Mitglieder der Scientists4Future Österreich geben Empfehlungen für Sachbücher, Essays und Romane zur Klimakrise, Biodiversitätskrise und zu anderen Krisen.1
SACHBÜCHER
Thomas Brudermann, Die Kunst der Ausrede. Warum wir uns lieber selbst täuschen, statt klimafreundlich zu leben. Oekom Verlag München, 2022
Der Autor ist Professor an der Universität Graz und Scientist4Future. Er fragt, was klimafreundliches Handeln so schwer macht und was es aus Sicht der Psychologie für eine nachhaltige Gesellschaft braucht. Die feinen Cartoons mit freundlichen Capibaras machen die Lektüre besonders erfreulich, eine Tabelle mit allen Ausreden und möglichen Umgangsweisen damit am Ende des Buches sind eine ausgezeichnete Grundlage für die Kommunikation mit anderen. Das Werk wurde 2023 mit dem Eunice Foote Preis für Klimakommunikation ausgezeichnet. (VW)
Daniel Ennöckl (Hrsg), Klimaschutzrecht im Querschnitt von Wissenschaft und Praxis, Verlag Österreich, 2023
Dieses Handbuch bietet eine umfassende, fundierte Aufbereitung der Querschnittsmaterie Klimaschutzrecht. In 21 Kapiteln behandeln Autorinnen aus Wissenschaft und Praxis alle wesentlichen Bereiche dieses dynamischen Rechtsgebiets: von den völker-, unions- und verfassungsrechtlichen Grundlagen des Klimaschutzes über Emissionshandel, Energieeffizienz und erneuerbare Energien bis hin zu Klimaklagen, Zivilgesellschaft und Zivilrecht. Als erste derartige Gesamtdarstellung in der österreichischen Rechtsliteratur wendet sich dieses Handbuch an alle Rechtsanwenderinnen, Wissenschaftler*innen und Studierenden, die sich einen Überblick über die Rolle des Klimaschutzes im Recht verschaffen oder ihr einschlägiges Wissen vertiefen wollen.
Hans Holzinger, Wirtschaftswende, Oekom 2024
Das Buch macht deutlich, dass es mittlerweile zahlreiche Transformationsansätze gibt, und es beschreibt, wie die Wirtschaftwende gelingen könnte. Es richtet sich an ein breites Publikum, um die Zukunftsvorschläge über die Fachwelt hinaus bekannt und diskutierbar zu machen. Der Autor benennt die Nichtnachhaltigkeit unserer aktuellen Wirtschafts- und Lebensweise, er skizziert aber insbesondere die vielen Neuansätze in den Bereichen Energie und Ernährung, Mobilität und Stadt, Finanzen und Steuern sowie Unternehmen und Konsum. Deutlich wird, wie all diese Wenden mit Wirtschaft zu tun haben. (MA, ganze Rezension hier)
Naomi Oreskes, Erik M. Conway: Die Machiavellis der Wissenschaft: Das Netzwerk des Leugnens. Wiley-VCH Verlag, Weinheim 2014
Ein Klassiker, der die Vorgangsweise großer Konzerne seziert, die Zweifel säen, um ihre Geschäfte nicht zu gefährden, dargestellt unter anderem an der Tabakindustrie. Der englische Titel „Merchants of Doubt“ (etwa: Die Händler des Zweifels) trifft besser als die deutsche Übersetzung. Leider inzwischen vergriffen, vielleicht antiquarisch erhältlich. (VW)
Friederike Otto, Wütendes Wetter. Auf der Suche nach den Schuldigen für Hitzewellen, Hochwasser und Stürme. Ullstein Verlag, Berlin 2019
Die Autorin ist Professorin in Oxford, hochrangiges Mitglied des Weltklimarates und die Mitbegründerin der Zuordnungsforschung. Sie erklärt verständlich und erzählt packend die Geschichte der Entwicklung ihrer Forschungsrichtung entlang einiger Katastrophen, für die es ihrem Team gelang, den Beitrag der Treibhausgasemissionen zu berechnen. Spannend, informativ, erklärend ohne belehrend zu wirken. (VW)
Corine Pelluchon, Manifest für die Tiere, aus dem Französischen übersetzt von Michael Bischoff, C.H. Beck, München 2020
In ihrem kurzen und gut zu lesenden Buch befasst sich die Philosophin Corine Pelluchon mit der uns so selbstverständlich erscheinenden Unterdrückung von Tieren. Wie wir mit nicht-menschlichen Tieren umgehen betreffe im Kern die Frage nach unserer Menschlichkeit. Dabei bleibt sie nicht bei einer theoretischen Auseinandersetzung, sondern gibt auch konkrete Tipps und benennt (Zwischen-)Ziele, die einen – sozial gerechten – Ausweg aus dem System der Misshandlung und Ausbeutung von Tieren aufzeigen. (VW)
Michael Rosenberger, Was der Seele Leben schenkt. Spiritualität aus Erde. Echter Verlag Würzburg, 2020
Der Autor ist Professor für Moraltheologie an der Katholischen Privatuniversität Linz; von ihm stammen zahlreiche Veröffentlichungen zu umweltethischen Fragen. Er wirkt bei S4F im Fachkollegium mit. Er vermittelt eine erdgebundene, allen Menschen zugängliche Spiritualität, die von den menschlichen Grunderfahrungen ausgeht, um daraus Orientierung für die praktische Lebensgestaltung zu gewinnen. Eine Buch, das die Seelsorge, als Sorge um die Menschen, die sich engagieren und dabei ausbrennen, als Sorge um die Menschen, die aus Angst nicht handeln, als Sorge um alle Menschen, ins Zentrum stellt. Gut lesbar, knapp, und ein ganz anderer Zugang zur Klimakrise als üblich. (VW)
Wohl eines DER Öko-Bücher, welches maßgeblich für die Gründung der US EPA war. (MS)
Gregory Fuller, Das Ende – Von der heiteren Hoffnungslosigkeit im Angesicht derökologischen Katastrophe, Meiner, 2017
Obgleich erstmals 1994 erschienen ist dieser Essay unverändert aktuell (auch wenn heute manche Aspekte fachlich anders gesehen werden) und bietet viel Nachdenkstoff zum ethischen Umgang mit der Umweltkrise.
Amitav Ghosh, Die große Verblendung. Der Klimawandel als das Undenkbare. Karl Blessing Verlag, München 2017
Der indische Autor, studierter Sozialanthropologe, der in New York lebt, schreibt seit Jahrzehten über Indien. Hier geht es aber – durchaus aus postkolonialer Perspektive, um mehr: Warum ist der Klimawandel kein Thema der Literatur? Dieser Essay argumentiert, dass die Kunst sich zu wenig mit dem Klimawandel beschäftige. Das mag sich seit 2017 geändert haben, die Grundfrage, ob die Menschheit verblendet sei, ist nach wie vor aktuell. Sprachlich eleganter Essay von einem großen Autor. In seinem Buch Gun Island (Dt. Die Inseln, Karl Blessing Verlag 2019) nimmt er seine Herausforderung an, Klimaflüchtlinge und Umweltaktivismus spielen eine große Rolle in diesem Roman. (VW)
Daniel R. Headrick, Macht euch die Erde untertan – Die Umweltgeschichte des Anthropozäns, wbg Theiss, 2021
Um die heutigen multiplen Umweltkrisen besser einordnen zu können, ist diese Zusammenschau unbedingt lesenswert.
Bruno Latour/Nikolaj Schultz, Zur Entstehung einer ökologischen Klasse, edition suhrkamp, 2022
Latour und Schultz erörtern aus soziologischer Sicht, warum es der Bildung einer “ökologischen Klasse” (analog zur Bildung der Arbeiterklasse) bedarf.
Martha Nussbaum, Gerechtigkeit für Tiere wbg Theiss, 2023
Eine rechtliche, philosophische und ethische Grundlegung primär in Bezug auf unseren Umgang mit Tieren – mit vielem, was man darüber hinaus weiterdenken kann.
Verena Winiwarter,Der Weg zur klimagerechten Gesellschaft. Sieben Schritte in eine nachhaltige Zukunft, picus, Wien 2022
Die Autorin ist Umwelthistorikerin und engagiert sich bei S4F im Fachkollegium. Aus einer „Wiener Vorlesung“ ging dieser kurze Text hervor (72 S), der Grundrechtsdemokratie, die Auflösung der Öffentlichkeit durch soziale Medien und ihre Algorithmen, Daseinsvorsorge und fossile Energie in einen unerwarteten Zusammenhang bringt. Sie schlägt einen Verfassungskonvent vor, der mit einer klimagerechten Verfassung die Grundlage für eine klimagerechte Gesellschaft legt. (VW)
Für Einsteiger*innen: Das Buch eignet sich für Laien, Schulen, Lehrer*innen, um auch schnell mal zwischendurch einen Informationshappen gut aufbereitet aufzunehmen; es greift gut fundiert viele Themen auf, ohne zu überfordern.
Andri Snaer Magnason (Author), Aslaug Jonsdottir (Illustrator), Julian Meldon D’Arcy (Translator), The Story of the Blue Planet, Triangle Square (Englisch)
Sehr nett gestaltetes Kinderbuch, das neben vielen anderen Themen auch eine ökologische Message beinhaltet. (MS)
ROMANE
Margaret Atwood, Oryx und Crake, Piper, 2017
Atwood verbindet einen Thriller in einer künftigen Welt der Klimakatastrophe mit einem schmerzhaften Kommentar zu unserer Zeit.
T. C. Boyle, Blue Skies, Carl Hanser, 2023
Amerika in einer möglichen nahen Zukunft. Dystopisch, bissig und brillant.
Frank Herbert, Der Wüstenplanet, Heyne, 2016 und folgende
Bestimmt schon bekannt durch den Film, das Buch ist aber auf jeden Fall eine Empfehlung wert. Besonders Buch 1 ist aus ökologischer Sicht spannend. Für die ganze erste ökologische Transformation des Planeten muss man allerdings Buch 1 bis 4 lesen. (MS)
Maja Lunde, Die Geschichte der Bienen, btb, München 2017
Die Norwegerin ist als Autorin von Romanen und Drehbüchern inzwischen auch außerhalb Europas bekannt, dieser Roman ist der erste Teil des „Klimaquartetts“, von dem bisher drei Bände erschienen sind. Die Geschichte der Bienen zählt zum Packendsten, was es an Klimaromanen gibt. Eine in synthetischer Kleidung schwitzende chinesische Arbeiterin, die mühsam mit der Hand Obstbäume bestäubt wird zur Hauptfigur eines der ineinander verwobenen Teile dieses Romans, der die gesellschaftlichen Konsequenzen des Artensterbens greifbar macht und ganz nebenbei auch noch eine spannende Wissenschaftsgeschichte erzählt. (VW)
Maja Lunde, Die Geschichte des Wassers, btb, München 2018
Was geschieht, wenn Wasser durch die Klimakrise zu einem unerreichbaren Gut wird? Gewalt, Flucht, verlassene Landstriche, ein Schiff auf dem Trockenen und ein unerwarteter lebensrettender Fund machen diese Geschichte zu einer abenteuerlichen Lektüre. Zweiter Teil des Klimaquartetts, macht wie der erste band die Konsequenzen für Einzelne und Staaten (mit-)fühlbar. Wie im Bienen-Band werden mehrere Erzählstränge ineinander verwoben. (VW)
Maja Lunde, Die letzten ihrer Art, btb München, 2019
Geht es hier um die Przewalskipferde, ihre Geschichte, ihre Erhaltung durch auswildern oder darum, dass das Überleben für Menschen Mitte des 21. Jahrhunderts immer schwieriger werden wird? Wie in den ersten beiden Bänden des „Klimaquartetts“ der Autorin werden mehrere Geschichten miteinander verknüpft, die Schauplätze reichen von der Mongolei bis Norwegen. (VW)
Der Ornithologe Rémy erforscht im Wald die Gesänge der Vögel, die Informatikerin Verena sammelt im Südpolarmeer Daten, der Gitarrist Alwin verbringt sein Leben in Tonstudios, die Australierin Karlene zieht mit ihrer Geige durch Europas Städte, Harald und Katja erleben die Abschaffung der Demokratie am eigenen Leib. Und an den Stränden des Mittelmeers hungern immer mehr Mitglieder der friedlichen Sekte der Weißen Tücher. Was macht der nahende Kollaps der Ökosphäre mit den sechs jungen Menschen? Was tun, wenn Umweltschutz als Terrorismus gilt? Wo bleibt das Glück inmitten des ausbrechenden Irrsinns? (MA)
Richard Powers, Die Wurzeln des Lebens, aus dem Englischen übersetzt von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié, S. Fischer, Frankfurt am Main 2020
Der US-amerikanische Schriftsteller Richard Powers widmet sich in seinen Werken oft naturwissenschaftlichen und philosophischen Themen und Fragen. Sein Roman „Die Wurzeln des Lebens“, der beides verknüpft, wurde 2019 unter anderem in der Kategorie Unterhaltung als Wissensbuch des Jahres ausgezeichnet. Auf fesselnde Weise beschreibt Powers in ihm, wie das Leben aller Protagonist*innen, der menschlichen wie nicht-menschlichen, so wie das titelgebende Wurzelgeflecht der Bäume miteinander verknüpft ist. Alle eint der Kampf für den Schutz der Bäume vor Abholzung und die Auseinandersetzung mit dem zuwiderlaufenden politischen und gesellschaftlichen Dynamiken. Dabei lässt sich einiges über die auch für uns so lebenswichtigen Bäumen lernen, die manch eine*r nach der berührenden Lektüre sicherlich mit anderen Augen sieht. (VW)
Kim Stanley Robinson, New York 2140, Heyne 2018
Der amerikanische Science Fiction Spezialist hat schon mehrfach Preise für „Eco-Fiction“ gewonnen. “Climate Fiction” gibt es inzwischen wie Sand am Meer, aber ein Buch wie dieses, das auf über 800 Seiten einen weiblichen Internetstar im Luftschiff Eisbären in die Antarktis fliegen lässt, was Artenschützer nicht nur mit Begeisterung erfüllt, in dem zwei Computergeeks eine Entdeckung machen, die sie in Lebensgefahr bringt, in dem eine der Hauptrollen das durch den Meeresspiegelanstieg zum Archipel von Hochhausspitzen gewordene Manhattan spielt, in dem Finanzspekulation in der Gezeitenzone auf Hochtouren läuft und einzig und allein die Isländer, die immer schon etwas mißtrauischer waren, noch über alle ihre Personenstandsdaten verfügen, ein Buch wie dieses gibt es nicht alle Tage. Die unvermeidliche Liebesgeschichte ist eine der wenigen Schwächen dieses nicht nur fabulierlustigen, sondern auch sehr informativen Buches: denn aus der Zukunft wird auf die Vergangenheit, unsere Gegenwart, geblickt – das gibt Anlaß für Klimabildung aller Art. Leichtfüßig, witzig und trotzdem durchaus zum Nachdenken anregend. An diesem Buch scheiden sich die Geister, aber wer dicke Bücher, die vor Leben und Details strotzen, schätzt und wer New York kennt und vielleicht sogar mag, ist hier gut beraten. (VW)
Kim Stanley Robinson, Das Ministerium für die Zukunft, Heyne 2023
Das erste Kapitel dieses im Jahr 2025 spielenden Romans ist hart. Die Unbarmherzigkeit einer Hitzewelle in Indien lässt niemanden kalt. Danach wird es weniger drastisch. Barack Obama und Bill Gates haben dieses Buch beide empfohlen. Es ist trotzdem lesenswert, im Vergleich zu New York 2140 vom selben Autor deutlich weniger verästelt, aber kunstvoll und kenntnisreich erzählt. Pflichtlektüre für alle, die sich fragen, wie das mit der Klimakrise im globalen Süden denn so sein wird. (VW)
Empfehlungen von unseren Follower:innen
Dave Goulsen, Stumme Erde – Warum wir die Insekten retten müssen, Hanser 2022
Dave Goulsen, The Garden Jungle, Penguin Books 2020
Viele optimistische Vorhersagen für unsere Klimazukunft räumen ein, dass es uns nicht gelingen wird, die globale Erwärmung unter 1,5 Grad Celsius zu halten – gehen aber davon aus, dass wir der Katastrophe entkommen können, wenn wir nachträglich CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernen. Das könnte allerdings nur eine Illusion sein, argumentiert ein Leitartikel in der Zeitschrift Nature: Neue Forschungsergebnisse kommen zu dem Ergebnis, dass einige Erdsysteme wahrscheinlich nicht in ihr vorheriges Gleichgewicht zurückgeführt werden können, selbst wenn man davon ausgeht, dass die Entfernung des überschüssigen CO2 machbar ist.
Ein Team unter der Leitung von Carl-Friedrich Schleussner von Climate Analytics, einem gemeinnützigen Forschungsinstitut in Berlin, berichtet jüngst in der Zeitschrift Nature, dass selbst eine vorübergehende Temperaturüberschreitung dazu führen wird, dass sich die Klimaauswirkungen über die nächsten Jahrzehnte hinweg akkumulieren ( C.F Schleussner et al ., Nature 634 , 366-373; 2024).
Zu diesen Auswirkungen würden heftigere Stürme, Hitzewellen und die Zerstörung von Ökosystemen gehören, und es würde alles andere als einfach sein, genügend CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen, um den Kurs umzukehren. Es ist nicht so, dass Methoden zur Kohlenstoffentfernung nicht funktionieren. Manche funktionieren. Die einfachste ist natürlich das Pflanzen von Bäumen, oder besser gesagt, die Schaffung und Wiederherstellung von natürlichen Kohlenstoffsenken wie Wäldern, Mooren und Feuchtgebieten, Mangrovenwäldern, Seegraswiesen und so weiter. Komplexere Maßnahmen umfassen die direkte Extraktion von Kohlenstoff aus der Atmosphäre. Wenn die derzeitigen Emissionen ungebremst weitergehen, müssten, wie Schleussner und seine Kollegen schätzen, bis zum Jahr 2100 bis zu 400 Gigatonnen CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden, um die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.
400 Gigatonnen CO2 enthalten 109 Gigatonnen Kohlenstoff, das ist fast ein Sechstel des derzeit in den Wäldern der Erde gespeicherten Kohlenstoffs. Die Wälder, die diesen Kohlenstoff ab 2050 aufnehmen sollen, müssten jetzt gepflanzt werden, weil nur reife Wälder die erforderliche Aufnahmekapazität haben. Tatsächlich verlieren wir aber derzeit jährlich 0,33 Prozent unserer Wälder.
Derzeit wird viel über CO2-Abscheidung gesprochen und geschrieben. Dabei geht es um unterschiedliche Verfahren mit unterschiedlichen Zwecken. CO2-Abscheidung und Nutzung (CCU: Carbon Capture and Utilization) soll CO2 aus Verbrennungsgasen (vor allem von Kraftwerken, Stahl- und Zementproduktionen) das Kohlenstoffdioxid herausfiltern und einer industriellen Nutzung zuführen. CO2-Abscheidung und Speicherung (CCS: Carbon Capture and Storage) soll das CO2 aus Verbrennungsgasen dauerhaft unterirdisch speichern. Beide Methoden verringern nicht den CO2-Gehalt der Atmosphäre. Es gelangt bloß weniger CO2 in die Atmosphäre als bei ungefilterter Verbrennung. Bei CCU gelangt das CO2 in den meisten Anwendungsbereichen überhaupt nur später in die Atmosphäre.
