Generationengerechtigkeit und Klimaschutz

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Lesedauer 5 Minuten.   

Mediengespräch – Zusammenfassung

Die Fachgruppe Politik und Recht der S4F Österreich hat zusammen mit Diskurs. Das Wissenschaftsnetz am 16.03.23 ein Mediengespräch zum Thema „Generationengerechtigkeit und Klimaschutz“ organisiert. Thematische Inputs gab es von Univ.-Prof. Dr. Lukas Meyer (Universität Graz), Mag. Nikolaus Handig (Universität für Bodenkultur Wien) und Mag.a Judith Fitz (Universität für Bodenkultur Wien).

Unter Moderation von Alexander Behr widmete sich das Podium den Fragen

  • Welche Handlungsmöglichkeiten gibt es hinsichtlich Generationengerechtigkeit und Klimakrise?
  • Welche Aufgaben hierbei kommen auf uns zu und 
  • welche Erkenntnisse bietet die Wissenschaft?

Hintergrund

Anlass des Gesprächs war eine Klimaklage von zwölf Kindern beim Verfassungsgerichtshof. Sie folgt dem Beispiel einer erfolgreichen Beschwerde mehrerer Jugendlicher beim deutschen Bundesverfassungsgericht: Hier wurde entschieden, dass die deutsche Regierung Klimaschutz auch im Lichte der Generationengerechtigkeit zu denken hat. Die Klage in Österreich verfolgt ähnliche Ziele. Denn Zeit zum Abwarten gibt es beim Klimaschutz nicht mehr: Aktuelle Versäumnisse im Bereich des Klimaschutzes gefährden die Lebensqualität zukünftiger Generationen. Dennoch sind konkrete Maßnahmen eher weniger zu sehen. Nicht zuletzt wartet die österreichische Bevölkerung bis heute auf ein neues Klimaschutzgesetz.

Generationengerechtigkeit bedeutet eine faire Verteilung materieller Ressourcen, Lebenschancen und Lebensqualität über verschiedene Generationen hinweg. Die Folgen des menschengemachten Klimawandels – wie Ressourcenknappheit, Hitze und Umweltkatastrophen – gefährden diesen fairen Ausgleich. Was aktuelle Generationen verbrauchen, haben spätere Generationen weniger. Die Klimakrise wird damit zum Gerechtigkeitsproblem und sollte als solches auch von der österreichischen Regierung behandelt werden.

Klimaschutzaktivist:innen der Umweltbewegung Letzte Generation Österreich machen mit Protestaktionen darauf aufmerksam, dass Entscheidungsträger:innen von heute die letzte Generation sind, die „den Zusammenbruch der Lebensgrundlagen noch aufhalten kann“. Der Name des Bündnisses ist also nicht zufällig gewählt. Sie kritisieren in diesem Zusammenhang, dass die österreichische Regierung laufend Verfassungsgesetze bricht, indem sie notwendige Maßnahmen nicht setzt.Dass der Vorwurf der Verfassungswidrigkeit staatlichen Handelns juristisch argumentierbar ist, zeigt jüngst die Klimaklage der zwölf minderjährigen Beschwerdeführer:innen, die sich vertreten durch Umweltanwältin Michaela Krömer an den Verfassungsgerichtshof wenden und dabei die teilweise Aufhebung des aktuellen Klimaschutzgesetzes als verfassungswidrig anstreben. Sucht man in der österreichischen Verfassungslandschaft nach dem Begriff „Generationengerechtigkeit“ wird man in Artikel 1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern fündig. Die Verfassungsbestimmung regelt, dass jedes Kind einen Anspruch auf die „Wahrung seiner Interessen auch unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit“ hat. Folgt daraus, Klimaschutzaktivist:innen sei in ihrer Annahme beizupflichten, die österreichische Bundesregierung verstoße mit der aktuellen Klimapolitik gegen Verfassungsrecht? Die klassische Antwort eine:r Jurist:in wäre wohl: Es kommt darauf 

Generationengerechtigkeit und Klimakrise - Mediengespräch

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Zusammenfassung der Inputs

Univ.-Prof. Dr. Lukas Meyer (Universität Graz)

