Frühwarnsystem für Kipppunkte gestartet

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Ein britisches Projekt zielt darauf ab, frühe Anzeichen von Klima-Kipppunkten zu identifizieren: In einem ehrgeizigen Versuch, Klimakatastrophen vorherzusagen, werden Wissenschaftler Drohnenflotten, kosmische Strahlungsdetektoren und die Muster von Planktonblüten einsetzen. Ziel des von der Forschungsagentur ARIA finanzierten Programms ist die Entwicklung eines Frühwarnsystems, das eine Vorhersage des Auslösens von Kipppunkten in der Größenordnung von Jahrzehnten liefern könnte. ARIA ist eine unabhängige Einrichtung des UK Ministeriums für Wissenschaft, Innovation und Technologie.

Das Programm, für das eine Kickstart-Finanzierung von 81 Millionen Pfund bewilligt wurde, bringt 27 Expertenteams aus den Bereichen Klimawissenschaft, Optik, Informatik, Mathematik, Statistik, Photonik und Kernphysik zusammen. Es konzentriert sich auf zwei Kipppunkte , bei denen ein besonders hohes Risiko besteht: der Zusammenbruch des grönländischen Eisschildes, der einen enormen Anstieg des Meeresspiegels zur Folge hätte, und der Zusammenbruch wichtiger Meeresströmungen im Nordatlantik, der globale Veränderungen der Niederschlagsmengen zur Folge hätte und die Nahrungsmittelversorgung schwer beeinträchtigen würde.

Eine solche Warnung wäre ein enormer Anreiz für die Welt, den Klimaschutz zu beschleunigen, sagte Prof. Tim Lenton von der Universität Exeter und Leiter eines der Aria-Teams. Selbst wenn der Kipppunkt nicht aufgehalten werden könnte, würde eine Warnung der Gesellschaft wertvolle Zeit verschaffen, sich auf die schwerwiegenden Auswirkungen vorzubereiten.

Wissenschaftler haben mindestens 16 gefährliche Kipppunkte identifiziert , vom Zusammenbruch des Permafrosts im Norden bis zur Verschiebung des Monsuns in Westafrika, und es ist möglich, dass einige davon bereits überschritten sind.

Quelle: Advanced Research + Invention Agency (ARIA), https://www.aria.org.uk/opportunity-spaces/scoping-our-planet/forecasting-tipping-points/

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Kein Platz für „Klimaplantagen“?

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Energie aus Biomasse gewinnen und das anfallende CO2 zu speichern, könnte helfen, dieses Treibhausgas aus der Atmosphäre zu holen. Doch wo diese Biomasse anbauen, ohne die Natur zu zerstören?

Wie kann man CO2 aus der Atmosphäre wieder entfernen? Das wird notwendig, wenn es uns nicht gelingt, unsere Emissionen rechtzeitig auf Null zu bringen. Eine Möglichkeit, die diskutiert wird, ist, schnell wachsende Pflanzen anzubauen, sie zur Energiegewinnung nutzen, und das CO2, das dabei anfällt, einzufangen und irgendwo sicher zu lagern. Beispielsweise könnten Pappel- oder Weidenplantagen Holz zum Verbrennen in thermischen Kraftwerken liefern. Pflanzen wie Mais, Hirse oder Elefantengras eignen sich zur Herstellung von Biogas. Rapsöl und andere Ölpflanzen liefern Biodiesel. Im Fachjargon werden diese Methoden „Bioenergy with Carbon Capture and Storage (BECCS)“ genannt, also „Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Lagerung“. Die Frage ist: Wo soll man diese Pflanzen anbauen? Wo könnte man „Klimaplantagen“ anlegen?

Eine Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) in Nature Communications Earth & Environment hat das Potenzial solcher neuartiger „Klimaplantagen“ berechnet. Dabei muss nicht nur die CO2-Bilanz berücksichtigt werden, sondern auch andere planetare Belastungsgrenzen müssen bedacht werden.

Planetare Grenzen

Das Forschungsteam setzt am Konzept der planetaren Grenzen an, das 2009 unter Leitung des jetzigen PIK-Direktors Johan Rockström entwickelt wurde: Neun Prozesse, vom Klima über den Zustand der Wälder und Ozeane bis zur biologischen Vielfalt, bilden die Lebensgrundlage der Menschheit – und für alle Prozesse gibt es Belastungsgrenzen. Wie kürzlich der vom PIK vorgelegte erste planetare Gesundheitscheck belegte, sind sechs Grenzen bereits überschritten. Vier davon sind landbezogen und damit für die Flächenausweisung und Bewirtschaftung von Klima-Plantagen relevant; sie betreffen den Stickstoff-Eintrag durch Düngung, den Süßwasserverbrauch, die Entwaldung und den Verlust der durch Artenvielfalt bedingten Integrität der Biosphäre. Die neue Studie liefert nun erstmals eine systematische, prozessbasierte Modellierung dazu, wie das BECCS-Potenzial eingeschränkt wird, wenn diese Belastungsgrenzen nicht weiter überschritten werden sollen.

Rein theoretisch könnten Klimaplantagen bis 20250 jährlich mehr als 7,5 Mrd. Tonnen CO2 aus der Atmosphäre entfernen. Mit ähnlichen Größenordnungen rechnen viele Klimaszenarien zur Beschränkung der Erderwärmung auf 1,5°C. Dazu müssten alle biophysikalisch geeigneten Flächen außerhalb der heutigen Landwirtschaft umgewandelt werden. Wenn man aber die planetaren Belastungsgrenzen mit einbezieht, zeigt sich: Die Milliarden Tonnen sind über diese Technologie bei weitem nicht erreichbar.

Für die Studie wurde das globale Biosphären-Modell LPJmL verwendet. Was tut dieses Modell? Das Modell „Lund-Potsdam-Jena Managed Land“ simuliert sowohl für natürliche als auch für landwirtschaftliche Ökosysteme die Zusammensetzung und Verteilung der Vegetation, die Kohlenstoff- und Wasserbestände und die entsprechenden Austausch-Ströme zwischen Land und Atmosphäre. Es kann Prozesse darstellen wie Photosynthese, Pflanzenwachstum, Erhaltungs- und Regenerationsverluste, Brandstörungen, Bodenfeuchtigkeit, Abfluss, Evapotranspiration, Bewässerung und Vegetationsstruktur. Als Input dienen Daten über Klima, menschliche Landnutzung, Bodeneigenschaft und Strömungsrichtungen von Flüssen.

Aus den Berechnungen ergibt sich, wie stark die einzelnen Belastungsgrenzen überschritten würden, wenn diese mehr als 7,5 Milliarden Tonnen CO2 durch Klimaplantagen entnommen werden sollen: Die Obergrenze für Stickstoffeintrag durch Dünger würde um 21 Prozent überschritten werden, der Schutz von Süßwassersystemen um 59 Prozent, die Begrenzung der Entwaldung um 61 Prozent und die Vermeidung von Biosphärenschäden um 93 Prozent. Wenn natürliche Flächen durch Klimaplantagen ersetzt werden, bleibt von der Artenvielfalt praktisch nichts mehr übrig. Begrenzt man aber die Flächen für Klimaplantagen so, dass die Belastungsgrenzen nicht überschritten werden, bleibt ein Potenzial von 200 Millionen Tonnen – anstatt 7,5 Milliarden.

