Die Auswirkungen des Klimawandels auf sozial marginalisierte und armutsbetroffene Roma-Communities
Zehn bis zwölf Millionen Roma und Rom:nija leben in Europa. Besonders in den ehemaligen kommunistischen Ländern Zentral- und Südosteuropas sind bis zu 80 Prozent von Armut und Rassismus betroffen und leben am Rande der Nicht-Roma-Gesellschaft.1
Das jahrzehntelange Zusammenspiel von Armut und Rassismus hat dazu geführt, dass Roma und Rom:nija zu den vulnerabelsten Gruppen in Europa gehören. Es besteht die Befürchtung, dass die Verwundbarkeit dieser Bevölkerungsgruppe im Zuge der globalen Erderwärmung weiter zunehmen wird.2 Untersuchungen aus den USA zeigen, dass Menschen, die von Diskriminierung und Rassismus betroffen sind, wie etwa die afroamerikanische Bevölkerung, stärker von den Folgen des Klimawandels betroffen sind.3
Man kann davon ausgehen, dass es in Europa ähnlich ist. Aber nicht alle Roma und Rom:nija sind gleich betroffen. Diejenigen Rom:nija, die zur Mittelschicht gehören oder nicht als Teil der Roma-Community wahrgenommen werden, sind nicht im gleichen Maße betroffen wie jene, die in segregierten Roma-Siedlungen in bitterer Armut leben.4
Die Roma-Dachorganisation ERGO (European Roma Grassroots Organisations Network) in Brüssel hat schon vor einigen Jahren unter dem Blickwinkel des Umweltrassismus Benachteiligungen aufgrund des Wohnortes beziehungsweise der Wohnsituation aufgegriffen. Gemeinsam mit dem European Environmental Bureau haben sie auf die katastrophale Situation von Roma-Siedlungen hingewiesen. Häufig befinden sich Siedlungen in der Nähe von Industrieanlagen, neben oder auf kontaminierten Böden, oder in Hochwasserrisikogebieten. Viele verfügen auch nicht über eine ausreichende Trinkwasserversorgung oder eine funktionierende Kanalisation und Müllentsorgung.5
Mit der Zunahme von Extremwetterereignissen wie Hitze und Starkregen sind diese minderwertigen Wohngebiete weiteren Umwelteinflüssen ausgesetzt. Ein konkretes Beispiel aus Hamburg verdeutlicht die Problematik: Roma und Rom:nija erhielten dort als „Wiedergutmachung“ ein Grundstück auf einer ehemaligen Mülldeponie. Durch die Erderwärmung werden nun verstärkt giftige Dämpfe freigesetzt, die massive Gesundheitsschäden verursachen.6
Wie verheerend wiederum die Folgen von Starkregenereignissen sein können, wurde 1998 in der ostslowakischen Ortschaft Jarovnice deutlich, wo es zu starken Überflutungen kam, von denen insbesondere die am Fuße der Ortschaft gelegene Roma-Siedlung betroffen war. Dutzende Häuser wurden zerstört. Mehr als 50 Menschen starben, 40 davon Kinder aus der Roma-Siedlung.7 2014 kam es infolge von Starkregen zur Zerstörung der Roma-Siedlung Asparuhova in der bulgarischen Stadt Varna, 14 Menschen kamen ums Leben.8
Aber auch indirekt können Starkregenereignisse Rassismus verstärken, wie das folgende Beispiel vom letzten Sommer aus Kroatien vor Augen führt: Während sich die Bewohner:innen der Roma-Siedlung Autoput vor dem herannahenden Hochwasser in einer Turnhalle in Sicherheit brachten, rissen unbekannte Täter:innen die zurückgelassenen Häuser mit Baggern nieder.9
Rassismus und Ausgrenzung erschweren häufig auch die berufliche Teilhabe von Rom:nija. Dies führt zu einer niedrigen Erwerbsquote und folglich zu hoher Armut, wie die eingangs zitierte FRA-Studie aufzeigt. So lag 2021 die Erwerbsquote bei Rom:nija in den untersuchten Ländern bei 43%, bei der Nicht-Roma-Community hingegen durchschnittlich bei rund 70%.10 Gleichzeitig reichen die staatlichen Sozialleistungen kaum aus, um das Existenzminimum zu finanzieren. Um ihre Lebenssituation zu verbessern, wählen betroffene Roma und Rom:nija insbesondere in den zentral- und osteuropäischen Ländern als Ausweg die Migration in den “Westen”, unter anderem nach Österreich. Je nach vorhandenen Ressourcen und sozialen Netzwerken gehen sie in der Migration verschiedenen Beschäftigungen nach,11 unter anderem auch informellen Tätigkeiten im öffentlichen urbanen Raum, wie Betteln, dem Verkauf von Straßenzeitungen oder dem Ausüben von Straßenmusik, um Geld zu verdienen.12 Diese Menschen sind besonders vulnerabel, da sie sich im Freien aufhalten müssen, um Geld zu verdienen. Gleichzeitig sind sie auch darauf angewiesen, dass sich andere Menschen, die ihnen eine Spende zukommen lassen oder eine Zeitung abkaufen, ebenfalls im öffentlichen Raum bewegen. Bei Hitzewellen sind jedoch weniger PassantInnen unterwegs und auch für die Armutsmigrant:innen selbst, kann der Aufenthalt im überhitzten urbanen Raum gesundheitsgefährdend sein. Folglich haben sie finanzielle Einbußen, was sich wiederum auf ihre Familien in den Herkunftsländern auswirkt. Im August 2023 gab die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) bekannt, dass in Österreich in den letzten Jahrzehnten Hitzewellen um 50% häufiger geworden sind und auch länger andauern, wovon insbesondere städtische Gebiete betroffen sind.13 Menschen, die informellen Tätigkeiten nachgehen, können jedoch bei extremer Hitze ihre Aktivitäten nicht einfach in kühlere ländliche Regionen oder in klimatisierte Innenräume verlegen – sie sind auf den öffentlichen urbanen Raum angewiesen, um Geld zu verdienen.
