Degrowth – Klimaschutz durch Wachstumswende

Lesedauer 4 Minuten.   

von Dirk Raith und Philipp Wilfinger

Grundlagen Degrowth

Degrowth oder Postwachstum bezeichnet eine grundlegende Transformation unserer Wirtschaftsweise und Gesellschaft, die ein gutes Leben für alle zum Ziel hat. Durch die Etablierung eines bedürfnisorientierten und kooperativen Wirtschaftssystems sollen bestehende, umweltschädigende Profit- und Wachstumszwänge von Unternehmen sowie die daraus resultierende Ausbeutung von Menschen und Natur überwunden werden. Zugleich sollen strukturelle Ungleichheiten verringert werden. Für diese ökonomische Re-Orientierung ist eine grundlegende Veränderung unserer Lebensweise und ein kultureller Wandel notwendig [1].

Der Beitrag von Degrowth zum Klimaschutz

Zur Einhaltung der Pariser Klimaziele braucht es gemäß des Weltklimarats IPCC schnelle, weitreichende und beispiellose Maßnahmen auf allen Ebenen [2], entsprechend auch Veränderungen des Wirtschaftssystems. Degrowth steht für einen gezielten Rückbau von treibhausgas-intensiven, nichtnachhaltigen Sektoren und Industrien auf globaler Ebene. Dazu zählen u. a. Werbe-, Waffen-, Fast-Fashion-, Kreuzfahrt-, Flugverkehrs- und fossile Industrien, der spekulative Börsen- und Finanzsektor sowie die chemisch-industrielle Landwirtschaft. Zudem würden verlängerte Nutzungsdauern, die einfache Reparierbarkeit von Produkten und Kreislaufwirtschaft zum Standard werden. Degrowth bedingt zugleich einen gezielten Ausbau sozial-ökologischer Infrastrukturen (z. B. erneuerbare Energien, öffentlicher Verkehr & Daseinsvorsorge), die eine gerechte und klimafreundliche Versorgung für alle ermöglichen [3].

Transformation als komplexe Herausforderung

Der Umbau zu einer Postwachstums-Wirtschaft benötigt eine breite gesellschaftliche Debatte, da diese Transformation mit Konflikten und Widersprüchen konfrontiert ist. So sind z. B. unsere sozialen Sicherungssysteme und unser Wohlstand aktuell von Wirtschaftswachstum abhängig. Die Erhöhung des Lebensstandards in Ländern wie Österreich im 20. Jhd. ging stets mit Steigerungen materiellen Besitzes einher [4]. Aus dieser Perspektive wird Wachstum als gesellschaftlich positiv gewertet, während negative Wachstumsraten mit Wohlstandsverlusten gleichgesetzt werden.

Degrowth vs. Rezession

Mit Degrowth ist keine wirtschaftliche Rezession gemeint, sondern ein Paradigmenwechsel hin zu einer Wirtschaft und Gesellschaft, die auch ohne ökonomisches Wachstum florieren können. Das zentrale Stichwort ist: “change by design, not by disaster” [4]. Dabei stellen sich Fragen von Verteilungsgerechtigkeit, Machtverhältnissen und der Rolle von Institutionen. Degrowth will einerseits die ökologische Notwendigkeit des Wandels und andererseits die möglichen Schritte zu einer Postwachstumsökonomie in ihrer Vielfalt, Widersprüchlichkeit und Komplexität darstellen.

Hauptaussagen

  • Degrowth bezeichnet eine ökonomische Strömung bzw. eine Bewegung für eine Transformation unserer Wirtschafts- und Lebensweisen im Sinne der Klima- und Biodiversitätsziele.
  • Ziele von Degrowth sind u. a. eine gerechtere Verteilung von Wohlstand und die Schonung von Ressourcen, um ein gutes Leben für alle innerhalb planetarer Grenzen zu ermöglichen.
  • Degrowth ist primär als Konzept für den Globalen Norden zu sehen, um eine nachhaltigere Zukunftsperspektive für Länder wie Österreich zu entwickeln.

Historische Verantwortung des Globalen Nordens

Die Länder des Globalen Nordens, u. a. Europa, USA, Kanada, Australien und Japan, haben durch ihre frühe Industrialisierung historisch am stärksten zur Erderhitzung beigetragen und zugleich am meisten von den materiellen und technischen Fortschritten profitiert – nicht zuletzt durch die Kolonialisierung und Ausbeutung anderer Kulturen und Ökosysteme, insbesondere im Globalen Süden. Degrowth ist daher vorrangig als Konzept für den Globalen Norden zu sehen, um die ökonomische Aktivität der reichsten Länder auf ein global faires Maß innerhalb der ökologischen Belastungsgrenzen zu senken. Ein gezielter Umbau der Wirtschaft soll Ländern des Globalen Südens ermöglichen, ihren Lebensstandard ohne Wachstumsdruck klimaschonend und sozial gerecht zu heben, Stichwort „ein gutes Leben für alle“ [5],[6].

