Erwärmung auf ‚deutlich unter 2 °C‘ zu begrenzen, eigentlich bedeutet, die globale Erwärmung auf 1,5 °C zu beschränken. Durch unzureichende Emissionsreduktionen besteht ein ständig wachsendes Risiko, dass diese Temperaturgrenze überschritten wird. Dieses Risiko müssen wir um jeden Preis minimieren, um verheerende Folgen für Menschen auf der ganzen Welt einzudämmen“, fasst PIK-Direktor und Studienautor Johan Rockström zusammen.

Artikel: Tessa Möller, Annika Ernest Högner, Carl-Friedrich Schleussner, Samuel Bien, Niklas H. Kitzmann, Robin D. Lamboll, Joeri Rogelj, Jonathan F. Donges, Johan Rockström & Nico Wunderling (2024): Achieving net zero greenhouse gas emissions critical to limit climate tipping risks. Nature Communications. [DOI: 10.1038/s41467-024-49863-0]

Weblink zum Artikel: https://www.nature.com/articles/41467-024-49863-0

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Global Tipping Points Report: Fünf Kippsysteme im Erdsystem schon jetzt gefährdet – doch es gibt auch positive gesellschaftliche Kippunkte
Potsdam Institut für Klimafolgenforschung

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Kipppunkte stellen einige der größten Risiken für die lebenserhaltenden Systeme der Erde und die Stabilität unserer Gesellschaft dar. In einem bislang einmaligen Vorhaben hat ein großes internationales Forschungsteam auf der COP28 einen umfassenden Bericht über Kipppunkte im Erdsystem und ihre potenziellen Auswirkungen sowie Möglichkeiten für gesellschaftliche Veränderungen veröffentlicht. Mehr als 200 Forschende aus aller Welt haben an dem „Global Tipping Points Report“ mitgewirkt. Der über 500 Seiten umfassende Bericht ist ein maßgeblicher Leitfaden zum aktuellen Wissensstand über Kipppunkte. Er beschreibt Möglichkeiten zur Beschleunigung dringend benötigter Veränderungen und skizziert Optionen, wie die Politik die Risiken und Chancen von Kipppunkten besser steuern kann.

„Dieser Bericht ist der bisher umfassendste Überblick über Kipppunkte im Erdsystem“, erklärt Sina Loriani vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), einer der Hauptautoren des Berichts. „Das Überschreiten von Kippunkten kann grundlegende und mitunter abrupte Veränderungen auslösen, die das Schicksal wesentlicher Teile unseres Erdsystems für die nächsten Hunderte oder Tausende von Jahren unumkehrbar bestimmen könnten. Diese Kipppunkt-Risiken sind potenziell verheerend und sollten mit Blick auf heutige und künftige Generationen sehr ernst genommen werden, trotz der verbleibenden wissenschaftlichen Unsicherheiten.“

5 Kippsysteme derzeit gefährdet, 3 weitere in Gefahr bei Überschreitung von 1.5°C

Fünf große Kippsysteme laufen bereits Gefahr, bei der derzeitigen globalen Erwärmung ihren jeweiligen Kipppunkt zu überschreiten, so die Forschenden in ihrem Bericht: Der grönländische und der westantarktische Eisschild, die subpolare Wirbelzirkulation im Nordatlantik, Warmwasserkorallenriffe und einige Permafrost-Gebiete. Wenn die globale Erwärmung auf 1,5°C ansteigt, könnten mit borealen Wäldern, Mangroven und Seegraswiesen drei weitere Systeme in den 2030er Jahren vom Kippen bedroht sein.

In dem Bericht fassen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Informationen über Kippsysteme und die damit verbundenen Temperaturschwellen aus Studien über Klimaveränderungen in der Erdgeschichte, heutigen Erdbeobachtungen und Computersimulationen zusammen. Die Autoren weisen darauf hin, dass systematischere Untersuchungen, wie das vom PIK geleitete Tipping Point Modelling Intercomparison Project (TIPMIP), erforderlich sind, um in Zukunft genauere Erkenntnisse über Kipppunkte und die damit verbundenen wissenschaftlichen Unsicherheiten zu gewinnen.

