Mindestens 24 Hitzewellen, die zuvor undenkbar gewesen wären, haben Gemeinschaften auf der ganzen Welt heimgesucht, ein deutlicher Beweis dafür, wie stark die vom Menschen verursachte globale Erwärmung das Extremwetter verstärkt.
Diese bisher unmöglichen Hitzewellen haben in Nordamerika, Europa und Asien Menschenleben gefordert. Untersuchungen haben ergeben, dass ohne die zusätzliche Wärme, die durch die Emissionen fossiler Brennstoffe entsteht, so gut wie keine Chance für sie bestanden hätte.
Die Analyse von beinahe 750 Studien zeigt, dass 550 Hitzewellen, Überschwemmungen, Stürme, Dürren und Waldbrände durch die globale Erwärmung deutlich schlimmer oder häufiger geworden sind. Diese Aufzählung des Leids ist jedoch nur ein kleiner Einblick in die wahren Schäden. Die meisten extremen Wetterereignisse wurden von Wissenschaftlern noch nicht analysiert.
Die Verbrennung fossiler Brennstoffe hat das Klima so dramatisch verändert, dass Hitzewellen die Menschen mit einer Intensität und Häufigkeit treffen, wie sie während der gesamten Entwicklung der menschlichen Zivilisation in den letzten 5.000 Jahren noch nie vorgekommen sind. Es ist eine neue Welt, auf die Städte, Krankenhäuser, Straßen und Landwirtschaften nicht vorbereitet sind, eine Welt, die jeden Tag noch gefährlicher wird, da weiterhin Kohlendioxidemissionen in die Atmosphäre gepumpt werden.
Auch menschliche Kosten werden in die Studien mit einbezogen
Attributionswissenschaftler analysieren nicht mehr nur die extremen Wetterereignisse selbst, sondern machen auch die menschlichen Kosten sichtbar, indem sie schätzen, wie viele der verursachten Schäden hätten vermieden werden können, wenn die Verbrennung fossiler Brennstoffe die Erde nicht erwärmt hätte.
Einer Studie zufolge hätte jedes dritte Neugeborene, das an Hitze stirbt, überlebt, wenn die globale Erwärmung die Temperaturen nicht über das Normalmaß hinaus getrieben hätte – das sind etwa 10.000 verlorene Babys pro Jahr. Die Studie untersuchte Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen von 2001 bis 2019.
Eine weitere Studie über hitzebedingte Todesfälle im Sommer von 1991 bis 2018 stellte in den 43 untersuchten Ländern ebenfalls tödliche Auswirkungen der globalen Erwärmung fest. Diese Ergebnisse auf eine globale Zahl zu übertragen, ist nicht einfach, aber eine ungefähre Schätzung der Wissenschaftler geht von mehr als 100.000 Todesfällen pro Jahr aus. Über die nächsten zwei Jahrzehnte hinweg bedeutet dies, dass die Klimakrise Millionen von Menschenleben kosten wird.
Aber auch wirtschaftliche Kosten des Temperaturanstiegs werden berechnet. Die Schäden durch Hurrikans, wie sie etwa durch Hurrikan Sandy in den USA im Jahr 2012 oder Taifun Hagabis in Japan im Jahr 2019 verursacht wurden, sind dadurch um Milliarden Dollar in die Höhe getrieben worden. Ohne den vom Menschen verursachten Klimawandel hätten vier schwere Überschwemmungen in Großbritannien nur die Hälfte der Gebäudeschäden im Wert von 18 Milliarden Dollar verursacht. Zu dieser Liste der Zerstörung kommen noch die Ernteausfälle in den USA und Südafrika hinzu. Die globale Erwärmung ist dafür verantwortlich ist, dass Nahrungsmittel im Wert von Milliarden Dollar vom Tisch der Menschen verschwinden.
Anlässlich der kommenden Nationalratswahlen und des weltweiten Klimastreiks am 20. September 2024 luden die Scientists4Future zu einer Pressekonferenz zum Thema „Nach dem Extremwetter – vor der Transformation“ im Presseclub Concordia, Wien, ein.
Während des Extremwetters der vergangenen Woche waren Meteorolog:innen und Klimawissenschaftler:innen gefragt und haben ihre Expertise eingebracht. Auch hier auf unserem Blog haben wir die Öffentlichkeit informiert. Doch wie die Charta der S4F ausführt: „Die notwendigen Wandlungsprozesse erfordern entschlossenes und unverzügliches Handeln auf der politischen, wirtschaftlichen und technischen, sozialen und kulturellen, wissenschaftlichen sowie der privaten Ebene“ – und darum muss es bei den Wahlen und danach gehen!
Ein hochrangiges Expert:innenpodium gab Auskunft über die Herausforderungen der unmittelbaren und längerfristigen Zukunft:
Welche Kosten verursacht Nichthandeln, wie teuer ist und könnte Anpassung werden, was kostet die Transformation?
Was sind die mittel- und langfristigen Folgen solcher Extremereignisse für die Gesundheit?
Was sollten wir daraus für den Ausbau von Infrastruktur lernen?
Wer wird von der heutigen Mobilitätssituation benachteiligt?
Das heutige Ausmaß des Autoverkehrs hat in einer nachhaltigen Gesellschaft keinen Platz – nicht nur, was den CO2 – Ausstoß betrifft, sondern auch wörtlich, im Sinn von Bodenverbrauch und Raumkonsum. Der Straßenausbau ist eine Klimafalle: Er fördert automobile Verhaltensmuster, die Abhängigkeiten vom fossilen System prolongieren, anstatt diese abzubauen. Dazu hat S4F ein Positionspapier erarbeitet, das wir kurz vorstellten (s. u.).