Ressourcenverbrauch in Österreich als Gerechtigkeitsfrage

Österreich liegt heute mit jährlichen CO2-Emissionen pro Kopf von 8,3 Tonnen (für das Jahr 2020) [7] über dem globalen Durchschnitt von 6,7 Tonnen CO2-Emissionen pro Kopf und Jahr [8]. Laut dem Global Footprint Network verbraucht Österreich jährlich die natürlichen Ressourcen der Erde in einem Ausmaß, als stünden uns 3,8 Planeten zur Verfügung [9]. Zugleich besteht innerhalb des Landes ein Gerechtigkeits-Gefälle: Die reichsten 10% der Bevölkerung emittierten im Jahr 2019 durchschnittlich 42 Tonnen CO2-Äquivalente [10]. Degrowth zielt auf eine Schrumpfung des Material- und Energiemetabolismus [11] sowie eine sozial gerechte Umverteilung materiellen Wohlstands auch innerhalb von Staaten ab.

„Grünes Wachstum“ durch Entkopplung?

Bisherige Strategien setzen vorwiegend auf Effizienz, um Treibhausgas-(THG)-Emissionen und Wirtschaftswachstum zu entkoppeln [12]. Meta-Studien zeigen jedoch: Die benötigte Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch bzw. THG-Emissionen kann aktuell nicht ansatzweise erzielt werden [13]. Mit wachstumsorientierten Strategien würden Länder wie Österreich im Schnitt 220 Jahre benötigen, um ihre Emissionen um 95% zu reduzieren [14] – statt wie geplant bis zum Jahr 2040. Sogenanntes „grünes Wachstum“, mit dem Klimaziele eingehalten werden können, bleibt unerreicht.

Differenzierte Transformation von Industrien in einer Postwachstumsgesellschaft [16]

BIP-Problematik und alternative Wohlstandsindikatoren

Schon die Vorstellung von „Wachstum“, die durch das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als zentrale Maßzahl repräsentiert wird, ist irreführend und reformbedürftig. Das BIP verbucht Schäden und Verluste für Menschen und Natur als wachstumsfördernd, wenn dafür Kosten anfallen. Wenn Wiesen, Felder und Wälder für klimaschädliche Infrastruktur versiegelt werden, dann trägt das zum BIP-Wachstum bei und vermittelt eine falsche Vorstellung von „Fortschritt“. Wirksame Klimaschutz-Maßnahmen ohne eine finanzielle Transaktion werden hingegen nicht erfasst.

Alternative Wohlstandsindikatoren, wie der Genuine Progress Indicator (GPI), der Nationale Wohlfahrtsindex (NWI) oder auch der Happy Planet Index (HPI) sollten verstärkt in Entscheidungsprozessen herangezogen werden [15].

Konkrete Maßnahmen und Ansätze von Degrowth

Auf politisch-ökonomischer Ebene sieht Degrowth z. B. Folgendes vor: Umbau von Finanzinstitutionen, Arbeitszeitverkürzung [5], demokratische Unternehmensformen, Einkommensobergrenzen, progressive Besteuerung von Reichtum, Erbe und Materialverbrauch, bedingungsloses Grundeinkommen bzw. staatliche Grundversorgung, Priorisierung von Bildung, Pflege, Nachhaltigkeit und Gesundheit. Auf gesellschaftlich-kultureller Ebene forciert Degrowth: Achtsamkeit, Solidarität und Kooperation als Basis für eine neue Wirtschaftsordnung [1], Überwindung patriarchaler, sexistischer und rassistischer Strukturen, Schaffung von nicht-hierarchischen Kulturen der Partnerschaft und Verbundenheit mit allen Lebewesen.

Quelle: CCCA Factsheet #49 2024, CCBY-NC-SA
Titelbild: danyonited, Klimagerechtigkeit Leipzig, via Wikimedia, CC BY-SA

Referenzen

[1] degrowth.info/de/degrowth-de.

[2] Deutsche IPCC-Koordinierungsstelle (2018): Sonderbericht 1,5 °C globale Erwärmung (SR1.5). www.deipcc.de/256.php.

