Climate Action Tracker Report bei der COP29: Die Aussichten sind nicht besser geworden

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Lesedauer 3 Minuten.   

Climate Action Tracker berechnet regelmäßig, welche Auswirkungen auf das zukünftige Klima die veröffentlichten Ziele der Regierungen und die wirklich stattfindenden Maßnahmen voraussichtlich auf das künftige Klima haben werden. Daran, dass sich die Welt auf eine Erwärmung von 2,7°C zubewegt, hat sich nichts geändert.

2024 war ein Jahr, das von minimalen Gesamtfortschritten geprägt war, da es fast keine neuen nationalen Klimaziele oder Netto-Null-Versprechen gab und die Emissionen fossiler Brennstoffe weiter anstiegen, obwohl die Regierungen wiederholt vereinbarten, ihre Ziele für 2030 dringend zu verschärfen und sie mit dem 1,5°-Ziel des Pariser Abkommens in Einklang zu bringen.

„Wir schaffen es eindeutig nicht, die Kurve abzuflachen. Während sich die Welt diesen gefährlichen Klimaschwellen nähert, wird die Notwendigkeit sofortiger, stärkerer Maßnahmen zur Umkehr dieses Trends immer dringender“, sagte die Hauptautorin des Berichts, Sofia Gonzales-Zuniga von Climate Analytics, einer Partnerorganisation des CAT.

Auch für 2,7°C nur eine Wahrscheinlichkeit von 50 %

Sie warnte, dass die derzeitige politische Erwärmung von 2,7°C eine mittlere Schätzung sei, die zu 50 % höher oder niedriger ausfallen könne.

„Aber unser Wissen über das Klimasystem sagt uns, dass unsere Prognose zu 33 % bei 3,0 °C – oder mehr – liegen wird, und zu 10 % bei 3,6 °C oder mehr, was ein absolut katastrophales Erwärmungsniveau wäre“, fügte sie hinzu.

Erneuerbare boomen, aber Subventionen für Fossile sind hoch wie nie

Während erneuerbare Energien und Elektrofahrzeuge rekordverdächtige Fortschritte verzeichnen und die Investitionen inzwischen doppelt so hoch sind wie für fossile Brennstoffe, sind die Subventionen für fossile Brennstoffe auf einem Allzeithoch: Die Finanzierung für Projekte im Bereich fossiler Brennstoffe hat sich zwischen 2021 und 2022 vervierfacht. Das CAT prognostiziert, dass die Emissionen bis zum Ende des Jahrzehnts ihren Höhepunkt erreichen werden, allerdings auf einem viel höheren Niveau als vor drei Jahren.

„Steigende Emissionen bei gleichzeitigem Boom der erneuerbaren Energien sind kein Paradoxon. In den letzten Jahren haben fossile Brennstoffe das Rennen gegen erneuerbare Energien gewonnen, was zu steigenden Emissionen geführt hat. Aber erneuerbare Energien überraschen uns jedes Jahr mit schnellerem Wachstum als erwartet, einem exponentiellen Wachstum, das sie bald fossile Brennstoffe verdrängen lassen wird. Dies ermöglicht einen viel schnelleren Rückgang der Emissionen nach 2030, als wir noch vor drei Jahren dachten“, sagte Prof. Niklas Höhne vom NewClimate Institute, einer Partnerorganisation des CAT.

Wie hoch wäre der Einfluss eines Rückbaus der US-Klimapolitik?

Das CAT hat auch eine erste Berechnung der projizierten Auswirkungen des im Rahmen des Projekts 2025 des designierten US-Präsidenten Donald Trump geplanten Rückbaus der Klimapolitik durchgeführt. (Dazu wurden die Auswirkungen des Projekts 2025 abzüglich der projizierten Auswirkungen des Inflation Reduction Act berechnet. Wenn dies auf die USA beschränkt wäre, könnte dies die Erwärmung im Rahmen des aktuellen CAT-Politikpfads um etwa 0,04 °C erhöhen. Wenn andere Länder sich an den USA ein Beispiel nehmen und ebenfalls ihre Klimapolitik zurückfahren, werden die Auswirkungen natürlich höher sein.

„Natürlich werden wir die vollen Auswirkungen der US-Wahlen erst kennen, wenn der designierte Präsident Trump sein Amt antritt, aber in den USA gibt es derzeit eine Dynamik für saubere Energie, die nur schwer zu stoppen sein wird. Während die Trump-Regierung zweifellos ihr Bestes tun wird, um den Klimaschutz zunichte zu machen, wird die von Präsident Biden geschaffene Dynamik für saubere Energie, die im ganzen Land umgesetzt wird, wahrscheinlich in erheblichem Umfang anhalten“, sagte Bill Hare, CEO von Climate Analytics.

„Die entscheidende Frage ist, ob die Länder zusammenhalten und weiterhin Maßnahmen ergreifen, denn eine Rücknahme der US-Politik durch Trump, so schädlich sie auch sein mag, kann überwunden werden.“

Was sollten Regierungen also tun?

Um die Welt auf Kurs zu bringen, müssen zunächst die größten Emittenten herangezogen werden. Das CAT hat anlässlich der COP29 auch seine empfohlenen Ziele für 2035 veröffentlicht, und zwar für sieben der weltweit größten Emittenten (China, USA, Indien, EU, Indonesien, Japan, Australien) sowie die Troika-Länder (Zusammenschluss der vorigen, gegenwärtigen und kommenden Präsidentschaften VAE, Aserbaidschan und Brasilien).

„Die Industrieländer müssen ihre nationalen Maßnahmen weiterhin durch erhebliche finanzielle und sonstige Unterstützung für die Entwicklungsländer ergänzen, um einen angemessenen Beitrag zur Erreichung der 1,5 °C-Grenze zu leisten“, sagte Ana Missirliu vom NewClimate Institute, eine der Autorinnen des Briefings. „Viele Entwicklungsländer können nur mit erheblicher finanzieller und sonstiger Unterstützung ausreichende Klimaschutzmaßnahmen erreichen. Bei der COP29 müssen wir dieses finanzielle Engagement sehen“.

Zusammen waren die sieben großen Emittenten im Jahr 2022 für 61 % der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Sie müssen internationale Führungsstärke zeigen, um Klimaschutzmaßnahmen voranzutreiben. Die Troika-Länder (VAE, Aserbaidschan und Brasilien), die einen Fahrplan für 1,5 °C veröffentlicht haben, planen alle, mehr fossile Brennstoffe zu fördern: ein gewaltiges Missverhältnis zwischen Worten und Taten. Die zehn Länder produzieren zusammen 63 % der weltweiten Emissionen.

Was wären ehrgeizige Ziele im Einklang mit 1,5 °C?


1.5°C-kompatible Ziele einschließlich Landnutzungsänderungen
LandReduktion bis 2030Reduktion bis 2035Basisjahr
China55%66%2023
USA65%80%2005
Indien (bedingt)*bis zu 25% Steigerungbis zu 5 % Steigerung2005
EUmindestens 68%78%1990
Indonesien (bedingt)*30%52%2019
Japan69%81%2013
Australien62%77%2005
VAE22%43%2019
Azerbaijan64%77%1990
Brasilien70%82%2005

* Abhängig von internationaler Hilfe

Quelle: Presseaussendung des Climate Action Tracker

Vollständiger Report: CAT Global Update 2024

Climate Action Tracker ist eine Zusammenarbeit der Organisationen Climate Analytics und NewClimate Institute

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Österreichs Emissionen sinken: Kein Grund zur Zufriedenheit

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Lesedauer 4 Minuten.   

von Martin Auer

In den letzten beiden Jahren sind die Treibhausgasemissionen Österreichs deutlich gesunken. 2022 um 5.5 Prozent, 2023 um 6,4 Prozent.

Das Wegener Institut an der Uni Graz hat diese Entwicklung untersucht. Aus der Analyse lässt sich ablesen, dass die Reduktionen zu einem nicht unbeträchtlichen Teil äußeren Einflüssen zu verdanken sind, vor allem den gestiegenen Energiepreisen infolge des Ukrainekriegs. Dazu kamen Faktoren wie ein milder Winter, ein Jahr wirtschaftlicher Flaute oder die Reduktion des Dieselexports im Tank. Also nicht Faktoren, die sich durch Politik wesentlich beeinflussen lassen.

In absoluten Zahlen betrug der Ausstoß im letzten Jahr 68,2 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Internationale Klimaabkommen haben als Referenz für ihre Zielvorgaben das Emissionsniveau von 1990. Das waren damals 79.05 Millionen Tonnen. Noch 2019 lagen wir mit fast 80 Millionen Tonnen über diesem Wert. Im Pandemiejahr 2020 sanken die Emissionen aufgrund der pandemiebedingt geringeren Wirtschaftstätigkeit, stiegen aber 2021 wieder und sanken erst 2022 deutlich unter den Referenzwert von 1990. Im letzten Jahr lagen sie dann um fast 14 Prozent darunter. „Österreich weiterhin auf dem Zielpfad“ hieß es auf der Homepage des Klimaschutzministeriums schon im März, nach den ersten Schätzungen des Umweltbundesamts.

Grafik von klimadashboard.at/

Wie sind nun diese Reduktionen zustandegekommen? Ein Team von Forscher:innen der Universität Graz unter der Leitung von Prof. Karl Steininger hat analysiert, worin diese Reduktion begründet liegt.1

Fortschritte im Gebäudesektor

Die größten Fortschritte wurden im Gebäudesektor gemacht. Hier sind die Emissionen um 50 Prozent niedriger als 1990 (in den anderen Sektoren um 6 Prozent).

Im Jahr 2022 sanken die Gebäudeemissionen um 17 Prozent. Davon sind 7 Prozentpunkte auf einen besonders milden Winter zurückzuführen, 4 Prozentpunkt auf Maßnahmen infolge des Ukrainekriegs – Temperaturabsenkungen in öffentlichen Gebäuden und Reduktionen der Gasnachfrage auch in privaten Haushalten. 6 Prozentpunkte, also etwas mehr als ein Drittel der Reduktion, gehen auf den gestiegenen Anteil von erneuerbaren Energien zurück.

Im Jahr 2023 sanken die Gebäudeemissionen um weitere 20,2 Prozent. Davon verdanken sich nur 0.7 Prozentpunkte dem milden Winter. Der Großteil der Reduktionen, nämlich 17 Prozentpunkte, ist dem größeren Anteil an erneuerbaren Energien zu verdanken. Den Anstieg der Erneuerbaren führen die Forscher:innen zu fast zwei Dritteln auf die gestiegenen Energiepreise infolge des Ukrainekriegs zurück.

