Climate Action Tracker Report bei der COP29: Die Aussichten sind nicht besser geworden

Lesedauer 3 Minuten.   

Climate Action Tracker berechnet regelmäßig, welche Auswirkungen auf das zukünftige Klima die veröffentlichten Ziele der Regierungen und die wirklich stattfindenden Maßnahmen voraussichtlich auf das künftige Klima haben werden. Daran, dass sich die Welt auf eine Erwärmung von 2,7°C zubewegt, hat sich nichts geändert.

2024 war ein Jahr, das von minimalen Gesamtfortschritten geprägt war, da es fast keine neuen nationalen Klimaziele oder Netto-Null-Versprechen gab und die Emissionen fossiler Brennstoffe weiter anstiegen, obwohl die Regierungen wiederholt vereinbarten, ihre Ziele für 2030 dringend zu verschärfen und sie mit dem 1,5°-Ziel des Pariser Abkommens in Einklang zu bringen.

„Wir schaffen es eindeutig nicht, die Kurve abzuflachen. Während sich die Welt diesen gefährlichen Klimaschwellen nähert, wird die Notwendigkeit sofortiger, stärkerer Maßnahmen zur Umkehr dieses Trends immer dringender“, sagte die Hauptautorin des Berichts, Sofia Gonzales-Zuniga von Climate Analytics, einer Partnerorganisation des CAT.

Auch für 2,7°C nur eine Wahrscheinlichkeit von 50 %

Sie warnte, dass die derzeitige politische Erwärmung von 2,7°C eine mittlere Schätzung sei, die zu 50 % höher oder niedriger ausfallen könne.

„Aber unser Wissen über das Klimasystem sagt uns, dass unsere Prognose zu 33 % bei 3,0 °C – oder mehr – liegen wird, und zu 10 % bei 3,6 °C oder mehr, was ein absolut katastrophales Erwärmungsniveau wäre“, fügte sie hinzu.

Erneuerbare boomen, aber Subventionen für Fossile sind hoch wie nie

Während erneuerbare Energien und Elektrofahrzeuge rekordverdächtige Fortschritte verzeichnen und die Investitionen inzwischen doppelt so hoch sind wie für fossile Brennstoffe, sind die Subventionen für fossile Brennstoffe auf einem Allzeithoch: Die Finanzierung für Projekte im Bereich fossiler Brennstoffe hat sich zwischen 2021 und 2022 vervierfacht. Das CAT prognostiziert, dass die Emissionen bis zum Ende des Jahrzehnts ihren Höhepunkt erreichen werden, allerdings auf einem viel höheren Niveau als vor drei Jahren.

„Steigende Emissionen bei gleichzeitigem Boom der erneuerbaren Energien sind kein Paradoxon. In den letzten Jahren haben fossile Brennstoffe das Rennen gegen erneuerbare Energien gewonnen, was zu steigenden Emissionen geführt hat. Aber erneuerbare Energien überraschen uns jedes Jahr mit schnellerem Wachstum als erwartet, einem exponentiellen Wachstum, das sie bald fossile Brennstoffe verdrängen lassen wird. Dies ermöglicht einen viel schnelleren Rückgang der Emissionen nach 2030, als wir noch vor drei Jahren dachten“, sagte Prof. Niklas Höhne vom NewClimate Institute, einer Partnerorganisation des CAT.

Wie hoch wäre der Einfluss eines Rückbaus der US-Klimapolitik?

Das CAT hat auch eine erste Berechnung der projizierten Auswirkungen des im Rahmen des Projekts 2025 des designierten US-Präsidenten Donald Trump geplanten Rückbaus der Klimapolitik durchgeführt. (Dazu wurden die Auswirkungen des Projekts 2025 abzüglich der projizierten Auswirkungen des Inflation Reduction Act berechnet. Wenn dies auf die USA beschränkt wäre, könnte dies die Erwärmung im Rahmen des aktuellen CAT-Politikpfads um etwa 0,04 °C erhöhen. Wenn andere Länder sich an den USA ein Beispiel nehmen und ebenfalls ihre Klimapolitik zurückfahren, werden die Auswirkungen natürlich höher sein.

„Natürlich werden wir die vollen Auswirkungen der US-Wahlen erst kennen, wenn der designierte Präsident Trump sein Amt antritt, aber in den USA gibt es derzeit eine Dynamik für saubere Energie, die nur schwer zu stoppen sein wird. Während die Trump-Regierung zweifellos ihr Bestes tun wird, um den Klimaschutz zunichte zu machen, wird die von Präsident Biden geschaffene Dynamik für saubere Energie, die im ganzen Land umgesetzt wird, wahrscheinlich in erheblichem Umfang anhalten“, sagte Bill Hare, CEO von Climate Analytics.

„Die entscheidende Frage ist, ob die Länder zusammenhalten und weiterhin Maßnahmen ergreifen, denn eine Rücknahme der US-Politik durch Trump, so schädlich sie auch sein mag, kann überwunden werden.“

Was sollten Regierungen also tun?

Um die Welt auf Kurs zu bringen, müssen zunächst die größten Emittenten herangezogen werden. Das CAT hat anlässlich der COP29 auch seine empfohlenen Ziele für 2035 veröffentlicht, und zwar für sieben der weltweit größten Emittenten (China, USA, Indien, EU, Indonesien, Japan, Australien) sowie die Troika-Länder (Zusammenschluss der vorigen, gegenwärtigen und kommenden Präsidentschaften VAE, Aserbaidschan und Brasilien).

„Die Industrieländer müssen ihre nationalen Maßnahmen weiterhin durch erhebliche finanzielle und sonstige Unterstützung für die Entwicklungsländer ergänzen, um einen angemessenen Beitrag zur Erreichung der 1,5 °C-Grenze zu leisten“, sagte Ana Missirliu vom NewClimate Institute, eine der Autorinnen des Briefings. „Viele Entwicklungsländer können nur mit erheblicher finanzieller und sonstiger Unterstützung ausreichende Klimaschutzmaßnahmen erreichen. Bei der COP29 müssen wir dieses finanzielle Engagement sehen“.

Zusammen waren die sieben großen Emittenten im Jahr 2022 für 61 % der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Sie müssen internationale Führungsstärke zeigen, um Klimaschutzmaßnahmen voranzutreiben. Die Troika-Länder (VAE, Aserbaidschan und Brasilien), die einen Fahrplan für 1,5 °C veröffentlicht haben, planen alle, mehr fossile Brennstoffe zu fördern: ein gewaltiges Missverhältnis zwischen Worten und Taten. Die zehn Länder produzieren zusammen 63 % der weltweiten Emissionen.

Was wären ehrgeizige Ziele im Einklang mit 1,5 °C?


1.5°C-kompatible Ziele einschließlich Landnutzungsänderungen
LandReduktion bis 2030Reduktion bis 2035Basisjahr
China55%66%2023
USA65%80%2005
Indien (bedingt)*bis zu 25% Steigerungbis zu 5 % Steigerung2005
EUmindestens 68%78%1990
Indonesien (bedingt)*30%52%2019
Japan69%81%2013
Australien62%77%2005
VAE22%43%2019
Azerbaijan64%77%1990
Brasilien70%82%2005

* Abhängig von internationaler Hilfe

Quelle: Presseaussendung des Climate Action Tracker

Vollständiger Report: CAT Global Update 2024

Climate Action Tracker ist eine Zusammenarbeit der Organisationen Climate Analytics und NewClimate Institute

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State of the Climate: Wir steuern immer noch auf 2,7°C zu

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Der jährliche Report State of the Climate untersucht 35 Vitalparameter des Planeten. Laut dem jüngsten Report haben im letzten Jahr 25 davon Rekordhöhen erreicht – in Richtung zum Schlechteren. Hier nur eine Übersicht über die wichtigsten Zahlen:

Die durchschnittliche menschliche Fruchtbarkeit ist zwar im Jahr 2023 etwas gesunken, aber die Weltbevölkerung ist um 200.000 pro Tag gestiegen, die Zahl der Wiederkäuer pro Tag um 170.000. Die Fleischproduktion pro Kopf ist weiter im Steigen, ebenso das globale GDP.

Der Verbrauch von fossilen Brennstoffen ist um 1,5 % gestiegen, davon Kohle um 1,6 % und Öl um 2,5 %. Erneuerbare Energien wachsen schneller − 2023 um 15 % . Aber es ist nicht so, dass Erneuerbare bereits einen Teil der Fossilen ersetzen würden. Nur ein Teil des zusätzlichen Energieverbrauchs wird durch Erneuerbare abgedeckt.

Der weltweite Verlust an Baumbestand stieg von 22,8 Megahektar (Mha) pro Jahr auf 28,3 Mha. Zum Teil sind Waldbrände die Ursache. 2023 kam es zu einem dramatischen Rückgang der Kohlenstoffsenke an Land. Positiv ist, dass die Entwaldungsrate im brasilianischen Amazonasgebiet weiter zurückgegangen ist, von 1,16 Mha auf 0,9 Mha.

Die jährlichen energiebezogenen Emissionen stiegen 2023 um 2,1 % und liegen nun erstmals über 40 Gigatonnen Kohlendioxidäquivalenten. Größte Emittenten sind China, USA und Indien. Die Emissionen von Aerosolschadstoffen haben abgenommen, was die Luftqualität verbessert, aber den kühlenden Effekt von Aerosolen verringert. Die Wachstumsrate der Methanemissionen hat sich beschleunigt, ebenso die von Lachgas.

Die Oberflächentemperatur hat einen Rekordwert erreicht, 2024 wird voraussichtlich eines der heißesten Jahre sein. Jede globale Erwärmung um 0,1°C setzt zusätzliche 100 Millionen Menschen (oder mehr) beispiellos hohen Durchschnittstemperaturen aus

Der Versauerungsgrad der Ozeane und auch ihr Wärmegehalt haben Rekordwerte erreicht, was zu Hitzewellen und zu einem Massensterben von Meerestieren geführt hat. Der durchschnittliche Meeresspiegel liegt auf einem Rekordhoch und die neuesten Daten deuten darauf hin, dass die Eismasse Grönlands, die Eismasse der Antarktis und die durchschnittliche Gletscherdicke allesamt auf einem Rekordtief liegen.

Die zunehmenden Hitze- und Niederschlagsextreme liegen mittlerweile weit außerhalb des historischen Klimas. Der Klimawandel hat bereits dazu beigetragen, dass Milliarden von Menschen extremer Hitze ausgesetzt sind . Die Zahl der hitzebedingten Todesfälle in den USA ist von 1999 bis 2023 um 117 % gestiegen .

Geoengineering-Forschung hat in den letzten Jahren dramatisch zugenommen. Dabei handelt es sich um potenziell riskante Techniken, um Sonnenlicht von der Erde weg zu reflektieren und so die Auswirkungen des Klimawandels zu mildern.

Eine Meinungsumfrage aus dem Jahr 2024 enthüllte die Vorhersagen von Hunderten prominenten Klimaforschern des IPCC, leitenden Autoren und Herausgebern von Gutachten. Aus persönlicher Sicht prognostizieren fast 80 % dieser Wissenschaftler, dass die globale Temperatur bis zum Ende des Jahrhunderts um mindestens 2,5°C über das vorindustrielle Niveau ansteigen wird . Fast die Hälfte von ihnen prognostiziert einen Anstieg von mindestens 3°C. Lediglich 6 % glauben, dass die international vereinbarte Grenze von 1,5°C erreicht wird.