[3] Barlow, N., et al. (2022). Degrowth & Strategy. How to bring about social-ecological transformation. Mayfly Books. mayflybooks.org/degrowth-strategy/. [

4] Haderer, M., et al. (2022): Perspektiven zur Analyse und Gestaltung von Strukturen klimafreundlichen Lebens. In: APCC Special Report: Strukturen für ein klimafreundliches Leben (APCC SR Klimafreundliches Leben). Springer Spektrum: Berlin/Heidelberg. link.springer.com/content/pdf/10.1007/978-3-662-66497-1 32?pdf=chapter%20toc .

[5] Kreinin, H., Aigner, E. (2021). From “Decent work and economic growth” to “Sustainable work and economic degrowth”: a new framework for SDG 8. Empirica (2022) 49:281–311. doi.org/10.1007/s10663-021-09526-5.

[6] D’Alisa, G., et al. (2015). Degrowth. A Vocabulary for a New Era. Routledge. www.routledge.com/Degrowth-A-Vocabulary-for-a-New-Era/DAlisa-Demaria-Kallis/p/book/9781138000773.[7] https://de.statista.com/ statistik/daten/studie/962397/umfrage/treibhausgasemissionen-pro-kopf-in-oesterreich/.

[8] klimadashboard.at/emissionen.

[9] www.overshootday.org/newsroom/country-overshoot-days/dates/ .

[10] Essletzbichler, J., et al. (2023). Kapitel 17. Soziale und räumliche Ungleichheit. In: APCC Special Report: Strukturen für ein klimafreundliches Leben (APCC SR Klimafreundliches Leben). Springer Spektrum: Berlin/Heidelberg. ssrn.com/abstract=4225615.

[11] Kallis, G., et al. (2018). Reserach On Degrowth. Annual Review of Environment and Resources Volume 43:291-316, 2018. doi.org/10.1146/annurev-environ-102017-025941 .

[12] APCC Special Report: Strukturen für ein klimafreundliches Leben (APCC SR Klimafreundliches Leben) [Görg, C., Madner, V., Muhar, A., Novy, A., Posch, A., Steininger, K. W., Aigner, E. (Hrsg.)]. Springer Spektrum: Berlin/Heidelberg. klimafreundlichesleben.apcc-sr.ccca.ac.at/wp-content/uploads/2023/04/ APCC2023 KapitelI ZusammenfassungFuerEntscheidungstragende.pdf.

[13] Parrique T., et al. (2019). Decoupling Debunked: Evidence and arguments against green growth as a sole strategy for sustainability. European Environmental Bureau. eeb.org/library/decoupling-debunked/.

[14] Vogel, J. & Hickel, J. (2023). Is green growth happening? An empirical analysis of achieved versus Paris-compliant CO2-GDP decoupling in high-income countries. The Lancet Planetary Health, Vol. 7, Issue 9. doi.org/10.1016/S2542-5196(23)00174-2.

[15] Rocklage, M., (2015). Indikatorensystem für Nachhaltigkeit. In: FHM Jahresmotto 2014/15: Values for Future. [Dreier, A., Merk, R., Seel, B. (Hrsg.)]. Schriftenreihe der FHM, Bielefeld (Heft 6). www.fh-mittelstand.com/fileadmin/fhm-corporate/fe/publikationen/heft6 web.pdf#page=79.

[16] Duprez and Litchfield, 2022. Network for Business Sustainability. nbs.net/degrowth-can-support-business-sustainability/

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Fortschritt neu denken: Auf dem Weg zur Wachstumsunabhängigkeit

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von Hans Holzinger

Der Wirtschafts- und Sozialgeograf Hans Holzinger über die wirtschaftlichen Herausforderungen in Österreich und die Notwendigkeit einer Wirtschaft, die von Wachstum unabhängig ist und auf einem neuen Wohlstandsverständnis basiert.

Österreichs Wirtschaft schlittert in ihr zweites Rezessionsjahr, so Wifo-Direktor Gabriel Felbermayr und IHS-Direktor Holger Bonin in einer Pressekonferenz zur Konjunkturprognose 2024 und 2025. Beide Institute erwarten heuer einen Rückgang der realen Wirtschaftsleistung von 0,6 Prozent, bei der Sommerprognose war noch mit 0,0 beziehungsweise 0,3 Prozent plus gerechnet worden. Auch die Zahl der Arbeitslosen werde weiter steigen – und das Budgetdefizit 2024 der Regierung werde über die von der EU vorgegebene Drei-Prozentmarke an der Gesamtwirtschaftsleistung liegen. Vor allem die rückläufige Geschäftsentwicklung in der Industrie und am Bau sowie ein schwacher Konsum werden im laufenden Jahr die Konjunkturentwicklung in Österreich bremsen, so die Wirtschaftsforschungsinstitute.