Wolfgang Lucht, Leiter der Forschungsabteilung Erdsystemanalyse am PIK und ein Co-Autor der Studie, erklärt in einer Aussendung.„Unsere Computersimulation ist eine der bisher anspruchsvollsten Anwendungen des am PIK entwickelten Biosphären-Modells. Sie bringt in der aktuellen Klimadiskussion, angesichts der derzeit erfolgenden Überschreitens des 1,5-Grad-Limits, eine wichtige Erkenntnis: Wir dürfen bei unserer Reaktion auf die Klimakrise nicht nur auf die CO2-Bilanz von Maßnahmen schauen, sondern müssen auch andere planetare Grenzen im Blick behalten. Letztlich hängt die Widerstandsfähigkeit des Erdsystems von einer Vielzahl miteinander verknüpfter Prozesse ab.“

Weniger Fleischkonsum könnte Platz für Klimaplantagen schaffen

Könnte man Klimaplantagen auf Land anlegen, das derzeit für Landwirtschaft genutzt wird? Nicht, wenn auf diesem Land Getreide, Gemüse oder Obst angebaut wird. Eine Verringerung des Fleischkonsums könnte Flächen frei machen, die derzeit für Viehfuttererzeugung oder Weiden genutzt werden.

„Die wichtigste aller Klimaschutz-Strategien bleibt die schnelle Emissionssenkung in Richtung null“, sagt Johanna Braun, PIK-Forscherin und Leitautorin der Studie. „Um das CO2-Entnahme-Potenzial der Klima-Plantagen doch noch zu steigern, also die verfügbare Fläche, müsste die Welt bei der Landwirtschaft mit weniger Platz und Ressourcen auskommen. So könnte eine insgesamt mehr pflanzenbasierte Ernährung theoretisch erhebliche Weideflächen für andere Verwendung verfügbar machen.“ Die Studie weist damit auf einen wichtigen Zusammenhang hin, betont Braun: „Weniger tierische Produkte zu produzieren und zu konsumieren, hilft nicht nur dem Klima durch verringerte Emissionen der Landwirtschaft – es sorgt auch für Entspannung beim Kampf um knappe Ressourcen und schützt dadurch das Erdsystem insgesamt.“

Quelle: Braun, J., Werner, C., Gerten, D. et al. Multiple planetary boundaries preclude biomass crops for carbon capture and storage outside of agricultural areas. Commun Earth Environ 6, 102 (2025). https://doi.org/10.1038/s43247-025-02033-6

Titelbild: Lignovis GmbH: Abernten einer vierjährigen Weidenplantage. CC BY-SA

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Schneller und billiger Klima-Hack: Kondensstreifen reduzieren.

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Wenn der von Flugzeugtriebwerken ausgestoßene Ruß und Wasserdampf sich ausbreitet, fangen die Eiskristalle in den entstehenden Zirruswolken die Wärme ein. „Wenn wir einen kleinen Prozentsatz der Flüge um etwa 600 Meter nach oben verlegen, könnten wir sie aus den Gebieten mit hoher Luftfeuchtigkeit fernhalten, in denen die schlimmsten Zirruswolken entstehen“, schreiben die Klimaforscher Ian McKay und Ken Caldeira. Dies könnte „die Klimaauswirkungen der Luftfahrt zu sehr geringen Kosten halbieren“. Der Weltklimarat IPCC hat geschätzt, dass durch Kondensstreifen verursachte Zirruswolken die Erde möglicherweise genauso stark erwärmen wie das CO2, das jemals von allen Flugzeugen ausgestoßen wurde.

Quelle: Cipher

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Die Langfristigkeit der CDR-Maßnahmen ist entscheidend für die Pariser Klimaziele

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Die Abscheidung von Kohlendioxid (Carbon Dioxide Removal/CDR) ist für das Erreichen des Netto-Null-Emissionen von wesentlicher Bedeutung, da sie essentiell für die Neutralisierung der Restemissionen sind. Die wissenschaftlich anerkannte Definition der CDR umfasst dabei, dass das aus der Atmosphäre entnommene CO2 „dauerhaft“ gespeichert wird. Was allerdings genau mit „dauerhaft“ gemeint ist bleibt unklar: die Interpretationen reichen von Jahrzehnten bis zu Jahrtausenden. Mithilfe eines Klimamodells mit reduzierter Komplexität hat eine neue Studie die Auswirkungen der CDR-Maßnahmen bei unterschiedlichen CO2-Einlagerungszeiten untersucht. So konnte die Erkenntnis gewonnen werden, dass die Dauer der Speicherung einen wesentlichen Einfluss darauf hat, ob die Netto-Null-Emissionen die gewünschten Temperaturergebnisse garantieren. Bei einer typischen Speicherdauer von 100 Jahren, d. h. einer Freisetzung des gespeichert CO2 nach 100 Jahren, würden ein Netto-Null-Szenarion mit einer Restemmission von 6 GtCO2 pro Jahr zu einer zusätzlichen globalen Erderwärmung von 1,1°C bis zum Jahr 2500 führen, was die international vereinbarten Temperaturgrenzwerte gefährdet. Die Ergebnisse der Studie deuten mit darauf hin, dass eine CO2-Speicherdauer unter 1000 Jahren dauerhafter Einlagerungszeit nicht ausreicht, um die verbleibenden fossilen CO2-Emissionen bei Netto-Null-Emissionen zu neutralisieren. Glaubwürdige Neutralisierungsansprüche unter Verwendung von CDR-Maßnahmen in einem Netto-Null-Emissionsrahmen erfordern daher eine Einlagerung in Speicherreservoirs, z. B. geologisch oder biogen, die eine entsprechende Einlagerungszeit garantieren können.

Studie: https://www.nature.com/articles/s43247-024-01808-7

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Neuer Lehrberuf: Klimagärtner:in

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Der neue Lehrberuf wurde am 15. Oktober an der Berufsschule für Gartenbau und Floristik im 22. Wiener Gemeindebezirk vorgestellt: Klimagärtner:innen begrünen Fassaden und Dächer, errichten Bewässerungsanlagen und kümmern sich um die Versickerungsfähigkeit von Oberflächen. Damit tragen sie vor allem im städtischen Raum dazu bei, kühlende Schattenräume entstehen zu lassen und damit hohe Temperaturen zu verringern, Lärm zu reduzieren und Regenwasser zu speichern.

Klimagärtner:innen wissen:

  • welche Pflanzen zu den klimaangepassten Arten zählen, die zur Biodiversität beitragen und ressourcenschonend sind.
  • wie Raum für Wurzeln unter Straßen, Parkplätzen und Gehwegen entsteht und erweitert werden kann.
  • wie der Kühlungseffekt von Bäumen im städtischen Mikroklima am besten eingesetzt wird.
  • dass das Schwammstadt-Prinzip zur Annäherung an natürliche Wasserkreisläufe beiträgt, wie es die Biodiversität fördert, das Wohlbefinden der Stadtbewohner verbessert und gleichzeitig Ressourcen geschont werden.
  • wie man Pflanzarbeiten mit landschaftsbaulichen Elementen wie Natur- und Kunststeinen, Holz, Glas und Kunststoffen kombiniert. Unter Einsatz von Maschinen werden Grünräume geformt.
  • wie man Kunden betreut und Projekte von der Planung bis zur Fertigstellung umsetzt – ob Gebäudebegrünung, Holzterrassen oder gepflasterte Wege.
  • was Pflanzen brauchen: vom Rückschnitt von Bäumen und Sträuchern über Düngung bis hin zur Rasenpflege.

Sie sind in Betrieben des Gartenbaus sowie in den Bundesgärten, bei Städten und Gemeinden beschäftigt. Klimagärtner:innen arbeiten mit anderen Fachkräften des Gartenbaus, aber auch des Bauwesens und der Technik zusammen.