Podium:
Anna-Katharina Brenner B.A, MSc (BOKU)
OA Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Dipl.-Ing. Dr. med. Hans-Peter Hutter (Meduni Wien)
Dipl.-Ing. Dr. techn. Johannes Fiedler (FG Mobilität & Stadtplanung, S4F Österreich)
Assoz. Prof. Stefanie Peer (WU Wien)
Univ.-Prof. Dr. Sigrid Stagl (WU Wien)
Moderation: Univ.Prof. Ing. Dr.phil. Dr.h.c. Verena Winiwarter (Fachkollegium S4F Österreich)
Wir brauchen funktionsfähige, unversiegelte Böden, die in der Lage sind, Wasser zu speichern. Das haben die Starkregen in der vergangenen Woche gezeigt. Dazu bedarf es jedoch einer grundlegenden Richtungswende in der Politik. In unserer jüngst erschienen Studie (Brenner et. al., 2024) konnten wir zeigen, dass zwischen 1975 und 2020 die Bauaktivitäten in Österreich rapide zugenommen haben. Spannt mensch über Österreich ein Netz aus 1 Hektar großen Rasterzellen und betrachtet die Fläche, die in Österreich überhaupt für Siedlungszwecke zu Verfügung steht (den Dauersiedlungsraum), zeigt sich, dass im Jahr 2020 rund 40% der Rasterzellen eine Bebauung aufwiesen. Was in diesem Fall besonders problematisch ist: Mit der Bebauung in Österreich hat auch die Zersiedelung rapid zugenommen. Zersiedlung ist die räumliche Ausbreitung von Siedlungen in die Landschaft, außerhalb kompakter Siedlungsstrukturen und in geringer Dichte, insbesondere in Form von freistehenden Einfamilienhäusern, großflächigen Gewerbegebieten und Einkaufszentren. Pro Wohneinheit und Arbeitsplatz verbraucht Zersiedelung die meiste Fläche. Gleichzeitig fördert Zersiedelung die Abhängigkeit vom Auto. Die Folge ist eine weitere Versiegelung der Böden durch den Ausbau der Straßeninfrastruktur. Bislang ist diese Entwicklung weitestgehend von der Politik ignoriert worden. Für eine klimafreundliche und auch eine resilientere Zukunft braucht es Bildungs-, und Betreuungseinrichtungen, Nahversorgung, Gesundheitsversorgung, öffentliche Infrastruktur in kompakter Siedlungsform. Alltagswege können mit den ÖPNV, zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt werden. Menschen können ihren Alltag unabhängig von einem Auto gestalten. Das gibt Freiheiten zurück und schützt den Boden.
Literatur
Brenner, A.-K., Krüger, T., Haberl, H., Stöglehner, G. & Behnisch, M. Rapider Anstieg der Zersiedelung in Österreich von 1975 bis 2020. Eine räumlich explizite Analyse unter besonderer Berücksichtigung der Wohnbevölkerung. Soc. Ecol. Work. Pap. vol.198 Vienna (2024).
Berrill, P. et al. Comparing urban form influences on travel distance, car ownership, and mode choice. Transp. Res. Part Transp. Environ. 128, 104087 (2024).
OA Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Dipl.-Ing. Dr. med. Hans-Peter Hutter Meduni Wien
Die Klimakrise wird immer offensichtlicher zu einem gesundheitlichen Notfall. Alle Bevölkerungsgruppen und fast alle Ebenen der Gesundheit sind von der Klimakrise betroffen. Es gibt praktisch keinen Bereich, der davon unberührt bleibt. Die verheerenden weiträumigen Überschwemmungen und Murenabgänge nach Starkregen und heftige Sturmböen zogen eine Spur der Verwüstung nach sich, auch körperlich und mental. Ist die unmittelbare Gefahr für Leib und Leben ausgestanden und auch die öffentliche Aufmerksamkeit abgeebbt, kann die mentale Belastung danach noch lange andauern und zu erheblichen Beeinträchtigungen führen. Belegt ist ein Anstieg von posttraumatischen Belastungsstörungen u.a. mit Schlafstörungen, depressiven Symptomen und psychischem Stress in den betroffenen Gebieten. Nicht zu vernachlässigen sind auch (mittel- und langfristige) Gesundheitsrisiken aufgrund mikrobieller Verunreinigungen und Schimmelbildung sowie in Folge chemischer Verunreinigungen etwa durch eingeschwemmte Schadstoffe aus Industrie- und Kläranlagen oder kontaminierten Böden. Anpassungsmaßnahmen sind selbstverständlich sehr wichtig. Aber mit Anpassungsmaßnahmen alleine ist es nicht getan, Klimaschutz ist mittlerweile auch als Teil ärztlicher Sorgfaltspflicht zu begreifen – aus Verantwortung gegenüber der Allgemeinbevölkerung und allen im Gesundheitswesen arbeitenden Personen.
Literatur
Alderman K, Turner LR, Tong S. Floods and human health: a systematic review. Environment international. 2012;47: 37-47. Bartholdson S, von Schreeb J. Natural Disasters and Injuries: What Does a Surgeon Need to Know? Curr Trauma Rep. 2018;4:103-108. Bloom E, Grimsley LF, Pehrson C, Lewis J, Larsson L. Molds and mycotoxins in dust from water-damaged homes in New Orleans after hurricane Katrina. Indoor Air. 2009;19: 153-158. Chung MC, Jalal S, Khan NU. Posttraumatic stress symptoms, co-morbid psychiatric symptoms and distorted cognitions among flood victims of different ages. Journal of mental health. 2017;26: 204- 211. Fisk WJ, Eliseeva EA, Mendell MJ. Association of residential dampness and mold with respiratory tract infections and bronchitis: a meta-analysis. Environmental Health: A Global Access Science Source. 2010;9:72 Kõlves K, Kõlves KE, De Leo D. Natural disasters and suicidal behaviours: a systematic literature review. Journal of affective disorders. 2013; 46(1): 1-14. Liang SY, Messenger N. Infectious diseases after hydrologic disasters. Emergency Medicine Clinics. 2018;36(4): 835-851. Mendell MJ, Kumagai K. Observation-based metrics for residential dampness and mold with dose- response relationships to health: A review. Indoor Air. 2017;27: 506-517. Robin C, Beck C, Armstrong B, Waite TD, Rubin GJ, Oliver I. Impact of flooding on health-related quality of life in England: results from the National Study of Flooding and Health. Eur J Public Health. 2020;30:942–948.World Health Organization (2018): Chemical releases caused by natural hazard events and disasters – information for public health authorities. https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/272390/9789241513395-eng.pdf
Assoz. Prof. Stefanie Peer WU Wien
Versiegelte Flächen verstärken die Auswirkungen von Extremwetterereignissen wie Starkregen und Hitzewellen erheblich. Ein beträchtlicher Anteil dieser versiegelten Flächen entfällt auf die Verkehrsinfrastruktur. 30 % der von Menschen genutzten Flächen in Österreich (abseits von Land- und Forstwirtschaft) entfallen auf die Verkehrsinfrastruktur (fast ausschließlich den Straßenverkehr), wovon drei Viertel versiegelt sind. Nach wie vor dominiert die Tendenz, steigenden Verkehrsbelastungen — vor allem infolge von Zersiedelung — durch weiteren Ausbau und Neubau von Straßen zu begegnen. Diese Lösung erweist sich jedoch mittel- und langfristig als ineffektiv. So kehren meist innerhalb weniger Jahre nach einer Erweiterung des Straßennetzes die Zeitverluste durch Staus auf das ursprüngliche Niveau zurück, da der Ausbau die Autonutzung attraktiver macht und die Zersiedelung weiter vorantreibt („induzierter Verkehr“). Um diesen Teufelskreis (*) zu durchbrechen, sind schlagkräftigere Raumplanungsgesetze und eine effektivere Nutzung bestehender Planungsinstrumente erforderlich. Gleichzeitig sind Maßnahmenbündel notwendig, die den Besitz und die Nutzung von Privatautos weniger attraktiv gestalten, während sie alternative Mobilitätsformen attraktiver machen.