Irrwege gegen die Abwärtsspirale

Es tritt ein, was in den Wirtschaftswissenschaften als Abwärtsspirale beschrieben wird: Unternehmen investieren aufgrund schlechter Wirtschaftsprognosen weniger, die Bürger und Bürgerinnen halten sich mit Konsumentscheidungen zurück. Der Staat bekommt weniger Steuereinnahmen. Und so fort. Die klassische keynesianische Antwort lautet: Investitionen und Konsum ankurbeln. Die Neoliberalen drängen den Staat zu Ausgabenkürzungen und zu Anreizen, mehr zu arbeiten. In Deutschland wird eine neue Abwrackprämie für jene diskutiert, die den Verbrenner durch ein E-Auto ersetzen, um den E-Mobilitätsmarkt zu beleben und der kränkelnden Automobilindustrie unter die Arme zu greifen. In Österreich fordern Wirtschaftsverbände und manche Parteien, die Attraktivität von Teilzeit mittels Lohneinbußen bzw. durch einen Vollzeitbonus zu verringern. Manche plädieren für erneute Unternehmensspritzen, um die Abwanderung von Produktionsstätten hintanzuhalten und die Verteuerung der Energie abzufedern.

Aus Sicht der Ökologischen Ökonomie führt beides in die Irre. Seit Jahrzehnten wird darauf hingewiesen, dass fossile Energien zu billig sind und dass wir Marktanreize in Gestalt von höheren CO2-Steuern brauchen, um den Umstieg auf Erneuerbare Energie zu beschleunigen. Zudem wird eine Postwachstumsstrategie empfohlen. Im Strombereich sind Sonne und Wind bereits die kostengünstigste Energieform, bei Wasserstoff leider nicht. Zweitens wird darauf verwiesen, dass der private Konsum an Gütern zurückzufahren sei, weil in allen Produkten Energie und Ressourcen stecken, und die Entkopplung des Konsumniveaus vom Ressourcenverbrauch nicht im geforderten Maß gelingt. Das führt drittens zur Forderung, Konzepte für eine Wachstumsunabhängigkeit unserer in Summe bereits sehr starken Volkswirtschaften zu entwickeln.

Qualitätsvolle Versorgung mit Grundgütern

Investitionen in die Energie- und Mobilitätswende mit staatlichen Anreizen zu fördern, ist sinnvoll. Das ist kein verlorenes Geld – im Gegenteil, jeder Euro, den wir durch die Verringerung des Imports an fossilen Energien sparen, ist willkommen und erhöht die inländische Wertschöpfung. Eine generelle Ankurbelung des Konsums ist jedoch kontraproduktiv. Vielmehr ginge es darum, den Fokus auf eine qualitätsvolle Versorgung mit den Grundgütern für alle sicherzustellen: leistbares Wohnen, Lebensmittel hoher Qualität, Zugang zu qualitätsvoller Bildung für alle, zufriedenstellende Gesundheitsdienstleistungen ohne Zwei-Klassenmedizin. Da beißt sich jedoch die Katze in den Schwanz – den all das sind öffentliche Leistungen und diese kosten öffentliches Geld.

Strategien einer wachstumsunabhängigen Wirtschaft setzen daher auf drei Dinge:

  • Vermeidung von Negativkosten, etwa duch Gesundheitsprävention und die Förderung gesunder Lebensstile
  • Neujustierung der Steuersysteme
  • Neue Bilder von Wohlstand

Gesundheitsprävention

Verringerung der Negativkosten etwa durch Gesundheitsprävention und die Förderung gesunder Lebensstile: von einer geänderten Ernährung − wir essen zu süß und salzig sowie zu viel Fleisch − bis hin zu mehr Bewegung. Mehr Alltagswege mit dem Rad oder zu Fuß zurückzulegen, gehört dazu. Motto: Fitnesscenter Arbeitswelt. Auch psychische Gesundheit und Resilienz verringert Krankheitskosten. Der Abbau von zu viel Arbeitsstress sowie von Vereinsamung sind keine hinreichenden, aber notwendige Bedingungen dafür. Erfahrene Selbstwirksamkeit führt übrigens auch zu Resistenz gegenüber vereinfachender Angstmache etwa vor Migration. Länger arbeiten, weil wir länger leben, ist zu enttabuisieren. Negativkosten vermeiden wir aber auch durch wirksame Klimawandelanpassungen – von begrünten Städten gegen die zunehmenden Hitzetage bis hin zu Renaturierungen, die zugleich Hochwasserschutz bieten.

