Strenge Regulierungen können positive Kippunkte auslösen

Lesedauer 2 Minuten.   

CO2-Steuern, Subventionen für saubere Technologien oder strenge gesetzliche Auflagen? Was wirkt am besten?

Forscher:innen vom Global Sytems Institute der Universität Exeter haben klimapolitische Maßnahmen in 70 Ländern untersucht, und zwar im Hinblick auf ihre Wirkungen in den Sektoren Strom, Wärme, leichter Straßenverkehr und schwerer Straßenverkehr. Sie haben festgestellt, dass Steuern – das Mittel, das bisher am häufigsten eingesetzt wird – die schwächste Intervention waren, während Regulierungsauflagen den größten Einfluss hatten: Sie führten schnell zu einer Verbreitung sauberer Technologien auf einem Niveau, das in verwandten Branchen positive Wendepunkte auslöste.

Die Modellierung simulierte, wie Investoren oder Verbraucher auf der Grundlage von Verfügbarkeit, Kosten und historischen Präferenzen zwischen Technologien wählen. Die Forscher meinen, dass solche „Regulierungsauflagen mit spezifischen Zeitvorgaben“ dazu führen könnten, dass bestimmte Industriezweige einen steigenden Anteil am Umsatz mit sauberen Technologien erzielen oder die Nutzung der umweltschädlichsten Brennstoffe schrittweise einstellen. Sind diese Wendepunkte einmal erreicht, könnten sie positive Dominoeffekte in den entsprechenden Sektoren auslösen, die jeweils die anderen auf dem Weg zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft beschleunigen und gleichzeitig die Preise von sauberen Technologien für die Verbraucher drastisch senken.

Vier solcher Vorgaben wurden bewertet und werden im Bericht empfohlen. Dazu gehören:

  • der schrittweise Ausstieg aus der Kohlekraft bis 2035 für Industrieländer und bis 2045 für Entwicklungsländer;
  • die Vorschrift, dass ab 2025 ein steigender Anteil an allen verkauften Heizgeräten Wärmepumpen sein müssen, bis 2035 100 Prozent erreicht werden;
  • die Vorschrift, dass ein steigenderAnteil an allen verkauften Pkw emissionsfreie Fahrzeuge sein müssen, bis 2035 100 Prozent erreicht werden;
  • und die Vorschrift, dass der Anteil emissionsfreier Fahrzeuge an an allen verkauften LKW bis 2040 100 Prozent erreichen muss.

„Wir haben festgestellt, dass politische Maßnahmen zur Förderung der CO2-armen Energiewende in jedem dieser Sektoren dazu beitragen, den Wendepunkt auch in den anderen drei Sektoren herbeizuführen“, sagt Simon Sharpe, Mitautor der Studie und Direktor von S-Curve Economics, einer gemeinnützigen Forschungsorganisation.

„Beispielsweise fördert die verstärkte Nutzung von sauberem Strom oder Energiespeicherung in einem Sektor Innovationen und senkt die Kosten dieser Technologien, was schnellere Übergänge in den anderen Sektoren ermöglicht. Darüber hinaus bietet die zunehmende Elektrifizierung von Heizung und Verkehr neue Möglichkeiten, das Stromsystem auszugleichen und so die Kosten für sauberen Strom zu senken.“

Das Papier identifiziert auch „Superhebelpunkte“, die das größte Potenzial haben, Kaskaden positiver Veränderungen auszulösen. Dr. Femke Nijsse, die Hauptautorin der Studie, sagte: „Das Null-Emissions-Mandat für Autos bietet das beste Potenzial für einen ‚Superhebelpunkt‘ für den globalen Wandel.“

Die Forscher:innen kommen zu dem Schluss, dass regulatorische Auflagen mit konkreten Zeitrahmen dafür sorgen werden, dass saubere Technologien weltweit bis zu drei Jahre früher billiger werden als Alternativen auf Basis fossiler Brennstoffe. Dadurch könnten die Kohlendioxidemissionen in den Sektoren Strom, Verkehr und Heizung bis 2050 um mindestens 75 Prozent sinken.  

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Dringender Appell für ein „Ja“ zur Renaturierungsverordnung

Lesedauer 4 Minuten.   

Die Scientists for Future Österreich und Wissenschaftler:innen ihres Fachkollegiums begrüßen den Vorstoß der Landeshauptleute Peter Kaiser und Michael Ludwig sowie die Bemühungen von Bundesministerin Leonore Gewessler um die EU-Renaturierungsverordnung ausdrücklich.

Wir appellieren dringend, diesen vielversprechenden Weg weiterzugehen und diese Woche gemeinsam ein österreichisches „Ja“ zur Renaturierungsverordnung zu ermöglichen!  

Sie haben damit die Chance, ein Kernanliegen der Bürger:innen in Österreich und der Europäischen Union aufzugreifen, die sich mehrheitlich um den Naturverlust sorgen: Drei Viertel der Bürger:innen fordern verbindliche Ziele zur Wiederherstellung der Natur von der Politik1.

Warum brauchen wir die Verordnung?

  • Wiederherstellungsmaßnahmen schaffen CO2-Senken und stellen (z.B. Im Bereich von Flussrenaturierungen) Anpassungen an die Klimakrise dar2. Wie dringend solche Maßnahmen sind, zeigen die Extremwetterereignisse unter anderem im Burgenland und der Steiermark in den letzten Tagen. 
  • Ernährungssicherheit ist nur möglich, wenn Ökosystemleistungen z.B. durch Bestäuber sichergestellt sind; deshalb ist die Verordnung keine Bedrohung, sondern ein wichtiger Beitrag zur Ernährungssicherheit. Zudem räumt die aktuelle Fassung der Verordnung für den als äußert unwahrscheinlich eingestuften Fall, dass die Ernährungssicherheit gefährdet würde, die Möglichkeit der vorübergehenden Aussetzung der Anwendung der Verordnung ein3.
  • Die Wirtschaft hängt von einer funktionsfähigen Natur ab4. Eine breite Allianz aus Unternehmer:innen hat die EU-Ratspräsidentschaft daher in einem Brief aufgefordert, eine Zustimmung zur Verordnung sicherzustellen5
  • Die Finanzierung von Wiederherstellungsprojekten profitiert in Österreich schon jetzt teilweise von EU-Fonds. Für die jährlichen Kosten der in der Verordnung angestrebten zusätzlichen Wiederherstellung sind neben den – bereits bestehenden – Möglichkeiten durch den Finanzrahmen der EU sowie Förderprogramme, neue Finanzierungen vorgesehen6. Zudem ist einer Wirkungsanalyse der EU-Kommission zufolge der Nutzen der Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme in Österreich 12-mal höher als deren Kosten7. Das Nichthandeln belastet das österreichische Staatsbudget hingegen bereits jetzt mit mehreren Milliarden Euro pro Jahr8
  • Ökosysteme halten sich nicht an Ländergrenzen. Maßnahmen und Gesetze innerhalb Österreichs werden nicht ausreichen, um die Lebensqualität der Menschen in Österreich und der EU zukünftig zu sichern. Die Verordnung soll garantieren, dass alle EU-Mitgliedstaaten ihren Beitrag zu einer gemeinsamen Herausforderung leisten.
  • Europa hat sich immer wieder als Vorreiter in Sachen Klimaschutz und Klimaanpassung präsentiert. Die deutlichen Rückschritte in der Umsetzung des Europäischen Green Deals stellen diese Rolle in Frage9. Die Renaturierungsverordnung würde wesentlich dazu beitragen, unterzeichneten globalen Verträgen gerecht zu werden (UN-Kinderrechtskonvention, Globaler Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal, Pariser Klimaschutzabkommen). Sie ist eine große Chance für Österreich und die EU, sich international sichtbar für das Wohl von Menschen, Wirtschaft und Natur einzusetzen.

