In den letzten beiden Jahren sind die Treibhausgasemissionen Österreichs deutlich gesunken. 2022 um 5.5 Prozent, 2023 um 6,4 Prozent.
Das Wegener Institut an der Uni Graz hat diese Entwicklung untersucht. Aus der Analyse lässt sich ablesen, dass die Reduktionen zu einem nicht unbeträchtlichen Teil äußeren Einflüssen zu verdanken sind, vor allem den gestiegenen Energiepreisen infolge des Ukrainekriegs. Dazu kamen Faktoren wie ein milder Winter, ein Jahr wirtschaftlicher Flaute oder die Reduktion des Dieselexports im Tank. Also nicht Faktoren, die sich durch Politik wesentlich beeinflussen lassen.
In absoluten Zahlen betrug der Ausstoß im letzten Jahr 68,2 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Internationale Klimaabkommen haben als Referenz für ihre Zielvorgaben das Emissionsniveau von 1990. Das waren damals 79.05 Millionen Tonnen. Noch 2019 lagen wir mit fast 80 Millionen Tonnen über diesem Wert. Im Pandemiejahr 2020 sanken die Emissionen aufgrund der pandemiebedingt geringeren Wirtschaftstätigkeit, stiegen aber 2021 wieder und sanken erst 2022 deutlich unter den Referenzwert von 1990. Im letzten Jahr lagen sie dann um fast 14 Prozent darunter. „Österreich weiterhin auf dem Zielpfad“ hieß es auf der Homepage des Klimaschutzministeriums schon im März, nach den ersten Schätzungen des Umweltbundesamts.
Wie sind nun diese Reduktionen zustandegekommen? Ein Team von Forscher:innen der Universität Graz unter der Leitung von Prof. Karl Steininger hat analysiert, worin diese Reduktion begründet liegt.1
Fortschritte im Gebäudesektor
Die größten Fortschritte wurden im Gebäudesektor gemacht. Hier sind die Emissionen um 50 Prozent niedriger als 1990 (in den anderen Sektoren um 6 Prozent).
Im Jahr 2022 sanken die Gebäudeemissionen um 17 Prozent. Davon sind 7 Prozentpunkte auf einen besonders milden Winter zurückzuführen, 4 Prozentpunkt auf Maßnahmen infolge des Ukrainekriegs – Temperaturabsenkungen in öffentlichen Gebäuden und Reduktionen der Gasnachfrage auch in privaten Haushalten. 6 Prozentpunkte, also etwas mehr als ein Drittel der Reduktion, gehen auf den gestiegenen Anteil von erneuerbaren Energien zurück.
Im Jahr 2023 sanken die Gebäudeemissionen um weitere 20,2 Prozent. Davon verdanken sich nur 0.7 Prozentpunkte dem milden Winter. Der Großteil der Reduktionen, nämlich 17 Prozentpunkte, ist dem größeren Anteil an erneuerbaren Energien zu verdanken. Den Anstieg der Erneuerbaren führen die Forscher:innen zu fast zwei Dritteln auf die gestiegenen Energiepreise infolge des Ukrainekriegs zurück.
In den anderen Sektoren sanken die Emissionen 2022 um 4,5 Prozent. Zu einem Viertel geht dieser Rückgang auf den Einsatz erneuerbarer Energien zurück. Den größten Anteil haben stark erhöhte Preise für fossile Energie, die zu einer geringeren Nachfrage führen. Zu etwas mehr als einem Viertel trug ein Rückgang der Verkehrsemissionen um 4,5 Prozent bei. Doch dieser Rückgang ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass die Dieselpreise zwischen Österreich und dem Ausland sich in etwa angeglichen haben, und die Schwerlaster deshalb nicht mehr in Österreich noch einmal volltanken, bevor sie über die Grenze fahren. Dieser „Dieselexport im Tank“ musste den österreichischen Verkehrsemissionen zugerechnet werden. Der Rückgang der Verkehrsemisisonen ist also hauptsächlich auf diesen Buchungsvorteil zurückzuführen. Der Rückgang der Emissionen wäre größer ausgefallen, wenn nicht eine relativ starke Konjunktur die Emissionen um 1,73 Punkte hochgetrieben hätte.
2023 sanken die Emissionen im Nicht-Gebäude-Bereich um rund 3 Millionen Tonnen, das sind 4,9 Prozent. Davon gehen 0,86 Prozentpunkte auf eine schwache Entwicklung des BIP zurück. Zum größeren Teil geht dieser Rückgang auf das Anwachsen der erneuerbaren Enegien um 15 Prozent zurück. Der Umstieg auf Erneuerbare wurde wieder durch gestiegene Energiepreise angetrieben.
„Darüber hinaus“, schreiben die Forschenden, „war somit zudem das Bündel an weiteren Maßnahmen für die Emissionsreduktion grundlegend, von Energiesparinitiativen in der Energiekrise, über Gebäude-Sanierungsprogramme bis zu Initiativen im öffentlichen und Radverkehr.“
Konsumbasierte Emissionen
Die konsumbasierten Emissionen Österreichs lagen zuletzt um 50 Prozent über den produktionsbasierten. Konsumbasierte Emissionen werden berechnet, indem die von exportierten Gütern verursachten Emissionen und die von importierten Gütern verursachten gegeneinander aufgerechnet werden. Dafür werden konsistente Außenhandelsdaten über alle Länder benötigt, und diese sind immer erst mit einigen Jahren Verzögerung verfügbar. Für jene Jahre wo Daten vorliegen, hat sich für Österreich gezeigt, dass der Überhang an konsumbasierten Emissionen über produktionsbasierte recht konstant war. Daraus ließe sich ableiten, dass auch die konsumbasierten Emissionen ziemlich parallel gesunken sind.
Erfolg der Klimapolitik?
Aus der Analyse des Grazer Wegener Instituts lässt sich ablesen, dass die Reduktionen zu einem nicht unbeträchtlichen Teil äußeren Einflüssen zu verdanken sind, vor allem den gestiegenen Energiepreisen infolge des Ukrainekriegs. Dazu kamen Faktoren wie ein milder Winter, ein Jahr wirtschaftlicher Flaute oder die Reduktion des Dieselexports im Tank. Also nicht Faktoren, die sich durch Politik wesentlich beeinflussen lassen.
Positiv wirkten sich sicherlich aus die CO2-Bepreisung mit Klimabonus (obwohl sie bei Weitem nicht die wahren Schäden durch Treibhasgasemissionen abdeckt), die (ebenfalls bescheidene) Flugticketabgabe. und das Klimaticket. Richtig war es auch, dass die Regierung auf den Anstieg der Energiepreise nicht, wie es vielfach gefordert wurde, mit einer Subventionierung der Energiepreise, sondern mit Förderungen für die Haushalte reagiert hat. Auch dass die Regierung die Mineralölsteuer nicht, wie es ebenfalls gefordert wurde, gesenkt hat, hat zum Rückgang des erwähnten „Dieselexports im Tank“ beigetragen. Positive Beiträge kamen sicherlich auch durch Verhaltensänderungen in der Bevölkerung und durch Maßnahmen auf der Ebene von Gemeinden oder Unternehmen. Doch zu einem großen Teil ist der Rückgang der Emissionen nicht positiven Anstrengungen, sondern krisenhaften Entwicklungen zu danken.