Neujustierung der Steuersysteme

Zweitens braucht es eine Neujustierung der Steuersysteme. Das Ziel von Steuern ist zu steuern. Wenn die Vermögens- und Einkommenskluft immer größer wird, muss der Staat hier gegensteuern. Zu große Reichtumsunterschiede sind demokratiepolitisch und volkswirtschaftlich schädlich – und wir können uns diese auch aus ökologischen Gründen nicht mehr leisten. Laut dem UN-Klimarat sind die zehn Prozent reichsten der Weltbevölkerung für fast die Hälfte der Treibhause verantwortlich. Der Wirtschaftsanthropologe Jason Hickel verweist darauf, dass fast ein Viertel der globalen Wirtschaftsleistung den fünf Prozent Reichsten zufließt. Sein Plädoyer: „Wenn Wachstum ein Ersatz für Verteilung war, dann ist Verteilung auch ein Ersatz für weiteres Wachstum.“ Eine bessere Verteilung des Wirtschaftsprodukts ist auch volkswirtschaftlich sinnvoll: Menschen mit niedrigem Einkommen geben dieses für die Grundversorgung aus und stärken damit die lokale Wirtschaft, Menschen mit höherem Einkommen sparen bei einer generellen Entlastung den verfügbaren Mehrbetrag oder geben diesen für weitere Urlaube im Ausland aus. Klimapolitik braucht daher Sozialpolitik im Sinne von Just Transition.

Vom materiellen Statusdenken zum Wohlbefinden

Drittens geht es – wie bereits angedeutet wurde – um neue Bilder von Wohlstand. Kate Raworth ist Begründerin der Donut-Ökonomie. Sie setzt die ökosystemischen Grenzen in Beziehung zu den menschlichen Grundbedürfnissen wie soziale Sicherheit und Zugang zu Basisleistungen wie Bildung oder Energie. Raworth ist überzeugt:  „Kein Land kann Wohlstand ohne Wachstum erreichen. Aber ebenso kann kein Land ökologische Probleme mit Wachstum lösen.“ Der deutsche Ökonom Rudi Kurz formuliert es ähnlich: „Eine zukunftsfähige Strategie muss den Test der Wachstumsunabhängigkeit bestehen. Nur wenn sie auch ohne Wirtschaftswachstum zur Zielerreichung führt, kann eine Strategie als resilient bezeichnet werden. Neben anders produzieren und konsumieren tritt weniger konsumieren in allen Bedarfsfeldern.“ Kurz spricht von einem Erwartungsmanagement: „Über Jahrzehnte geprägte Erwartungen müssen sich verändern. Die Erfüllung immer neuer Konsumwünsche ist nicht mehr möglich.“ Und auch er plädiert für eine Neuverteilung des nicht mehr wachsenden Kuchens.

Konzepte für Wachstumsunabhängigkeit

Österreich ist eines der reichsten Länder der Erde. Im Gegensatz zur gefühlten Stimmung geht es den meisten Menschen materiell noch immer gut. Nicht nur Österreich, sondern alle Volkswirtschaften mit hoher Wirtschaftsleistung stehen vor der Herausforderung, sich vom Wachstumszwang zu verabschieden. An die Stelle von Wachstum tritt Strukturwandel. Wohlstandszuwächse werden im immateriellen Bereich erreicht – durch mehr Wohlbefinden. Der Fortschritt bekommt eine andere Richtung. Es geht um regeneratives Wirtschaften im Einklang mit den Ökosystemen.

Der von der Uno jährlich herausgegebene Weltglückreport  listet als Kriterien für Zufriedenheit auf: soziale Sicherheit, Vertrauen in sich selbst, ineinander und in den Staat, ein positives Demokratiebild sowie lokales Eingebundensein in Gemeinschaften. Die Rangfolge wird seit Jahren von den skandinavischen Ländern angeführt. Österreich lag zuletzt an 14. Stelle – das heißt, es gibt hier Luft nach oben. Erfolgreiche Wirtschaftspolitik wird auch weiterhin an Zahlen gemessen werden und der Umbau in Richtung Wachstumsunabhängigkeit ist kein Spaziergang, aber er ist möglich. Und er wird uns nicht erspart bleiben: „Slow down by design“ ist allemal besser als „by desaster“.

Mag. Hans Holzinger ist Wirtschafts- und Sozialgeograph und Senior Adviser der Robert-
Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg sowie Mitglied von Scientists for Future.
Soeben ist sein neues Buch „Wirtschaftswende. Transformationsansätze und neue
ökonomische Konzepte im Vergleich
“ bei oekom (München) erschienen.

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