Die Stimmen der Wissenschaftler:innen des Fachkollegiums für die Renaturierungsverordnung

Obwohl wir der Erde schon zahlreiche Schäden zugefügt haben, versorgt sie uns (im globalen Norden) noch immer mit allem, was wir brauchen. Genau dies riskieren wir aber in zunehmendem Maße. Die Renaturierungsverordnung bietet die Chance, einen Teil der Schäden rückgängig zu machen, mindestens aber die Situation nicht noch weiter zu verschlimmern. Diese Chance nicht zu ergreifen, wäre fahrlässig und verantwortungslos. Assoc. Prof. Dr. Kirsten von Elverfeldt

Für Menschen, Tiere, Pflanzen und auch für Pilze ist das NRL zukunftsweisend und unbedingt nötig. Der globale Marktwert von Pilzen wird auf 54,57 Billionen USD geschätzt10. Pilze haben also enormen ökonomischen Wert und Einfluss auf die globale Wirtschaft. Die monetäre Bewertung von Pilzprodukten, Pilzen und deren Rolle im Ökosystem sollte daher auch entscheidend für politische Maßnahmen zur Erhaltung und Verwertung dieser am globalen Markt zunehmend präsenten Ressource sind. Der enorme finanzielle Wert von Pilzen untermauert das Argument, dass Landschaften erhalten werden müssen, um die darin enthaltenen natürlichen Ressourcen zu schützen. Bisher wurde nur ein kleiner Teil der Pilze in der Natur entdeckt. Somit sind Milliarden von Dollar an Pilzressourcen noch unentdeckt oder verloren, wenn ihre Lebensräume zerstört werden. Daher ist die Zustimmung zum Nature Restoration Law eine simple Notwendigkeit um eine lebenswerte Zukunft für alle zu sichern. Prof. Mag. Dr. Irmgard Krisai-Greilhuber

Das EU-Renaturierungsgesetz ist eine zentrale Weichenstellung für die Umsetzung naturbasierter Lösungen, welche nicht nur dem Schutz vor klimabedingten Risiken wie Hochwasser dienen, sondern gleichzeitig auch Biodiversität fördern und durch zusätzliche Kohlenstoffspeicherung zur Minderung des Klimawandels beitragen. Nicht die Unterstützung dieses Gesetzes gefährdet Österreichs Lebensgrundlagen, sondern ein weiter wie bisher im sorglosen Umgang mit der Natur. Dr. Thomas Schinko

Die SPÖ hat die einmalige Chance zu zeigen, dass ihr Umwelt- und Klimaschutz auch in der Umsetzung wichtiger ist als der ÖVP. Umweltpolitischer Taktierer bei der EU-Wahl gewesen zu sein wird bei der Nationalratswahl nicht reichen. Assoc. Prof. Mag. Dr. Reinhard Steurer

Für unsere Kinder haben wir keine andere Wahl! Prof. Dr. Michael Wagreich 

So tragisch die aktuellen Hochwasser im Burgenland und der Steiermark für die Betroffenen auch sind, überraschend sind diese Extremwetterereignisse nicht. Die Klimafolgenforschung warnt seit Jahrzehnten vor häufigeren und intensiveren Niederschlägen und deren mitunter lebensbedrohlichen Folgen, benennt die Ursachen und zeigt der Politik konkrete Handlungsoptionen auf1112. Ein Ja zur EU-Renaturierungsverordnung wird der Bevölkerung demonstrieren, wer in Österreich politisch verantwortlich handelt. Das heißt, wer die Klimakrise und die Sorgen der Menschen um eine intakte Natur und ihre Gesundheit ernst nimmt und komplexen Fragen mit Sachverstand begegnet. Mag.rer.nat. Dr. phil. Ulli Weisz

Im Jahr 1777 erschien in der Zeitschrift „Neue Mannigfaltigkeiten“ ein Streitgespräch zwischeneinem Bach und einem Kanal. Der Kanal lobte seine wirtschaftliche Bedeutung, während derBach seine Ökosystemleistungen hervorhebt, wenn er dem Kanal widerspricht: „Die Krümmungen meines Laufs, die du so sehr verachtest, dienen dazu, die Erfrischung meines Wassers über einen größren Theil des Bodens zu verbreiten. […] Denn dein in tiefenSeitenwänden eingeschlossenes oder über Thäler gehobenes Wasser, läuft über, wird unnütze Last der Felder und ist bloß der Sklavenarbeit, vergängliche Güter zu tragen, behülflich; abermein Fluß beschenkt die Wiesen mit unveränderlicher Fruchtbarkeit.“13 Als Umwelthistorikerin finde ich es erstaunlich, wie lange diese Leistungen schon bekannt sind, noch mehr aber verwundert es mich, dass immer noch diskutiert wird, ob wir ein Renaturierungsgesetz brauchen – 247 Jahre Nachdenken über Ökosystemleistungen sollteneigentlich genug sein. Univ.-Prof. (i.R.) Ing. Dr. phil. Dr. h.c. Verena Winiwarter 

Ein Ja zur Renaturierungsverordnung ist ein Ja zu einem lebenswerten Österreich, einemÖsterreich, in demevidenzbasierte und sozial gerechte Politik für das Wohl der Bürger:innen des Landes Sorge trägt ganz im Auftrag der Wähler:innenschaft! 