Mindestens 28 verstärkende Rückkopplungsschleifen wurden identifiziert. Eine besonders besorgniserregende Rückkopplungsschleife ist die Permafrost-Rückkopplungsschleife, bei der steigende Temperaturen das Auftauen des Permafrosts verursachen. Dieser Prozess setzt mehr Kohlendioxid und Methan frei und führt zu weiterer Erwärmung. Bereiche, in denen aktive Forschung zu Klima-Rückkopplungsschleifen stattfindet, umfassen die Wechselwirkungen zwischen Permafrost und Wolken, Gletscherschmelzwasser und Biodiversität. Da Rückkopplungsschleifen noch nicht vollständig in Klimamodelle integriert sind, könnten die aktuellen Pläne zur Emissionsreduzierung nicht ausreichen, um die künftige Erwärmung ausreichend zu begrenzen.

Einige Klima-Rückkopplungsschleifen sind mit Kipppunkten verknüpft und können ohne weiteren menschlichen Einfluss große und irreversible Veränderungen im Erdsystem auslösen. Fünf von sechzehn Klima-Kippelementen überschreiten ihren Kipppunkt wahrscheinlich bei 1,5°C: das grönländische Eisschild, das westantarktische Eisschild, der boreale Permafrost, die Korallenriffe in niedrigen Breiten und das Barentssee-Eis.

Der Klimawandel ist ein eklatantes Symptom eines tieferen systemischen Problems: der ökologischen Überlastung, bei der der menschliche Konsum die Regenerationsfähigkeit der Erde übersteigt . Immer mehr Wissenschaftler beginnen, die Möglichkeit eines gesellschaftlichen Zusammenbruchs zu erforschen . Die Zahl der veröffentlichten Artikel, in denen die Sprache des Klimawandels und des gesellschaftlichen Zusammenbruchs verwendet wird , hat dramatisch zugenommen. Bis zum Ende des Jahrhunderts könnte etwa ein Drittel der Weltbevölkerung außerhalb der menschlichen Klimanische leben und einem erhöhten Risiko von Krankheit und frühem Tod, Hungersnöten und einer Reihe anderer negativer Folgen ausgesetzt sein .

Quelle: https://academic.oup.com/bioscience/advance-article/doi/10.1093/biosci/biae087/7808595

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(Nicht-)Ergebnisse der Weltbiodiversitätskonferenz

Lesedauer 3 Minuten.   

Am vergangenen Samstag endete die letzte COP (conference of the parties) in Cali, Kolumbien. Dabei handelte es sich nicht um die jährlich stattfindende UN-Klimakonferenz, sondern um die ebenfalls als COP bezeichnete UN-Biodiversitätskonferenz (zur weiteren Verwirrung wahlweise auch Weltbiodiversitätskonferenz, Weltnaturschutzgipfel oder Weltnaturkonferenz genannt). Bei der diesjährigen COP16 ging es den Vertreter:innen von 196 Staaten besonders um die Umsetzung und Finanzierung der Ziele der letzten Konferenz im Dezember 2022. Der damals geschlossene Vertrag wurde als großer Erfolg gefeiert – er sieht unter anderem vor, bis 2030 30% der Landesfläche weltweit unter Schutz zu stellen. Was ist dieses Jahr zustande gekommen – oder auch nicht?

  • Beteiligung indigener Völker. Ein Erfolg war der Beschluss, eine offizielle Interessenvertretung indigener Gruppen einzurichten, die in künftigen Verhandlungen zur Biodiversität Mitspracherecht haben wird. Ein großer Teil der natürlichen Vielfalt befindet sich auf Land, das von Indigenen bewohnt und gepflegt wird. Auch aus wissenschaftlicher Sicht ist ihre Einbindung deutlich zu begrüßen: Studien haben gezeigt, dass die Natur oft besser dort erhalten bleibt, wo indigenes Wissen und lokale Bewirtschaftungsstrategien Schutz und nachhaltige Nutzung ermöglichen1.
  • Fonds, in den für die Nutzung genetischer Ressourcen eingezahlt wird. Eine weitere positive Entwicklung: Unternehmen sollen für die Nutzung genetischer Daten wild lebender Arten zahlen. Bislang profitieren Unternehmen häufig von in Datenbanken frei verfügbaren genetischen Datensätzen, beispielsweise bei der Entwicklung von Kosmetika oder Medikamenten. Die Menschen, auf deren Land diese Arten leben (und die sich häufig aktiv um deren Erhalt kümmern) gehen dabei leer aus – und das betrifft besonders Menschen in ärmeren Staaten mit hoher Artenvielfalt. Nun sollen die Unternehmen in einen Fonds einzahlen, der dann von der indigenen Bevölkerung für Naturschutzprojekte genutzt werden kann.
  • Kein Erfolg bei der Finanzierung von Naturschutz. Trotz des oben genannten Fonds ist der Gipfel bei der Frage der Finanzierung weitgehend gescheitert. 2022 wurde in Montréal festgelegt, dass Industriestaaten mit 20 Milliarden US-Dollar jährlich zum Naturschutz in ärmeren Ländern beitragen sollen. Denn der Erhalt intakter Natur ist eben nicht kostenlos. Eine kürzlich vorgelegte Analyse zeigt: Es reicht nicht, Gebiete einfach nur unter Schutz zu stellen2 – es braucht häufig weitere Schritte wie Renaturierungsmaßnahmen oder die Beschäftigung von Personal, das die Einhaltung der Schutzvorschriften sicherstellt. Obwohl einige Industriestaaten hier finanzielle Zusagen machten (so z.B. auch Österreich), wird die benötigte Summe bei Weitem nicht erreicht. Aus wissenschaftlicher Sicht ist dieser Geiz nicht nachvollziehbar, denn letztendlich wird es uns teurer zu stehen kommen, wenn wir die Natur nicht schützen1.
  • Kein Plan zur Überwachung der Erreichung der Montréal-Ziele. Ebenfalls eine Enttäuschung: Der Gipfel sollte eigentlich festlegen, wie die Umsetzung der Montréal-Ziele auf nationaler Ebene überwacht werden soll – das ist aber nicht geschehen. Bislang präsentierte nur eine Minderheit der Vertragsstaaten (darunter auch Österreich3) ihre nationale Biodiversitätsstrategie, die bis zum Gipfel hätte vorliegen sollen. Bei vielen Staaten fehlt es also an Engagement – eine Kontrolle der Umsetzung wäre dringend notwendig.

Viele Naturschutzorganisationen und Wissenschafter:innen zeigten sich nach dem Treffen enttäuscht: Wieder einmal wurden hohe (aber letztlich rechtlich unverbindliche) Ziele gesteckt, die dann kaum umgesetzt werden und durch Probleme mit der Finanzierung ins Stocken geraten. Innerhalb der EU wurde mit dem Renaturierungsgesetz kürzlich ein wichtiger Schritt gemacht – denn dort geht es um rechtlich bindende Regeln für alle, deren Nichteinhaltung Konsequenzen hat. Für eine entschlossene Umsetzung von Naturschutz im globalen Süden braucht es finanzielle Beiträge reicher Nationen, die am meisten von der Ausbeutung der Natur profitieren. Die Zurückhaltung im globalen Naturschutz bei gleichzeitiger Fortsetzung von umwelt- und klimaschädlichen Subventionen in Milliardenhöhe zeigt deutlich: Es fehlt noch immer das Bewusstsein, dass es beim Naturschutz nicht um verzichtbaren Luxus, sondern um die Erhaltung unserer aller Lebensgrundlagen geht.

Weitere Informationen:

https://news.un.org/en/story/2024/11/1156456

https://www.theguardian.com/environment/2024/nov/03/cop16-ends-in-disarry-and-indecision-despite-biodiversity-breakthroughs

https://www.nature.com/articles/d41586-024-03609-6

https://www.riffreporter.de/de/umwelt/biodiversitaet-weltnaturkonferenz-cop16-cali-kolumbien-ergebnis-artenschutz-klimawandel

https://www.worldwildlife.org/press-releases/some-successes-but-cop16-in-cali-ends-in-disappointment-with-crucial-finance-agreements-delayed

1.           IPBES. Summary for Policymakers of the Global Assessment Report on Biodiversity and Ecosystem Services. Zenodo; 2019. doi:10.5281/zenodo.3553579

2.           Towards 30 by 30: balancing nature and people. Accessed November 5, 2024. https://www.nhm.ac.uk/our-science/services/data/biodiversity-intactness-index/policy/30by30.html

3.           Biodiversitäts-Strategie Österreich 2030+. Accessed November 5, 2024. https://www.bmk.gv.at/themen/klima_umwelt/naturschutz/biol_vielfalt/biodiversitaetsstrategie/biodiversitaetsstrategie_2030.html

Titelfoto: Joshua Torres unter CC0-Lizenz, via Wikimedia Commons

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Fortschritt neu denken: Auf dem Weg zur Wachstumsunabhängigkeit

Lesedauer 4 Minuten.   

von Hans Holzinger

Der Wirtschafts- und Sozialgeograf Hans Holzinger über die wirtschaftlichen Herausforderungen in Österreich und die Notwendigkeit einer Wirtschaft, die von Wachstum unabhängig ist und auf einem neuen Wohlstandsverständnis basiert.

Österreichs Wirtschaft schlittert in ihr zweites Rezessionsjahr, so Wifo-Direktor Gabriel Felbermayr und IHS-Direktor Holger Bonin in einer Pressekonferenz zur Konjunkturprognose 2024 und 2025. Beide Institute erwarten heuer einen Rückgang der realen Wirtschaftsleistung von 0,6 Prozent, bei der Sommerprognose war noch mit 0,0 beziehungsweise 0,3 Prozent plus gerechnet worden. Auch die Zahl der Arbeitslosen werde weiter steigen – und das Budgetdefizit 2024 der Regierung werde über die von der EU vorgegebene Drei-Prozentmarke an der Gesamtwirtschaftsleistung liegen. Vor allem die rückläufige Geschäftsentwicklung in der Industrie und am Bau sowie ein schwacher Konsum werden im laufenden Jahr die Konjunkturentwicklung in Österreich bremsen, so die Wirtschaftsforschungsinstitute.

Irrwege gegen die Abwärtsspirale

Es tritt ein, was in den Wirtschaftswissenschaften als Abwärtsspirale beschrieben wird: Unternehmen investieren aufgrund schlechter Wirtschaftsprognosen weniger, die Bürger und Bürgerinnen halten sich mit Konsumentscheidungen zurück. Der Staat bekommt weniger Steuereinnahmen. Und so fort. Die klassische keynesianische Antwort lautet: Investitionen und Konsum ankurbeln. Die Neoliberalen drängen den Staat zu Ausgabenkürzungen und zu Anreizen, mehr zu arbeiten. In Deutschland wird eine neue Abwrackprämie für jene diskutiert, die den Verbrenner durch ein E-Auto ersetzen, um den E-Mobilitätsmarkt zu beleben und der kränkelnden Automobilindustrie unter die Arme zu greifen. In Österreich fordern Wirtschaftsverbände und manche Parteien, die Attraktivität von Teilzeit mittels Lohneinbußen bzw. durch einen Vollzeitbonus zu verringern. Manche plädieren für erneute Unternehmensspritzen, um die Abwanderung von Produktionsstätten hintanzuhalten und die Verteuerung der Energie abzufedern.

