Oberösterreichische Wissenschaftler:innen unterstützen Klimaproteste

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Lesedauer 5 Minuten.   

Oberösterreichische Wissenschaftler:innen unterstützen die Anliegen der Klimaproteste in einer namentlich von 30 Wissenschaftler:innen unterzeichneten Stellungnahme. Die Dringlichkeit der Klimakrise erfordert viel wichtigere Debatten als jene, ob die Protestformen gerechtfertigt sind, insbesondere: Wie können wir die tiefgehenden Transformationen in so kurzer Zeit noch umsetzen, um die Klimakrise nicht völlig aus dem Ruder laufen zu lassen, und um einen bewohnbaren Planeten Erde zu erhalten?

Angesichts dieser Versäumnisse im Klimaschutz und der sich immer drastischer zuspitzenden Klimakatastrophe haben Protestierende in den letzten Monaten vermehrt Methoden des Zivilen Ungehorsams eingesetzt, um Aufmerksamkeit zu erlangen. DI Dr. Mirko Javurek von Scientist für Future OÖ: „Es geht dabei nicht um die Aktion, sondern um die Aufmerksamkeit. Ob die Proteste einen positiven oder negativen Effekt haben, entscheiden wir mit unseren Reaktionen darauf. Als Scientists for Future wollen wir dazu aufrufen: Nutzen wir doch die Aufmerksamkeit und reden über die Folgen und die Bekämpfung der Klimakatastrophe, denn das ist das Positive. Die öffentliche Sicherheit wird nicht durch Proteste bedroht, sondern durch das Versagen der Politik im Klimaschutz.”

Klimaprotest am 21.11.2022 in Linz Urfahr

Oberösterreich hinkt mit Klimaschutz-Maßnahmen hinterher: Statt der notwendigen Reduktion der CO2 Emissionen um jährlich 5 % des Stands von 2020, um die national beschlossene Klimaneutralität bis 2040 zu erreichen, nahmen in Oberösterreich die Emissionen zuletzt um 6 % zu [5]. Oberösterreichs Landeshauptmann Stelzer bezeichnet Wissenschaftler:innen offenbar als “Klimaträumer” und berücksichtigt in seinem “Klimaschutz mit Hausverstand” gleichwertig die Positionen der “Klimaleugner” [4].

Für den Ausbau der Stromerzeugung aus Windkraft gibt es beispielsweise keinerlei Pläne, obwohl in Oberösterreich bis 2030 jedes Monat mindestens drei zusätzliche Windräder in Betrieb genommen werden müssten, damit die nationalen Ziele einer Stromversorgung ausschließlich aus erneuerbaren Energien erreicht werden können [1]. Gerade in Oberösterreich wird der Bedarf an Strom aus erneuerbaren Energien durch die Umstellung der voestalpine auf eine CO2-neutrale Produktion drastisch ansteigen. 

Im Mobilitätsbereich werden durch die Steigerung der CO2 Emissionen Einsparungen anderer Sektoren wieder zunichte gemacht [2,3]. Anstelle eines massiv beschleunigten flächendeckenden Ausbaus des öffentlichen Verkehrs und dem Aufbau eines landesweiten, alltagstauglichen Radverkehrsnetzes, kombiniert mit einer bewussten Reduktion des motorisierten Individualverkehrs, werden weiter hauptsächlich Straßenbauprojekte geplant, finanziert und umgesetzt, die in völligem Widerspruch zu den Klimaschutzmaßnahmen stehen. 

Argumentation von führenden internationalen Wissenschaftler:innen

Unterstützung für ihre Anliegen und Proteste bekommen die Klima-Protestierenden nicht nur von regionalen, sondern auch von internationalen Wissenschaftler:innen.

Der deutsche Sozialwissenschaftler Robin Celikates zeigt Verständnis für Empörung über die Proteste: „Natürlich ist Protest störend und auch ärgerlich. Das muss er auch sein, um bestimmte Aufmerksamkeit zu erregen.“ In der Vergangenheit mussten demokratische Fortschritte wie zum Beispiel das Frauenwahlrecht in England meist von den Betroffenen gegen harten Widerstand der Politik erkämpft werden. Celikates sieht es als Gefahr, dass politische Institutionen autoritär werden, indem sie die Legitimität von Protest generell absprechen, und versuchen, Protest zu kriminalisieren. [6]