Die Ausbildungsdauer beträgt drei Jahre und die erste Klasse startet Ende Jänner 2025.

Weitere Informationen unter https://www.zukunftgestalten.wien/?page_id=2373

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Lesen für die Klima-, Biodiversitäts- und andere Krisen

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Mitglieder der Scientists4Future Österreich geben Empfehlungen für Sachbücher, Essays und Romane zur Klimakrise, Biodiversitätskrise und zu anderen Krisen.1

SACHBÜCHER

Thomas Brudermann, Die Kunst der Ausrede. Warum wir uns lieber selbst täuschen, statt klimafreundlich zu leben. Oekom Verlag München, 2022

Der Autor ist Professor an der Universität Graz und Scientist4Future. Er fragt, was klimafreundliches Handeln so schwer macht und was es aus Sicht der Psychologie für eine nachhaltige Gesellschaft braucht. Die feinen Cartoons mit freundlichen Capibaras machen die Lektüre besonders erfreulich, eine Tabelle mit allen Ausreden und möglichen Umgangsweisen damit am Ende des Buches sind eine ausgezeichnete Grundlage für die Kommunikation mit anderen. Das Werk wurde 2023 mit dem Eunice Foote Preis für Klimakommunikation ausgezeichnet. (VW)

Daniel Ennöckl (Hrsg), Klimaschutzrecht im Querschnitt von Wissenschaft und Praxis, Verlag Österreich, 2023

Dieses Handbuch bietet eine umfassende, fundierte Aufbereitung der Querschnittsmaterie Klimaschutzrecht. In 21 Kapiteln behandeln Autorinnen aus Wissenschaft und Praxis alle wesentlichen Bereiche dieses dynamischen Rechtsgebiets: von den völker-, unions- und verfassungsrechtlichen Grundlagen des Klimaschutzes über Emissionshandel, Energieeffizienz und erneuerbare Energien bis hin zu Klimaklagen, Zivilgesellschaft und Zivilrecht. Als erste derartige Gesamtdarstellung in der österreichischen Rechtsliteratur wendet sich dieses Handbuch an alle Rechtsanwenderinnen, Wissenschaftler*innen und Studierenden, die sich einen Überblick über die Rolle des Klimaschutzes im Recht verschaffen oder ihr einschlägiges Wissen vertiefen wollen.

Hans Holzinger, Wirtschaftswende, Oekom 2024

Das Buch macht deutlich, dass es mittlerweile zahlreiche Transformationsansätze gibt, und es beschreibt, wie die Wirtschaftwende gelingen könnte. Es richtet sich an ein breites Publikum, um die Zukunftsvorschläge über die Fachwelt hinaus bekannt und diskutierbar zu machen. Der Autor benennt die Nichtnachhaltigkeit unserer aktuellen Wirtschafts- und Lebensweise, er skizziert aber insbesondere die vielen Neuansätze in den Bereichen Energie und Ernährung, Mobilität und Stadt, Finanzen und Steuern sowie Unternehmen und Konsum. Deutlich wird, wie all diese Wenden mit Wirtschaft zu tun haben. (MA, ganze Rezension hier)

Naomi Oreskes, Erik M. Conway: Die Machiavellis der Wissenschaft: Das Netzwerk des Leugnens. Wiley-VCH Verlag, Weinheim 2014

Ein Klassiker, der die Vorgangsweise großer Konzerne seziert, die Zweifel säen, um ihre Geschäfte nicht zu gefährden, dargestellt unter anderem an der Tabakindustrie. Der englische Titel „Merchants of Doubt“ (etwa: Die Händler des Zweifels) trifft besser als die deutsche Übersetzung. Leider inzwischen vergriffen, vielleicht antiquarisch erhältlich.  (VW)

Friederike Otto, Wütendes Wetter. Auf der Suche nach den Schuldigen für Hitzewellen, Hochwasser und Stürme. Ullstein Verlag, Berlin 2019

Die Autorin ist Professorin in Oxford, hochrangiges Mitglied des Weltklimarates und die Mitbegründerin der Zuordnungsforschung. Sie erklärt verständlich und erzählt packend die Geschichte der Entwicklung ihrer Forschungsrichtung entlang einiger Katastrophen, für die es ihrem Team gelang, den Beitrag der Treibhausgasemissionen zu berechnen. Spannend, informativ, erklärend ohne belehrend zu wirken. (VW)

Corine Pelluchon, Manifest für die Tiere, aus dem Französischen übersetzt von Michael Bischoff, C.H. Beck, München 2020

In ihrem kurzen und gut zu lesenden Buch befasst sich die Philosophin Corine Pelluchon mit der uns so selbstverständlich erscheinenden Unterdrückung von Tieren. Wie wir mit nicht-menschlichen Tieren umgehen betreffe im Kern die Frage nach unserer Menschlichkeit. Dabei bleibt sie nicht bei einer theoretischen Auseinandersetzung, sondern gibt auch konkrete Tipps und benennt (Zwischen-)Ziele, die einen – sozial gerechten – Ausweg aus dem System der Misshandlung und Ausbeutung von Tieren aufzeigen. (VW)

Michael Rosenberger, Was der Seele Leben schenkt. Spiritualität aus Erde. Echter Verlag Würzburg, 2020

Der Autor ist Professor für Moraltheologie an der Katholischen Privatuniversität Linz; von ihm stammen zahlreiche Veröffentlichungen zu umweltethischen Fragen. Er wirkt bei S4F im Fachkollegium mit. Er vermittelt eine erdgebundene, allen Menschen zugängliche Spiritualität, die von den menschlichen Grunderfahrungen ausgeht, um daraus Orientierung für die praktische Lebensgestaltung zu gewinnen. Eine Buch, das die Seelsorge, als Sorge um die Menschen, die sich engagieren und dabei ausbrennen, als Sorge um die Menschen, die aus Angst nicht handeln, als Sorge um alle Menschen, ins Zentrum stellt. Gut lesbar, knapp, und ein ganz anderer Zugang zur Klimakrise als üblich. (VW)

ESSAYS

Rachel Carson, Silent Spring, Houghton Mifflin, 2002 (Englisch)  

Wohl eines DER Öko-Bücher, welches maßgeblich für die Gründung der US EPA war. (MS)

Gregory Fuller, Das Ende – Von der heiteren Hoffnungslosigkeit im Angesicht derökologischen Katastrophe, Meiner, 2017
 

Obgleich erstmals 1994 erschienen ist dieser Essay unverändert aktuell (auch wenn heute manche Aspekte fachlich anders  gesehen werden) und bietet viel Nachdenkstoff zum ethischen Umgang mit der Umweltkrise.

Amitav Ghosh, Die große Verblendung. Der Klimawandel als das Undenkbare. Karl Blessing Verlag, München 2017

Der indische Autor, studierter Sozialanthropologe, der in New York lebt, schreibt seit Jahrzehten über Indien. Hier geht es aber – durchaus aus postkolonialer Perspektive, um mehr: Warum ist der Klimawandel kein Thema der Literatur? Dieser Essay argumentiert, dass die Kunst sich zu wenig mit dem Klimawandel beschäftige. Das mag sich seit 2017 geändert haben, die Grundfrage, ob die Menschheit verblendet sei, ist nach wie vor aktuell. Sprachlich eleganter Essay von einem großen Autor. In seinem Buch Gun Island (Dt. Die Inseln, Karl Blessing Verlag 2019) nimmt er seine Herausforderung an, Klimaflüchtlinge und Umweltaktivismus spielen eine große Rolle in diesem Roman. (VW)

Daniel R. Headrick, Macht euch die Erde untertan – Die Umweltgeschichte des Anthropozäns,
 wbg Theiss, 2021
 

Um die heutigen multiplen Umweltkrisen besser einordnen zu können, ist diese Zusammenschau unbedingt lesenswert.