Aus Sicht der Ökologischen Ökonomie führt beides in die Irre. Seit Jahrzehnten wird darauf hingewiesen, dass fossile Energien zu billig sind und dass wir Marktanreize in Gestalt von höheren CO2-Steuern brauchen, um den Umstieg auf Erneuerbare Energie zu beschleunigen. Zudem wird eine Postwachstumsstrategie empfohlen. Im Strombereich sind Sonne und Wind bereits die kostengünstigste Energieform, bei Wasserstoff leider nicht. Zweitens wird darauf verwiesen, dass der private Konsum an Gütern zurückzufahren sei, weil in allen Produkten Energie und Ressourcen stecken, und die Entkopplung des Konsumniveaus vom Ressourcenverbrauch nicht im geforderten Maß gelingt. Das führt drittens zur Forderung, Konzepte für eine Wachstumsunabhängigkeit unserer in Summe bereits sehr starken Volkswirtschaften zu entwickeln.

Qualitätsvolle Versorgung mit Grundgütern

Investitionen in die Energie- und Mobilitätswende mit staatlichen Anreizen zu fördern, ist sinnvoll. Das ist kein verlorenes Geld – im Gegenteil, jeder Euro, den wir durch die Verringerung des Imports an fossilen Energien sparen, ist willkommen und erhöht die inländische Wertschöpfung. Eine generelle Ankurbelung des Konsums ist jedoch kontraproduktiv. Vielmehr ginge es darum, den Fokus auf eine qualitätsvolle Versorgung mit den Grundgütern für alle sicherzustellen: leistbares Wohnen, Lebensmittel hoher Qualität, Zugang zu qualitätsvoller Bildung für alle, zufriedenstellende Gesundheitsdienstleistungen ohne Zwei-Klassenmedizin. Da beißt sich jedoch die Katze in den Schwanz – den all das sind öffentliche Leistungen und diese kosten öffentliches Geld.

Strategien einer wachstumsunabhängigen Wirtschaft setzen daher auf drei Dinge:

  • Vermeidung von Negativkosten, etwa duch Gesundheitsprävention und die Förderung gesunder Lebensstile
  • Neujustierung der Steuersysteme
  • Neue Bilder von Wohlstand

Gesundheitsprävention

Verringerung der Negativkosten etwa durch Gesundheitsprävention und die Förderung gesunder Lebensstile: von einer geänderten Ernährung − wir essen zu süß und salzig sowie zu viel Fleisch − bis hin zu mehr Bewegung. Mehr Alltagswege mit dem Rad oder zu Fuß zurückzulegen, gehört dazu. Motto: Fitnesscenter Arbeitswelt. Auch psychische Gesundheit und Resilienz verringert Krankheitskosten. Der Abbau von zu viel Arbeitsstress sowie von Vereinsamung sind keine hinreichenden, aber notwendige Bedingungen dafür. Erfahrene Selbstwirksamkeit führt übrigens auch zu Resistenz gegenüber vereinfachender Angstmache etwa vor Migration. Länger arbeiten, weil wir länger leben, ist zu enttabuisieren. Negativkosten vermeiden wir aber auch durch wirksame Klimawandelanpassungen – von begrünten Städten gegen die zunehmenden Hitzetage bis hin zu Renaturierungen, die zugleich Hochwasserschutz bieten.

Neujustierung der Steuersysteme

Zweitens braucht es eine Neujustierung der Steuersysteme. Das Ziel von Steuern ist zu steuern. Wenn die Vermögens- und Einkommenskluft immer größer wird, muss der Staat hier gegensteuern. Zu große Reichtumsunterschiede sind demokratiepolitisch und volkswirtschaftlich schädlich – und wir können uns diese auch aus ökologischen Gründen nicht mehr leisten. Laut dem UN-Klimarat sind die zehn Prozent reichsten der Weltbevölkerung für fast die Hälfte der Treibhause verantwortlich. Der Wirtschaftsanthropologe Jason Hickel verweist darauf, dass fast ein Viertel der globalen Wirtschaftsleistung den fünf Prozent Reichsten zufließt. Sein Plädoyer: „Wenn Wachstum ein Ersatz für Verteilung war, dann ist Verteilung auch ein Ersatz für weiteres Wachstum.“ Eine bessere Verteilung des Wirtschaftsprodukts ist auch volkswirtschaftlich sinnvoll: Menschen mit niedrigem Einkommen geben dieses für die Grundversorgung aus und stärken damit die lokale Wirtschaft, Menschen mit höherem Einkommen sparen bei einer generellen Entlastung den verfügbaren Mehrbetrag oder geben diesen für weitere Urlaube im Ausland aus. Klimapolitik braucht daher Sozialpolitik im Sinne von Just Transition.

Vom materiellen Statusdenken zum Wohlbefinden

Drittens geht es – wie bereits angedeutet wurde – um neue Bilder von Wohlstand. Kate Raworth ist Begründerin der Donut-Ökonomie. Sie setzt die ökosystemischen Grenzen in Beziehung zu den menschlichen Grundbedürfnissen wie soziale Sicherheit und Zugang zu Basisleistungen wie Bildung oder Energie. Raworth ist überzeugt:  „Kein Land kann Wohlstand ohne Wachstum erreichen. Aber ebenso kann kein Land ökologische Probleme mit Wachstum lösen.“ Der deutsche Ökonom Rudi Kurz formuliert es ähnlich: „Eine zukunftsfähige Strategie muss den Test der Wachstumsunabhängigkeit bestehen. Nur wenn sie auch ohne Wirtschaftswachstum zur Zielerreichung führt, kann eine Strategie als resilient bezeichnet werden. Neben anders produzieren und konsumieren tritt weniger konsumieren in allen Bedarfsfeldern.“ Kurz spricht von einem Erwartungsmanagement: „Über Jahrzehnte geprägte Erwartungen müssen sich verändern. Die Erfüllung immer neuer Konsumwünsche ist nicht mehr möglich.“ Und auch er plädiert für eine Neuverteilung des nicht mehr wachsenden Kuchens.

Konzepte für Wachstumsunabhängigkeit

Österreich ist eines der reichsten Länder der Erde. Im Gegensatz zur gefühlten Stimmung geht es den meisten Menschen materiell noch immer gut. Nicht nur Österreich, sondern alle Volkswirtschaften mit hoher Wirtschaftsleistung stehen vor der Herausforderung, sich vom Wachstumszwang zu verabschieden. An die Stelle von Wachstum tritt Strukturwandel. Wohlstandszuwächse werden im immateriellen Bereich erreicht – durch mehr Wohlbefinden. Der Fortschritt bekommt eine andere Richtung. Es geht um regeneratives Wirtschaften im Einklang mit den Ökosystemen.

Der von der Uno jährlich herausgegebene Weltglückreport  listet als Kriterien für Zufriedenheit auf: soziale Sicherheit, Vertrauen in sich selbst, ineinander und in den Staat, ein positives Demokratiebild sowie lokales Eingebundensein in Gemeinschaften. Die Rangfolge wird seit Jahren von den skandinavischen Ländern angeführt. Österreich lag zuletzt an 14. Stelle – das heißt, es gibt hier Luft nach oben. Erfolgreiche Wirtschaftspolitik wird auch weiterhin an Zahlen gemessen werden und der Umbau in Richtung Wachstumsunabhängigkeit ist kein Spaziergang, aber er ist möglich. Und er wird uns nicht erspart bleiben: „Slow down by design“ ist allemal besser als „by desaster“.

Mag. Hans Holzinger ist Wirtschafts- und Sozialgeograph und Senior Adviser der Robert-
Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg sowie Mitglied von Scientists for Future.
Soeben ist sein neues Buch „Wirtschaftswende. Transformationsansätze und neue
ökonomische Konzepte im Vergleich
“ bei oekom (München) erschienen.

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Earth Commission Report: Gerechtigkeit ist die Voraussetzung für die Sicherheit des Planeten und der Menschen

Lesedauer 7 Minuten.   

Das erweiterte Konzept der „planetaren Grenzen“: Sichere und gerechte Erdsystemgrenzen

von Martin Auer

Wir müssen unsere Wirtschaftssysteme und Technologien drastisch ändern, um zumindest einen grundlegenden Lebensstandard für alle Menschen auf der Erde aufrechtzuerhalten. Das belegt ein bahnbrechendes Dokument, das letzten Monat in der Zeitschrift „Lancet Planetary Health“ veröffentlicht worden ist: der Bericht der Earth CommissionEine gerechte Welt auf einem sicheren Planeten1. Der Bericht ist das Ergebnis der dreijährigen Arbeit von über 60 führenden Wissenschaftler:innen aus den Natur- und Sozialwissenschaften, geleitet von Johan Rockström vom Stockholm Institut für Klimafolgenforschung, Joyeeta Gupta von der Universität Amsterdam und Qin Dahe von der chinesischen Akademie der Wissenschaften.

Die Forschung beruht auf drei Säulen: Erstens dem Konzept der „Planetaren Grenzen“, das bereits 2009 von einer Gruppe um Johan Rockström entwickelt (und seither von verschiedenen Wissenschaftler:innen ergänzt und erweitert) wurde, und das die ökologischen Grenzen der Belastbarkeit für verschiedene Erdsysteme untersuchte. Zweitens dem Konzept der „Doughnut-Economics“, das 2012 von Kate Raworth erstmals präsentiert wurde und auf den Planetaren Grenzen aufbauend den „sicheren und gerechten Bereich“ für die Menschheit zwischen den Minimalanforderungen für ein menschenwürdiges Leben und den maximalen Möglichkeiten des Planeten definierte. Als dritte Säule bezieht sich der Bericht der Earth Commission auf die UNO-Ziele für nachhaltige Entwicklung bis 2030 (SDGs).

Die Arbeit baut auf früheren Forschungsarbeiten auf , die zeigten, dass viele der wesentlichen Belastbarkeitsgrenzen der Erde, die für die Stabilität des Planeten und ein sicheres Leben der Menschen notwendig sind – die sogenannten Erdsystemgrenzen – bereits überschritten sind. In diesem Bericht konzentrieren sich die Forscher:innen auf fünf dieser Systeme: Klima, Wasserhaushalt, Nährstoffkreislauf, intakte Natur und Aerosole.

Für jedes dieser Systeme haben die Forscher:innen einen „sicheren und gerechten Bereich“ errechnet. Sie haben nicht nur die oberen Belastbarkeitsgrenzen für die Stabilität des Planeten untersucht – „safe boundaries“ – sondern auch die Belastungsgrenzen, die nicht überschritten werden können, ohne Menschen erheblichen Schaden zuzufügen – „just boundaries“.

