Was macht die Stadt krank? Interview mit dem Verkehrsplaner Hermann Knoflacher
von Hanna Faist und Ines Clarissa Schuster

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Lesedauer 9 Minuten.   

Prof. Hermann Knoflacher tritt seit Jahrzehnten unermüdlich für eine menschengerechte, gesunde Stadt ein. Hanna Faist sprach mit ihm für unseren Blog. Ines Clarissa Schuster fasste das Interview zusammen. (Die wichtigsten Ausschnitte aus dem Interview haben wir als Video veröffentlicht)

Wer ist Hermann Knoflacher?

Der 1940 in Villach geborene und aufgewachsene Hermann Knoflacher brauchte als junger Mensch Zeit, um sich in der Großstadt zurechtzufinden. Er konnte lange nicht begreifen, wieso der Mensch seinen Lebensraum, seine Umwelt absichtlich selbst zerstört. Verstehen kann er immer noch nicht, warum dem Autoverkehr als oberste Priorität alle anderen Bedürfnisse untergeordnet werden.

Als Student war er besonders wissbegierig. Von seiner Neugierde getrieben wurde Lernen sein größtes Hobby. Er studierte drei verschiedene Studienrichtungen: Bauingenieurwesen, Mathematik und Vermessungswesen. Während er sich diesen unterschiedlichen Disziplinen sehr detailliert widmete, merkte er: „Jede Disziplin ist eine gewisse Art der Hirn-Amputation“. Je tiefer man sich in eine Fachrichtung einarbeitet, desto blinder wird man für andere Ansichten und Herangehensweisen. Dadurch, dass er sich in drei unterschiedlichen Fächern beheimatet fühlt, ist es ihm wichtig, nie seine Offenheit zu verlieren. Ihm ist klar, in unserer interdependenten Welt muss immer das große Ganze berücksichtigen werden. Seine Philosophie erwies sich als sehr erfolgreich, er wurde mit 35 Jahren zum damals jüngsten Professor an der Technischen Universität ernannt. Das Studium hatte er sich selbst finanziert durch das Durchführen von Baukontrollen, statischen Berechnungen und durch Mathematiknachhilfe.

Seine steile Karriere an der Universität begann eigentlich durch Zufall. Bei Hermann Knoflachers informeller Sponsion 1963 wurde er angesprochen, ob er Assistent am Institut für Verkehrstechnik werden wollte. Kurzerhand willigte er ein und arbeitete gleich zu Beginn mit dem ersten Professor zusammen, der sich mit Verkehrssicherheit befasste. In der Verkehrssicherheit gab es ein neues Element in diesem dynamischen System, welches berücksichtigt werden musste, und zwar: den Menschen.

Foto: Johannes Hloch, Flickr

In der allgemeinen Verkehrsplanung ging anfangs ein wesentlicher Faktor unter: Man bringt Menschen in einem hohen Ausmaß ums Leben. Die Anzahl der Verkehrstoten war damals steigend. Dies war der Gesellschaft nicht bewusst und wurde von Planern wenig beachtet. 1971 wurden in Österreich 2.000 Menschen durch den Autoverkehr umgebracht, das heißt 6 bis 7 Menschen täglich. Erst durch die Arbeit des Teams Verkehrssicherheit wurde der Parameter „Sicherheit“ in die Planung aufgenommen.

Eine aufregende Exkursion führte Knoflacher nach München. An der dortigen Universität lernte er die Entwicklung von roten Wellen. Durch rote Wellen sollte der Autoverkehr absichtlich verlangsamt werden, um den Autofahrern den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel schmackhafter zu machen. Damals gab es dafür keine Computer, es genügten Stecknadeln auf Tafeln an der Wand.

Autoverkehr in der Stadt

Im Rahmen seiner Tätigkeiten war Hermann Knoflacher auch für die Planung der Fußgängerzonen im Wiener Zentrum verantwortlich. Durch die Einführung der Fußgängerzonen im ersten Bezirk wurde die Durchfahrt von täglich 120.000 Autos nicht mehr möglich. Es war schon damals nicht lustig, dies im ersten Bezirk zu vertreten. Die Geschäftsleute waren sehr aufgebracht. Sie organisierten sich sogar und brachten andere Professoren dazu, sich gegen Knoflacher auszusprechen.

