Buchtipp: Green Growth, Degrowth, Postkapitalismus? – Hans Holzingers neues Buch „Wirtschaftswende“

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Lesedauer 2 Minuten.   

Begrenzung, Einschränkung oder gar Schrumpfung sind als Angstbegriffe verpönt. Doch genau das werden wir brauchen, um die Ökosysteme nicht noch stärker zu schädigen. Ein anderes Wirtschaften ist dringend nötig, und es ist – wie der Transformationsforscher Hans Holzinger zeigt – auch möglich!

Er beschreibt die Nichtnachhaltigkeit unserer aktuellen Wirtschafts- und Lebensweise, skizziert aber insbesondere die vielen Neuansätze in den Bereichen Energie und Ernährung, Mobilität und Stadt, Finanzen und Steuern sowie Unternehmen und Soziales. Zudem beschreibt er unterschiedliche makroökonomische Konzepte von Green Growth über Degrowth bis hin zu postkapitalistischen Entwürfen, die er in Bezug auf Plausibilität, Wünschbarkeit und Umsetzungschancen prüft.

Porträt Hans Holzinger
Foto: Carmen Bayer

Das Buch macht deutlich, dass es mittlerweile zahlreiche Transformationsansätze gibt, und es beschreibt, wie die Wirtschaftwende gelingen könnte. Es richtet sich an ein breites Publikum, um die Zukunftsvorschläge über die Fachwelt hinaus bekannt und diskutierbar zu machen. Der Autor benennt die Nichtnachhaltigkeit unserer aktuellen Wirtschafts- und Lebensweise, er skizziert aber insbesondere die vielen Neuansätze in den Bereichen Energie und Ernährung, Mobilität und Stadt, Finanzen und Steuern sowie Unternehmen und Konsum. Deutlich wird, wie all diese Wenden mit Wirtschaft zu tun haben.

Dass Transformationen anstehen, zeigt Holzinger schließlich an den aktuell diskutierten makroökonischen Konzepten von Green Growth über Degrowth bis hin zu postkapitalistischen Entwürfen, die in Bezug auf Plausibilität, Wünschbarkeit und Umsetzungschancen geprüft werden. Die Stärke der Green Growth-Ansätze sieht Holzinger in den noch lange nicht ausgeschöpften technologischen Potenzialen einer grünen Wende. Doch diese werden nicht reichen, um ein klimaneutrales Wirtschaften sowie eine drastische Reduzierung des Ressourcenverbrauchs hinzukriegen, argumentiert er mit der Postwachstumsbewegung. Ökosozialistische Konzepte erkennen zwar die Größe der notwendigen Transformation, die Vergesellschaftung der Produktion sei aber keine Gewähr, nachhaltiger zu produzieren, so Holzinger. Die Stärke offener Gesellschaften sieht er jedoch im offenen Diskurs über plurale Zukunftsstrategien. Am Ende plädiert Hozinger für eine moderne Bedarfsökonomie, die die Stärke freier Märkte nutzt, zugleich aber die Sicherung der Grundbedürfnisse unter Einhaltung der ökosystemischen Grenzen in den Mittelpunkt stellt.

Das Buch bietet eine umfassende Einführung in ein zukunftsfähiges Wirtschaften, was auch die Abschnitte zu den Grundlagen jeder Ökonomie sowie zu einer neuen Wohlstandsmessung unterstreichen. Der Wandel der Produktionsweisen sowie der Arbeit kommen ebenso zur Sprache wie die Rolle des Geldes als Ermöglicher, Tauschmittel und Kapital und die Bedeutung von Technik und Konsum als Treiber des Kapitalismus.