* Im Englischen: „“law of congestion” by Downs (1962), a “vicious cycle” of increased congestion by Newman and Kenworthy (1999), a ‘black hole of highway investment’ by Plane (1986), ‘induced demand’ by Cervero (2003), the mass transit death spiral by Sterman (2000), or the system of automobility by Urry (2004)“ (Pokharel et al., 2023)
Literatur
Khalaj, F., Pojani, D., Sipe, N., & Corcoran, J. (2020). Why are cities removing their freeways? A systematic review of the literature. Transport reviews, 40(5), 557-580. Pokharel, R., Miller, E. J., & Chapple, K. (2023). Modeling car dependency and policies towards sustainable mobility: a system dynamics approach. Transportation research part D: transport and environment, 125, 103978. ÖROK (2022). Flächeninanspruchnahme und Versiegelung in Österreich (2022). https://www.oerok.gv.at/raum/daten-und-grundlagen/ergebnisse-oesterreich-2022 Volker, J., & Handy, S. L. (2021). The Induced Travel Calculator and Its Applications.
Podium
Anna-Katharina Brenner B.A, MSc forscht zu Siedlungsstruktur und Nachhaltigkeitstransformation. In Kürze schließt sie ihr Doktorat am Institut für Soziale Ökologie, BOKU University, ab. Sie ist am Leibniz Institut für ökologische Raumentwicklung in Dresden tätig.
Dipl.-Ing. Dr. techn. Johannes Fiedler ist Architekt und Stadtplaner. Architekturbüro fiedler.tornquist (Graz); 2014-2017 Forschungsbeauftragter bei Doppelmayr Urban Solutions; 2008-2011 städtebaulicher Berater Wien 3420 AG, Seestadt Aspern; Lehre: Professur Städtebau TU Braunschweig (2010-2012), Gastprofessur EiABC Addis Abeba (2013), Lehraufträge TU Wien, TU Graz, KFUni Graz, TU Berlin; 1988 – 2011 Beratungstätigkeit Städtebau und Regionalentwicklung in Afrika und Nahost im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit der österreichischen Bundesregierung und der Europäischen Kommission.
OA Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Dipl.-Ing. Dr. med. Hans-Peter Hutter: Doppelstudium „Landschaftsökologie und Landschaftsgestaltung“ an der Universität für Bodenkultur sowie „Medizin“ an der Universität Wien. Mehrjährige Tätigkeit als Physikatsarzt im Öffentlichen Gesundheitswesen in Wien, Leitung der Umweltmedizinischen Ambulanz der Stadt Wien. Seit 2000 Facharzt für Hygiene und Mikrobiologie mit Schwerpunkt Umweltmedizin am Department für Umwelthygiene und Umweltmedizin (Zentrum für Public Health, MedUni Wien)., seit 2015 stellvertretender Leiter. Gründer der „Doctors For Future – Austria“
Assoz. Prof. Stefanie Peer ist Associate Professorin am Institut für Räumliche und Sozioökonomische Transformationen (ISSET) der Wirtschaftsuniversität Wien und leitet das Forschungsinstitut für Raum- und Immobilienwirtschaft. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf Nachhaltigkeitsthemen im Bereich Mobilität. Im Rahmen des Zweiten Österreichischen Sachstandsberichts zum Klimawandel (AAR2) koordiniert sie die Kapitel zu Personen- und Güterverkehr sowie Transportinfrastruktur.
Univ.-Prof. Dr. Sigrid Stagl (WU Wien) Professorin für Umweltökonomie am Department Sozioökonomie an der WU, forscht zu nachhaltigen Energie- und Nahrungssystemen.
Die Urlaubsreisezeit ist soeben zu Ende gegangen. Die Menschen waren wieder massenhaft auf Autobahnen und Schnellstraßen unterwegs, und die Flughäfen waren voll. Wieder gab es Temperaturrekorde, Waldbrände, Unwetter, Hangrutschungen und Überflutungen – und jetzt die Flutkatastrophe in Ost- und Mitteleuropa! Der Zusammenhang zwischen diesen Phänomenen und den gängigen Mobilitätsmustern wird verdrängt.
Österreicher und Österreicherinnen unternehmen zwei Drittel aller Urlaubsreisen mit dem Auto, weitere rund 15% entfallen auf Flugreisen1 somit sind mindestens 80% aller Urlaubsfahrten klimaschädlich. Auf dem Weg zu einem klimaverträglichen Urlaubsverkehr muss mit einigen Stereotypen aufgeräumt werden. Dazu gehört die Vorstellung, dass für eine reibungslose Abwicklung des Durchzugsverkehrs das hochrangige Straßennetz weiter ausgebaut werden muss, um „die Menschen zu entlasten“ – wie etwa der wahlkämpfende Bundeskanzler kürzlich argumentierte.2
In diesem Denkmuster bleibt die Strukturwirkung von Schnellstraßen und Autobahnen unbeachtet. Diese tragen nicht nur mit Flächenverbrauch und Versiegelung zur lokalen Erhitzung bei − sie generieren Strukturen, die auch abseits des Reiseverkehrs automobile Verhaltensmuster unterstützen. An sie lagern sich Fachmärkte, Büro- und Gewerbeparks an, und es entstehen Ziele und Relationen, die nur mit dem Auto funktionieren.
In der Folge sind es die genannten, vermeintlich „entlasteten“ Menschen in den Dörfern und Städten selbst, die im Windschatten des Durchzugsverkehrs auf den Schnellstraßen zur Arbeit und zum Shoppingcenter fahren und dabei übers Jahr ein Vielfaches jenes Verkehrsaufkommens erzeugen, das der Urlaubsreiseverkehr mit sich bringt. Die politische Argumentation mit dem Durchzugsverkehr ist also eine Täuschung, ein Vorwand, um das automobile Gesellschaftsmodell abzusichern.
Durch das langlebige Angebot und wegen der großen Mengen an Kapital, das in diesen autogerechten Bauten und Anlagen steckt, kommt es zu Lock-In-Effekten. Die notwendige Verhaltensänderung, wie sie die Klimakatastrophe erfordert, wird alltagspraktisch, politisch und ökonomisch gehemmt. Das Mobilitätsverhalten wird faktisch einzementiert, die Gesellschaft bleibt im automobilen System eingeschlossen.
Wer in dieser Situation einen weiteren Ausbau des hochrangigen Straßennetzes fordert, gießt buchstäblich Öl ins Feuer, heizt den unheilvollen Teufelskreis aus Straßenangebot und Autoverkehrsnachfrage weiter an. Will man hingegen eine entgegengesetzte Wirkungsspirale zugunsten der klimagerechten Mobilität in Gang setzen, genügt es nicht, Quartiere in Städten und Dörfern vom Autoverkehr zu entlasten – man muss beim hochrangigen Straßennetz ansetzen: kein weitere Ausbauten, klimagerechter Umbau, Rückbau…
Zurück zum Reiseverkehr: In einem künftigen klimagerechten Verkehrsnetz sind alle europäischen Destinationen gut mit der Bahn erreichbar, es gibt ein durchgängiges Buchungssystem für alle Verkehrsmittel und Destinationen, ausgebaute Angebote des Haus-zu-Haus-Gepäcksservices, Möglichkeiten der Mitnahme von Fahrrädern und E-Kfz, sowie flächendeckende öffentliche Verkehrsmittel für die Last Mile.