Um die Durchschnittstemperatur der Erdatmosphäre zu senken, muss jedoch der CO2-Gehalt der Atmosphäre verringert werden. Denn diese Temperatur ist abhängig von der absoluten Menge an CO2, die in der Atmosphäre enthalten ist. Zur technischen Verringerung des CO2-Gehalts kommt nur direkte Entnahme von CO2 aus der Luft und die anschließende Speicherung in Frage (DACS: Direct Air Capture and Storage). Hier werden große Mengen Luft mit riesigen Gebläsen durch einen Abscheideapparat geleitet. Das CO2 wird dort entweder in einer Flüssigkeit herausgewaschen oder an einen Feststoff gebunden. Anschließend wird das reine Gas je nachdem durch Verdampfen oder Erhitzen des Feststoffs entzogen.
Die größte derzeit geplante Anlage zur direkten Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre soll eine Kapazität von 500.000 Tonnen CO2 jährlich haben. Um die 400 Milliarden Tonnen zu bewältigen, müssten 16.000 solcher Anlagen 50 Jahre lang arbeiten. Die Kostenschätzungen für direkte Kohlenstoffentnahme bewegen sich zwischen 200 und 700 USD pro Tonne. Die Kosten würden sich also zwischen 80 und 280 Billionen Dollar bewegen.
Selbst wenn man davon ausgeht, dass es möglich ist, diese Menge an CO2 beziehungsweise Kohlenstoff zu entfernen, werden einige Erdsysteme wahrscheinlich nicht zu ihrem vorherigen Gleichgewicht zurückkehren. Einige Veränderungen, wie der steigende Meeresspiegel, sich verändernde Ökosysteme und regionale Klimaveränderungen, werden wahrscheinlich von Dauer sein und nachhaltige Auswirkungen auf die Landwirtschaft und andere Industriezweige haben. Für viele Menschen wird das Klima, das sie nach einem Überschreiten der Zielvorgaben erleben werden, nicht das gleiche sein wie zuvor, selbst wenn die globalen Durchschnittstemperaturen auf das Niveau vor dem Überschreiten zurückkehren.
Gefahr von Kipppunkten
Darüber hinaus erhöhen höhere Temperaturen – selbst für kurze Zeit – das Risiko von Kipppunkten, die das Erdsystem oder Teile davon in einen völlig neuen Zustand versetzen könnten. Zu dieser Schlussfolgerung gelangen Annika Högner vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Tessa Möller vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse in Laxenburg, Österreich (T. Möller et al. Nature Commun. 15 , 6192; 2024) in einer im August veröffentlichten Studie.
Mit jedem weiteren Temperaturanstieg über 1,5 Grad Celsius nimmt das Risiko zu, klimatische Kipppunkte zu überschreiten. Und das wären Ereignisse, die nicht rückgängig gemacht werden können: Wenn der grönländische Eisschild zusammenbricht, kann er nicht wieder regeneriert werden, wenn der Amazonas-Regenwald sich in eine Savanne verwandelt, kann er nicht wieder zum Regenwald werden.
Regierungen und Industrie müssen sich mit aller Kraft auf die bevorstehenden Risiken und deren Eindämmung konzentrieren. Das bedeutet nichts weniger als die Emissionen drastisch zu senken und die Menschen durch Anpassungsmaßnahmen vor den Folgen der Klimaerhitzung möglichst zu schützen. Abzuwarten und die Atmosphäre später zu reinigen, wäre eine Katastrophe – für die Menschen und den Planeten.
„Die neue Klimakommunikation aktiviert Menschen und motiviert sie zum Handeln. Ziel ist es, Veränderungen sowohl auf gesellschaftlicher, als auch auf persönlicher Ebene zu erzielen,“ heißt es in der Grazer Charta der Klimakommunikation, die auf dem jüngsten K3-Kongress zur Klimakommunikation veröffentlicht wurde.Fachleute aus Wissenschaft, Journalismus, Kommunen und Nichtregierungsorganisationen fordern diesen Kurswechsel in der Kommunikation über Klimathemen.
Die Charta richtet sich insbesondere an Institutionen und Menschen, die beruflich oder aus gesellschaftlichem Engagement über Klimakrise und Klimaschutz kommunizieren. Sie ist daher als Orientierung gedacht für die klimapolitische Debatte. Zugleich versteht sie sich als Wegweiser einer „guten fachlichen Praxis“ in der praktischen Kommunikation – also für die Arbeit von Klimaschutzbeauftragten in Kommunen ebenso wie für Fachleute aus der Klimaforschung, für Verkehrsexpert:innen oder Installateure, die mit ihren Kunden über neue Heizungen sprechen.
Dazu betont Marie-Luise Beck, Geschäftsführerin des Deutschen Klima-Konsortiums und Mit-Initiatorin der Charta: „Wir wollen die Chancen eines klimafreundlichen Lebens in den Blick nehmen, statt uns auf Debatten einzulassen, in denen es vor allem darum geht, das Weiter-so zu verteidigen.“
Zu den rund 80 Erstunterzeichnenden zählen unter anderem die Klimaforscher Johan Rockström, John Schellnhuber, Reto Knutti, Sonia Seneviratne und Otmar Edenhofer, die Schauspielerin und Produzentin Maria Furtwängler, der Meteorologe Karsten Schwanke, der Arzt und Kabarettist Eckart von Hirschhausen, der Autor George Marshall und die Psycholog:innen Cornelia Betsch, Elke Weber, Ellen Matthes, Thomas Brudermann und Katharina van Bronswijk.
Weg vom Angst-Modus, hin zu Handlungsoptionen
Die Initiator:innen der Charta beklagen, dass viele Menschen das Reden über Klimaschutz als polarisierend erleben. Bisherige Aufrufe zum Handeln verfehlten ihre Wirkung:
„In immer drastischerer Form vor den bedrohlichen Veränderungen des Klimasystems zu warnen, greift zu kurz“, heißt es in der Charta. „Zu häufig lähmt, verunsichert und polarisiert solche Kommunikation, insbesondere wenn sie Probleme und Risiken nur benennt, ohne Lösungen und Handlungsoptionen aufzuzeigen.“
Bei den Lösungen herrsche „häufig die perfektionistische Vorstellung vor, dass Klimaschutz nur möglich ist, wenn man widerspruchsfreie Lösungen findet.“
„Mit der Charta wollen wir wegkommen vom Angstmodus der Kommunikation,“ sagt Carel Mohn, der als Chefredakteur des Portals Klimafakten zu den Initiator:innen der Charta gehört. Das gelte auch für die Klimapolitik. „Statt Menschen mit 5-vor-12-Rhetorik Angst zu machen, sollten wir den Fokus auf Lösungen richten.“
Veröffentlicht wurde die Charta am 26. September im Rahmen des K3-Kongresses zu Klimakommunikation in Graz. Der bereits zum vierten Mal stattfindende K3-Kongress ist die größte deutschsprachige Zusammenkunft von Wissenschaft und Praxis zu Klimakommunikation.
CO2-Steuern, Subventionen für saubere Technologien oder strenge gesetzliche Auflagen? Was wirkt am besten?
Forscher:innen vom Global Sytems Institute der Universität Exeter haben klimapolitische Maßnahmen in 70 Ländern untersucht, und zwar im Hinblick auf ihre Wirkungen in den Sektoren Strom, Wärme, leichter Straßenverkehr und schwerer Straßenverkehr. Sie haben festgestellt, dass Steuern – das Mittel, das bisher am häufigsten eingesetzt wird – die schwächste Intervention waren, während Regulierungsauflagen den größten Einfluss hatten: Sie führten schnell zu einer Verbreitung sauberer Technologien auf einem Niveau, das in verwandten Branchen positive Wendepunkte auslöste.
Die Modellierung simulierte, wie Investoren oder Verbraucher auf der Grundlage von Verfügbarkeit, Kosten und historischen Präferenzen zwischen Technologien wählen. Die Forscher meinen, dass solche „Regulierungsauflagen mit spezifischen Zeitvorgaben“ dazu führen könnten, dass bestimmte Industriezweige einen steigenden Anteil am Umsatz mit sauberen Technologien erzielen oder die Nutzung der umweltschädlichsten Brennstoffe schrittweise einstellen. Sind diese Wendepunkte einmal erreicht, könnten sie positive Dominoeffekte in den entsprechenden Sektoren auslösen, die jeweils die anderen auf dem Weg zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft beschleunigen und gleichzeitig die Preise von sauberen Technologien für die Verbraucher drastisch senken.
Vier solcher Vorgaben wurden bewertet und werden im Bericht empfohlen. Dazu gehören:
der schrittweise Ausstieg aus der Kohlekraft bis 2035 für Industrieländer und bis 2045 für Entwicklungsländer;
die Vorschrift, dass ab 2025 ein steigender Anteil an allen verkauften Heizgeräten Wärmepumpen sein müssen, bis 2035 100 Prozent erreicht werden;
die Vorschrift, dass ein steigenderAnteil an allen verkauften Pkw emissionsfreie Fahrzeuge sein müssen, bis 2035 100 Prozent erreicht werden;
und die Vorschrift, dass der Anteil emissionsfreier Fahrzeuge an an allen verkauften LKW bis 2040 100 Prozent erreichen muss.
„Wir haben festgestellt, dass politische Maßnahmen zur Förderung der CO2-armen Energiewende in jedem dieser Sektoren dazu beitragen, den Wendepunkt auch in den anderen drei Sektoren herbeizuführen“, sagt Simon Sharpe, Mitautor der Studie und Direktor von S-Curve Economics, einer gemeinnützigen Forschungsorganisation.
„Beispielsweise fördert die verstärkte Nutzung von sauberem Strom oder Energiespeicherung in einem Sektor Innovationen und senkt die Kosten dieser Technologien, was schnellere Übergänge in den anderen Sektoren ermöglicht. Darüber hinaus bietet die zunehmende Elektrifizierung von Heizung und Verkehr neue Möglichkeiten, das Stromsystem auszugleichen und so die Kosten für sauberen Strom zu senken.“
Das Papier identifiziert auch „Superhebelpunkte“, die das größte Potenzial haben, Kaskaden positiver Veränderungen auszulösen. Dr. Femke Nijsse, die Hauptautorin der Studie, sagte: „Das Null-Emissions-Mandat für Autos bietet das beste Potenzial für einen ‚Superhebelpunkt‘ für den globalen Wandel.“
Die Forscher:innen kommen zu dem Schluss, dass regulatorische Auflagen mit konkreten Zeitrahmen dafür sorgen werden, dass saubere Technologien weltweit bis zu drei Jahre früher billiger werden als Alternativen auf Basis fossiler Brennstoffe. Dadurch könnten die Kohlendioxidemissionen in den Sektoren Strom, Verkehr und Heizung bis 2050 um mindestens 75 Prozent sinken.
Die Erde befindet sich bereits außerhalb des sicheren Handlungsraums für die Menschheit und der Zustand der lebenserhaltenden Erdsysteme und -prozesse verschlechtert sich rapide. Das zeigt der erste planetare Gesundheitscheck (“Planetary Health Check”), der unter der Leitung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) von der Initiative „Planetary Boundaries Science” (PBScience) erstellt wurde. Der Planetary Health Check informiert künftig jährlich, systematisch und ganzheitlich über den Zustand der Erde anhand seiner planetaren Grenzen. Er kombiniert dazu Erdbeobachtungsdaten mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und multidisziplinären Ansätzen. Ein Ziel des Gesundheitschecks ist es, Lösungen zu finden, wie negative Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf den Planeten wirksam begrenzt werden können. Unterstützt wird PBScience dabei von der Initiative „Planetary Guardians” und zahlreichen weiteren internationalen Partnern.
„Unsere aktualisierte Diagnose zeigt, dass lebenswichtige Organe des Erdsystems geschwächt werden, was zu einem Verlust an Widerstandsfähigkeit führt und das Risiko, Kipppunkte zu überschreiten, steigen lässt“, erklärt PIK-Forscherin Levke Caesar, Co-Leiterin von PBScience und eine der HauptautorInnen des Planetary Health Checks. “Sechs der neun planetaren Grenzen sind überschritten, was in dem Bericht erstmals durch hochauflösende räumliche Karten lokaler und regionaler Trends für alle neun Grenzen verdeutlicht wird. Die Botschaft ist klar: Lokale Maßnahmen haben Auswirkungen auf die Erde, und ein Planet, der unter Druck steht, kann sich auf überall und auf jeden auswirken. Um das menschliche Wohlergehen, die wirtschaftliche Entwicklung und stabile Gesellschaften zu sichern, ist ein ganzheitlicher Ansatz erforderlich, bei dem der Schutz des Planeten im Fokus steht.“
Der planetare Gesundheitscheck als neues Instrument, um Wissenschaft ins Handeln zu übersetzen
Für insgesamt neun kritische Erdsystemprozesse, die die lebenserhaltenden Systeme auf der Erde regulieren, sind planetare Grenzen definiert. Sie umreißen den sicheren Handlungsspielraum der Menschheit für einen stabilen und widerstandsfähigen Planeten. Sobald eine Grenze überschritten wird, steigt das Risiko, die kritischen Funktionen der Erde dauerhaft zu schädigen, ebenso wie die Wahrscheinlichkeit, dass Kipppunkte überschritten werden, die irreversible Veränderungen verursachen. Werden mehrere Grenzen überschritten, steigen die Risiken drastisch an. Der Planetary Health Check zeigt, dass diese lebenserhaltenden Funktionen des Erdsystems gefährdet sind. Neben den sechs bereits überschrittenen planetaren Grenzen steht das Überschreiten einer siebten Grenze unmittelbar bevor. Zugleich ist den Forschenden zufolge ein klarer Trend hin zu weiteren Überschreitungen zu erkennen.
Bislang wurde der Zustand der neun Erdsystemprozesse meist jeweils getrennt voneinander betrachtet. Doch Entwicklungen wie der Klimawandel, der Verlust der biologischen Vielfalt und Umweltverschmutzung wirken gegenseitig aufeinander ein und haben Auswirkungen auf die Gesundheit – die Stabilität und Widerstandsfähigkeit – der Erde. Der „Planetary Health Check“ fasst die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu allen planetaren Grenzen, wie etwa dem Klimawandel und der Versauerung der Ozeane, zusammen. Er benennt Ursachen und Verbindungen zwischen den verschiedenen Entwicklungen, stellt Zusammenhänge zwischen den planetaren Grenzen und den verschiedenen Kipppunkten her und zeigt, wie notwendig ein solcher ganzheitlicher Ansatz ist, um die Zukunft der Menschheit zu sichern.
„Wir wissen seit Längerem, dass wir die Widerstandsfähigkeit des Planeten schwächen. Der Gesundheitscheck zeigt, dass bei allem menschlichen Handeln die Auswirkungen auf den Planeten zu berücksichtigen sind, unabhängig davon, in welchem Maßstab wir handeln, ob lokal oder global. In allen Bereichen der Wirtschaft und der Gesellschaft ist mit dem Planeten verantwortungsvoll umzugehen, um Sicherheit, Wohlstand und Gerechtigkeit zu gewährleisten. Indem wir die Grenzen für einen gesunden Planeten quantifizieren, geben wir Politik, Wirtschaft und Unternehmen die notwendigen Instrumente an die Hand, um unkontrollierbare Risiken zu vermeiden“, sagt PIK-Direktor Johan Rockström. „Die Diagnose im Gesundheitscheck lautet: Der Patient Erde befindet sich in einem kritischen Zustand. Sechs von neun planetaren Grenzen sind überschritten. Insgesamt nimmt bei sieben dieser Erdsystemprozesse der Druck so stark zu, dass ein Großteil davon bald eine Hochrisikozone erreichen wird.”
„Wenn wir uns die Gesundheitsindikatoren der Erde genauer ansehen, erkennen wir, dass die meisten von ihnen bald in der Hochrisikozone liegen werden”, erläutert Boris Sakschewski, Co-Leiter von PBScience und Hauptautor des Berichts. „Diesen Trend müssen wir umkehren. Wir wissen, dass alle lebenswichtigen Erdsystemprozesse zusammenwirken und jeder einzelne geschützt werden muss, um das gesamte System zu schützen. Dieses Zusammenspiel soll im Fokus von PBScience stehen. Indem wir ein tieferes Verständnis des Systems erlangen, können wir auch die Maßnahmen identifizieren, welche die Auswirkungen der Menschheit am wirksamsten reduzieren oder ihnen entgegenwirken. Denn wir müssen dringend in den sicheren Handlungsraum zurückkehren.“
Wissen indigener Völker als Schlüssel zu ganzheitlichen Lösungen für den Planeten
Ein weiteres wichtiges Ziel von PBScience ist es, das Wissen indigener Völker in den Planetary Health Check einzubeziehen. Indigene Völker aus aller Welt sind seit Jahrtausenden eng mit dem Planeten verbunden. Ihr Umgang mit den Ressourcen der Erde und ihr Wissen darüber, wie man in Harmonie mit ihr leben kann, ist für die Entwicklung ganzheitlicher Lösungen von entscheidender Bedeutung, um die Auswirkungen der Menschheit auf die Gesundheit des Planeten zu minimieren.
Hindou Oumarou Ibrahim, Vorsitzende der Planetary Guardians und Expertin für die Klimaanpassung und Abschwächung des Klimawandels durch indigene Völker: „Während die Wirtschaft immer schneller wächst, wird die Heimat der indigenen Völker immer weiter zerstört. Es ist dringend notwendig, diesen Niedergang umzukehren. Mit dem planetaren Gesundheitscheck fangen wir an, diesen Weg zu beleuchten und gleichzeitig das tiefgreifende Wissen der indigenen Völker weiterzugeben, um Lösungen zu finden. Wir können eine bessere Welt für künftige Generationen hinterlassen, damit diese im Einklang mit der Erde sicher und gut leben können.“
Der Planetary Health Check bietet einen einzigartigen, ganzheitlichen Blick auf die Gesundheit des Planeten und soll als Kompass für die Entscheidungsfindung von Ländern, Unternehmen, multilateralen Organisationen und Bürgerinnen und Bürgern dienen. Mit der Unterstützung einer Reihe von Partnern kann er zu einer Art „Control Room“ für die Erde entwickelt werden, der die neuesten Satellitendaten, künstliche Intelligenz, die Weisheit der indigenen Völker und die neueste Wissenschaft nutzt. Langfristig soll der planetare Gesundheitscheck jede:n in die Lage versetzen, zu handeln und Pläne zu erstellen, um letztlich den Kurs zu ändern und in den sicheren Handlungssraum der Erde zurückzukehren.
Die Publikation wurde von einem Forschungsteam auf der Grundlage von wissenschaftlichen Veröffentlichungen konzipiert und zusammengestellt. Sie wird jährlich aktualisiert. PBScience sucht aktiv nach neuen Partner:innen in den Bereichen Wissenschaft, Erdbeobachtung und Modellierung, um einen Planetary Boundaries Monitor zu entwickeln. Er soll klare Wege aufzeigen, wie wir in einer Welt zurückkehren können, in der die planetaren Grenzen respektiert werden, um eine sichere und nachhaltige Zukunft für alle zu gewährleisten.
Vor dem Bundeskanzleramt in Wien gaben Scientists for Future am 26.9.2024 eine öffentliche Pressekonferenz zur Klima- und Demokratiepolitik der FPÖ. Hier bringen wir die Beiträge von Franz Essl (Ökologe), Reinhard Steurer (Politikwissenschaftler), Eva Vetter (Linguistin) und Gottfried Roithinger(Biologe) und Martin Puntigam (Science Buster).
Franz Essl zur FPÖ: Naturschutz ist Klimaschutz ist Menschenschutz ist Heimatschutz
Ich beginne mit einer Zusammenfassung von Fakten und kontextualisiere das im Kontext der FPÖ-Politik und der jüngsten Ereignisse: der Hochwässer! Klimaschutz ist ein Überlebensthema. Der Klimawandel ist real. Das sind die wissenschaftlichen Fakten.