Der deutsche Soziologe Matthias Quent sieht es als Ausrede, wenn man den Aktivist:innen vorwirft, sie würden dem Klimaschutz schaden. Die Verantwortung für die Klimakrise liege bei Politik und Industrie, die Klimaschutzmaßnahmen – insbesondere im Verkehrssektor – über Jahrzehnte ausgebremst und verhindert haben. Die Formen des Protestes seien mild im Vergleich zu anderen Protesten: „Autoritäre Gegenreaktionen und Bestrafungsphantasien sind für die demokratische Kultur gefährlicher als die kurzen Störaktionen an sich.“ [7]

Auch der schwedische Humanökologe Andreas Malm sieht die Proteste als legitim: „Aus ethischer Sicht ist das alles nicht sonderlich kompliziert: Wenn du in einem brennenden Haus bist, hast du moralisch das Recht, die Fenster zu zerbrechen, um rauszukommen.” Die Situation sei so verheerend, dass wir fast alle Maßnahmen bräuchten, solange sie gewaltfrei seien, wie es Bewegungen wie „Extinction Rebellion” und “Letzte Generation” in ihren Grundsätzen festgeschrieben haben. Die eigentliche Gefahr entstehe durch die unkontrollierte Verbrennung fossiler Brennstoffe: “Das ist es, was Menschenleben kostet.“ [6] 


[1] Für das bundesweite Ziel, bis 2030 jährlich 17,22 TWh Strom aus Windkraft zu erzeugen, trägt Oberösterreich derzeit lediglich 0,09 TWh bei. Die nationalen Ziele sind mit den aktuellen Zielen der Bundesländer nicht erreichbar, insbesondere auch deshalb, weil Oberösterreich gar keine Ziele festgelegt hat. https://klimadashboard.at/energie/erneuerbare-energien 

[2] Die kontinuierliche Steigerung der CO2 Emissionen ist 2021 nur vorübergehend durch einen Pandemie-bedingten Rückgang unterbrochen worden. https://www.bmk.gv.at/dam/jcr:5589d089-dcc6-476b-bf21-d0231ceccc28/KSG-Fortschrittsbericht_2022_Layout_4.pdf

[3] https://vcoe.at/presse/presseaussendungen/detail/vcoe-in-allen-bundeslaendern-ist-co2-ausstoss-des-verkehrs-seit-1990-sehr-stark-gestiegen 

[4] Laut Stelzer “steht Klimaschutz mit Hausverstand für eine Position der Mitte zwischen Klimaträumern und Klimaleugnern”. https://www.krone.at/2615194 

[5] Landeskorrespondenz Presseaussendung vom 11.11.2022  https://www.land-oberoesterreich.gv.at/288609.htm 

[6] https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/sendung/radikalisierung-der-klimabewegung-letzte-generation-100.html 

[7] https://www.sueddeutsche.de/wissen/klima-soziologe-quent-mittel-der-letzten-generation-sind-mild-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-221126-99-669289


Ziviler Ungehorsam im Klimaschutz:
Stellungnahme der Scientists for Future OÖ

Aus Anlass der derzeitigen medialen Berichterstattung zu Klimaprotesten möchten wir als Scientists for Future OÖ mit dieser Stellungnahme einen Beitrag leisten, den medialen Diskurs zur Dringlichkeit der Klimakrise in eine konstruktive Richtung zu rücken.

Als Scientists for Future OÖ stehen wir der fortschreitenden globalen Klimakatastrophe ebenso wie Aktivist:innen fassungslos und verzweifelt gegenüber. Die Scientists for Future haben sich 2019 gegründet, um die Anliegen von „Fridays for Future“ als wissenschaftlich begründet zu bestärken und Klimaaktivist:innen mit wissenschaftlichen Fakten zu unterstützen.

Die wissenschaftlichen Fakten zur Klimakrise liegen seit über 50 Jahren auf dem Tisch [1] und werden laufend präzisiert – es ist wissenschaftlich unumstritten, dass sich die Welt in einer Notlage befindet. Aktuelle Berichte wie der IPCC-Sachstandsbericht [2], das Klima-Buch von Greta Thunberg [3] und der Bericht „Earth for All“ an den Club of Rome [4] unterstreichen die Dringlichkeit, mutige und zukunftsweisende Maßnahmen zu ergreifen, um den Planeten vor gravierenden Auswirkungen, die unser Vorstellungsvermögen übersteigen, zu schützen.

Trotz der wissenschaftlichen Fakten, trotz der unzähligen Klimastreiks und -demonstrationen ändert sich viel zu wenig. Politik und Wirtschaft reagieren unzureichend auf Appelle aus der Wissenschaft und der besorgten Bevölkerung. Durch das Hinauszögern der notwendigen Klimaschutzmaßnahmen kommen wir kritischen Kipppunkten immer näher [12]. Es bleibt uns immer weniger Zeit, die erforderlichen Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen. Die Chancen zur Erreichung der Klimaziele sinken mit jedem Tag des Nicht-Handelns.

