Total wusste Bescheid: Wie der französische Ölkonzern 50 Jahre lang wider besseres Wissen den Klimawandel leugnete, beschönigte und Maßnahmen bekämpfte
von Martin Auer

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Lesedauer 5 Minuten.   

Der französische Ölkonzern Total wusste spätestens ab 1971 Bescheid über die möglichen katastrophalen Auswirkungen seiner Produkte auf das Weltklima. Das beweist eine wirtschaftshistorische Studie, die am 19. Oktober in der Fachzeitschrift Global Environmental Change erschien.1

1971 erschien in der Firmenzeitschrift Total Information ein Artikel mit der Überschrift „Atmosphärische Verschmutzung und Klima“. Darin hieß es:

Seit dem 19. Jahrhundert haben Menschen immer größere Mengen fossiler Brennstoffe verbrannt. Das führt zur Freisetzung von enormen Mengen von Kohlendioxid. […] Die Gesamtmenge von Kohlendioxid in der Atmosphäre hat infolgedessen signifikant zugenommen. […] Die Zunahme betrug in den letzten 150 Jahren rund 15 %, was nicht vernachlässigbar ist. Und […] wenn der Verbrauch von Kohle und Öl in kommenden Jahren diesen Rhythmus beibehält, wird die Konzentration von Kohlendioxid um 2010 herum 400 ppm erreichen[…]

Diese Zunahme der Konzentration ist ziemlich beunruhigend […] Kohlendioxid spielt eine große Rolle für den Temperaturhaushalt der Atmosphäre. […] Luft, die reicher an Kohlendioxid ist, nimmt mehr Strahlung auf und erhitzt sich. Es ist daher möglich, dass eine Zunahme der Durchschnittstemperatur der Atmosphäre zu befürchten ist. Die berechnete Größenordnung ist offensichtlich gering (von 1°C bis 1,5°C), doch könnte sie bedeutende Wirkung haben. Die atmosphärische Zirkulation könnte verändert werden und es ist – nach Ansicht einiger – nicht unmöglich, zumindest ein teilweises Abschmelzen der polaren Eisdecken vorherzusehen, das sicherlich zu einem merklichen Anstieg des Meeresspiegels führen würde. Die katastrophalen Folgen sind leicht vorzustellen.2

Die Voraussagen des Artikels waren ziemlich genau, schreiben die Autoren der Studie: Die CO2-Konzentration erreichte die 400ppm im Jahr 2015.

Die Studie zeigt weiter, dass das Unternehmen in den 1980ern immer vollständiger über das Problem informiert war und in den späten 1980ern begann, Zweifel an der wissenschaftlichen Legitimation von Klimawandel zu säen. In den späten 1990ern erst begann Total, die Klimawissenschaft öffentlich zu akzeptieren und gleichzeitig aber Verzögerungstaktiken anzuwenden, um weiter in fossile Brennstoffe investieren zu können.

Beginnend in den 1980ern koordinierte der amerikanische Konzern Exxon eine internationale Kampagne, um die Klimawissenschaft in Zweifel zu ziehen, und zwar durch die International Petroleum Industry Environmental Conservation Association (IPIECA).

Zu dieser Zeit […] hat man Ölkonzerne schief angeschaut […], wir mussten verbreiten, dass wir etwas taten, dass wir nicht nur schreckliche Umweltverschmutzer waren […], also klebten wir das Etikett „Umwelt“ oder „Kampf gegen Verschmutzung“ auf das, was wir schon taten.3

Während die Klimawissenschaft voranschritt, die Medien Berichte über die Welt-Klima-Konferenz 1979 in Genf berichteten und Nature den Klimawandel als „das wichtigste Umweltproblem der Welt“ bezeichnete, schwiegen Total und Elf, der zweite große französische Konzern (den sich Total später einverleiben sollte).

Bei einem Treffen der IPIECA in Houston 1984 berichtete Exxon den anderen Ölfirmen über seine Erkenntnisse in Bezug auf den Klimawandel. Bisher hatte man darüber diskret geschwiegen, doch jetzt schien es notwendig, dass eine kollektive Reaktion der Industrie erfolgte.