Eine der Aufgaben von Prof. Knoflacher war die Mitarbeit an der „Dringlichkeitsreihung“ der Bundesstraßen, damals noch ohne Berücksichtigung der Eisenbahn und anderer Verkehrsträger. Auf Bundesebene waren für den Verkehr noch zwei Ministerien zuständig, für die Straßen das Bautenministerium und für den öffentlichen Verkehr und die Gesetze das Verkehrsministerium. Eine Situation, die in der Stadtplanung schon damals nicht mehr üblich war, weil dort die Bedürfnisse von Fußgängern, Rad-, öffentlichem und Güterverkehr zu erfüllen waren und das für Menschen unterschiedlichen Alters. Er war auch jahrelanger Berater von Verkehrsministern und unterstützte Bürgermeister bei Verkehrsprojekten.

In einer Analogie vergleicht Prof. Knoflacher den Organismus der Stadt mit dem des menschlichen Körpers. Anhand spezifischer Indikatoren kann man feststellen, ob jemand krank ist oder nicht, zum Beispiel, ob jemand die Grippe hat. Weiters sind Behandlungsmethoden bekannt, damit der Mensch rasch wieder gesund wird. Bei einer Stadt ist es ähnlich. Hermann Knoflacher arbeitet seit Jahrzehnten und weiß, was der Stadt guttut, was ihr schadet und mit welchen Maßnahmen sich die Stadt gut entwickelt.

Wien, Südosttangente. Foto: Ninanuri, Wikimedia

Ihm ist bekannt welche Schäden Verkehr in der Stadt anrichten kann, wie sich konkrete Verkehrsprojekte über die Stadt hinaus auf ihre Umgebung auswirken. Durch übermäßigen Autoverkehr ergibt sich ein unnatürliches, zersiedeltes Gebiet sowie die Zerstörung öffentlicher Flächen. Besonders im Süden Wiens kann man sehen, was durch die Autobahnen passiert ist. Es sind Wirtschaftsaktivitäten, die besser zentral gelegen wären, hinaus gewandert. Wien ist tendenziell immer auf einem guten Weg gewesen, aber Niederösterreich geht seit je her, und sogar heute noch, in Richtung mehr Straßen und Autoverkehr. Die Stadt als offenes System kann von innen und außen durch Autoverkehr geschädigt werden, wenn sie sich nicht entsprechend wehren kann. Aus diesem Grund entwickelte Prof. Knoflacher konkrete Verteidigungsmechanismen. Zum Beispiel war das gebührenpflichtige Parken ein wichtiger und erfolgreicher Schritt.

Lobautunnel

Im Jahr 2002 kam das SUPerNOW1-Problem auf: Entscheidungsträger wünschten sich Varianten für den Autoverkehr im Nordosten Wiens und beauftragten ein Team mit dieser Projektierungsfrage. Sie sollten herausfinden welche Variante die Beste wäre. Das Ergebnis war: der Lobautunnel stellt die schlechteste Lösung dar.

Als 2015 dieses Projekt, das Knoflacher für fachlich unvertretbar hielt, wieder auftauchte, schlug er der damaligen Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou vor, die fehlenden Planungsgrundlagen für eine verantwortbare Entscheidung auf dem Stand des Wissens zu erarbeiten, um irreversiblen Schaden für die Stadt durch dieses mangelhaft geplante Projekt zu vermeiden. Das hatte er auch schon in der Vergangenheit bei anderen für die Entwicklung der Stadt bedenklichen Projekten gemacht: „Wir wollten untersuchen, welche Wirkungen der Lobautunnel im Gesamtsystem auslöst.“ Noch bevor die Analyse richtig beginnen konnte, kam es zu ungewöhnlichen Behinderungen, das Programm wurde verzögert, die ursprünglich vereinbarte Finanzierung wurde schrittweise reduziert. Die Bearbeitungszeit ständig verkürzt und die Bearbeitung auf Verkehrsumlegungen einzuschränken versucht. Letztendlich konnte das eingangs definierte Team nicht wie anfänglich geplant daran arbeiten. Hermann Knoflacher verfolgte aber die Fragestellung dennoch und erstellte parallel zu der Behinderungstaktik Untersuchungen, die in die Arbeiten des Institutes einflossen. Mittlerweile sind die Ergebnisse veröffentlicht.