Zu Beginn erfolgt eine Analyse der Generationengerechtigkeit aus philosophischer Perspektive. Diese geht davon aus, dass auch zukünftig lebende Personen Rechte gegenüber gegenwärtig lebenden Personen haben. In der Verfassung sind die subjektiven Rechte zukünftiger Generationen nicht ausdrücklich geschützt. Zukünftig Lebende sind von den Auswirkungen der Klimakrise allerdings besonders betroffen und haben wegen der prognostizierten gravierenden Folgen des Klimawandels massive Beeinträchtigungen ihrer Rechte zu befürchten. Das Ziel der Klimaneutralität soll diese Beeinträchtigung für künftige Generationen möglichst gering halten.

Darauf folgen Überlegungen zur Verantwortung einzelner Staaten im Hinblick auf ihren Emissionsausstoß: Die Aufgabe der einzelnen Staaten, Emissionen zu reduzieren, um Klimaneutralität zu erreichen, wird vielfach über Emissionsbudgets definiert. Die Annahme dabei ist, dass es globales Budget für Emissionen gibt, die (noch) ausgestoßen werden dürfen. Welcher Staat noch wie viel Budget hat, wird dabei mittels gleichmäßiger Pro-Kopf-Verteilung berechnet. Bisherige Emissionen werden nicht berücksichtigt. Diese Berechnung ist günstig für Staaten wie Deutschland und Österreich. Allerdings: Bei Berücksichtigung historischer Verantwortung und mit der Annahme (ab den 1990er Jahren), dass alle Menschen wenigstens in ihren Grundbedürfnissen geschützt werden, müsste das globale Budget anders aufgeteilt werden. Dies wäre für Staaten wie Österreich und Deutschland weniger günstig.

Die Berechnung der Emissionsbudgets geht von einem zukunftsorientierten Verständnis von Verantwortung aus – und diese bestimmt auch häufig den Diskurs. Für eine vollumfassende Verantwortungsübernahme sollte aber auch die Vergangenheit berücksichtigt werden. Werden zukunftsgerichtete Pflichten nämlich nicht erfüllt, ergeben sich daraus vergangenheitsgerichtete Pflichten. Die Versäumnisse der Vergangenheit müssen kompensiert werden. Anders ausgedrückt: Wenn hochindustrielle Staaten ihre Pflichten nicht erfüllen, müssen sie Verantwortung für entstandene Schäden übernehmen und jetzt sowie in der Zukunft entsprechend handeln.

Mag. Nikolaus Handig (Universität für Bodenkultur Wien)

Zu Beginn des Inputs wird Artikel 1 aus dem BVG Kinderrechte zitiert: „Jedes Kind hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für sein Wohlergehen notwendig sind, auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung sowie auf die Wahrung seiner Interessen auch unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit. Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein.“

Darauf folgt eine Begriffsbestimmung: Es gibt keine Legaldefinition für Generationengerechtigkeit. Der Duden beschreibt sie als den gerechten Ausgleich der zu tragenden gesellschaftlichen Lasten, der z.B. bei Rentenbeiträgen oder Staatsverschuldung Anwendung findet. Er bezieht sich also auf die Gerechtigkeit zwischen den Generationen. 

Der Begriff „Generationengerechtigkeit“ wurde in Österreich noch nicht höchstgerichtlich definiert – zumindest eine einheitliche Auslegung gibt es nicht. Das Bundesverfassungsgericht in Deutschland ist schon einen Schritt weiter und zieht Generationengerechtigkeit als Kernargument zur Bewertung von Klimaschutzmaßnahmen heran. Es folgt dabei der Auffassung, Generationengerechtigkeit verlange die gleichmäßige Verteilung von Freiheiten und Lasten. Gravierende Eingriffe in gesamtgesellschaftliche Bereiche können die Generationen verletzten, v.a. bei irreversiblen Folgen. Dies betrifft auch die Bereiche Klimaschutz und Umweltschutz und macht sie zu Kernbereichen der Generationengerechtigkeit.