Naturschutz ist Klimaschutz, ist gleich Menschenschutz und, um es in der Sprache der FPÖ zu formulieren, Heimatschutz! Und zwar eines richtig verstandenen Heimatschutzes. Keines exklusiven, sondern eines inklusiven, der sich an Fakten, an physikalischen Fakten orientiert. Warum ist Naturschutz Klimaschutz? Die Versiegelung von Böden, die Abdämmung von Flussauen und die Begradigung von Gewässern, die Entwässerung von Mooren und Feuchtgebieten, all das führt zu dem, was wir dann als Wetter-Extreme sehen, vor allem wenn es überlagert wird vom Klimawandel. Gestern, vielleicht haben es manche gesehen, ist schon eine erste Studie veröffentlicht worden, die beurteilt hat, um wie viel wahrscheinlicher sind die Hochwässer in der Intensität geworden, die wir letzte Woche gesehen haben, als Folge des Klimawandels. Die Antwort, doppelt so wahrscheinlich, und auch höhere Niederschlagsmengen, weil das Meer wärmer ist, weil die Luft wärmer ist. Das heißt, wer Klimaschutz verleugnet, die Notwendigkeit eines ambitionierten Klimaschutzes, eines angemessenen Klimaschutzes verweigert und verleugnet, ignoriert, dass das die Ursache von Hochwässern ist, die dann tausende Leute betreffen und um ihr Hab und Gut bringen. Das ist eine politische Botschaft.
Wie steht die FPÖ zu diesen Themen? Ich möchte es an einigen wenigen Beispielen illustrieren. Und die sind selektiv, aber sie sind ein Muster. Gerade heute in der Früh vor einer halben Stunde haben die Bauarbeiten an der Ostumfahrung in Wiener Neustadt begonnen. Das ist ein Projekt, das gegen den Widerstand der Bevölkerung, der Grundbesitzer umgesetzt wird, wenn es umgesetzt werden sollte. Das Widersinnige ist, dass die Verbauung, die in Wiener Neustadt, die sowieso schon extrem ist, voran treibt, und neuen Autoverkehr schaffen wird. Wer steht dahinter? Einerseits die ÖVP, aber mit 150 Prozent die FPÖ. Udo Landbauer, niederösterreichischer Landeshauptfrau Stellvertreter, plakatiert: „Autofahrer fördern, nicht bestrafen“. Das ist eine Botschaft, die heute natürlich eine Dinosaurierbotschaft ist, eine Retro-Botschaft, die aber in diesem Kontext, wie auch schon dargelegt worden ist, vermittelt, es soll sich nichts ändern.
Eine andere Botschaft oder andere Position der FPÖ: Das Renaturierungsgesetz, der größte umweltpolitische Erfolg der EU mit Unterstützung Österreichs, letztlich, weil die Klimaministerin noch zugestimmt hat, wird erbittert bekämpft auch im Wahlprogramm der FPÖ, die sagt, das muss neu verhandelt werden, das heißt de facto es muss ausgehebelt werden. Obwohl drei Viertel der Österreicherinnen und Österreicher dieses Renaturierungsgesetz wollen, da gibt es eine wirklich breite politische Mehrheit dahinter. Obwohl 100 Prozent der Wissenschaftler, die sich mit diesen Themen beschäftigen, sagen, das ist dringend notwendig und obwohl uns die Natur zeigt, warum es dringend notwendig ist. Wenn Flüsse und Auen renaturiert werden, wenn Moore renaturiert werden, dann bleibt das Wasser auch dort und kommt nicht in den nächsten Keller, in die nächste Siedlung, in das nächste Gebäude. Das sind eigentlich einfache Zusammenhänge, ich glaube, da braucht man keine hohen wissenschaftlichen Analysen, um das nachvollziehen zu können, aber man muss es in den wissenschaftlichen Kontext stellen und Wissenschaft muss eine Grundlage politischer Entscheidungen sein. Wissenschaft bedeutet ja nichts anderes als die Anerkennung von Realitäten, physikalischer Realitäten, naturwissenschaftlicher Realitäten.
Was die FPÖ in ihren Wahlprogrammen und in ihren Positionen macht, ist, dass sie Narrative über die Wissenschaft stellt, über die Erkenntnis, wie die Welt funktioniert. Das ist eine selektive Realitätsverleugnung. Warum? Sie ist selektiv, sie verleugnet ja nicht grundsätzlich, dass es wissenschaftlichen Zusammenhänge gibt, sonst würden sich FPÖ-Politiker auch nie in ein Auto setzen, weil sie nicht glauben würden, es würde fahren. Habe ich noch nie gesehen. Was sie aber machen ist, dass sie Realitäten, die wehtun, wenn sie unangenehm sind, und das sind sie, verleugnen, kleinreden, instrumentalisieren, abwerten und auch Dichotomien schaffen, um ein Bild zu erzeugen, das auch verfangen kann. Das ist klar, es bedient ja auch, bewirtschaftet ja auch Ängste. Das aber keine Lösungen bietet, das auch keine Probleme angeht – das ist ja gar nicht das Ziel dieser Politik – sondern das instrumentalisiert.
Und um daher vielleicht am Schluss zwei, drei Punkte noch kurz zu machen: In drei Tagen, vier Tagen ist die Wahl in Österreich. Wenn Sie möchten, und das richtet sich wirklich an jeden, der in Österreich wahlberechtigt ist, wenn Sie möchten, dass das nächste Hochwasser noch ein bisschen größer ist, vielleicht auch ein bisschen früher kommt und vielleicht auch bei Ihnen oder bei Ihren Freunden oder Nachbarn im Garten oder im Haus steht, dann sind Sie bei der FPÖ richtig. Wenn Sie möchten, dass noch eine Straße gebaut wird, noch ein Gewerbegebiet errichtet wird, sind sie auch richtig bei der FPÖ. Wenn sie möchten, dass verbliebene Naturräume vernichtet werden, dass die Landwirtschaft noch intensiver wird, dass es keine Ökologisierung unserer Gesellschaft gibt und dass es keine Klimapolitik gibt, auch dann sind sie richtig bei der FPÖ. Wenn sie das nicht wollen, dann wählen sie eine Partei – also erstens wählen Sie – und wählen Sie eine Partei, die diese Anliegen ernst nimmt. und das ist sicher nicht die FPÖ.
Reinhard Steurer: Die FPÖ macht sich die Welt, wie sie ihr gefällt
Ja, schönen guten Morgen. Ich gehe es ein wenig diplomatischer an wie der Martin Puntigam, sozusagen versöhnlich zum Ende. Werte FPÖ-Wechselwählerinnen − die Kernwähler glaube ich sind nicht erreichbar − lieber Onkel!
Wir verstehen euren Ärger, euren Frust. Das waren wirklich fünf schwere Jahre und wir, glaube ich, können alle das Bedürfnis, eine Oppositionspartei zu wählen verstehen. Weil es reicht! Das ist durchaus nachvollziehbar. Ich verstehe sogar den Wunsch, eine Partei zu wählen, die wortwörtlich das Blaue vom Himmel verspricht. Die für komplexe Probleme sehr einfache Antworten anbietet und besonders in der Klimakrise deutlich zu einfache Antworten anbietet, die eben mit der Faktenlage und mit Wissenschaft nichts mehr zu tun haben. Die eher dem Pippi-Langstrumpf-Modell folgen: „Zwei mal drei macht vier und drei macht neune, die FPÖ macht sich die Welt, wie sie ihr gefällt“. Das trifft ganz gut zu. Bei der Pippi Langstrumpf ist das lustig Wenn das eine Partei so lebt, die in Regierungsverantwortung kommen sollte, wird es gefährlich für das ganze Land. Also insofern ist Kickl tatsächlich ein Sicherheitsrisiko und jeder, der die FPÖ in die Regierung holt, genauso.
Zugleich kann man natürlich sagen, wir alle wünschten, die FPÖ hätte recht mit ihren Behauptungen. Meine Güte, wäre das schön, wenn die Klimakrise erfunden wäre, wenn das alles Hysterie wäre, wenn mehr CO2 gut wäre für uns. Eine perfekte Welt, alles könnte so bleiben, wie es ist, es wäre wunderbar! Es hat halt nur mit der Faktenlage nichts zu tun, und genau das ist dann der Grund, warum Verleugnung so sehr verfängt. Also es ist einfach die angenehmere Erzählung zu sagen: alles übertrieben, glaubt uns, wir machen das ohne Einschränkungen, und überhaupt wird das gut für uns werden, weil dann können wir Weinbau in Oberösterreich betreiben. Ist eine bessere Erzählung als die, die wir haben, keine Frage, wenn man sie glauben kann. Und glauben kann man es halt nur, solange man nicht auf Wissenschaft hört, und deswegen ist es, glaube ich, ganz wichtig, ein paar Dinge zurechtzurücken, denn auf kurze Sicht funktioniert es mit der Realitätsverweigerung, auf lange Sicht ist ganz einfach tödlich. Und zwar nicht nur für FPÖ-Wählerinnen, sondern für uns alle oder für viele von uns zumindest.
Also von daher ist tatsächlich Vorsicht anzumahnen, wenn man sich in Realitätsverweigerung begibt. Veränderung kann kurzfristig noch verhindert werden, langfristig kommt sie: geordnet oder chaotisch. Das ist tatsächlich unsere Wahl diesen Sonntag. Und Realitätsverweigerung hat dann schlussendlich wirklich einen hohen Preis, denn am Ende gewinnt immer die Physik. Auch gegen die FPÖ und auch gegen FPÖ-Wählerinnen, die es noch so gut gemeint haben.
Oder anders gesagt, noch schreiben wir beim Wirten an, da ist das Weltklima ist noch gutmütig, so auf die Art, weil es langsam geht, dass es sich verändert. Schön langsam werden Zwischenrechnungen ausgestellt, die werden alle paar Jahrzehnte höher und die Endabrechnung kommt, und die wird unbezahlbar werden, und sie wird nicht von der FPÖ oder der ÖVP bezahlt werden, sondern von uns allen, auch von den FPÖ-Wählerinnen. Die Zeche wird tatsächlich hoch werden, also wahrscheinlich unbezahlbar.
So, wer jetzt trotzdem FPÖ wählt, der wählt natürlich die angenehmere Erzählung, ich habe es schon erwähnt, und schiebt die unangenehmere Faktenlage von sich. Aber ich kann euch garantieren, die unangenehme Einsicht wird kommen. Es mag ein paar Jahre dauern, und das können wir durchgehen, indem wir ein paar Wahlmotive ansprechen, die FPÖ-Wählerinnen haben.
Da gibt es zum Beispiel die, die sagen: „Ich wollte doch einfach nur was gegen die hohe Inflation tun.“ Ich kann euch versichern, mit einer Klimapolitik à la FPÖ und auch ÖVP werden Lebensmittelpreise von Jahr zu Jahr irgendwann um 50 Prozent steigen, weil es zu wenig Wasser gibt, weil Ernten ausfallen. Wir haben es jetzt im Vorgeschmack bei Oliven, Kakao, Kaffee gesehen, wir werden das bei Getreide sehen. Es ist nur eine Frage der Zeit bei dieser Klimapolitik.
Manche werden sagen: „Ich wollte ja nur gegen das Verbrenner-Aus stimmen, deswegen für die ÖVP oder die FPÖ, weil die verteidigen das Auto mit Verbrennungsmotor. Na ja, bis die E-Autos aus China nicht nur sauberer, leiser, sondern auch billiger sein werden, und die kommen dann aus Shenzhen und nicht aus Steyr.
Viele werden sagen: „Der Kickl hat 100% Schadensersatz bei Hochwasser versprochen, das ist ein Grund ihn zu wählen.“ Naja, bis zum zweiten, dritten oder vierten Jahrhundert Hochwasser in wenigen Jahren, dann werden auch FPÖ-Wählerinnen sehen müssen, das geht sich nicht aus mit den 100 % Schadensersatz, wir werden auf dieser Rechnung sitzenbleiben.
Viele werden sagen, sie wollen ein Zeichen gegen Migration setzen mit ihrer Stimme für die FPÖ. Na ja, bis die Migration aufgrund von unlebbaren Gebieten zunehmen wird. Die Klimakrise verstärkt Migration, weil Menschen ihre Heimat verlieren. Auch das könnte man im großen, ganzen Bild sehen, wenn man wollte.
Dann gibt es solche, die sagen: „Eine Stimme für die FPÖ ist eine für Grund- und Freiheitsrechte“, bis dann klar werden wird, was Orbanisierung bedeutet: nämlich Einschränken von Medien- und Freiheitsrechten. Auch das würden wir erleben, würde die FPÖ regieren.
Und dann gibt es ganz viele, die sagen: „Ich wähle FPÖ, weil ich gegen Einschränkungen bin. Und die versprechen uns, dass alles so bleibt, wie es ist. Maximal, dass wir ein bisschen was Freiwilliges machen.“ Na ja, bis der Hitzesommer sie in ihrem Job draußen oder in ihrer Freizeit so massiv einschränken wird, dass sie sagen, vielleicht wäre Tempo 80/100 doch die geringere Einschränkung gewesen, als das jetzt.
Viele sind natürlich auch gegen Verzicht, ist klar, wer will das schon gerne, das ist ein Unwort in Wahlkampfzeiten, bis sie dann in einigen Jahren sehen werden, dass sie auf Stabilität und einen sicheren Wohnort verzichten.
Und manche wollen natürlich ein Zeichen setzen, gegen zu viel Klimapolitik in der EU: China soll doch was tun, Indien soll doch was tun! Bis sie dann in ein paar Jahren, das wird gar nicht lange dauern, bis sie in ein paar Jahren merken, dass China seine Ziele Jahre früher erreicht, währenddessen wir unsere verfehlen werden. Speziell mit dieser Klimapolitik.
Und was FPÖ-Wählerinnen und alle anderen eint, ist, dass wir alle eigentlich eine gute Zukunft für unsere Kinder und Enkelkinder wollen. Das ist ja wirklich die stärkste Triebfeder für die meisten von uns. Bis sie dann sehen werden, dass die FPÖ gegen diese Krise nichts anzubieten hat, außer Verleugnung, Realitätsverweigerung und Märchenerzählungen von Innovation und Technik, so ähnlich wie die ÖVP in dem Punkt.
So und jetzt sagt das natürlich alles ein Wissenschaftler. Ich weiß schon, wir haben kein gutes Standing bei FPÖ-Wählerinnen, bei Wechselwählerinnen vielleicht ein bisschen besser. Wenn ihr es uns nicht glauben wollt, lest einfach bei Exxon noch. Die haben das in den 80er Jahren schon gewusst und niedergeschrieben. Sie haben in den 80er Jahren in internen Dokumenten davor gewarnt, dass die Klimakrise katastrophale Folgen haben wird. Kann man nachlesen unter ExxonKnew. Und die FPÖ ist, wie wir gehört haben, tatsächlich heute noch der Handlanger solcher Großkonzerninteressen, besonders jener aus Russland. Und das geht nicht gut aus. Und sie meinen es auch nicht gut mit euch. Leider funktioniert halt der Schmäh bei sehr vielen noch. Und es wäre zu wünschen, dass das durchschaut wird.
Wenn manche Wissenschaftler nicht glauben, was wir da so sagen, dann frage ich mich oft, was tun die Leute eigentlich, wenn sie eine ernsthafte Krankheit wie Krebs haben? Gehen sie dann zum Wunderheiler, Märchenerzähler oder vielleicht doch zu dem, der das studiert hat, nämlich zum Spezialisten. Und da werden jetzt manche sagen, Moment, es gibt auch einige Nobelpreisträger, die sagen, das ist alles Klimaschwindel. Ja, gibt es tatsächlich. Da würde ich raten, beginnt an dem Punkt wirklich selbst zu denken und schaut einmal nach, was die vom Fach sind, die Nobelpreisträger. Einen kenne ich, der ist Quantenphysiker. Wenn man dem in der Klimakrise glaubt, ist es ungefähr so, wie wenn man mit dem Krebs zum Zahnarzt geht, statt zum Onkologen. Ja, der hat einen Doktorgrad, aber er wird nicht helfen können. Er wird Ihnen den Zahn aufbohren und Sie werden am Tumor sterben.
Und am Ende der Ausflüchte, die speziell bei FPÖ-, aber auch bei ÖVP-Wählerinnen beliebt sind, möchte ich auf die Ausrede eingehen, naja, selbst wenn das alles stimmt, ist doch egal was Österreich tut, mit den 0,2 Prozent richten wir doch nichts aus, da kann man doch nichts ändern. Abgesehen davon, dass das faktisch falsch ist, weil die meisten Staaten der Erde – so um die 150 − liegen unter 1% in ihrem Anteil an globalen Emissionen, und addiert man die auf, kommt man über 30%. Abgesehen davon habe ich einen Vorschlag. Wendet diese eure Logik doch bitte auf die Nationalratswahl an. So einfach als Gedankenexperiment. Was bedeutet das? Ich habe das für euch ausgerechnet. Eine Stimme bedeutet bei 6.340.000 Wahlberechtigten, dass ihr mit der Stimme das Wahlergebnis nur um 0,0000015% beeinflussen könnt. Mit der Logik: „0,2 % richtet nichts aus, wir können es gleich bleiben lassen“, habe ich den Vorschlag: Geht einfach nicht zur Wahl, weil die Wahl könnt ihr so gut wie nicht beeinflussen. Wenn das alle, die die Ausrede ernst nehmen, befolgen würden, dann glaube ich, dass sowohl die ÖVP als auch die FPÖ irgendwo bei zwei Prozent landen würden, weil die meisten glauben ja an die Ausrede.
Scherz beiseite, also das Argument 0,2 Prozent ist natürlich genauso ein Scherz wie mein Vorschlag. Würde nicht gut kommen, wenn ein Politikwissenschaftler jetzt zum Nichtwählen aufruft. Deswegen mein Vorschlag und mein Appell: Jetzt wählen, aber mit Verantwortung!
Und da hätten wir ein Plakat, um das ein bisschen einzuordnen, wo Verantwortung in der Klimakrise verortet ist: Das ist eine Einschätzung von Expertinnen aus dem ORF-Report. und da sieht man, wo sich die FPÖ selbst einschätzt und wo sie die Experten verorten. Und ich würde sagen, das ist sogar eine wohlwollende Einschätzung. Ich korrigiere das jetzt einmal kurz. Bei allem, was wir gehört haben, würde ich sagen, dass die FPÖ definitiv bei Null zu verorten ist. Und gäbe es da eine Minus-Skala, dann müsste man es sogar da rüberschieben.
So, dann hätten wir die ÖVP, die ich jetzt auch bei den Ausreden schon öfter angesprochen habe. Die ÖVP ist sehr wohlwollend in der Mitte angeordnet worden. Nach dem, was wir die letzten Jahre gesehen haben und nach dem, was der Kanzler in seinen Zukunftsreden so von sich gegeben hat, sind wir uns im Rahmen einer internen Umfrage recht einig darüber, dass die ÖVP eher zwischen zwei und drei zu verorten ist. Also sie nimmt das Thema deutlich ernster als die FPÖ, keine Frage, aber sicher nicht in der Mitte.