„Unsere Analyse zeigt übereinstimmende Kernaussagen in der bisher veröffentlichten Forschung zu Kipppunkten im Erdsystem auf. Sie verdeutlicht, dass der gegenwärtige Klimawandel und der Verlust der Natur grundlegende Veränderungen in Schlüsselelementen des Erdsystems verursachen könnten, mit weitreichenden Folgen für Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt“, sagt Jonathan Donges vom PIK, einer der Hauptautoren des Berichts. „Zu diesen Auswirkungen gehören ein beschleunigter Anstieg des Meeresspiegels, veränderte Wettermuster und geringere landwirtschaftliche Erträge – diese haben das Potenzial, negative soziale Kipppunkte auszulösen, die zu gewaltsamen Konflikten oder dem Zusammenbruch politischer Institutionen führen könnten. Kipppunkte sind auch nicht unabhängig voneinander, sondern stehen in enger Wechselwirkung: Die Überschreitung eines Kipppunkts im Erdsystem oder in der Gesellschaft könnte wiederum ein anderes Kippsystem destabilisieren, wodurch Kippkaskaden möglich werden.“

Positive Kippunkte im Gesellschaftssystem

Unter der Leitung der Universität Exeter haben mehr als 200 Forschende aus verschiedenen wissenschaftlichen Institutionen die verfügbaren Belege für die Veränderungen des Erdsystems für den Global Tipping Points Bericht zusammengetragen und geprüft. Das Forschungsteam unterstreicht, dass positive Kipppunkte für den notwendigen transformativen Wandel hin zum raschen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen und der Verringerung der Emissionen aus der Landnutzung entscheidend sein können, um den Planeten zu stabilisieren und negative Auswirkungen von Erdysstem-Kipppunkten auf Gesellschaften zu vermeiden. Wenn man die Erkenntnisse über Kippdynamiken auf Gesellschaftssysteme anwendet, zeigt sich, dass solche wünschenswerten Veränderungen unter den richtigen Bedingungen selbstverstärkend wirken können. Ein Großteil des Berichts hebt daher die Potenziale für abrupte soziale und technologische Veränderungen hervor und verdeutlicht, dass solche nichtlinearen Veränderungen bereits heute auf den Märkten für erneuerbare Energien und Elektrofahrzeuge zu beobachten sind. Der Bericht hebt mehrere Optionen zur Beschleunigung der Transformation hervor, wie etwa koordinierte Anstrengungen, um positive gesellschaftliche Kipppunkte in den Sektoren Energie, Verkehr und Ernährung auszulösen, und das Vertiefen von Wissen über Kipppunkte in einem IPCC-Sonderbericht.

„Die Welt befindet sich nicht mehr in einem Zustand des schrittweisen und linearen Wandels“, fasst PIK-Direktor Johan Rockström zusammen. „Das bedeutet, wir müssen einen rasanten und tiefgreifenden Wandel über mehrere Sektoren und Regionen hinweg auslösen, indem wir aus den fossilen Brennstoffen aussteigen und gleichzeitig positive soziale und wirtschaftliche Kipppunkte nutzen. Die Anreize und Hebel für eine Transformation müssen sich so grundlegend ändern, dass wir als Gesellschaft einen neuen, nachhaltigen Kurs einschlagen. Der Global Tipping Points Bericht bietet den ersten umfassenden Leitfaden, um uns über die bevorstehenden Gefahren und Chancen aufzuklären.“


Report: 
T.M. Lenton, D.I. Armstrong McKay, S. Loriani, J.F. Abrams, S.J. Lade, J.F. Donges, M. Milkoreit, T. Powell, S.R. Smith, C. Zimm, J.E. Buxton, L. Laybourn, A. Ghadiali, J. Dyke (eds) (2023): The Global Tipping Points Report 2023. University of Exeter, Exeter, UK. 

Webseite zum Reporthttps://global-tipping-points.org/

Titelbild: KI

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Amazonas-Kipppunkt: Weniger Monsun-Regen durch Entwaldung
Potsdam Institut für Klimafolgenforschung

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Die Auswirkungen der globalen Erwärmung, der Entwaldung und der intensivierten Landnutzung können zu einer kritischen Destabilisierung des südamerikanischen Monsuns führen. Das ist das Ergebnis einer jetzt im Fachjournal Science Advances veröffentlichten Studie. Ist der Punkt der kritischen Destabilisierung einmal überschritten, ist in weiten Teilen des südamerikanischen Kontinents mit deutlich weniger Niederschlag zu rechnen. Dies hätte wiederum erhebliche Auswirkungen auf die Stabilität des Amazonas-Regenwaldes. Auch Gebiete, die noch nicht direkt von Landnutzungsänderungen betroffen sind, wären dann von existentiellen Schäden bedroht.