Das Gutachten ist objektiv nachvollziehbar. Diverse Systemwirkungen, also die ganze Stadt, wurden dabei untersucht, und eine Variante vorgeschlagen, die dem aktuellen Stand der Wissenschaft im Umgang mit Verkehrslösungen entsprach, die aber von der Stadtplanung nicht erwünscht war: „Die Verkehrsbedürfnisse der zukünftigen Bevölkerungsentwicklung und -verteilung zukunftsfähig und klimaschonend ohne Bau einer S1 und Lobautunnel zu erfüllen.“ Dafür wurden sowohl die über Jahrzehnte erarbeiteten Analysen und Erfahrungen mit Autobahnbauten in und um Wien ausgewertet und die Berechnungen mit den realen Systemwirkungen vorgenommen:

  1. Oft wird propagiert, dass neue Straßen andere Verkehrszonen entlasten würden. Man kann in der Vergangenheit beobachten, dass dies nie der Fall war. Wir haben den Beweis im Süden Wiens: Es gab hier bereits die S1 von Vösendorf nach Schwechat. Durch den Bau der A23 wollte man die Straße entlasten und Verkehrsbehinderungen minimieren. Dies ist nicht passiert. Im Gegenteil, da die Betriebe hinaus gewandert sind, hat sich der Verkehr stark vermehrt. Es wurde, wie vorauszusehen war, noch mehr Stau auf den bestehenden Autobahnen erzeugt. Das Verkehrssystem macht sich seine Strukturen – man kann diese nicht unabhängig voneinander betrachten. Die Entlastungsidee durch weitere Straßenbauten funktioniert nicht.
  1. Prinzipiell muss man aus der Forschung und Erfahrung festhalten: Im Verkehrswesen gibt es keine Zeitersparnis. Die Zeit, welche der Mensch für einen Weg auf sich nimmt, ist immer konstant. Daher führt eine Erhöhung der Geschwindigkeit immer zu einer Verlängerung der Wege. Dies bedeutet eine Zersiedelung, weg von zentral organisierten Ortschaften. Was wiederum Nachteile für Fußgänger und Radfahrer bringt. Es führt unweigerlich zu einem Verlust von kleinen Strukturen, denn diese leben von Fußgängern. Durch Straßen werden Konsumenten gezwungen, bei großen Konzernen am Stadtrand einzukaufen, da die Infrastruktur in der Nähe verloren geht. Abgesehen davon braucht man massiv mehr Energie, wenn man die Geschwindigkeit erhöht. Dies führt zu erhöhtem Ausstoß von CO2, welcher zum Klimawandel beiträgt, und von anderen Schadstoffen.

Dass Autos schlecht für die Umwelt sind, ist bereits umfassend bekannt. Nicht nur durch die Nutzung und die Verbrennung fossiler Brennstoffe: Schon bei der Entstehung von Autos kommt es zu gravierenden Auswirkungen auf die Umwelt. Allein die Möglichkeit sich so schnell zu bewegen führt zu einer Entwicklung hin zu einer menschenfeindlichen Umgebung. Wenn man eine Stadt sanieren will, muss man sie für Fußgänger optimieren, denn Menschen sind Fußgänger – niemand wird mit 4 Rädern geboren. Der Autofahrer schleppt 2 Tonnen pro Auto herum. Im Mittel sitzen nicht mehr als 1,2 Personen im Auto. Es ist ganz logisch, dass wir so mit voller Geschwindigkeit in die Klimakatastrophe fahren.

Die Forschungen des Professors zeigen: „Das Auto sitzt tief im Stammhirn des Menschen“. Er beschäftigte sich immer schon intensiv mit Biologie und der Evolutionstheorie. Für ihn ist die Stadt als lebendes System zu behandeln. Um hier ganzheitlich gute Lösungen finden zu können, gehört die Evolutionstheorie zu den wichtigsten Arbeitswerkzeugen, welche man als Ingenieur erst erlernen muss. Das stadtbildende System soll der Mensch sein und nicht das Auto. Wenn das stadtbildende System das Auto ist, wird die Stadt unmenschlich.