Die prekäre finanzielle Situation beeinflusst weiters auch die Möglichkeiten, Lebensmittel zu kaufen. In der FRA-Studie wurde erhoben, dass 29% der Roma-Kinder in Haushalten leben, in denen mindestens ein Mal im letzten Monat eine Person hungrig zu Bett gegangen ist.14 Nehmen Extremwetterereignisse zu, kann dies zu einem Ansteigen der Lebensmittelpreise führen.15 Folglich wird die Zahl der armutsbetroffenen Rom:nija, die an Mangelernährung und Hunger leiden, weiter zunehmen. Bereits jetzt ist im EU-Durchschnitt die Lebenserwartung von Rom:nija um zehn Jahre kürzer als die von Nicht-Rom:nija, wie die Studie der FRA aufzeigt.16 Dies ist einerseits der schlechten sozioökonomischen Situation geschuldet und andererseits aber auch Rassismus und Diskriminierung im Gesundheitswesen. So gaben rund 14% der Rom:nija in den untersuchten Ländern an, dass sie in den letzten zwölf Monaten aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit zur Roma-Community Diskriminierung im Gesundheitswesen erfahren haben.17 Nach wie vor gibt es in Krankenhäusern eigene nach Ethnizität (Roma vs. Nicht-Roma) getrennte Abteilungen. Werden Viruserkrankungen, wie Zoonosen, aufgrund der Erderwärmung wahrscheinlicher, werden auch die Herausforderungen für die Gesundheitsversorgung zunehmen. Ist das Gesundheitswesen zudem rassistisch und diskriminierend, werden vulnerable Gruppen einem erhöhtem Risiko ausgesetzt.
Auch dass während Hitzewellen keine Abkühlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, ist besonders für Kinder, ältere Menschen und gesundheitlich beeinträchtigte Personen gesundheitsgefährdend. Dies ist besonders erschreckend, wenn es daran liegt, dass der Zugang zu Freibädern, Seen oder auch (halb-)öffentlichen klimatisierten Räumlichkeiten wie Büchereien, Museen oder Einkaufszentren nicht allen gleichermaßen offen steht. In den letzten Jahren hat u.a. das European Roma Rights Center in Nordmazedonien, Bulgarien, Rumänien, Spanien, Groß Britannien und der Slowakei Fälle dokumentiert, in denen Roma und Rom:nija aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit der Zutritt zu öffentlichen Bädern verwehrt worden ist.18 Diese Beispiele verdeutlichen, dass Ethnizität eine zentrale Kategorie sein kann, die darüber bestimmt, ob Menschen Schutz vor Hitze erhalten oder nicht.
Die Verknüpfung von rassistisch motivierten Praktiken und den Auswirkungen der Erderwärmung macht deutlich, dass marginalisierte und armutsbetroffene Roma und Rom:nija aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit und ökonomischen Handlungsfähigkeit weitaus stärker von den Folgen des Klimawandels betroffen sind und sein werden als Nicht-Rom:nija. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, dass Roma-NGOs und Menschenrechtsorganisationen gemeinsam mit Klimaschutzaktivist:innen und Klimawissenschaftler:innen Allianzen bilden, um das Bewusstsein dafür zu stärken. Denn es gilt zu erkennen, dass Rassismus und Armut die Auswirkungen der globalen Erderwärmung auch in Europa verschärfen werden.