Jedenfalls sind große Investitionen in den öffentlichen Nah- und Fernverkehr notwendig – aber nicht zusätzlich zum Ausbau des Straßennetzes, sondern stattdessen.
Statistics Austria 2022: Kfz 63,5%, Flug 14,5 % https://www.statistik.at/fileadmin/user_upload/SB_3-4_Urlaubs-und-Geschaeftsreisen-2022.pdf. ↩︎
Anmerkung; Seit dem Erscheinen dieses Beitrags haben Untersuchungen der internationalen Studiengruppe World Weather Attribution gezeigt, dass Unwetterkatastrophen wie die von Mitte September in Zentraleuropa durch den menschengemachten Klimawandel doppelt so wahrscheinlich geworden sind. (Siehe diesen Beitrag).
„Es gibt drei häufige Fehler bei der Berichterstattung über Wetterextreme: 1. den Klimawandel als Ursache des Ereignisses ignorieren; 2. das Ereignis dem Klimawandel zuschreiben, ohne Belege dafür vorzulegen; 3. den Klimawandel als einzige Ursache des Extremwetterereignisses bezeichnen.“
Das schreiben die beiden Klimaforscher:innen Friederike Otto vom Imperial College London und Ben Clarke von der University of Oxford in einem Leitfaden für Journalist:innen.1 Beide sind Expert:innen für die Zuordnung von Wetterereignissen zum Klimawandel.
Welchen Einfluss der Klimawandel auf ein bestimmtes Extremwetterereignis hat, lässt sich immer nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit feststellen. Und auch nicht aus dem Handgelenk. Mit der Zuordnung von Wetterereignissen zum Klimawandel befasst sich eine eigene Wissenschaftsrichtung, die Attribution Studies, und die ist erst 20 Jahre alt.
Wie kann man den Einfluss des Klimawandels feststellen?
Die erste Studie zur Attribution eines Extremwetterereignisses wurde 2004 veröffentlicht und befasste sich mit der Hitzewelle von 2003 in Westeuropa, die rund 70.000 Menschenleben forderte.
Die Forscher:innen machten das so: Zuerst simulierten sie das momentane Klima — das durch menschliches Zutun ja bereits deutlich erwärmt ist — viele tausend Mal. Sie ließen, vereinfacht gesagt, auf den Computern immer und immer wieder dieselben Klimamodelle mit ganz leicht veränderten Ausgangsbedingungen durchlaufen. Dabei zählten sie die Hitzewellen, die so extrem waren wie das Ereignis von 2003. Es zeigte sich, dass es auch in einer erwärmten Welt ein sehr seltenes Ereignis war.
Zweitens simulierten sie das Klima, wie es ohne die menschengemachten Emissionen an Treibhausgasen oder Aerosolen aussähe. Das ist möglich, da die Menge der Treibhausgase in der Atmosphäre, die vor allem auf das Verbrennen fossiler Energieträger zurückzuführen sind, gut bekannt ist. Dann wurden wieder die extremen Hitzewellen in einer unveränderten, nicht aufgeheizten Atmosphäre gezählt. Ihre Zahl war wesentlich niedriger — Eine derartige Hitzewelle in Westeuropa war sogar so selten, dass sie ohne menschliches Zutun beinahe unmöglich gewesen wäre.
Zusätzlich simuliert man inzwischen auch das Klima aufgrund historischer Daten für verschiedene Zeiten, um zu sehen, wie sich die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Ereignisses im Lauf der Zeit verändert hat.
Wie wirkt sich der Klimawandel auf Starkregenfälle aus?
Extreme Regenfälle sind aufgrund des menschengemachten Klimawandels sowohl häufiger, als auch intensiver geworden, besonders in Europa, großen Teilen Asiens und Nordamerika. Wie läßt sich das erklären? Eine wärmere Atmosphäre kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Wenn es wärmer ist, bewegen sich Wassermoleküle schneller und sind daher mit größerer Wahrscheinlichkeit im gasförmigen statt im flüssigen Zustand. Mit 1 Grad höherer Temperatur kann die Luft 7 Prozent mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Und wenn es regnet, kommt in einer wärmeren Atmosphäre natürlich mehr Wasser wieder herunter.
Laut dem IPCC-Bericht von 2022 war bei einer Erderhitzung von gut 1 Grad ein Starkregen an einem beliebigen Ort der Erde, der früher nur einmal in zehn Jahren auftrat, im Durchschnitt um 6,7 Prozent feuchter und um 30 Prozent wahrscheinlicher: Das heißt, statt einmal alle zehn Jahre trat er 1,3 Mal in zehn Jahren auf. Der Weltklimarat warnte eindrücklich vor den Folgen: In den vergangenen drei Jahrzehnten sei die Zahl der Überschwemmungen in Europa so hoch gewesen wie seit 500 Jahren nicht mehr, die wirtschaftlichen Schäden infolge von Hochwasserereignissen seien stark gestiegen. Und für die Zukunft rechnete der IPCC mit noch höheren Flutrisiken für den Kontinent. Inzwischen ist bereits über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr die globale Durchschnittstemperatur um 1,5 Grad höher gewesen als vor dem Industriezeitalter.
Kombiniert man beobachtete Niederschlagstrends und die Ergebnisse von Attributionsstudien, dann lässt sich für folgende Weltgegenden mit Sicherheit sagen, dass niederschlagsbasierte Überschwemmungen durch den Klimawandel zugenommen haben: Europa, der größte Teil Asiens, Nordaustralien, das zentrale und östliche Nordamerika, der Nordosten von Südamerika und das südliche Afrika. Hingegen lassen sich (bislang) keine gesicherten Aussagen treffen zu Veränderungen in großen Teilen Afrikas, Australiens und Asiens sowie Süd- und Mittelamerikas.
Wie wahrscheinlich waren die Überschwemmungen des Sommers 2021?