Dann hätten wir die SPÖ. Die SPÖ ist tatsächlich ein zweischneidiges Schwert. Da gibt es den Apparat, der nach wie vor den Lobautunnel möchte. Insofern passt für den Apparat die Einordnung in der Mitte wahrscheinlich. Und dann gibt es einen Vorsitzenden, der doch deutlich andere Töne angeschlagen hat und mit dem Apparat natürlich kämpft. Also eine Babler-SPÖ würden wir irgendwo bei sieben verorten, deutlich besser als den Apparat der SPÖ. Die Frage ist, wer sich jetzt durchsetzt, da wird die Wahl durchaus ein entscheidendes Wort mitspielen.
Bei den Neos waren wir uns intern nicht ganz einig, da haben manche gemeint, sechs ist schon sehr wohlwollend. Und ich persönlich würde sie irgendwo zwischen 7 und 8 verorten, weil sie doch die einzige Mitte-Rechtspartei ist, die die Klimakrise ernst nimmt, die das Problem erkannt hat. Das einzige Problem, das wir bei den Neos sehen, ist, dass die Antworten etwas zu neoliberal, etwas zu marktgläubig ausfallen. Aber zumindest haben wir eine Mitte-Rechtspartei, die das Problem doch ernst nimmt.
Und die Grünen liegen auch in unserer Einschätzung natürlich bei 10 von 10 Punkten, das ist keine Überraschung.
Was bedeutet das für FPÖ-Wählerinnen? Na ja, die wenigsten werden Wechselwählerinnen sein und zu den Grünen gehen, also von dem gehen wir nicht aus. Aber für viele FPÖ-Wählerinnen, die soziale Gerechtigkeit wollen, die auch das Klimathema berührt, denke ich, ist die SPÖ unter Babler ein vernünftiges Angebot. Das ist auch eine Oppositionspartei, die die Teuerung kritisiert und so weiter und die eine gute Antwort auf zukünftige Fragen dann bieten wird.
Ich rechne damit, dass Kinder und Enkelkinder uns alle in 20 Jahren fragen werden: „Was hast denn eigentlich du gegen die Klimakrise getan?“ Und wenn dann manche nicht viel mehr sagen können als: „Na ja, ich habe FPÖ gewählt und auf KlimaaktivistInnen getreten oder geschimpft“, könnte es eng werden. Also das wird nicht gut kommen in 20 Jahren. Und man sollte sich tatsächlich fragen, was kann man denn eigentlich jetzt tun, weil ich kann euch garantieren, in der Zukunft der nächsten Jahre ist das die größte Krise, die unser Leben bestimmen wird. Insofern zum Schluss mein Aufruf, nehmt eure Verantwortung wahr und wählt Politik mit Verantwortung, eine Politik, die der Verantwortung gerecht wird, die wir haben, anstatt dass sie Verleugnung und Verantwortungslosigkeit vor sich her trägt. Vielen Dank.
Linguistin Eva Vetter zur Sprache in den Wahlprogrammen der FPÖ: Rückwärtsgewandt und von Fakten befreit
26. September. Heute ist der europäische Tag der Sprachen. Für mich als angewandte Sprachwissenschaftlerin ein Tag der Freude. Gleichzeitig absurd. Wir treffen uns zum Thema FPÖ. Heute wird europaweit der Reichtum der Sprachen und Kulturen gefeiert. Es ist ein Projekt des Europarats, der 1994 in der Nachkriegszeit gegründet wurde, und 700 Millionen Menschen umfasst. Österreich ist knapp nach dem Staatsvertrag beigetreten. Der Europarat setzt sich ein für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Was man auch erwähnen muss: der Europarat hat ein einziges Sprachenzentrum und dieses ist in Österreich in Graz. Dort wird gerade gefeiert und zwar unter dem Motto: Sprachen für den Frieden. Vor zwei Jahren hat der Europarat eine Empfehlung herausgegeben für die Bedeutung der mehrsprachigen und interkulturellen Bildung für eine Kultur der Demokratie. Nichts davon findet man im Programm der FPÖ. Die FPÖ ist einsprachig und wir können annehmen, zunehmend einsprachig. Klickt man auf die Seite der FPÖ-Wahlprogramme, so findet man ein Programm aus dem Jahr 2011 zum Download auf Englisch und Deutsch, das Wahlprogramm aus 2024 nur mehr auf Deutsch in Kurz- und Langfassung. 2011 werden die österreichischen geschützten Minderheiten Burgenland-Kroaten, Slowenen, Ungarn, Tschechen, Slowaken und Roma genannt als integrativer Bestandteil Österreichs. Nichts mehr davon 2024. Es geht nur mehr um das eine: Deutsch als wichtigstes kulturstiftendes Element.
Wie geht nun im Wahlprogramm die FPÖ mit dem Deutschen um? Ganz einfach. Ein einfaches Muster ist ihm zugrunde gelegt: Schwarz-Weiß-Malerei, es gibt Gut-Böse. Das Binäre ist sozusagen der Ordnungsrahmen. Man sieht beim Geschlecht, – da ist es besonders interessant – da ist das Binäre selbst die Ordnung, um die Welt zu verstehen, und wir finden tatsächlich den Satz: „Die gesellschaftliche und rechtliche Ordnung fußt auf Binarität“. Irgendwann findet sich das Wort dann auch im Wörterbuch.
Gleichzeitig Gut und Böse. Das Böse ist immer verknüpft mit einer Abwertung, mit einem Bedrohungsszenario. In dem Fall löst man diese binäre Ordnung auf. Die Gefahr der Auflösung der Binarität entsteht durch das Böse wie – wir kennen das alle – Transgender usw. Schwarz-Weiß-Malerei, Untergangsszenarien sind typische Strategien rechtspopulistischer Parteien und als solche gut beschrieben in der wissenschaftlichen Literatur.
Der Europarat selber ist in eine Schwarz-Weiß-Malerei verknüpft und zwar droht von ihm laut Wahlprogramm der FPÖ die gesellschaftspolitische Zerstörung. Ihm Gegenüber das Gute, ist der „Souverän“ – nicht näher beschrieben.
Schauen wir uns nun Klima an, in welche Dichotomien ist denn Klima verstrickt, welche Gegensatzpaare finden wir hier im Wahlprogramm der FPÖ? Klima wird 20 mal erwähnt, zweimal in positiven Zusammenhängen, da geht es um das Investitionsklima oder um ein erwünschtes pluralistisches Klima. Sonst wird Klima ausschließlich in negativen Argumentationszusammenhängen verwendet. Klimakleber, Klimatyrannei, Utopien unter dem Deckmantel des Klimas, Klimastrafen, ideologisierter Klimaschutz, Klimahysterie, wir kennen das alle. Die FPÖ macht Klima damit zu einem Unwort. Was ist das Bedrohungsszenario dahinter? Nicht weniger als die Wohlstandszerstörung. Der gute Gegensatz ist der Umweltschutz. Klimaschutz versus Umweltschutz, wobei Umweltschutz nicht näher beschrieben ist.
Es ist also eine einfache Sprache, eine einfache Sprache, die einfache Formeln bringt und hiermit eine vermeintliche Ordnung in einer instabilen und sehr komplexen Welt schafft. Das mag verlockend erscheinen. Noch verlockender ist es, weil Ängste angesprochen werden, wie Ruth Wodak und Walter Oetsch in ihrem Standardbeitrag schreiben. Damit wird eine rückwärtsgewandte und von Fakten befreite Politik legitimiert. Es ist nun Aufgabe der Wissenschaft − und wir machen es uns zur Aufgabe − diesen fantastischen Lügengebilden zu begegnen, und zwar mit Fakten, mit Fakten zu begegnen. Die Bedrohung einer faktenbefreiten FPÖ-Politik ist real. Ein reales Bedrohungsszenario. Es steht nichts weniger als das Überleben der Menschen auf diesem Planeten auf dem Spiel.
Biologe Gottfried Roithinger über moralische und politische Fehler der FPÖ
Ich komme aus unserer biodiversen Landwirtschaft im Mühlviertel. Wir arbeiten dort für eine Landschaft und einen Lebensraum, der artenreich ist, der gut strukturiert ist, der schön ist, der erlebnisreich ist, der resilient ist gegenüber Veränderungen, der auch Sicherheit bietet, Sicherheit gegen Hochwässer etwa. Das ist ein neues Programm, ein österreichweites Programm und dieses Programm gäbe es nicht, wäre die FPÖ an der Macht. Das wäre ein Fehler und darum bin ich auch hier, weil die FPÖ macht viele Fehler, viele schwere Fehler, auf die ich aufmerksam machen möchte.
Schon im Vorjahr konfrontierte das Profil die FPÖ mit fünf Falschbehauptungen, fünf Fehler während eines Kickl- Sommergesprächs nach einem intensiven Faktencheck: Gerichtsakten wurden geprüft, Expertinnen befragt, der aktuelle Wissensstand evaluiert. Der FPÖ war es nicht zu blöd, der Redaktion auszurichten, sie mögen doch ihren Recherchehorizont erweitern. Für mich ein Charakterfehler und ein klares Zeichen für Medienfeindlichkeit.
In diesem besagten Sommergespräch hat Kickl behauptet, der Weltklimarat sei eine Glaubenskongregation, der keine sicheren, fundierten wissenschaftlichen Aussagen machen könnte. Das Gegenteil ist der Fall. Es gibt nichts, was noch wissenschaftlicher ist und noch fundierter. Etwa auf 10.000 Seiten hat der Weltklimarat 230.000 aktuelle Studien analysiert. 800 Expertinnen und Experten im Kernteam, nur im Kernteam, haben das zusammengefasst. Das als unwissenschaftlich zu bezeichnen, ist ein schwerer Fehler, ein schwerer sachlicher Fehler, so etwa wie wenn man behaupten würde, die Evolution gibt es nicht oder die Erde ist eine Scheibe. Das ist ein klarer Fall von Wissenschaftsfeindlichkeit.
Und es kommt noch schlimmer. Es gibt eine umfassende Analyse der Medienberichterstattung über den Klimanotstand, über die Klimakrise und wer fällt auf? Die FPÖ! Die einzige Partei, die dreimal die Klimakrise geleugnet hat. Für den Umweltsprecher der FPÖ, den Herrn Rauch, sind alle Klimaschutzmaßnahmen Ausdruck eines Klimawahns. Das Klimaleugnen hat in der FPÖ eine lange Tradition. Schon 2019 hat die „Zeit“ geschrieben, dass es nur die rechtspopulistische FPÖ war, die gegen einen Beschluss im Parlament für die Erklärung des Klimanotstand gestimmt hat, und das damit begründet hat – wieder der FPÖ-Umweltsprecher Rauch – es sei nur ein „Versuch, Klimahysterie abseits von jeglichen Realitäten“ zu erzeugen. Also für die FPÖ ist die Klimakrise eine Wahnidee und eine Hysterie. Das ist ein völliger Wahnsinn. Verleugnen ist aber einfacher als zu verändern. Das ist ein schwerer Fehler und ein gefährlicher Fehler, denn wer die Klimakrise leugnet, der wird auch keine Maßnahmen setzen. Entweder im Hochwasserschutz, wir haben es gehört, Flüsse renaturieren oder Feuchtgebiete wieder zu vernässen.
Als im Vorjahr Starkregen und Hochwässer im Süden Österreichs, in der Steiermark und in Kärnten die Menschen heimsuchten, war es der FPÖ nicht zu blöd, eine Aussendung zu machen und darauf hinzuweisen, dass der Klimawandel nicht von Menschen gemacht sei, sondern natürlich. Am gleichen Tag, am 6. August, hat der ORF ein Todesopfer und enorme Schäden vermeldet. Und während eben die Steirinnen und Kärntner gegen dieses Hochwasser kämpften und den Starkregen und ihre Folgen, postete der FPÖ-Abgeordnete Harald Vilimsky einen gelben Regenmantel und empfiehlt diesen als Hitzeschutzmantel für den Sommer 2023.
Der nächste moralische und charakterliche Fehler ist, dass die FPÖ ein Hampelmann der Öllobbyisten und Multis ist. Es gibt, und das hat der Standard kürzlich aufgedeckt, enge Bande zwischen dem US-amerikanischen Institut „Heartland“ und der FPÖ. Vilimsky feiert nicht nur mit dieser dubiosen Öllobby-Organisation, nein, er öffnet ihr auch noch die Türen ins EU-Parlament. Zitat: „Vilimsky und das Heartland Institute haben zusammengearbeitet, um dem Klima-Alarmismus und der unsinnigen grünen Energiepolitik in Europa entgegenzuwirken“, brüstet sich das Heartland Institute. Dieses Institut hat schon sehr erfolgreich für einen Tabakkonzern die Folgen des Rauchens vernebelt.
Und dann ist dann noch der russische Gaskonzern. Weil sich Österreich vom russischen Gas in besonderem Maße abhängig gemacht hat, hat der britische „Economist“ Österreich auf die Liste der Idioten von Putin gesetzt. Gleich hinter Ungarn. Die FPÖ mit ihren freundschaftlichen Beziehungen zur Einheitspartei, zur Kreml-Partei „Einiges Russland“, will an diesem riskanten Fehler unbedingt festhalten. Kickl hat das mehrmals betont.
Diese FPÖ macht Fehler, sie macht schwere Fehler. Für mich heißt FPÖ „Fehlerpartei Österreichs“. Und sie ist auch die fahrlässigste Partei, denn sie müsste es besser wissen. Es wäre also ein Fehler, einer Partei die Macht anzuvertrauen, die schon jetzt so schwere Fehler macht. Vielen Dank.
Martin Puntigam: Wer von vernünftigen FPÖ-Politiker:innen redet, träumt von warmen Eislutschern.
Dass wir heute über die Klimawandelleugnerei und Demokratie- und Wissenschaftsfeindlichkeit der FPÖ sprechen, ist natürlich ein bisschen Eulen nach Athen zu tragen. FPÖler wird man ja nicht, weil man ein moderner, aufgeklärter und an Demokratie und Gerechtigkeit interessierter Menschenfreund ist, sondern im Gegenteil. Solche Parteien sind ja nicht dafür da, um zum gesellschaftspolitischen Fortschritt irgendetwas Sinnvolles beizutragen.
Aber am Sonntag wird der Nationalrat gewählt und wir befinden uns mitten in der Klimakrise, und nachdem aktuell in der öffentlichen Diskussion teilweise so getan wird, als sei eigentlich nicht groß was dabei, wenn solche Parteien in Regierungsverantwortung kommen, als müsse man sich in einer Demokratie eben damit abfinden, dass auch rechtsradikale Gesetze maßgeblich mitgestalten. Nachdem teilweise nicht nur im Boulevard so getan wird, sondern auch in sogenannten Qualitätsmedien, lohnt sich doch ein weiterer Blick darauf, was wir da eigentlich bekommen, wenn man solche Parteien wie die FPÖ wählt.
Und dieser Tage wird sehr gern Bert Brecht zitiert, wenn rechtsextreme Parteien bei Wahlen Erfolge feiern, und das ihm zugeschriebene Zitat lautet: „Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber!“ Das klingt griffig, das kann man gut posten und es reimt sich sogar, passt also zur FPÖ, aber abgesehen davon, dass es zu kurz greift, weil natürlich wählen nicht nur dumme und arglose Menschen rechtsradikale Politiker und Politikerinnen, sondern auch schlaue, gut ausgebildete Arschlöcher tun das. Abgesehen davon ist es auch nicht richtig. Dem Vernehmern nach hat Bert Brecht sowas nie gesagt oder geschrieben, das kann man leicht herausfinden, wenn man will, und muss nicht wider besseres Wissen Unsinn verbreiten.
Aber Unsinn verbreiten, Sachen sagen die so nicht stimmen, seine Ignoranz vor sich hertragen, das passt ganz ausgezeichnet zum Protest gegen eine Partei wie die FPÖ. Wie die Wahlen ausgehen werden, kann niemand genau sagen, aber was bereits feststeht, ist, wer verbindlich will, dass es danach schlechter wird, muss FPÖ wählen.
Denn selbst Rechtsextreme profitieren immer wieder von der offenen Gesellschaft, die sie so sehr bekämpfen und verachten: Solche Typen wie Manfred Heimbuchner wären unter Umständen gar nicht mehr am Leben, wenn man ihn damals mit Ivermectin, dem Pferdeentwurmungsmittel behandelt hätte, das sein Chef so sehr schätzt. Und auch von solchen wie Udo Landbauer hätten wir gar keine Kenntnis, wenn solche wie Udo Landbauer schon vor ein paar Jahrzehnten an der Macht gewesen wären.
Herrenmenschentum ist ein aus der Mode gekommener Begriff, mit dem man ganz gut beschreiben kann, was solche Typen antreibt. Wollte man seinen Kindern allerdings erklären, worum es sich dabei dreht, man hätte es nicht leicht, außer man wirft einen Blick aktuell nach Niederösterreich, das kann helfen, dann versteht man sofort: Dort haben sich unlängst Herrenmenschen mithilfe einer sogenannten Bezahlkarte ihre Untermenschen einfach definiert.
Dass der Innenminister sofort versucht hat, seine Landsleute an Niederträchtigkeit zu übertrumpfen, macht die Sache nicht besser und ist leider bezeichnend. Denn Regierungsbeteiligungen der Rechtsradikalen im Parlament gibt es in Österreich erst seitdem die ÖVP unter Wolfgang Schüssel ihnen den Weg geebnet hat. Und man muss natürlich auch sagen, nicht alle in der Volkspartei schwärmen für eine Koalition mit der FPÖ, aber es sind viele und es mag sein, dass sie tatsächlich selber glauben, sie wären die politische Mitte, so wie früher. Aber wenn das halt noch stimmen sollte, dann nur deshalb, weil weite Teile der Volkspartei heute so rechts sind, wie es die FPÖ Ende des letzten Jahrtausends war und die FPÖ mittlerweile dem VDU ähnelt, dem „Verband der Unabhängigen“, aus dem sie auch hervorgegangen ist, einem Sammelbecken unbelehrbarer Nazis nach dem Krieg, die man auch mit viel Mühe in keiner demokratischen Partei untergebracht hat.
Um sich als Herrenmenschen zu fühlen und zu benehmen, muss man übrigens nicht viel können. Man erhöht sich, indem man andere erniedrigt. Am besten die Schwächsten einer Gesellschaft, die eigentlich Hilfe bräuchten. Das geht am einfachsten, damit verprellt man auch keine Wähler und Wählerinnen. Mehr muss man eigentlich nicht können. Das reicht, wenn man die Macht hat, so was durchzusetzen und diese Macht kann man in einer Demokratie auch in Österreich bei Wahlen mittlerweile bekommen.
„Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihren Schlächter selber.“ Das Zitat ist auch da noch nicht ganz richtig, wenn man dem Adjektiv Nachdruck verleiht und Bert Brecht weglässt. Aber warum wählen Menschen rechtsradikale Parteien, wenn man doch weiß, dass es danach schlechter wird?
An Jörg Haider haben angeblich viele den Unterhaltungswert geschätzt und mag sein, dass solche wie er lustiger waren als seriöse Politiker und Politikerinnen. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass rechte Parteien vor allem eines sind: Sie sind sauteuer! Allein in Graz könnten in den letzten Jahren knapp zwei Millionen an Klub-Geldern veruntreut worden sein, und fragen Sie jemanden, der beim nächsten Hochwasser sein Haus verloren hat, was er lieber mit zwei Millionen machen würde: ein neues Haus bauen oder die Millionen in freiheitlichen Klubs versickern lassen.
Jörg Haider war, wenn man ihn wirklich jemals unterhaltsam gefunden hat, diesbezüglich vermutlich die teuerste Mitternachtseinlage der Zweiten Republik. Wie er mit Kärnten fertig war, war das Land bekanntlich pleite, und dass nur 9 Milliarden Schaden aus dem Hypo-Alpe-Adria-Desaster geblieben sind, ist dem Einsatz der restlichen Republik zu danken. Der Verlust hätte nämlich auch deutlich höher sein können.