Bruno Latour/Nikolaj Schultz, Zur Entstehung einer ökologischen Klasse, edition suhrkamp, 2022


Latour und Schultz erörtern aus soziologischer Sicht, warum es der Bildung einer “ökologischen Klasse” (analog zur Bildung der Arbeiterklasse) bedarf.

Martha Nussbaum, Gerechtigkeit für Tiere wbg Theiss, 2023


Eine rechtliche, philosophische und ethische Grundlegung primär in Bezug auf unseren Umgang mit Tieren – mit vielem, was man darüber hinaus weiterdenken kann.

Verena Winiwarter, Der Weg zur klimagerechten Gesellschaft. Sieben Schritte in eine nachhaltige Zukunft, picus, Wien 2022

Die Autorin ist Umwelthistorikerin und engagiert sich bei S4F im Fachkollegium. Aus einer „Wiener Vorlesung“ ging dieser kurze Text hervor (72 S), der Grundrechtsdemokratie, die Auflösung der Öffentlichkeit durch soziale Medien und ihre Algorithmen, Daseinsvorsorge und fossile Energie in einen unerwarteten Zusammenhang bringt. Sie schlägt einen Verfassungskonvent vor, der mit einer klimagerechten Verfassung die Grundlage für eine klimagerechte Gesellschaft legt. (VW)

Schule und Kinder

David Nelles & Christian Serrer, Kleine Gase – Große Wirkung. Spiegel Verlag, 2018

Für Einsteiger*innen: Das Buch eignet sich für Laien, Schulen, Lehrer*innen, um auch schnell mal zwischendurch einen Informationshappen gut aufbereitet aufzunehmen; es greift gut fundiert viele Themen auf, ohne zu überfordern.

Andri Snaer Magnason (Author), Aslaug Jonsdottir (Illustrator), Julian Meldon D’Arcy (Translator), The Story of the Blue Planet, Triangle Square (Englisch)


Sehr nett gestaltetes Kinderbuch, das neben vielen anderen Themen auch eine ökologische Message beinhaltet. (MS)

ROMANE

Margaret Atwood, Oryx und Crake, Piper, 2017


Atwood verbindet einen Thriller in einer künftigen Welt der Klimakatastrophe mit einem schmerzhaften Kommentar zu unserer Zeit.

T. C. Boyle, Blue Skies, Carl Hanser, 2023
 

Amerika in einer möglichen nahen Zukunft. Dystopisch, bissig und brillant.

Frank Herbert, Der Wüstenplanet, Heyne, 2016 und folgende


Bestimmt schon bekannt durch den Film, das Buch ist aber auf jeden Fall eine Empfehlung wert. Besonders Buch 1 ist aus ökologischer Sicht spannend. Für die ganze erste ökologische Transformation des Planeten muss man allerdings Buch 1 bis 4 lesen. (MS)

Maja Lunde, Die Geschichte der Bienen, btb, München 2017

Die Norwegerin ist als Autorin von Romanen und Drehbüchern inzwischen auch außerhalb Europas bekannt, dieser Roman ist der erste Teil des „Klimaquartetts“, von dem bisher drei Bände erschienen sind. Die Geschichte der Bienen zählt zum Packendsten, was es an Klimaromanen gibt. Eine in synthetischer Kleidung schwitzende chinesische Arbeiterin, die mühsam mit der Hand Obstbäume bestäubt wird zur Hauptfigur eines der ineinander verwobenen Teile dieses Romans, der die gesellschaftlichen Konsequenzen des Artensterbens greifbar macht und ganz nebenbei auch noch eine spannende Wissenschaftsgeschichte erzählt. (VW)

Maja Lunde, Die Geschichte des Wassers, btb, München 2018

Was geschieht, wenn Wasser durch die Klimakrise zu einem unerreichbaren Gut wird? Gewalt, Flucht, verlassene Landstriche, ein Schiff auf dem Trockenen und ein unerwarteter lebensrettender Fund machen diese Geschichte zu einer abenteuerlichen Lektüre. Zweiter Teil des Klimaquartetts, macht wie der erste band die Konsequenzen für Einzelne und Staaten (mit-)fühlbar. Wie im Bienen-Band werden mehrere Erzählstränge ineinander verwoben. (VW)

Maja Lunde, Die letzten ihrer Art, btb München, 2019

Geht es hier um die Przewalskipferde, ihre Geschichte, ihre Erhaltung durch auswildern oder darum, dass das Überleben für Menschen Mitte des 21. Jahrhunderts immer schwieriger werden wird? Wie in den ersten beiden Bänden des „Klimaquartetts“ der Autorin werden mehrere Geschichten miteinander verknüpft, die Schauplätze reichen von der Mongolei bis Norwegen. (VW)

Günther Neuwirth, Vogelstimmen, Edition Keiper 2024

Der Ornithologe Rémy erforscht im Wald die Gesänge der Vögel, die Informatikerin Verena sammelt im Südpolarmeer Daten, der Gitarrist Alwin verbringt sein Leben in Tonstudios, die Australierin Karlene zieht mit ihrer Geige durch Europas Städte, Harald und Katja erleben die Abschaffung der Demokratie am eigenen Leib. Und an den Stränden des Mittelmeers hungern immer mehr Mitglieder der friedlichen Sekte der Weißen Tücher. Was macht der nahende Kollaps der Ökosphäre mit den sechs jungen Menschen? Was tun, wenn Umweltschutz als Terrorismus gilt? Wo bleibt das Glück inmitten des ausbrechenden Irrsinns? (MA)

Richard Powers, Die Wurzeln des Lebens, aus dem Englischen übersetzt von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié, S. Fischer, Frankfurt am Main 2020

Der US-amerikanische Schriftsteller Richard Powers widmet sich in seinen Werken oft naturwissenschaftlichen und philosophischen Themen und Fragen. Sein Roman „Die Wurzeln des Lebens“, der beides verknüpft, wurde 2019 unter anderem in der Kategorie Unterhaltung als Wissensbuch des Jahres ausgezeichnet. Auf fesselnde Weise beschreibt Powers in ihm, wie das Leben aller Protagonist*innen, der menschlichen wie nicht-menschlichen, so wie das titelgebende Wurzelgeflecht der Bäume miteinander verknüpft ist. Alle eint der Kampf für den Schutz der Bäume vor Abholzung und die Auseinandersetzung mit dem zuwiderlaufenden politischen und gesellschaftlichen Dynamiken. Dabei lässt sich einiges über die auch für uns so lebenswichtigen Bäumen lernen, die manch eine*r nach der berührenden Lektüre sicherlich mit anderen Augen sieht. (VW)