Zitat:

„Eine moderne Bedarfsökonomie, die (wieder) den Gebrauchswert der Güter in den Mittelpunkt stellt, würde uns nicht schlechter leben lassen, aber zukunftstauglich. Vielleicht erhält das bereits in den 1970er Jahren diskutierte System einer „dualen Wirtschaft“ mit einem stark ausgeweiteten öffentlichen bzw. gemeinwohlorientierten Sektor bei gleichzeitiger Schrumpfung der ökologisch destruktiven Sektoren angesichts der aktuellen Krisen, die den Staat rehabilitieren, neue Umsetzungschancen? Der Shareholder-Value-Kapitalismus würde zurückgedrängt, die Marktwirtschaft (wieder) Fuß fassen. Ein Selbstläufer ist das freilich nicht. Notwendig sind zivilgesellschaftlicher Druck, die Dekonstruktion von Mythen, etwa in Bezug auf die scheinbare Alternativlosigkeit des gegenwärtigen Systems, und damit auch mehr öffentliche Diskurse über Neuansätze. Das Buch versteht sich als Beitrag dazu.“

Hans Holzinger ist Wirtschafts- und Sozialgeopgraph. Er war ab 1992 wissenschaftlicher Mitarbeiter und ab 2016 pädagogischer Leiter der Robert Jungk Bibliothek für Zukunftsfragen (JBZ). Seit seiner Pensionierung im Juni 2022 ist er Senior Adviser.
Hans Holziinger ist Mitglied des Fachkollegiums der Scientists for Future Österreich.

Wirtschaftswende.
Transformationsansätze und neue ökonomische Konzepte im Vergleich.
München: oekom 2024.
ISBN: 978-3-98726-102-2
Softcover, 416 Seiten
Euro 24,50
Erschienen am 2. Mai 2024



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„Erheben wir uns!“ – Das Lastenrad aus der besetzten Fabrik
von Martin Auer

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Lesedauer 4 Minuten.   

In der ehemaligen Fabrik des Autozulieferers GKN Automotive in Campo Bisenzio bei Florenz sollen nun statt Achsschäften für schwere Autos klimafreundliche Lastenfahrräder und umweltfreundliche Solarpaneele und Batterien gebaut werden. Das planen die Beschäftigten, die das Werk seit zweieinhalb Jahren besetzt halten. Unterstützt werden sie dabei von einem breiten Bündnis von Klima-Aktivist:innen, Wissenschaftler:innen und großen Teilen der Bevölkerung.

Kündigung per Email

Am 9. Juni 2021 erhielt die gesamte Belegschaft per Email die Kündigung. Drei Jahre zuvor hatte die Beteiligungsgesellschaft Melrose Industries das britische Traditionsunternehmen GKN übernommen und in mehrere eigenständige Unternehmen aufgeteilt. Schon damals schlossen sich an die hundert Beschäftigte zum Collettivo di Fabbrica GKN zusammen. Das Motto von Melrose „Buy, Improve, Sell“ ließ sie vermuten, dass das Unternehmen zerschlagen werden sollte.

Am Tag des Kündigungsschreibens besetzten sie die Fabrik und beschlossen eine unbefristete Betriebsversammlung abzuhalten. Dadurch erhielt die Besetzung einen legalen Rahmen. Es ging zunächst darum, den Abtransport der Maschinen im Wert von vielen Millionen Euro und der noch lagernden Achsen zu verhindern.


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Zusammenarbeit mit der Wissenschaft

Gemeinsam mit Wissenschaftler:innen der Universität Pisa erarbeiteten sie einen „Reindustrialisierungsplan“ mit zwei unterschiedlichen Szenarien: Die modernen Maschinen der Fabrik könnten Achsen statt für PKWs für Busse oder Züge produzieren. Das zweite Szenario war radikaler: Die Fabrik könnte auf die Erzeugung von Elektrolyseanlagen für die Herstellung von grünem Wasserstoff umgerüstet werden. Der Plan betonte, dass er den Leitlinien des EU-geförderten italienischen „Aufbau- und Resilienzplans“ (PNRR) entsprach und in diesem Rahmen öffentlich gefördert werden konnte.

Gemeinsam für Arbeitsplätze und Klima

Gleichzeitig suchte das Kollektiv den Kontakt mit Klimaaktivist:innen. Im Herbst 2021 nahm es an den Protesten gegen den G20-Gipfel in Italien teil. Im September 2022 organisierte es gemeinsam mit Fridays for Future den Klimastreik in Florenz mit 40.000 Teilnehmer:innen.