Die österreichischen Klimakläger:innen verfolgen eine der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ähnliche Argumentationslinie. Im Zentrum ihres Vorbringens steht das Kindeswohl. Dieses wird in der Praxis als Prüfungsmaßstab herangezogen; sowohl von Gerichten als auch von Behörden. Auch der Gesetzgeber ist bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen daran gebunden. Unambitionierte Klimaschutzgesetze könnten in Konflikt damit stehen, da sie sich in der Zukunft negativ auf das Kindeswohl auswirken können.

Mag.a Judith Fitz (Universität für Bodenkultur Wien)

Im letzten Beitrag erfolgt eine Darstellung der rechtlichen Hürden in Österreich, um Generationengerechtigkeit als Anspruch geltend zu machen. Ganz allgemein gilt: Eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu erheben, ist an nicht immer leicht zu erfüllende Zulässigkeitsvoraussetzungen geknüpft. Insbesondere das Erfordernis der „unmittelbaren Betroffenheit“ stellt Klimakläger:innen vor Schwierigkeiten. Bei der aktuellen Klimaklage geht es um das Klimaschutzgesetz und dieses richtet sich an die Verwaltung. Die zwölf Kinder sind damit nicht unmittelbare Normadressaten des Klimaschutzgesetzes. Daher ist bereits die Frage unklar, ob der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde der jungen Beschwerdeführer:innen überhaupt prüfen wird. Außerdem kann der Verfassungsgerichtshof zwar bestehende Gesetze aufheben, er kann aber weder selbst Gesetze erlassen noch den Gesetzgeber dazu verpflichten, Gesetze zu erlassen. Eine Verfassungsbeschwerde ist deshalb nur bedingt eine Möglichkeit, um gegen die Untätigkeit des Gesetzgebers vorzugehen. 

Dass nur unter bestimmten Voraussetzungen Verfassungsbeschwerden eingebracht werden können, ist kein „Austriacum“. Vorreiter in Sachen erfolgreiche Klimaklagen sind vor allem die Niederlande und Deutschland. Im Fall Deutschland gibt es aber eine juristisch wirksame Maßnahme: Normalerweise muss eine gegenwärtige Verletzung eines Grundrechts vorliegen, damit Verfassungsbeschwerden eingebracht werden können. Da Klimaschutzmaßnahmen mit zeitlicher Verzögerung wirken und eine gegenwärtige Verletzung nicht vorliegen kann, schuf das Bundesverfassungsgericht eine eingriffsähnliche Vorwirkung. Hier wurde also eine Rechtsschutzlücke geschlossen. In Österreich gibt es diese Lücke noch – es bleibt abzuwarten, wie sich der Fall noch entwickelt.

Zu den Personen

Univ.-Prof. Dr. Lukas Meyer: ist Professor für Philosophie und Leiter des Arbeitsbereichs Praktische Philosophie am Institut für Philosophie der Universität Graz. Seine Arbeitsgebiete sind Philosophie, Ethik, Politische Philosophie, Rechtsphilosophie und Sozialphilosophie. Sein Forschungsschwerpunkt ist Gerechtigkeit in Zeit und Raum und seine laufenden Forschungsprojekte sind zu intergenerationeller Gerechtigkeit, Ethik des Klimawandels und historische Gerechtigkeit. Er ist zudem Sprecher (Projektleiter) des interfakultären FWF Doktoratskolleg „Klimawandel – Unsicherheiten, Schwellenwerte und Strategien“ und des Profilbereichs „Field of Excellence Climate Change Graz“.

Mag. Nikolaus Handig: ist Universitätsassistent am Institut für Rechtswissenschaften an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) und stellvertretender Leiter desselben. Er forscht und lehrt im Bereich des Umweltrechts und verfasst auch seine Dissertation zur Abwehr von Gefahr im Verzug im Umweltrecht. Zudem ist er Co- Herausgeber des Rechtsblogs „überzuckert – Tagesgeschehen rechtlich verstehen“.

Mag.a Judith Fitz: ist Universitätsassistentin am Institut für Rechtswissenschaften an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU). Sie forscht im Bereich des Klimaschutzrechts sowie der Grund- und Menschenrechte und verfasst ihre Dissertation zum Thema Klimaklagen. Sie ist zudem Vorstandsmitglied der Österreichischen Liga für Menschenrechte und Redaktionsmitglied der Fachzeitschrift juridikum.

Titelbild: Anemone123 auf Pixabay



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