Wie ein Ausbau der Daseinsvorsorge Jobs schaffen, Klima schützen und ein gutes Leben ermöglichen kann

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Lesedauer 4 Minuten.   

Von Emma Dowling, Leonhard Plank und Alexandra Strickner

Warnungen vor Wohlstandsverlust dominieren die wirtschaftspolitischen Debatten. Industrie- und Baubranchen verzeichnen Einbrüche, die Arbeitslosigkeit steigt. Die Sorge vor erneuten Kürzungen wegen hoher Ausgaben aufgrund der Krisen der letzten Jahre und die Rückkehr zu fragwürdig konzipierten EU-Fiskalregeln ist groß. Forderungen nach mehr Klimaschutz schüren oft Ängste von Arbeitsplatz- oder Einkommensverlust. Ökonomische Prosperität, soziale Sicherheit, gute Arbeitsplätze und Klimaschutz könnten durch den Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge erreicht werden, wie eine neue Studie zeigt.

Ausbau der Grundversorgung als zentraler Pfeiler des Umbaus

Ein Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge bedeutet eine Stärkung jenes Teils der Wirtschaft, der für den Alltag lebensnotwendig ist und unsere universellen menschlichen Bedürfnisse im Zentrum hat. Darüber hinaus ist sie Basis einer funktionsfähigen Volkswirtschaft. Die Leistungen der Daseinsvorsorge sollten für alle zugänglich, leistbar und qualitätsvoll sein: von der Energieversorgung über den öffentlichen Verkehr, den sozialen Wohnbau, die Pflege, die Gesundheitsversorgung, das Bildungswesen bis zu den vielen kommunalen Betrieben, die Städte und Gemeinden sauber und am Laufen halten. Nur wenn die gute und stabile Versorgung mit diesen Alltagsgütern gewährleistet und damit eine soziale Absicherung vorhanden ist, wird es die Bereitschaft für die erforderlichen mutigen Schritte zum Umbau der anderen Bereiche der Wirtschaft geben. Die Vernachlässigung vieler Daseinsvorsorgeleistungen in der Vergangenheit muss beendet werden. In Zukunft braucht die Daseinsvorsorge mehr Mittel und Aufmerksamkeit, allen voran in den personalintensiven Sektoren des Bildungs-, Gesundheits- und Pflegebereichs. Eine von der AK Wien in Auftrag gegebene Studie der TU Wien und der Universität Wien in Kooperation mit dem Kompetenzzentrum Alltagsökonomie zeigt, dass der Ausbau der Daseinsvorsorge einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und gleichzeitig zu mehr Klimaschutz leisten kann.

Mehr Klimaschutz durch sozial-ökologische Infrastrukturen

Diese Stärkung der Grundversorgung für alle muss einhergehen mit der Umgestaltung vorhandener fossil geprägter Infrastrukturen zu sozial-ökologischen Infrastrukturen der Daseinsvorsorge. Diese Transformation schließt etwa den sozial gerechten Ausbau von Energie- und Mobilitätsnetzen, die Umstellung der Energieerzeugung und die thermische Sanierung sowie den Heizungstausch im Gebäudebestand ein. Auch der Umbau der Städte und Gemeinden in Richtung verbesserter grüner und blauer Infrastrukturen kann das Leben der Vielen verbessern und nebenbei die Umwelt schützen. Ebenso können Entsiegelungen zur Belebung und Stärkung sozialer Orte in Stadt und Land genutzt werden und als Co-Benefit Hitze- und Überschwemmungsrisiken reduzieren. Die gute Nachricht ist: Wir haben die notwendigen Technologien und – bei entsprechender Priorisierung – auch die finanziellen Mittel. Neben dem politischen Willen bzw. der Überzeugungsarbeit für einen großen Aufbruch braucht es vor allem auch eine Vielzahl an Arbeitskräften für eine verbesserte Daseinsvorsorge.

Großes Beschäftigungspotenzial in einer zukunftsfähigen Daseinsvorsorge 2030

In den Sektoren der Daseinsvorsorge bedeutet dies, dass aufgrund der anstehenden Pensionierungswelle bis 2030 rund 126.000 Personen nachbesetzt werden müssen, damit der altersbedingte Abgang ausgeglichen werden kann. Zählt man noch weitere kritische Infrastrukturen bzw. systemrelevante Wirtschaftsbereiche hinzu, insbesondere die öffentliche Verwaltung sowie die Versorgung mit Lebensmitteln (von der Produktion über die Verarbeitung bis zum Vertrieb), dann verdoppelt sich diese Zahl auf 251.000 Personen.