Vielleicht wählen aber Menschen rechte Parteien auch deshalb, weil sie ihnen die Erfüllung ihrer Sehnsucht nach Beteiligung versprechen. „Ihr seid der Chef, ich euer Werkzeug“, lässt der FPÖ-Obmann nicht ganz deutsch plakatieren. Mein Kollege Thomas Maurer, der sich in den letzten Jahren ausführlich mit dem Aufstieg der Rechten beschäftigt hat, hat sich vor Jahren in einem Programm in einem Albtraum wiedergefunden und sich selber darin als FPÖ-Sympathisant fordern lassen: „Der Österreicher hat das Recht, irgendwann in seinem Leben irgendwo von irgendwas der Chef zu sein“. Vielleicht ist es also nicht Herrenmenschentum, sondern Großmannssucht, das viele Menschen antreibt, wenn sie Parteien wie die FPÖ wählen.
„Nur die allergrößten Kälber wählen ihren Metzger selber.“ So lautet die Redensart aus dem Jahr 1874, zwar korrekt, aber wenn man Wählerinnen und Wähler von rechtsradikalen und rechtspopulistischen Parteien nur als dumm bezeichnet, macht man es sich fast genauso einfach wie diese Wählerinnen und Wähler. Längst nicht alle sind dumm, manche sind auch gemein, rücksichtslos, gierig und brutal. Manche sind einfach Rassisten, die sich austoben wollen und Gewalt für ein sinnvolles Mittel in der politischen Auseinandersetzung halten. Und manche haben vielleicht auch schlicht Angst, sorgen sich um ihre Zukunft, fürchten, abgehängt zu werden, wollen, dass eine komplizierte Welt wieder einfach wird, und wählen deshalb bei einer sogenannten Protestwahl die Partei, von der sie glauben, dass die es denen da oben ordentlich einschenken wird. Das ist verständlich, denn es gibt ja tatsächlich etliche Missstände und Ungerechtigkeiten im Land. Aber es ist vor allem leider ein fataler Irrtum. Diese Menschen werden von einer rechtsradikalen Partei in einer Regierung keine Erlösung von ihren Sorgen bekommen, sondern im Gegenteil, ihre Sorgen werden größer, ihre Zukunft schlechter.
Der englische Komiker und Autor Stuart Lee hat es am Beispiel Brexit so formuliert. „To leave Europe as a protest vote is a bit like shitting your hotel bed as a protest against bad service and then realizing you have to sleep in a shitted bed. And even if there was already some shit in the bed, you don’t fix that by doing even more shit in the already shitted bed.“
Auf die Verhältnisse der österreichischen Nationalratswahl übertragen, hieße das: Aus Protest gegen die aktuellen Zustände im Land FPÖ zu wählen, ist wie wenn man in sein Hotelbett kotet, weil man mit dem Service unzufrieden ist und dann draufkommt, dass man jetzt in einem eingeschissenen Bett schlafen muss. Und selbst wenn davor schon etwas Kacke im Bett gewesen sein sollte, man macht es nicht besser, wenn man noch einen Haufen draufsetzt. Noch leben wir in einer Demokratie und jeder und jede kann natürlich wählen, was sie wollen und wie sie möchten. Auch so, dass eine schwarz-blaue Mehrheit möglich wird. Aber man weiß davor schon, was das bedeutet. Überraschungen wird es keine geben. Es wird dadurch schlechter werden, als es momentan ist. Denn wer von vernünftigen FPÖ-Politikerinnen und Politikern redet, der träumt von heißen Eislutschern. Und das Schokoladeneis ist leider eher keine Schokolade.
Anlässlich der kommenden Nationalratswahlen und des weltweiten Klimastreiks am 20. September 2024 luden die Scientists4Future zu einer Pressekonferenz zum Thema „Nach dem Extremwetter – vor der Transformation“ im Presseclub Concordia, Wien, ein.
Während des Extremwetters der vergangenen Woche waren Meteorolog:innen und Klimawissenschaftler:innen gefragt und haben ihre Expertise eingebracht. Auch hier auf unserem Blog haben wir die Öffentlichkeit informiert. Doch wie die Charta der S4F ausführt: „Die notwendigen Wandlungsprozesse erfordern entschlossenes und unverzügliches Handeln auf der politischen, wirtschaftlichen und technischen, sozialen und kulturellen, wissenschaftlichen sowie der privaten Ebene“ – und darum muss es bei den Wahlen und danach gehen!
Ein hochrangiges Expert:innenpodium gab Auskunft über die Herausforderungen der unmittelbaren und längerfristigen Zukunft:
Welche Kosten verursacht Nichthandeln, wie teuer ist und könnte Anpassung werden, was kostet die Transformation?
Was sind die mittel- und langfristigen Folgen solcher Extremereignisse für die Gesundheit?
Was sollten wir daraus für den Ausbau von Infrastruktur lernen?
Wer wird von der heutigen Mobilitätssituation benachteiligt?
Das heutige Ausmaß des Autoverkehrs hat in einer nachhaltigen Gesellschaft keinen Platz – nicht nur, was den CO2 – Ausstoß betrifft, sondern auch wörtlich, im Sinn von Bodenverbrauch und Raumkonsum. Der Straßenausbau ist eine Klimafalle: Er fördert automobile Verhaltensmuster, die Abhängigkeiten vom fossilen System prolongieren, anstatt diese abzubauen. Dazu hat S4F ein Positionspapier erarbeitet, das wir kurz vorstellten (s. u.).
Podium:
Anna-Katharina Brenner B.A, MSc (BOKU)
OA Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Dipl.-Ing. Dr. med. Hans-Peter Hutter (Meduni Wien)
Dipl.-Ing. Dr. techn. Johannes Fiedler (FG Mobilität & Stadtplanung, S4F Österreich)
Assoz. Prof. Stefanie Peer (WU Wien)
Univ.-Prof. Dr. Sigrid Stagl (WU Wien)
Moderation: Univ.Prof. Ing. Dr.phil. Dr.h.c. Verena Winiwarter (Fachkollegium S4F Österreich)
Wir brauchen funktionsfähige, unversiegelte Böden, die in der Lage sind, Wasser zu speichern. Das haben die Starkregen in der vergangenen Woche gezeigt. Dazu bedarf es jedoch einer grundlegenden Richtungswende in der Politik. In unserer jüngst erschienen Studie (Brenner et. al., 2024) konnten wir zeigen, dass zwischen 1975 und 2020 die Bauaktivitäten in Österreich rapide zugenommen haben. Spannt mensch über Österreich ein Netz aus 1 Hektar großen Rasterzellen und betrachtet die Fläche, die in Österreich überhaupt für Siedlungszwecke zu Verfügung steht (den Dauersiedlungsraum), zeigt sich, dass im Jahr 2020 rund 40% der Rasterzellen eine Bebauung aufwiesen. Was in diesem Fall besonders problematisch ist: Mit der Bebauung in Österreich hat auch die Zersiedelung rapid zugenommen. Zersiedlung ist die räumliche Ausbreitung von Siedlungen in die Landschaft, außerhalb kompakter Siedlungsstrukturen und in geringer Dichte, insbesondere in Form von freistehenden Einfamilienhäusern, großflächigen Gewerbegebieten und Einkaufszentren. Pro Wohneinheit und Arbeitsplatz verbraucht Zersiedelung die meiste Fläche. Gleichzeitig fördert Zersiedelung die Abhängigkeit vom Auto. Die Folge ist eine weitere Versiegelung der Böden durch den Ausbau der Straßeninfrastruktur. Bislang ist diese Entwicklung weitestgehend von der Politik ignoriert worden. Für eine klimafreundliche und auch eine resilientere Zukunft braucht es Bildungs-, und Betreuungseinrichtungen, Nahversorgung, Gesundheitsversorgung, öffentliche Infrastruktur in kompakter Siedlungsform. Alltagswege können mit den ÖPNV, zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt werden. Menschen können ihren Alltag unabhängig von einem Auto gestalten. Das gibt Freiheiten zurück und schützt den Boden.
Literatur
Brenner, A.-K., Krüger, T., Haberl, H., Stöglehner, G. & Behnisch, M. Rapider Anstieg der Zersiedelung in Österreich von 1975 bis 2020. Eine räumlich explizite Analyse unter besonderer Berücksichtigung der Wohnbevölkerung. Soc. Ecol. Work. Pap. vol.198 Vienna (2024).
Berrill, P. et al. Comparing urban form influences on travel distance, car ownership, and mode choice. Transp. Res. Part Transp. Environ. 128, 104087 (2024).
OA Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Dipl.-Ing. Dr. med. Hans-Peter Hutter Meduni Wien
Die Klimakrise wird immer offensichtlicher zu einem gesundheitlichen Notfall. Alle Bevölkerungsgruppen und fast alle Ebenen der Gesundheit sind von der Klimakrise betroffen. Es gibt praktisch keinen Bereich, der davon unberührt bleibt. Die verheerenden weiträumigen Überschwemmungen und Murenabgänge nach Starkregen und heftige Sturmböen zogen eine Spur der Verwüstung nach sich, auch körperlich und mental. Ist die unmittelbare Gefahr für Leib und Leben ausgestanden und auch die öffentliche Aufmerksamkeit abgeebbt, kann die mentale Belastung danach noch lange andauern und zu erheblichen Beeinträchtigungen führen. Belegt ist ein Anstieg von posttraumatischen Belastungsstörungen u.a. mit Schlafstörungen, depressiven Symptomen und psychischem Stress in den betroffenen Gebieten. Nicht zu vernachlässigen sind auch (mittel- und langfristige) Gesundheitsrisiken aufgrund mikrobieller Verunreinigungen und Schimmelbildung sowie in Folge chemischer Verunreinigungen etwa durch eingeschwemmte Schadstoffe aus Industrie- und Kläranlagen oder kontaminierten Böden. Anpassungsmaßnahmen sind selbstverständlich sehr wichtig. Aber mit Anpassungsmaßnahmen alleine ist es nicht getan, Klimaschutz ist mittlerweile auch als Teil ärztlicher Sorgfaltspflicht zu begreifen – aus Verantwortung gegenüber der Allgemeinbevölkerung und allen im Gesundheitswesen arbeitenden Personen.
Literatur
Alderman K, Turner LR, Tong S. Floods and human health: a systematic review. Environment international. 2012;47: 37-47. Bartholdson S, von Schreeb J. Natural Disasters and Injuries: What Does a Surgeon Need to Know? Curr Trauma Rep. 2018;4:103-108. Bloom E, Grimsley LF, Pehrson C, Lewis J, Larsson L. Molds and mycotoxins in dust from water-damaged homes in New Orleans after hurricane Katrina. Indoor Air. 2009;19: 153-158. Chung MC, Jalal S, Khan NU. Posttraumatic stress symptoms, co-morbid psychiatric symptoms and distorted cognitions among flood victims of different ages. Journal of mental health. 2017;26: 204- 211. Fisk WJ, Eliseeva EA, Mendell MJ. Association of residential dampness and mold with respiratory tract infections and bronchitis: a meta-analysis. Environmental Health: A Global Access Science Source. 2010;9:72 Kõlves K, Kõlves KE, De Leo D. Natural disasters and suicidal behaviours: a systematic literature review. Journal of affective disorders. 2013; 46(1): 1-14. Liang SY, Messenger N. Infectious diseases after hydrologic disasters. Emergency Medicine Clinics. 2018;36(4): 835-851. Mendell MJ, Kumagai K. Observation-based metrics for residential dampness and mold with dose- response relationships to health: A review. Indoor Air. 2017;27: 506-517. Robin C, Beck C, Armstrong B, Waite TD, Rubin GJ, Oliver I. Impact of flooding on health-related quality of life in England: results from the National Study of Flooding and Health. Eur J Public Health. 2020;30:942–948.World Health Organization (2018): Chemical releases caused by natural hazard events and disasters – information for public health authorities. https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/272390/9789241513395-eng.pdf
Assoz. Prof. Stefanie Peer WU Wien
Versiegelte Flächen verstärken die Auswirkungen von Extremwetterereignissen wie Starkregen und Hitzewellen erheblich. Ein beträchtlicher Anteil dieser versiegelten Flächen entfällt auf die Verkehrsinfrastruktur. 30 % der von Menschen genutzten Flächen in Österreich (abseits von Land- und Forstwirtschaft) entfallen auf die Verkehrsinfrastruktur (fast ausschließlich den Straßenverkehr), wovon drei Viertel versiegelt sind. Nach wie vor dominiert die Tendenz, steigenden Verkehrsbelastungen — vor allem infolge von Zersiedelung — durch weiteren Ausbau und Neubau von Straßen zu begegnen. Diese Lösung erweist sich jedoch mittel- und langfristig als ineffektiv. So kehren meist innerhalb weniger Jahre nach einer Erweiterung des Straßennetzes die Zeitverluste durch Staus auf das ursprüngliche Niveau zurück, da der Ausbau die Autonutzung attraktiver macht und die Zersiedelung weiter vorantreibt („induzierter Verkehr“). Um diesen Teufelskreis (*) zu durchbrechen, sind schlagkräftigere Raumplanungsgesetze und eine effektivere Nutzung bestehender Planungsinstrumente erforderlich. Gleichzeitig sind Maßnahmenbündel notwendig, die den Besitz und die Nutzung von Privatautos weniger attraktiv gestalten, während sie alternative Mobilitätsformen attraktiver machen.
* Im Englischen: „“law of congestion” by Downs (1962), a “vicious cycle” of increased congestion by Newman and Kenworthy (1999), a ‘black hole of highway investment’ by Plane (1986), ‘induced demand’ by Cervero (2003), the mass transit death spiral by Sterman (2000), or the system of automobility by Urry (2004)“ (Pokharel et al., 2023)
Literatur
Khalaj, F., Pojani, D., Sipe, N., & Corcoran, J. (2020). Why are cities removing their freeways? A systematic review of the literature. Transport reviews, 40(5), 557-580. Pokharel, R., Miller, E. J., & Chapple, K. (2023). Modeling car dependency and policies towards sustainable mobility: a system dynamics approach. Transportation research part D: transport and environment, 125, 103978. ÖROK (2022). Flächeninanspruchnahme und Versiegelung in Österreich (2022). https://www.oerok.gv.at/raum/daten-und-grundlagen/ergebnisse-oesterreich-2022 Volker, J., & Handy, S. L. (2021). The Induced Travel Calculator and Its Applications.
Podium
Anna-Katharina Brenner B.A, MSc forscht zu Siedlungsstruktur und Nachhaltigkeitstransformation. In Kürze schließt sie ihr Doktorat am Institut für Soziale Ökologie, BOKU University, ab. Sie ist am Leibniz Institut für ökologische Raumentwicklung in Dresden tätig.
Dipl.-Ing. Dr. techn. Johannes Fiedler ist Architekt und Stadtplaner. Architekturbüro fiedler.tornquist (Graz); 2014-2017 Forschungsbeauftragter bei Doppelmayr Urban Solutions; 2008-2011 städtebaulicher Berater Wien 3420 AG, Seestadt Aspern; Lehre: Professur Städtebau TU Braunschweig (2010-2012), Gastprofessur EiABC Addis Abeba (2013), Lehraufträge TU Wien, TU Graz, KFUni Graz, TU Berlin; 1988 – 2011 Beratungstätigkeit Städtebau und Regionalentwicklung in Afrika und Nahost im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit der österreichischen Bundesregierung und der Europäischen Kommission.
OA Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Dipl.-Ing. Dr. med. Hans-Peter Hutter: Doppelstudium „Landschaftsökologie und Landschaftsgestaltung“ an der Universität für Bodenkultur sowie „Medizin“ an der Universität Wien. Mehrjährige Tätigkeit als Physikatsarzt im Öffentlichen Gesundheitswesen in Wien, Leitung der Umweltmedizinischen Ambulanz der Stadt Wien. Seit 2000 Facharzt für Hygiene und Mikrobiologie mit Schwerpunkt Umweltmedizin am Department für Umwelthygiene und Umweltmedizin (Zentrum für Public Health, MedUni Wien)., seit 2015 stellvertretender Leiter. Gründer der „Doctors For Future – Austria“
Assoz. Prof. Stefanie Peer ist Associate Professorin am Institut für Räumliche und Sozioökonomische Transformationen (ISSET) der Wirtschaftsuniversität Wien und leitet das Forschungsinstitut für Raum- und Immobilienwirtschaft. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf Nachhaltigkeitsthemen im Bereich Mobilität. Im Rahmen des Zweiten Österreichischen Sachstandsberichts zum Klimawandel (AAR2) koordiniert sie die Kapitel zu Personen- und Güterverkehr sowie Transportinfrastruktur.
Univ.-Prof. Dr. Sigrid Stagl (WU Wien) Professorin für Umweltökonomie am Department Sozioökonomie an der WU, forscht zu nachhaltigen Energie- und Nahrungssystemen.
Die Urlaubsreisezeit ist soeben zu Ende gegangen. Die Menschen waren wieder massenhaft auf Autobahnen und Schnellstraßen unterwegs, und die Flughäfen waren voll. Wieder gab es Temperaturrekorde, Waldbrände, Unwetter, Hangrutschungen und Überflutungen – und jetzt die Flutkatastrophe in Ost- und Mitteleuropa! Der Zusammenhang zwischen diesen Phänomenen und den gängigen Mobilitätsmustern wird verdrängt.
Österreicher und Österreicherinnen unternehmen zwei Drittel aller Urlaubsreisen mit dem Auto, weitere rund 15% entfallen auf Flugreisen1 somit sind mindestens 80% aller Urlaubsfahrten klimaschädlich. Auf dem Weg zu einem klimaverträglichen Urlaubsverkehr muss mit einigen Stereotypen aufgeräumt werden. Dazu gehört die Vorstellung, dass für eine reibungslose Abwicklung des Durchzugsverkehrs das hochrangige Straßennetz weiter ausgebaut werden muss, um „die Menschen zu entlasten“ – wie etwa der wahlkämpfende Bundeskanzler kürzlich argumentierte.2
In diesem Denkmuster bleibt die Strukturwirkung von Schnellstraßen und Autobahnen unbeachtet. Diese tragen nicht nur mit Flächenverbrauch und Versiegelung zur lokalen Erhitzung bei − sie generieren Strukturen, die auch abseits des Reiseverkehrs automobile Verhaltensmuster unterstützen. An sie lagern sich Fachmärkte, Büro- und Gewerbeparks an, und es entstehen Ziele und Relationen, die nur mit dem Auto funktionieren.
In der Folge sind es die genannten, vermeintlich „entlasteten“ Menschen in den Dörfern und Städten selbst, die im Windschatten des Durchzugsverkehrs auf den Schnellstraßen zur Arbeit und zum Shoppingcenter fahren und dabei übers Jahr ein Vielfaches jenes Verkehrsaufkommens erzeugen, das der Urlaubsreiseverkehr mit sich bringt. Die politische Argumentation mit dem Durchzugsverkehr ist also eine Täuschung, ein Vorwand, um das automobile Gesellschaftsmodell abzusichern.
Durch das langlebige Angebot und wegen der großen Mengen an Kapital, das in diesen autogerechten Bauten und Anlagen steckt, kommt es zu Lock-In-Effekten. Die notwendige Verhaltensänderung, wie sie die Klimakatastrophe erfordert, wird alltagspraktisch, politisch und ökonomisch gehemmt. Das Mobilitätsverhalten wird faktisch einzementiert, die Gesellschaft bleibt im automobilen System eingeschlossen.