Grafik von klimadashboard.at/

Andere Sektoren fallen zurück

In den anderen Sektoren sanken die Emissionen 2022 um 4,5 Prozent. Zu einem Viertel geht dieser Rückgang auf den Einsatz erneuerbarer Energien zurück. Den größten Anteil haben stark erhöhte Preise für fossile Energie, die zu einer geringeren Nachfrage führen. Zu etwas mehr als einem Viertel trug ein Rückgang der Verkehrsemissionen um 4,5 Prozent bei. Doch dieser Rückgang ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass die Dieselpreise zwischen Österreich und dem Ausland sich in etwa angeglichen haben, und die Schwerlaster deshalb nicht mehr in Österreich noch einmal volltanken, bevor sie über die Grenze fahren. Dieser „Dieselexport im Tank“ musste den österreichischen Verkehrsemissionen zugerechnet werden. Der Rückgang der Verkehrsemisisonen ist also hauptsächlich auf diesen Buchungsvorteil zurückzuführen. Der Rückgang der Emissionen wäre größer ausgefallen, wenn nicht eine relativ starke Konjunktur die Emissionen um 1,73 Punkte hochgetrieben hätte.

2023 sanken die Emissionen im Nicht-Gebäude-Bereich um rund 3 Millionen Tonnen, das sind 4,9 Prozent. Davon gehen 0,86 Prozentpunkte auf eine schwache Entwicklung des BIP zurück. Zum größeren Teil geht dieser Rückgang auf das Anwachsen der erneuerbaren Enegien um 15 Prozent zurück. Der Umstieg auf Erneuerbare wurde wieder durch gestiegene Energiepreise angetrieben.

„Darüber hinaus“, schreiben die Forschenden, „war somit zudem das Bündel an weiteren Maßnahmen für die Emissionsreduktion grundlegend, von Energiesparinitiativen in der Energiekrise, über Gebäude-Sanierungsprogramme bis zu Initiativen im öffentlichen und Radverkehr.“

Konsumbasierte Emissionen

Die konsumbasierten Emissionen Österreichs lagen zuletzt um 50 Prozent über den produktionsbasierten. Konsumbasierte Emissionen werden berechnet, indem die von exportierten Gütern verursachten Emissionen und die von importierten Gütern verursachten gegeneinander aufgerechnet werden. Dafür werden konsistente Außenhandelsdaten über alle Länder benötigt, und diese sind immer erst mit einigen Jahren Verzögerung verfügbar. Für jene Jahre wo Daten vorliegen, hat sich für Österreich gezeigt, dass der Überhang an konsumbasierten Emissionen über produktionsbasierte recht konstant war. Daraus ließe sich ableiten, dass auch die konsumbasierten Emissionen ziemlich parallel gesunken sind.

Erfolg der Klimapolitik?

Aus der Analyse des Grazer Wegener Instituts lässt sich ablesen, dass die Reduktionen zu einem nicht unbeträchtlichen Teil äußeren Einflüssen zu verdanken sind, vor allem den gestiegenen Energiepreisen infolge des Ukrainekriegs. Dazu kamen Faktoren wie ein milder Winter, ein Jahr wirtschaftlicher Flaute oder die Reduktion des Dieselexports im Tank. Also nicht Faktoren, die sich durch Politik wesentlich beeinflussen lassen.

Positiv wirkten sich sicherlich aus die CO2-Bepreisung mit Klimabonus (obwohl sie bei Weitem nicht die wahren Schäden durch Treibhasgasemissionen abdeckt), die (ebenfalls bescheidene) Flugticketabgabe. und das Klimaticket. Richtig war es auch, dass die Regierung auf den Anstieg der Energiepreise nicht, wie es vielfach gefordert wurde, mit einer Subventionierung der Energiepreise, sondern mit Förderungen für die Haushalte reagiert hat. Auch dass die Regierung die Mineralölsteuer nicht, wie es ebenfalls gefordert wurde, gesenkt hat, hat zum Rückgang des erwähnten „Dieselexports im Tank“ beigetragen. Positive Beiträge kamen sicherlich auch durch Verhaltensänderungen in der Bevölkerung und durch Maßnahmen auf der Ebene von Gemeinden oder Unternehmen. Doch zu einem großen Teil ist der Rückgang der Emissionen nicht positiven Anstrengungen, sondern krisenhaften Entwicklungen zu danken.

Und was weiterhin vor allem fehlt, ist ein Klimaschutzgesetz, das einen klaren Reduktionspfad bis zum Zieljahr 2040 festlegt. Um die Klimaneutralität bis zum Jahr 2040 zu erreichen, müssen wir bis 2030 jedes Jahr rund 4,5 Millionen Tonnen CO2e einsparen und von 2030 bis 2040 jährlich 3,5 Millionen Tonnen. Das können wir nicht erreichen, indem wir uns auf äußere Einflüsse verlassen.

Quelle: G. Kirchengast und K. Steininger (2022):Treibhausgasbudget für Österreich
https://wegccloud.uni-graz.at/s/LoLkG7YkGoJ9ZwR

Zu denken gibt auch, dass wir mit 6,88 Tonnen energiebedingter CO2-Emissionen pro Kopf und Jahr um die Hälfte höher liegen als Ländern wie Großbritannien, Frankreich oder die Schweiz.

Auch wenn wir mit den Reduktionen der letzten beiden Jahre zahlenmäßig „auf dem richtigen Weg“ sind, sind wir es klimapolitisch noch lange nicht.


1 Tobias Eibinger, Hans Manner, Karl W. Steininger (2024): Die Entwicklung der österreichischen Treibhausgasemissionen seit 2021
https://wegccloud.uni-graz.at/s/LoLkG7YkGoJ9ZwR

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Klimawahlen: Reinhard Steurer und Sigrid Stagl analysieren, welche Parteien Teil des Problems sind und welche Teil der Lösung

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Lesedauer 18 Minuten.   

Beim Mediengespräch von Diskurs, das Wissenschaftsnetz am 17.9.2024 analysierten Prof. Reinhard Steurer, Politologe an der Boku, und Prof. Sigrid Stagl, Umweltökonomin an der Wirtschaftsuniversität, die vergangene Gesetzgebungsperiode und die Parteiprogramme der Wahlwerbenden. Vor welchen Aufgaben steht die österreichische Gesellschaft und was können wir von den einzelnen Parteien und von verschiedenen Koalitionskombinationen erwarten?

Wir geben die Beiträge in einer maschinell erstellten, aber menschlich korrigierten wörtlichen Transkription wieder.

Reinhard Steurer

Schönen guten Morgen allerseits. Zum Glück ist es ja so, dass sich die Lage jetzt schön langsam entspannt. Es war im ostösterreichischen Raum wirklich sehr große Anspannung und katastrophal für sehr viele in den letzten Tagen. Das hat auch den Inhalt unseres Gesprächs, glaube ich, ein bisschen über den Haufen geworfen. Also ursprünglich hätten wir vor allem über Koalitionsoptionen, den Ausblick und so weiter geredet und jetzt drängt sich natürlich noch mal quasi eine Katastrophe als Thema auf und ich will auch kurz was dazu sagen, was das jetzt für einen Wahlkampf und den Wahlausgang bedeuten kann. Zuvor etwas in eigener Sache. Also ich bin mittlerweile dafür bekannt, dass ich mir kein Blatt mehr vom Mund nehme, auch parteipolitische Aussagen treffe. Aber ich möchte schon betonen, dass das alles faktenbasiert ist, was ich sage. Also dass ich das mit Forschung belegen kann. Das ist also weit weg von Parteipolitik, wenn man einfach klar feststellt, dass in Österreich zwei Parteien Teil des Problems sind und drei Parteien Teil der Lösung sind.

FPÖ und ÖVP sind Teil des Problems

Und die zwei Parteien, die Teil des Problems sind, möchte ich zu Beginn nennen. Das ist zum einen die FPÖ, die das Problem insgesamt verleugnet, wissenschaftsfeindlich argumentiert und zum Teil sogar glaubt, es sei gut für uns. Das mit dem, es sei gut für uns und für den Weinbau in Oberösterreich, würden sie jetzt in diesen Tagen vermutlich nicht mehr sagen. Aber trotzdem ist mit der FPÖ keine Klimapolitik zu machen. Die zweite Partei, die Teil des Problems ist und bleibt, ist die ÖVP. Da ist die etwas näher an der Wissenschaft, aber trotzdem weit weg. Warum? Die ÖVP betont einfach in ihrer Programmatik, in der Wahlkampfrhetorik, dass wir das mit Technik und Innovation allein lösen und so gut wie kein Ordnungsrecht, keine Verbote und dergleichen brauchen werden. Es ist sozialwissenschaftlicher Konsens seit 20 Jahren und mehr, dass das nicht geht. Und wir haben es auch die letzten 20 Jahre gesehen, dass es nicht reicht. Gerade unlängst ist wieder ein Paper in Science, einer der renommiertesten Zeitschriften erschienen, in dem klargestellt worden ist, es braucht einen breiten Mix an Maßnahmen, um Ziele zu erreichen und zur Klimaneutralität zu kommen. Und da gehören auch Ge- und Verbote dazu, ob es jetzt in die Ideologie passt oder nicht. Es ist ein Faktum. So wie die Klimaerhitzung menschengemacht ein naturwissenschaftliches Faktum ist, ist das andere ein sozialwissenschaftliches Faktum. Also man kann sich das nicht aussuchen je nach Ideologie, welche Maßnahmen und Instrumente einem besser passen. Wir brauchen alles. Was dann natürlich eine politische Diskussion ist, was brauchen wir, zu welchem Zeitpunkt, in welcher Dosierung, in welcher Kalibrierung, also da ist dann natürlich viel politischer Spielraum für Diskussion und Entscheidungsfindung. Aber es ist wissenschaftlicher Konsens, dass es mit Innovation, Technik und Freiwilligkeit allein garantiert nicht gehen wird. Und da würde ich mir oft einmal wünschen, dass Journalistinnen dieses Narrativ dann entsprechend im Wahlkampf einordnen und die Argumente dann mit der Faktenlage konfrontieren.

SPÖ, GRÜNE und NEOS sind Teil der Lösung

Die drei Parteien, die Teil der Lösung sind, sind − unter den größeren wenig überraschend − die SPÖ, speziell unter dem neuen Vorsitzenden Babler und natürlich die Grünen und die Neos. Die Neos sind tatsächlich eine der wenigen, wenn nicht eine der einzigen Parteien im deutschsprachigen Raum, Mitte-Rechts, die das Problem erkannt haben, die die Dringlichkeit erkannt haben und tatsächlich auch weitreichende Vorschläge machen. Also insofern ist es eine gute Nachricht für das österreichische Parteiensystem, dass wir Mitte-rechts eine Partei haben, die das Problem tatsächlich ernst nimmt und auchernsthafte Vorschläge im Programm hat. Mit einer Einschränkung: Wenn man jetzt die Notwendigkeit einer breiten Instrumentenpalette der Programmatik der NEOS gegenüberstellt, dann sieht man, dass sie natürlich neoliberal eingefärbt sind, das heißt Marktmechanismen überbetonen und Ordnungsrecht und die Notwendigkeit dafür unterbetonen oder nur im äußersten Notfall als akzeptabel sehen. Das deckt sich nicht ganz mit der Evidenz, aber ansonsten können wir froh sein, dass wir eine Mitte-rechts-Partei haben, die das ernst nimmt und somit eine Alternative zur ÖVP darstellt.