Und was weiterhin vor allem fehlt, ist ein Klimaschutzgesetz, das einen klaren Reduktionspfad bis zum Zieljahr 2040 festlegt. Um die Klimaneutralität bis zum Jahr 2040 zu erreichen, müssen wir bis 2030 jedes Jahr rund 4,5 Millionen Tonnen CO2e einsparen und von 2030 bis 2040 jährlich 3,5 Millionen Tonnen. Das können wir nicht erreichen, indem wir uns auf äußere Einflüsse verlassen.
Zu denken gibt auch, dass wir mit 6,88 Tonnen energiebedingter CO2-Emissionen pro Kopf und Jahr um die Hälfte höher liegen als Ländern wie Großbritannien, Frankreich oder die Schweiz.
Auch wenn wir mit den Reduktionen der letzten beiden Jahre zahlenmäßig „auf dem richtigen Weg“ sind, sind wir es klimapolitisch noch lange nicht.
1 Tobias Eibinger, Hans Manner, Karl W. Steininger (2024): Die Entwicklung der österreichischen Treibhausgasemissionen seit 2021 https://wegccloud.uni-graz.at/s/LoLkG7YkGoJ9ZwR
Einem Bericht des Europäischen Rechnungshofs zufolge war die EU bei der Bereitstellung der Grundsteine für den aufkommenden Markt für erneuerbaren Wasserstoff nicht sehr erfolgreich. Zwar hat die Europäische Kommission eine Reihe positiver Schritte unternommen, doch bleiben in der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungskette weiterhin Herausforderungen bestehen. Es ist unwahrscheinlich, dass die EU ihre für 2030 gesetzten Ziele für die Erzeugung und den Import von erneuerbarem Wasserstoff erreichen wird. Die Prüfer:innen fordern einen Realitätscheck, um sicherzustellen, dass die Ziele der EU realistisch sind und dass die strategischen Entscheidungen auf dem Weg in die Zukunft nicht die Wettbewerbsfähigkeit von wichtigen Branchen beeinträchtigen oder neue Abhängigkeiten schaffen.
Erneuerbarer oder „grüner“ Wasserstoff hat erhebliche Implikationen für die Zukunft von wichtigen Industriezweigen in der EU, da er einen Beitrag zur Dekarbonisierung besonders schwer zu elektrifizierender Sektoren wie Stahlproduktion, Petrochemie, Zement und Düngemittel leisten kann. Außerdem kann sie der EU dabei helfen, ihr Klimaziel für 2050 zu erreichen, nämlich keine CO2-Emissionen zu verursachen, und die Abhängigkeit der EU von russischen fossilen Brennstoffen weiter zu reduzieren.
„Die EU-Industriepolitik für erneuerbaren Wasserstoff braucht einen Realitätscheck“, sagte Stef Blok, der für die Prüfung verantwortliche ECA-Mitarbeiter. „Die EU sollte über den strategischen Weg zur Dekarbonisierung entscheiden, ohne die Wettbewerbssituation von wichtigen EU-Industrien zu beeinträchtigen oder neue strategische Abhängigkeiten zu schaffen.“
Die Kommission hat zunächst übermäßig ehrgeizige Ziele für die Produktion und den Import von erneuerbarem Wasserstoff festgelegt, nämlich jeweils 10 Millionen Tonnen bis 2030. Diese Ziele basierten nicht auf einer soliden Analyse, sondern wurden vom politischen Willen bestimmt. Außerdem hatte die Erreichung dieser Ziele einen schwierigen Start. Zum einen waren die unterschiedlichen Ambitionen der Mitgliedstaaten nicht immer mit den Zielen in Einklang zu bringen. Zum anderen hat die Kommission bei der Koordinierung mit den Mitgliedstaaten und der Industrie nicht sichergestellt, dass alle Parteien an einem Strang ziehen.
Andererseits zollen die Prüfer:innen der Kommission Anerkennung dafür, dass sie die meisten Rechtsakte innerhalb kurzer Zeit vorgelegt hat: Der Rechtsrahmen ist nahezu vollständig und hat die nötige Sicherheit geschaffen, die für die Entwicklung eines neuen Marktes unerlässlich ist. Die Vereinbarung der Regeln zur Definition von erneuerbarem Wasserstoff hat jedoch Zeit in Anspruch genommen, und viele Investitionsentscheidungen wurden aufgeschoben. Auch Projektentwickler:innen zögern Investitionsentscheidungen hinaus, weil das Angebot von der Nachfrage abhängt und umgekehrt.
Der Aufbau einer EU-Wasserstoffindustrie erfordert massive öffentliche und private Investitionen, aber die Kommission hat keinen vollständigen Überblick über den Bedarf oder die verfügbaren öffentlichen Mittel. Gleichzeitig sind die EU-Fördermittel – die von den Prüfer:innen für den Zeitraum 2021-2027 auf 18,8 Milliarden Euro geschätzt werden – auf mehrere Programme verteilt, so dass es für Unternehmen schwierig ist, die für ein bestimmtes Projekt am besten geeignete Art der Finanzierung zu bestimmen. Der Großteil der EU-Fördermittel wird von denjenigen Mitgliedstaaten in Anspruch genommen, die einen hohen Anteil an schwer zu dekarbonisierenden Industrien haben und auch bei den geplanten Projekten weiter fortgeschritten sind, d. h. Deutschland, Spanien, Frankreich und die Niederlande. Es gibt jedoch immer noch keine Garantie dafür, dass das Wasserstoffproduktionspotenzial in der EU vollständig genutzt werden kann oder dass die öffentliche Finanzierung es der EU ermöglicht, grünen Wasserstoff aus Ländern mit großem Produktionspotenzial in Länder mit hoher industrieller Nachfrage zu transportieren.
Die Prüfer:innen fordern die Kommission auf, ihre Wasserstoffstrategie auf der Grundlage einer sorgfältigen Bewertung dreier wichtiger Bereiche zu aktualisieren: Wie sollen Marktanreize für die Erzeugung und Verwendung von erneuerbarem Wasserstoff gestaltet werden. Wie sollen die knappen EU-Mittel bevorzugt eingesetzt werden. Auf welche Teile der Wertschöpfungskette soll der Fokus gelegt werden, und welche Industriezweige soll die EU angesichts der geopolitischen Auswirkungen der EU-Produktion im Vergleich zu Importen aus Nicht-EU-Ländern zu welchem Preis erhalten.
Immer wieder werden in der öffentlichen Debatte um die Klimakatastrophe Technologien angepriesen, die zumindest auf den ersten Blick helfen können, den globalen Kohlendioxid (CO2)-Ausstoß deutlich zu verringern. Zuletzt sorgte die Kernfusion für Schlagzeilen, im letzten Jahr war aber auch die Abscheidung und Lagerung von CO2 ein Thema in den Medien.
Bei diesen Entwicklungen ist grundsätzlich Skepsis angebracht: Übertriebenes Vertrauen in neue, noch nicht ausgereifte Technologien kann den Kampf gegen den Klimawandel bremsen. Genauso gefährlich wäre es aber, wissenschaftliche Errungenschaften außer Acht zu lassen, wenn sie tatsächlich einen Beitrag zur Eindämmung der Klimakatastrophe leisten können.
Im ersten Teil unseres Interviews mit Professor Tobias Pröll von der Universität für Bodenkultur Wien haben wir mit ihm darüber gesprochen, wie klassische Carbon Capture Systeme funktionieren. Im zweiten Teil geht es um das Potential solcher Systeme, zur Bekämpfung der Klimakatastrophe beizutragen, um Negative Emission Technologies, und um die Frage, ob es sinnvoll ist, CO2 direkt aus der Luft zu filtern, laut IPCC eine der möglichen solchen Technologien.