Die Scientists for Future Österreich gemeinsam mit Wissenschaftler:innen ihres Fachkollegiums:

Dipl.-Ing. Dr.nat.techn. Benedikt Becsi University of Natural Resources and Life Sciences, Vienna; Assoc. Prof. Dr. Kirsten von Elverfeldt; Assoc. Prof. Dr. Karlheinz Erb Director Institute of Social Ecology (SEC) University of Natural Resources and Life Sciences, Vienna; Ao.Univ.-Prof. Mag. Dr. Irmgard Krisai-Greilhuber; Dr. Thomas Schinko, Senior Research Scholar and Research Group Leader (Equity & Justice Research Group), International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA), Laxenburg, Austria; Dipl.-Ing. Dr. Gunter Sperka ehem. Klimakoordinator des Landes Salzburg; Assoc. Prof. Mag. Dr. Reinhard Steurer University of Natural Resources and Life Sciences, Vienna; Prof. Dr. Michael Wagreich Department of Geology Faculty of Earth Sciences, Geography and Astronomy, University of Vienna; Mag.rer.nat. Dr. phil. Ulli Weisz Univ.-Prof. (i.R.) Ing. Dr. phil. Dr. h.c. Verena Winiwarter.

  1. Savanta 2024: „Citizens’ perceptions on nature and biodiversity in the EU. Survey Results“, https://www.restorenature.eu/File/Citizens-survey-nature-biodiversity-NRL-EU.pdf und WWF 2024: „WWF-Umfrage: Große Mehrheit besorgt über Naturverlust“, https://www.wwf.at/wwf-umfrage-grosse-mehrheit-besorgt-ueber-naturverlust/ ↩︎
  2. IPCC, 2023: Climate Change 2023: Synthesis Report. Contribution of Working Groups I, II and III to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [Core Writing Team, H. Lee and J. Romero (eds.)]. IPCC, Geneva, Switzerland, 184 pp., doi: 10.59327/IPCC/AR6-9789291691647 ↩︎
  3. Siehe sowohl Punkt (88) der Verordnung als auch Art. 27 zur „Vorübergehenden Aussetzung“. ↩︎
  4. Corporate Leaders Group 2024: „Business Networks‘ Letter on the Nature Restoration Law“, https://www.corporateleadersgroup.com/files/clg_europe_led_letter_on_nature_restoration_-_may_2023.pdf ↩︎
  5. euobserver 2024: „Businesses join forces to call on EU to save nature restoration law“, https://euobserver.com/green-economy/arafdc52df ↩︎
  6. Umweltbundesamt: „Ökonomischer Nutzen“, https://www.umweltbundesamt.at/naturschutz/nature-restoration-regulation/oekonomischer-nutzen ↩︎
  7. EU 2023: „Impact assessment study to support the development of legally binding EU nature restoration targets. Final Report“, https://op.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/db3e5d55-310c-11ee-946a-01aa75ed71a1 ↩︎
  8. WIFO 2024: „Policy Brief: Budgetäre Kosten und Risiken durch klimapolitisches Nichthandeln und Klimarisiken“, https://www.wifo.ac.at/publication/49048/ ↩︎
  9. Society for Conservation Biology et al. 2024: „Expression of Concern by Scientific associations: Rollback of EU environmental legislation and policies jeopardises the future of EU citizens“, https://zenodo.org/records/11493585. ↩︎
  10. Allen Grace T. Niego A.G.T. et al. (2023) The contribution of fungi to the global economy.  Fungal Diversity 121: 95–137. https://doi.org/10.1007/s13225-023-00520-9 ↩︎
  11. IPCC 2023 (wie hier Fussnote 2). ↩︎
  12. Romanello, M. et al. The 2023 report of the Lancet Countdown on health and climate change: the imperative for a health-centred response in a world facing irreversible harms. The Lancet 402, 2346–2394 (2023). DOI:https://doi.org/10.1016/S0140-6736(23)01859-7. ↩︎
  13. Der Kanal und der Bach. Ein Traum, aus dem Englischen, in: Neue Mannigfaltigkeiten 4 (1777), S. 33–37. ↩︎
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Offener Brief: Wissenschaftler:innen sind besorgt über Rückschritte in der EU-Umweltgesetzgebung

Lesedauer 8 Minuten.   

Als Reaktion auf den Rückschritt in der Umweltgesetzgebung in der EU haben 11 wissenschaftliche Vereinigungen und Netzwerke am 29.05.2024 einen Offenen Brief veröffentlicht, in dem sie ihre ernste Besorgnis über diese Entscheidungen ausdrücken und zu verantwortungsvollem Handeln aufrufen.

Aktualisierung: Am 5. 6. haben insgesamt 20 Vereinigungen den Offenen Brief unterzeichnet. Der untenstehende Link führt zur aktuellsten Version.

Der Brief kann hier eingesehen werden

Übersetzung der Zusammenfassung (aus dem Englischen)

(Zur Übersetzung des Briefes geht es hier)

In diesem Offenen Brief bringen Wissenschaftsverbände und -netzwerke aus ganz Europa ihre tiefe Besorgnis über eine Reihe von Entscheidungen europäischer Entscheidungsträger zum Ausdruck, die die Umweltagenda der EU und ihre internationalen Verpflichtungen untergraben. Wir stellen fest, dass diese Angriffe auf den Green Deal die Natur gefährden und die Zukunft der EU-Bürger:innen aufs Spiel setzen.

Während die politischen Entscheidungsträger der EU behaupten, dass die Maßnahmen als Reaktion auf die Proteste der Landwirte getroffen wurden, betonen Wissenschaftler:innen, dass die Entscheidungen schlecht begründet sind, die Probleme, die sie lösen sollen, nicht angehen und gleichzeitig stichhaltige wissenschaftliche Beweise gegen sie ignorieren. Wir weisen insbesondere hin auf die Ablehnung der Verordnung zur nachhaltigen Nutzung (SUR), die Schwächung grundlegender Umweltstandards in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), den Aufschub der Genehmigung des Gesetzes zur Wiederherstellung der Natur (NRL), den Vorschlag der Kommission für Ausnahmen in der Nitratrichtlinie und die Entscheidung der Kommission, den Rahmen für nachhaltige Lebensmittelsysteme (FSFS) auf Eis zu legen.

Die Wissenschaftsgemeinschaft hält diese Entscheidungen für schlecht begründet und gefährlich. Sie führen zu einem Rückbau von Umweltstandards und -vorschriften, von denen einige das Ergebnis jahrzehntelanger Bemühungen sind und von Wissenschaft und Gesellschaft stark unterstützt werden.

In einer Zeit zahlreicher Krisen, die meist auf die Überschreitung der planetaren Belastungsgrenzen zurückzuführen sind, halten wir es für inakzeptabel, dass sich europäische Gouverneure dafür entscheiden, die Bedingungen, die diese Krisen verursachen, zu verschlimmern. Als Wissenschaftler:innen lehnen wir politische Entscheidungen, die diese vermeidbaren Krisen beschleunigen, entschieden ab.