Ein Wissenschaftler muss Stellung beziehen

Zum Beginn, ich glaube, das ist wirklich notwendig, so zu sagen. Ich hätte es vor fünf, sechs Jahren in der Deutlichkeit wahrscheinlich nicht gesagt, Bis ich dann erkannt habe, wie Schein-Klimaschutz funktioniert und die ÖVP ist dann tatsächlich die Partei des Schein-Klimaschutzes im Großen, bis ich einfach verstanden habe, dass die so tun, als ob Klimaschutz wichtig wäre und als ob man es mit Innovation und Technik allein lösen könnte, dass viele darauf reinfallen und diese Erzählung glauben. Als ich das dann durchschaut habe, habe ich mir gedacht, okay, jetzt muss ich einfach in der Hinsicht Klartext reden und diese Erzählung mit Fakten konfrontieren und sagen: So wird es nicht gehen.

Optionen für Koalitionen

Zu den Koalitionsoptionen kurz, also so, wie wir es uns vorbereitet haben, das Pressegespräch: Da ist es klar, also es gibt eine Koalitionsoption, die unwahrscheinlich ist, von der tatsächlich klimapolitische Fortschritte zu erwarten wären, das wäre SPÖ, GRÜNE, NEOS; Das zeichnet sich in den Umfragen nicht ab. Das wäre aus klimapolitischer Sicht zweifellos die Konstellation, unter der am meisten zu erwarten wäre.

Beispiele zeigen: Auch ÖVP+SPÖ+Kleinpartei hat Potential

Aber die gute Nachricht ist, auch unter einer ÖVP, SPÖ plus Kleinpartei-Koalition ist durchaus Potenzial drinnen. Da kann ich Forschungsergebnisse von uns zitieren, als wir Klimaschutzgesetze angeschaut haben und die Umstände, wie die entstanden sind. Da gibt es einen sehr interessanten Fall: Dänemark hat in den Jahren vor 2020, also in den 2010er Jahren, zwei Klimaschutzgesetze verabschiedet, unter sehr ähnlichen Koalitionsbedingungen. Eines davon war reine Symbolik, also nichts wert, und das zweite, 2019 verabschiedet, von mehr oder weniger derselben Koalition, war wirklich mit Substanz. Und das Beispiel zeigt, dass oft einmal gar nicht so sehr die Koalitionszusammensetzung ausschlaggebend ist, sondern der gesellschaftliche Diskurs, der mediale Druck, der entsteht und die zivilgesellschaftlichen Bewegungen. Damals 2019, wir erinnern uns noch lebhaft, war das Fridays for Future und auf einmal ist ein ernsthaftes Klimaschutzgesetz in Dänemark möglich gewesen Und Dänemark ist seither so sehr auf einem Pfad in Richtung Klimaneutralität wie vermutlich kein anderes Land in Europa. Trotz den Krisen, die wir alle in ähnlicher Form jetzt in den letzten Jahren erlebt haben.

Also das gibt ein bisschen Hoffnung auch für die Möglichkeit einer ÖVP-SPÖ plus Drittparteikoalition, wobei die entscheidende Frage dann sein wird, wer ist quasi vorne. Wenn die ÖVP vorne sein wird, dann wird die Drittpartei wohl die NEOS sein, weil sie der ÖVP inhaltlich näher steht. Wäre aus einer Überraschung heraus die SPÖ vorne − zeichnet sich im Moment nicht ab, aber durchaus möglich, weil die Parteien doch recht nah beieinander liegen und sich in diesen Tagen vermutlich noch ein bisschen was verschieben wird − dann wären die Grünen wahrscheinlich der nähere Koalitionspartner. Ich gehe davon aus, dass die Partei, die am stärksten ist, mehr zu sagen hat bei der Zusammensetzung der Koalition. Also insofern entscheidet sich die dritte Partei in dem Bunde vermutlich sehr stark daran, wer die Wahl am deutlichsten gewinnt. Im Moment, glaube ich, ist es am wahrscheinlichsten ÖVP-SPÖ.

ÖVP+FPÖ würde klimapolitischen Stillstand oder Rückschritt bedeuten

Außer, und das ist jetzt eine wichtige Einschränkung, außer die ÖVP schafft es mit der FPÖ doch über 50 Prozent zu bleiben − durchaus noch im Bereich des Möglichen laut Umfragen. Auch wenn es jetzt dann, wie es ist, nach der Katastrophe unwahrscheinlicher wird, dann können wir uns auf klimapolitischen Stillstand oder Rückschritte vorbereiten. Also, dass Klimaziele mit so einer Regierung zu erreichen wären, ich glaube, der Illusion gibt sich eh niemand hin. Da werden wir halt dann Strafzahlungen kriegen und die werden wir alle aus dem Haushalt bezahlen. Wobei noch nicht ganz klar ist, wie hoch die werden und wie man die dann genau bestreiten würde. Aber das würde ganz sicher teurer.

Die Hochwasserkatastrophe verändert die Situation

Jetzt zum aktuelleren Teil. Ich glaube, dass die Hochwasserkatastrophe das Ganze nochmal doch aufmischen kann. Schauen wir uns an, wie der Wahlkampf bisher verlaufen ist und auch die öffentlichen Wahldiskussionen. Klima hat keine Rolle gespielt de facto. In den Sommergesprächen keine, in den Wahldiskussionen, auch sehr eingeschränkt. Das hat sich jetzt seit Sonntag schlagartig verändert. Ist ein gewisses Medienversagen leider, eine rationale Diskussion bei so einer Wahl wäre immer auch eine Klimadiskussion. Jede Wahl ist eine Klimawahl, ob es uns passt oder nicht, weil einfach das Zeitfenster, das wir haben, unter zwei Grad zu bleiben, verdammt kurz ist, kleiner wird mit jedem Jahr und insofern, ob sonst passt oder nicht, ist jede Wahl eine Klimawahl. Jetzt haben sie die Ereignisse sozusagen in den Vordergrund geschoben und die ganze Wahlkampf-Erzählung wird auf den Kopf gestellt. Was jetzt kommt, ist natürlich Spekulation: Was kann das verschieben, was tut das mit der Wahlkampfrhetorik und den letzten Berichterstattungen. Klima wird ein dominantes Thema sein, wenn man es auch so thematisiert. Also es reicht nicht nur zu sagen, Hochwasser hat es immer gegeben und jetzt sind wir gerade wieder betroffen. Also ich glaube, es ist mittlerweile weitgehend Konsens, dass die Klimakrise da eben mitspielt, nicht allein verantwortlich ist, aber eben mitspielt. Und immer, wenn quasi Rekordmengen an Regen, an Hitze, an was auch immer passiert, dann kann man dem Hausverstand sozusagen sagen, immer wenn etwas passiert, was es noch nie gegeben hat, dann wird wahrscheinlich die Klimaerhitzung einen nicht unerheblichen Beitrag dazu leisten, weil sonst hätten wir es ja wahrscheinlich schon mal gesehen. Was wird vermutlich passieren?

Die FPÖ sollte ein paar Wähler:innen verlieren

Also ich gehe davon aus, dass natürlich die Parteien sich jetzt schwer tun, die Klima nicht hoch auf Agenda haben oder von Verleugnung des Problems leben. Der FPÖ müsste es den einen oder anderen Prozentpunkt kosten, was jetzt passiert ist, aber vermutlich nicht allzu viel. Warum? Weil ein Kernwähler der FPÖ sich dadurch nicht beeindrucken wird lassen. Also die haben ja ihre eigenen Erklärungen, wie man in den sozialen Medien nachlesen kann. Die reichen dann von Sonnenstürmen bis über Geoengineering, dass der Regen manipuliert wird mit Wolkenimpfen und so Also die Leute wird man nicht erreichen, die werden FPÖ wählen, auch wenn ihr eigenes Haus unter Wasser steht. Das ist kein österreichisches Phänomen, das war bei Trump in den USA genau dasselbe. Aber es gibt dann, wenn die FPÖ eben in den Umfragen bei 27 Prozent liegt, doch einen gewissen Teil von Wechselwählern, die vielleicht diesmal das erste Mal FPÖ gewählt haben, die zugänglich sind auch für die Faktenlage und die jetzt doch zum Nachdenken kommen. Und die dann überlegen, ist es vertretbar, quasi jemanden zu wählen, der das Problem komplett negiert und im Grunde weiter eskaliert? Also da erwarte ich schon eine kleine Verschiebung und nachdem das Rennen zwischen FPÖ, ÖVP und der SPÖ insgesamt recht knapp ist, kann sich da schon wirklich einiges tun in den nächsten zehn Tagen.

Die ÖVP sollte Wähler:innen von rechts dazu gewinnen und nach links welche verlieren

Bei der ÖVP ist es schwierig. Wäre zum einen anzunehmen, dass in Erinnerung sein sollte, dass die ÖVP gegen Renaturierung war, ein ganz wesentlicher Hochwasserschutz, gerade in der Nähe von Flussläufen, und dass sie der grünen Ministerin Verfassungsbruch und was weiß ich was alles vorgeworfen haben. Der rationale Zugang wäre eigentlich jetzt zu sagen: Vielleicht braucht man doch ein bisschen Renaturierung entlang der Flussläufe, so kriegt der Fluss mehr Platz, er kann kontrolliert sich ausbreiten und kommt weniger ins Siedlungsgebiet. Den rationalen Zugang erwarte ich nicht, denn wenn man sich irgendwie eigegraben hat politisch, dann wird man über das lieber nicht reden. Aber bei Wählerinnen kann das unter Umständen ein bisschen eine Rolle spielen und auch dort vielleicht zu Verschiebungen führen, wobei ich davon ausgehe, dass sie von der FPÖ Wähler kriegen werden und die dann eventuell an anderer Stelle wieder verlieren, an SPÖ oder NEOS/Grüne. In Summe sehe ich die ÖVP insofern eher stabil, aber die FPÖ auf der Verliererseite. Die ÖVP auch deswegen stabil, weil sie natürlich jetzt vom Krisenmanagement profitiert, das sehr gut funktioniert. Also da sieht man natürlich dann oft, dass man genau diejenigen wählt, die jetzt Macher sind, die die Krise managen sozusagen. Und insofern vermute ich bei der ÖVP jetzt keine gröberen Verschiebungen. Das ist aber wirklich Spekulation und das wäre dann interessant für die ersten Umfragen in ein paar Tagen zu sehen.