Zu den Überschwemmungen in Europa im Juli 2021, von denen auch Österreich betroffen war, die aber Deutschland mit 184 Todesopfern und Belgien mit 38 Todesopfern am schwersten trafen, konnten die Wissenschaftler:innen von World Weather Attribution schon im August einen Schnell-Report vorlegen, zu dem 39 Wissenschaftler:innen aus Deutschland, Belgien, den Niederlanden, der Schweiz, Frankreich, Luxemburg, USA und Großbritannien beitrugen.2 Die endgültige, begutachtete Studie wurde dann erst 2023 veröffentlicht.3
Die Forscher;innen kamen zu den folgenden Feststellungen:
Der Klimawandel hat die Intensität der maximalen eintägigen Niederschlagsereignisse im Sommer in dieser großen Region [zwischen den nördlichen Alpen und den Niederlanden] um etwa 3 bis 19 % erhöht, verglichen mit einem globalen Klima, das 1,2 °C kühler ist als heute. Für das zweitägige Ereignis ist der Anstieg ähnlich. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein solches Ereignis heute eintritt, hat sich im Vergleich zu einem 1,2 °C kühleren Klima für das 1-Tages-Ereignis in der großen Region um einen Faktor zwischen 1,2 und 9 erhöht. Für das 2-Tages-Ereignis ist der Anstieg noch einmal ähnlich.
Zusammenfassend zeigen unsere Ergebnisse, dass die Erkennung extremer Niederschlagstrends auf lokaler Ebene durch die Variabilität erschwert wird. Betrachtet man jedoch solche Ereignisse im größeren westeuropäischen Raum, sind signifikante Trends erkennbar, die dem vom Menschen verursachten Klimawandel zuzuschreiben sind, auch wenn wir nicht vorhersagen können, wo genau diese Ereignisse auftreten. Alle verfügbaren Beweise zusammen, einschließlich physikalischer Erkenntnisse, Beobachtungen in einer größeren Region und verschiedener regionaler Klimamodelle, geben Anlass zu großer Gewissheit, dass der vom Menschen verursachte Klimawandel die Wahrscheinlichkeit und Intensität eines solchen Ereignisses erhöht hat und diese Veränderungen in einem sich schnell erwärmenden Klima anhalten werden.4
Wann wird ein Naturereignis zur Naturkatastrophe?
Ob ein Starkregen aber zu einem katastrophalen Hochwasser führt, hängt nicht nur von der Regenmenge ab. Die „Vulnerabilität“, die Verwundbarkeit einer Gesellschaft und der von ihr geschaffenen Umwelt sind bestimmend, ob ein Naturereignis zur Naturkatastrophe wird.
Expert:innen des „National Hub Biodiversität und Wasser“ haben dazu anlässlich der verheerenden Überschwemmung in Südost-Österreich, Slowenien und Kroatien im letzten Sommer einen Fachartikel veröffentlicht.5 In natürlichen Systemen treten Flüsse einmal pro Jahr oder alle zwei Jahre über die Ufer. Haben sie genügend Raum, so können Moore, Feuchtwiesen und den fluss begleitende Aulandschaften das Wasser wie ein Schwamm aufnehmen und nach und nach wieder abgeben, auch in trockeneren Zeiten. Die Versiegelung von Flächen verhindert, dass Niederschlagswasser vom Boden aufgenommen wird. Großflächige Abholzungen und unsachgemäße landwirtschaftliche Bodenbewirtschaftung verringern das natürliche Wasserrückhaltevermögen des Bodens. Flussbegradigungen und Dämme verkürzen Fließgewässer. Hohe Pegelstände erreichen früher die flussabwärts gelegenen Gebiete. Bebauung von Flächen, die von Natur aus überschwemmungsgefährdet sind, erhöht das Risiko von Schäden.
Beton ist kein guter Hochwasserschutz
Um künftige Gefahr von Hochwasserkatastrophen zu verringern, sind einerseits verstärkte Maßnahmen zum Klimaschutz notwendig. Andererseits muss der Gefahr mit naturbasierten Lösungen entgegengewirkt werden, also der Wiederherstellung von gesunden Fluss-Ökosystemen, durch eine Raumplanung, die Hochwasserrisiken mit einbezieht, und ein Ende des Zubetonierens und die Entsiegelung unnötig verbauter Flächen. Technischer Hochwasserschutz wie Deiche, Dämme und Rückhaltebecken sollten auf den Schutz von Siedlungen und Infrastruktur beschränkt werden.
Die jüngsten Ereignisse zeigen, wie wichtig es ist, dass die Klimabewegung intensiv Wissen verbreitet und die Bevölkerung für Klimaschutz und Biodiversitätsschutz mobilisiert.
3Tradowsky, J.S., Philip, S.Y., Kreienkamp, F. et al. Attribution of the heavy rainfall events leading to severe flooding in Western Europe during July 2021. Climatic Change 176, 90 (2023). https://doi.org/10.1007/s10584-023-03502-7
Angesichts der jüngsten Überschwemmungen im benachbarten Bayern und angespannten Hochwassersituationen in Vorarlberg, und entlang der Donau wird die Bedeutung effektiver Hochwasserschutzmaßnahmen einmal mehr deutlich. Hochwasserschutz ist eine der Funktionen eines natürlichen Fluss-Ökosystems.1 Die Wiederherstellung dieser Funktion ist eines der Ziele des EU-Renaturierungsgesetzes.2 Doch Österreich blockiert aufgrund der ursprünglich ablehnenden und seit einigen Tagen unklaren Haltung der Landeshauptleute nach wie vor die Verabschiedung des Gesetzes.
Das EU-Renaturierungsgesetz sieht zum Beispiel vor, dass Mitgliedstaaten nicht mehr benötigte, künstliche Hindernisse in Flüssen beseitigen und die natürliche Vernetzung von Oberflächengewässern wiederherstellen. So können z.B. natürliche Überflutungsflächen wieder angebunden werden. Auch sollen wieder Auen (englisch: Flood Plains) geschaffen werden, die neben dem ökologischen Wert auch Pufferzonen für Hochwasser darstellen. Durch die Revitalisierung von Flussläufen und die Wiederherstellung von Mäandern soll die Fließdynamik verbessert werden.
Die Scientists for Future Österreich haben Forschende aus den Fachgebieten Hydrologie, Fließgewässerforschung, Geographie, Wasserbau, Wasserwirtschaft, Klimafolgenabschätzung und Umweltrecht um Ihre Einschätzung der Wirksamkeit des EU-Renaturierungsgsetzes für den Hochwasserschutz gebeten.
Hier sind Ihre Stimmen:
In Wahrung der klimawandelbedingt erhöhten staatlichen Schutzpflichten ist es Aufgabe des Staats bzw. seiner Entscheidungsträger:innen, in klimawandelbedingten Gefahrenlagen schnellstmöglich die Planung und Finanzierung von naturverträglichen Hochwasserschutzmaßnahmen voranzutreiben. Die EU-Wiederherstellungs-Verordnung zielt – neben vielen anderen Maßnahmen – auf die Renaturierung hart verbauter Fluss- und Bachläufe (Aufweitung, Restrukturierung) sowie wassernaher Ökosysteme ab. Damit kommt es zur Erhöhung natürlicher Abflussmöglichkeiten und zur Schaffung natürlicher Retentionsräume – beides Paradebeispiele für naturverträglichen Hochwasserschutz. Mag.a Dr.in Daniela Ecker, LL.B., Institut für Umweltrecht, Johannes Kepler Universität Linz.