Bereits die Sicherung des Status quo durch ausreichend Ersatzpersonal für altersbedingtes Ausscheiden ist herausfordernd. Darüber hinaus braucht es in vielen Bereichen der Daseinsvorsorge zusätzliches Personal, nicht zuletzt damit Überlastungen und Personalnotstände behoben werden können. Vor allem in den personalintensiven sozialen Infrastrukturen der Gesundheitsversorgung, Langzeitpflege und der Elementarpädagogik sowie im öffentlichen Verkehr braucht es mehr Personal, damit eine gute Grundversorgung für alle möglich wird. Der Bedarf ist hier mit mehr als 216.000 Personen noch größer als in bisherigen Studien geschätzt. Denn diese blenden bestimmte Personengruppen aus (z. B. 24-Stunden-Betreuer:innen in der Langzeitpflege), vernachlässigen die bestehende Unterversorgung im Status quo durch ungedeckte Fehlbedarfe und sehen in der Regel von Angebotsverbesserungen ab. Außerdem berechnen sie nur pensionsbedingte Ersatzbedarfe – das vorzeitige Ausscheiden aus dem Beruf (z. B. aufgrund belastender Arbeitsbedingungen) bleibt unberücksichtigt. Ohne den pensionsbedingten Ersatzbedarf werden immerhin noch mehr als 154.000 Personen bis 2030 benötigt.

Schließlich ist zumindest von rund 54.000 zusätzlichen Vollzeitbeschäftigten, vor allem in der Bauwirtschaft sowie der vorgelagerten Industrie, bis 2030 auszugehen, wenn die für die Erreichung der Klimaziele notwendigen Investitionen erfolgen. Denn zentrale Maßnahmen in diesem Feld, wie etwa der Ausbau der Energie- und Mobilitätsnetze oder die sozial-ökologische Modernisierung der Gebäude, erfordern wichtige Vorleistungen aus der Bauwirtschaft. Ebenso bieten sich Chancen für einen modernisierten Industriesektor z. B. bei der Herstellung von Schienenfahrzeugen oder der Fertigung von Batteriespeichern. Eine ausgebaute und qualitativ verbesserte Daseinsvorsorge 2030 ruht auf erneuerten und erweiterten physischen Grundlagen.

Ansatzpunkte für eine Beschäftigungsoffensive zur Stärkung der Grundversorgung

Die Verantwortung der öffentlichen Hand und die Orientierung an Gemeinwohl und Gemeinnützigkeit sind grundlegende Voraussetzungen für eine zukunftsorientierte Daseinsvorsorge. Ebenso unabdingbar für eine gestärkte Grundversorgung ist eine effektive und gestaltende öffentliche Planung. Dies erfordert eine Abkehr vom marktliberalen Paradigma, bei dem sich die öffentliche Hand seit den 1990er Jahren auf die allgemeine Rahmensetzung und Orientierung (strategische Planung) zurückgezogen hat. Vielmehr muss Planung als Positivplanung gestärkt werden, vorausschauend, vorsorgend und sektoral integriert stattfinden sowie besser koordiniert und verbindlicher im Gesamtstaat verankert werden.

Ausreichend Personal für bedürfnisorientierte Grundversorgung sicherzustellen erfordert eine Beschäftigungsoffensive mit einem Bündel an Maßnahmen, darunter folgende Schwerpunkte:

Erstens müssen alle Berufe innerhalb der Daseinsvorsorge durch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Beschäftigungsverhältnisse attraktiver gemacht werden. Dies ist sowohl für die Gewinnung zusätzlicher Arbeitskräfte als auch für das Halten der bestehenden Beschäftigten zentral. Nur so kann auch der Teufelskreis aus vorzeitigem Ausscheiden aus dem Beruf aufgrund von Überlastung, der weiteren Verschärfung der Personalsituation und damit auch der Deattraktivierung des Berufs (vor allem, aber nicht nur in Gesundheit, Pflege und Bildung) durchbrochen werden.

Zweitens sollte – wie vom Rechnungshof zuletzt festgehalten – die Datengrundlage für eine vorausschauende Personalplanung im Gesamtstaat verbessert werden. Damit wären auch genauere Personalprognosen möglich, die bisher unterbelichtete Faktoren wie Mehrbedarfe durch fehlendes Personal im Status quo sowie vorzeitiges Ausscheiden aus dem Beruf berücksichtigen. Angeraten wäre auch eine Erweiterung der Prognoseinstrumente, damit bisher ausgeblendete Berufsgruppen (z. B. 24-Stunden-Betreuer:innen in der Langzeitpflege) und andere Sektoren, die vor einer Ausweitung stehen (besonders im öffentlichen Verkehr), systematisch in den Blick genommen werden.

Drittens braucht der zukunftsfähige Ausbau der Daseinsvorsorge eine Ausbildungsoffensive für die notwendigen Arbeitskräfte. Dabei geht es nicht nur um informationsorientierte Kampagnen und Marketingaktivitäten, um die immaterielle Wertschätzung und Attraktivierung von sinnstiftenden und gesellschaftlich nützlichen Tätigkeiten zu verbessern, sondern auch um die Weiterentwicklung von innovativen Stipendien bzw. Ausbildungsgeldern.

Viertens ist darauf zu achten, dass die zentralen Infrastrukturen des Bildungs- und Ausbildungssystems entsprechende finanzielle Mittel erhalten, um den wachsenden Anforderungen zu begegnen. Denn eine zukunftsfähige Daseinsvorsorge erfordert eine Erweiterung von Kompetenzprofilen, nicht zuletzt hinsichtlich des Klimaschutzes und der Klimaanpassung. Das muss sowohl inhaltlich als auch personell in der Aus- und Weiterbildung berücksichtigt werden.

Aus: Arbeit und Wirtschaft Blog, 25. November 2024

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