Notfallplan für den Ausstieg aus Gas
von Martin Auer

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Lesedauer 4 Minuten.   

In einem offenen Brief an die EU-Politik schreibt die NGO-Dachorganisation Climate Action Network: Mehr als je zuvor ist die europäische Energiewende ein Friedensprojekt. Mehr fossile Infrastrukturen zu bauen, würde bedeuten, weitere Milliarden in die Taschen jener Industrie zu schaufeln, die jahrzehntelang gegen Regelungen zur Energieeinsparung und zum Umstieg auf erneuerbare Energien lobbyiert hat.

Das Climate Action Network fordert einen Notfallplan: Die Wärmedämmung von Gebäuden würde am raschesten den Bedarf an Energie senken. Förderungen und technische Unterstützung für die thermische Sanierung sollten daher obenan stehen. Gasthermen sollten schleunigst durch erneuerbare Lösungen wie Wärmepumpen ersetzt werden. Die Einrichtung von Solaranlagen auf allen dazu geeigneten Dächern sollte verpflichtend sein. Die Regierungen sollten die Neu-Installation von Gasthermen sofort verbieten und nichts mehr in die Erweiterung der fossilen Gasinfrastruktur investieren.

Climate Action Network (CAN) ist ein Zusammenschluss von über 170 Mitgliedsorganisationen in 38 Ländern Europas, die zusammen 1.500 NGOs repräsentieren.

Wie können die Emissionen von Heizen und Kühlen auf Null reduziert werden?

Der Gebäudesektor ist für ein Fünftel der globalen Emissionen verantwortlich, aber Regierungen tun international im Vergleich zu anderen Bereichen noch sehr wenig, um das Problem anzugehen. Dabei sind die notwendigen Technologien und erfolgreiche Regelungen schon erprobt. Das zeigt der neue Report Decarbonising Buildings1 von Climate Action Tracker, der soeben erschienen ist. Ausgearbeitet wurde der Bericht von zwei nicht profitorientierten Instituten: Climate Analytics und New Climate Institute.

Der Report erscheint zu einem Zeitpunkt, wo Regierungen bestrebt sind, angesichts der Ukraine-Invasion ihre Gasimporte aus Russland zu drosseln. Die EU hat angekündigt, sie würde die russischen Gasimporte noch in diesem Jahr um zwei Drittel kürzen.

Der direkte und indirekte Gebrauch von Gas trägt wesentlich zu Gebäudeemissionen bei und muss bis 2040 um mindestens 65 % gesenkt werden. Gas zu verbrennen kann keine Brückentechnologie sein, denn Gas ist nun einmal ein fossiler Brennstoff. Der Preis für Gas stieg während der letzten Wochen steil an. Dies wirkt sich direkt auf die Kosten für Heizen und Kühlen von Häusern und Wohnungen aus. Vor allem Haushalte mit geringem Einkommen leiden unter diesen Umständen.

Um den Pariser Klimazielen gerecht zu werden, müssen die Emissionen durch den Gebäudebetrieb bis 2040 um 90 bis 95 % gesenkt werden, schreibt Climate Action Tracker. Bis 2050 muss der gesamte Gebäudebestand emissionsfrei sein. Dazu müssen jedes Jahr 2,5 bis 3,5 % der Gebäude saniert werden und alle neuen Gebäude müssen von Anfang an CO2-neutral sein.

Der Bericht skizziert ein breites Spektrum an Maßnahmen, die Entscheidungsträger:innen ergreifen können in vier wichtigen Bereichen:

  1. Die Technologien, die gebraucht werden, um CO2-intensive Technologien zu ersetzen
  2. Bauvorschriften und Qualitätsstandards
  3. Kosten und Finanzierung und
  4. die Einbeziehung der Vielfalt von Akteur*innen in dem Sektor.

Eine der Schwierigkeiten ist die Diversität und Komplexität des Bausektors. Das erfordert einen lokal angepassten Mix von Maßnahmen für vorhanden und neu zu errichtende Gebäude, zum Beispiel steuerliche Anreize, Subventionen, Bauvorschriften und die Ausbildung der im Bausektor Beschäftigten.

Der Report hat zwar kein einziges Land gefunden, das bereits auf dem richtigen Weg wäre, aber er enthält eine Reihe von Fallstudien über vielversprechende Strategien, die auf nationaler, regionaler oder Gemeindeebene eingesetzt werden. Dazu zählt zum Beispiel das schwedische Wärmepumpenprogramm oder das umfassende Gebäudesanierungsprogramm in der Stadt Ithaca im US-Bundesstaat New York. Schweden arbeitet schon seit Jahrzehnten an seiner Dekarbonisierungsstrategie. Seit 40 Jahren wird der CO2-Preis sukzessive erhöht, wobei immer auf die Auswirkungen auf Hausbesitzer*innen und Mieter*innen geachtet wird. Das hat zu hocheffizienten elektrifizierten Gebäudeheizungen geführt. Als Gegenbeispiel wird Großbritannien angeführt: Unzureichende Finanzierung, nicht effektive Anreize, übereilte Planung und Durchführung von Maßnahmen haben mehr als ein Jahrzehnt lang zu mageren Ergebnissen geführt.