Barbara Tiefenbacher-Jami beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Fragestellungen aus dem Bereich der Romani Studies. Sie promovierte zu Prozessen und Folgen der Selbst- und Fremdethnisisierung von Roma-Communities. Von 2009 bis 2021 war sie Vorstandsmitglied von Romano Centro – Verein für Roma in Wien. Zudem arbeitete sie 2007/08 in einer segregierten Roma-Siedlung in der Slowakei in einem Freizeitzentrum mit armutsbetroffenen und marginalisierten Kindern und Jugendlichen.
Titelfoto: Barbara Tiefenbacher-Jami – Kaum mehr lesbarer Wegweiser zu einer Roma-Siedlung in der Slowakei
1 Fundamental Rights Agency (2022): Roma in European Countries – Main Results, Roma Survey https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2022-roma-survey-2021-main-results2_en.pdf (abgerufen 27.01.2024)
2 Vgl dazu auch: Antal, Atilla (2018): Climate and social justice in Eastern and Southern Europe: The social nature of climate change (Working Paper 1), https://www.inogov.eu/wp-content/uploads/2018/08/Antal_WP1.pdf (abgerufen 03.02.2024).
3 https://www.mckinsey.com/bem/our-insights/impacts-of-climate-change-on-black-populations-in-the-united-states# (abgerufen 04.02.2024)
4 Zu den Folgen von Selbst- und Fremdethnisierungen siehe: Tiefenbacher, Barbara (2014): “Es springt so hin und her.” Verhandlungen um ethnische Zugehörigkeiten in post-/migrantischen Romani Communitys in Österreich (Dissertation), Univ. Wien.
5 https://eeb.org/wp-content/uploads/2020/04/Pushed-to-the-Wastelands.pdf (abgerufen am 28.01.2024) Ende Jänner fand zu dem Thema auch eine Online-Veranstaltung statt: https://ergonetwork.org/2024/01/roma-and-environmental-racism-the-role-of-the-eu-strategic-framework-in-ensuring-environmental-rights-and-dignity/ (abgerufen 29.01.2024).
6 https://www.boell.de/sites/default/files/2021-12/E-Paper Der Elefant im Raum – Umweltrassismus in Deutschland Endf.pdf S.14 (abgerufen 04.02.2024).
7 http://www.errc.org/roma-rights-journal/the-aftermath-of-the-summer-floods-in-jarovnice-slovakia (abgerufen 28.01.2024).
8 https://www.opensocietyfoundations.org/voices/flood-lays-bare-inequality-bulgaria (abgerufen 04.02.2024)
9 https://www.slobodnaevropa.org/a/romi-hrvatska-naselje/32573019.html und https://glaspodravine.hr/podravski-romi-bagerima-su-nam-bez-znanja-sravnili-naselje-u-kojem-smo-zivjeli/ (abgerufen 27.01.2024)
10 https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2022-roma-survey-2021-main-results2_en.pdf S. 43 (abgerufen 28.01.2024).
11 Vgl. zB Grill, Jan (2011): From Street Busking in Switzerland to meat factories in the UK. A comparative study of two Roma migrations from Slovakia. In: Kaneff, Deema / Pine, Frances (Hg.): Global Connections and Emerging inequalities in Europe, Perspectives on poverty and transnational migration. London – New York – Delhi: Anthem Press, S. 79– 102.
12 Benedik, Stefan / Tiefenbacher, Barbara / Zettelbauer, Heidrun, u. Mitarb. v. Edit Szénássy (2013): Die imaginierte „Bettlerflut“. Migrationen von Roma/Rom:nija – Konstrukte und Positionen. Klagenfurt/Celovec: Drava; Tiefenbacher, Barbara (2014): “Es springt so hin und her” Verhandlungen um ethnische Zugehörigkeiten in post-/migrantischen Romani Communitys in Österreich (Dissertation), Univ. Wien.
13 https://www.zamg.ac.at/cms/de/klima/news/hitzewellen-laenger-und-haeufiger (abgerufen 04.02.2024)
14 https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2022-roma-survey-2021-main-results2_en.pdf S. 61 (abgerufen 28.01.2024).
15 https://www.derstandard.at/story/3000000202535/climateflation-wird-der-klimawandel-zum-preistreiber-bei-lebensmitteln?ref=nl). (abgerufen am 28.01.2024)
16 https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2022-roma-survey-2021-main-results2_en.pdf (abgerufen 28.01.2024).
17 https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2022-roma-survey-2021-main-results2_en.pdf S. 49 (abgerufen 28.01.2024).
18 http://www.errc.org/news/romani-children-win-discrimination-case-after-being-denied-entry-to-a-public-swimming-pool-in-romania); http://www.errc.org/press-releases/macedonian-court-rules-against-swimming-pool-for-discriminating-against-roma; https://www.rferl.org/a/bulgaria-roma-discrimination-swimming-pools/32529839.html (alle abgerufen am 28.01.2024)
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