In einer gemeinsamen Erklärung heißt es:

„Wir werden nie wieder zulassen, dass Verlagerungen, Entlassungen und Prekarität unter dem Vorwand der Klimakrise gerechtfertigt werden. Wir werden auch nicht zulassen, dass eine Verzögerung oder Umgehung des ökologischen und klimatischen Übergang mit der Verteidigung der bestehenden Arbeitsplätze gerechtfertigt wird.“

Zermürbungstaktik

Ein neuer Besitzer versprach im Dezember 2021 einen Transformationsplan, der sich auf erneuerbare Enegien stützen sollte, und und zahlte den Arbeiter:innen auch bis November 2022 ein „Transformationsgeld“. Alle Arbeitsplätze sollten erhalten bleiben.

Das Arbeiter:innenkollektiv vermutete von Anfang an, dass es dem neuen Eigentümer nur darum ging, Zeit zu gewinnen – und das mit Hilfe öffentlicher Gelder. Das würde bedeuten, vom Staat Gelder für Personalentlassungen zu bekommen, dem Werk Maschinen im Wert von mehreren Millionen Euro zu entziehen, darauf zu warten, dass die Mobilisierung der Arbeiter:innen nachlassen und sie nach einem Jahr der Ungewissheit bei 60 Prozent Gehalt gehen würden.

Ab da erhielten die Arbeiter:innen keinen Lohn, aber – da über ihre Klage auf Lohnfortzahlung nicht entschieden war – auch kein Arbeitslosengeld. Viele mussten sich neue Jobs suchen, unterstützten aber weiter die Bewegung.

Reindustrialisierung von unten

Nachdem sie ein Jahr lang hingehalten wurden, gaben die Arbeiter:innen die Hoffnung auf öffentliche Unterstützung für den Reindustrialisierungsplan auf und begannen mit dem Projekt der „Reindustrialisierung von unten“. Gemeinsam mit der Forscher:innengruppe erstellten sie den „Lebenslauf“ der Fabrik, kartierten das Fabriklayout, inventarisierten alle Maschinen und die logistische Infrastruktur. Mit diesem Wissen untersuchten sie verschiedene Projekte, bei denen sie die vorhandenen Maschinen und Fähigkeiten für die Umstellung auf nachhaltige Mobilität und erneuerbare Energien nutzen konnten. Dazu wurde die Möglichkeit der Entwicklung von Lastenfahrrädern untersucht, sowohl für die Nahlogistik als auch für den Warenumschlag in großen Lagerhäusern. Der erste vollständig „made in GKN“-Prototyp eines Lastenfahrrads, lackiert in den Farben der A-Liga Fußballmannschaft von Florenz, wurde im Februar 2023 präsentiert, mit begeisterten Rezensionen von Fachzeitschriften wie Bike Italia.

Gleichzeitig präsentierten sie ihren Vorschlag für die Umwandlung des Werks in eine Solidargemeinschaft für erneuerbare Energien. Dafür sollen auch siliziumfreie Solarpaneele und kobalt- und lithiumfreie Batterien entwickelt und erzeugt werden. Sobald das Kerngeschäft in Betrieb ist und berechnet wird, wie viel Energie benötigt wird, um es am Laufen zu halten, kann die überschüssige Produktion wieder in das allgemeine Netz eingespeist werden, wovon das gesamte Gebiet profitieren soll.

Übernahme durch die Beschäftigten

Nahezu zeitgleich, ebenfalls im Februar 2023, gab der Besitzer die Liquidation der Firma bekannt. Die Antwort der Beschäftigten darauf ist der Plan, den Betrieb in eine Genossenschaft umzuwandeln. Die gesetzliche Grundlage dafür ist in Italien das Macora-Gesetz von 1985. Es regelt das Vorkaufsrecht der Belegschaft bei Betriebsschließungen wegen Insolvenz oder aus anderen Gründen und ermöglicht die Fortführung des Unternehmens als Mitarbeitergenossenschaft. Einige Hundert solcher Unternehmenssanierungen sind seit dem Erlass gelungen.