Celsius: Von Seiten vieler Klimaforscher:innen und -aktivist:innen kommt oft die Kritik, dass Carbon Capture and Storage (CCS) und Negative Emission-Technologies viel versprechen, aber nicht genug liefern. Warum wurde Ihrer Meinung nach bis jetzt nicht mehr davon umgesetzt?
Tobias Pröll: Das Problem bei der Umsetzung von CCS ist, dass es wirksame Regelungen braucht, damit CCS für die Betreiber wirtschaftlich darstellbar ist. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass wir stets technologieoffen steuern sollten. Das wären wirksame CO2-Preise auf alle Emissionen. Meiner Ansicht wäre bei CO2-Preisen von etwas mehr als 100 Euro/Tonne CO2, die tatsächlich gutgeschrieben werden, wenn das CO2 eben nicht emittiert, sondern permanent gespeichert wird, bereits mit der „freiwilligen“ Implementierung von CCS zu rechnen. Wo genau die Wirtschaftlichkeit beginnt, hängt erstens vom Emittenten ab, weil der Großteil der Kosten ist mit der Abscheidung des CO2 aus Gasgemischen verbunden. Das beginnt mit Bioethanolproduktion, wo fast reines CO2 vorliegt, über die Chemieindustrie, wo teilweise auch sehr konzentrierte CO2-Ströme auftreten, bis hin zu Verbrennungsanlagen, wo für die Abscheidung aus dem Abgas etwa 1 MWh Wärme bei 120°C pro Tonne CO2 aufgewendet werden muss. Zweitens vom Standort: je näher an der Speicherstätte, desto kostengünstiger.
Celsius: Aber welchen Beitrag zum Klimaschutz können solche Technologien realistisch wirklich leisten?
Tobias Pröll: Zum Potenzial habe ich keine Zahlen parat. Ich würde CCS für Emissionen aus Technologien reservieren wollen, die wir auch in Zukunft schwer vermeiden können werden: Zementwerke, thermische Abfallbehandlungsanlagen, Stahlindustrie, Papier- und Zellstoff, und so weiter. Das sind riesige Mengen an CO2, Großteils fossil, teilweise biogen. Wir müssen mittelfristig jede Emission vermeiden, darum werden wir CCS brauchen. Zusammen mit CCS werden wir auch Bioenergy mit CCS (BECCS) machen, das ist der Schritt hin zu negativen Emissionen, das geht fließend: im Hausmüll, der in Wien verbrannt wird, sind z.B. 60% des Kohlenstoffs biogen, also nicht fossil.
Die Abscheidung aus der Umgebungsluft sehe ich wegen des theoretisch mindestens dreimal, in der Praxis aber 6-10 mal höheren Energiebedarfs im Vergleich zur Abscheidung aus Abgasen in absehbarer Zukunft nicht. Das ist in energielimitierten Settings nicht sinnvoll.
Celsius: Kommen wir noch zur zweiten Kategorie von Prozessen, den Negative Emission Technologies beziehungsweise zum Filtern von CO2 aus der Luft. Wie funktioniert das und wie sinnvoll sind diese Technologien generell?
Tobias Pröll: Der Kohlenstoffkreislauf funktioniert ja so, dass Biomasse wächst und CO2 aus der Atmosphäre aufnimmt. Wenn die Biomasse dann verrottet oder verbrannt wird, geht das CO2 wieder zurück in die Atmosphäre. Im natürlichen Kreislauf ist das CO2-neutral. Was wir Menschen jetzt machen ist, wir holen fossile Rohstoffe aus der Geosphäre, setzen dieses CO2 zusätzlich frei und der CO2-Anteil in der Atmosphäre steigt. Wir haben verschiedene Möglichkeiten, diesen von uns veränderten Kohlenstoffkreislauf sozusagen wieder zu reparieren. Wir können zum Beispiel die Pflanzen daran hindern, das CO2 wieder freizusetzen. Da gibt es wirklich die unterschiedlichsten Untersuchungen, zum Beispiel wurde die Idee untersucht, Baumstämme in der Tiefsee zu versenken oder in Gruben einzubuddeln, um dort einfach den Kohlenstoff zu speichern. Das wäre relativ kostengünstig.
Aber de facto müssen wir unsere Lösungsvorschläge vor dem Hintergrund durchdenken, dass wir auf einem Planeten mit 8 bis 9 Milliarden Menschen leben. Zum Leben brauchen wir Menschen Energie, die wir heute global zu 80% aus Kohle, Öl und Erdgas beziehen. Dieser Anteil von 80% hat sich übrigens über die letzten 30 Jahre nicht verändert. Also müssen wir alle Lösungsansätze auch vor diesem Hintergrund sehen. Dieser Aspekt zieht sich durch die gesamte Diskussion und kommt meines Erachtens auch im IPCC nicht zur Geltung: Mir erscheint manchmal, dass hier scheinbar in einer Welt gelebt wird, in der wir schon dekarbonisiert sind. Ich kann Energie aufwenden, um beispielsweise Holzstämme einzugraben. Ich könnte aber auch aus den Holzstämmen Energie gewinnen und damit Öl oder Kohle substituieren. Dann muss ich lebenszyklus-analytisch betrachten, was gescheiter ist. Jetzt könnte ich aber die Energie aus den Holzstämmen nutzen und zusätzlich das CO2 aus dem Abgas abtrennen und das CO2 wieder verpressen. Das wäre natürlich in unserer Welt, wo wir Homo sapiens leben, keine so blöde Idee. Wo wir doch die Energie so dringend brauchen, dass wir uns so zukunftsfeindlich verhalten (und die fossilen Energieträger nutzen, Anm.), kann ich keinen Vorschlag machen, wo ich einen nicht fossilen Energieträger einbuddle. Das ist irgendwie widersinnig.
Genauso die Idee, CO2 aus der Umgebungsluft abzuscheiden, wo die Konzentration nur 400 parts per million ist. Das Problem ist, dafür brauche ich irrsinnige Mengen an Energie. Den Vorschlag kann man in einer Welt machen, in der erneuerbare Energie im Überschuss verfügbar ist. Und das „verfügbar“ ist das Keyword hier. Dann würde ich sagen: „ja, bevor wir die Windräder jetzt abdrehen und uns sonst nichts mehr einfällt, holen wir noch CO2 aus der Atmosphäre.“ Das ist zwar extrem ineffizient auf Tonnen CO2 pro Megawattstunde Energie gerechnet, aber bevor ich nichts mit dem Strom mache, wäre das eine Idee. Noch besser wäre es wahrscheinlich, die Energie für den Winter zu speichern, falls man da keinen Überschuss hat.
Celsius: Derzeit sinnvoll wäre Ihrer Meinung nach also nur das Abscheiden von CO2 bei der Verbrennung von Biomasse?
Tobias Pröll: Den Ansatz finde ich schon überlegenswert – und ich finde, dass Schweden zum Beispiel hier auf dem richtigen Weg ist: Da gibt es eine ähnliche Forstwirtschaft wie in Österreich, wo die Wälder eben nicht verwüsten wie in anderen Weltregionen. Dort ist es sehr gängig, dass große Städte zum Beispiel mit Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen auf Holzhackschnitzelbasis mit Wärme versorgt werden. Dort das CO2 aus dem Abgas zu holen und in Norwegen in die Lagerstätten zu verpressen, halte ich für eine sehr spannende Denkrichtung.