Dazu haben sie auch noch für jedes Erdsystem das Mindestmaß an Belastung festgestellt, das notwendig ist, um allen Menschen das Notwendigste für ihr Wohlergehen zur Verfügung zu stellen. Der sichere und gerechte Bereich für das Gedeihen der Menschen und des Planeten wird nach unten durch dieses Minimum begrenzt, nach oben durch die gerechte“ oder die „sichere“ Grenze, je nachdem, welche die strengere ist.

1.5°C ist sicher, aber nicht gerecht

Ein Beispiel mach das deutlich: Die sichere Grenze für die Klimaerwärmung sind die bekannten 1,5°C über dem vorindustriellen Niveau. Die Einhaltung dieser Grenze verhindert, dass wesentliche Subsysteme des Planeten kippen, beispielsweise, dass das Grönlandeis abschmilzt oder der Amazonas-Regenwald zur Savanne wird. Doch bei dieser Temperatur würden bereits 200 bis 500 Millionen Menschen erheblichen Schaden erleiden: durch den Anstieg des Meeresspiegels, eine jährliche Durchschnittstemperatur von mehr als 29°C oder eine Feuchtkugeltemperatur über 35°C an mindestens einem Tag im Jahr – das ist eine Kombination von Hitze und Luftfeuchtigkeit, bei der der Körper sich nicht mehr durch Schwitzen abkühlen kann, und bei der ein längerer Aufenthalt im Freien daher tödlich ist. Deshalb liegt die gerechte Grenze weit unterhalb der sicheren Grenze, nämlich bei 1°C über dem vorindustriellen Niveau. Es ist offensichtlich, dass die gerechte Grenze bereits überschritten ist.

Konkrete Zahlen als Leitlinien

Die Earth Commission stellte sich zur Aufgabe, die sicheren ökologischen und die gerechten sozialen Grenzen nicht nur begrifflich darzustellen, sondern zu beziffern. Das gibt der Politik die Möglichkeit, konkrete Schritte zu planen und des gibt auch der Zivilgesellschaft handfeste Grundlagen, um Forderungen an die Politik zu stellen. Der Bericht zielt aber auch darauf ab, Städten und Unternehmen die Möglichkeit zu geben, die Grenzen auf ihren eigenen Maßstab herunterzubrechen, konkrete Schritte danach auszurichten. Städte und Unternehmen sind oft flexibler als Staaten, einige von ihnen sind nicht nur in ihren Nachhaltigkeitszielen, sondern auch in der praktischen Umsetzung viel weiter als die Staaten.

Klima

Eine globale Erwärmung um 1°C über das vorindustrielle Niveau − die bereits überschritten ist − würde eine mäßige Wahrscheinlichkeit für Kipppunkte wie den Zusammenbruch des Grönlandeises oder das plötzliche Auftauen des borealen Permafrosts bedeuten und würde erheblichen Schaden für Millionen Menschen vermeiden. Derzeit beträgt die Erwärmung schon 1,2°C. Da eine Rückkehr zu 1°C und zu einem CO2-Gehalt von 350ppm in absehbarer Zeit nicht möglich ist, sind Anpassungsmaßnahmen und Entschädigungen um so dringender.

Biosphäre

Für dieses Erdsystem werden zwei komplementäre Bereiche untersucht: Die Fläche von großteils intakten natürlichen Ökosystemen und die funktionelle Integrität aller Ökosysteme, städtische und landwirtschaftliche mit eingeschlossen. Auf Grundlage von Klima- Wasser- und Artenerhaltungsmodellen werden großteils intakte natürliche Gebiete im Ausmaß von 50 bis 60 Prozent der globalen Landflächen für erforderlich gehalten, dazu auch Meeresgebiete in einer ähnlichen Größenordnung. Das ist sowohl für die Kohlenstoffbindung an Land und im Wasser notwendig als auch um weiteres Artensterben an Land und im Wasser großteils zu vermeiden. Derzeit sind 45 bis 50 Prozent der Landfläche noch großteils intakte Ökosysteme.

Da die Biosphäre eng vernetzt ist, müssen auch naturnahe Flächen relativ gleichmäßig verteilt sein. Die Forscher schlagen vor, dass auf jedem Quadratkilometer 20 bis 25 Prozent naturnahe Fläche vorhanden sein sollen. Es ist leicht einsehbar, dass Bestäuber oder Nützlinge, die Pflanzenschädlinge erbeuten, nur jeweils in einem relativ kleinen Umkreis wirksam sind, dass manche Pflanzen ihre Samen nur wenige Meter weit verbreiten können, dass kleine Säugetiere zu einander finden müssen, um sich fortpflanzen zu können und so weiter. Kleinräumigkeit von naturnahen Flächen ist auch notwendig für den den Wasserhaushalt, die Wasserqualität, Bodenschutz, Schutz vor Naturgefahren und die Erholungsmöglichkeiten für Menschen. Derzeit liegt nur ein Drittel der von Menschen bewohnten Landfläche innerhalb dieser Grenze.

Süßwasser

Strömungsveränderungen von Flüssen gehören zu den Hauptursachen für den Artenverlust im Süßwasser, der noch schlimmer ist als in terrestrischen oder marinen Systemen. Das beeinträchtigt die Ökosystemleistungen für Menschen wie Küsten- und Flussfischerei, von der Millionen Menschen abhängig sind. Als sichere Grenze wird angenommen, dass die Wasserführung von Flüssen zu 80 Prozent auf dem natürliche Niveau verbleiben muss und nur 20 Prozent für Bewässerung, Stromerzeugung etc. abgezweigt werden dürfen. Zwei Drittel der globalen Landfläche erfüllen diese Vorgaben.

Für Grundwasser liegt auf der Hand, dass nicht mehr Wasser entnommen werden darf, als in einem Jahr wieder aufgefüllt wird. Es wird geschätzt, dass in 47 Prozent der Wasserscheiden der Grundwasserspiegel immer mehr absinkt, weil zu viel Wasser entnommen wird.

Nährstoffkreisläufe

Stickstoff und Phosphor sind unentbehrliche Bausteine für alles Leben. Die Ernährung von Milliarden Menschen ist von Stickstoff-. und Phosphordüngung abhängig. Doch wenn mehr Stickstoff und Phosphor ausgebracht wird, als die zu düngenden Pflanzen aufnehmen, wird der Überschuss ausgespült und gelangt in die Gewässer. Hohe Konzentrationen vor allem in ursprünglich nährstoffarmen Gewässern beeinträchtigen Ökosysteme und ihre Leistungen durch Eutrophierung, also übermäßiges Wachstum von Algen und Wasserpflanzen, die anderen Spezies die Lebensgrundlage entziehen. So können Fischbestände zusammenbrechen, Algenblüten Giftstoffe abgeben. Nitratverseuchtes Trinkwasser gefährdet die Gesundheit ebenso wie Luftverschmutzung durch aus Ammoniak entstehende Aerosole. Daher wird eine sichere und gerechte Grenze von 61 Gigatonnen Stickstoffüberschuss und 4,5 bis 9 Gigatonnen Phosphorüberschuss pro Jahr festgelegt. Derzeit werden pro Jahr 232 Gigatonnen Stickstoff eingesetzt, wovon mehr als die Hälfte, nämlich 119 Gigatonnen überschüssig sind. Gleichzeitig sind manche Menschen vom Zugang zu Düngemitteln ausgeschlossen. Der Phosphor-Überschuss beträgt ca. 10 Gigatonnen pro Jahr, die jährliche Förderung ca. 17 Gigatonnen. Dazu ist zu bedenken, dass mineralisches Phosphat eine begrenzte Ressource ist, und der Abbau arme und marginalisierte Gemeinschaften durch Bergbauabfälle, Zerstörung von Land und Verletzung von Menschenrechten schädigt.

Luftverschmutzung durch Aerosole

Einerseits ist Luftverschmutzung durch Aerosole, insbesondere Feinstaub, gesundheitsgefährdend. Andererseits wirken sich Aerosole auf die Sonneneinstrahlung aus. Ein zu großer Unterschied zwischen dem Aerosolgehalt auf der Nord- und auf der Südhalbkugel könnte eine Verschiebung des Monsunregens nach Norden oder Süden bewirken. Der Unterschied sollte daher nicht mehr als 15 Prozent betragen.

Um die Wahrscheinlichkeit von erheblichem Schaden durch Erkrankungen der Atemwege und des Herz-Kreislaufsystems zu minimieren, sollte der Schadstoffgehalt der Luft nicht mehr als 15 μg pro m³ betragen. 85 Prozent der Weltbevölkerung sind derzeit höheren Feinstaubkonzentrationen ausgesetzt, was bewirkt, dass jedes Jahr 4,2 Millionen Menschen vorzeitig sterben.

Gefahr von negativen Kipppunkten

Die Autor:innen warnen, dass dieser sichere und gerechte Bereich immer kleiner wird und dass es ohne drastische Veränderungen im Jahr 2050 nicht mehr möglich sein könnte, im Rahmen der Erdsystem-Grenzen allen Menschen auch nur grundlegende Ressourcen wie Nahrung, Wasser und Energie zur Verfügung zu stellen.

„Es besteht die Gefahr, dass die Systeme der Erde Kipppunkte überschreiten und weiteren Schaden anrichten, wenn wir nicht unsere Energie-, Nahrungsmittel- und Stadtsysteme grundlegend verändern“, erklärt IIASA-Forscherin Caroline Zimm, eine der Studienautor:innen.

Ungleichheit ist das Hauptproblem

Die Studie hebt hervor, dass Ungleichheit und der übermäßige Verbrauch von Ressourcen durch einen kleinen Teil der Weltbevölkerung die Hauptursachen für diesen schrumpfenden Lebensraum sind, und dass ärmere Gemeinschaften, die bereits jetzt am stärksten unter Klimawandel, Artensterben und Umweltverschmutzung leiden, am stärksten gefährdet sind.

In einer früheren Arbeit stellte sich die Earth Commission die Frage: Was würde es für die Erdsystem bedeuten, wenn man allen Menschen, die heute in Armut leben, die Mindestmenge an Ressourcen zur Verfügung stellen würde, die einen grundlegenden Lebensstandard ermöglichen? Das Ergebnis war, dass die Gewährleistung eines Mindestzugangs in der heutigen ungleichen Welt den Druck auf die natürlichen Erdsysteme nur gering vergrößern würde. Mit einer Ausnahme: dem Klima. Auswirkungen auf das Klimasystem könnten erheblich sein. Die Annahme, dass Wirtschaftswachstum zur Verringerung der Armut führt, weil es den Wohlstand für alle, also auch die Ärmsten, erhöht, stimmt nicht mehr. Die Ressourcen der Erde geben das nicht mehr her. Aber der Druck, der entstehen würde, wenn etwa das ärmste Drittel der Menschheit in der Größenordnung des „Mindestzugangs“ konsumieren würde, wäre genauso hoch wie der Druck, der durch den Konsum der reichsten 1 bis 4 Prozent entsteht. Dies bedeutet, dass zur Erreichung gesellschaftlicher und ökologischer Ziele ein transformativer Wandel Ressourcenverbrauch von den „Überkonsument:innen“ zu den „Unterkonsument:innen“ umverteilen muss.

Auch die Wohlhabenden sind gefährdet

Niemand ist jedoch vor den Folgen einer anhaltenden Schädigung der Erdsysteme sicher. Selbst die Wohlhabenden, die die Auswirkungen zunächst vielleicht weniger spüren, sind auf lange Sicht gefährdet, wenn die Umweltsysteme, die Leben und Wirtschaft ermöglichen, zusammenbrechen.