Tendenziell werden Parteien profitieren, die Klimaschutz hoch auf der Agenda haben

Tendenziell profitieren werden sicher die Parteien, die Klimaschutz hoch auf der Agenda haben, die das auch von sich aus übrigens in der einen oder anderen Wahldiskussion angesprochen haben. Also mir ist zum Beispiel beim Andreas Babler aufgefallen, dass er in den Diskussionen immer wieder die Klimakrise erwähnt hat, ohne danach gefragt worden zu sein. Vor zwei Wochen war das noch komisch, da haben wir gedacht, gut, der traut sich was, weil viele werden sich denken, der mit dem Klima wiede! Jetzt in der neuen Situation, denke ich, profitiert er davon, dass er das Thema ernst nimmt und insofern dürften die drei Parteien, die einfach näher an dem Thema dran sind, es ernst nehmen, am ehesten davon profitieren. Aber wie gesagt, wir reden da von niederstelligen Prozentbeträgen, die da vermutlich im Schwung sind.

Wie stehen die Parteien zu dem, was nach der Katastrophe zu tun ist?

In Summe zu dem, wie kann man so eine Katastrophe verhindern, da gibt es im Grunde drei Ansätze. Der eine ist Klimaschutz, Emissionen müssen runter, weil sonst geht das weiter und weiter. Dann technischer Hochwasserschutz, technische Anpassung und dann natürliche Anpassung im Sinne von Renaturierung.

Wenn man sich anschaut, wie die Parteien bei diesen drei Ansätzen aufgestellt sind, da fällt natürlich wieder auf: FPÖ katastrophal schlecht.. Vielleicht ist die ÖVP in einem dieser drei Ansätze gut, im technischen Anpassen, im Hochwasserschutz. Von der natürlichen Anpassung, sprich, der Renaturierung und so weiter, will die ÖVP schon mal nichts wissen und dann bleiben wir wieder bei den drei Parteien, die das Thema insgesamt ernst nehmen, die SPÖ, die das Renaturierungsgesetz mit den Grünen ermöglicht hat und mit den NEOS. Und insofern, wäre die Wählerschaft rational, müsste sie eigentlich sagen, die scheinen das richtige Rezept für diese Situation zu haben. Aber wie gesagt, so rational ist Politik nicht, so rational ist die Wählerschaft nicht. Und insofern wird es vermutlich nur zu kleinen Verschiebungen kommen.

Am Ende gewinnt immer die Physik

Also die Wahl ist eine Sache und dann, ob eine Koalition das Potenzial ausschöpfen kann, hängt maßgeblich davon ab, ob wir als Gesellschaft weiterhin ignorant sind, sagen, Klima interessiert mich nicht, wir haben eigentlich andere Probleme, oder ob wir mehr auf Wissenschaft hören und kapieren, okay, es ist einfach ernst, ob es uns jetzt passt oder nicht. Es ist wirklich so, dass man das Problem vermutlich nur mit viel Vernunft, Wissenschaft und langfristiger Denkweise lösen kann. Also von einer Katastrophe zur anderen funktioniert schon deswegen nicht, weil man es in drei Monaten vergessen hat. Und entweder man lernt daraus und hört mehr auf das, was Wissenschaftler schon seit Jahrzehnten sagen, oder es wird halt nie reichen. Und von einem Ereignis zum anderen aufschrecken, das macht keinen großen Unterschied. Denn, und das ist mein Schlusssatz, am Ende gewinnt immer die Physik, auch gegen die FPÖ. Aber auchwenn sie im Moment versucht, das zu verleugnen, die Realität holt uns früher oder später ein und das haben wir jetzt das Wochenende schmerzhaft gesehen.

Welche Antworten haben die Parteien auf Fragen zum Klimawandel?
Hier kannst du es erfahren:
klimawahlen.at

Sigrid Stagl

Schönen guten Morgen auch von meiner Seite. Ich habe ein paar Folien mitgebracht, die ich kurz teilen werde.

Zur aktuellen Situation, Sie kennen diese Abbildung vielleicht, nur um noch einmal zu zeigen, wie klar es ist, dass hier in den letzten Jahren sich freilich etwas ganz gravierend verschoben hat und wir in einem anderen Regime sind als zuvor. Jede dieser Linien steht für ein Jahr im Laufe der Monate. Die grauen Jahre sind davor und die orange Linie ist 2023, die rote Linie 2024. Das heißt, das statistische Modell, das davor gegolten hat mit Mittelwert- und Standardabweichungen, passt einfach nicht mehr zu den Beobachtungen der letzten zwei Jahre. das ist die Lufttemperatur. Wir hatten den Sommer, der war der wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. 2023 war schon das wärmste Jahr. In Österreich war dieser Sommer so warm wie noch nie. Es gab lokale Schadensfälle wie die Mure am Arlberg schon früher im Jahr und jetzt Überflutungen und Stürme im Norden und Osten Österreichs.

Das ist die Meeresoberflächentemperatur, gleiche Logik, die grauen Linien sind die Jahre davor, mit einem Mittelwert und die Standardabweichungen rundherum. Oben sind die orange Linie für 2023 und die dicke schwarze Linie ist für 2024. Und vor allem die Linien für 2023 und 2024, diese Messungen haben Naturwissenschaftler:innen seit mindestens eineinhalb Jahren jetzt wirklich große Sorgen gemacht, weil sie auch mit ihren Modellen diese starken Ausreißer nach obennicht erklären konnten. Wir haben es beobachtet, aber sie konnten es nicht erklären.

Und wie eh schon ausgeführt, weil die Meerestemperatur jetzt höher war über den Mittelmeer, deswegen konnten die Wolken mehr Feuchtigkeit transportieren und hat sich bis zu uns ausgewirkt. Aber das ist sozusagen die Beobachtung des globalen Phänomens, das dahinter liegt.

Symptombekämpfung und grundlegende Veränderung von Strukturen

Zu den Extremereignissen. Wir müssen unterscheiden zwischen Symptombekämpfung, also das, was wir tun, um uns anzupassen an eine Veränderung, die wir nicht mehr stoppen können, und Veränderung der Strukturen. Und ich finde es ganz wichtig, dass wir in dieser Diskussion jetzt, wobei jetzt natürlich das persönliche Leid im Vordergrund gestanden ist und das Verständnis dafür und die Kompensationszahlungen verständlicherweise, aber wir müssen auch mitdiskutieren immer, welche Strukturen sind zu verändern, welche Mitigationsmaßnahmen, also Reduktionsmaßnahmen der Klimagase sind jetzt mit erneuter Kraft anzugehen, um genau solche Extremereignisse in Häufigkeit und Intensität in Zukunft zumindest nicht noch stärker werden zu lassen.

Adaption der Infrastruktur

Zu Symptombekämpfung: Selbstverständlich brauchen wir eine Adaption der Infrastruktur. Das ist ja schon in den letzten 20 Jahren passiert, auch basierend auf den Erfahrungen des Hochwassers von 2002. Das passiert in Österreich, das ist gut und wichtig und richtig. Das kostet zwar, aber das ist nötig. Kompensationszahlungen, auch das ist nötig, dass Menschen, die betroffen sind, selbstverständlich Kompensationszahlungen bekommen.

Katastrophenfonds nach dem Verursacherprinzip finanzieren

Da gibt es eine interessante Diskussion, ob es dem Katastrophenfonds weiterhin auch möglich ist, die Kompensationszahlungen im adäquaten Ausmaß leisten zu können. Ich glaube, der Katastrophenfonds muss weiterhin die Leistungen für Infrastrukturen wie Straßen, Wege, Radwege, Brücken und so weiter natürlich leisten. Nur die Frage ist, kann er auch in Zukunft − vor allem mit der steigenden Häufigkeit von Extremereignissen − privates Eigentum kompensieren? Und da ist vermutlich die Antwort nein, weil das wird für den Steuerzahler zu teurer und deswegen gibt es die Diskussion über Pflichtversicherung, weil die Abdeckung durch Versicherungen, sei es Hausratsversicherung oder Eigenheimversicherung in Österreich einfach sehr schlecht ist bezüglich Überschwemmungen. Und es gibt Beispiele wie in in Frankreich oder in der Schweiz, wo es eine sehr hohe Versicherung, na, hauptsächlich in Frankreich, in der Schweiz und in den UK sind es Freiwillige, aber mit starken Nudges und starken Informationskampagnen, also die haben auch eine hohe Abdeckungsrate geschafft, aber nicht mit Pflichtversicherung, aber das sind privatwirtschaftliche Modelle dahinter. Und die Frage ist halt, ob sich das alle leisten können, die Frage ist auch, ob die Versicherbarkeit aufrechterhalten bleibt, denn normalerweise, wenn etwas zu teuer wird, wenn es zu häufig wird, steigen normalerweise private Versicherer dann aus. Was tut man mit Eigenheimen, die nicht mehr versicherbar sind? Wenn man da sehenden Auges sich dort hingesetzt hat, okay, hat man vermutlich einen günstigeren Grund bekommen. Aber was ist, wenn man dort schon seit Generationen angesiedelt ist und eigentlich aufgrund des Fehlverhaltens der Entscheidungsträger wegen schwacher Klimapolitik jetzt man mit den Schäden zu kämpfen hat? Also das ist eine Diskussion, die ongoing ist und da braucht es auch den Blick auf die internationale Erfahrung, was wo gelingt. Ich glaube, dass das britische Modell oder Schweizer Modell nicht geeignet ist, das zu kopieren, weil es zu stark marktwirtschaftlich ist und weil eben dann manche damit konfrontiert sind, dass ihre Eigenheime nicht mehr versicherbar sind. Das französische Modell ist vermutlich besser, weil es eine staatliche Rückversicherung beinhaltet.

Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass es ja auch eine Finanzierung nach dem Verursacherprinzip geben könnte, denn wenn es geklärt ist, dass die Intensität und die Häufigkeit der Extremereignisse durch die Klimagase verstärkt wird, wie es das seit dem Special Report von 2012 des Weltklimarates ist, dann könnte man es ja auch daran koppeln, dass, wenn wir mehr Schäden haben, dann müssen wir höhere CO2-Steuer beispielsweise einheben, denn das ist ja die Ursache. Also auch das fände ich eine interessante Finanzierungsform, eigentlich fairer, als über den Katastrophenfonds, denn der Katastrophenfonds wird aus Einkommenssteuer Köst und Kest gespeist und die Einkommenssteuer ist natürlich der größte Brocken. Das heißt, auch Menschen, die kein Vermögen haben, zahlen da rein. Das ist für Brücken, Straßen und Gehwege adäquat, weil die nutzen sie freilich auch. Aber wenn aus dem Katastrophen die Wiederherstellung von Privateigentum gefördert wird, dann wäre es eigentlich eine Umverteilung von denen, die kein Vermögen haben, zu denen, die Vermögen haben. Das finde ich problematisch, und dann wäre das Verursacherprinzip vermutlich eine fairere Lösung.