Wir fordern die politischen Entscheidungsträger:innen auf, eine klare und ehrgeizige Agenda für den Umweltschutz und den Green Deal für die Zeit nach den Wahlen festzulegen, sich mit Wissenschaftler:innen zu beraten, um nicht auf der Grundlage von Fehlinformationen zu handeln, Änderungen innerhalb der GAP zurückzunehmen, die NRL dringend zu genehmigen und eine weitere Verwässerung der Umweltvorschriften und -politiken zu vermeiden.

Wir fordern außerdem Bürger:innen, zivilgesellschaftliche Organisationen und politische Parteien auf, eine verantwortungsvolle Politikgestaltung zu unterstützen, die eine sichere(re) Zukunft sichert.

Übersetzung des gesamten Briefs (aus dem Englischen)

Ausdruck der Besorgnis von Wissenschaftler:innen: Rückschritt in der EU-Umweltgesetzgebung und -politik gefährdet die Zukunft der EU-Bürger

Liebe Entscheidungsträger:innen,

Als Wissenschaftler:innen beobachten wir mit großer Sorge die überstürzte Deregulierung der Umweltstandards und -vorschriften in der EU und den ungerechtfertigten Widerstand gegen den Green Deal. Innerhalb von nur wenigen Monaten wurden Entscheidungen getroffen, die einem systematischen, rückschrittlichen Angriff auf den Green Deal gleichkommen. Diese Maßnahmen untergraben nicht nur die eigene Agenda der EU und ihre internationalen Verpflichtungen und ihre Rolle als globale Vorreiterin, sondern machen sogar vergangene Erfolge zunichte. Wir listen einige der wichtigsten Entscheidungen und Maßnahmen auf, für die wir eine schwache Begründung feststellen, gegen die wir aber substanzielle wissenschaftliche Beweise sehen.

1) Verordnung zur nachhaltigen Nutzung (Sustainable Use Regulation, SUR)

Der ursprüngliche SUR-Vorschlag der Kommission entsprach den eindeutigen Erkenntnissen über die breite und wachsende Verbreitung von Agrochemikalien in unseren Lebensmitteln und unserem Wasser und die damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt. Trotz wiederholter Abschwächung wurde die SUR vom Europäischen Parlament abgelehnt und dann von der Kommission zurückgezogen. Dabei ignorierten sie einen auf Fakten basierenden offenen Brief, der von 6.000 Wissenschaftler:innen unterzeichnet wurde, sowie einen Appell von über einer Million Bürger:innen zugunsten der SUR.

2) Gemeinsame Agrarpolitik (GAP)

Sowohl das Parlament als auch der Rat stimmten hastig für einen Vorschlag der Kommission, die Umweltwirksamkeit von fünf von neun grundlegenden Umweltstandards zu schwächen – darunter die Beseitigung von Brachen auf Ackerland und die Verbesserung der Möglichkeiten, Grünland in Ackerland umzuwandeln. Obwohl es keine Beweise dafür gibt, dass diese Entscheidungen die Kernprobleme der Landwirte lösen würden, könnten sie die Risiken für die Landwirtschaft – und die Ernährungssicherheit – erhöhen, indem sie Bodenerosion, Bodendegradation und den Verlust der Artenvielfalt beschleunigen, die potenziellen Auswirkungen extremer Wetterereignisse verschlimmern und wichtige Ökosystemleistungen, die für die Landwirtschaft von entscheidender Bedeutung sind, wie Schädlingsbekämpfung, Bestäubung und Wasserrückhaltung, weiter beeinträchtigen.

3) Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (NRL)

Die Kosteneffizienz der Naturwiederherstellung ist bekannt. Die Tatsache, dass 80 % der Lebensraumtypen in der EU in schlechtem Zustand sind und die rasche Verschlechterung des Zustandes der Umwelt insgesamt zeigen die Dringlichkeit des NRL zur Wiederherstellung von Ökosystemen. Dessen positive Beiträge für die Gesellschaft, darunter die menschliche Gesundheit, die Ernährungssicherheit, die Widerstandsfähigkeit gegenüber extremen Wetterereignissen und die Kohlenstoffbindung, wurden wiederholt von Wissenschaftler:innen, der Zivilgesellschaft und Unternehmen hervorgehoben und gefordert. Nach intensiven Trilogverhandlungen zwischen dem Parlament, dem Rat und der Kommission wurde das NRL schließlich vom Parlament angenommen. Es wird nun von einigen Ländern verhindert, die verfahrensmäßige Minderheitenschutzbestimmungen anwenden, im Widerspruch zu einem etablierten wissenschaftlichen Konsens und einem Appell von über 1 Million Bürger:innen zugunsten des NRL.

4) Kommissionsentwurf für Ausnahmen in der Nitratrichtlinie

Die aktuellen Pläne der EU-Kommission zur Lockerung der Verpflichtungen im Rahmen der Nitratrichtlinie könnten zu einer erhöhten Nitratanwendung in der Landwirtschaft führen. Zu den Folgen gehören die Verschlechterung der Wasserqualität in Oberflächen- und Grundwasser sowie Auswirkungen auf nachgelagerte Gebiete, z. B. auf Nord- und Ostsee, deren Zustand bereits mehr als kritisch ist. Da die Stickstoffüberschüsse in mehreren Regionen Europas außergewöhnlich hoch sind, könnte diese Lockerung die Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft (erneut) erhöhen, die Umweltverschmutzung verstärken und im Widerspruch zur Verpflichtung der EU stehen, Klimaneutralität anzustreben.

5) Rahmenwerk für nachhaltige Lebensmittelsysteme (FSFS):

Der Vorschlag der Kommission für ein FSFS, dessen Veröffentlichung für Herbst 2023 geplant war, könnte viele Bedenken sowohl der Landwirt:innen als auch der Verbraucher:innen ausräumen. Die Tatsache, dass er trotz Veröffentlichungsreife vom Schreibtisch der Kommission verschwand, rechtfertigt eine gesellschaftliche Debatte.

Dies sind nur wichtige Beispiele unter anderen – darunter die erneute Zulassung der Verwendung von Glyphosat für weitere 10 Jahre, die Herabstufung des „Bodengesundheitsgesetzes“ zu einer bloßen „Bodenüberwachung“, anhaltende Diskussionen über die Herabstufung des Schutzstatus großer Fleischfresser, Forderungen nach einer Abschwächung oder sogar Aufhebung der Entwaldungsverordnung und die Einstellung der Diskussionen über den strengen Schutz von Urwäldern. Diese Entscheidungen und Prozesse spiegeln einen allgemeinen Geist der Rücknahme von Umweltstandards und -vorschriften wider, von denen einige das Ergebnis jahrzehntelanger Bemühungen sind, die von Wissenschaft und Gesellschaft stark unterstützt wurden.