„Wir beginnen zu erkennen, welchen Schaden die Ungleichheit der Erde zufügt. Zunehmende Umweltverschmutzung und schlechte Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen fügen Menschen und Natur erheblichen Schaden zu. Je länger wir die Kluft zwischen denen, die zu viel haben, und denen, die nicht genug haben, vergrößern, desto extremer sind die Folgen für alle, da die Unterstützungssysteme, die unsere Lebensweise, unsere Märkte und unsere Volkswirtschaften stützen, zusammenbrechen“, erklärt Studienleiterin Joyeeta Gupta, ehemalige Co-Vorsitzende der Earth Commission und Professorin für Umwelt und Entwicklung im globalen Süden an der Universität Amsterdam.

Drei Schlüsselbereiche

Um weiteren Schaden zu verhindern und eine stabile Zukunft zu gewährleisten, fordern die Autor:innen dringendes Handeln in drei Schlüsselbereichen:

  • Wirtschaft und Gesellschaft: Regierungen, Unternehmen und Gemeinschaften müssen zusammenarbeiten, um Strategien zu entwickeln, die die Ungleichheit verringern und gleichzeitig den Druck auf den Planeten senken.
  • Ressourcenmanagement: Ressourcen müssen gerechter und effizienter geteilt werden.
  • Nachhaltige Technologien: Wir brauchen mehr Investitionen in nachhaltige Technologien, die weniger Ressourcen verbrauchen und den schrumpfenden sicheren und gerechten Raum wieder öffnen .

Große Veränderungen sind nötig

Diese Veränderungen erfordern große Veränderungen in der Funktionsweise von Gesellschaften, Unternehmen und Volkswirtschaften. Die Autor:innen betonen jedoch, dass das Wissen und die Instrumente für diese Transformationen bereits vorhanden sind.

„Städte und Unternehmen sind besonders gut positioniert, um diese Bemühungen anzuführen, da sie über die Flexibilität verfügen, die Transformation hin zu einem positiven Kippen menschlicher Systeme zu leiten, um ein negatives Kippen des Erdsystems zu vermeiden. Indem sie wissenschaftlich fundierte Ziele setzen und sich auf die Verbesserung der Effizienz und Angemessenheit bei der Nutzung planetarischer Ressourcen und Erdsystemdienste konzentrieren, können sie eine Schlüsselrolle bei der Schaffung einer sicheren und gerechten Zukunft für alle spielen“, sagt der Co-Autor der Studie und IIASA Distinguished Emeritus Research Scholar, Nebojsa Nakicenovic.

Die Autor:innen kommen zu dem Schluss, dass der einzige Weg in eine nachhaltige und gerechte Zukunft darin besteht, die Ungleichheit zu verringern und die Art und Weise zu verändern, wie wir die Ressourcen der Erde nutzen. Wenn wir jetzt handeln, können wir immer noch sicherstellen, dass jede und jeder auf dem Planeten der Armut entkommt und vor Schäden durch Umweltveränderungen geschützt ist. Das Zeitfenster für Maßnahmen schließt sich jedoch schnell.

Referenz
Gupta, J., Bai, X., Liverman, DM, Rockström, J., Qin, D., Stewart-Koster, B., Rocha, JC, Jacobson, L., et al. (2024): A just world on a safe planet: a Lancet Planetary Health–Earth Commission report on Earth-system boundaries, translations, and transformations The Lancet Planetary Health DOI: 10.1016/S2542-5196(24)00042-1

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Lesen für die Klima-, Biodiversitäts- und andere Krisen

Lesedauer 7 Minuten.   

Mitglieder der Scientists4Future Österreich geben Empfehlungen für Sachbücher, Essays und Romane zur Klimakrise, Biodiversitätskrise und zu anderen Krisen.1

SACHBÜCHER

Thomas Brudermann, Die Kunst der Ausrede. Warum wir uns lieber selbst täuschen, statt klimafreundlich zu leben. Oekom Verlag München, 2022

Der Autor ist Professor an der Universität Graz und Scientist4Future. Er fragt, was klimafreundliches Handeln so schwer macht und was es aus Sicht der Psychologie für eine nachhaltige Gesellschaft braucht. Die feinen Cartoons mit freundlichen Capibaras machen die Lektüre besonders erfreulich, eine Tabelle mit allen Ausreden und möglichen Umgangsweisen damit am Ende des Buches sind eine ausgezeichnete Grundlage für die Kommunikation mit anderen. Das Werk wurde 2023 mit dem Eunice Foote Preis für Klimakommunikation ausgezeichnet. (VW)

Daniel Ennöckl (Hrsg), Klimaschutzrecht im Querschnitt von Wissenschaft und Praxis, Verlag Österreich, 2023

Dieses Handbuch bietet eine umfassende, fundierte Aufbereitung der Querschnittsmaterie Klimaschutzrecht. In 21 Kapiteln behandeln Autorinnen aus Wissenschaft und Praxis alle wesentlichen Bereiche dieses dynamischen Rechtsgebiets: von den völker-, unions- und verfassungsrechtlichen Grundlagen des Klimaschutzes über Emissionshandel, Energieeffizienz und erneuerbare Energien bis hin zu Klimaklagen, Zivilgesellschaft und Zivilrecht. Als erste derartige Gesamtdarstellung in der österreichischen Rechtsliteratur wendet sich dieses Handbuch an alle Rechtsanwenderinnen, Wissenschaftler*innen und Studierenden, die sich einen Überblick über die Rolle des Klimaschutzes im Recht verschaffen oder ihr einschlägiges Wissen vertiefen wollen.

Hans Holzinger, Wirtschaftswende, Oekom 2024

Das Buch macht deutlich, dass es mittlerweile zahlreiche Transformationsansätze gibt, und es beschreibt, wie die Wirtschaftwende gelingen könnte. Es richtet sich an ein breites Publikum, um die Zukunftsvorschläge über die Fachwelt hinaus bekannt und diskutierbar zu machen. Der Autor benennt die Nichtnachhaltigkeit unserer aktuellen Wirtschafts- und Lebensweise, er skizziert aber insbesondere die vielen Neuansätze in den Bereichen Energie und Ernährung, Mobilität und Stadt, Finanzen und Steuern sowie Unternehmen und Konsum. Deutlich wird, wie all diese Wenden mit Wirtschaft zu tun haben. (MA, ganze Rezension hier)

Naomi Oreskes, Erik M. Conway: Die Machiavellis der Wissenschaft: Das Netzwerk des Leugnens. Wiley-VCH Verlag, Weinheim 2014

Ein Klassiker, der die Vorgangsweise großer Konzerne seziert, die Zweifel säen, um ihre Geschäfte nicht zu gefährden, dargestellt unter anderem an der Tabakindustrie. Der englische Titel „Merchants of Doubt“ (etwa: Die Händler des Zweifels) trifft besser als die deutsche Übersetzung. Leider inzwischen vergriffen, vielleicht antiquarisch erhältlich.  (VW)

Friederike Otto, Wütendes Wetter. Auf der Suche nach den Schuldigen für Hitzewellen, Hochwasser und Stürme. Ullstein Verlag, Berlin 2019

Die Autorin ist Professorin in Oxford, hochrangiges Mitglied des Weltklimarates und die Mitbegründerin der Zuordnungsforschung. Sie erklärt verständlich und erzählt packend die Geschichte der Entwicklung ihrer Forschungsrichtung entlang einiger Katastrophen, für die es ihrem Team gelang, den Beitrag der Treibhausgasemissionen zu berechnen. Spannend, informativ, erklärend ohne belehrend zu wirken. (VW)

Corine Pelluchon, Manifest für die Tiere, aus dem Französischen übersetzt von Michael Bischoff, C.H. Beck, München 2020

In ihrem kurzen und gut zu lesenden Buch befasst sich die Philosophin Corine Pelluchon mit der uns so selbstverständlich erscheinenden Unterdrückung von Tieren. Wie wir mit nicht-menschlichen Tieren umgehen betreffe im Kern die Frage nach unserer Menschlichkeit. Dabei bleibt sie nicht bei einer theoretischen Auseinandersetzung, sondern gibt auch konkrete Tipps und benennt (Zwischen-)Ziele, die einen – sozial gerechten – Ausweg aus dem System der Misshandlung und Ausbeutung von Tieren aufzeigen. (VW)

Michael Rosenberger, Was der Seele Leben schenkt. Spiritualität aus Erde. Echter Verlag Würzburg, 2020

Der Autor ist Professor für Moraltheologie an der Katholischen Privatuniversität Linz; von ihm stammen zahlreiche Veröffentlichungen zu umweltethischen Fragen. Er wirkt bei S4F im Fachkollegium mit. Er vermittelt eine erdgebundene, allen Menschen zugängliche Spiritualität, die von den menschlichen Grunderfahrungen ausgeht, um daraus Orientierung für die praktische Lebensgestaltung zu gewinnen. Eine Buch, das die Seelsorge, als Sorge um die Menschen, die sich engagieren und dabei ausbrennen, als Sorge um die Menschen, die aus Angst nicht handeln, als Sorge um alle Menschen, ins Zentrum stellt. Gut lesbar, knapp, und ein ganz anderer Zugang zur Klimakrise als üblich. (VW)

ESSAYS

Rachel Carson, Silent Spring, Houghton Mifflin, 2002 (Englisch)  

Wohl eines DER Öko-Bücher, welches maßgeblich für die Gründung der US EPA war. (MS)

Gregory Fuller, Das Ende – Von der heiteren Hoffnungslosigkeit im Angesicht derökologischen Katastrophe, Meiner, 2017
 

Obgleich erstmals 1994 erschienen ist dieser Essay unverändert aktuell (auch wenn heute manche Aspekte fachlich anders  gesehen werden) und bietet viel Nachdenkstoff zum ethischen Umgang mit der Umweltkrise.

Amitav Ghosh, Die große Verblendung. Der Klimawandel als das Undenkbare. Karl Blessing Verlag, München 2017

Der indische Autor, studierter Sozialanthropologe, der in New York lebt, schreibt seit Jahrzehten über Indien. Hier geht es aber – durchaus aus postkolonialer Perspektive, um mehr: Warum ist der Klimawandel kein Thema der Literatur? Dieser Essay argumentiert, dass die Kunst sich zu wenig mit dem Klimawandel beschäftige. Das mag sich seit 2017 geändert haben, die Grundfrage, ob die Menschheit verblendet sei, ist nach wie vor aktuell. Sprachlich eleganter Essay von einem großen Autor. In seinem Buch Gun Island (Dt. Die Inseln, Karl Blessing Verlag 2019) nimmt er seine Herausforderung an, Klimaflüchtlinge und Umweltaktivismus spielen eine große Rolle in diesem Roman. (VW)

Daniel R. Headrick, Macht euch die Erde untertan – Die Umweltgeschichte des Anthropozäns,
 wbg Theiss, 2021
 

Um die heutigen multiplen Umweltkrisen besser einordnen zu können, ist diese Zusammenschau unbedingt lesenswert.