Veränderung von Strukturen

Aber, wie gesagt, Es geht nicht nur um die Symptombekämpfung, nicht nur um die Adaption, sondern es geht auch um die Veränderung der Strukturen. Und im ökonomischen Sinne bedeutet das, jenseits des Wachstumszwangs darüber nachzudenken, welche ökonomischen Modelle können wir haben, wenn wir nicht dem Bruttoinlandsprodukt und dem Wachstum hinterherhecheln, und wie kann man Finanzströme dekarbonisieren.

Verzögerungstaktiken

Bevor ich zu den zwei Punkten komme, möchte ich noch kurz über die Diskurse und Wahlprogramme etwas sagen. Ich weiß nicht, ob Sie die Abbildung schon kennen, das ist eine Comic-Abbildung, aber von einer ernsthaften Analyse über Klimaschutzverzögerungsdiskurse, die auch veröffentlicht wurde und im Anschluss daran ist natürlich die wissenschaftliche Referenz gegeben.

Verzögerungstaktiken pink
Verzögerungstaktiken schwarz
Verzögerungstaktiken blau

Was ich mir angeschaut habe, und vorsichtig, ich mache normalerweise keine Diskursanalysen, aber es war so naheliegend, sich anzuschauen, welche von diesen Verzögerungstaktiken denn in welchen Parteiprogrammen sich wiederfinden Und da sehen wir, dass recht viele von diesen Verzögerungstaktiken sich im Wahlprogramm der FPÖ finden. Dann andere teilweise, teilweise auch überlappend, Verzögerungstaktiken finden sich auch im Wahlprogramm der ÖVP und insofern stimme ich dem Befund von Reinhard Steurer zu, dass ÖVP und FPÖ wirklich problematische Ansätze haben bezüglich der Klimapolitik. Das einzige Problem, das ich bei den NEOS gefunden habe, ist eben, dass sie Verbote und Gebote explizit ausschließen und hauptsächlich Anreize und unterstützende Maßnahmen haben wollen. Da sind sie einfach sehr stark marktwirtschaftlich orientiert. Ich glaube nicht, dass es reichen wird, aber das ist das einzige Problem, das ich bei denen identifiziert habe.

Renaturierung und Stopp der Bodenversiegelung

Um jetzt überzugehen zu dem, was gemacht werden muss, was braucht es? Eine ambitionierte, eine adäquate Klimapolitik. Und natürlich im Zusammenhang mit diesen Extremwetterereignissen sind zwei Aspekte, die eh sehr stark diskutiert wurden, aber die von der ÖVP beispielsweise blockiert wurden oder versucht wurden zu blockieren Das ist die Renaturierungsverordnung und die Deckelung der Bodenversiegelung.

Wir haben im Februar diesen Jahres zusammen mit dem Gallup-Institut eine Umfrage gemacht unter 1.500 repräsentativen Österreichern und Österreicherinnen und haben nach der gesellschaftlichen Akzeptanz von einzelnen Klimaschutzmaßnahmen gefragt. Dazu gehören auch Renaturierungsmaßnahmen. Das ist die zweite hier, Stärkung der Ökosystemschutz. Und Sie sehen, dass die Zustimmung über 95 Prozent ist. Und auch die Obergrenze der Neuversiegelung von Böden ist das sechste hier. Auch hier sind wir über 90 Prozent in der Zustimmung. Das heißt also, die Bevölkerung hat sehr wohl erkannt, dass das wichtige Maßnahmen sind. Und natürlich, die würden jetzt auch helfen, in der Zukunft zumindest die Auswirkungen der Extremwetterereignisse zu mildern. Also das brauchen wir und es gibt breite Unterstützung in der österreichischen Bevölkerung dafür.

Entkoppelung der Klimagase vom Wirtschaftswachstum

Zu den zwei Punkten, über die ich sprechen möchte, aus wirtschaftlicher Sicht, wie kriegen wir die Klimagase runter, einerseits die Entkoppelung von Klimagasen von Wirtschaftswachstum. Da ist die Hoffnung, dass wir das schaffen und es wäre auch sehr schön, wenn wir das schaffen. Dann könnte das Bruttoinlandsprodukt weiter wachsen und wir könnten die Emissionen runterdrücken, idealerweise unter die planetaren Grenzen, weil es geht ja nicht nur darum, ob entkoppelt wurde, sondern auch in welcher Form. Es ist ja eine relative Entkoppelung. Das bedeutet, es gibt pro Einheit Bruttoinlandsprodukt weniger Emissionen Das reicht aber nicht, weil beispielsweise wenn die Emissionen pro Einheit Bruttoinlandsprodukt um 2% reduziert werden, aber das Bruttoinlandsprodukt um 3% steigt, steigen die Emissionen noch immer an. Das ist das, was wir hier unter relativer Entkoppelung sehen. Wenn es doch gelingt, die absolute Entkoppelung zu schaffen, das heißt, dass ein Pro-Einheit-Bruttoinlandsprodukt stärker ist als der Mengeneffekt des Bruttoinlandsprodukts, dann schaffen wir es runterzukommen in absoluten Einheiten. Das ist gut und richtig. Ich glaube, es reicht noch nicht einfach zu sinken, sondern es ist auch die Frage, in welchem Ausmaß sinken wir. Und bei den Emissionen ist es mittlerweile klar, wir müssen pro Jahr sieben bis zehn Prozent jedes Jahr die Emissionen runterdrücken, um innerhalb der planetaren Grenzen einigermaßen zu bleiben. Das ist eine steile Vorlage. Zuletzt wurden sechs Prozent geschafft. Das ist schon viel, viel besser als in den Jahrzehnten davor. Aber es braucht eine große Anstrengung. Das heißt, die Bedingungen, unter denen grünes Wachstum nachhaltig ist, sind sehr voraussetzungsvoll. Also die Entkoppelung von Produktion und Konsum muss absolut nicht relativ erfolgen, da sonst die gesamte Umweltschädigung weiter zunimmt. Die Entkoppelung muss sich auf alle Umweltauswirkungen beziehen, nicht nur auf CO2. Die Entkoppelung muss überall stattfinden, ob im Inland oder im Ausland. Die Entkoppelung muss schnell genug erfolgen, um einen ökologischen Kollaps zu vermeiden. Und die Entkoppelung muss über die Zeit aufrechterhalten werden.

Hier ist noch eine Abbildung, die dem Mythos widerspricht, dass in Europa, nur in Europa und in den USA Klimapolitik betrieben wird und in den anderen Weltregionen nicht. Es stimmt, dass viel zu viel investiert, das sind die Investitionen, die 2019 und 2024 getätigt werden oder wurden in Milliarden Dollar und es stimmt, dass noch viel zu viel in fossile Energie investiert wird. Aber wenn man sich anschaut, wie viel in erneuerbare Energie, in Grids, also in Infrastruktur und Speicher investiert wurde und in Energieeffizienz, dann sehen wir, dass die Umstellung, die Transformation in China schon viel weiter fortgeschritten ist als in den USA beispielsweise und in den anderen Weltregionen. Europa hat relativ wenig schon in fossile Energie investiert, sehr viel schon in Erneuerbare und in Infrastruktur und in Energieeffizienz. Aber vom Volumen her und auch vom Ausmaß der Veränderung sehen wir, dass China da wirklich sich stark verändert hat. Also das Narrativ, China soll erst einmal sich ändern, dann können wir wieder was tun, stimmt einfach nicht mehr. Denn China hat schon sehr viel getan und das Volumen ist wirklich beeindruckend. Es soll nicht kleinreden, dass wir noch viel zu viel in fossile Energie investieren, Nutzung von fossiler Energie investieren, aber auch sehr viel in Erneuerbare schon.

Finanzströme

Jetzt möchte ich ganz zum Abschluss noch über die Finanzströme sprechen, denn die sind natürlich essenziell, um die Transformation zu schaffen, die Reduktion der Klimagase, die Strukturen in der Wirtschaft zu verändern und natürlich gehören Versicherungsunternehmen beispielsweise hier dazu.

Die Finanzströme sollen so verändert werden, dass einerseits die physischen Risiken gering gehalten werden, das heißt, wir wollen hier in den Quadranten sein, wo wir beim niedrigen Risiko auf der physischen Seite sind und auf der anderen Seite, wo das Transitionsrisiko gering ist. Das heißt also, wir wollen in diesem linken, unteren Quadranten uns befinden, idealerweise bei 1,5 Grad, wenn nicht, dann zumindest bei 2 Grad bleiben. Und was ist dafür nötig? Diese Transformation kostet. Um den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur gemäß dem Pariser Klimaabkommen von 2015 zu begrenzen, muss die Klimafinanzierung bis 2030 weltweit auf etwa 9 Billionen US-Dollar pro Jahr steigen. 9 Billionen US-Dollar, das ist eine enorme Zahl. Derzeit ist Green Finance ungefähr im Ausmaß von 1,3 Billionen US-Dollar zu beobachten pro Jahr. Europa muss 800 Milliarden Euro in seine Energieinfrastruktur investieren, um die Klimaziele für 2030 zu erreichen. Und Europa muss insgesamt 2,5 Billionen Euro investieren, um den grünen Wandel bis 2050 abzuschließen. Das klingt nach enorm viel, aber die gute Nachricht ist, von den 9 Billionen US-Dollar pro Jahr: wir zahlen derzeit entweder direkt oder indirekt 7 Billionen US-Dollar weltweit jedes Jahr an Subventionen für fossile Energieträger. Das heißt, es geht hauptsächlich darum, Finanzströme in andere Kanäle zu leiten, und nicht nur um ein Ausweiten der Finanzströme.