Bei zu vielen Entscheidungsträger:innen der EU scheint eine umweltfeindliche Stimmung vorzuherrschen. Dies ist aus mehreren Gründen besorgniserregend: Erstens, weil viele Begründungen für diese Entscheidungen auf Fehlinformationen beruhen. Zweitens, weil diese Entscheidungen stark von den besonderen Interessen bestimmter Untergruppen und Wirtschaftsunternehmen innerhalb eines engen Spektrums der Gesellschaft beeinflusst zu sein scheinen – die sich teilweise in gewalttätigen und/oder undemokratischen Ansätzen äußern. Drittens, weil diese Entscheidungen im Widerspruch zu ihren eigenen erklärten Zielen stehen, indem sie gegen die Prinzipien der Nachhaltigkeit vertoßen. Nach bestem Wissen der Wissenschaft sind diese Entscheidungen nämlich schlecht begründet und gefährden unsere gemeinsame Zukunft – einschließlich der Zukunft der Landwirt:innen, denen sie angeblich helfen. Und schließlich sendet die EU als globale Vorreiterin in Sachen Klima-, Biodiversitäts- und Umweltgesetzgebung nun höchst bedauerliche Signale an den Rest der Welt.

In einer Zeit zahlreicher Krisen, die meist aus der Überschreitung der planetaren Belastungsgrenzen resultieren, ist es inakzeptabel, dass sich europäische Regierungen dafür entscheiden, die Bedingungen zu verschlimmern, die diese Krisen verursachen: nämlich die Übernutzung der Ressourcen der Erde, den Ausstoß von Treibhausgasen und Schadstoffen sowie die Entsorgung von Müll, Mikroplastik und giftigem Material um uns herum. Als Wissenschaftler:innen lehnen wir politische Entscheidungen, die diese vermeidbaren Krisen beschleunigen, entschieden ab. Wenn die Ernährungssicherheit auf dem Spiel steht, müssen die wahren Ursachen identifiziert und bekämpft werden. Diese sind umweltbedingt und werden durch sozioökonomische Faktoren verschärft. Dementsprechend sind wir der Ansicht, dass diese Entscheidungen angesichts der Gefahren, die sie mit sich bringen, gegen Kernprinzipien des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verstoßen, wie etwa das Präventionsprinzip, das Vorsorgeprinzip (AEUV-Artikel 191) und die Sorgfaltspflicht.

Wir fordern die politischen Entscheidungsträger:innen auf,

• eine klare und ehrgeizige Agenda für den Umweltschutz und den Green Deal für die Zeit nach den Wahlen festzulegen und Umweltprobleme ernst zu nehmen, da sie eine ernsthafte Bedrohung für die Gesellschaft darstellen;

• im Zweifelsfall Wissenschaftler:innen zu konsultieren, um nicht auf der Grundlage von Fehlinformationen zu handeln;

• Änderungen innerhalb der GAP zurückzunehmen, da sie die Gefahr einer Verschärfung von Umweltproblemen und Gesundheitsgefahren bergen;

• das NRL als dringende Maßnahme zu genehmigen, um die Umsetzung bestehender Maßnahmen zur Bewältigung der Biodiversitätskrise und zur Verbesserung der Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft gegenüber dem Klimawandel zu ergänzen und besser zu koordinieren;

• eine weitere Verwässerung der Umweltvorschriften und -politiken (Nitratrichtlinien, Entwaldungsverordnung) unbedingt zu vermeiden.

Abschließend rufen wir Bürger:innen, zivilgesellschaftliche Organisationen und politische Parteien dazu auf, eine verantwortungsvolle Politikgestaltung zu unterstützen, die eine sichere(re) Zukunft innerhalb der Grenzen unseres Planeten sichert.

Mit freundlichen Grüßen

Society for Conservation Biology – Region Europa

Scientists for Future (Interdisziplinäres Wissenschaftliches Gremium)

Society for Ecological Restoration Europe ALTER-Net

Ökologische Gesellschaft für Deutschland, Österreich und die Schweiz – European Ecological Federation

Niederländisches Netzwerk für ökologische Forschung EuropeForNature

Partnerschaft für Ökosystemdienstleistungen – Region Europa

International Mire Conservation Group

Society of Wetland Scientists

*

Die Society for Conservation Biology – Region Europa widmet sich der Erleichterung, Förderung und Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Erforschung und Erhaltung der biologischen Vielfalt.
https://conbio.org/groups/sections/europe

Scientists for Future (Interdisziplinäres Wissenschaftliches Gremium) unterstützt die globale Klimabewegung, indem es Aktivisten, Politikern, Entscheidungsträgern, Pädagogen und der breiten Öffentlichkeit Fakten und Materialien auf der Grundlage zuverlässiger und anerkannter wissenschaftlicher Daten zur Verfügung stellt. Es ist ein unabhängiges und freiwilliges Kollektiv von Wissenschaftler:innen, Forscher:innen und Akademiker:innen aus allen Disziplinen, die durch die tiefe Sorge für eine gemeinsame Zukunft vereint sind:
https://scientists4future.org

Die Society for Ecological Restoration Europe ist ein Netzwerk, das die Wissenschaft, Praxis und Politik der ökologischen Wiederherstellung vorantreibt, um die Artenvielfalt zu erhalten, die Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel zu verbessern und ein ökologisch gesundes Verhältnis zwischen Natur und Kultur wiederherzustellen.
https://chapter.ser.org/europe/

Alter-Net ist das Netzwerk der führenden Institute aus 21 europäischen Ländern, die das Ziel der Integration ihrer Forschungsfähigkeit zur Beurteilung von Veränderungen in der biologischen Vielfalt analysieren, die Auswirkungen dieser Veränderungen auf Ökosystem-Leistungen und die Öffentlichkeit und die Entscheidungsträger:inneneuropaweit zu informieren. https://alterneteurope.eu/

Die Gesellschaft für Ökologie E.V. ist der Ökologie in Wissenschaft und Praxis gewidmet. Die Gesellschaft unterstützt ökologische Forschung und Ausbildung und fördert den Austausch von Ökolog:innen in akademischen Einrichtungen, der öffentlichen Verwaltung und dem Privatsektor, indem sie jährliche Treffen und Arbeitsgruppen organisiert.

Das Niederländische ökologische Forschungsnetzwerk (NERN) ist das Netzwerk professioneller Ökolog:innen in den Niederlanden, an dem alle Universitäten und Forschungsinstitute mit einem Ökologieprogramm teilnehmen.