Wer in dieser Situation einen weiteren Ausbau des hochrangigen Straßennetzes fordert, gießt buchstäblich Öl ins Feuer, heizt den unheilvollen Teufelskreis aus Straßenangebot und Autoverkehrsnachfrage weiter an. Will man hingegen eine entgegengesetzte Wirkungsspirale zugunsten der klimagerechten Mobilität in Gang setzen, genügt es nicht, Quartiere in Städten und Dörfern vom Autoverkehr zu entlasten – man muss beim hochrangigen Straßennetz ansetzen: kein weitere Ausbauten, klimagerechter Umbau, Rückbau…
Zurück zum Reiseverkehr: In einem künftigen klimagerechten Verkehrsnetz sind alle europäischen Destinationen gut mit der Bahn erreichbar, es gibt ein durchgängiges Buchungssystem für alle Verkehrsmittel und Destinationen, ausgebaute Angebote des Haus-zu-Haus-Gepäcksservices, Möglichkeiten der Mitnahme von Fahrrädern und E-Kfz, sowie flächendeckende öffentliche Verkehrsmittel für die Last Mile.
Jedenfalls sind große Investitionen in den öffentlichen Nah- und Fernverkehr notwendig – aber nicht zusätzlich zum Ausbau des Straßennetzes, sondern stattdessen.
Statistics Austria 2022: Kfz 63,5%, Flug 14,5 % https://www.statistik.at/fileadmin/user_upload/SB_3-4_Urlaubs-und-Geschaeftsreisen-2022.pdf. ↩︎
In den letzten beiden Jahren sind die Treibhausgasemissionen Österreichs deutlich gesunken. 2022 um 5.5 Prozent, 2023 um 6,4 Prozent.
Das Wegener Institut an der Uni Graz hat diese Entwicklung untersucht. Aus der Analyse lässt sich ablesen, dass die Reduktionen zu einem nicht unbeträchtlichen Teil äußeren Einflüssen zu verdanken sind, vor allem den gestiegenen Energiepreisen infolge des Ukrainekriegs. Dazu kamen Faktoren wie ein milder Winter, ein Jahr wirtschaftlicher Flaute oder die Reduktion des Dieselexports im Tank. Also nicht Faktoren, die sich durch Politik wesentlich beeinflussen lassen.
In absoluten Zahlen betrug der Ausstoß im letzten Jahr 68,2 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Internationale Klimaabkommen haben als Referenz für ihre Zielvorgaben das Emissionsniveau von 1990. Das waren damals 79.05 Millionen Tonnen. Noch 2019 lagen wir mit fast 80 Millionen Tonnen über diesem Wert. Im Pandemiejahr 2020 sanken die Emissionen aufgrund der pandemiebedingt geringeren Wirtschaftstätigkeit, stiegen aber 2021 wieder und sanken erst 2022 deutlich unter den Referenzwert von 1990. Im letzten Jahr lagen sie dann um fast 14 Prozent darunter. „Österreich weiterhin auf dem Zielpfad“ hieß es auf der Homepage des Klimaschutzministeriums schon im März, nach den ersten Schätzungen des Umweltbundesamts.
Wie sind nun diese Reduktionen zustandegekommen? Ein Team von Forscher:innen der Universität Graz unter der Leitung von Prof. Karl Steininger hat analysiert, worin diese Reduktion begründet liegt.1
Fortschritte im Gebäudesektor
Die größten Fortschritte wurden im Gebäudesektor gemacht. Hier sind die Emissionen um 50 Prozent niedriger als 1990 (in den anderen Sektoren um 6 Prozent).
Im Jahr 2022 sanken die Gebäudeemissionen um 17 Prozent. Davon sind 7 Prozentpunkte auf einen besonders milden Winter zurückzuführen, 4 Prozentpunkt auf Maßnahmen infolge des Ukrainekriegs – Temperaturabsenkungen in öffentlichen Gebäuden und Reduktionen der Gasnachfrage auch in privaten Haushalten. 6 Prozentpunkte, also etwas mehr als ein Drittel der Reduktion, gehen auf den gestiegenen Anteil von erneuerbaren Energien zurück.
Im Jahr 2023 sanken die Gebäudeemissionen um weitere 20,2 Prozent. Davon verdanken sich nur 0.7 Prozentpunkte dem milden Winter. Der Großteil der Reduktionen, nämlich 17 Prozentpunkte, ist dem größeren Anteil an erneuerbaren Energien zu verdanken. Den Anstieg der Erneuerbaren führen die Forscher:innen zu fast zwei Dritteln auf die gestiegenen Energiepreise infolge des Ukrainekriegs zurück.
In den anderen Sektoren sanken die Emissionen 2022 um 4,5 Prozent. Zu einem Viertel geht dieser Rückgang auf den Einsatz erneuerbarer Energien zurück. Den größten Anteil haben stark erhöhte Preise für fossile Energie, die zu einer geringeren Nachfrage führen. Zu etwas mehr als einem Viertel trug ein Rückgang der Verkehrsemissionen um 4,5 Prozent bei. Doch dieser Rückgang ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass die Dieselpreise zwischen Österreich und dem Ausland sich in etwa angeglichen haben, und die Schwerlaster deshalb nicht mehr in Österreich noch einmal volltanken, bevor sie über die Grenze fahren. Dieser „Dieselexport im Tank“ musste den österreichischen Verkehrsemissionen zugerechnet werden. Der Rückgang der Verkehrsemisisonen ist also hauptsächlich auf diesen Buchungsvorteil zurückzuführen. Der Rückgang der Emissionen wäre größer ausgefallen, wenn nicht eine relativ starke Konjunktur die Emissionen um 1,73 Punkte hochgetrieben hätte.
2023 sanken die Emissionen im Nicht-Gebäude-Bereich um rund 3 Millionen Tonnen, das sind 4,9 Prozent. Davon gehen 0,86 Prozentpunkte auf eine schwache Entwicklung des BIP zurück. Zum größeren Teil geht dieser Rückgang auf das Anwachsen der erneuerbaren Enegien um 15 Prozent zurück. Der Umstieg auf Erneuerbare wurde wieder durch gestiegene Energiepreise angetrieben.
„Darüber hinaus“, schreiben die Forschenden, „war somit zudem das Bündel an weiteren Maßnahmen für die Emissionsreduktion grundlegend, von Energiesparinitiativen in der Energiekrise, über Gebäude-Sanierungsprogramme bis zu Initiativen im öffentlichen und Radverkehr.“
Konsumbasierte Emissionen
Die konsumbasierten Emissionen Österreichs lagen zuletzt um 50 Prozent über den produktionsbasierten. Konsumbasierte Emissionen werden berechnet, indem die von exportierten Gütern verursachten Emissionen und die von importierten Gütern verursachten gegeneinander aufgerechnet werden. Dafür werden konsistente Außenhandelsdaten über alle Länder benötigt, und diese sind immer erst mit einigen Jahren Verzögerung verfügbar. Für jene Jahre wo Daten vorliegen, hat sich für Österreich gezeigt, dass der Überhang an konsumbasierten Emissionen über produktionsbasierte recht konstant war. Daraus ließe sich ableiten, dass auch die konsumbasierten Emissionen ziemlich parallel gesunken sind.
Erfolg der Klimapolitik?
Aus der Analyse des Grazer Wegener Instituts lässt sich ablesen, dass die Reduktionen zu einem nicht unbeträchtlichen Teil äußeren Einflüssen zu verdanken sind, vor allem den gestiegenen Energiepreisen infolge des Ukrainekriegs. Dazu kamen Faktoren wie ein milder Winter, ein Jahr wirtschaftlicher Flaute oder die Reduktion des Dieselexports im Tank. Also nicht Faktoren, die sich durch Politik wesentlich beeinflussen lassen.
Positiv wirkten sich sicherlich aus die CO2-Bepreisung mit Klimabonus (obwohl sie bei Weitem nicht die wahren Schäden durch Treibhasgasemissionen abdeckt), die (ebenfalls bescheidene) Flugticketabgabe. und das Klimaticket. Richtig war es auch, dass die Regierung auf den Anstieg der Energiepreise nicht, wie es vielfach gefordert wurde, mit einer Subventionierung der Energiepreise, sondern mit Förderungen für die Haushalte reagiert hat. Auch dass die Regierung die Mineralölsteuer nicht, wie es ebenfalls gefordert wurde, gesenkt hat, hat zum Rückgang des erwähnten „Dieselexports im Tank“ beigetragen. Positive Beiträge kamen sicherlich auch durch Verhaltensänderungen in der Bevölkerung und durch Maßnahmen auf der Ebene von Gemeinden oder Unternehmen. Doch zu einem großen Teil ist der Rückgang der Emissionen nicht positiven Anstrengungen, sondern krisenhaften Entwicklungen zu danken.
Und was weiterhin vor allem fehlt, ist ein Klimaschutzgesetz, das einen klaren Reduktionspfad bis zum Zieljahr 2040 festlegt. Um die Klimaneutralität bis zum Jahr 2040 zu erreichen, müssen wir bis 2030 jedes Jahr rund 4,5 Millionen Tonnen CO2e einsparen und von 2030 bis 2040 jährlich 3,5 Millionen Tonnen. Das können wir nicht erreichen, indem wir uns auf äußere Einflüsse verlassen.
Zu denken gibt auch, dass wir mit 6,88 Tonnen energiebedingter CO2-Emissionen pro Kopf und Jahr um die Hälfte höher liegen als Ländern wie Großbritannien, Frankreich oder die Schweiz.
Auch wenn wir mit den Reduktionen der letzten beiden Jahre zahlenmäßig „auf dem richtigen Weg“ sind, sind wir es klimapolitisch noch lange nicht.
1 Tobias Eibinger, Hans Manner, Karl W. Steininger (2024): Die Entwicklung der österreichischen Treibhausgasemissionen seit 2021 https://wegccloud.uni-graz.at/s/LoLkG7YkGoJ9ZwR
Beim Mediengespräch von Diskurs, das Wissenschaftsnetz am 17.9.2024 analysierten Prof. Reinhard Steurer, Politologe an der Boku, und Prof. Sigrid Stagl, Umweltökonomin an der Wirtschaftsuniversität, die vergangene Gesetzgebungsperiode und die Parteiprogramme der Wahlwerbenden. Vor welchen Aufgaben steht die österreichische Gesellschaft und was können wir von den einzelnen Parteien und von verschiedenen Koalitionskombinationen erwarten?
Wir geben die Beiträge in einer maschinell erstellten, aber menschlich korrigierten wörtlichen Transkription wieder.
Reinhard Steurer
Schönen guten Morgen allerseits. Zum Glück ist es ja so, dass sich die Lage jetzt schön langsam entspannt. Es war im ostösterreichischen Raum wirklich sehr große Anspannung und katastrophal für sehr viele in den letzten Tagen. Das hat auch den Inhalt unseres Gesprächs, glaube ich, ein bisschen über den Haufen geworfen. Also ursprünglich hätten wir vor allem über Koalitionsoptionen, den Ausblick und so weiter geredet und jetzt drängt sich natürlich noch mal quasi eine Katastrophe als Thema auf und ich will auch kurz was dazu sagen, was das jetzt für einen Wahlkampf und den Wahlausgang bedeuten kann. Zuvor etwas in eigener Sache. Also ich bin mittlerweile dafür bekannt, dass ich mir kein Blatt mehr vom Mund nehme, auch parteipolitische Aussagen treffe. Aber ich möchte schon betonen, dass das alles faktenbasiert ist, was ich sage. Also dass ich das mit Forschung belegen kann. Das ist also weit weg von Parteipolitik, wenn man einfach klar feststellt, dass in Österreich zwei Parteien Teil des Problems sind und drei Parteien Teil der Lösung sind.
FPÖ und ÖVP sind Teil des Problems
Und die zwei Parteien, die Teil des Problems sind, möchte ich zu Beginn nennen. Das ist zum einen die FPÖ, die das Problem insgesamt verleugnet, wissenschaftsfeindlich argumentiert und zum Teil sogar glaubt, es sei gut für uns. Das mit dem, es sei gut für uns und für den Weinbau in Oberösterreich, würden sie jetzt in diesen Tagen vermutlich nicht mehr sagen. Aber trotzdem ist mit der FPÖ keine Klimapolitik zu machen. Die zweite Partei, die Teil des Problems ist und bleibt, ist die ÖVP. Da ist die etwas näher an der Wissenschaft, aber trotzdem weit weg. Warum? Die ÖVP betont einfach in ihrer Programmatik, in der Wahlkampfrhetorik, dass wir das mit Technik und Innovation allein lösen und so gut wie kein Ordnungsrecht, keine Verbote und dergleichen brauchen werden. Es ist sozialwissenschaftlicher Konsens seit 20 Jahren und mehr, dass das nicht geht. Und wir haben es auch die letzten 20 Jahre gesehen, dass es nicht reicht. Gerade unlängst ist wieder ein Paper in Science, einer der renommiertesten Zeitschriften erschienen, in dem klargestellt worden ist, es braucht einen breiten Mix an Maßnahmen, um Ziele zu erreichen und zur Klimaneutralität zu kommen. Und da gehören auch Ge- und Verbote dazu, ob es jetzt in die Ideologie passt oder nicht. Es ist ein Faktum. So wie die Klimaerhitzung menschengemacht ein naturwissenschaftliches Faktum ist, ist das andere ein sozialwissenschaftliches Faktum. Also man kann sich das nicht aussuchen je nach Ideologie, welche Maßnahmen und Instrumente einem besser passen. Wir brauchen alles. Was dann natürlich eine politische Diskussion ist, was brauchen wir, zu welchem Zeitpunkt, in welcher Dosierung, in welcher Kalibrierung, also da ist dann natürlich viel politischer Spielraum für Diskussion und Entscheidungsfindung. Aber es ist wissenschaftlicher Konsens, dass es mit Innovation, Technik und Freiwilligkeit allein garantiert nicht gehen wird. Und da würde ich mir oft einmal wünschen, dass Journalistinnen dieses Narrativ dann entsprechend im Wahlkampf einordnen und die Argumente dann mit der Faktenlage konfrontieren.
SPÖ, GRÜNE und NEOS sind Teil der Lösung
Die drei Parteien, die Teil der Lösung sind, sind − unter den größeren wenig überraschend − die SPÖ, speziell unter dem neuen Vorsitzenden Babler und natürlich die Grünen und die Neos. Die Neos sind tatsächlich eine der wenigen, wenn nicht eine der einzigen Parteien im deutschsprachigen Raum, Mitte-Rechts, die das Problem erkannt haben, die die Dringlichkeit erkannt haben und tatsächlich auch weitreichende Vorschläge machen. Also insofern ist es eine gute Nachricht für das österreichische Parteiensystem, dass wir Mitte-rechts eine Partei haben, die das Problem tatsächlich ernst nimmt und auchernsthafte Vorschläge im Programm hat. Mit einer Einschränkung: Wenn man jetzt die Notwendigkeit einer breiten Instrumentenpalette der Programmatik der NEOS gegenüberstellt, dann sieht man, dass sie natürlich neoliberal eingefärbt sind, das heißt Marktmechanismen überbetonen und Ordnungsrecht und die Notwendigkeit dafür unterbetonen oder nur im äußersten Notfall als akzeptabel sehen. Das deckt sich nicht ganz mit der Evidenz, aber ansonsten können wir froh sein, dass wir eine Mitte-rechts-Partei haben, die das ernst nimmt und somit eine Alternative zur ÖVP darstellt.
Ein Wissenschaftler muss Stellung beziehen
Zum Beginn, ich glaube, das ist wirklich notwendig, so zu sagen. Ich hätte es vor fünf, sechs Jahren in der Deutlichkeit wahrscheinlich nicht gesagt, Bis ich dann erkannt habe, wie Schein-Klimaschutz funktioniert und die ÖVP ist dann tatsächlich die Partei des Schein-Klimaschutzes im Großen, bis ich einfach verstanden habe, dass die so tun, als ob Klimaschutz wichtig wäre und als ob man es mit Innovation und Technik allein lösen könnte, dass viele darauf reinfallen und diese Erzählung glauben. Als ich das dann durchschaut habe, habe ich mir gedacht, okay, jetzt muss ich einfach in der Hinsicht Klartext reden und diese Erzählung mit Fakten konfrontieren und sagen: So wird es nicht gehen.
Optionen für Koalitionen
Zu den Koalitionsoptionen kurz, also so, wie wir es uns vorbereitet haben, das Pressegespräch: Da ist es klar, also es gibt eine Koalitionsoption, die unwahrscheinlich ist, von der tatsächlich klimapolitische Fortschritte zu erwarten wären, das wäre SPÖ, GRÜNE, NEOS; Das zeichnet sich in den Umfragen nicht ab. Das wäre aus klimapolitischer Sicht zweifellos die Konstellation, unter der am meisten zu erwarten wäre.
Beispiele zeigen: Auch ÖVP+SPÖ+Kleinpartei hat Potential
Aber die gute Nachricht ist, auch unter einer ÖVP, SPÖ plus Kleinpartei-Koalition ist durchaus Potenzial drinnen. Da kann ich Forschungsergebnisse von uns zitieren, als wir Klimaschutzgesetze angeschaut haben und die Umstände, wie die entstanden sind. Da gibt es einen sehr interessanten Fall: Dänemark hat in den Jahren vor 2020, also in den 2010er Jahren, zwei Klimaschutzgesetze verabschiedet, unter sehr ähnlichen Koalitionsbedingungen. Eines davon war reine Symbolik, also nichts wert, und das zweite, 2019 verabschiedet, von mehr oder weniger derselben Koalition, war wirklich mit Substanz. Und das Beispiel zeigt, dass oft einmal gar nicht so sehr die Koalitionszusammensetzung ausschlaggebend ist, sondern der gesellschaftliche Diskurs, der mediale Druck, der entsteht und die zivilgesellschaftlichen Bewegungen. Damals 2019, wir erinnern uns noch lebhaft, war das Fridays for Future und auf einmal ist ein ernsthaftes Klimaschutzgesetz in Dänemark möglich gewesen Und Dänemark ist seither so sehr auf einem Pfad in Richtung Klimaneutralität wie vermutlich kein anderes Land in Europa. Trotz den Krisen, die wir alle in ähnlicher Form jetzt in den letzten Jahren erlebt haben.
Also das gibt ein bisschen Hoffnung auch für die Möglichkeit einer ÖVP-SPÖ plus Drittparteikoalition, wobei die entscheidende Frage dann sein wird, wer ist quasi vorne. Wenn die ÖVP vorne sein wird, dann wird die Drittpartei wohl die NEOS sein, weil sie der ÖVP inhaltlich näher steht. Wäre aus einer Überraschung heraus die SPÖ vorne − zeichnet sich im Moment nicht ab, aber durchaus möglich, weil die Parteien doch recht nah beieinander liegen und sich in diesen Tagen vermutlich noch ein bisschen was verschieben wird − dann wären die Grünen wahrscheinlich der nähere Koalitionspartner. Ich gehe davon aus, dass die Partei, die am stärksten ist, mehr zu sagen hat bei der Zusammensetzung der Koalition. Also insofern entscheidet sich die dritte Partei in dem Bunde vermutlich sehr stark daran, wer die Wahl am deutlichsten gewinnt. Im Moment, glaube ich, ist es am wahrscheinlichsten ÖVP-SPÖ.