Kim Stanley Robinson, New York 2140, Heyne 2018

Der amerikanische Science Fiction Spezialist hat schon mehrfach Preise für „Eco-Fiction“ gewonnen. “Climate Fiction” gibt es inzwischen wie Sand am Meer, aber ein Buch wie dieses, das auf über 800 Seiten einen weiblichen Internetstar im Luftschiff Eisbären in die Antarktis fliegen lässt, was Artenschützer nicht nur mit Begeisterung erfüllt, in dem zwei Computergeeks eine Entdeckung machen, die sie in Lebensgefahr bringt, in dem eine der Hauptrollen das durch den Meeresspiegelanstieg zum Archipel von Hochhausspitzen gewordene Manhattan spielt, in dem Finanzspekulation in der Gezeitenzone auf Hochtouren läuft und einzig und allein die Isländer, die immer schon etwas mißtrauischer waren, noch über alle ihre Personenstandsdaten verfügen, ein Buch wie dieses gibt es nicht alle Tage. Die unvermeidliche Liebesgeschichte ist eine der wenigen Schwächen dieses nicht nur fabulierlustigen, sondern auch sehr informativen Buches: denn aus der Zukunft wird auf die Vergangenheit, unsere Gegenwart, geblickt – das gibt Anlaß für Klimabildung aller Art. Leichtfüßig, witzig und trotzdem durchaus zum Nachdenken anregend. An diesem Buch scheiden sich die Geister, aber wer dicke Bücher, die vor Leben und Details strotzen, schätzt und wer New York kennt und vielleicht sogar mag, ist hier gut beraten. (VW)

Kim Stanley Robinson, Das Ministerium für die Zukunft, Heyne 2023

Das erste Kapitel dieses im Jahr 2025 spielenden Romans ist hart. Die Unbarmherzigkeit einer Hitzewelle in Indien lässt niemanden kalt. Danach wird es weniger drastisch. Barack Obama und Bill Gates haben dieses Buch beide empfohlen. Es ist trotzdem lesenswert, im Vergleich zu New York 2140 vom selben Autor deutlich weniger verästelt, aber kunstvoll und kenntnisreich erzählt. Pflichtlektüre für alle, die sich fragen, wie das mit der Klimakrise im globalen Süden denn so sein wird. (VW)

Empfehlungen von unseren Follower:innen

Dave Goulsen, Stumme Erde – Warum wir die Insekten retten müssen, Hanser 2022

Dave Goulsen, The Garden Jungle, Penguin Books 2020

Bibliotheken

Südwind Bibliotheken: https://www.suedwind.at/bildungsangebot-und-globales-lernen/suedwind-bibliotheken/

  1. Die Liste wird laufend ergänzt. Gerne nimmt die AG Öffentlichkeitsarbeit Vorschläge mit einem persönlichen Begründungstext wie oben entgegen. ↩︎
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Strenge Regulierungen können positive Kippunkte auslösen

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CO2-Steuern, Subventionen für saubere Technologien oder strenge gesetzliche Auflagen? Was wirkt am besten?

Forscher:innen vom Global Sytems Institute der Universität Exeter haben klimapolitische Maßnahmen in 70 Ländern untersucht, und zwar im Hinblick auf ihre Wirkungen in den Sektoren Strom, Wärme, leichter Straßenverkehr und schwerer Straßenverkehr. Sie haben festgestellt, dass Steuern – das Mittel, das bisher am häufigsten eingesetzt wird – die schwächste Intervention waren, während Regulierungsauflagen den größten Einfluss hatten: Sie führten schnell zu einer Verbreitung sauberer Technologien auf einem Niveau, das in verwandten Branchen positive Wendepunkte auslöste.

Die Modellierung simulierte, wie Investoren oder Verbraucher auf der Grundlage von Verfügbarkeit, Kosten und historischen Präferenzen zwischen Technologien wählen. Die Forscher meinen, dass solche „Regulierungsauflagen mit spezifischen Zeitvorgaben“ dazu führen könnten, dass bestimmte Industriezweige einen steigenden Anteil am Umsatz mit sauberen Technologien erzielen oder die Nutzung der umweltschädlichsten Brennstoffe schrittweise einstellen. Sind diese Wendepunkte einmal erreicht, könnten sie positive Dominoeffekte in den entsprechenden Sektoren auslösen, die jeweils die anderen auf dem Weg zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft beschleunigen und gleichzeitig die Preise von sauberen Technologien für die Verbraucher drastisch senken.

Vier solcher Vorgaben wurden bewertet und werden im Bericht empfohlen. Dazu gehören:

  • der schrittweise Ausstieg aus der Kohlekraft bis 2035 für Industrieländer und bis 2045 für Entwicklungsländer;
  • die Vorschrift, dass ab 2025 ein steigender Anteil an allen verkauften Heizgeräten Wärmepumpen sein müssen, bis 2035 100 Prozent erreicht werden;
  • die Vorschrift, dass ein steigenderAnteil an allen verkauften Pkw emissionsfreie Fahrzeuge sein müssen, bis 2035 100 Prozent erreicht werden;
  • und die Vorschrift, dass der Anteil emissionsfreier Fahrzeuge an an allen verkauften LKW bis 2040 100 Prozent erreichen muss.

„Wir haben festgestellt, dass politische Maßnahmen zur Förderung der CO2-armen Energiewende in jedem dieser Sektoren dazu beitragen, den Wendepunkt auch in den anderen drei Sektoren herbeizuführen“, sagt Simon Sharpe, Mitautor der Studie und Direktor von S-Curve Economics, einer gemeinnützigen Forschungsorganisation.

„Beispielsweise fördert die verstärkte Nutzung von sauberem Strom oder Energiespeicherung in einem Sektor Innovationen und senkt die Kosten dieser Technologien, was schnellere Übergänge in den anderen Sektoren ermöglicht. Darüber hinaus bietet die zunehmende Elektrifizierung von Heizung und Verkehr neue Möglichkeiten, das Stromsystem auszugleichen und so die Kosten für sauberen Strom zu senken.“

Das Papier identifiziert auch „Superhebelpunkte“, die das größte Potenzial haben, Kaskaden positiver Veränderungen auszulösen. Dr. Femke Nijsse, die Hauptautorin der Studie, sagte: „Das Null-Emissions-Mandat für Autos bietet das beste Potenzial für einen ‚Superhebelpunkt‘ für den globalen Wandel.“

Die Forscher:innen kommen zu dem Schluss, dass regulatorische Auflagen mit konkreten Zeitrahmen dafür sorgen werden, dass saubere Technologien weltweit bis zu drei Jahre früher billiger werden als Alternativen auf Basis fossiler Brennstoffe. Dadurch könnten die Kohlendioxidemissionen in den Sektoren Strom, Verkehr und Heizung bis 2050 um mindestens 75 Prozent sinken.  

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Energie aus erneuerbarem Wasserstoff in der EU: Prüfer:innen fordern einen Realitätscheck

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Einem Bericht des Europäischen Rechnungshofs zufolge war die EU bei der Bereitstellung der Grundsteine für den aufkommenden Markt für erneuerbaren Wasserstoff nicht sehr erfolgreich. Zwar hat die Europäische Kommission eine Reihe positiver Schritte unternommen, doch bleiben in der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungskette weiterhin Herausforderungen bestehen. Es ist unwahrscheinlich, dass die EU ihre für 2030 gesetzten Ziele für die Erzeugung und den Import von erneuerbarem Wasserstoff erreichen wird. Die Prüfer:innen fordern einen Realitätscheck, um sicherzustellen, dass die Ziele der EU realistisch sind und dass die strategischen Entscheidungen auf dem Weg in die Zukunft nicht die Wettbewerbsfähigkeit von wichtigen Branchen beeinträchtigen oder neue Abhängigkeiten schaffen.

Erneuerbarer oder „grüner“ Wasserstoff hat erhebliche Implikationen für die Zukunft von wichtigen Industriezweigen in der EU, da er einen Beitrag zur Dekarbonisierung besonders schwer zu elektrifizierender Sektoren wie Stahlproduktion, Petrochemie, Zement und Düngemittel leisten kann. Außerdem kann sie der EU dabei helfen, ihr Klimaziel für 2050 zu erreichen, nämlich keine CO2-Emissionen zu verursachen, und die Abhängigkeit der EU von russischen fossilen Brennstoffen weiter zu reduzieren.