Kategorisch wären Negative Emission-Technologies nicht auszuschließen, es müssen nur vernünftige sein. Wir sollten auf den Energiebedarf achten. Wenn der globale Mix 80% fossil ist, ist wahrscheinlich etwas, was zusätzlich viel Energie braucht, keine gute Lösung. Es gibt immer Alternativen: Vielleicht ist in Island ein realer Überschuss an erneuerbarer Energie da, dann könnte man lokal so ein Projekt machen. Man könnte aber auch mit der erneuerbaren Energie noch mehr Aluminium produzieren und dafür woanders substituieren, wo die Energie aus fossilen Rohstoffen kommt. Das hätte wesentlich mehr Klimawirkung.
Celsius: Ein anderer Ansatz für Biomasse-basierte Negative Emission Technologies wäre, Biokohle aus landwirtschaftlichen Substraten herzustellen.
Tobias Pröll: Da kann man ungefähr 50% der Energie nutzen – für Trocknungsanlagen im landwirtschaftlichen Bereich zum Beispiel – und in der Biokohle, die entsteht, sind die Nährstoffe aus dem Substrat für Pflanzen verfügbar, der Kohlenstoff ist aber nicht abbaubar. Das heißt, wenn man das auf einem Feld appliziert, kann man einen Ertragsgewinn für die Landwirtschaft haben und braucht weniger fossilen Phosphatdünger. Man nutzt zwar nur einen Teil der Energie, hat aber ein nachhaltigeres Bodenproduktionssystem.
Wir haben das für Baumwollstängel durchgerechnet: Da könnte man ungefähr ein Drittel des CO2, das jährlich durch die Baumwollpflanzen aus der Luft geholt wird, langfristig im Boden speichern.
Celsius: Das heißt, es ist sozusagen eine Kohlenstoffdeponie – es bleibt aber ein Boden, den man für Landwirtschaft nutzen kann?
Tobias Pröll: Ja genau, der Kohlenstoff wird einfach im Boden angereichert und verbessert potenziell die Bodenfruchtbarkeit. Von Jahr zu Jahr immer mehr. Das ist gerade im warmen Klima sinnvoll, wo wir sandige Böden vorfinden, also für Europa wäre das im Mittelmeerraum. Dort gibt es ja keine nennenswerten Mengen Waldbiomasse, aber landwirtschaftliche Nebenprodukte: Stroh, Pinienkernschalen, Oliventrester und ähnliches – super angereichert mit Nährstoffen. Wenn man diese Nebenprodukte zu Biokohle umwandelt, kann man die Nährstoffe dort, wo die Pflanzen angepflanzt werden, wieder anwenden – und es wächst dadurch mehr Biomasse. Zusätzlich kann man– abhängig vom Wassergehalt – ungefähr 50% des Heizwertes der Einsatzstoffe in Form von Hochtemperaturwärme nutzen (durch Verbrennen der Pyrolysegase, Anm.).
Celsius: Das ist auch ein Forschungsgebiet von Ihnen?
Tobias Pröll: Ja, die systemische Betrachtung von Negative Emission Technologies speziell die Biomasse-basierten Negative Emission Technologies. Es gibt da auch andere, die ich jetzt nicht erwähnt habe.
Celsius: Weil die in der Welt mit 80% fossilem Energiemix eigentlich nicht vernünftig sind?
Tobias Pröll: Das ist meine Meinung, es gibt viele andere, die anderer Meinung sind, vor allem auch im IPCC. Und ich finde es bedenklich, dass die Regierenden sich so auf das verlassen, weil es gibt, glaube ich, sehr einfache Argumente, wie man das ins rechte Licht rücken kann. Aber ich vermute, dass im IPCC viele Leute schon gedanklich in dieser dekarbonisierten Welt leben und aus der heraus argumentieren. Das ist aber ein Trugschluss, denn die Welt ist leider zu 80% fossil.
Bei den Baumwollstängeln sieht man, das wären Negative Emissions. Aber damit bekommt man keine Forschungsförderung. Da wird gesagt, „das ist ja low-tech, das ist well-known Technology, da brauchen wir nicht mehr forschen“. So etwas geht auch in Zusammenhang mit Kraft-Wärmekopplungsanlagen, wie ich vorhin gesagt habe, in Schweden. Man kann relativ schnell sehen, wo die Potentiale liegen würden, und man sieht auch, was es dem Klima netto bringt. Da muss man halt ehrlich sein. Das ist ganz wichtig
Celsius: Wäre das auch Ihr Schlussplädoyer für dieses Interview?
Tobias Pröll: Ich möchte dazu ermutigen, immer die Frage zu stellen, wo die Energie herkommt. Weil: Die Klimakrise ist eine Energiekrise – würden wir die Energie nicht brauchen, für unseren Wohlstand, hätten wir keine Klimakrise. Der Schlüssel ist die Energie. Etwas vorzuschlagen, was die Energiekrise nicht löst, wird auch die Klimakrise nicht lösen. Darum plädiere ich sehr stark für den Ausbau der direkten erneuerbaren Energie – Wind, Photovoltaik, für Österreich zumindest. In anderen Weltregionen gibt es vielleicht noch Wasserkraftpotentiale, bei uns sehe ich die nicht mehr.
Der Mensch braucht Energie für den Wohlstand, man kann punktuell effizienter werden, das wird typischer weise aufgefressen vom Rebound Effekt (Steigerung der Effizienz führt dabei nicht zu verringerten Emissionen, sondern durch niedrigere Preise zu höherer Nachfrage, Anm.). Die Menschen werden sich den Wohlstand nicht nehmen lassen wollen, und wir müssen Maßnahmen schaffen, wie wir dekarbonisieren können, ohne die Volkswirtschaft in einer Weise zu beeinflussen, dass die Menschen das demokratisch nicht mittragen. Wir brauchen clevere Policies, bei denen die Menschen mitgehen. Freiwillig. Und wo zumindest 50% der Menschen uns wählen. Und ein Ansatz wäre, es müssen Policies sein, wo die vielen, die wenig emittieren, die selten fliegen, die selten Skiurlaub machen, netto profitieren. Und die, die viel verschmutzen, einen Nachteil haben. Aber die sind bei der Abstimmung, bei der Wahl dann nicht die Mehrheit.
Prof. Tobias Pröll ist Professor für Energietechnik und Energiemanagement an der Universität für Bodenkultur Wien und forscht unter anderem am Thema Negative Emission Technologies. Er ist Fachgutachter in zahlreichen wissenschaftlichen Zeitschriften, Mitglied des Scientific Committees der International Conference on Negative Emissions und Gründungsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für innovative Computerwissenschaften, sowie des IEAGHG Networks on High Temperature Solid Looping Cycles.
Immer wieder werden in der öffentlichen Debatte um die Klimakatastrophe Technologien angepriesen, die zumindest auf den ersten Blick helfen können, den globalen Kohlendioxid (CO2)-Ausstoß deutlich zu verringern. Zuletzt sorgte die Kernfusion für Schlagzeilen, im letzten Jahr war aber auch die Abscheidung und Lagerung von CO2 ein Thema in den Medien.