Wie soll ein effizienter und nachhaltiger Hochwasserschutz mit der Schaffung von Retentionsräumen in den nächsten Dekaden denn sonst funktionieren? Univ.-Prof. Karsten Schulz, Leiter des Instituts für Hydrologie und Wasserwirtschaft, Universität für Bodenkultur Wien.
Die Wiederherstellung der natürlichen Funktion von Überflutungsflächen an unseren Flüssen trägt maßgeblich zum Hochwasserschutz bei: Hochwasserwellen werden zurückgehalten und in ihrer Höhe reduziert. Stark verbaute, kanalisierte Flüsse bewirken hingegen eine Verschärfung von Hochwasserwellen. Daher müssen wir auch im eigenen Interesse dringend unsere Überflutungsflächen renaturieren, abgetrennte Nebengewässer wieder anbinden und den Flüssen mehr Raum geben. Assoc. Prof. Michael Tritthart, Institut für Wasserbau, Hydraulik und Fließgewässerforschung; Universität für Bodenkultur Wien.
Die derzeitigen Hochwässer zeigen erneut, wie wichtig es wäre, dass die EU-Renaturierungs-Richtlinie rasch umgesetzt wird. Durch eine Renaturierung gibt man den Flüssen mehr Platz und schafft damit Retentionsräume, die Hochwasserwellen dämpfen. Es ist nicht nachvollziehbar, dass österreichische Politiker den Beschluss der EU-Renaturierungs-Richtlinie blockieren. Priv.-Doz. Günter Langergraber, Leiter des Departments für Wasser-Atmosphäre-Umwelt, Universität für Bodenkultur Wien.
Die Rückgewinnung von natürlichen Retentionsflächen für Hochwasserereignissen ist ein essentieller Bestandteil eines umfassenden Hochwasserrisikomanagements, um mögliche zukünftige Schäden auf einem heutigen Niveau zu halten. Die Umsetzung des EU-Renaturierungsgesetz mit der Förderung von naturbasierten Maßnahmen trägt gleichzeitig zum Hochwasser- und Klimaschutz, Erhaltung der Biodiversität und ökologischer Funktionen sowie von nachhaltigen Erholungsräumen bei. Univ.-Prof. Margreth Keiler, Institut für Geographie, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck; Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung, Österreichische Akademie der Wissenschaft.
Die Schaffung natürlicher Retentionsräume fördert gleichzeitig die Biodiversität und reduziert das Hochwasserrisiko. Es ist daher unverantwortlich, ein europaweites Gesetz zu blockieren, das unter anderem dazu beiträgt, die Auswirkungen klimawandelbedingter Extremwetterereignisse zu mildern. Assoc. Prof. Josef Schneider, Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft, TU Graz.
Das EU-Renaturierungsgesetz ist eine zentrale Weichenstellung für die Umsetzung naturbasierter Lösungen, welche nicht nur dem Schutz vor klimabedingten Risiken wie Hochwasser dienen, sondern gleichzeitig auch Biodiversität fördern und durch zusätzliche Kohlenstoffspeicherung zur Minderung des Klimawandels beitragen. Nicht die Unterstützung dieses Gesetzes gefährdet Österreichs Lebensgrundlagen, sondern ein Weiter-wie-bisher mit grauem Risikomanagement (z.B. Deiche und Dämme aus Stahlbeton) und fortschreitender Bodenversiegelung. Dr. Thomas Schinko, Senior Research Scholar and Research Group Leader der Equity & Justice Research Group, International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA), Laxenburg.
Renaturierungsmaßnahmen und ähnlicher naturbasierter Hochwasserschutz sind langfristige win-win-win Lösungen zum Schutz von Menschen und Umwelt. Es ist verantwortungslos, sie aufgrund kurzfristiger ökonomischer Argumente zu verhindern. Dr. Susanne Hanger Kopp, Wissenschafterin und Lektorin im Climate Policy Lab, ETH Zürich.
„Es gibt drei häufige Fehler bei der Berichterstattung über Wetterextreme“, schreiben die Klimaforscher:innen Ben Clarke und Friederike Otto in ihrem Leitfaden für Medien:
den Klimawandel als Ursache des Ereignisses ignorieren;
das Ereignis dem Klimawandel zuschreiben, ohne Belege dafür vorzulegen;
den Klimawandel als einzige Ursache des Extremwetterereignisses bezeichnen.
Diese Fehler entstehen oft dadurch, dass die zugrundeliegende Frage unglücklich formuliert ist: „Ist der Klimawandel schuld?“ — diese Frage mag plausibel erscheinen. Doch sie lässt sich nicht sinnvoll beantworten. Wetterereignisse haben immer mehrere Ursachen. Der Zufall spielt aufgrund der chaotischen Natur des täglichen Wetters eine große Rolle. Doch der menschengemachte Klimawandel kann einen deutlichen Einfluss darauf haben, wie wahrscheinlich und wie intensiv ein Wetterextrem ausfällt.
Bis vor wenigen Jahren hat die Wissenschaft es meistens vermieden, einzelne Ereignisse mit dem Klimawandel in Verbindung zu bringen. Sinnvolle Aussagen konnten nur über allgemeine Trends gemacht werden. Doch in jüngerer Zeit hat die Wissenschaft Methoden entwickelt, mit denen sich konkrete Zusammenhänge zwischen Erderhitzung und einzelnen Extremwetterereignissen herausarbeiten lassen. Dieser Zweig der Klimawissenschaften nennt sich Attributionsforschung, es geht also um die Zuordnung von Wetterereignissen zum Klimawandel.
Wer sich öffentlich mit Extremwetterereignissen auseinandersetzt, sollte also darüber Bescheid wissen, was die Zuordnungsforschung leisten kann. Durch Vergleich des aktuellen Klimas mit dem Klima vor de industriellen Revolution mithilfe von historischen Daten und Klimasimulationen können Aussagen getroffen werden wie: „Diese Hitzewelle ist um 3°C heißer, als sie ohne Klimawandel ausgefallen wäre“ oder „derartige Ereignisse treten aufgrund der Erderwärmung doppelt so häufig auf“.
Nicht für jeden Typ von Extremereignissen ist die Zuordnung mit gleicher Sicherheit möglich. Dass Hitzewellen immer häufiger und immer härter werden, kann mit großer Sicherheit dem menschengemachten Klimawandel zugerechnet werden.
Dürren andererseits sind sehr komplex. Es gibt viele Arten von Dürre — und keine einfache Antwort auf die Frage, wie sie mit dem Klimawandel zusammenhängen. Landwirtschaftliche und ökologische Dürren sind in der Wissenschaft definiert als ein Mangel an Bodenfeuchtigkeit, während sich meteorologische, hydrologische und Grundwasserdürren an Niederschlagsmangel, geringen Flusspegeln oder niedrigen Grundwasserspiegeln zeigen. Niedrige Grundwasserspiegel etwa sind oft das direkte Ergebnis menschlicher Eingriffe in den Wasserhaushalt einer Region.