ÖVP+FPÖ würde klimapolitischen Stillstand oder Rückschritt bedeuten
Außer, und das ist jetzt eine wichtige Einschränkung, außer die ÖVP schafft es mit der FPÖ doch über 50 Prozent zu bleiben − durchaus noch im Bereich des Möglichen laut Umfragen. Auch wenn es jetzt dann, wie es ist, nach der Katastrophe unwahrscheinlicher wird, dann können wir uns auf klimapolitischen Stillstand oder Rückschritte vorbereiten. Also, dass Klimaziele mit so einer Regierung zu erreichen wären, ich glaube, der Illusion gibt sich eh niemand hin. Da werden wir halt dann Strafzahlungen kriegen und die werden wir alle aus dem Haushalt bezahlen. Wobei noch nicht ganz klar ist, wie hoch die werden und wie man die dann genau bestreiten würde. Aber das würde ganz sicher teurer.
Die Hochwasserkatastrophe verändert die Situation
Jetzt zum aktuelleren Teil. Ich glaube, dass die Hochwasserkatastrophe das Ganze nochmal doch aufmischen kann. Schauen wir uns an, wie der Wahlkampf bisher verlaufen ist und auch die öffentlichen Wahldiskussionen. Klima hat keine Rolle gespielt de facto. In den Sommergesprächen keine, in den Wahldiskussionen, auch sehr eingeschränkt. Das hat sich jetzt seit Sonntag schlagartig verändert. Ist ein gewisses Medienversagen leider, eine rationale Diskussion bei so einer Wahl wäre immer auch eine Klimadiskussion. Jede Wahl ist eine Klimawahl, ob es uns passt oder nicht, weil einfach das Zeitfenster, das wir haben, unter zwei Grad zu bleiben, verdammt kurz ist, kleiner wird mit jedem Jahr und insofern, ob sonst passt oder nicht, ist jede Wahl eine Klimawahl. Jetzt haben sie die Ereignisse sozusagen in den Vordergrund geschoben und die ganze Wahlkampf-Erzählung wird auf den Kopf gestellt. Was jetzt kommt, ist natürlich Spekulation: Was kann das verschieben, was tut das mit der Wahlkampfrhetorik und den letzten Berichterstattungen. Klima wird ein dominantes Thema sein, wenn man es auch so thematisiert. Also es reicht nicht nur zu sagen, Hochwasser hat es immer gegeben und jetzt sind wir gerade wieder betroffen. Also ich glaube, es ist mittlerweile weitgehend Konsens, dass die Klimakrise da eben mitspielt, nicht allein verantwortlich ist, aber eben mitspielt. Und immer, wenn quasi Rekordmengen an Regen, an Hitze, an was auch immer passiert, dann kann man dem Hausverstand sozusagen sagen, immer wenn etwas passiert, was es noch nie gegeben hat, dann wird wahrscheinlich die Klimaerhitzung einen nicht unerheblichen Beitrag dazu leisten, weil sonst hätten wir es ja wahrscheinlich schon mal gesehen. Was wird vermutlich passieren?
Die FPÖ sollte ein paar Wähler:innen verlieren
Also ich gehe davon aus, dass natürlich die Parteien sich jetzt schwer tun, die Klima nicht hoch auf Agenda haben oder von Verleugnung des Problems leben. Der FPÖ müsste es den einen oder anderen Prozentpunkt kosten, was jetzt passiert ist, aber vermutlich nicht allzu viel. Warum? Weil ein Kernwähler der FPÖ sich dadurch nicht beeindrucken wird lassen. Also die haben ja ihre eigenen Erklärungen, wie man in den sozialen Medien nachlesen kann. Die reichen dann von Sonnenstürmen bis über Geoengineering, dass der Regen manipuliert wird mit Wolkenimpfen und so Also die Leute wird man nicht erreichen, die werden FPÖ wählen, auch wenn ihr eigenes Haus unter Wasser steht. Das ist kein österreichisches Phänomen, das war bei Trump in den USA genau dasselbe. Aber es gibt dann, wenn die FPÖ eben in den Umfragen bei 27 Prozent liegt, doch einen gewissen Teil von Wechselwählern, die vielleicht diesmal das erste Mal FPÖ gewählt haben, die zugänglich sind auch für die Faktenlage und die jetzt doch zum Nachdenken kommen. Und die dann überlegen, ist es vertretbar, quasi jemanden zu wählen, der das Problem komplett negiert und im Grunde weiter eskaliert? Also da erwarte ich schon eine kleine Verschiebung und nachdem das Rennen zwischen FPÖ, ÖVP und der SPÖ insgesamt recht knapp ist, kann sich da schon wirklich einiges tun in den nächsten zehn Tagen.
Die ÖVP sollte Wähler:innen von rechts dazu gewinnen und nach links welche verlieren
Bei der ÖVP ist es schwierig. Wäre zum einen anzunehmen, dass in Erinnerung sein sollte, dass die ÖVP gegen Renaturierung war, ein ganz wesentlicher Hochwasserschutz, gerade in der Nähe von Flussläufen, und dass sie der grünen Ministerin Verfassungsbruch und was weiß ich was alles vorgeworfen haben. Der rationale Zugang wäre eigentlich jetzt zu sagen: Vielleicht braucht man doch ein bisschen Renaturierung entlang der Flussläufe, so kriegt der Fluss mehr Platz, er kann kontrolliert sich ausbreiten und kommt weniger ins Siedlungsgebiet. Den rationalen Zugang erwarte ich nicht, denn wenn man sich irgendwie eigegraben hat politisch, dann wird man über das lieber nicht reden. Aber bei Wählerinnen kann das unter Umständen ein bisschen eine Rolle spielen und auch dort vielleicht zu Verschiebungen führen, wobei ich davon ausgehe, dass sie von der FPÖ Wähler kriegen werden und die dann eventuell an anderer Stelle wieder verlieren, an SPÖ oder NEOS/Grüne. In Summe sehe ich die ÖVP insofern eher stabil, aber die FPÖ auf der Verliererseite. Die ÖVP auch deswegen stabil, weil sie natürlich jetzt vom Krisenmanagement profitiert, das sehr gut funktioniert. Also da sieht man natürlich dann oft, dass man genau diejenigen wählt, die jetzt Macher sind, die die Krise managen sozusagen. Und insofern vermute ich bei der ÖVP jetzt keine gröberen Verschiebungen. Das ist aber wirklich Spekulation und das wäre dann interessant für die ersten Umfragen in ein paar Tagen zu sehen.
Tendenziell werden Parteien profitieren, die Klimaschutz hoch auf der Agenda haben
Tendenziell profitieren werden sicher die Parteien, die Klimaschutz hoch auf der Agenda haben, die das auch von sich aus übrigens in der einen oder anderen Wahldiskussion angesprochen haben. Also mir ist zum Beispiel beim Andreas Babler aufgefallen, dass er in den Diskussionen immer wieder die Klimakrise erwähnt hat, ohne danach gefragt worden zu sein. Vor zwei Wochen war das noch komisch, da haben wir gedacht, gut, der traut sich was, weil viele werden sich denken, der mit dem Klima wiede! Jetzt in der neuen Situation, denke ich, profitiert er davon, dass er das Thema ernst nimmt und insofern dürften die drei Parteien, die einfach näher an dem Thema dran sind, es ernst nehmen, am ehesten davon profitieren. Aber wie gesagt, wir reden da von niederstelligen Prozentbeträgen, die da vermutlich im Schwung sind.
Wie stehen die Parteien zu dem, was nach der Katastrophe zu tun ist?
In Summe zu dem, wie kann man so eine Katastrophe verhindern, da gibt es im Grunde drei Ansätze. Der eine ist Klimaschutz, Emissionen müssen runter, weil sonst geht das weiter und weiter. Dann technischer Hochwasserschutz, technische Anpassung und dann natürliche Anpassung im Sinne von Renaturierung.
Wenn man sich anschaut, wie die Parteien bei diesen drei Ansätzen aufgestellt sind, da fällt natürlich wieder auf: FPÖ katastrophal schlecht.. Vielleicht ist die ÖVP in einem dieser drei Ansätze gut, im technischen Anpassen, im Hochwasserschutz. Von der natürlichen Anpassung, sprich, der Renaturierung und so weiter, will die ÖVP schon mal nichts wissen und dann bleiben wir wieder bei den drei Parteien, die das Thema insgesamt ernst nehmen, die SPÖ, die das Renaturierungsgesetz mit den Grünen ermöglicht hat und mit den NEOS. Und insofern, wäre die Wählerschaft rational, müsste sie eigentlich sagen, die scheinen das richtige Rezept für diese Situation zu haben. Aber wie gesagt, so rational ist Politik nicht, so rational ist die Wählerschaft nicht. Und insofern wird es vermutlich nur zu kleinen Verschiebungen kommen.
Am Ende gewinnt immer die Physik
Also die Wahl ist eine Sache und dann, ob eine Koalition das Potenzial ausschöpfen kann, hängt maßgeblich davon ab, ob wir als Gesellschaft weiterhin ignorant sind, sagen, Klima interessiert mich nicht, wir haben eigentlich andere Probleme, oder ob wir mehr auf Wissenschaft hören und kapieren, okay, es ist einfach ernst, ob es uns jetzt passt oder nicht. Es ist wirklich so, dass man das Problem vermutlich nur mit viel Vernunft, Wissenschaft und langfristiger Denkweise lösen kann. Also von einer Katastrophe zur anderen funktioniert schon deswegen nicht, weil man es in drei Monaten vergessen hat. Und entweder man lernt daraus und hört mehr auf das, was Wissenschaftler schon seit Jahrzehnten sagen, oder es wird halt nie reichen. Und von einem Ereignis zum anderen aufschrecken, das macht keinen großen Unterschied. Denn, und das ist mein Schlusssatz, am Ende gewinnt immer die Physik, auch gegen die FPÖ. Aber auchwenn sie im Moment versucht, das zu verleugnen, die Realität holt uns früher oder später ein und das haben wir jetzt das Wochenende schmerzhaft gesehen.
Welche Antworten haben die Parteien auf Fragen zum Klimawandel? Hier kannst du es erfahren: klimawahlen.at
Sigrid Stagl
Schönen guten Morgen auch von meiner Seite. Ich habe ein paar Folien mitgebracht, die ich kurz teilen werde.
Zur aktuellen Situation, Sie kennen diese Abbildung vielleicht, nur um noch einmal zu zeigen, wie klar es ist, dass hier in den letzten Jahren sich freilich etwas ganz gravierend verschoben hat und wir in einem anderen Regime sind als zuvor. Jede dieser Linien steht für ein Jahr im Laufe der Monate. Die grauen Jahre sind davor und die orange Linie ist 2023, die rote Linie 2024. Das heißt, das statistische Modell, das davor gegolten hat mit Mittelwert- und Standardabweichungen, passt einfach nicht mehr zu den Beobachtungen der letzten zwei Jahre. das ist die Lufttemperatur. Wir hatten den Sommer, der war der wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. 2023 war schon das wärmste Jahr. In Österreich war dieser Sommer so warm wie noch nie. Es gab lokale Schadensfälle wie die Mure am Arlberg schon früher im Jahr und jetzt Überflutungen und Stürme im Norden und Osten Österreichs.
Das ist die Meeresoberflächentemperatur, gleiche Logik, die grauen Linien sind die Jahre davor, mit einem Mittelwert und die Standardabweichungen rundherum. Oben sind die orange Linie für 2023 und die dicke schwarze Linie ist für 2024. Und vor allem die Linien für 2023 und 2024, diese Messungen haben Naturwissenschaftler:innen seit mindestens eineinhalb Jahren jetzt wirklich große Sorgen gemacht, weil sie auch mit ihren Modellen diese starken Ausreißer nach obennicht erklären konnten. Wir haben es beobachtet, aber sie konnten es nicht erklären.
Und wie eh schon ausgeführt, weil die Meerestemperatur jetzt höher war über den Mittelmeer, deswegen konnten die Wolken mehr Feuchtigkeit transportieren und hat sich bis zu uns ausgewirkt. Aber das ist sozusagen die Beobachtung des globalen Phänomens, das dahinter liegt.
Symptombekämpfung und grundlegende Veränderung von Strukturen
Zu den Extremereignissen. Wir müssen unterscheiden zwischen Symptombekämpfung, also das, was wir tun, um uns anzupassen an eine Veränderung, die wir nicht mehr stoppen können, und Veränderung der Strukturen. Und ich finde es ganz wichtig, dass wir in dieser Diskussion jetzt, wobei jetzt natürlich das persönliche Leid im Vordergrund gestanden ist und das Verständnis dafür und die Kompensationszahlungen verständlicherweise, aber wir müssen auch mitdiskutieren immer, welche Strukturen sind zu verändern, welche Mitigationsmaßnahmen, also Reduktionsmaßnahmen der Klimagase sind jetzt mit erneuter Kraft anzugehen, um genau solche Extremereignisse in Häufigkeit und Intensität in Zukunft zumindest nicht noch stärker werden zu lassen.
Adaption der Infrastruktur
Zu Symptombekämpfung: Selbstverständlich brauchen wir eine Adaption der Infrastruktur. Das ist ja schon in den letzten 20 Jahren passiert, auch basierend auf den Erfahrungen des Hochwassers von 2002. Das passiert in Österreich, das ist gut und wichtig und richtig. Das kostet zwar, aber das ist nötig. Kompensationszahlungen, auch das ist nötig, dass Menschen, die betroffen sind, selbstverständlich Kompensationszahlungen bekommen.
Katastrophenfonds nach dem Verursacherprinzip finanzieren
Da gibt es eine interessante Diskussion, ob es dem Katastrophenfonds weiterhin auch möglich ist, die Kompensationszahlungen im adäquaten Ausmaß leisten zu können. Ich glaube, der Katastrophenfonds muss weiterhin die Leistungen für Infrastrukturen wie Straßen, Wege, Radwege, Brücken und so weiter natürlich leisten. Nur die Frage ist, kann er auch in Zukunft − vor allem mit der steigenden Häufigkeit von Extremereignissen − privates Eigentum kompensieren? Und da ist vermutlich die Antwort nein, weil das wird für den Steuerzahler zu teurer und deswegen gibt es die Diskussion über Pflichtversicherung, weil die Abdeckung durch Versicherungen, sei es Hausratsversicherung oder Eigenheimversicherung in Österreich einfach sehr schlecht ist bezüglich Überschwemmungen. Und es gibt Beispiele wie in in Frankreich oder in der Schweiz, wo es eine sehr hohe Versicherung, na, hauptsächlich in Frankreich, in der Schweiz und in den UK sind es Freiwillige, aber mit starken Nudges und starken Informationskampagnen, also die haben auch eine hohe Abdeckungsrate geschafft, aber nicht mit Pflichtversicherung, aber das sind privatwirtschaftliche Modelle dahinter. Und die Frage ist halt, ob sich das alle leisten können, die Frage ist auch, ob die Versicherbarkeit aufrechterhalten bleibt, denn normalerweise, wenn etwas zu teuer wird, wenn es zu häufig wird, steigen normalerweise private Versicherer dann aus. Was tut man mit Eigenheimen, die nicht mehr versicherbar sind? Wenn man da sehenden Auges sich dort hingesetzt hat, okay, hat man vermutlich einen günstigeren Grund bekommen. Aber was ist, wenn man dort schon seit Generationen angesiedelt ist und eigentlich aufgrund des Fehlverhaltens der Entscheidungsträger wegen schwacher Klimapolitik jetzt man mit den Schäden zu kämpfen hat? Also das ist eine Diskussion, die ongoing ist und da braucht es auch den Blick auf die internationale Erfahrung, was wo gelingt. Ich glaube, dass das britische Modell oder Schweizer Modell nicht geeignet ist, das zu kopieren, weil es zu stark marktwirtschaftlich ist und weil eben dann manche damit konfrontiert sind, dass ihre Eigenheime nicht mehr versicherbar sind. Das französische Modell ist vermutlich besser, weil es eine staatliche Rückversicherung beinhaltet.
Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass es ja auch eine Finanzierung nach dem Verursacherprinzip geben könnte, denn wenn es geklärt ist, dass die Intensität und die Häufigkeit der Extremereignisse durch die Klimagase verstärkt wird, wie es das seit dem Special Report von 2012 des Weltklimarates ist, dann könnte man es ja auch daran koppeln, dass, wenn wir mehr Schäden haben, dann müssen wir höhere CO2-Steuer beispielsweise einheben, denn das ist ja die Ursache. Also auch das fände ich eine interessante Finanzierungsform, eigentlich fairer, als über den Katastrophenfonds, denn der Katastrophenfonds wird aus Einkommenssteuer Köst und Kest gespeist und die Einkommenssteuer ist natürlich der größte Brocken. Das heißt, auch Menschen, die kein Vermögen haben, zahlen da rein. Das ist für Brücken, Straßen und Gehwege adäquat, weil die nutzen sie freilich auch. Aber wenn aus dem Katastrophen die Wiederherstellung von Privateigentum gefördert wird, dann wäre es eigentlich eine Umverteilung von denen, die kein Vermögen haben, zu denen, die Vermögen haben. Das finde ich problematisch, und dann wäre das Verursacherprinzip vermutlich eine fairere Lösung.
Veränderung von Strukturen
Aber, wie gesagt, Es geht nicht nur um die Symptombekämpfung, nicht nur um die Adaption, sondern es geht auch um die Veränderung der Strukturen. Und im ökonomischen Sinne bedeutet das, jenseits des Wachstumszwangs darüber nachzudenken, welche ökonomischen Modelle können wir haben, wenn wir nicht dem Bruttoinlandsprodukt und dem Wachstum hinterherhecheln, und wie kann man Finanzströme dekarbonisieren.
Verzögerungstaktiken
Bevor ich zu den zwei Punkten komme, möchte ich noch kurz über die Diskurse und Wahlprogramme etwas sagen. Ich weiß nicht, ob Sie die Abbildung schon kennen, das ist eine Comic-Abbildung, aber von einer ernsthaften Analyse über Klimaschutzverzögerungsdiskurse, die auch veröffentlicht wurde und im Anschluss daran ist natürlich die wissenschaftliche Referenz gegeben.
Was ich mir angeschaut habe, und vorsichtig, ich mache normalerweise keine Diskursanalysen, aber es war so naheliegend, sich anzuschauen, welche von diesen Verzögerungstaktiken denn in welchen Parteiprogrammen sich wiederfinden Und da sehen wir, dass recht viele von diesen Verzögerungstaktiken sich im Wahlprogramm der FPÖ finden. Dann andere teilweise, teilweise auch überlappend, Verzögerungstaktiken finden sich auch im Wahlprogramm der ÖVP und insofern stimme ich dem Befund von Reinhard Steurer zu, dass ÖVP und FPÖ wirklich problematische Ansätze haben bezüglich der Klimapolitik. Das einzige Problem, das ich bei den NEOS gefunden habe, ist eben, dass sie Verbote und Gebote explizit ausschließen und hauptsächlich Anreize und unterstützende Maßnahmen haben wollen. Da sind sie einfach sehr stark marktwirtschaftlich orientiert. Ich glaube nicht, dass es reichen wird, aber das ist das einzige Problem, das ich bei denen identifiziert habe.
Renaturierung und Stopp der Bodenversiegelung
Um jetzt überzugehen zu dem, was gemacht werden muss, was braucht es? Eine ambitionierte, eine adäquate Klimapolitik. Und natürlich im Zusammenhang mit diesen Extremwetterereignissen sind zwei Aspekte, die eh sehr stark diskutiert wurden, aber die von der ÖVP beispielsweise blockiert wurden oder versucht wurden zu blockieren Das ist die Renaturierungsverordnung und die Deckelung der Bodenversiegelung.