Einkaufsstraße in Guangzhou, China – Foto:  Luc Nadal (cc) – www.itdp.org

Nachteile des Lobautunnels:

  1. Der Tunnel ist sowohl im Bau als auch im Betrieb teurer als zukunftsfähige Lösungen. Es gibt wesentlich zweckmäßigere, sparsamere und wirtschaftlichere Lösungen.
  2. Ein Tunnel birgt spezifische Risiken. Es dürfen keine gefährlichen Güter mit gefährlichen Brandlasten durchfahren.
  3. Unfälle in Tunnels sind besonders gefährlich. Bei einem Unfall im Tunnel sind viele Menschenleben in Gefahr.
  4. Das Ökosystem hört nicht über der Bodenoberfläche auf. Es ist ökologische Blindheit zu behaupten, das ein Tunnel unter der Erde den Nationalpark nicht massiv beeinträchtigt.
  5. Durch die Geschwindigkeitserhöhung im Nord-Osten Wiens wird die Zersiedelung angespornt, was wiederum das Verkehrsaufkommen steigert.
  6. Der Verkehr in der Region wird sich massiv erhöhen. Ein Tunnel in dieser Größenordnung wirkt im ganzen Raum. Es wird zu generell mehr Verkehr kommen. De facto wird es zu mehr Verkehr in der Stadt und im gesamten die Donau querenden Bereich führen.

Aus den Analysen geht klar hervor: Der Lobautunnel wäre ein Schaden für die Stadt, ein Schaden für die Donaustadt und vor allem ein Schaden für die letzten Reste eines Nationalparks – das ist in der heutigen Zeit unverantwortbar.

Gegengutachten

Andere Experten wurden von der Stadt beauftragt, um Gegengutachten zu erstellen. Es ist klar, dass sie auftragsorientiert sind. Um Aufträge zu bekommen muss man gewünschte Ergebnisse liefern. Dies ist prinzipiell legitim, aber es ist nicht gut, wenn dabei etwas herauskommt was die Zukunft gefährdet: „Sie unterstützen das Anzünden der Welt.“

Prof. Knoflacher kritisiert an diesen Gegengutachten in erster Linie, dass sie die Realität leugnen. Sie basieren auf einer veralteten Prognose, welche schon lange nicht mehr korrekt ist. Die von ihnen herangezogene Prognose geht davon aus, dass der motorisierte Verkehr in Wien weiterhin zunehmen würde. Die Prognose wurde gemacht, als in Wien der Scheitelpunkt bereits überschritten war. Das heißt, der Autoverkehr nimmt seit 2002 bereits Jahr für Jahr ab. Dies ist ein Erfolg von diversen Maßnahmen. Außerdem hat die Stadt Wien das Ziel, in den nächsten 10 bis 15 Jahren den Autoverkehr auf 10% zu reduzieren. Es ist unverständlich, warum die Stadt weiterhin in dieses System investiert.

Als wichtiger Treiber in der Diskussion ist unbedingt die ASFINAG zu erwähnen. Die ASFINAG (Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft) wurde 1982 für die Finanzierung, die Planung, den Bau und die Erhaltung von Bundesstraßen und Autobahnen gegründet. Ihre Hauptaufgabe ist nicht, Verkehrsprobleme zu lösen, sondern möglichst viel Geld für Bauprojekte zu organisieren. Das hat in Österreich dazu geführt, dass Autobahnen und Schnellstraßen über den Bedarf gebaut wurden und werden, so dass wir um 40% mehr dafür ausgeben, als andere Länder. Ganz abgesehen von den vielen negativen Wirkungen dieser Fahrbahnen. Nun muss sie neue Projekte suchen, um sich selbst zu rechtfertigen. Die ASFINAG lobbyiert daher im ganzen Land bei Politikern für neue Projekte. Und daher auch in Wien. Es wird eine Lösung versprochen, die das Gegenteil erzeugen wird, und das irreversibel. Bauprojekte sind das Ziel, nicht zeitgemäße Verkehrslösungen, diese „DNA“ steht im ASFINAG-Gesetz, das übrigens kein Ablaufdatum hat. Die ASFINAG evaluiert selbst Straßen-Projekte mit einer Methode, die immer zu einem Bauprojekt führen muss, indem sie auf einen Indikator aufbaut, den es im System nicht gibt: Zeiteinsparung im System durch Geschwindigkeitserhöhung.