„Die EU-Industriepolitik für erneuerbaren Wasserstoff braucht einen Realitätscheck“, sagte Stef Blok, der für die Prüfung verantwortliche ECA-Mitarbeiter. „Die EU sollte über den strategischen Weg zur Dekarbonisierung entscheiden, ohne die Wettbewerbssituation von wichtigen EU-Industrien zu beeinträchtigen oder neue strategische Abhängigkeiten zu schaffen.“

Die Kommission hat zunächst übermäßig ehrgeizige Ziele für die Produktion und den Import von erneuerbarem Wasserstoff festgelegt, nämlich jeweils 10 Millionen Tonnen bis 2030. Diese Ziele basierten nicht auf einer soliden Analyse, sondern wurden vom politischen Willen bestimmt. Außerdem hatte die Erreichung dieser Ziele einen schwierigen Start. Zum einen waren die unterschiedlichen Ambitionen der Mitgliedstaaten nicht immer mit den Zielen in Einklang zu bringen. Zum anderen hat die Kommission bei der Koordinierung mit den Mitgliedstaaten und der Industrie nicht sichergestellt, dass alle Parteien an einem Strang ziehen.

Andererseits zollen die Prüfer:innen der Kommission Anerkennung dafür, dass sie die meisten Rechtsakte innerhalb kurzer Zeit vorgelegt hat: Der Rechtsrahmen ist nahezu vollständig und hat die nötige Sicherheit geschaffen, die für die Entwicklung eines neuen Marktes unerlässlich ist. Die Vereinbarung der Regeln zur Definition von erneuerbarem Wasserstoff hat jedoch Zeit in Anspruch genommen, und viele Investitionsentscheidungen wurden aufgeschoben. Auch Projektentwickler:innen zögern Investitionsentscheidungen hinaus, weil das Angebot von der Nachfrage abhängt und umgekehrt.

Der Aufbau einer EU-Wasserstoffindustrie erfordert massive öffentliche und private Investitionen, aber die Kommission hat keinen vollständigen Überblick über den Bedarf oder die verfügbaren öffentlichen Mittel. Gleichzeitig sind die EU-Fördermittel – die von den Prüfer:innen für den Zeitraum 2021-2027 auf 18,8 Milliarden Euro geschätzt werden – auf mehrere Programme verteilt, so dass es für Unternehmen schwierig ist, die für ein bestimmtes Projekt am besten geeignete Art der Finanzierung zu bestimmen. Der Großteil der EU-Fördermittel wird von denjenigen Mitgliedstaaten in Anspruch genommen, die einen hohen Anteil an schwer zu dekarbonisierenden Industrien haben und auch bei den geplanten Projekten weiter fortgeschritten sind, d. h. Deutschland, Spanien, Frankreich und die Niederlande. Es gibt jedoch immer noch keine Garantie dafür, dass das Wasserstoffproduktionspotenzial in der EU vollständig genutzt werden kann oder dass die öffentliche Finanzierung es der EU ermöglicht, grünen Wasserstoff aus Ländern mit großem Produktionspotenzial in Länder mit hoher industrieller Nachfrage zu transportieren.

Die Prüfer:innen fordern die Kommission auf, ihre Wasserstoffstrategie auf der Grundlage einer sorgfältigen Bewertung dreier wichtiger Bereiche zu aktualisieren: Wie sollen Marktanreize für die Erzeugung und Verwendung von erneuerbarem Wasserstoff gestaltet werden. Wie sollen die knappen EU-Mittel bevorzugt eingesetzt werden. Auf welche Teile der Wertschöpfungskette soll der Fokus gelegt werden, und welche Industriezweige soll die EU angesichts der geopolitischen Auswirkungen der EU-Produktion im Vergleich zu Importen aus Nicht-EU-Ländern zu welchem Preis erhalten.

Quelle: https://www.eca.europa.eu/en/news/NEWS-SR-2024-11 und der ganze Bericht (EN): https://www.eca.europa.eu/en/publications/SR-2024-11

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Dringender Appell für ein „Ja“ zur Renaturierungsverordnung

Lesedauer 4 Minuten.   

Die Scientists for Future Österreich und Wissenschaftler:innen ihres Fachkollegiums begrüßen den Vorstoß der Landeshauptleute Peter Kaiser und Michael Ludwig sowie die Bemühungen von Bundesministerin Leonore Gewessler um die EU-Renaturierungsverordnung ausdrücklich.

Wir appellieren dringend, diesen vielversprechenden Weg weiterzugehen und diese Woche gemeinsam ein österreichisches „Ja“ zur Renaturierungsverordnung zu ermöglichen!  

Sie haben damit die Chance, ein Kernanliegen der Bürger:innen in Österreich und der Europäischen Union aufzugreifen, die sich mehrheitlich um den Naturverlust sorgen: Drei Viertel der Bürger:innen fordern verbindliche Ziele zur Wiederherstellung der Natur von der Politik1.

Warum brauchen wir die Verordnung?

  • Wiederherstellungsmaßnahmen schaffen CO2-Senken und stellen (z.B. Im Bereich von Flussrenaturierungen) Anpassungen an die Klimakrise dar2. Wie dringend solche Maßnahmen sind, zeigen die Extremwetterereignisse unter anderem im Burgenland und der Steiermark in den letzten Tagen. 
  • Ernährungssicherheit ist nur möglich, wenn Ökosystemleistungen z.B. durch Bestäuber sichergestellt sind; deshalb ist die Verordnung keine Bedrohung, sondern ein wichtiger Beitrag zur Ernährungssicherheit. Zudem räumt die aktuelle Fassung der Verordnung für den als äußert unwahrscheinlich eingestuften Fall, dass die Ernährungssicherheit gefährdet würde, die Möglichkeit der vorübergehenden Aussetzung der Anwendung der Verordnung ein3.
  • Die Wirtschaft hängt von einer funktionsfähigen Natur ab4. Eine breite Allianz aus Unternehmer:innen hat die EU-Ratspräsidentschaft daher in einem Brief aufgefordert, eine Zustimmung zur Verordnung sicherzustellen5
  • Die Finanzierung von Wiederherstellungsprojekten profitiert in Österreich schon jetzt teilweise von EU-Fonds. Für die jährlichen Kosten der in der Verordnung angestrebten zusätzlichen Wiederherstellung sind neben den – bereits bestehenden – Möglichkeiten durch den Finanzrahmen der EU sowie Förderprogramme, neue Finanzierungen vorgesehen6. Zudem ist einer Wirkungsanalyse der EU-Kommission zufolge der Nutzen der Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme in Österreich 12-mal höher als deren Kosten7. Das Nichthandeln belastet das österreichische Staatsbudget hingegen bereits jetzt mit mehreren Milliarden Euro pro Jahr8
  • Ökosysteme halten sich nicht an Ländergrenzen. Maßnahmen und Gesetze innerhalb Österreichs werden nicht ausreichen, um die Lebensqualität der Menschen in Österreich und der EU zukünftig zu sichern. Die Verordnung soll garantieren, dass alle EU-Mitgliedstaaten ihren Beitrag zu einer gemeinsamen Herausforderung leisten.
  • Europa hat sich immer wieder als Vorreiter in Sachen Klimaschutz und Klimaanpassung präsentiert. Die deutlichen Rückschritte in der Umsetzung des Europäischen Green Deals stellen diese Rolle in Frage9. Die Renaturierungsverordnung würde wesentlich dazu beitragen, unterzeichneten globalen Verträgen gerecht zu werden (UN-Kinderrechtskonvention, Globaler Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal, Pariser Klimaschutzabkommen). Sie ist eine große Chance für Österreich und die EU, sich international sichtbar für das Wohl von Menschen, Wirtschaft und Natur einzusetzen.