Der Vertreter von Elf bei dieser Konferenz schrieb in seinem Jahresbericht an den Vorstand:

„Der Fall Ozon ist bekannt, aber die Ansammlung von CO2 und CH4 in der Atmosphäre und der draus resultierende Treibhauseffekt werden unausweichlich unsere Umwelt verändern. Alle Modelle sagen übereinstimmend eine Klimaerwärmung voraus, aber das Ausmaß des Phänomens ist ungeklärt. Die ersten Reaktionen waren natürlich, „Fossile Brennstoffe zu besteuern“, also ist es offensichtlich, dass die Ölindustrie sich wieder einmal darauf vorbereiten muss, sich zu verteidigen.“4

In der Periode von 1987 bis 1996 konzentrierten sich die Ölkonzerne darauf, die Regulierung von fossilen Brennstoffen hinauszuzögern. Duane LeVine von Exxon verfasste ein Strategiepapier:

Obwohl manche erklären, dass ein durch Treibhausgase bewirkter Klimawandel durch die Wissenschaft belegt ist, […] glaube ich nicht, dass das der Fall ist. Wir werden noch weitere substanzielle wissenschaftliche Untersuchungen brauchten um festzustellen, wie seine Effekte in der Zukunft erfahren werden.5

Er empfahl, Unsicherheiten in der Klimawissenschaft und den Bedarf an zusätzlicher Forschung zu betonen, die Kosten von Regulierungen hervorzuheben und alternative Umweltmaßnahmen vorzuschlagen, die das Kerngeschäft der Ölindustrie nicht bedrohten. Eine weitere Taktik war, zu verlangen, dass die Kontrolle von CO2-Emissionen solange hinausgeschoben werden sollte, bis ein eindeutiger Nachweis einer Klimaerwärmung vorlag, obwohl in einem internen Exxon-Papier von 1982 schon festgehalten wurde: „Wenn die Effekte erst messbar sind, könnten sie nicht mehr umkehrbar sein“. Als das IPCC in seinem 2. Sachstandsbericht genau diesen Nachweis vorlegte, griff die Industrie sowohl das IPCC, als auch einzelne Wissenschaftler frontal an.

Die IPIECA finanzierte zwischen 1991 und 1994 Forschung, die die Begrenztheit von Klimamodellen aufzeigen und die Klimaerwärmung als weniger alarmierend erscheinen lassen sollte. Elf platzierte gezielt junge Wissenschaftler*innen in internationale Klimaforschungszentren, um über die dortigen Forschungen auf dem Laufenden zu bleiben.

Während der Konferenz von Rio verbreitete Total ein Heft, in dem beklagt wurde, dass die Erderwärmung alle Aufmerksamkeit auf sich zöge und apokalyptische Beschreibungen der Zukunft hervorrufe. Die Energiepolitik solle das Wachstum sich entwickelnder Länder unterstützen, auch um den Preis zunehmender Treibhausgasemissionen.6

Die Politik, Zweifel zu säen und Wissenschaftler*innen zu unterstützen, die „positiv in die Debatte eingreifen“ konnten, wurde fortgesetzt. Sie war Teil des massiven Kampfs gegen Energie- und Kohlenstoffbesteuerung, den Total und Elf Anfang der 1990er Jahre führten. Der Economist beschrieb den Kampf gegen die Ökosteuer als „das wütendste Lobbying, das Brüssel jemals gesehen hat“.

Die Jahre rund um die Kyoto-Konferenz von 1997 sind ein Einschnitt in der Geschichte des Klimawandels. BP und Shell verließen die Global Climate Coalition, die seit 1989 offene Klimawandelleugnung betrieben hatte. Ein Manager erklärte später: „Wir wollten nicht in dieselbe Falle tappen wie die Tabakindustrie, die sind in all ihren Lügen verfangen hatte“7. Als klar wurde, dass in Kyoto eine Reduktion der Treibhausgase um 5 bis 10 Prozent beschlossen werden würde, kündigte Elf an, dass man natürlich auf die Wissenschaft höre, wenn es ernstlich notwendig würde, und dass der Konzern bis 2010 seine Emissionen um 15 Prozent senken würde. Diese Einschnitte sollten in Geschäftsbereichen geschehen, die sowieso ineffektiv waren. „Eine Tonne CO2 zu vermeiden kostet uns in Guinea 30 Francs, verglichen mit 230 Francs in Frankreich“, sagte der CEO von Elf. Gleichzeitig betonte er, dass die Klimaerwärmung kein dringliches Problem sei, weil sie sich über ein Jahrhundert hinziehen könnte.