Ganz allgemein halten die Autor:innen fest, dass sogenannte Naturkatastrophen wie Überflutungen, Dürren und Hitzewellen erst dann zu einer Katastrophe werden, wenn eine Gesellschaft verwundbar ist. Gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Verhältnisse sind hier ganz entscheidend.
Beutetiere schützen sich durch Tarnfarben vor Fressfeinden. Fische können sich durch ihre längliche Form schnell im Wasser bewegen. Pflanzen locken mit Duftstoffen Bestäuberinsekten an: Anpassungen von Lebewesen an ihre Umwelt sind allgegenwärtig. Solche Anpassungen sind in den Genen des Organismus festgelegt und durch Evolutionsprozesse über Generationen entstanden – anders als zum Beispiel viele Verhaltensweisen werden sie also nicht spontan im Laufe des Lebens durch die Umwelt beeinflusst. Eine sich schnell verändernde Umwelt führt deshalb zu „Fehlanpassungen“. Physiologie, Farbe oder Körperbau sind dann nicht mehr auf die Umwelt abgestimmt, sodass Fortpflanzung und Überleben erschwert sind, die Populationsgröße abnimmt und die Population eventuell sogar ausstirbt.
Die menschengemachte Zunahme von Treibhausgasen in der Atmosphäre verändert die Umwelt auf vielfältige Weise. Bedeutet das, dass viele Populationen nicht mehr gut angepasst sind und aussterben werden? Oder können sich Lebewesen auch an diese Veränderungen anpassen? Werden im Laufe einiger Generationen also Tiere, Pflanzen und Pilze entstehen, die besser mit zum Beispiel Hitze, Trockenheit, Versauerung der Meere oder reduzierter Eisbedeckung von Gewässern umgehen und somit den Klimawandel gut überstehen können?
Arten folgen dem Klima, an das sie bereits angepasst sind, und sterben lokal aus
Tatsächlich haben Laborexperimente gezeigt, dass sich Populationen mancher Arten an veränderte Bedingungen anpassen können: In einem Experiment an der Vetmeduni Wien zum Beispiel legten Taufliegen nach etwas mehr als 100 Generationen (keine lange Zeit, da sich Taufliegen schnell vermehren) unter warmen Temperaturen deutlich mehr Eier und hatten ihren Stoffwechsel verändert (Barghi et al., 2019). In einem anderen Experiment konnten sich Miesmuscheln an saureres Wasser anpassen (Bitter et al., 2019). Und wie sieht es in der Natur aus? Auch dort zeigen einige Populationen Hinweise auf Anpassung an veränderte Klimabedingungen. Der Bericht der Arbeitsgruppe II des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) fasst diese Ergebnisse zusammen und betont, dass diese Muster vor allem bei Insekten gefunden wurden, die zum Beispiel als Anpassung an längere Sommer später mit ihrer „Winterpause“ beginnen (Pörtner et al., 2022).
Leider legen wissenschaftliche Studien zunehmend nahe, dass (ausreichende) evolutionäre Anpassung an die Klimakrise wahrscheinlich eher die Ausnahme als die Regel ist. Die Verbreitungsgebiete zahlreicher Arten verschieben sich in höhere Lagen oder in Richtung der Pole, wie ebenfalls im IPCC-Bericht zusammengefasst wurde (Pörtner et al., 2022). Die Arten „folgen“ also dem Klima, an das sie bereits angepasst sind. Lokale Populationen am wärmeren Rand des Verbreitungsgebietes passen sich oft nicht an, sondern wandern ab oder sterben aus. Eine Studie zeigt zum Beispiel, dass bei 47% der 976 analysierten Tier- und Pflanzenarten Populationen am wärmeren Rand des Verbreitungsgebietes (kürzlich) ausgestorben sind (Wiens, 2016). Arten, für die eine ausreichende Verschiebung des Verbreitungsgebietes nicht möglich ist – zum Beispiel, weil ihre Verbreitung auf einzelne Seen oder Inseln beschränkt ist – können auch komplett aussterben. Eine der ersten nachweislich durch die Klimakrise ausgestorbenen Arten ist die Bramble-Cay-Mosaikschwanzratte: Sie kam nur auf einer kleinen Insel im Great Barrier Reef vor und konnte wiederholten Überschwemmungen und klimabedingten Vegetationsveränderungen nicht ausweichen (Waller et al., 2017).
Für die meisten Arten ist eine ausreichende Anpassung unwahrscheinlich
Wie viele Arten bei zunehmender Klimaerhitzung und Meeresversauerung zu ausreichender Anpassung fähig sein werden und wie viele (lokal) aussterben werden, lässt sich nicht genau vorhersagen. Zum einen sind schon die Klimaprognosen selbst mit Unsicherheiten behaftet und können oft nicht kleinräumig genug getroffen werden. Zum anderen müsste man, um eine Vorhersage für eine Population oder Art zu treffen, deren für Klimaanpassungen relevante genetische Vielfalt messen – und das ist selbst mit kostspieligen DNA-Sequenzierungen oder aufwändigen Experimenten schwierig. Aus der Evolutionsbiologie wissen wir aber, dass für viele Populationen eine ausreichende Anpassung unwahrscheinlich ist:
Schnelle Anpassung benötigt genetische Vielfalt. Im Hinblick auf die Klimakrise bedeutet genetische Vielfalt, dass Individuen in der Ausgangspopulation durch genetische Unterschiede zum Beispiel unterschiedlich gut mit hohen Temperaturen zurechtkommen. Nur wenn diese Vielfalt vorliegt, können bei Erwärmung die warm-angepassten Individuen in der Population zunehmen. Die genetische Vielfalt hängt von vielen Faktoren ab – zum Beispiel von der Größe der Population. Arten, deren natürliches Verbreitungsgebiet klimatisch unterschiedliche Lebensräume einschließt, haben einen Vorteil: Genvarianten bereits warm-angepasster Populationen können in wärmer werdende Gebiete „transportiert“ werden und kalt-angepassten Populationen beim Überleben helfen. Wenn Klimaveränderungen dagegen zu Bedingungen führen, an die bis jetzt keine Population der Art angepasst ist, ist oft nicht genug nützliche genetische Vielfalt vorhanden – genau das passiert in der Klimakrise, vor allem am wärmeren Rand von Verbreitungsgebieten (Pörtner et al., 2022).