Wir haben im Februar diesen Jahres zusammen mit dem Gallup-Institut eine Umfrage gemacht unter 1.500 repräsentativen Österreichern und Österreicherinnen und haben nach der gesellschaftlichen Akzeptanz von einzelnen Klimaschutzmaßnahmen gefragt. Dazu gehören auch Renaturierungsmaßnahmen. Das ist die zweite hier, Stärkung der Ökosystemschutz. Und Sie sehen, dass die Zustimmung über 95 Prozent ist. Und auch die Obergrenze der Neuversiegelung von Böden ist das sechste hier. Auch hier sind wir über 90 Prozent in der Zustimmung. Das heißt also, die Bevölkerung hat sehr wohl erkannt, dass das wichtige Maßnahmen sind. Und natürlich, die würden jetzt auch helfen, in der Zukunft zumindest die Auswirkungen der Extremwetterereignisse zu mildern. Also das brauchen wir und es gibt breite Unterstützung in der österreichischen Bevölkerung dafür.
Entkoppelung der Klimagase vom Wirtschaftswachstum
Zu den zwei Punkten, über die ich sprechen möchte, aus wirtschaftlicher Sicht, wie kriegen wir die Klimagase runter, einerseits die Entkoppelung von Klimagasen von Wirtschaftswachstum. Da ist die Hoffnung, dass wir das schaffen und es wäre auch sehr schön, wenn wir das schaffen. Dann könnte das Bruttoinlandsprodukt weiter wachsen und wir könnten die Emissionen runterdrücken, idealerweise unter die planetaren Grenzen, weil es geht ja nicht nur darum, ob entkoppelt wurde, sondern auch in welcher Form. Es ist ja eine relative Entkoppelung. Das bedeutet, es gibt pro Einheit Bruttoinlandsprodukt weniger Emissionen Das reicht aber nicht, weil beispielsweise wenn die Emissionen pro Einheit Bruttoinlandsprodukt um 2% reduziert werden, aber das Bruttoinlandsprodukt um 3% steigt, steigen die Emissionen noch immer an. Das ist das, was wir hier unter relativer Entkoppelung sehen. Wenn es doch gelingt, die absolute Entkoppelung zu schaffen, das heißt, dass ein Pro-Einheit-Bruttoinlandsprodukt stärker ist als der Mengeneffekt des Bruttoinlandsprodukts, dann schaffen wir es runterzukommen in absoluten Einheiten. Das ist gut und richtig. Ich glaube, es reicht noch nicht einfach zu sinken, sondern es ist auch die Frage, in welchem Ausmaß sinken wir. Und bei den Emissionen ist es mittlerweile klar, wir müssen pro Jahr sieben bis zehn Prozent jedes Jahr die Emissionen runterdrücken, um innerhalb der planetaren Grenzen einigermaßen zu bleiben. Das ist eine steile Vorlage. Zuletzt wurden sechs Prozent geschafft. Das ist schon viel, viel besser als in den Jahrzehnten davor. Aber es braucht eine große Anstrengung. Das heißt, die Bedingungen, unter denen grünes Wachstum nachhaltig ist, sind sehr voraussetzungsvoll. Also die Entkoppelung von Produktion und Konsum muss absolut nicht relativ erfolgen, da sonst die gesamte Umweltschädigung weiter zunimmt. Die Entkoppelung muss sich auf alle Umweltauswirkungen beziehen, nicht nur auf CO2. Die Entkoppelung muss überall stattfinden, ob im Inland oder im Ausland. Die Entkoppelung muss schnell genug erfolgen, um einen ökologischen Kollaps zu vermeiden. Und die Entkoppelung muss über die Zeit aufrechterhalten werden.
Hier ist noch eine Abbildung, die dem Mythos widerspricht, dass in Europa, nur in Europa und in den USA Klimapolitik betrieben wird und in den anderen Weltregionen nicht. Es stimmt, dass viel zu viel investiert, das sind die Investitionen, die 2019 und 2024 getätigt werden oder wurden in Milliarden Dollar und es stimmt, dass noch viel zu viel in fossile Energie investiert wird. Aber wenn man sich anschaut, wie viel in erneuerbare Energie, in Grids, also in Infrastruktur und Speicher investiert wurde und in Energieeffizienz, dann sehen wir, dass die Umstellung, die Transformation in China schon viel weiter fortgeschritten ist als in den USA beispielsweise und in den anderen Weltregionen. Europa hat relativ wenig schon in fossile Energie investiert, sehr viel schon in Erneuerbare und in Infrastruktur und in Energieeffizienz. Aber vom Volumen her und auch vom Ausmaß der Veränderung sehen wir, dass China da wirklich sich stark verändert hat. Also das Narrativ, China soll erst einmal sich ändern, dann können wir wieder was tun, stimmt einfach nicht mehr. Denn China hat schon sehr viel getan und das Volumen ist wirklich beeindruckend. Es soll nicht kleinreden, dass wir noch viel zu viel in fossile Energie investieren, Nutzung von fossiler Energie investieren, aber auch sehr viel in Erneuerbare schon.
Finanzströme
Jetzt möchte ich ganz zum Abschluss noch über die Finanzströme sprechen, denn die sind natürlich essenziell, um die Transformation zu schaffen, die Reduktion der Klimagase, die Strukturen in der Wirtschaft zu verändern und natürlich gehören Versicherungsunternehmen beispielsweise hier dazu.
Die Finanzströme sollen so verändert werden, dass einerseits die physischen Risiken gering gehalten werden, das heißt, wir wollen hier in den Quadranten sein, wo wir beim niedrigen Risiko auf der physischen Seite sind und auf der anderen Seite, wo das Transitionsrisiko gering ist. Das heißt also, wir wollen in diesem linken, unteren Quadranten uns befinden, idealerweise bei 1,5 Grad, wenn nicht, dann zumindest bei 2 Grad bleiben. Und was ist dafür nötig? Diese Transformation kostet. Um den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur gemäß dem Pariser Klimaabkommen von 2015 zu begrenzen, muss die Klimafinanzierung bis 2030 weltweit auf etwa 9 Billionen US-Dollar pro Jahr steigen. 9 Billionen US-Dollar, das ist eine enorme Zahl. Derzeit ist Green Finance ungefähr im Ausmaß von 1,3 Billionen US-Dollar zu beobachten pro Jahr. Europa muss 800 Milliarden Euro in seine Energieinfrastruktur investieren, um die Klimaziele für 2030 zu erreichen. Und Europa muss insgesamt 2,5 Billionen Euro investieren, um den grünen Wandel bis 2050 abzuschließen. Das klingt nach enorm viel, aber die gute Nachricht ist, von den 9 Billionen US-Dollar pro Jahr: wir zahlen derzeit entweder direkt oder indirekt 7 Billionen US-Dollar weltweit jedes Jahr an Subventionen für fossile Energieträger. Das heißt, es geht hauptsächlich darum, Finanzströme in andere Kanäle zu leiten, und nicht nur um ein Ausweiten der Finanzströme.
Klimafinanzierung statt fossile Subventionen
Hier ist eine Abbildung, wo die Finanzierung der von gesellschaftlichen Herausforderungen verglichen wird. Derzeitige Climate Finance Flows sind eben bei ungefähr 1,3 Billionen pro Jahr. Military expenditure 2022 sehen wir vermutlich heute anders, als wir es 2021 gesehen hätten. Die sind sehr hoch, aber vielleicht auch nötig. Fossile Subventionen von fossilen Energieträgern, ebenso 2022, 7 Billionen Dollar pro Jahr. Lassen Sie sich das auf der Zunge jetzt zergehen: Subventionen in fossilen Energieträger. Achtung, das sind direkte und indirekte, also das, was out of pocket bezahlt wird, aber auch das, was nicht internalisierte Externalitäten sind, weil das auch ökonomisch gesehen eine indirekte Subvention ist, wenn man keine Steuern zahlen muss beispielsweise. Das waren die Covid-Maßnahmen 2020, das war natürlich sehr viel noch, aber wenn eine Herausforderung da ist, dann findet man scheinbar die Finanzmittel dafür. Und das sind die Financeneeds für die Transformation jedes Jahr weltweit ungefähr diese 9 Billionen Dollar pro Jahr. Das ist sehr viel, aber wie gesagt, wenn man es in Proportion setzt zu anderen gesellschaftlichen Herausforderungen oder zur Förderung von etwas, was wir eigentlich nicht mehr unterstützen wollen. Diese Subventionen in fossile Energieträger werden in der Literatur manchmal perverse Subventionen genannt. Man verwendet Steuergeld für etwas, was der Gesellschaft schadet, das ist wirklich pervers.
Netto Null ist die am wenigsten schlechte Option für Investoren
Und was man daraus schließen kann ist, Net Zero ist die am wenigsten schlechte Option für Investoren, also rein ökonomisch betrachtet, die Failed Transition, das kostet am meisten, Too Little Too Late kostet auch sehr viel, the Late Disorderly Transition kostet viel und die Net Zero Transition, die kostet viel, aber es ist noch im Vergleich zu den anderen, also da wo die physischen Risiken oder Transitionsrisiken hoch sind, ist es noch die günstigste Variante. Die Option, dass es uns nichts kostet, die gibt es nicht, weil es eben die Kosten des Nichthandelns gibt. Was wir eigentlich brauchen, ist eine Perspektive, wo wir die Wirtschaft als eingebettet in die Gesellschaft und basierend auf den biophysischen Grundlagen sehen. Und dafür – nach dieser Ontologie oder Pre-Analytic Vision – erfordert dann jede ökonomische Analyse eine interdisziplinäre Herangehensweise, aber das wäre eine andere Diskussion, die ich sehr gerne führen würde, wenn es interessiert, aber das wollte ich noch kurz dazugeben. Danke vielmals für Ihre Aufmerksamkeit.
Anmerkung; Seit dem Erscheinen dieses Beitrags haben Untersuchungen der internationalen Studiengruppe World Weather Attribution gezeigt, dass Unwetterkatastrophen wie die von Mitte September in Zentraleuropa durch den menschengemachten Klimawandel doppelt so wahrscheinlich geworden sind. (Siehe diesen Beitrag).
„Es gibt drei häufige Fehler bei der Berichterstattung über Wetterextreme: 1. den Klimawandel als Ursache des Ereignisses ignorieren; 2. das Ereignis dem Klimawandel zuschreiben, ohne Belege dafür vorzulegen; 3. den Klimawandel als einzige Ursache des Extremwetterereignisses bezeichnen.“
Das schreiben die beiden Klimaforscher:innen Friederike Otto vom Imperial College London und Ben Clarke von der University of Oxford in einem Leitfaden für Journalist:innen.1 Beide sind Expert:innen für die Zuordnung von Wetterereignissen zum Klimawandel.
Welchen Einfluss der Klimawandel auf ein bestimmtes Extremwetterereignis hat, lässt sich immer nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit feststellen. Und auch nicht aus dem Handgelenk. Mit der Zuordnung von Wetterereignissen zum Klimawandel befasst sich eine eigene Wissenschaftsrichtung, die Attribution Studies, und die ist erst 20 Jahre alt.
Wie kann man den Einfluss des Klimawandels feststellen?
Die erste Studie zur Attribution eines Extremwetterereignisses wurde 2004 veröffentlicht und befasste sich mit der Hitzewelle von 2003 in Westeuropa, die rund 70.000 Menschenleben forderte.
Die Forscher:innen machten das so: Zuerst simulierten sie das momentane Klima — das durch menschliches Zutun ja bereits deutlich erwärmt ist — viele tausend Mal. Sie ließen, vereinfacht gesagt, auf den Computern immer und immer wieder dieselben Klimamodelle mit ganz leicht veränderten Ausgangsbedingungen durchlaufen. Dabei zählten sie die Hitzewellen, die so extrem waren wie das Ereignis von 2003. Es zeigte sich, dass es auch in einer erwärmten Welt ein sehr seltenes Ereignis war.
Zweitens simulierten sie das Klima, wie es ohne die menschengemachten Emissionen an Treibhausgasen oder Aerosolen aussähe. Das ist möglich, da die Menge der Treibhausgase in der Atmosphäre, die vor allem auf das Verbrennen fossiler Energieträger zurückzuführen sind, gut bekannt ist. Dann wurden wieder die extremen Hitzewellen in einer unveränderten, nicht aufgeheizten Atmosphäre gezählt. Ihre Zahl war wesentlich niedriger — Eine derartige Hitzewelle in Westeuropa war sogar so selten, dass sie ohne menschliches Zutun beinahe unmöglich gewesen wäre.
Zusätzlich simuliert man inzwischen auch das Klima aufgrund historischer Daten für verschiedene Zeiten, um zu sehen, wie sich die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Ereignisses im Lauf der Zeit verändert hat.
Wie wirkt sich der Klimawandel auf Starkregenfälle aus?
Extreme Regenfälle sind aufgrund des menschengemachten Klimawandels sowohl häufiger, als auch intensiver geworden, besonders in Europa, großen Teilen Asiens und Nordamerika. Wie läßt sich das erklären? Eine wärmere Atmosphäre kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Wenn es wärmer ist, bewegen sich Wassermoleküle schneller und sind daher mit größerer Wahrscheinlichkeit im gasförmigen statt im flüssigen Zustand. Mit 1 Grad höherer Temperatur kann die Luft 7 Prozent mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Und wenn es regnet, kommt in einer wärmeren Atmosphäre natürlich mehr Wasser wieder herunter.
Laut dem IPCC-Bericht von 2022 war bei einer Erderhitzung von gut 1 Grad ein Starkregen an einem beliebigen Ort der Erde, der früher nur einmal in zehn Jahren auftrat, im Durchschnitt um 6,7 Prozent feuchter und um 30 Prozent wahrscheinlicher: Das heißt, statt einmal alle zehn Jahre trat er 1,3 Mal in zehn Jahren auf. Der Weltklimarat warnte eindrücklich vor den Folgen: In den vergangenen drei Jahrzehnten sei die Zahl der Überschwemmungen in Europa so hoch gewesen wie seit 500 Jahren nicht mehr, die wirtschaftlichen Schäden infolge von Hochwasserereignissen seien stark gestiegen. Und für die Zukunft rechnete der IPCC mit noch höheren Flutrisiken für den Kontinent. Inzwischen ist bereits über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr die globale Durchschnittstemperatur um 1,5 Grad höher gewesen als vor dem Industriezeitalter.
Kombiniert man beobachtete Niederschlagstrends und die Ergebnisse von Attributionsstudien, dann lässt sich für folgende Weltgegenden mit Sicherheit sagen, dass niederschlagsbasierte Überschwemmungen durch den Klimawandel zugenommen haben: Europa, der größte Teil Asiens, Nordaustralien, das zentrale und östliche Nordamerika, der Nordosten von Südamerika und das südliche Afrika. Hingegen lassen sich (bislang) keine gesicherten Aussagen treffen zu Veränderungen in großen Teilen Afrikas, Australiens und Asiens sowie Süd- und Mittelamerikas.
Wie wahrscheinlich waren die Überschwemmungen des Sommers 2021?
Zu den Überschwemmungen in Europa im Juli 2021, von denen auch Österreich betroffen war, die aber Deutschland mit 184 Todesopfern und Belgien mit 38 Todesopfern am schwersten trafen, konnten die Wissenschaftler:innen von World Weather Attribution schon im August einen Schnell-Report vorlegen, zu dem 39 Wissenschaftler:innen aus Deutschland, Belgien, den Niederlanden, der Schweiz, Frankreich, Luxemburg, USA und Großbritannien beitrugen.2 Die endgültige, begutachtete Studie wurde dann erst 2023 veröffentlicht.3
Die Forscher;innen kamen zu den folgenden Feststellungen:
Der Klimawandel hat die Intensität der maximalen eintägigen Niederschlagsereignisse im Sommer in dieser großen Region [zwischen den nördlichen Alpen und den Niederlanden] um etwa 3 bis 19 % erhöht, verglichen mit einem globalen Klima, das 1,2 °C kühler ist als heute. Für das zweitägige Ereignis ist der Anstieg ähnlich. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein solches Ereignis heute eintritt, hat sich im Vergleich zu einem 1,2 °C kühleren Klima für das 1-Tages-Ereignis in der großen Region um einen Faktor zwischen 1,2 und 9 erhöht. Für das 2-Tages-Ereignis ist der Anstieg noch einmal ähnlich.
Zusammenfassend zeigen unsere Ergebnisse, dass die Erkennung extremer Niederschlagstrends auf lokaler Ebene durch die Variabilität erschwert wird. Betrachtet man jedoch solche Ereignisse im größeren westeuropäischen Raum, sind signifikante Trends erkennbar, die dem vom Menschen verursachten Klimawandel zuzuschreiben sind, auch wenn wir nicht vorhersagen können, wo genau diese Ereignisse auftreten. Alle verfügbaren Beweise zusammen, einschließlich physikalischer Erkenntnisse, Beobachtungen in einer größeren Region und verschiedener regionaler Klimamodelle, geben Anlass zu großer Gewissheit, dass der vom Menschen verursachte Klimawandel die Wahrscheinlichkeit und Intensität eines solchen Ereignisses erhöht hat und diese Veränderungen in einem sich schnell erwärmenden Klima anhalten werden.4
Wann wird ein Naturereignis zur Naturkatastrophe?
Ob ein Starkregen aber zu einem katastrophalen Hochwasser führt, hängt nicht nur von der Regenmenge ab. Die „Vulnerabilität“, die Verwundbarkeit einer Gesellschaft und der von ihr geschaffenen Umwelt sind bestimmend, ob ein Naturereignis zur Naturkatastrophe wird.
Expert:innen des „National Hub Biodiversität und Wasser“ haben dazu anlässlich der verheerenden Überschwemmung in Südost-Österreich, Slowenien und Kroatien im letzten Sommer einen Fachartikel veröffentlicht.5 In natürlichen Systemen treten Flüsse einmal pro Jahr oder alle zwei Jahre über die Ufer. Haben sie genügend Raum, so können Moore, Feuchtwiesen und den fluss begleitende Aulandschaften das Wasser wie ein Schwamm aufnehmen und nach und nach wieder abgeben, auch in trockeneren Zeiten. Die Versiegelung von Flächen verhindert, dass Niederschlagswasser vom Boden aufgenommen wird. Großflächige Abholzungen und unsachgemäße landwirtschaftliche Bodenbewirtschaftung verringern das natürliche Wasserrückhaltevermögen des Bodens. Flussbegradigungen und Dämme verkürzen Fließgewässer. Hohe Pegelstände erreichen früher die flussabwärts gelegenen Gebiete. Bebauung von Flächen, die von Natur aus überschwemmungsgefährdet sind, erhöht das Risiko von Schäden.
Beton ist kein guter Hochwasserschutz
Um künftige Gefahr von Hochwasserkatastrophen zu verringern, sind einerseits verstärkte Maßnahmen zum Klimaschutz notwendig. Andererseits muss der Gefahr mit naturbasierten Lösungen entgegengewirkt werden, also der Wiederherstellung von gesunden Fluss-Ökosystemen, durch eine Raumplanung, die Hochwasserrisiken mit einbezieht, und ein Ende des Zubetonierens und die Entsiegelung unnötig verbauter Flächen. Technischer Hochwasserschutz wie Deiche, Dämme und Rückhaltebecken sollten auf den Schutz von Siedlungen und Infrastruktur beschränkt werden.
Die jüngsten Ereignisse zeigen, wie wichtig es ist, dass die Klimabewegung intensiv Wissen verbreitet und die Bevölkerung für Klimaschutz und Biodiversitätsschutz mobilisiert.
3Tradowsky, J.S., Philip, S.Y., Kreienkamp, F. et al. Attribution of the heavy rainfall events leading to severe flooding in Western Europe during July 2021. Climatic Change 176, 90 (2023). https://doi.org/10.1007/s10584-023-03502-7