Bruno Latour/Nikolaj Schultz, Zur Entstehung einer ökologischen Klasse, edition suhrkamp, 2022


Latour und Schultz erörtern aus soziologischer Sicht, warum es der Bildung einer “ökologischen Klasse” (analog zur Bildung der Arbeiterklasse) bedarf.

Martha Nussbaum, Gerechtigkeit für Tiere wbg Theiss, 2023


Eine rechtliche, philosophische und ethische Grundlegung primär in Bezug auf unseren Umgang mit Tieren – mit vielem, was man darüber hinaus weiterdenken kann.

Verena Winiwarter, Der Weg zur klimagerechten Gesellschaft. Sieben Schritte in eine nachhaltige Zukunft, picus, Wien 2022

Die Autorin ist Umwelthistorikerin und engagiert sich bei S4F im Fachkollegium. Aus einer „Wiener Vorlesung“ ging dieser kurze Text hervor (72 S), der Grundrechtsdemokratie, die Auflösung der Öffentlichkeit durch soziale Medien und ihre Algorithmen, Daseinsvorsorge und fossile Energie in einen unerwarteten Zusammenhang bringt. Sie schlägt einen Verfassungskonvent vor, der mit einer klimagerechten Verfassung die Grundlage für eine klimagerechte Gesellschaft legt. (VW)

Schule und Kinder

David Nelles & Christian Serrer, Kleine Gase – Große Wirkung. Spiegel Verlag, 2018

Für Einsteiger*innen: Das Buch eignet sich für Laien, Schulen, Lehrer*innen, um auch schnell mal zwischendurch einen Informationshappen gut aufbereitet aufzunehmen; es greift gut fundiert viele Themen auf, ohne zu überfordern.

Andri Snaer Magnason (Author), Aslaug Jonsdottir (Illustrator), Julian Meldon D’Arcy (Translator), The Story of the Blue Planet, Triangle Square (Englisch)


Sehr nett gestaltetes Kinderbuch, das neben vielen anderen Themen auch eine ökologische Message beinhaltet. (MS)

ROMANE

Margaret Atwood, Oryx und Crake, Piper, 2017


Atwood verbindet einen Thriller in einer künftigen Welt der Klimakatastrophe mit einem schmerzhaften Kommentar zu unserer Zeit.

T. C. Boyle, Blue Skies, Carl Hanser, 2023
 

Amerika in einer möglichen nahen Zukunft. Dystopisch, bissig und brillant.

Frank Herbert, Der Wüstenplanet, Heyne, 2016 und folgende


Bestimmt schon bekannt durch den Film, das Buch ist aber auf jeden Fall eine Empfehlung wert. Besonders Buch 1 ist aus ökologischer Sicht spannend. Für die ganze erste ökologische Transformation des Planeten muss man allerdings Buch 1 bis 4 lesen. (MS)

Maja Lunde, Die Geschichte der Bienen, btb, München 2017

Die Norwegerin ist als Autorin von Romanen und Drehbüchern inzwischen auch außerhalb Europas bekannt, dieser Roman ist der erste Teil des „Klimaquartetts“, von dem bisher drei Bände erschienen sind. Die Geschichte der Bienen zählt zum Packendsten, was es an Klimaromanen gibt. Eine in synthetischer Kleidung schwitzende chinesische Arbeiterin, die mühsam mit der Hand Obstbäume bestäubt wird zur Hauptfigur eines der ineinander verwobenen Teile dieses Romans, der die gesellschaftlichen Konsequenzen des Artensterbens greifbar macht und ganz nebenbei auch noch eine spannende Wissenschaftsgeschichte erzählt. (VW)

Maja Lunde, Die Geschichte des Wassers, btb, München 2018

Was geschieht, wenn Wasser durch die Klimakrise zu einem unerreichbaren Gut wird? Gewalt, Flucht, verlassene Landstriche, ein Schiff auf dem Trockenen und ein unerwarteter lebensrettender Fund machen diese Geschichte zu einer abenteuerlichen Lektüre. Zweiter Teil des Klimaquartetts, macht wie der erste band die Konsequenzen für Einzelne und Staaten (mit-)fühlbar. Wie im Bienen-Band werden mehrere Erzählstränge ineinander verwoben. (VW)

Maja Lunde, Die letzten ihrer Art, btb München, 2019

Geht es hier um die Przewalskipferde, ihre Geschichte, ihre Erhaltung durch auswildern oder darum, dass das Überleben für Menschen Mitte des 21. Jahrhunderts immer schwieriger werden wird? Wie in den ersten beiden Bänden des „Klimaquartetts“ der Autorin werden mehrere Geschichten miteinander verknüpft, die Schauplätze reichen von der Mongolei bis Norwegen. (VW)

Günther Neuwirth, Vogelstimmen, Edition Keiper 2024

Der Ornithologe Rémy erforscht im Wald die Gesänge der Vögel, die Informatikerin Verena sammelt im Südpolarmeer Daten, der Gitarrist Alwin verbringt sein Leben in Tonstudios, die Australierin Karlene zieht mit ihrer Geige durch Europas Städte, Harald und Katja erleben die Abschaffung der Demokratie am eigenen Leib. Und an den Stränden des Mittelmeers hungern immer mehr Mitglieder der friedlichen Sekte der Weißen Tücher. Was macht der nahende Kollaps der Ökosphäre mit den sechs jungen Menschen? Was tun, wenn Umweltschutz als Terrorismus gilt? Wo bleibt das Glück inmitten des ausbrechenden Irrsinns? (MA)

Richard Powers, Die Wurzeln des Lebens, aus dem Englischen übersetzt von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié, S. Fischer, Frankfurt am Main 2020

Der US-amerikanische Schriftsteller Richard Powers widmet sich in seinen Werken oft naturwissenschaftlichen und philosophischen Themen und Fragen. Sein Roman „Die Wurzeln des Lebens“, der beides verknüpft, wurde 2019 unter anderem in der Kategorie Unterhaltung als Wissensbuch des Jahres ausgezeichnet. Auf fesselnde Weise beschreibt Powers in ihm, wie das Leben aller Protagonist*innen, der menschlichen wie nicht-menschlichen, so wie das titelgebende Wurzelgeflecht der Bäume miteinander verknüpft ist. Alle eint der Kampf für den Schutz der Bäume vor Abholzung und die Auseinandersetzung mit dem zuwiderlaufenden politischen und gesellschaftlichen Dynamiken. Dabei lässt sich einiges über die auch für uns so lebenswichtigen Bäumen lernen, die manch eine*r nach der berührenden Lektüre sicherlich mit anderen Augen sieht. (VW)

Kim Stanley Robinson, New York 2140, Heyne 2018

Der amerikanische Science Fiction Spezialist hat schon mehrfach Preise für „Eco-Fiction“ gewonnen. “Climate Fiction” gibt es inzwischen wie Sand am Meer, aber ein Buch wie dieses, das auf über 800 Seiten einen weiblichen Internetstar im Luftschiff Eisbären in die Antarktis fliegen lässt, was Artenschützer nicht nur mit Begeisterung erfüllt, in dem zwei Computergeeks eine Entdeckung machen, die sie in Lebensgefahr bringt, in dem eine der Hauptrollen das durch den Meeresspiegelanstieg zum Archipel von Hochhausspitzen gewordene Manhattan spielt, in dem Finanzspekulation in der Gezeitenzone auf Hochtouren läuft und einzig und allein die Isländer, die immer schon etwas mißtrauischer waren, noch über alle ihre Personenstandsdaten verfügen, ein Buch wie dieses gibt es nicht alle Tage. Die unvermeidliche Liebesgeschichte ist eine der wenigen Schwächen dieses nicht nur fabulierlustigen, sondern auch sehr informativen Buches: denn aus der Zukunft wird auf die Vergangenheit, unsere Gegenwart, geblickt – das gibt Anlaß für Klimabildung aller Art. Leichtfüßig, witzig und trotzdem durchaus zum Nachdenken anregend. An diesem Buch scheiden sich die Geister, aber wer dicke Bücher, die vor Leben und Details strotzen, schätzt und wer New York kennt und vielleicht sogar mag, ist hier gut beraten. (VW)

Kim Stanley Robinson, Das Ministerium für die Zukunft, Heyne 2023

Das erste Kapitel dieses im Jahr 2025 spielenden Romans ist hart. Die Unbarmherzigkeit einer Hitzewelle in Indien lässt niemanden kalt. Danach wird es weniger drastisch. Barack Obama und Bill Gates haben dieses Buch beide empfohlen. Es ist trotzdem lesenswert, im Vergleich zu New York 2140 vom selben Autor deutlich weniger verästelt, aber kunstvoll und kenntnisreich erzählt. Pflichtlektüre für alle, die sich fragen, wie das mit der Klimakrise im globalen Süden denn so sein wird. (VW)

Empfehlungen von unseren Follower:innen

Dave Goulsen, Stumme Erde – Warum wir die Insekten retten müssen, Hanser 2022

Dave Goulsen, The Garden Jungle, Penguin Books 2020

Bibliotheken

Südwind Bibliotheken: https://www.suedwind.at/bildungsangebot-und-globales-lernen/suedwind-bibliotheken/

  1. Die Liste wird laufend ergänzt. Gerne nimmt die AG Öffentlichkeitsarbeit Vorschläge mit einem persönlichen Begründungstext wie oben entgegen. ↩︎
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Klima Overshoot: Gibt es ein Zurück nach 1,5 Grad Celsius?

Lesedauer 3 Minuten.   

Viele optimistische Vorhersagen für unsere Klimazukunft räumen ein, dass es uns nicht gelingen wird, die globale Erwärmung unter 1,5 Grad Celsius zu halten – gehen aber davon aus, dass wir der Katastrophe entkommen können, wenn wir nachträglich CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernen. Das könnte allerdings nur eine Illusion sein, argumentiert ein Leitartikel in der Zeitschrift Nature: Neue Forschungsergebnisse kommen zu dem Ergebnis, dass einige Erdsysteme wahrscheinlich nicht in ihr vorheriges Gleichgewicht zurückgeführt werden können, selbst wenn man davon ausgeht, dass die Entfernung des überschüssigen CO2 machbar ist.

Ein Team unter der Leitung von Carl-Friedrich Schleussner von Climate Analytics, einem gemeinnützigen Forschungsinstitut in Berlin, berichtet jüngst in der Zeitschrift Nature, dass selbst eine vorübergehende Temperaturüberschreitung dazu führen wird, dass sich die Klimaauswirkungen über die nächsten Jahrzehnte hinweg akkumulieren ( C.F Schleussner et al ., Nature 634 , 366-373; 2024).

Zu diesen Auswirkungen würden heftigere Stürme, Hitzewellen und die Zerstörung von Ökosystemen gehören, und es würde alles andere als einfach sein, genügend CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen, um den Kurs umzukehren.
Es ist nicht so, dass Methoden zur Kohlenstoffentfernung nicht funktionieren. Manche funktionieren. Die einfachste ist natürlich das Pflanzen von Bäumen, oder besser gesagt, die Schaffung und Wiederherstellung von natürlichen Kohlenstoffsenken wie Wäldern, Mooren und Feuchtgebieten, Mangrovenwäldern, Seegraswiesen und so weiter. Komplexere Maßnahmen umfassen die direkte Extraktion von Kohlenstoff aus der Atmosphäre. Wenn die derzeitigen Emissionen ungebremst weitergehen, müssten, wie Schleussner und seine Kollegen schätzen, bis zum Jahr 2100 bis zu 400 Gigatonnen CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden, um die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.