Die Initiative EurpeForNature setzt sich zum Ziel, Bürger:innen in Europa darauf aufmerksam machen, wie wichtig es ist, Natur und Nachhaltigkeit zu priorisieren, und sie zu befähigen, ihre Stimme zu nutzen, indem sie: 1) das kollektive Fachwissen, die Erkenntnisse und Visionen von Wissenschaftler:innen in ganz Europa für eine nachhaltige Zukunft nutzen; und 2) durch proaktives Engagement und Lobbyarbeit eine breite öffentliche Unterstützung für nachhaltige europäische Politik demonstrieren.
https://europefornature.eu/

Ecosystem Services Partnership (ESP) – Europäische Region. ESP ist ein globales Netzwerk, das über 3.500 Menschen verbindet und Wissenschaftler:innen, Praktiker:innen, Interessenvertreter:innen und politische Entscheidungsträger:innen im Bereich Ökosystemleistungen auf lokaler, nationaler, regionaler und globaler Ebene vernetzt. ESP zielt darauf ab, Kommunikation, Koordination und Zusammenarbeit zu verbessern und ein starkes Netzwerk von Einzelpersonen und Organisationen aufzubauen, die an Ökosystemdienstleistungen arbeiten.
http://www.es-partnership.org/

Die International Mire Conservation Group (IMCG) ist ein internationales Netzwerk von Spezialist:innen, die den Schutz von Mooren und verwandten Ökosystemen international fördern, unterstützen und, wo angemessen, koordinieren und den Austausch von Informationen und Erfahrungen in Bezug auf Moore und sie beeinflussende Faktoren international verbessern. IMCG umfasst über 550 Kontakte in fast 60 Ländern.
https://www.imcg.net/

Die Society of Wetland Scientists (SWS) setzt sich für die Förderung bewährter Verfahren in den Bereichen Feuchtgebietsforschung, -bildung, -erhaltung, -wiederherstellung und -management ein. Die SWS hat über 3.000 Mitglieder in mehr als 60 Ländern.
https://www.sws.org

Ausgewählte Links zu relevanten Veröffentlichungen und offenen Briefen von Wissenschaftler:innen:

Zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP):

  • Leopoldina (2020): Biodiversity and Management of Agricultural Landscapes,
    Published by the German National Academy of Sciences Leopoldina, Halle/Saale.
    https://bit.ly/3RVnXtW
  • WBAE (2019): Designing an effective agri-environment-climate policy as part of the post-2020 EU Common Agricultural Policy, Statement of the Scientific Board for Food and Environmental Policy (WBAE) at the Federal Ministry for Food and Agriculture, Berlin.
    https://bit.ly/4aDojvb
  • WBAE (2018): For an EU Common Agricultural Policy serving the public good after 2020: Fundamental questions and recommendations, Statement of the Scientific Board for Food and Environmental Policy (WBAE) at the Federal Ministry for Food and Agriculture, Berlin.
    https://bit.ly/4bKtLOk
  • Pe’er et al. (2020): Action needed for the EU Common Agricultural Policy to address sustainability challenges, People and Nature 2 (2): 305-316.
    https://doi.org/10.1002/pan3.10080
  • Pe’er et al. (2022): How can the European Common Agricultural Policy help halt biodiversity loss? Recommendations by over 300 experts, Conservation Letters 15 (6): e12901.
    https://doi.org/10.1111/conl.12901
  • Jongeneel, R.A. (2018): Research for AGRI Committee – The CAP support beyond 2020: assessing the future structure of direct payments and the rural developments interventions in the light of the EU agricultural and environmental challenges, European Parliament, Policy Department for Structural and Cohesion Policies,Brussels.
    http://bit.ly/2zStfOk

Zu NRL und SUR:

  • Pe’er et al. (2023) Scientists support the EU’s Green Deal and reject the unjustified argumentation against the Sustainable Use Regulation and the Nature Restoration Law. https://doi.org/10.5281/zenodo.8128624 – signed by 6000 scientists

Zum Renaturierungsgesetz (NRL):

Zu Fleischfressern in Europa:

  • Revilla et al. 2023. Institutional Science for Policy Report on the damages produced by and the conservation status of wolves in Europe. Estación Biológica de Doñana CSIC.
    https://digital.csic.es/handle/10261/337169

Zum Green Deal als Ganzes:

Titelbild: Martin Auer mithilfe von KI

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Warum Klimaschutz ein Menschenrecht werden muss

Lesedauer 2 Minuten.   

von Dr. Tilman Voss in der Presse am 8. November 2022

Der Klimaschutz muss Menschenrecht werden. Dieses Grundrecht muss in Österreich als einer der Klimagerechtigkeit verpflichteten Demokratie im Verfassungsrang stehen. Nur so kann die nachgeordnete Gesetzgebung entsprechend den Anforderungen des Klimaschutzes adaptiert werden. Erst dann ist es möglich, den Staat für Versäumnisse oder Verstöße im Sinne des Klimaschutzes zu belangen. Es besteht Handlungsbedarf. Unser Rechtssystem muss klimafit werden.

Die Forderung Klimaschutz als Grundrecht hatte das Klimavolksbegehren erhoben, gestützt auf 400.000 Unterschriften. Die Regierung muss die Interessen zukünftiger Generationen schützen. Klima- und Umweltschutz sind Grundvoraussetzung dafür, dass unsere Kinder und Enkelkinder ihre Rechte auf Leben und Entwicklung, auf Schutz der Gesundheit, aber auch auf Information und Partizipation sowie auf einen angemessenen Lebensstandard wahrnehmen können.

Auch international gewinnt dieses Thema an Bedeutung. Eine Vielzahl von „Klimaklagen“ werden derzeit überall auf der Welt eingebracht (climatecasechart.com). Erste Erfolge sind in Deutschland und in den Niederlanden zu verzeichnen. Das deutsche Bundesverfassungsgericht stellte unlängst fest, dass das deutsche Klimaschutzgesetz von 2019 nicht mit den Grundrechten vereinbar sei. Aus der grundrechtlichen Schutzpflicht des Staates folge die Verpflichtung, die deutsche Klimapolitik dahingehend zu ändern, dass die Bekämpfung des Klimawandels fair über die Generationen hinweg verteilt werde.

Die Schutzstandards der Grundrechte wurden in den letzten Jahren auch herangezogen, um private Umweltschädiger (Unternehmen/Konzerne) rechtlich zur Verantwortung zu ziehen. In den Niederlanden klagten mehrere NGOs das Unternehmen Royal Dutch Shell in erster Instanz erfolgreich.

Bei Klimaschäden ist es meist schwierig nachzuweisen, wer der konkrete Schädiger und wer der Geschädigte ist, der sich in seiner Betroffenheit von anderen abgrenzt. Das allerdings ist notwendig, um in Österreich ein Recht erfolgreich geltend zu machen. Ein Menschenrecht auf Klimaschutz würde die Situation ändern. Der Klimawandel in Österreich ließe sich damit auch auf dem Rechtsweg bekämpfen. Einzelne Akteure (Staat, Unternehmen, Private) könnten dann rechtlich zur Verantwortung gezogen werden.

Der Widerstand gegen ein derartiges Gesetz im Verfassungsrang ist allerdings groß. Die ÖVP lehnt es vehement ab. Für sie und auch die Industriellenvereinigung ist das subjektive Klagerecht, d.h., jeder Bürger kann Klimaschutz einklagen, ein rotes Tuch.