In ihrer Studie haben Forschende des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und der Universität Tromsø (UiT) untersucht, wie Veränderungen von Waldschäden und der Monsunzirkulation miteinander zusammenhängen. „Waldverluste durch direkte Abholzung, Dürren und Brände können das Klima in Südamerika demnach erheblich verändern und dazu führen, dass die komplexen Kopplungsmechanismen zwischen Amazonas-Regenwald und südamerikanischer Monsunzirkulation einen kritischen Punkt der Destabilisierung überschreiten. Die hier vorgestellten Ergebnisse deuten auf eine bevorstehendn Verschiebung im Amazonas-Ökosystem hin, wenn die Abholzung und die globale Erwärmung nicht gestoppt werden“, sagt der Erstautor der Studie, Nils Bochow, von der Universität Tromsø, Norwegen und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

Signifikante Anzeichen für abnehmende Stabilität des Monsunsystems

Der Feuchtigkeitsaustausch, der zwischen Regenwald und Atmosphäre über Niederschlag und die Verdunstung erfolgt, ist ein Schlüsselmechanismus für das südamerikanische Hydroklima und die Stabilisierung des Amazonasgebiets insgesamt: Ein großer Teil des Regens in den westlichen Teilen des Amazonasgebiets und im südlichen Südamerika stammt aus der Verdunstung durch Amazonasbäume selbst. Für das Funktionieren des südamerikanischen Monsuns und damit auch für die Verfügbarkeit der Feuchtigkeit, die der Amazonas-Regenwald zum Überleben braucht, ist dieser Feuchtigkeitsaustausch entscheidend. Vor allem im östlichen Amazonasgebiet, wo in den letzten Jahren am stärksten abgeholzt wurde, erhöht die Schädigung des Waldes jedoch das Risiko, dass dieser Feuchtigkeitsaustausch unterbrochen wird. Anhand eines dynamischen Simulationsmodells der komplexen Wechselwirkungen zwischen Regenwald und Atmosphäre konnten die Forschenden des PIK und der UiT zunächst die Auswirkungen der Entwaldung auf den Feuchtigkeitstransport in Südamerika vorhersagen. In Beobachtungsdaten konnten sie auf der Grundlage der Ergebnisse der Simulationen dann entsprechende, signifikante Anzeichen dafür erkennen, dass die Stabilität des südamerikanischen Monsunsystems in den letzten Jahrzehnten tatsächlich abgenommen hat. Vermutet wird, dass diese Entwicklung eine Reaktion auf den anhaltenden Klima- und Landnutzungswandel und die daraus resultierende Degradierung des Amazonas ist.

„Ein Zusammenbruch des gekoppelten Regenwald-Monsum-Systems würde in weiten Teilen Südamerikas zu einem erheblichen Rückgang der Niederschläge führen“, so PIK-Forscher und Koautor Niklas Boers. Aufgrund der Komplexität dieses Systems ist eine Abschätzung der Auswirkungen eines Zusammenbruchs des Monsuns jedoch noch mit großen Unsicherheiten verbunden. Die Niederschläge würden vor allem im westlichen Amazonasgebiet und weiter stromabwärts der atmosphärischen Strömung in Richtung der Subtropen stark abnehmen. Dadurch wäre der tiefe westliche Amazonas-Regenwald von einem großflächigen Absterben bedroht. Dies würde wiederum zu einer erheblichen zusätzlichen globalen Erwärmung führen, aufgrund der zusätzlichen Freisetzung von Treibhausgasen durch die absterbenden Bäume. Ein Rückgang des südamerikanischen Monsuns hätte auch potenziell dramatische Folgen für die Ernährungssicherheit; im La-Plata-Becken mit seiner extensiven Landwirtschaft beispielsweise hängen die Niederschläge entscheidend von der Feuchtigkeitszufuhr aus dem Amazonas ab.

Die Studie liefert zwar wichtige Hinweise darauf, dass es einen kritischen Punkt der Destabilisierung für das gekoppelte Regenwald-Monsun-System gibt und dieser näher rückt, doch lassen sich zum jetzigen Zeitpunkt keine Rückschlüsse auf die genaue Position dieses Kipppunkts oder auf seinen Zeitpunkt ziehen, betonen die Autoren. „Unsere Studie setzt den südamerikanischen Monsun auf die Landkarte der potenziellen Kipppunkte des Erdsystems. Sie bestätigt auch die bestehenden Befürchtungen hinsichtlich des Amazonas-Regenwaldes. Der Übergang würde zu wesentlich trockeneren Bedingungen führen, unter denen der Regenwald wahrscheinlich nicht mehr erhalten werden könnte“, erklärt Niklas Boers.
Artikel: Nils Bochow, Niklas Boers (2023): The South American monsoon approaches a critical transition in response to deforestation. Science Advances 9 (40). [DOI:10.1126/sciadv.add9973]

Weblink zum Artikelhttp://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.add9973

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