Umweltanpassung ist komplex. Die Klimaveränderung selbst stellt oft mehrfache Anforderungen (Veränderungen von Temperatur, Niederschlag, Sturmhäufigkeit, Eisbedeckung…). Dazu kommen indirekte Effekte: Das Klima wirkt sich auch auf andere Arten im Ökosystem aus, und damit zum Beispiel auf die Verfügbarkeit von Futterpflanzen oder die Anzahl der Fressfeinde. Viele Baumarten sind beispielsweise nicht nur größerer Trockenheit, sondern auch mehr Borkenkäfern ausgesetzt, da letztere von Wärme profitieren und mehr Generationen pro Jahr produzieren. Ohnehin geschwächte Bäume werden also noch zusätzlich belastet. In Österreich betrifft dies zum Beispiel die Fichte (Netherer et al., 2019). Je mehr unterschiedliche Herausforderungen die Klimakrise also stellt, desto unwahrscheinlicher wird eine erfolgreiche Anpassung.
Das Klima verändert sich durch menschliche Einflüsse zu schnell. Viele Anpassungen, die wir in der Natur beobachten, sind über tausende oder Millionen von Generationen entstanden – das Klima verändert sich dagegen momentan innerhalb weniger Jahrzehnte drastisch. Bei Arten, die eine kurze Generationszeit haben (sich also rasch vermehren), läuft die Evolution relativ schnell ab. Das könnte teilweise erklären, warum Anpassungen an menschengemachte Klimaveränderungen häufig bei Insekten festgestellt wurden. Dagegen brauchen große, langsam wachsende Arten, wie zum Beispiel Bäume, oft viele Jahre, bis sie sich reproduzieren. Das macht es sehr schwierig, mit der Klimaveränderung Schritt zu halten.
Anpassung bedeutet nicht Überleben. Populationen können sich durchaus in gewissem Maß an Klimaveränderungen angepasst haben – also zum Beispiel Hitzewellen heute besser überstehen als vor der industriellen Revolution – ohne dass diese Anpassungen ausreichen, langfristig Erhitzungen um 1,5, 2 oder 3°C zu überstehen. Zusätzlich ist wichtig, dass evolutionäre Anpassung auch immer bedeutet, dass schlechter angepasste Individuen wenige Nachkommen haben oder ohne Nachkommen sterben. Wenn das zu viele Individuen betrifft, sind die Überlebenden vielleicht besser angepasst – die Population kann aber trotzdem so sehr schrumpfen, dass sie früher oder später ausstirbt.
Manche Umweltveränderungen lassen keine schnellen Anpassungen zu. Wenn sich ein Lebensraum grundlegend verändert, ist Anpassung schlicht nicht vorstellbar. Fischpopulationen können sich nicht an ein Leben in einem ausgetrockneten See anpassen, und Landtiere überleben nicht, wenn ihr Lebensraum überflutet wird.
Die Klimakrise ist nur eine von mehreren Bedrohungen. Anpassung ist umso schwieriger, je kleiner die Populationen, je fragmentierter der Lebensraum, und je mehr Umweltveränderungen zeitgleich auftreten (siehe oben). Der Mensch erschwert Anpassungsprozesse durch Bejagung, Lebensraumzerstörung und Umweltverschmutzung also noch zusätzlich.
Was kann gegen das Aussterben unternommen werden?
Was kann man tun, wenn keine Hoffnung besteht, dass sich die meisten Arten erfolgreich anpassen? Das Aussterben lokaler Populationen wird kaum zu verhindern sein – aber zumindest können verschiedene Maßnahmen dem Verlust ganzer Arten und dem Zusammenschrumpfen von Verbreitungsgebieten entgegenwirken (Pörtner et al., 2022). Schutzgebiete sind wichtig, um Arten dort, wo sie gut genug angepasst sind, zu erhalten, und um vorhandene genetische Vielfalt zu bewahren. Wichtig ist außerdem die Vernetzung der unterschiedlichen Populationen einer Art, sodass warm-angepasste genetische Varianten sich gut verbreiten können. Zu diesem Zweck werden Natur“korridore“ eingerichtet, die geeignete Lebensräume miteinander verbinden. Das kann schon eine Hecke sein, die in einem landwirtschaftlich genutzten Gebiet verschiedene Baumbestände oder Schutzgebiete verbindet. Etwas umstrittener ist die Methode, Individuen bedrohter Populationen aktiv in Gebiete (zum Beispiel in höheren Lagen oder höheren Breitengraden) zu transportieren, in denen sie besser angepasst sind.
Bei all diesen Maßnahmen sind die Folgen jedoch nicht genau abzuschätzen. Auch wenn sie helfen können, einzelne Populationen und ganze Arten zu erhalten, reagiert doch jede Art anders auf Klimaveränderungen. Verbreitungsgebiete verschieben sich auf unterschiedliche Weise, und Arten treffen in neuen Kombinationen aufeinander. Interaktionen wie zum Beispiel Nahrungsketten können sich so grundlegend und unvorhersagbar verändern. Die beste Methode, Biodiversität und ihren unschätzbaren Nutzen für die Menschheit angesichts der Klimakrise zu erhalten, ist damit immer noch eine wirksame und schnelle Bekämpfung der Klimakrise selbst.
Barghi, N., Tobler, R., Nolte, V., Jakšić, A. M., Mallard, F., Otte, K. A., Dolezal, M., Taus, T., Kofler, R., & Schlötterer, C. (2019). Genetic redundancy fuels polygenic adaptation in Drosophila. PLOS Biology, 17(2), e3000128. https://doi.org/10.1371/journal.pbio.3000128
Bitter, M. C., Kapsenberg, L., Gattuso, J.-P., & Pfister, C. A. (2019). Standing genetic variation fuels rapid adaptation to ocean acidification. Nature Communications, 10(1), Article 1. https://doi.org/10.1038/s41467-019-13767-1
Netherer, S., Panassiti, B., Pennerstorfer, J., & Matthews, B. (2019). Acute drought is an important driver of bark beetle infestation in Austrian Norway spruce stands. Frontiers in Forests and Global Change, 2. https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/ffgc.2019.00039
Pörtner, H.-O., Roberts, D. C., Tignor, M. M. B., Poloczanska, E. S., Mintenbeck, K., Alegría, A., Craig, M., Langsdorf, S., Löschke, S., Möller, V., Okem, A., & Rama, B. (Eds.). (2022). Climate Change 2022: Impacts, Adaptation and Vulnerability. Contribution of Working Group II to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change.
Waller, N. L., Gynther, I. C., Freeman, A. B., Lavery, T. H., Leung, L. K.-P., Waller, N. L., Gynther, I. C., Freeman, A. B., Lavery, T. H., & Leung, L. K.-P. (2017). The Bramble Cay melomys Melomys rubicola (Rodentia: Muridae): A first mammalian extinction caused by human-induced climate change? Wildlife Research, 44(1), 9–21. https://doi.org/10.1071/WR16157
Wiens, J. J. (2016). Climate-related local extinctions are already widespread among plant and animal species. PLOS Biology, 14(12), e2001104. https://doi.org/10.1371/journal.pbio.2001104