Klimafinanzierung statt fossile Subventionen

Hier ist eine Abbildung, wo die Finanzierung der von gesellschaftlichen Herausforderungen verglichen wird. Derzeitige Climate Finance Flows sind eben bei ungefähr 1,3 Billionen pro Jahr. Military expenditure 2022 sehen wir vermutlich heute anders, als wir es 2021 gesehen hätten. Die sind sehr hoch, aber vielleicht auch nötig. Fossile Subventionen von fossilen Energieträgern, ebenso 2022, 7 Billionen Dollar pro Jahr. Lassen Sie sich das auf der Zunge jetzt zergehen: Subventionen in fossilen Energieträger. Achtung, das sind direkte und indirekte, also das, was out of pocket bezahlt wird, aber auch das, was nicht internalisierte Externalitäten sind, weil das auch ökonomisch gesehen eine indirekte Subvention ist, wenn man keine Steuern zahlen muss beispielsweise. Das waren die Covid-Maßnahmen 2020, das war natürlich sehr viel noch, aber wenn eine Herausforderung da ist, dann findet man scheinbar die Finanzmittel dafür. Und das sind die Financeneeds für die Transformation jedes Jahr weltweit ungefähr diese 9 Billionen Dollar pro Jahr. Das ist sehr viel, aber wie gesagt, wenn man es in Proportion setzt zu anderen gesellschaftlichen Herausforderungen oder zur Förderung von etwas, was wir eigentlich nicht mehr unterstützen wollen. Diese Subventionen in fossile Energieträger werden in der Literatur manchmal perverse Subventionen genannt. Man verwendet Steuergeld für etwas, was der Gesellschaft schadet, das ist wirklich pervers.

Netto Null ist die am wenigsten schlechte Option für Investoren

Und was man daraus schließen kann ist, Net Zero ist die am wenigsten schlechte Option für Investoren, also rein ökonomisch betrachtet, die Failed Transition, das kostet am meisten, Too Little Too Late kostet auch sehr viel, the Late Disorderly Transition kostet viel und die Net Zero Transition, die kostet viel, aber es ist noch im Vergleich zu den anderen, also da wo die physischen Risiken oder Transitionsrisiken hoch sind, ist es noch die günstigste Variante. Die Option, dass es uns nichts kostet, die gibt es nicht, weil es eben die Kosten des Nichthandelns gibt. Was wir eigentlich brauchen, ist eine Perspektive, wo wir die Wirtschaft als eingebettet in die Gesellschaft und basierend auf den biophysischen Grundlagen sehen. Und dafür – nach dieser Ontologie oder Pre-Analytic Vision – erfordert dann jede ökonomische Analyse eine interdisziplinäre Herangehensweise, aber das wäre eine andere Diskussion, die ich sehr gerne führen würde, wenn es interessiert, aber das wollte ich noch kurz dazugeben. Danke vielmals für Ihre Aufmerksamkeit.

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Klimaschutzrecht: Kein Kurswechsel in Sicht!

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Lesedauer 2 Minuten.   

Von Leonore Theuer (FG Politik und Recht)

Österreich soll bis 2040 klimaneutral werden, dennoch steigen die Treibhausgasemissionen. Seit über 600 Tagen fehlt ein Klimaschutzgesetz, das die Wende einleiten könnte. Der Vergleich mit einem Segelschiff zeigt, woran es sonst noch mangelt.

Segelsetzen zur Energiewende?

Im Jahr 2021 trat das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz in Kraft und ein Entwurf zum Erneuerbare-Wärme-Gesetz liegt vor, um die Rahmenbedingungen zum Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energieträger zu schaffen. Teile des alten Energieeffizienzgesetzes sind mit Ende 2020 außer Kraft getreten. Ein neues Energieeffizienzgesetz ist zwar in Ausarbeitung, aber auch hier ist ungewiss, wann es erlassen wird. Unser Schiff wird daher mangels ausreichender Segel immer noch zusätzlich von einem Dieselmotor angetrieben. 

Kein Kiel

Um in stürmischen Zeiten nicht zu sinken, benötigt ein solches Segelboot einen Kiel, der es stabilisiert und aufrichtet, wenn es in Schieflage gerät – ein Grund- bzw Menschenrecht auf Klimaschutz in der Verfassung. Dann müssten sich neue Gesetze am Klimaschutz messen, klimaschädliche Regelungen und Subventionen könnten bekämpft werden, ebenso wie staatliche Untätigkeit.

Das Steuer blockiert – Warum?

Das bisherige Klimaschutzgesetz ist 2020 ausgelaufen. Zwar sah es eine Reduktion von Treibhausgasen vor, jedoch war es wirkungslos, weil es keine Konsequenzen enthielt, wenn die Vorgaben nicht eingehalten wurden.             

Das soll sich mit einem neuen Klimaschutzgesetz ändern, um den Kurswechsel in Richtung Klimaneutralität 2040 zu ermöglichen. Neben inhaltlichen Regelungen (wie CO2-Reduktionspfade nach Wirtschaftssektoren wie z.B. Verkehr, Industrie und Landwirtschaft) sind rechtliche Konsequenzen bei Verstößen unabdingbar, ebenso wie Rechtsschutzbestimmungen, also Regelungen zur Rechtsdurchsetzung: Klimaschutz muss gegenüber dem Staat einklagbar werden. Diskutiert werden weiters Sofortprogramme, wenn die Ziele nicht eingehalten werden, eine Erhöhung der CO2-Steuer und Strafzahlungen von Bund und Ländern.

Wann ein solches Klimaschutzgesetz erlassen wird, ist derzeit nicht absehbar. Doch je mehr Zeit verstreicht, ohne dass Klimaschutzmaßnahmen gesetzt werden, desto drastischer müssen diese ausfallen, um die Erderhitzung mit all ihren verheerenden Folgen einzudämmen. Das Boot hat ein Leck, durch welches permanent Wasser eindringt, und droht mit der Zeit zu sinken! Weshalb werden keine rechtlichen Rahmenbedingungen für eine Reparatur und Kurskorrektur geschaffen? Weshalb wird die Dringlichkeit von Teilen der Politik und Gesellschaft verneint?

Laut Medienberichten lehnen ÖVP, WKO und Industrieellenvereinigung die Verankerung von Klimaschutzzielen in der Verfassung ab, ebenso wie eine Erhöhung der CO2-Steuer bei der Verfehlung von Klimazielen. Eine detaillierte Anfrage der Fachgruppe Politik und Recht der Scientists for Future Austria nach dem Auskunftspflichtgesetz zum neuen Klimaschutzgesetz sollte vor allem darüber Aufschluss geben, welche Regelungen bisher akkordiert und welche noch strittig sind. Doch das Klimaschutzministerium blieb diese Antwort schuldig: Der Fachentwurf zum Klimaschutzgesetz befinde sich noch vor der Begutachtung, die Diskussion und Willensbildung seien noch im Gange. Mit dem Finanzministerium als Hauptansprechpartner fänden laufend Gespräche statt. Man bemühe sich um eine rasche Finalisierung. 

Fazit 

Ein Kurswechsel in Richtung Klimaneutralität ist nicht in Sicht. Das Schiff, in dem wir alle sitzen, schlingert – ohne Kiel und mangels ausreichender Segel mit Diesel angetrieben – in die falsche Richtung. Das Steuer blockiert und durch ein Leck dringt Wasser  ein. Nur das kleine Segel des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes vermag derzeit den Kurs zu beeinflussen. Entscheidende Teile der Besatzung sehen jedoch immer noch keinen Handlungsbedarf.

Titelbild: Renan Brun auf Pixabay

Gesichtet: Martin Auer

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Steinzeit oder Lebensqualität? Wie lebt es sich in einem klimaneutralen Österreich im Jahr 2050?

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Lesedauer 10 Minuten.   

Den Vorwurf, dass Umweltschutz das Land in die Steinzeit zurückbefördern würde, hörten wir schon bei der Auseinandersetzung um das Atomkraftwerk Zwentendorf in den 1970er Jahren. Das Atomkraftwerk ist heute ein Museum und die Steinzeit ist nicht hereingebrochen. Wir hörten ihn wieder bei der Auseinandersetzung um die Zerstörung der Hainburger Au durch einen Kraftwerksbau. Inzwischen gibt es statt eines Kraftwerks den Nationalpark Donauauen und die Steinzeit ist nicht hereingebrochen.

Heute stellt sich die Frage, in welche Welt uns der Klimaschutz führen wird. Führende österreichische Klimawissenschaftler*innen und über 70 Expert*innen aus allen Disziplinen haben einen Plan1 ausgearbeitet, wie Österreich bis 2050 klimaneutral werden kann. In einem zusammenfassenden Kapitel beschreiben sie, wie das Leben in diesem Land 2050 ausschauen könnte. Auf diese Vision stützt sich – teils auch wörtlich – unser Beitrag. Das ist möglich, da die Quelle dankenswerter Weise unter die Creative-Commons-Lizenz BY 4.0 gestellt wurde.

Dazu ist zu sagen, dass die Vision zwar von Österreichs Anteil an der globalen Verantwortung für das Klima ausgeht, aber nichts über das Leben in anderen Teilen der Welt sagt. Zweitens schreiben die Wissenschaftler*innen keinen bestimmten Weg zu diesem Ziel vor. Sie stellen stattdessen mögliche Transformationspfade zur Diskussion: Durch Regulierungen und marktwirtschaftliche Anreize von oben, oder durch gesellschaftliche Erneuerung von unten, durch technologische oder sozio-ökonomische Innovation.

Der Earth-Overshoot-Day oder Welterschöpfungstag – der Tag, an dem die Menschheit alle Ressourcen verbraucht hat, die der Planet in einem Jahr zur Verfügung stellen kann – fällt heuer auf den 29. Juli. Genau aus diesem Anlass wollen wir ein positives Bild einer möglichen Zukunft innerhalb der planetaren Grenzen zur Diskussion stellen.

Die Vision: Österreich im Einklang mit den Pariser Klimazielen

Das Leben hat sich in Österreich in vielfacher Weise verändert und ändert sich noch weiter, denn die bereits umgesetzten und die eingeleiteten Maßnahmen ziehen weitere Veränderungen nach sich. Es hat sich gezeigt, dass Vieles viel leichter ging als erwartet, nachdem der Anfang gemacht war. Manches hat auch mehr Probleme gemacht.

Erneuerbare Energien und Energieeffizienz machen unabhängiger

Erneuerbare, vielfach dezentral genutzte Energiequellen liefern saubere, leistbare Energie und machen das Land wie auch Regionen unabhängiger von Energieimporten. Durch einen Fokus auf hocheffiziente Energiedienstleistungen wurde gleichzeitig die Energieeffizienz gesteigert und der Energiebedarf deutlich gesenkt.