400 Gigatonnen CO2 enthalten 109 Gigatonnen Kohlenstoff, das ist fast ein Sechstel des derzeit in den Wäldern der Erde gespeicherten Kohlenstoffs. Die Wälder, die diesen Kohlenstoff ab 2050 aufnehmen sollen, müssten jetzt gepflanzt werden, weil nur reife Wälder die erforderliche Aufnahmekapazität haben. Tatsächlich verlieren wir aber derzeit jährlich 0,33 Prozent unserer Wälder.

Derzeit wird viel über CO2-Abscheidung gesprochen und geschrieben. Dabei geht es um unterschiedliche Verfahren mit unterschiedlichen Zwecken. CO2-Abscheidung und Nutzung (CCU: Carbon Capture and Utilization) soll CO2 aus Verbrennungsgasen (vor allem von Kraftwerken, Stahl- und Zementproduktionen) das Kohlenstoffdioxid herausfiltern und einer industriellen Nutzung zuführen. CO2-Abscheidung und Speicherung (CCS: Carbon Capture and Storage) soll das CO2 aus Verbrennungsgasen dauerhaft unterirdisch speichern. Beide Methoden verringern nicht den CO2-Gehalt der Atmosphäre. Es gelangt bloß weniger CO2 in die Atmosphäre als bei ungefilterter Verbrennung. Bei CCU gelangt das CO2 in den meisten Anwendungsbereichen überhaupt nur später in die Atmosphäre.

Um die Durchschnittstemperatur der Erdatmosphäre zu senken, muss jedoch der CO2-Gehalt der Atmosphäre verringert werden. Denn diese Temperatur ist abhängig von der absoluten Menge an CO2, die in der Atmosphäre enthalten ist. Zur technischen Verringerung des CO2-Gehalts kommt nur direkte Entnahme von CO2 aus der Luft und die anschließende Speicherung in Frage (DACS: Direct Air Capture and Storage). Hier werden große Mengen Luft mit riesigen Gebläsen durch einen Abscheideapparat geleitet. Das CO2 wird dort entweder in einer Flüssigkeit herausgewaschen oder an einen Feststoff gebunden. Anschließend wird das reine Gas je nachdem durch Verdampfen oder Erhitzen des Feststoffs entzogen.

Die größte derzeit geplante Anlage zur direkten Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre soll eine Kapazität von 500.000 Tonnen CO2 jährlich haben. Um die 400 Milliarden Tonnen zu bewältigen, müssten 16.000 solcher Anlagen 50 Jahre lang arbeiten. Die Kostenschätzungen für direkte Kohlenstoffentnahme bewegen sich zwischen 200 und 700 USD pro Tonne. Die Kosten würden sich also zwischen 80 und 280 Billionen Dollar bewegen.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass es möglich ist, diese Menge an CO2 beziehungsweise Kohlenstoff zu entfernen, werden einige Erdsysteme wahrscheinlich nicht zu ihrem vorherigen Gleichgewicht zurückkehren. Einige Veränderungen, wie der steigende Meeresspiegel, sich verändernde Ökosysteme und regionale Klimaveränderungen, werden wahrscheinlich von Dauer sein und nachhaltige Auswirkungen auf die Landwirtschaft und andere Industriezweige haben. Für viele Menschen wird das Klima, das sie nach einem Überschreiten der Zielvorgaben erleben werden, nicht das gleiche sein wie zuvor, selbst wenn die globalen Durchschnittstemperaturen auf das Niveau vor dem Überschreiten zurückkehren.

Gefahr von Kipppunkten

Darüber hinaus erhöhen höhere Temperaturen  –  selbst für kurze Zeit  –  das Risiko von Kipppunkten, die das Erdsystem oder Teile davon in einen völlig neuen Zustand versetzen könnten. Zu dieser Schlussfolgerung gelangen Annika Högner vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Tessa Möller vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse in Laxenburg, Österreich (T. Möller et al. Nature Commun. 15 , 6192; 2024) in einer im August veröffentlichten Studie.

Mit jedem weiteren Temperaturanstieg über 1,5 Grad Celsius nimmt das Risiko zu, klimatische Kipppunkte zu überschreiten. Und das wären Ereignisse, die nicht rückgängig gemacht werden können: Wenn der grönländische Eisschild zusammenbricht, kann er nicht wieder regeneriert werden, wenn der Amazonas-Regenwald sich in eine Savanne verwandelt, kann er nicht wieder zum Regenwald werden.

Regierungen und Industrie müssen sich mit aller Kraft auf die bevorstehenden Risiken und deren Eindämmung konzentrieren. Das bedeutet nichts weniger als die Emissionen drastisch zu senken und die Menschen durch Anpassungsmaßnahmen vor den Folgen der Klimaerhitzung möglichst zu schützen. Abzuwarten und die Atmosphäre später zu reinigen, wäre eine Katastrophe – für die Menschen und den Planeten.

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Fachleute fordern: Weg vom Angst-Modus in der Klimakommunikation

Lesedauer 2 Minuten.   

„Die neue Klimakommunikation aktiviert Menschen und motiviert sie zum Handeln. Ziel ist es, Veränderungen sowohl auf gesellschaftlicher, als auch auf persönlicher Ebene zu erzielen,“ heißt es in der Grazer Charta der Klimakommunikation, die auf dem jüngsten K3-Kongress zur Klimakommunikation veröffentlicht wurde. Fachleute aus Wissenschaft, Journalismus, Kommunen und Nicht­regierungsorganisationen fordern diesen Kurswechsel in der Kommunikation über Klima­themen.

Interessierte Personen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft sind eingeladen, die Charta zu unterzeichnen.

Die Charta richtet sich insbesondere an Institutionen und Menschen, die beruflich oder aus gesellschaftlichem Engagement über Klimakrise und Klimaschutz kommunizieren. Sie ist daher als Orientierung gedacht für die klimapolitische Debatte. Zugleich versteht sie sich als Wegwei­ser einer „guten fachlichen Praxis“ in der praktischen Kommunikation – also für die Arbeit von Klimaschutzbeauftragten in Kommunen ebenso wie für Fachleute aus der Klimaforschung, für Verkehrsexpert:innen oder Installateure, die mit ihren Kunden über neue Heizungen sprechen.

Dazu betont Marie-Luise Beck, Geschäftsführerin des Deutschen Klima-Konsortiums und Mit-Initiatorin der Charta: „Wir wollen die Chancen eines klimafreundlichen Lebens in den Blick nehmen, statt uns auf Debatten einzulassen, in denen es vor allem darum geht, das Weiter-so zu verteidigen.“

Zu den rund 80 Erstunterzeich­nenden zählen unter anderem die Klimaforscher Johan Rockström, John Schellnhuber, Reto Knutti, Sonia Seneviratne und Otmar Edenhofer, die Schauspielerin und Produzentin Maria Furtwängler, der Meteo­rologe Karsten Schwanke, der Arzt und Kabarettist Eckart von Hirschhausen, der Autor George Marshall und die Psycholog:innen Cornelia Betsch, Elke Weber, Ellen Matthes, Thomas Bruder­mann und Katharina van Bronswijk.

Weg vom Angst-Modus, hin zu Handlungsoptionen

Die Initiator:innen der Charta beklagen, dass viele Menschen das Reden über Klimaschutz als polarisierend erleben. Bisherige Aufrufe zum Handeln verfehlten ihre Wirkung:

„In immer drastischerer Form vor den bedrohlichen Veränderungen des Klimasystems zu war­nen, greift zu kurz“, heißt es in der Charta. „Zu häufig lähmt, verunsichert und polarisiert solche Kommunikation, insbesondere wenn sie Probleme und Risiken nur benennt, ohne Lösungen und Handlungsoptionen aufzuzeigen.“

Bei den Lösungen herrsche „häufig die perfektionistische Vorstellung vor, dass Klimaschutz nur möglich ist, wenn man widerspruchsfreie Lösungen findet.“

„Mit der Charta wollen wir wegkommen vom Angstmodus der Kommunikation,“ sagt Carel Mohn, der als Chefredakteur des Portals Klimafakten zu den Initiator:innen der Charta gehört. Das gelte auch für die Klimapolitik. „Statt Menschen mit 5-vor-12-Rhetorik Angst zu machen, sollten wir den Fokus auf Lösungen richten.“

Veröffentlicht wurde die Charta am 26. September im Rahmen des K3-Kongresses zu Klimakom­munikation in Graz. Der bereits zum vierten Mal stattfindende K3-Kongress ist die größte deutschsprachige Zusammenkunft von Wissenschaft und Praxis zu Klimakommunikation.

k3-klimakongress.org/grazer-charta-der-klimakommunikation

Initiator:innen der Charta:

  • Carel Mohn, Klimafakten, 
  • Christopher Schrader, Journalist
  • Marie-Luise Beck, Deutsches Klima-Konsortium
  • Severin Marty, Proclim (Akademie der Naturwisseschaften Schweiz SCNAT)
  • Martha Stangl, Climate Change Centre Austria

Titelfoto: Treffen des österreichischen Klimarats, Copyright BMK

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Strenge Regulierungen können positive Kippunkte auslösen

Lesedauer 2 Minuten.   

CO2-Steuern, Subventionen für saubere Technologien oder strenge gesetzliche Auflagen? Was wirkt am besten?

Forscher:innen vom Global Sytems Institute der Universität Exeter haben klimapolitische Maßnahmen in 70 Ländern untersucht, und zwar im Hinblick auf ihre Wirkungen in den Sektoren Strom, Wärme, leichter Straßenverkehr und schwerer Straßenverkehr. Sie haben festgestellt, dass Steuern – das Mittel, das bisher am häufigsten eingesetzt wird – die schwächste Intervention waren, während Regulierungsauflagen den größten Einfluss hatten: Sie führten schnell zu einer Verbreitung sauberer Technologien auf einem Niveau, das in verwandten Branchen positive Wendepunkte auslöste.

Die Modellierung simulierte, wie Investoren oder Verbraucher auf der Grundlage von Verfügbarkeit, Kosten und historischen Präferenzen zwischen Technologien wählen. Die Forscher meinen, dass solche „Regulierungsauflagen mit spezifischen Zeitvorgaben“ dazu führen könnten, dass bestimmte Industriezweige einen steigenden Anteil am Umsatz mit sauberen Technologien erzielen oder die Nutzung der umweltschädlichsten Brennstoffe schrittweise einstellen. Sind diese Wendepunkte einmal erreicht, könnten sie positive Dominoeffekte in den entsprechenden Sektoren auslösen, die jeweils die anderen auf dem Weg zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft beschleunigen und gleichzeitig die Preise von sauberen Technologien für die Verbraucher drastisch senken.