Dies macht Menschen traurig, wütend und verzweifelt. Wir verstehen, dass es verängstigten und frustrierten jungen Menschen nach unzähligen Versuchen des Dialogs und Bittens hin zu einer ökosozialen Transformation nicht mehr zuzumuten ist, geduldig zu bleiben. Als letzten Ausweg, sich endlich Gehör zu verschaffen, sehen Bewegungen wie „Extinction Rebellion“ oder „Letzte Generation“ den Zivilen Ungehorsam. Ziviler Ungehorsam bedeutet, bewusst gegen rechtliche Normen zu verstoßen, um auf eine Unrechtssituation hinzuweisen. Die grundsätzliche Bereitschaft der Aktivist:innen, etwaige aus dem Verstoß resultierende Konsequenzen wie Arrest und Strafen zu tragen, ist ein wichtiges Zeichen ihrer Glaubwürdigkeit. Historische Beispiele für Zivilen Ungehorsam gehen bis in die Antike zurück. Wissenschaftliche Analysen zeigen, dass Ziviler Ungehorsam einen substantiellen Einfluss auf die Erfolgschancen von Bewegungen hat [5]. Viele der Aktionen sind zudem als Demonstration strafrechtlich nicht relevant, auch wenn es Bestrebungen gibt, dies in der Öffentlichkeit so wirken zu lassen [11,13]. 

Bewegungen wie Extinction Rebellion oder Letzte Generation bekräftigen, dass Aktionen des Zivilen Ungehorsams friedlich und gewaltfrei ablaufen [6,7]. Mut und Entschlossenheit verbindet diese engagierten Menschen, die sich der Mittel des Zivilen Ungehorsams bedienen, um die Klimakrise verstärkt in den öffentlichen Diskurs zu rücken, breite mediale Aufmerksamkeit zu erreichen und dadurch Druck auf Entscheidungsträger:innen auszuüben. Mit keiner anderen Aktionsform haben es Aktivist:innen bisher geschafft, so viel mediale Aufmerksamkeit in Bezug auf die Klimakatastrophe zu erzeugen [14]. Auch Wissenschaftler:innen diskutieren mittlerweile in Fachzeitschriften über den Einsatz des Zivilen Ungehorsams als probates Mittel, um den Ernst der Lage zum Ausdruck zu bringen [8].

Als Scientists for Future OÖ möchten wir den Menschen, die gegen die Zerstörung ihrer Zukunft rebellieren, unsere volle Solidarität aussprechen. Wir erachten die derzeitige Berichterstattung zur Dringlichkeit der Klimakrise als unzureichend. Der Fokus liegt viel zu sehr auf einer Diskussion der unterschiedlichen Ausdrucksformen von Klimaprotesten [9,10,11]. Vielmehr sollten wir uns als Gesellschaft den essentiellen Fragestellungen widmen: wie wir die großen Transformationen schaffen können, um ein Überleben für alle zu gewährleisten. Gerade Entscheidungsträger:innen in Politik und Wirtschaft sollten sich hinter die Anliegen der Aktivist:innen stellen, um die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte in Angriff zu nehmen. Die Transformation zur nachhaltigen Gesellschaft erfordert Entscheidungen mit Weitblick und Rücksicht auf unsere Lebensgrundlage sowie entsprechende Ressourcen. Kurzfristige finanzielle Interessen und die Ideologie des Nichts-ändern-Wollens stehen dem entgegen. 

Daher rufen wir dazu auf, die Botschaften der Aktivist:innen ernst zu nehmen, und die Klimakrise in den Vordergrund von medialen Berichten, Diskussionen und politischen, wirtschaftlichen sowie persönlichen Entscheidungsprozessen zu stellen, anstatt die Aktionsformen der Protestierenden zu kritisieren. Es ist vielmehr die Aufgabe von Politik und Wirtschaft, die Forderungen der Bevölkerung und ihre Verpflichtungen im Rahmen nationaler und internationaler Gesetze und Abkommen in sinnvolle Maßnahmen umzusetzen.

Kritik sehen wir stattdessen dort angebracht, wo wider besseres Wissen nicht oder nicht ausreichend gegen die Erderwärmung vorgegangen wird.

Unterzeichnet von Wissenschaftler:innen aus Oberösterreich, Wien und NÖ

Stand: 20.12.2022

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