Energieeffizienz lohnt sich, weil Primärenergie teurer geworden ist. Ab einem bestimmten Mindestbedarf wird die einzelne Kilowattstunde umso teurer, je mehr man verbraucht. Das gilt für Haushalte, Handel, Industrie und Gewerbe. Raumplanung, Mobilitätsplanung und die Planung der Energieversorgung erfolgen gemeinsam. Dabei geht man von den Bedürfnissen der Menschen aus. Aus der gewünschten Funktion (z.B. schnell und bequem von zu Hause zur Arbeit zu kommen, oder mit Gütern des täglichen Bedarfs versorgt zu werden, aber auch für die Erfordernisse der Produktion) leitet sich die Gesamtplanung ab. Daraus ergibt sich die die benötigte Menge an Energie, der passende Energieträger und die Form der Bereitstellung. Sektorkopplung zwischen Elektritizät, Wärmeversorgung, Verkehr und Industrie sorgt dafür, dass überschüssige Energie aus einem Sektor in einen anderen Sektor, wo Bedarf besteht, umgeleitet wird.

Das Stromnetz ist dezentral, multidirektional und intelligent. Lebensqualität orientiert sich nicht an Konsum und Profit.

Das Stromnetz hat sich von einem zentralistischen, unidirektionalen zu einem dezentralen, multidirektionalen und intelligenten Stromnetz gewandelt. Strom wird also nicht nur in großen Kraftwerken erzeugt und zentral verteilt, sondern an vielen Stellen auch von Privaten, Gemeinden usw. und kann auch ins Netz eingespeist werden. Gleichzeitig wurde die Verfügbarkeit gesichert und der Schutz vor Cyberkriminalität verbessert. Die Veränderungen waren bereits tiefgreifend und sie gehen noch immer weiter. Es werden stets neue, nachhaltigere Technologien entwickelt. Gleichzeitig werden Lebensstile nachhaltiger und brauchen weniger Energie: Gute Lebensqualität geht vor Profit und Konsum. Die Auswirkungen mancher Änderungen in anderen Sektoren werden erst langsam im Energiesektor spürbar.

Einerseits ist der Strombedarf gestiegen, weil wirtschaftliche Aktivitäten elektrifiziert wurden. Andererseits kam es zu Bedarfssenkungen, z. B. durch bessere Wärmedämmung von Gebäuden, effiziente Mobilität und die klimaschutzorientierte Raumplanung. Viele haben die Ursachen der Klimakrise verstanden und den Wert der Genügsamkeit für das eigene Wohlbefinden wiederentdeckt. Weniger ist oft mehr, und es genügt oft weniger, als man haben könnte.

Man muss kein Auto besitzen, um weiterzukommen.

Neue Raumplanungs- und Mobilitätskonzepte sowie neue Steuermodelle haben den Verkehr verändert: Der Individualverkehr ist zugunsten der aktiven Mobilität (Gehen, Fahrradfahren) zurückgegangen. Der öffentliche Verkehr wurde ausgebaut und auch im ländlichen Raum hat innovative Logistik neue Möglichkeiten eröffnet. Moderne Kommunikationsmöglichkeiten und Konzepte wie Sammeltaxis, Ride & Carsharing und Gemeindefahrzeuge ermöglichen Mobilität ohne eigenes Auto. Die meisten Menschen besitzen keine PKWs mehr, sondern nutzen sie nur noch. Das entlastet die Nutzer*innen nicht nur finanziell, sondern nimmt ihnen auch Verantwortung ab.

Für die Bevölkerung bringt die Veränderung gesundheitliche Verbesserungen durch mehr Bewegung, bessere Luftqualität, weniger Lärm und Stress und mehr Zeit für Beziehungen und bewusstes Leben. Mehr Platz in den Städten ermöglicht mehr Grün zur Dämpfung der Hitze. Der zusätzliche Begegnungsraum macht die Städte sicherer.

Durch lokale Produktion gibt es weniger Güterverkehr.

Der österreichische und europäische Güterverkehr ist zurückgegangen, weil die Wirtschaft sich stärker regional ausrichtet, und die Transporte wurden auf die Schiene verlagert. Der Umbau zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft, die Rücknahmepflicht der Händler und die lokalere Produktion auf Basis von 3D-Druckverfahren haben den internationalen Güteraustausch reduziert.

Für Containerschiffe und Flugfracht gelten strenge Umweltbestimmungen. Ihre Antriebsenergie kommt weitgehend aus erneuerbaren Energieträgern (z. B. Windkraftunterstützung auf See und „Power-to-X“-Treibstoffe, die mit täglichen Überschussmengen von Solarstrom erzeugt werden). Der Lkw-Transport in den Städten läuft elektrisch. Die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen für diese Umstrukturierungen wurden rechtzeitig beschlossen, geplant und installiert, sodass keine Verzögerungen durch fehlende Infrastruktur entstanden sind.

In der Kreislaufwirtschaft halten Gebrauchsgüter länger und können repariert werden.

Gebrauchsgüter sind im Sinn des konsequenten Umbaus zur Kreislaufwirtschaft langlebiger und reparierbar geworden. Die Erzeuger nehmen die Produkte am Ende der Lebenszeit zurück und führen die Komponenten einer Wiederverwertung zu, die die Ressourcen effizient ausnützt. Wichtig ist, dass die Produkte von Anfang an so designt werden, das sie am Ende ihrer Lebenszeit leicht in ihre Bestandteile zerlegt und wiederverwertet werden können. Zugleich werden viele Produkte, nicht nur die legendäre Bohrmaschine, nur noch ausgeliehen – man muss nicht besitzen, was man selten braucht. Das bedeutet einerseits Rückgang der materiellen Produktion und damit Ressourcenschonung, andererseits aber mehr Qualitätsarbeit. Die Qualität und Zahl der Arbeitsplätze hat sogar zugenommen.

Da man weniger Güter kaufen muss, kann man sich auch höhere Preise leisten. Werbemaßnahmen orientieren sich am aktuellen Wissensstand und an der sozialen und ökologischen Herausforderung. Sie dienen nicht dem Mehr-Konsum, sondern einem nachhaltigen Konsum.

Forschung für Nachhaltigkeit wird gezielt gefördert.

Die notwendigen Innovationen für die industriellen Prozesse werden durch zielgerichtete Forschungsförderung beschleunigt. Neue Möglichkeiten der Materialproduktion werden dabei ebenfalls im Auge behalten (z. B. biobasierte Polymere, emissionsärmere Produktion, Kreislaufwirtschaftsinnovationen wie De-Polymerisierung zur effizienten Rohstoffrückgewinnung).

Die Digitalisierung ermöglicht geringeren Ressourcenverbrauch.

Die dynamischen technologischen Entwicklungen, die unter dem Namen Digitalisierung oder „Industrie 4.0“ zusammengefasst werden, wie automatisierte Fahrzeuge, Drohnen- und Blockchain-Technologie, wurden durch gesetzliche Regelungen auf Anwendungen orientiert, die das Einhalten der Klimaschutzziele und der ökologischen Grenzen erleichtern, ohne zusätzlichen Ressourcenverbrauch zu erzwingen.

Neue Perspektiven für Arbeitnehmer*innen werden geschaffen.

Ein zentraler Erfolgsfaktor dafür ist die inzwischen tiefgreifend verankerte, stark regional ausgerichtete Kreislaufwirtschaft, bei der die Potenziale der Digitalisierung nutzbringend eingesetzt werden. Für einige Unternehmen ist in einer klimaemissionsfreien Wirtschaft kein Platz. Deren Arbeitnehmer*innen werden durch politische Begleitmaßnahmen aufgefangen. Ihnen werden durch Re-, Neu- und Umqualifizierungsmaßnahmen neue Perspektiven geboten. Die Transformation wird sozial gerecht („Just Transition“) gestaltet. Generell wird viel mehr Arbeit in Bereichen wie Gesundheit und Pflege, Bildung, Kultur und Sport, aber auch in der Landwirtschaft benötigt.

Anpassung und Widerstandsfähigkeit gegen Extremwetterereignisse werden gefördert.

Die kritische Infrastruktur ist mittlerweile recht gut geschützt gegen Extremwetterereignisse. Diese liegen zwar auch bei einer globalen Erwärmung um 1,5 °C noch deutlich über den aus früheren Zeiten bekannten Ausmaßen, aber man muss nicht mehr fürchten, dass sie von Jahr zu Jahr intensiver werden und länger andauern. Das Klima stabilisiert sich. Bei den notwendigen Umbau- und Klimawandel-Anpassungsmaßnahmen wurde auch auf Herausforderungen in verschiedenen Dimensionen geachtet – wie etwa die gute Anbindung an öffentlichen Verkehr, die Wiederverwendbarkeit von Strukturen, die Rezyklierbarkeit von Komponenten und Gebäuden oder die Einplanung von schattigen Rastplätzen.

Dennoch: Absoluten Schutz vor Unvorhergesehenem gibt es nicht. Die Menschen haben gelernt, sich auf Krisensituationen besser vorzubereiten und mit diesen besser umzugehen. Eine Mindestvorratshaltung ist in Haushalten und in Gemeinden zur Selbstverständlichkeit geworden, ebenso wie regelmäßige Notfallübungen. Die Erkenntnis, dass Resilienz (Widerstands- und Anpassungsfähigkeit) wichtig ist und nicht alles der Forderung nach maximaler Effizienz unterzuordnen ist, hat sich durchgesetzt.

Es gibt mehr Flächen für Bio-Landwirtschaft durch weniger Fleischproduktion.

Biologische Landwirtschaft ist extensiv und braucht größere Flächen. Infolge des geringeren Fleischkonsums wurden dafür die Flächen verfügbar, die zuvor zur Futtermittelproduktion für Rinder, Schweine, Hühner etc. genutzt wurden. Zugleich wurde die rasante Verbauung landwirtschaftlicher Flächen radikal eingeschränkt. Wo immer möglich wird sogar rückgebaut, um die Bodenversiegelungsauswüchse der Vergangenheit wiedergutzumachen. Boden bezieht seinen Wert nun auch durch seine Funktion als Kohlenstoff- und Wasserspeicher.

Ein wesentlicher Beitrag zur Senkung der landwirtschaftlichen Emissionen war die Ernährungsumstellung hin zu saisonaler, biologischer und primär regionaler Nahrung mit deutlich mehr pflanzlichen Produkten und rund 50 % weniger Fleisch. Dazu kam auch eine deutliche Senkung der Lebensmittelabfälle. Düngemittelproduktion und Landnutzungsänderungen konnten zurückgefahren werden. Der geringere Viehbestand senkte den Futtermittelbedarf sowie die Ausgasungen der Wiederkäuer. Die umgestellte Ernährung entspricht viel besser den Vorgaben der WHO bzw. der Mediziner für eine gesunde Ernährung. Da außerdem weniger Rückstände von Pestiziden, Hormonen und Antibiotika in den Körper gelangen, tut sie auch der Gesundheit der Bürger*innen gut .

Der Boden wird als Kohlenstoff- und Wasserspeicher geschützt.