Bei diesen Entwicklungen ist grundsätzlich Skepsis angebracht: Übertriebenes Vertrauen in neue, noch nicht ausgereifte Technologien kann den Kampf gegen den Klimawandel bremsen. Genauso gefährlich wäre es aber, wissenschaftliche Errungenschaften außer Acht zu lassen, wenn sie tatsächlich einen Beitrag zur Eindämmung der Klimakatastrophe leisten können.
Wir haben uns mit Professor Tobias Pröll von der Universität für Bodenkultur Wien getroffen, um mit ihm über Carbon Capture (ein Verfahren zur Reduzierung von CO2-Emissionen) und Negative Emission Technologies (Ansätze zum Entnehmen von Treibhausgasen aus der Atmosphäre) zu reden. Im ersten Teil des Interviews erklärt er, wie klassische und neuere Prozesse helfen können, industrielle CO2-Emissionen direkt beim Erzeuger zu verringern, wo das Sinn macht, welche Irrwege es gibt und was Politik und Wirtschaft in seinen Augen tun müssten, um den Anschluss an andere Länder nicht zu verpassen.
Celsius: Was ist Ihrer Meinung nach das wichtigste Anliegen bei dem Thema Carbon Capture und vergleichbare Technologien?
Tobias Pröll: Wichtig ist mir bei diesen Sachen immer, dass man den Zeithorizont betrachtet und dass man Dinge nicht vermischt. Ich leide darunter, dass in der öffentlichen Diskussion Dinge grob fahrlässig vermischt werden, zum Beispiel, wenn wir über Kohlendioxid-Abscheidung und Speicherung sprechen: Es ist ein Unterschied, ob man Kohlendioxid aus einem Industrieprozess, oder einem Kraftwerk abscheidet, oder aus der Umgebungsluft; wenn man das vermischt, dann tut man der ganzen Sache eventuell nichts Gutes.
Auch die Energie muss man immer mitdenken. Energie kann man nicht sehen, aber es ist natürlich nicht egal, ob ein Prozess sehr viel erneuerbare Energie, zum Beispiel Überschussstrom oder grünen Wasserstoff verbraucht oder nicht. In der Diskussion wird oft davon ausgegangen, grüner Wasserstoff wäre verfügbar, so als würden wir jetzt an Lösungen für 2050 arbeiten. Aber wir sind jetzt in einer fossilen Realität, wo wir uns global zu 80 % durch Kohle, Öl und Erdgas mit Energie versorgen. Und in dieser Realität muss man anders argumentieren als in einer Realität, wo wir vielleicht in 30 Jahren sein werden, wo man dann tatsächlich technisch verfügbare Überschüsse an erneuerbarer Energie zur Verfügung haben wird.
Celsius: Eine Sache, die wohl auch oft vermischt wird, bei Carbon Capture: Das hört sich so an, als würde man Kohlendioxid aus der Umgebungsluft herausfiltern, aber das ist nicht so. Also, was ist denn Carbon Capture eigentlich?
Tobias Pröll: Das klassische Carbon Capture and Storage (CCS) setzt so, wie es auch thermodynamisch vernünftig ist, dort an, wo bereits Kohlendioxid konzentriert vorliegt, also überall dort, wo wir klassischerweise die fossilen Energieträger Kohle, Öl und Gas verwenden. Das passiert zu über 90 % zur Energiebereitstellung, auch in der Industrie. Dort entsteht CO2 im Abgas, wo die Konzentration um einen Faktor 100 bis 500 höher ist, als in der Umgebungsluft. Technisch ist es so: Je geringer die Konzentration in der Quelle ist, desto energieaufwendiger ist es, das herauszuholen.
Celsius: Genauso wie man sich vorstellen kann, bei der Gewinnung von Rohstoffen im Bergbau wird man auch da anfangen, wo eine besonders reiche Ader von diesem Rohstoff vorhanden ist.
Tobias Pröll: Richtig, und darum ist eben vor 20 Jahren begonnen worden davon zu sprechen bei Kraftwerken, aber auch bei Industrieprozessen, CO2 abzuscheiden. Auch vom IPCC gab es einen „Special Report On Carbon Capture and Storage“ im Jahr 2005[1]. Was die Abscheide-Technologie, den Transport des CO2 und die Lagerstätten betrifft, hat sich seit damals Vieles in der Substanz nicht verändert.
Celsius: Wie kann man sich diesen Prozess technisch vorstellen?
Tobias Pröll: Das Energieaufwändigste ist das Aufkonzentrieren von CO2 aus dem Abgasstrom. Der Transport hat dann hohe Anforderungen an die Reinheit dieses Kohlendioxids, da sollten keine korrosiven Stoffe dabei sein, zum Beispiel auch kein Wasser. 75% der Kosten vom CCS sind beim Capture, das ist natürlich nur wirtschaftlich bei großen Punktquellen wie Industriekombinaten oder Kohlekraftwerken, wobei letztere sich sehr einfach substituieren lassen. Die sollten wir gar nicht mehr betreiben.
Zur Frage nach den Technologien: Da gibt es verschiedene Ansätze. Die große Gruppe, die auch am weitesten fortgeschritten sind, sind die sogenannten Post-Combustion Capture Verfahren. Da wird aus dem Abgas CO2 selektiv herausgeholt und das passiert klassisch mit flüssigen Waschverfahren. CO2 reagiert sauer und wird von basischen Lösungsmitteln selektiv zurückgehalten – auf der anderen Seite wird mit Wasserdampf ausgekocht und dort erhält man dann ein Wasserdampf-CO2-Gemisch. Nach Kondensation des Wasserdampfs hat man reines CO2. Man sieht schon, man braucht für diesen Prozess zusätzliche Energie. Um in einem Kraftwerk zum Beispiel die gleiche Menge elektrische Energie zu produzieren, braucht man ungefähr 20 bis 25 % mehr Brennstoff.
Celsius: Und das heißt, es kommt auch am Ende 25% mehr CO2 heraus, das zwar jetzt nicht in die Atmosphäre abgegeben, sondern aufgefangen wird und dann muss man irgendetwas damit machen.
Tobias Pröll: Richtig. Und das ist auch ein wesentliches Argument, der Kritiker:innen der Technologie, dass das eigentlich in die falsche Richtung geht: Ich brauche dann noch mehr von dem fossilen Brennstoff um die gleiche Menge Nutzen zu erzielen. Es gibt da ein Kohlekraftwerk in Kanada, da ist eine große Anlage in Betrieb und man sieht das auch am Foto, wie riesig diese Waschanlagen sind, wo man schon erahnen kann, wie teuer das ist.
Celsius: Wie sieht es mit den anderen Verfahren aus?
Tobias Pröll: Es gibt noch andere Verfahren, die alle ihre Vor- und Nachteile haben und es ist nicht eindeutig, welche „besser“ sind. Es gibt Pre-Combustion Capture, da dekarbonisiert man den Brennstoff. Zum Beispiel kann aus Erdgas CO2 und Wasserstoff erzeugt und der Wasserstoff dann als Energieträger genutzt werden.
Ein dritter Ansatz wäre, Luft in Sauerstoff und Stickstoff aufzutrennen und dann mit reinem Sauerstoff zu verbrennen, da spricht man von Oxifuel Combustion. Dann muss man aber mit Sauerstoffüberschuss arbeiten und bekommt nie zu 100% reines CO2 heraus. Aber auch diese Oxifuel Technologien haben sich letztendlich bis heute nicht im kommerziellen Maßstab durchgesetzt.