Die Stimmen der Wissenschaftler:innen des Fachkollegiums für die Renaturierungsverordnung

Obwohl wir der Erde schon zahlreiche Schäden zugefügt haben, versorgt sie uns (im globalen Norden) noch immer mit allem, was wir brauchen. Genau dies riskieren wir aber in zunehmendem Maße. Die Renaturierungsverordnung bietet die Chance, einen Teil der Schäden rückgängig zu machen, mindestens aber die Situation nicht noch weiter zu verschlimmern. Diese Chance nicht zu ergreifen, wäre fahrlässig und verantwortungslos. Assoc. Prof. Dr. Kirsten von Elverfeldt

Für Menschen, Tiere, Pflanzen und auch für Pilze ist das NRL zukunftsweisend und unbedingt nötig. Der globale Marktwert von Pilzen wird auf 54,57 Billionen USD geschätzt10. Pilze haben also enormen ökonomischen Wert und Einfluss auf die globale Wirtschaft. Die monetäre Bewertung von Pilzprodukten, Pilzen und deren Rolle im Ökosystem sollte daher auch entscheidend für politische Maßnahmen zur Erhaltung und Verwertung dieser am globalen Markt zunehmend präsenten Ressource sind. Der enorme finanzielle Wert von Pilzen untermauert das Argument, dass Landschaften erhalten werden müssen, um die darin enthaltenen natürlichen Ressourcen zu schützen. Bisher wurde nur ein kleiner Teil der Pilze in der Natur entdeckt. Somit sind Milliarden von Dollar an Pilzressourcen noch unentdeckt oder verloren, wenn ihre Lebensräume zerstört werden. Daher ist die Zustimmung zum Nature Restoration Law eine simple Notwendigkeit um eine lebenswerte Zukunft für alle zu sichern. Prof. Mag. Dr. Irmgard Krisai-Greilhuber

Das EU-Renaturierungsgesetz ist eine zentrale Weichenstellung für die Umsetzung naturbasierter Lösungen, welche nicht nur dem Schutz vor klimabedingten Risiken wie Hochwasser dienen, sondern gleichzeitig auch Biodiversität fördern und durch zusätzliche Kohlenstoffspeicherung zur Minderung des Klimawandels beitragen. Nicht die Unterstützung dieses Gesetzes gefährdet Österreichs Lebensgrundlagen, sondern ein weiter wie bisher im sorglosen Umgang mit der Natur. Dr. Thomas Schinko

Die SPÖ hat die einmalige Chance zu zeigen, dass ihr Umwelt- und Klimaschutz auch in der Umsetzung wichtiger ist als der ÖVP. Umweltpolitischer Taktierer bei der EU-Wahl gewesen zu sein wird bei der Nationalratswahl nicht reichen. Assoc. Prof. Mag. Dr. Reinhard Steurer

Für unsere Kinder haben wir keine andere Wahl! Prof. Dr. Michael Wagreich 

So tragisch die aktuellen Hochwasser im Burgenland und der Steiermark für die Betroffenen auch sind, überraschend sind diese Extremwetterereignisse nicht. Die Klimafolgenforschung warnt seit Jahrzehnten vor häufigeren und intensiveren Niederschlägen und deren mitunter lebensbedrohlichen Folgen, benennt die Ursachen und zeigt der Politik konkrete Handlungsoptionen auf1112. Ein Ja zur EU-Renaturierungsverordnung wird der Bevölkerung demonstrieren, wer in Österreich politisch verantwortlich handelt. Das heißt, wer die Klimakrise und die Sorgen der Menschen um eine intakte Natur und ihre Gesundheit ernst nimmt und komplexen Fragen mit Sachverstand begegnet. Mag.rer.nat. Dr. phil. Ulli Weisz

Im Jahr 1777 erschien in der Zeitschrift „Neue Mannigfaltigkeiten“ ein Streitgespräch zwischeneinem Bach und einem Kanal. Der Kanal lobte seine wirtschaftliche Bedeutung, während derBach seine Ökosystemleistungen hervorhebt, wenn er dem Kanal widerspricht: „Die Krümmungen meines Laufs, die du so sehr verachtest, dienen dazu, die Erfrischung meines Wassers über einen größren Theil des Bodens zu verbreiten. […] Denn dein in tiefenSeitenwänden eingeschlossenes oder über Thäler gehobenes Wasser, läuft über, wird unnütze Last der Felder und ist bloß der Sklavenarbeit, vergängliche Güter zu tragen, behülflich; abermein Fluß beschenkt die Wiesen mit unveränderlicher Fruchtbarkeit.“13 Als Umwelthistorikerin finde ich es erstaunlich, wie lange diese Leistungen schon bekannt sind, noch mehr aber verwundert es mich, dass immer noch diskutiert wird, ob wir ein Renaturierungsgesetz brauchen – 247 Jahre Nachdenken über Ökosystemleistungen sollteneigentlich genug sein. Univ.-Prof. (i.R.) Ing. Dr. phil. Dr. h.c. Verena Winiwarter 

Ein Ja zur Renaturierungsverordnung ist ein Ja zu einem lebenswerten Österreich, einemÖsterreich, in demevidenzbasierte und sozial gerechte Politik für das Wohl der Bürger:innen des Landes Sorge trägt ganz im Auftrag der Wähler:innenschaft! 

Die Scientists for Future Österreich gemeinsam mit Wissenschaftler:innen ihres Fachkollegiums:

Dipl.-Ing. Dr.nat.techn. Benedikt Becsi University of Natural Resources and Life Sciences, Vienna; Assoc. Prof. Dr. Kirsten von Elverfeldt; Assoc. Prof. Dr. Karlheinz Erb Director Institute of Social Ecology (SEC) University of Natural Resources and Life Sciences, Vienna; Ao.Univ.-Prof. Mag. Dr. Irmgard Krisai-Greilhuber; Dr. Thomas Schinko, Senior Research Scholar and Research Group Leader (Equity & Justice Research Group), International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA), Laxenburg, Austria; Dipl.-Ing. Dr. Gunter Sperka ehem. Klimakoordinator des Landes Salzburg; Assoc. Prof. Mag. Dr. Reinhard Steurer University of Natural Resources and Life Sciences, Vienna; Prof. Dr. Michael Wagreich Department of Geology Faculty of Earth Sciences, Geography and Astronomy, University of Vienna; Mag.rer.nat. Dr. phil. Ulli Weisz Univ.-Prof. (i.R.) Ing. Dr. phil. Dr. h.c. Verena Winiwarter.