Enstscheidungsträger*innen sollen dringend Investitionen in neue Gas-Infrastruktur vermeiden, wo immer es möglich ist. Das könnte zum Beispiel durch das Vorschreiben von Wärmepumpen für neue Gebäude geschehen oder durch das Verbot, neue Gebäude an die Gasleitungen anzuschließen. Neue Investitionen in Gas würden den Sektor für Jahrzehnte an diesen nicht nachhaltigen Brennstoff binden.

Einige Highlights aus dem Bericht

Technologien:

In vielen Fällen sind Wärmepumpen die beste Option. Fernwärme und Fernkälte sind erprobte Technologien für dicht besiedelte Gebiete. Dass Wasserstoff als Übergangs-Brennstoff dienen kann, ist unwahrscheinlich, einerseits wegen der Kosten, andererseits, weil er in anderen Sektoren dringender gebraucht wird. Smarte digitale Kontrolleinrichtungen können den Verbrauch von Strom effizienter regeln. Die Produktionsmöglichkeiten für solche Technologien sind bereits vorhanden.

Regulierung durch Energieverbrauch-Standards

Ungefähr ein Drittel aller Staaten haben Energieeffizienz-Standards in ihren Bauvorschriften, aber viele haben keine Vorschriften für bestehende Gebäude und es gibt keine Sanktionen, falls versprochene Vorgaben doch nicht eingehalten werden. Nur in wenigen Staaten sind die Vorgaben ausreichend, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Energieeffizienz-Standards, um die Sanierung bestehender Gebäude voranzutreiben, sind besonders wichtig in Regionen mit einem hohen Bestand an Gebäuden, die noch viele Jahre stehen werden. Das sind zum Beispiel die EU, die USA, und zunehmend China.

Leistbare Finanzierung

Wenn man die gesamte Lebenszeit des Gebäudes in Betracht zieht, sind neue oder sanierte CO2-neutrale Gebäude oft weniger kostenintensiv als konventionelle. Allerdings können die hohen Anfangskosten ein Hindernis sein. Leichter Zugang zu Finanzierung kann hier Abhilfe schafften. In Gegenden, wo Gas und Heizöl billig sind, ist die Zeit, bis sich eine Investition amortisiert hat, länger. Hier braucht es Eingriffe in den Markt, um nachhaltige Lösungen wettbewerbsfähig zu machen. Eine CO2-Steuer kann dazu ein wirksames Instrument sein, wenn die Einnahmen zur Umverteilung genutzt werden, um soziale Ungleichheit nicht zu verschärfen.

Ein interessantes Beispiel ist der niederländische Energieversorger Energiesprong. Er bietet Haushalten Energieeffizienz-Verträge an, damit diese tiefgreifende thermische Sanierungen vornehmen. Das Unternehmen bietet diese Umbauarbeiten in großem Stil an, dadurch können die Kosten niedrig gehalten und die Arbeiten können innerhalb von 10 Tagen abgeschlossen werden. Es werden vorgefertigte neuen Fassaden angebracht, weiters werden smarte Heiz- und Kühlsysteme wie Wärmepumpen installiert. Die Dächer werden zusätzlich mit integrierten Photovoltaik-Panels isoliert. Der Umbau wird durch die Energieeinsparungen finanziert. Die Haushalte zahlen 30 Jahre lang weiter dieselben Gebühren, danach aber die reinen – viel geringeren – Energiekosten.

Eine Vielzahl von Akteur:innen einbeziehen

Jedes Gebäude ist anders und braucht eine eigene Herangehensweise an die Dekarbonisierung. Viele unterschiedliche Interessen müssen berücksichtigt werden. Besonders schwerwiegend ist der Interessenswiderspruch zwischen Hausbesitzer:innen und Mieter:innen: Hausbesitzer:innen sind für die Sanierung zuständig, aber die Mieter:innen profitieren von geringeren Energiekosten. Eine bereits erprobte Herangehensweise ist laut dem Report: Wenn Hausbesitzer:innen Energiestandards nicht einhalten, und die Mieter:innen dadurch höhere Energiekosten haben, als sie in einem sanierten Gebäude hätten, müssen die Differenz die Hausbesitzer:innen zahlen. In Schweden sind Mietverträge „all-inclusive“, das heißt die Vermieter:innen müssen auch Heizung, Kühlung und Elektrizität liefern. Dadurch haben sie einen Anreiz, in die Senkung der Energiekosten zu investieren. In den letzten 30 Jahren sind die Emissionen aus dem Betrieb von Gebäuden um 83 % gesunken.

Gesichtet: Ines Schuster
Titelbild: Dmytro Glazkov/Worldbank via flickr CC BY-SA

1 https://climateactiontracker.org/documents/1018/CAT_2022-03-09_Report_DecarbonisingBuildings.pdf

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