Ein Unternehmen fürs Gemeinwohl

Doch die GKN-Beschäftigten wollen das Modell erweitern: Durch die aktive Beteiligung der Bevölkerung soll garantiert werden, dass das neue Unternehmen gemeinwohlorientiert arbeitet: „Wir wollen die Region, welche es uns ermöglicht hat, so lange Widerstand zu leisten, in die Verwaltung der ersten öffentlichen, nachhaltigen und gemeinwohlorientierten Fabrik Italiens einbeziehen“, heißt es in dem Plan.

In einem ersten Schritt starteten die Arbeiter:innen mit Unterstützung von Fridays for Future und ein Crowdfunding, um die Kosten der Genossenschaftsgründung und die Akquisition von Fördermitteln zu finanzieren, weiters die Kreditraten für die neuen Produktionsanlagen und Unterstützung der ersten Mitglieder, die die gesetzlich vorgeschriebenen Genossenschaftsanteile von 4.000 Euro aufbringen müssen. Die angestrebten 75.000 Euro wurden um fast 100.000 Euro übertroffen.

Zehntausend Mal hundert

Die laufende Phase ist das Kapital-Crowdfunding (Equity Crowdfunding), das eine Million Euro aufbringen soll. Es richtet sich an Bürger:innen, Verbände, Bewegungen, Arbeiter:innen, Gewerkschaftsmitglieder und solidarische Aktivist:innen. 10.000 Anteile zu je 100 Euro werden ausgegeben, jedoch müssen mindestens fünf Anteile erworben werden. Die Stückelung in Anteile zu 100 Euro soll es Menschen oder Vereinen, die nicht mehr aufbringen können, ermöglichen, gemeinsam mit anderen Anteile zu kaufen. Bis zum Juni 2024 soll diese erste Million aufgebracht werden. Mehr Informationen zur Zeichnung gibt es hier.

Inzwischen gibt es drei Prototypen des Lastenfahrrads: ein muskelbetriebenes und zwei elektrische Räder (davon eines für Frachtladung und eines für den „häuslichen“ Gebrauch). Die Prototypen werden derzeit in den Straßen von Florenz von der ethischen/fairen Liefergenossenschaft Robin Food eingesetzt. Das Fahrrad heißt „Insorgiamo!“ – „Erheben wir uns!“

Quellen:

https://insorgiamo.org
https://taz.de/Besetzte-Fabrik-bei-Florenz/!5904996/
https://jacobin.com/2023/04/italy-gkn-factory-occupation-transform-production-workers-jobs-climate-change

Titelfoto: Margherita Caprilli



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Die Kolonisierung der Zukunft beenden – Interview mit Prof. Dr. Christoph Görg
von Martin Auer

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Christoph Görg

Universitätsprofessor Dr. Christoph Görg arbeitet am Institut für soziale Ökologie an der Universität für Bodenkultur in Wien. Er gehört zu den Herausgeber:innen und Leitautor:innen des APCC Special Report Strukturen für ein klimafreundliches Leben, und ist Autor des Buchs: Gesellschaftliche Naturverhältnisse. Mit ihm spricht Martin Auer von °CELSIUS.

Eine der Kernaussagen des Kapitels „Soziale und politische Ökologie“, für das Professor Görg Leitautor ist, besagt, dass „bisherige Innovationsgebote (wie grünes Wachstum, E-Mobilität, Kreislaufwirtschaft, energetische Nutzung von Biomasse)“ nicht ausreichen, um ein klimafreundliches Leben zu ermöglichen. „Der globale Kapitalismus beruht auf dem industriellen Metabolismus, der auf fossile und damit endliche Ressourcen angewiesen ist und damit keine nachhaltige Produktions- und Lebensweise darstellt. Eine gesellschaftliche Selbstbegrenzung der Ressourcennutzung ist notwendig.“

Zu hören ist das Interview auf AlpenGLÜHEN.

„Die Kolonisierung der Zukunft beenden – Interview mit Prof. Dr. Christoph Görg
von Martin Auer
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