  1. Savanta 2024: „Citizens’ perceptions on nature and biodiversity in the EU. Survey Results“, https://www.restorenature.eu/File/Citizens-survey-nature-biodiversity-NRL-EU.pdf und WWF 2024: „WWF-Umfrage: Große Mehrheit besorgt über Naturverlust“, https://www.wwf.at/wwf-umfrage-grosse-mehrheit-besorgt-ueber-naturverlust/ ↩︎
  2. IPCC, 2023: Climate Change 2023: Synthesis Report. Contribution of Working Groups I, II and III to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [Core Writing Team, H. Lee and J. Romero (eds.)]. IPCC, Geneva, Switzerland, 184 pp., doi: 10.59327/IPCC/AR6-9789291691647 ↩︎
  3. Siehe sowohl Punkt (88) der Verordnung als auch Art. 27 zur „Vorübergehenden Aussetzung“. ↩︎
  4. Corporate Leaders Group 2024: „Business Networks‘ Letter on the Nature Restoration Law“, https://www.corporateleadersgroup.com/files/clg_europe_led_letter_on_nature_restoration_-_may_2023.pdf ↩︎
  5. euobserver 2024: „Businesses join forces to call on EU to save nature restoration law“, https://euobserver.com/green-economy/arafdc52df ↩︎
  6. Umweltbundesamt: „Ökonomischer Nutzen“, https://www.umweltbundesamt.at/naturschutz/nature-restoration-regulation/oekonomischer-nutzen ↩︎
  7. EU 2023: „Impact assessment study to support the development of legally binding EU nature restoration targets. Final Report“, https://op.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/db3e5d55-310c-11ee-946a-01aa75ed71a1 ↩︎
  8. WIFO 2024: „Policy Brief: Budgetäre Kosten und Risiken durch klimapolitisches Nichthandeln und Klimarisiken“, https://www.wifo.ac.at/publication/49048/ ↩︎
  9. Society for Conservation Biology et al. 2024: „Expression of Concern by Scientific associations: Rollback of EU environmental legislation and policies jeopardises the future of EU citizens“, https://zenodo.org/records/11493585. ↩︎
  10. Allen Grace T. Niego A.G.T. et al. (2023) The contribution of fungi to the global economy.  Fungal Diversity 121: 95–137. https://doi.org/10.1007/s13225-023-00520-9 ↩︎
  11. IPCC 2023 (wie hier Fussnote 2). ↩︎
  12. Romanello, M. et al. The 2023 report of the Lancet Countdown on health and climate change: the imperative for a health-centred response in a world facing irreversible harms. The Lancet 402, 2346–2394 (2023). DOI:https://doi.org/10.1016/S0140-6736(23)01859-7. ↩︎
  13. Der Kanal und der Bach. Ein Traum, aus dem Englischen, in: Neue Mannigfaltigkeiten 4 (1777), S. 33–37. ↩︎
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Spezielle Bodenbakterien könnten Treibhausgas aus der Landwirtschaft um ein Drittel reduzieren

Lesedauer 3 Minuten.   

Neue Forschungsergebnisse der Norwegischen Universität für Biowissenschaften (NMBU) und des IIASA schlagen vor, Bodenbakterien zu verwenden, um Treibhausgasemissionen aus der Lebensmittelproduktion zu reduzieren.

Stickstoffdüngung führt zu Emissionen des Treibhausgases Distickstoffmonoxid (N₂O) aus landwirtschaftlichen Böden, die einen erheblichen Anteil der gesamten Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft ausmachen. Lange Zeit wurde angenommen, dass diese N₂O-Emissionen unvermeidbar sind.

Ein internationales Forscherteam unter der Leitung der Norwegischen Universität für Biowissenschaften hat nun eine Methode entdeckt, um diese Emissionen zu reduzieren. Sie haben Bakterien identifiziert, die Distickstoffmonoxid „verbrauchen“ können, wenn es im Boden entsteht, und so verhindern, dass das Gas in die Atmosphäre entweicht. Die Forscher glauben, dass allein diese Methode das Potenzial hat, die landwirtschaftlichen Distickstoffmonoxidemissionen in Europa um ein Drittel zu reduzieren.

Pflanzen brauchen viel Stickstoff, um zu wachsen. Eine produktive Landwirtschaft erfordert daher eine reichliche Versorgung mit Stickstoffdünger. Dies war ein Engpass in der Landwirtschaft, bis Fritz Haber Pionierarbeit für die Technologie zur industriellen Herstellung von Stickstoffdünger aus atmosphärischem Stickstoff leistete. Diese Technologie hat 120 Jahre lang dazu beigetragen, dass die weltweite Nahrungsmittelproduktion mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten konnte.

Allerdings gibt es Mikroorganismen im Boden, die das Treibhausgas N₂O produzieren, und Düngung stimuliert diese Produktion.

„Dieses Treibhausgas hat eine etwa 300-mal stärkere Wirkung als CO₂, und die Landwirtschaft ist für etwa drei Viertel der europäischen N2O-Emissionen verantwortlich“, erklärt Wilfried Winiwarter, einer der Koautoren der Studie und leitender Forscher in der Pollution Management Research Group des IIASA Energy, Climate, and Environment Program.

„Außerdem ist die Landwirtschaft weltweit die Hauptquelle von Lachgas in der Atmosphäre. Lachgasemissionen werden hauptsächlich durch Bodenbakterien reguliert, was Reduzierungsbemühungen aufgrund ihrer schwer fassbaren Natur schwierig macht“, fügt er hinzu.

Forscher der NMBU betreiben seit über 20 Jahren Grundlagenforschung darüber, wie Mikroorganismen im Boden Stickstoff umwandeln. Sie haben unter anderem gründlich untersucht, was passiert, wenn den Mikroben nicht genügend Sauerstoff zur Verfügung steht, ein Zustand, der Hypoxie genannt wird.

Wenn gedüngt wird (und während Regenfällen), werden einige Teile des Bodens hypoxisch. Da die Mikroben dann keinen Sauerstoff mehr haben, sind sie gezwungen, andere Wege zu finden, um Energie zu gewinnen. Viele Mikroben können Nitrat anstelle von Sauerstoff verwenden und durch einen Prozess namens Denitrifikation wandeln sie das Nitrat in andere Gase um. Eines davon ist Lachgas, und auf diese Weise tragen die Mikroorganismen zu Treibhausgasemissionen bei.

Die Forscher haben bedeutende Entdeckungen hinsichtlich der Regulierung dieses Prozesses gemacht und eine einzigartige Methode zur Untersuchung der Denitrifikation entwickelt. Sie verwenden unter anderem Roboterlösungen sowohl im Labor als auch im Feld und haben einen speziellen Roboter entwickelt, der in Echtzeit Messungen der Lachgasemissionen aus dem Boden durchführen kann.

Die Lösung zur Reduzierung der N₂O-Emissionen besteht in der Verwendung einer speziellen Bakterienart, die zwar kein Lachgas produzieren kann, Lachgas jedoch zu harmlosem Stickstoffgas (N₂) reduzieren kann.

„Wenn wir diese Mikroben in organischen Abfällen züchten, die als Dünger verwendet werden, können wir die N₂O-Emissionen reduzieren. Dies könnte eine Lösung für das Problem der N₂O-Emissionen aus der Landwirtschaft bedeuten“, sagt Lars Bakken, Hauptautor der Studie und Professor an der NMBU.

„Aber es war nicht einfach, das richtige Bakterium zu finden. Es muss in organischen Abfällen schnell wachsen, im Boden gut funktionieren und lange genug überleben, um die N₂O-Emissionen während einer gesamten Wachstumsperiode zu reduzieren. Es war auch eine Herausforderung, von der Erprobung im Labor zur Erprobung in der Natur überzugehen und sicherzustellen, dass es die N₂O-Emissionen im Feld tatsächlich reduziert“, fügt Bakken hinzu.

Das Forschungsteam arbeitet nun daran, weitere Bakterien zu finden, die Lachgas verbrauchen, und diese in verschiedenen Arten von organischen Abfällen zu testen, die weltweit als Düngemittel verwendet werden. Das Ziel ist es, eine breite Palette von Bakterien zu finden, die in verschiedenen Bodenarten und mit verschiedenen Düngemittelmischungen funktionieren können.

https://iiasa.ac.at/news/may-2024/new-method-could-significantly-reduce-agricultural-greenhouse-gas-emissions

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