Laut Knoflacher ist dies allerdings grundlegend falsch – da es im Verkehr auf der Systemebene keine Zeitersparnis gibt. Durch die höhere Geschwindigkeit des Individuums wird nur der Weg länger. Das Individuum kommt vielleicht tatsächlich schneller von A nach B. Aber das Individuum ist nicht das System. Durch das schnelle Fahren werden kleine Strukturen zerstört. Es ist logisch: Wenn die Geschwindigkeit kleiner ist, müssen Ziele in der Nähe sein. Prof. Knoflacher entwarf bereits 1985 auf dem Papier eine autofreie Stadt. In dieser müssen Ziele zu Fuß und mit dem Rad einfach erreichbar sein. Auch in der autolosen Stadt bleiben natürlich Lieferfahrzeuge, Fahrzeuge für das Gewerbe, aber es gibt kaum noch PKWs. Autos sollten nur noch für Menschen da sein, welche auf das Auto angewiesen sind, also z.B. physisch behinderte Personen. Selbst diese werden nicht mehr so oft mit dem Auto unterwegs sein, weil sie viel mehr in der Nähe haben und besser in die Gesellschaft integriert sind. Die Erdgeschoßzone würde sich dem öffentlichen Raum öffnen. Sie ist heute großteils zerstört. Oft befinden sich hier nur noch Garagen, die im Vorbeigehen eher ängstigend als einladend wirken.

Alternativen zum Lobau Tunnel

Der Lobautunnel inklusive Stadtstraße kostet über drei Milliarden Euro. Allein mit dem Budget der Stadtstraße, wie diese Verbindungsautobahn bezeichnet wird, könnte Wien ein 20 bis 30 Kilometer großes Straßenbahn-Netz bauen und so die Dichte des öffentlichen Verkehrs in der Donaustadt auf ein ähnliches Niveau bringen wie im Rest von Wien. Die Reisegeschwindigkeit des öffentlichen Verkehrs ist immer geringer als die von Autos. Die Lösung muss beinhalten, dass lange Wege vermieden werden. Dies geht nur, indem die Geschwindigkeit reduziert wird. Autos müssen sukzessive aus der Stadt herausgenommen werden. Das setzt aber eine neue Bauordnung voraus, in welcher der §2 der Reichsgaragenordnung endlich gestrichen wird, mit der der menschliche Maßstab in Stadt und Land zerstört wurde. Zweck des „Reichskanzlers und Führers“ war es, die USA in der Motorisierung zu überholen. Wenn es weniger Möglichkeiten für Autos gibt, werden automatisch mehr Möglichkeiten für den Menschen geschaffen. Ein Politiker, der an den Menschen denkt, würde nie für den Lobautunnel plädieren. Niemand würde auf die Idee kommen, in bestehende Bezirke eine Autobahn oder Schnellstraße zu bauen. Da würde es sofort einen Aufschrei aller Anrainer geben.

Wenn die Seestadt eine richtige Stadt sein soll, braucht sie keinen Autoverkehr. Denn sie hätte alles, was der Mensch braucht, in wenigen Gehminuten Reichweite. Wenn man die Seestadtbürger nach außen wegschicken möchte, anstatt sie in ihrer Stadt zu binden, dann ist die S1 und die Stadtstraße genau das Richtige. Die Frage ist also: Ist die Seestadt eine Stadt für Menschen oder ein Präsent für Investoren? Den Investoren sind die Menschen egal, sie wollen so schnell wie möglichst viel Gewinn aus dem eingesetzten Kapital herausholen. Wenn Hochhäuser gebaut werden mit Tiefgaragen und angepriesen wird, dass man rasch in jede Richtung wegfahren kann, kann man viel Kapital aus Wohnungen schlagen und die Bewohner sollen schauen, wo sie die restlichen Bedürfnisse befriedigen. Das Ergebnis wird eine Schlafstadt ohne Leben.

Yoga Flash Mob in Austin, Texas. Foto:  Earl McGehee/Wikimedia

Aus dem Erfahrungsschatz des Professors

Natürlich gibt es manche Güter, welche über lange Strecken transportiert werden müssen. Allerdings beträgt der Langstreckenverkehr, der wirklich gebraucht wird, wahrscheinlich wenige Prozent des heutigen Autoverkehrs. Vieles wird nicht transportiert, weil man es braucht, sondern weil es die Industrie den Menschen unterjubeln will. Es werden mittels Marketing bestimmte Bedürfnisse erschaffen. Da Transport heute so günstig ist, kann man ohne darüber nachzudenken alles liefern.

Eine Weisheit, auf die Prof. Knoflacher auch in seinen Vorlesungen immer wieder hinweist ist: „Entweder hat man es im Kopf oder man hat es in den Beinen. Mit einem Auto hat man 200 PS in den Beinen und was bleibt dann noch im Kopf?“

Titelfoto: Wikimedia


1 SUPerNOW: „Strategische Umweltprüfung Entwicklungsraum Nordosten Wiens“



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