1999 übernahm Total Elf und die belgische Petrofina. Bei einem internen Seminar über „nachhaltige Entwicklung“ wurden weiterhin Zweifel geschürt. Doch eine gewisse Mäßigung bei den Emissionen sei wünschenswert. In seinem ersten Nachhaltigkeitsbericht 2002 spielte Total den Klimawandel herunter und schrieb Dinge wie: „Ohne Treibhausgaseffekt würde es kein Leben auf unserem Planeten geben“ und „Wasserdampf ist das hauptsächliche Treibhausgas“, was beides natürlich stimmt, aber von dem Schaden durch menschengemachte CO2-Emissionen ablenkt. Dass diese menschlichen Aktivitäten Ursache des Klimawandels seien, „könnte“ der Fall sein.

Ab 2006 also die COP15 in Kopenhagen bevorstand, konnte Total Leugnung und Relativierung nicht mehr aufrechterhalten. Um sich als empfänglich für die Ergebnisse der Wissenschaft zu präsentieren, organisierte Total selbst eine Klimawandelkonferenz und erkannte die Legitimität der Erkenntnisse des IPCC an. Doch damit einher ging eine neue Taktik: Die Wissenschaft sollte sich theoretisch mit dem Klimawandel befassen, für die praktische Lösung aber sollte der Wirtschaft zuständig sein. Während Total lautstark das IPCC unterstützte, investierte es zwischen 2005 und 2009 weitere 60 Milliarden Dollar in die Erschließung von Öl- und Gasvorkommen.

Im Vorfeld der Pariser COP21 verstärkte Total seine Anstrengungen, sich als führend in der Klimawandelbekämpfung darzustellen. Es verkaufte seine letzten Kohlenunternehmen in Südafrika und veröffentlichte 2016 eine Roadmap, um die Kohlenstoffintensität seiner Produkte bis 2035 zu reduzieren. Gleichzeitig investierte es in der Periode 2015 bis 2019 wieder 77 Milliarden Dollar in Öl- und Gasförderung.

Seither präsentiert Total sich als in Umweltfragen verantwortliches Unternehmen und bringt regelmäßig Berichte über zukünftige Maßnahmen heraus, die so voll von komplexen technischen Details sind, dass sie schwer zu interpretieren und kaum angreifbar sind. Total lädt so die Beweislast seinen Kritikern auf- 2021 kündigte Total an, sich in TotalEnergies umzubenennen und seine Investitionen in nicht-fossile Energiequellen auszuweiten.

Gesichtet: Sarah Moussa
Titelbild: Unter Verwendung eines Fotos aus Wikimedia


1 Christophe Bonneuil, Pierre-Louis Choquet, Benjamin Franta: Early warnings and emerging accountability: Total’s responses to global warming, 1971–2021. In: Global Environmental Change, 2021, 102386, https://doi.org/10.1016/j.gloenvcha.2021.102386 .

2 F. Durand-Dastès: La pollution atmosphérique et le climat. In: Total Information, 47 (1971), 12-19 (übersetzt nach der englischen Verision)

3 Interview mit einem früheren Total-Angestellten am 23. September 2020

4 Total Archives. 11AC0783/106 – B. Tramier. L’environnement dans le groupe Elf Aquitaine – Bilan 1985. Document préparatoire à la réunion du comité exécutif du 4 mars 1986. Feb 1986, p. 14.

5 LeVine, D. (1989). The potential greenhouse effect. Status\projections\concerns and needs for constructive approaches. (paper delivered in a OECD meeting in Paris in avril 1989)

6 Total Archives. 00AH001/142. Total, Les cahiers de l’environnement, 1992

7 N. Rich: Losing earth: a recent history. MCD, New York (2019)

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