Vier solcher Vorgaben wurden bewertet und werden im Bericht empfohlen. Dazu gehören:

  • der schrittweise Ausstieg aus der Kohlekraft bis 2035 für Industrieländer und bis 2045 für Entwicklungsländer;
  • die Vorschrift, dass ab 2025 ein steigender Anteil an allen verkauften Heizgeräten Wärmepumpen sein müssen, bis 2035 100 Prozent erreicht werden;
  • die Vorschrift, dass ein steigenderAnteil an allen verkauften Pkw emissionsfreie Fahrzeuge sein müssen, bis 2035 100 Prozent erreicht werden;
  • und die Vorschrift, dass der Anteil emissionsfreier Fahrzeuge an an allen verkauften LKW bis 2040 100 Prozent erreichen muss.

„Wir haben festgestellt, dass politische Maßnahmen zur Förderung der CO2-armen Energiewende in jedem dieser Sektoren dazu beitragen, den Wendepunkt auch in den anderen drei Sektoren herbeizuführen“, sagt Simon Sharpe, Mitautor der Studie und Direktor von S-Curve Economics, einer gemeinnützigen Forschungsorganisation.

„Beispielsweise fördert die verstärkte Nutzung von sauberem Strom oder Energiespeicherung in einem Sektor Innovationen und senkt die Kosten dieser Technologien, was schnellere Übergänge in den anderen Sektoren ermöglicht. Darüber hinaus bietet die zunehmende Elektrifizierung von Heizung und Verkehr neue Möglichkeiten, das Stromsystem auszugleichen und so die Kosten für sauberen Strom zu senken.“

Das Papier identifiziert auch „Superhebelpunkte“, die das größte Potenzial haben, Kaskaden positiver Veränderungen auszulösen. Dr. Femke Nijsse, die Hauptautorin der Studie, sagte: „Das Null-Emissions-Mandat für Autos bietet das beste Potenzial für einen ‚Superhebelpunkt‘ für den globalen Wandel.“

Die Forscher:innen kommen zu dem Schluss, dass regulatorische Auflagen mit konkreten Zeitrahmen dafür sorgen werden, dass saubere Technologien weltweit bis zu drei Jahre früher billiger werden als Alternativen auf Basis fossiler Brennstoffe. Dadurch könnten die Kohlendioxidemissionen in den Sektoren Strom, Verkehr und Heizung bis 2050 um mindestens 75 Prozent sinken.  

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Erster planetarer Gesundheitscheck: Erde überschreitet sichere Grenzen

Lesedauer 4 Minuten.   

Die Erde befindet sich bereits außerhalb des sicheren Handlungsraums für die Menschheit und der Zustand der lebenserhaltenden Erdsysteme und -prozesse verschlechtert sich rapide. Das zeigt der erste planetare Gesundheitscheck (“Planetary Health Check”), der unter der Leitung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) von der Initiative „Planetary Boundaries Science” (PBScience) erstellt wurde. Der Planetary Health Check informiert künftig jährlich, systematisch und ganzheitlich über den Zustand der Erde anhand seiner planetaren Grenzen. Er kombiniert dazu Erdbeobachtungsdaten mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und multidisziplinären Ansätzen. Ein Ziel des Gesundheitschecks ist es, Lösungen zu finden, wie negative Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf den Planeten wirksam begrenzt werden können. Unterstützt wird PBScience dabei von der Initiative „Planetary Guardians” und zahlreichen weiteren internationalen Partnern.

„Unsere aktualisierte Diagnose zeigt, dass lebenswichtige Organe des Erdsystems geschwächt werden, was zu einem Verlust an Widerstandsfähigkeit führt und das Risiko, Kipppunkte zu überschreiten, steigen lässt“, erklärt PIK-Forscherin Levke Caesar, Co-Leiterin von PBScience und eine der HauptautorInnen des Planetary Health Checks. “Sechs der neun planetaren Grenzen sind überschritten, was in dem Bericht erstmals durch hochauflösende räumliche Karten lokaler und regionaler Trends für alle neun Grenzen verdeutlicht wird. Die Botschaft ist klar: Lokale Maßnahmen haben Auswirkungen auf die Erde, und ein Planet, der unter Druck steht, kann sich auf überall und auf jeden auswirken. Um das menschliche Wohlergehen, die wirtschaftliche Entwicklung und stabile Gesellschaften zu sichern, ist ein ganzheitlicher Ansatz erforderlich, bei dem der Schutz des Planeten im Fokus steht.“

Der planetare Gesundheitscheck als neues Instrument, um Wissenschaft ins Handeln zu übersetzen

Für insgesamt neun kritische Erdsystemprozesse, die die lebenserhaltenden Systeme auf der Erde regulieren, sind planetare Grenzen definiert. Sie umreißen den sicheren Handlungsspielraum der Menschheit für einen stabilen und widerstandsfähigen Planeten. Sobald eine Grenze überschritten wird, steigt das Risiko, die kritischen Funktionen der Erde dauerhaft zu schädigen, ebenso wie die Wahrscheinlichkeit, dass Kipppunkte überschritten werden, die irreversible Veränderungen verursachen. Werden mehrere Grenzen überschritten, steigen die Risiken drastisch an. Der Planetary Health Check zeigt, dass diese lebenserhaltenden Funktionen des Erdsystems gefährdet sind. Neben den sechs bereits überschrittenen planetaren Grenzen steht das Überschreiten einer siebten Grenze unmittelbar bevor. Zugleich ist den Forschenden zufolge ein klarer Trend hin zu weiteren Überschreitungen zu erkennen.

Bislang wurde der Zustand der neun Erdsystemprozesse meist jeweils getrennt voneinander betrachtet. Doch Entwicklungen wie der Klimawandel, der Verlust der biologischen Vielfalt und Umweltverschmutzung wirken gegenseitig aufeinander ein und haben Auswirkungen auf die Gesundheit – die Stabilität und Widerstandsfähigkeit – der Erde. Der „Planetary Health Check“ fasst die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu allen planetaren Grenzen, wie etwa dem Klimawandel und der Versauerung der Ozeane, zusammen. Er benennt Ursachen und Verbindungen zwischen den verschiedenen Entwicklungen, stellt Zusammenhänge zwischen den planetaren Grenzen und den verschiedenen Kipppunkten her und zeigt, wie notwendig ein solcher ganzheitlicher Ansatz ist, um die Zukunft der Menschheit zu sichern.

„Wir wissen seit Längerem, dass wir die Widerstandsfähigkeit des Planeten schwächen. Der Gesundheitscheck zeigt, dass bei allem menschlichen Handeln die Auswirkungen auf den Planeten zu berücksichtigen sind, unabhängig davon, in welchem Maßstab wir handeln, ob lokal oder global. In allen Bereichen der Wirtschaft und der Gesellschaft ist mit dem Planeten verantwortungsvoll umzugehen, um Sicherheit, Wohlstand und Gerechtigkeit zu gewährleisten. Indem wir die Grenzen für einen gesunden Planeten quantifizieren, geben wir Politik, Wirtschaft und Unternehmen die notwendigen Instrumente an die Hand, um unkontrollierbare Risiken zu vermeiden“, sagt PIK-Direktor Johan Rockström. „Die Diagnose im Gesundheitscheck lautet: Der Patient Erde befindet sich in einem kritischen Zustand. Sechs von neun planetaren Grenzen sind überschritten. Insgesamt nimmt bei sieben dieser Erdsystemprozesse der Druck so stark zu, dass ein Großteil davon bald eine Hochrisikozone erreichen wird.”

„Wenn wir uns die Gesundheitsindikatoren der Erde genauer ansehen, erkennen wir, dass die meisten von ihnen bald in der Hochrisikozone liegen werden”, erläutert Boris Sakschewski, Co-Leiter von PBScience und Hauptautor des Berichts. „Diesen Trend müssen wir umkehren. Wir wissen, dass alle lebenswichtigen Erdsystemprozesse zusammenwirken und jeder einzelne geschützt werden muss, um das gesamte System zu schützen. Dieses Zusammenspiel soll im Fokus von PBScience stehen. Indem wir ein tieferes Verständnis des Systems erlangen, können wir auch die Maßnahmen identifizieren, welche die Auswirkungen der Menschheit am wirksamsten reduzieren oder ihnen entgegenwirken. Denn wir müssen dringend in den sicheren Handlungsraum zurückkehren.“

Wissen indigener Völker als Schlüssel zu ganzheitlichen Lösungen für den Planeten

Ein weiteres wichtiges Ziel von PBScience ist es, das Wissen indigener Völker in den Planetary Health Check einzubeziehen. Indigene Völker aus aller Welt sind seit Jahrtausenden eng mit dem Planeten verbunden. Ihr Umgang mit den Ressourcen der Erde und ihr Wissen darüber, wie man in Harmonie mit ihr leben kann, ist für die Entwicklung ganzheitlicher Lösungen von entscheidender Bedeutung, um die Auswirkungen der Menschheit auf die Gesundheit des Planeten zu minimieren.

Hindou Oumarou Ibrahim, Vorsitzende der Planetary Guardians und Expertin für die Klimaanpassung und Abschwächung des Klimawandels durch indigene Völker: „Während die Wirtschaft immer schneller wächst, wird die Heimat der indigenen Völker immer weiter zerstört. Es ist dringend notwendig, diesen Niedergang umzukehren. Mit dem planetaren Gesundheitscheck fangen wir an, diesen Weg zu beleuchten und gleichzeitig das tiefgreifende Wissen der indigenen Völker weiterzugeben, um Lösungen zu finden. Wir können eine bessere Welt für künftige Generationen hinterlassen, damit diese im Einklang mit der Erde sicher und gut leben können.“

Der Planetary Health Check bietet einen einzigartigen, ganzheitlichen Blick auf die Gesundheit des Planeten und soll als Kompass für die Entscheidungsfindung von Ländern, Unternehmen, multilateralen Organisationen und Bürgerinnen und Bürgern dienen. Mit der Unterstützung einer Reihe von Partnern kann er zu einer Art „Control Room“ für die Erde entwickelt werden, der die neuesten Satellitendaten, künstliche Intelligenz, die Weisheit der indigenen Völker und die neueste Wissenschaft nutzt. Langfristig soll der planetare Gesundheitscheck jede:n in die Lage versetzen, zu handeln und Pläne zu erstellen, um letztlich den Kurs zu ändern und in den sicheren Handlungssraum der Erde zurückzukehren. 

Die Publikation wurde von einem Forschungsteam auf der Grundlage von wissenschaftlichen Veröffentlichungen konzipiert und zusammengestellt. Sie wird jährlich aktualisiert. PBScience sucht aktiv nach neuen Partner:innen in den Bereichen Wissenschaft, Erdbeobachtung und Modellierung, um einen Planetary Boundaries Monitor zu entwickeln. Er soll klare Wege aufzeigen, wie wir in einer Welt zurückkehren können, in der die planetaren Grenzen respektiert werden, um eine sichere und nachhaltige Zukunft für alle zu gewährleisten.


Website des Planetary Health Check:
https://www.planetaryhealthcheck.org

Link zum Planetary Health Check 2024 (pdf):
https://www.planetaryhealthcheck.org/storyblok-cdn/f/301438/x/03be75c484/planetaryhealthcheck2024_report.pdf

Executive Summary:
https://www.planetaryhealthcheck.org/storyblok-cdn/f/301438/x/90b96f53f1/planetaryhealthcheck2024_executive_summary.pdf

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