Die Rechtswissenschaft ist gespalten. Univ.-Prof. Ennöckl (BOKU) sieht keinerlei juristische Probleme in der Einführung eines derartigen Gesetzes. Univ.-Prof. Piska (Universität Wien) hingegen sieht im Grundrecht Klimaschutz ein „Freiheitsbeschränkungsrecht“.

Klar ist, die Demokratie und das zugrunde liegende Rechtssystem müssen sich für den Prozess der ökosozialen Transformation weiterentwickeln. Dem Gesetzgeber, und damit der Politik kommt hierbei die wichtige Rolle zu, juristische Leitschienen zu errichten.

Die Klimakatastrophe ist da! Wir müssen jetzt sofort handeln! Da darf das Rechtliche nicht ausgenommen sein. Heute nicht zu handeln, gefährdet die Zukunft der Menschheit, also das Recht unser aller Kinder und Kindeskinder auf eine lebenswerte Zukunft. Es braucht Solidarität. Es braucht Bescheidenheit und Verzicht auf manch Liebgewonnenes zugunsten einer lebenswerten Zukunft für alle.

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Greenpeace kündigt Klage gegen EU-Taxonomie an

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Mit der EU-Taxonomie sollen Investitionen in Gas und Atom ab 2023 als nachhaltig eingestuft werden. Aus Sicht der Umweltschutzorganisation Greenpeace ist dieses Vorgehen eindeutig rechtswidrig, denn die Taxonomie untergräbt damit das Ziel der EU bis 2050 klimaneutral zu werden. Jetzt hat Greenpeace Zentral- und Osteuropa – und damit auch Greenpeace Österreich – gemeinsam mit den Länderbüros in Deutschland, Spanien, Italien, Belgien, Frankreich, Luxemburg, der EU, sowie mit weiteren Umweltorganisationen einen formellen Widerspruch bei der Europäischen Kommission eingelegt. Die EU-Kommission hat bis spätestens Februar 2023 Zeit zu antworten. Sollte sie nicht einlenken, wird Greenpeace eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof einbringen.
https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20220919_OTS0004/greenpeace-kuendigt-klage-gegen-eu-taxonomie-an

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Südafrika: Gericht verbietet Shells Ölexploration mit Schallkanonen vor der „Wilden Küste“

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Umweltschützer:innen und örtliche Fiscber:innen haben vor Gericht durchgesetzt, dass eine Genehmigung für Öl- und Gasexploration vor der „Wilden Küste“ Südafrikas aufgehoben wurde. Die Genehmigung durch das Department of Mineral Resources and Energy hätte dem Ölriesen Shell erlaubt, mit einem Schiff, das eine sechs Kilometer lange Kette von seismischen Schallkanonen hinter sich ziehen sollte, den Meeresboden auf Öl- und Gasvorkommen abzuklopfen. Wissenschaftler warnen, dass dieser extreme Lärm über tausende Kilometer lärmempfindliche Tiere wie Wale, Delphine und Meeresschildkröten gefährdet. Das Gericht hat befunden, dass Shell keine echten Konsultationen mit der Bevölkerung gehalten hat. Das Vorhaben wurde durch Inserate bekannt gemacht, die nur Lesekundigen zugänglich waren und auch nicht in den Sprachen der örtlichen Bevölkerung abgefasst waren, und die Verhandlungen wurden nur mit örtlichen Oberhäuptern geführt statt mit der breiten Bevölkerung.
https://insideclimatenews.org/news/02092022/oil-exploration-south-africa-wild-coast/

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Klimaschutzrecht: Kein Kurswechsel in Sicht!

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Von Leonore Theuer (FG Politik und Recht)

Österreich soll bis 2040 klimaneutral werden, dennoch steigen die Treibhausgasemissionen. Seit über 600 Tagen fehlt ein Klimaschutzgesetz, das die Wende einleiten könnte. Der Vergleich mit einem Segelschiff zeigt, woran es sonst noch mangelt.

Segelsetzen zur Energiewende?

Im Jahr 2021 trat das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz in Kraft und ein Entwurf zum Erneuerbare-Wärme-Gesetz liegt vor, um die Rahmenbedingungen zum Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energieträger zu schaffen. Teile des alten Energieeffizienzgesetzes sind mit Ende 2020 außer Kraft getreten. Ein neues Energieeffizienzgesetz ist zwar in Ausarbeitung, aber auch hier ist ungewiss, wann es erlassen wird. Unser Schiff wird daher mangels ausreichender Segel immer noch zusätzlich von einem Dieselmotor angetrieben. 

Kein Kiel

Um in stürmischen Zeiten nicht zu sinken, benötigt ein solches Segelboot einen Kiel, der es stabilisiert und aufrichtet, wenn es in Schieflage gerät – ein Grund- bzw Menschenrecht auf Klimaschutz in der Verfassung. Dann müssten sich neue Gesetze am Klimaschutz messen, klimaschädliche Regelungen und Subventionen könnten bekämpft werden, ebenso wie staatliche Untätigkeit.

Das Steuer blockiert – Warum?

Das bisherige Klimaschutzgesetz ist 2020 ausgelaufen. Zwar sah es eine Reduktion von Treibhausgasen vor, jedoch war es wirkungslos, weil es keine Konsequenzen enthielt, wenn die Vorgaben nicht eingehalten wurden.             

Das soll sich mit einem neuen Klimaschutzgesetz ändern, um den Kurswechsel in Richtung Klimaneutralität 2040 zu ermöglichen. Neben inhaltlichen Regelungen (wie CO2-Reduktionspfade nach Wirtschaftssektoren wie z.B. Verkehr, Industrie und Landwirtschaft) sind rechtliche Konsequenzen bei Verstößen unabdingbar, ebenso wie Rechtsschutzbestimmungen, also Regelungen zur Rechtsdurchsetzung: Klimaschutz muss gegenüber dem Staat einklagbar werden. Diskutiert werden weiters Sofortprogramme, wenn die Ziele nicht eingehalten werden, eine Erhöhung der CO2-Steuer und Strafzahlungen von Bund und Ländern.

Wann ein solches Klimaschutzgesetz erlassen wird, ist derzeit nicht absehbar. Doch je mehr Zeit verstreicht, ohne dass Klimaschutzmaßnahmen gesetzt werden, desto drastischer müssen diese ausfallen, um die Erderhitzung mit all ihren verheerenden Folgen einzudämmen. Das Boot hat ein Leck, durch welches permanent Wasser eindringt, und droht mit der Zeit zu sinken! Weshalb werden keine rechtlichen Rahmenbedingungen für eine Reparatur und Kurskorrektur geschaffen? Weshalb wird die Dringlichkeit von Teilen der Politik und Gesellschaft verneint?