Dann gibt es noch Emerging Technologies, an denen ich auch die letzten 15 Jahre mitforschen durfte. Das Ziel ist, den Energieaufwand deutlich zu verringern: Bei den bisher genannten Technologien muss man immer Gase von Gasen trennen, ob das jetzt CO2 aus dem Abgas ist, oder Sauerstoff aus der Luft. Das ist einfach viel Arbeit und wirkt sich auf den Energieverbrauch aus. Da gibt es interessante Technologien, wie Chemical Looping Combustion, wo man von Anfang an die Vermischung von Brennstoff und Luft vermeidet, und daher auch nicht entmischen muss. Dabei wird zum Beispiel ein Metall in einem Luftreaktor verbrannt, nimmt also Sauerstoff auf, gibt diesen im Brennstoffreaktor wieder ab und ermöglicht so, dass der Brennstoff zu CO2 und Wasserdampf oxidiert. In der Theorie ist das sehr schön, man hat keine sogenannte Energy-Penalty (keine zusätzliche Energie, die aufgebracht werden muss, um die gleiche Leistung zu erzielen, Anm.). An dem Prozess haben wir viel geforscht, es ist nicht so leicht, den Brennstoff vollständig zu oxidieren, wie wenn man das direkt mit Luft macht; sehr gut funktioniert dieser Luftreaktor, also das Rückoxidieren vom Metalloxid, dort wird auch die Wärme frei. Das wäre eine Emerging Technology, an der große Hoffnungen hängen.
Celsius: Jetzt haben all diese Prozesse gemeinsam, dass man dann am Ende reines oder fast reines CO2 hat, das irgendwie gelagert werden muss. Wie macht man das und wie stellt man sicher, dass dieses CO2 auch langfristig nicht entweicht?
Tobias Pröll: Es ist natürlich keine Option, das CO2 in großen Tanks zu lagern, sondern man müsste es in geologische Formationen verbringen, um es wirklich vom kurzfristigen Kohlenstoffkreislauf wegzusperren. Die muss man sich so vorstellen, wie die Öl- und Gaslagerstätten, wo das Erdgas auch herkommt. Weil das CO2 sauer ist, würde es mit dem Gestein, das sehr häufig basische Mineralien enthält, reagieren und wäre dann dort gebunden. Für solche Lagerstätten haben wir weltweit riesige Potentiale, allein unter dem Nordseegrund ungefähr in 1000 m Tiefe gibt es poröse Formationen, wo seit Ende der 1990er Jahre CO2 testweise eingebracht wird. Die Formation ist sehr gut untersucht, sie könnte für mehrere Jahrzehnte den gesamten europäischen CO2-Ausstoß aufnehmen, das ist off-shore, da gibt es keine Anrainer, die Bedenken haben müssten, dass dort das Grundwasser versauert wird oder dergleichen.
Celsius: Wie würde der Transport zu diesen Lagerstätten funktionieren?
Tobias Pröll: Das wäre auch in dem Bericht aus 2005 sehr schön drinnen: Es gibt sehr viel Erfahrung mit dem Transport von CO2 aus den USA, wo das CO2 zum Beispiel mit Pipelines über tausende Kilometer aus Texas nach Wyoming gebracht und dort für tertiäre Ölförderung verwendet wird. Das bräuchten wir nicht mehr entwickeln, es ist einfacher, CO2 zu transportieren, als Erdgas.
Auch das Pressen in die Lagerstätten ist übrigens für die Öl- und Gasindustrie Standard. Wir hatten schon in den 1980er Jahren ein Erdgasfeld in Österreich, wo das Erdgas bereits CO2 enthalten hat. Da hat man das CO2 abgetrennt und wieder in die gleiche Lagerstätte hineingebracht, um den Druck aufrecht zu erhalten. Irgendwann hat sich dann der CO2-Gehalt an dem Bohrloch so sehr erhöht, dass das Ganze nicht mehr wirtschaftlich war und dann hat man das verschlossen.
Celsius: Wie sehen Sie die Lage in Österreich, was die Verbreitung dieser Technologien angeht?
Tobias Pröll: Wenn Sie mich nach CCS fragen, dann ist Österreich nach wie vor im Dornröschenschlaf. Es wurde 2011 die Lagerung von CO2 verboten, aufgrund von Sicherheitsbedenken der Bevölkerung, was als politische Entscheidung nachvollziehbar ist. In Österreich wird stark das Thema Kohlendioxidabscheidung und Weiterverwendung gepusht, also Carbon Capture and Utilization (CCU). Da muss man aber immer überlegen, ob sich der hohe Aufwand für die Abscheidung lohnt. Wenn man diesen Aufwand betreibt und das CO2 weiterverwendet, indem man es in ein kurzlebiges Produkt umwandelt, zum Beispiel in Harnstoffdünger, der auf dem Feld eine Halbwertszeit von wenigen Tagen hat, dann ist das CO2 erst recht wieder in der Atmosphäre. Wenn das der Effekt ist, man aber das Zertifikat gutgeschrieben bekäme, für so eine Maßnahme, dann wäre das Greenwashing.
CCU ist aus meiner Sicht sehr mit Vorsicht zu genießen. Es ist auch ein Versuch, die gesamte Forschung in dem Bereich und das Interesse der Industrie nicht abzuwürgen, aber gleichzeitig das politische Problem der Lagerung zu umschiffen. Die Hoffnung ist, dass trotzdem technologische Entwicklungen möglich sind, die dann auch für wahrscheinlich klimarelevantere CCS von Nutzen sind. Das heißt politisch ist es in Österreich derzeit so: CCS wird herumgereicht, wie eine heiße Kartoffel; CCU wird derzeit breit ausgerollt.
Celsius: Was müsste oder könnte Ihrer Meinung nach die Politik tun, damit es ein Umdenken in Bezug auf das CCS gibt?
Tobias Pröll: Ich hielte es für dringend angeraten, Möglichkeiten zu untersuchen und Infrastruktur aufzubauen, um CO2 von Standorten in Österreich zu europäischen CO2-Entsorgungszentren zu bekommen. Die entstehen gerade in Hamburg, in niederländischen Häfen oder entlang der norwegischen Küste und so weiter. Wenn die EU uns dazu zwingt, zu dekarbonisieren, dann wäre es für die österreichische Industrie wahrscheinlich gut, wenn es Infrastruktur gäbe, das CO2 auch wirklich loszuwerden. Sonst können sie natürlich auch zusperren und wir machen Stahl und Zement nur noch an der Küste, wo wir mit den Schiffen zu den Lagerstätten kommen. Ich denke, auch unsere Industrie wäre gut beraten, in diese Richtung zumindest Konzepte auszuarbeiten. Was passiert, wenn die EU hier die Schrauben anzieht, und wenn es wirklich einmal für dekarbonisierte Produkte einen Marktvorteil gibt? Dann haben die Nordseeanrainer einen Standortvorteil – und das wird zum Nachteil für die anderen. Das wird aber notwendig sein, wenn wir uns irgendwie in Richtung Klimaneutralität hinbewegen wollen.
Aufgrund der Länge erscheint dieses Interview in zwei Teilen. Im zweiten Teil wird es um das Potential von Carbon Capture and Storage-Systemen, zur Bekämpfung der Klimakatastrophe beizutragen gehen, um Negative Emission Technologies, und um die Frage, ob es sinnvoll ist, CO2 direkt aus der Luft zu filtern, laut IPCC eine der möglichen solchen Technologien.