Die 5 bis 10 Prozent verbliebenen Treibhausgasemissionen (im Vergleich zu 2005) werden durch naturverträgliche Kohlenstoffspeicherung in Boden und Biomasse ausgeglichen. Land- und Forstwirtschaft konnten den Aufbau von Humus und Holzbiomasse als Kompensation sicherstellen. Die regenerative, biologische und humusfördernde Landwirtschaft hat die Aufnahmefähigkeit des Bodens auch für das Wasser erhöht, sodass Dürreperioden und Starkniederschläge, die mit dem Klimawandel einhergehen, besser abgepuffert werden können. Die Landwirte haben trotz Klimawandel einigermaßen verlässliche Ernten. Auch kleinere landwirtschaftliche Betriebe finden wieder ein gutes Auskommen, da der Bedarf an land- und forstwirtschaftlichen Produkten ausgeweitet wurde und neuen Formen solidarischer Landwirtschaft und direkter Vermarktung sich immer mehr durchgesetzt haben. In der Bioökonomie haben Kreislauforientierung und Nachhaltigkeit einen festen Platz gewonnen. Es haben sich aufgrund der Kreislaufwirtschaft und innovativer kaskadischer Nutzungen Wege gefunden, die stoffliche Nutzung der Biomasse voranzutreiben, ohne die Kohlenstoffsenken zu reduzieren. Kaskadische Nutzung bedeutet, einen Rohstoff möglichst oft zu nutzen, bevor er zur Energiegewinnung gebraucht wird, z.B. Holz zu Möbeln zu verarbeiten, die alten Möbel umzubauen, schließlich Spanlatten daraus zu machen und erst möglichst spät zur Energiegewinnung zu verbrennen. Die vermehrte Holznutzung in langlebigen Infrastrukturen trägt sogar zur Stabilisierung der Kohlenstoffspeicherung bei. In vielen Bereichen sind auch 2050 noch dynamische Neu- und Weiterentwicklungen im Gange – wesentliche Innovationen sind noch zu erwarten. Diese Innovationen könnten auch für die Energiegewinnung gekoppelt mit aktiver Kohlenstoffspeicherung bedeutsam sein. Dennoch kann die energetische Nutzung von Biomasse – aus Gründen der Knappheit landwirtschaftlicher Nutzflächen und des Schutzes der Biodiversität – nicht das primäre Ziel sein.

Die Gesundheit verbessert sich.

Die Kosten für das Gesundheitssystem, Krankenstände und krankheitsbedingte Frühpensionierungen sind gesunken und sinken weiter, denn die Mobilitäts- und die Ernährungsumstellungen haben das Leben nicht nur weniger riskant, sondern auch gesünder gemacht. Es wurde auch deutlich Druck aus dem Berufsleben genommen.

Das Kapital hat sich aus fossilen Energieträgern zurückgezogen.

Ein wesentlicher Motor für die Transformation war der zunächst langsame, dann aber sich stark beschleunigende Abzug von Kapital aus fossilen Energieträgern (Divestment) und die Investition in erneuerbare Energien und zukunftsfähige, sozial-ökologische Innovationen. Die Investitionen haben sich in deutlich höherem Maße in die Realwirtschaft verlagert, was nicht nur technologische Innovationen in beachtlichem Ausmaß ermöglicht hat und weiter ermöglicht, sondern auch die Stabilität des Finanzmarktes wesentlich erhöht.

Das Bildungssystem fördert Neugier und Kreativität und das Denken in Zusammenhängen.

Das Bildungssystem wurde grundlegend reformiert. Wichtige Erkenntnisse der Hirnforschung, der Psychologie und der Pädagogik der letzten Jahrzehnte fanden Eingang in die Praxis. Die Neugier, Motivation, Individualität und Kreativität der Kinder, Jugendlichen und Studierenden wird stark gefördert. Zudem werden ihre Fähigkeiten interdisziplinäre Brücken zu bauen, in Zusammenhängen zu denken, Lösungen für komplexe Probleme zu finden und das Leben zu gestalten, statt sich lediglich vom Leben formen zu lassen, gezielt gefördert. Das ermöglicht ihnen, von Ressourcen-Ausnutzer*innen zu Potenzial-Entfalter*innen zu werden. Bei der Wissensvermittlung wandert der Schwerpunkt vom Verfügungs- und Handlungswissen hin zu umfassendem, ganzheitlichem und wertbezogenem Orientierungswissen und systemischen, projektbezogenen, kreativen Herangehensweisen.

Die Forschung entwickelt menschengerechte Lösungen.

Eine Zeit lang ist es – angesichts der lebensbedrohenden Entwicklungen der Klima- und Umweltkrise – in der Forschung fast ausschließlich darum gegangen, wissenschaftliche Fragen zu beantworten, die für die Gesellschaft hoch relevant sind. Alle Universitäten und Forschungseinrichtungen haben sich stark daran ausgerichtet. Das alles war unter anderem möglich, weil auch der Staat sich wieder in stärkerem Maße für die Forschung zuständig fühlte. Er förderte gesellschaftlich-transformative Ziele in der Wissenschaft und schränkte wirtschaftliche Einzelinteressen im Forschungsbetrieb ein. Die Wissenschaft hat sich verstärkt auf gesellschaftliche Zukunftsfragen ausgerichtet und bearbeitet inzwischen wieder ein breites, offenes inter- und transdisziplinäres Forschungsspektrum. In der Forschung wird kooperativ und interdisziplinär gearbeitet, von den Naturwissenschaften bis hin zu den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Geisteswissenschaften, Theologie und Kunst. Betroffene werden wo immer sinnvoll von Anbeginn einbezogen (transdisziplinäre Forschung). Allein technologieorientierte Lösungen sind kaum mehr von Interesse. Wesentlich ist es, menschengerechte Lösungen zu finden. Der Status in der wissenschaftlichen Welt hängt nicht mehr primär von Publikationen ab, sondern wesentlich davon, wie die Verantwortung gegenüber der Gesellschaft im Hinblick auf die Nachhaltigkeitswirkung („sustainability impact“) der Forschung wahrgenommen wird. Auf Unabhängigkeit der Forschung und Transparenz in der Forschungsfinanzierung wird großer Wert gelegt. Die Forschung ist so zu einem wahren Motor für die Nachhaltigkeit der Gesellschaft geworden.

Die Schere zwischen Arm und Reich verringert sich.

Alle Maßnahmen im Zuge der Transformation der Gesellschaft wurden jeweils sorgfältig auf ihre sozialen Auswirkungen geprüft und haben dazu beigetragen, dass die Schere zwischen Arm und Reich langsam zuging. Dazu hat eine wirtschaftlich, sozial- und umweltgerechte Steuerreform beigetragen. Sie war eine der ersten und wirksamsten Maßnahmen, die den Menschen mit niedrigen Einkommen einen wesentlichen Teil der Steuereinnahmen auf fossile Brennstoffe als Klimabonus auszahlte und ihnen zeigte, dass zwar die Klimakrise bedrohlich war, nicht aber die Klimaschutzmaßnahmen.

Als diese Steuereinnahmen infolge des geringeren Einsatzes fossiler Brennstoffe zurückgingen, verschafften bereits andere Maßnahmen, wie z. B. verbesserter öffentlicher Verkehr und Ride & Carsharing, den Haushalten wesentliche Entlastungen bei ihren Kosten. Erleichtert wurden staatliche Investitionen, weil die gleichmäßigere Vermögens- und Einkommensverteilung auch zum Sinken der Kosten für den Sicherheitsapparat, das Sozialsystem und das Gesundheitswesen führte. Bildung und Forschung beanspruchen jetzt einen höheren Anteil des staatlichen Budgets, aber diese Mittel sind gut eingesetzt. Geldflüsse aus dem reformierten Finanzsystem und Einsparungen, die sich in anderen Bereichen ergeben haben, entlasten sogar den Staatshaushalt.

Die Bevölkerung nimmt aktiv Teil an den Entscheidungen.

Die Maßnahmen wurden in Teilhabeprozessen unter Einbeziehung der Bevölkerung erarbeitet. Dies hat dazu geführt, dass Interessens- und Zielkonflikte offen ausgetragen werden konnten und gemeinsam nach Lösungen gesucht wurde. Lokalen Besonderheiten und Wünschen, insbesondere hinsichtlich Reihenfolge und Geschwindigkeit der Änderungen, wurde soweit möglich nachgekommen. Das hat sich günstig auf das Demokratieverständnis ausgewirkt und Bürger*innen übernehmen wieder deutlich mehr Verantwortung im gesellschaftlichen Prozess.

Neben der in Österreich schon lange hochstehenden Gesinnungsethik hat sich durch diese Teilhabeprozesse auch eine Verantwortungsethik eingestellt – man weiß nicht nur, was richtig wäre, sondern man tut es auch. Die Politik ist sachorientierter und vorausschauender geworden. Sie darf vorübergehende Verschlechterungen zugunsten klar argumentierter und allgemein verständlicher langfristiger Verbesserungen riskieren, ohne schon bei den nächsten Wahlen abgestraft zu werden.

Wir verbrauchen weniger, doch die Lebensqualität steigt.

Der Konsum-Lebensstandard, gemessen an der Zahl der Autos, Fernsehschirme, Fernreisen etc. ist zwar materiell gesunken, aber die Lebensqualität ist klar gestiegen; die Österreicher*innen sind deutlich zufriedener. Der Transformationsprozess ist nicht abgeschlossen, aber die Bevölkerung nimmt ihn an: Es herrscht Aufbruchsstimmung. In den Bürger*innenräten sind viele Ideen aufgekommen, die zum Teil noch nicht umgesetzt sind, aber viel Potenzial zu weiteren Verbesserungen haben, die weit über die Klimakrise hinausgehen – es wird spannend sein, zu beobachten, wo das noch hinführt.

Und rückblickend auf das Erreichen der Klimaneutralität Mitte 2045 und auf die um 2050 nahezu vollständig erreichte Befreiung von den fossilen Emissionen heißt es zu guter Letzt bei der Jahrhundertfeier auf dem Heldenplatz in Wien am 15. Mai 2055: Österreich ist klimaemissionsfrei!

Fotos: Pixabay
Bearbeitet: M.A. und A.B.


1 Kirchengast, G., Kromp-Kolb, H., Steininger, K., Stagl, S., Kirchner, M., Ambach, Ch., Grohs, J., Gutsohn, A., Peisker, J., Strunk, B. (2019): Referenzplan als Grundlage für einen wissenschaftlich fundierten und mit den Pariser Klimazielen in Einklang stehenden Nationalen Energie- und Klimaplan für Österreich (Ref-NEKP) — Gesamtband, November 2019, 204 S., CCCA Wien-Graz. – Verlag der ÖAW, Wien, Österreich. Online unter: https://ccca.ac.at/refnekp – Creative Commons by 4.0 licence https://creativecommons.org/licenses/by/4.0

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