Laut Medienberichten lehnen ÖVP, WKO und Industrieellenvereinigung die Verankerung von Klimaschutzzielen in der Verfassung ab, ebenso wie eine Erhöhung der CO2-Steuer bei der Verfehlung von Klimazielen. Eine detaillierte Anfrage der Fachgruppe Politik und Recht der Scientists for Future Austria nach dem Auskunftspflichtgesetz zum neuen Klimaschutzgesetz sollte vor allem darüber Aufschluss geben, welche Regelungen bisher akkordiert und welche noch strittig sind. Doch das Klimaschutzministerium blieb diese Antwort schuldig: Der Fachentwurf zum Klimaschutzgesetz befinde sich noch vor der Begutachtung, die Diskussion und Willensbildung seien noch im Gange. Mit dem Finanzministerium als Hauptansprechpartner fänden laufend Gespräche statt. Man bemühe sich um eine rasche Finalisierung. 

Fazit 

Ein Kurswechsel in Richtung Klimaneutralität ist nicht in Sicht. Das Schiff, in dem wir alle sitzen, schlingert – ohne Kiel und mangels ausreichender Segel mit Diesel angetrieben – in die falsche Richtung. Das Steuer blockiert und durch ein Leck dringt Wasser  ein. Nur das kleine Segel des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes vermag derzeit den Kurs zu beeinflussen. Entscheidende Teile der Besatzung sehen jedoch immer noch keinen Handlungsbedarf.

Titelbild: Renan Brun auf Pixabay

Gesichtet: Martin Auer

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83 Prozent der Österreicher:innen für ein Verbot von Produkten aus Waldzerstörung

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Wien/Brüssel (OTS) – Im Vorfeld der Abstimmung über ein neues EU-Waldschutzgesetz im Europäischen Parlament am 13. September zeigt eine neue Umfrage in Österreich und acht weiteren EU-Ländern eine überwältigende Befürwortung für das Gesetz. 82 Prozent der Befragten in Österreich geben an, dass sie über die Zerstörung und Schädigung der weltweiten Wälder besorgt sind. 83 Prozent sprechen sich für ein EU-Waldschutzgesetz aus, das es Unternehmen untersagt, Waren aus waldschädigendem Anbau zu verkaufen. Zu diesen Ergebnissen kommt eine neue Umfrage vom Marktforschungsunternehmen Globescan im Juli 2022 mit je 1.000 Befragten in Österreich, der Tschechischen Republik, Frankreich, Deutschland, Italien, den Niederlanden, Portugal, Spanien und Schweden. Europaweit sind 82 Prozent der Ansicht, dass Unternehmen keine Produkte verkaufen sollten, die auf Waldzerstörung zurückgehen und 78 Prozent befürworten gesetzliche Verbote von Produkten aus Waldzerstörung.

Mehr als acht von zehn Östereicher:innen (84 %) sind der Meinung, dass das Gesetz nicht nur gegen die Entwaldung vorgehen sollte, sondern Unternehmen auch dazu verpflichten sollte, keine Produkte mehr zu verkaufen, die andere wichtige Ökosysteme wie etwa Savannen und Feuchtgebiete zerstören. Darüber hinaus sollte es laut 83 Prozent für Unternehmen verboten sein, Produkte zu verkaufen, die die Landrechte von Indigenen verletzen.

Kundinnen und Kunden sind zum Umdenken bereit

Drei von vier Österreicher:innen (75%) geben an, gegen Unternehmen vorgehen zu wollen, die Produkte herstellen oder verkaufen, die Abholzung vorantreiben. 39 Prozent würden ganz aufhören, bei diesen Unternehmen zu kaufen, 36 Prozent geben an, ihre Einkäufe reduzieren zu wollen und fast jede und jeder Fünfte (18%) würde sogar so weit gehen, Bekannte davon zu überzeugen, ebenfalls nicht mehr bei diesen Unternehmen zu kaufen. Diese Boykotts- und Reduktionsbereitschaft liegt in Österreich über dem Durchschnitt der neun Untersuchungsländer.

Die Hälfte der Österreicher:innen (50%) ist der Ansicht, dass große Unternehmen die größte Verantwortung für den Schutz der Wälder tragen, gegenüber 46 Prozent in sämtlichen anderen Untersuchungsländern. Gleichzeitig sind in Österreich fast drei Viertel (73%) der Meinung, dass große Unternehmen am schlechtesten abschneiden, wenn es darum geht, Waldzerstörung zu verhindern, gegenüber 64 Prozent in den anderen Untersuchungsländern.

Unternehmen in Europa sind aufgrund ihrer Importe zusammengenommen der zweitgrößte Verursacher weltweiter Entwaldung. Laut Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) ist die industrielle Landwirtschaft für fast 90 Prozent der Abholzung von Tropenwäldern verantwortlich. Fast 1,2 Millionen EU-Bürgerinnen und Bürger forderten bereits im Dezember 2020 in einer Petition eine strenge Verordnung, um die importierte Entwaldung zu stoppen.

Diese von GlobeScan durchgeführte Verbraucherumfrage wurde von einer breiten Koalition von Umwelt- und Verbraucherorganisationen in Auftrag gegeben, darunter Fern, WWF EU Office, Ecologistas en Acción, Envol Vert, Deutsche Umwelthilfe, CECU, Adiconsum, Zero, Verdens Skove.

Titelbild: Evan Nitschke auf Pexels

Quelle: Südwind Presseaussendung: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20220905_OTS0001/neue-umfrage-83-prozent-der-oesterreicherinnen-fuer-ein-verbot-von-produkten-aus-waldzerstoerung

Download der Studienergebnisse im Detail: EU Legislation Opinion Poll: https://www.4d4s.net/resources/Public-Opinion/Globescan/Meridian-Institute_EU-Legislation-Opinion-Poll_Report_310822_FINAL.pdf  

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Saubere Umwelt ist nun ein Menschenrecht

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In New York ist eine historische Entscheidung gefallen, ein Meilenstein im Umwelt- und Klimaschutz. Die Vereinten Nationen haben den Zugang zu einer gesunden, sauberen und nachhaltigen Umwelt zu einem grundlegenden Menschenrecht erklärt.
Die Resolution wurde von einer Gruppe von Ländern unter der Führung von Costa Rica eingebracht. Nahezu alle Mitglieder der Vereinten Nationen haben zugestimmt. 161 Staaten waren für die Resolution, 8 Enthaltungen (u.a. Russland, China und Iran) und keine Gegenstimme. Einen rechtsverbindlichen Charakter hat die Resolution nicht. Umweltaktivisten hoffen, dass es nun leichter sein könnte, Regierungen und Unternehmen für Umweltschäden zur Rechenschaft zu ziehen.
https://news.un.org/en/story/2022/07/1123482

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