Prof. Tobias Pröll ist Professor für Energietechnik und Energiemanagement an der Universität für Bodenkultur Wien und forscht unter anderem am Thema Negative Emission Technologies. Er ist Fachgutachter in zahlreichen wissenschaftlichen Zeitschriften, Mitglied des Scientific Committees der International Conference on Negative Emissions und Gründungsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für innovative Computerwissenschaften, sowie des IEAGHG Networks on High Temperature Solid Looping Cycles.
Ob Klimaschutzmaßnahmen wie die kürzlich präsentierte Ökosoziale Steuerreform uns auf dem Weg zur Klimaneutralität weiterbringen, lässt sich an einer ganz klaren Messlatte ablesen. Um bis 2040 klimaneutral zu werden darf Österreich ab jetzt nicht mehr als 700 Millionen Tonnen CO2eq1: in die Atmosphäre gelangen lassen. Das errechnete das Wegener Center für Klima und globalen Wandel der Universität Graz2. Daraus folgt, dass bis 2030 jedes Jahr 4,5 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden müssen. Derzeit emittiert Österreich jährlich ca. 80 Millionen Tonnen, die 4,5 Millionen Tonnen wären also 5,6 Prozent davon. Ein CO2 -Preis ist eine der möglichen Maßnahmen, um diese Reduktion zu erreichen. Doch der Weg kann nicht sein, verschiedene Maßnahmen zu setzen und dann zu sehen, auf welche Summe sie sich wohl addieren. Der Weg kann nur sein, von einem strikten Reduktionspfad auszugehen und festzustellen, welche Maßnahmen nötig sind, um die Reduktion von 4,5 Millionen Tonnen jährlich zu erreichen.
Die blaue Linie in der obigen Grafik des Wegener Centers zeigt den Verlauf der Treibhausgas-Emissionen seit 1990. Man sieht, dass der Rückgang durch die Covid-19-Pandemie im Jahr 2020 nur vorübergehend war. Im Jahr 2021 – das lässt sich jetzt schon sagen – liegen die Emissionen wieder auf dem Niveau von 2019. Der weitere Verlauf der blauen Linie zeigt, wie sich die Emissionen bis 2050 entwickeln müssen, um „netto null“ zu erreichen. Die grüne Linie zeigt den Verlauf der Emissionen abzüglich der Einsparungen, die sich durch Veränderungen in der Landnutzung ergeben3. Diese Linie erreicht 2050 den Nullpunkt unter der Voraussetzung, dass der Emissionsreduktionspfad eingehalten wird. Die rote Linie zeigt das theoretisch jedes Jahr noch zur Verfügung stehende CO2-Budget.
1: CO2eq = CO2-Äquivalente. Die Treibhausgase wie Methan, Lachgas, Stickoxide und andere werden nach ihrer Wirkung in CO2 umgerechnet.
Den Vorwurf, dass Umweltschutz das Land in die Steinzeit zurückbefördern würde, hörten wir schon bei der Auseinandersetzung um das Atomkraftwerk Zwentendorf in den 1970er Jahren. Das Atomkraftwerk ist heute ein Museum und die Steinzeit ist nicht hereingebrochen. Wir hörten ihn wieder bei der Auseinandersetzung um die Zerstörung der Hainburger Au durch einen Kraftwerksbau. Inzwischen gibt es statt eines Kraftwerks den Nationalpark Donauauen und die Steinzeit ist nicht hereingebrochen.
Heute stellt sich die Frage, in welche Welt uns der Klimaschutz führen wird. Führende österreichische Klimawissenschaftler*innen und über 70 Expert*innen aus allen Disziplinen haben einen Plan1 ausgearbeitet, wie Österreich bis 2050 klimaneutral werden kann. In einem zusammenfassenden Kapitel beschreiben sie, wie das Leben in diesem Land 2050 ausschauen könnte.Auf diese Vision stützt sich – teils auch wörtlich – unser Beitrag. Das ist möglich, da die Quelle dankenswerter Weise unter die Creative-Commons-Lizenz BY 4.0 gestellt wurde.
Dazu ist zu sagen, dass die Vision zwar von Österreichs Anteil an der globalen Verantwortung für das Klima ausgeht, aber nichts über das Leben in anderen Teilen der Welt sagt. Zweitens schreiben die Wissenschaftler*innen keinen bestimmten Weg zu diesem Ziel vor. Sie stellen stattdessen mögliche Transformationspfade zur Diskussion: Durch Regulierungen und marktwirtschaftliche Anreize von oben, oder durch gesellschaftliche Erneuerung von unten, durch technologische oder sozio-ökonomische Innovation.
Der Earth-Overshoot-Day oder Welterschöpfungstag – der Tag, an dem die Menschheit alle Ressourcen verbraucht hat, die der Planet in einem Jahr zur Verfügung stellen kann – fällt heuer auf den 29. Juli. Genau aus diesem Anlass wollen wir ein positives Bild einer möglichen Zukunft innerhalb der planetaren Grenzen zur Diskussion stellen.
Die Vision: Österreich im Einklang mit den Pariser Klimazielen
Das Leben hat sich in Österreich in vielfacher Weise verändert und ändert sich noch weiter, denn die bereits umgesetzten und die eingeleiteten Maßnahmen ziehen weitere Veränderungen nach sich. Es hat sich gezeigt, dass Vieles viel leichter ging als erwartet, nachdem der Anfang gemacht war. Manches hat auch mehr Probleme gemacht.
Erneuerbare Energien und Energieeffizienz machen unabhängiger
Erneuerbare, vielfach dezentral genutzte Energiequellen liefern saubere, leistbare Energie und machen das Land wie auch Regionen unabhängiger von Energieimporten. Durch einen Fokus auf hocheffiziente Energiedienstleistungen wurde gleichzeitig die Energieeffizienz gesteigert und der Energiebedarf deutlich gesenkt.
Energieeffizienz lohnt sich, weil Primärenergie teurer geworden ist. Ab einem bestimmten Mindestbedarf wird die einzelne Kilowattstunde umso teurer, je mehr man verbraucht. Das gilt für Haushalte, Handel, Industrie und Gewerbe. Raumplanung, Mobilitätsplanung und die Planung der Energieversorgung erfolgen gemeinsam. Dabei geht man von den Bedürfnissen der Menschen aus. Aus der gewünschten Funktion (z.B. schnell und bequem von zu Hause zur Arbeit zu kommen, oder mit Gütern des täglichen Bedarfs versorgt zu werden, aber auch für die Erfordernisse der Produktion) leitet sich die Gesamtplanung ab. Daraus ergibt sich die die benötigte Menge an Energie, der passende Energieträger und die Form der Bereitstellung. Sektorkopplung zwischen Elektritizät, Wärmeversorgung, Verkehr und Industrie sorgt dafür, dass überschüssige Energie aus einem Sektor in einen anderen Sektor, wo Bedarf besteht, umgeleitet wird.
Das Stromnetz ist dezentral, multidirektional und intelligent. Lebensqualität orientiert sich nicht an Konsum und Profit.
Das Stromnetz hat sich von einem zentralistischen, unidirektionalen zu einem dezentralen, multidirektionalen und intelligenten Stromnetz gewandelt. Strom wird also nicht nur in großen Kraftwerken erzeugt und zentral verteilt, sondern an vielen Stellen auch von Privaten, Gemeinden usw. und kann auch ins Netz eingespeist werden. Gleichzeitig wurde die Verfügbarkeit gesichert und der Schutz vor Cyberkriminalität verbessert. Die Veränderungen waren bereits tiefgreifend und sie gehen noch immer weiter. Es werden stets neue, nachhaltigere Technologien entwickelt. Gleichzeitig werden Lebensstile nachhaltiger und brauchen weniger Energie: Gute Lebensqualität geht vor Profit und Konsum. Die Auswirkungen mancher Änderungen in anderen Sektoren werden erst langsam im Energiesektor spürbar.
Einerseits ist der Strombedarf gestiegen, weil wirtschaftliche Aktivitäten elektrifiziert wurden. Andererseits kam es zu Bedarfssenkungen, z. B. durch bessere Wärmedämmung von Gebäuden, effiziente Mobilität und die klimaschutzorientierte Raumplanung. Viele haben die Ursachen der Klimakrise verstanden und den Wert der Genügsamkeit für das eigene Wohlbefinden wiederentdeckt. Weniger ist oft mehr, und es genügt oft weniger, als man haben könnte.
Man muss kein Auto besitzen, um weiterzukommen.
Neue Raumplanungs- und Mobilitätskonzepte sowie neue Steuermodelle haben den Verkehr verändert: Der Individualverkehr ist zugunsten der aktiven Mobilität (Gehen, Fahrradfahren) zurückgegangen. Der öffentliche Verkehr wurde ausgebaut und auch im ländlichen Raum hat innovative Logistik neue Möglichkeiten eröffnet. Moderne Kommunikationsmöglichkeiten und Konzepte wie Sammeltaxis, Ride & Carsharing und Gemeindefahrzeuge ermöglichen Mobilität ohne eigenes Auto. Die meisten Menschen besitzen keine PKWs mehr, sondern nutzen sie nur noch. Das entlastet die Nutzer*innen nicht nur finanziell, sondern nimmt ihnen auch Verantwortung ab.
Für die Bevölkerung bringt die Veränderung gesundheitliche Verbesserungen durch mehr Bewegung, bessere Luftqualität, weniger Lärm und Stress und mehr Zeit für Beziehungen und bewusstes Leben. Mehr Platz in den Städten ermöglicht mehr Grün zur Dämpfung der Hitze. Der zusätzliche Begegnungsraum macht die Städte sicherer.
Durch lokale Produktion gibt es weniger Güterverkehr.
Der österreichische und europäische Güterverkehr ist zurückgegangen, weil die Wirtschaft sich stärker regional ausrichtet, und die Transporte wurden auf die Schiene verlagert. Der Umbau zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft, die Rücknahmepflicht der Händler und die lokalere Produktion auf Basis von 3D-Druckverfahren haben den internationalen Güteraustausch reduziert.
Für Containerschiffe und Flugfracht gelten strenge Umweltbestimmungen. Ihre Antriebsenergie kommt weitgehend aus erneuerbaren Energieträgern (z. B. Windkraftunterstützung auf See und „Power-to-X“-Treibstoffe, die mit täglichen Überschussmengen von Solarstrom erzeugt werden). Der Lkw-Transport in den Städten läuft elektrisch. Die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen für diese Umstrukturierungen wurden rechtzeitig beschlossen, geplant und installiert, sodass keine Verzögerungen durch fehlende Infrastruktur entstanden sind.
In der Kreislaufwirtschaft halten Gebrauchsgüter länger und können repariert werden.
Gebrauchsgüter sind im Sinn des konsequenten Umbaus zur Kreislaufwirtschaft langlebiger und reparierbar geworden. Die Erzeuger nehmen die Produkte am Ende der Lebenszeit zurück und führen die Komponenten einer Wiederverwertung zu, die die Ressourcen effizient ausnützt. Wichtig ist, dass die Produkte von Anfang an so designt werden, das sie am Ende ihrer Lebenszeit leicht in ihre Bestandteile zerlegt und wiederverwertet werden können. Zugleich werden viele Produkte, nicht nur die legendäre Bohrmaschine, nur noch ausgeliehen – man muss nicht besitzen, was man selten braucht. Das bedeutet einerseits Rückgang der materiellen Produktion und damit Ressourcenschonung, andererseits aber mehr Qualitätsarbeit. Die Qualität und Zahl der Arbeitsplätze hat sogar zugenommen.
Da man weniger Güter kaufen muss, kann man sich auch höhere Preise leisten. Werbemaßnahmen orientieren sich am aktuellen Wissensstand und an der sozialen und ökologischen Herausforderung. Sie dienen nicht dem Mehr-Konsum, sondern einem nachhaltigen Konsum.
Forschung für Nachhaltigkeit wird gezielt gefördert.
Die notwendigen Innovationen für die industriellen Prozesse werden durch zielgerichtete Forschungsförderung beschleunigt. Neue Möglichkeiten der Materialproduktion werden dabei ebenfalls im Auge behalten (z. B. biobasierte Polymere, emissionsärmere Produktion, Kreislaufwirtschaftsinnovationen wie De-Polymerisierung zur effizienten Rohstoffrückgewinnung).
Die Digitalisierung ermöglicht geringeren Ressourcenverbrauch.
Die dynamischen technologischen Entwicklungen, die unter dem Namen Digitalisierung oder „Industrie 4.0“ zusammengefasst werden, wie automatisierte Fahrzeuge, Drohnen- und Blockchain-Technologie, wurden durch gesetzliche Regelungen auf Anwendungen orientiert, die das Einhalten der Klimaschutzziele und der ökologischen Grenzen erleichtern, ohne zusätzlichen Ressourcenverbrauch zu erzwingen.
Neue Perspektiven für Arbeitnehmer*innen werden geschaffen.
Ein zentraler Erfolgsfaktor dafür ist die inzwischen tiefgreifend verankerte, stark regional ausgerichtete Kreislaufwirtschaft, bei der die Potenziale der Digitalisierung nutzbringend eingesetzt werden. Für einige Unternehmen ist in einer klimaemissionsfreien Wirtschaft kein Platz. Deren Arbeitnehmer*innen werden durch politische Begleitmaßnahmen aufgefangen. Ihnen werden durch Re-, Neu- und Umqualifizierungsmaßnahmen neue Perspektiven geboten. Die Transformation wird sozial gerecht („Just Transition“) gestaltet. Generell wird viel mehr Arbeit in Bereichen wie Gesundheit und Pflege, Bildung, Kultur und Sport, aber auch in der Landwirtschaft benötigt.
Anpassung und Widerstandsfähigkeit gegen Extremwetterereignisse werden gefördert.
Die kritische Infrastruktur ist mittlerweile recht gut geschützt gegen Extremwetterereignisse. Diese liegen zwar auch bei einer globalen Erwärmung um 1,5 °C noch deutlich über den aus früheren Zeiten bekannten Ausmaßen, aber man muss nicht mehr fürchten, dass sie von Jahr zu Jahr intensiver werden und länger andauern. Das Klima stabilisiert sich. Bei den notwendigen Umbau- und Klimawandel-Anpassungsmaßnahmen wurde auch auf Herausforderungen in verschiedenen Dimensionen geachtet – wie etwa die gute Anbindung an öffentlichen Verkehr, die Wiederverwendbarkeit von Strukturen, die Rezyklierbarkeit von Komponenten und Gebäuden oder die Einplanung von schattigen Rastplätzen.
Dennoch: Absoluten Schutz vor Unvorhergesehenem gibt es nicht. Die Menschen haben gelernt, sich auf Krisensituationen besser vorzubereiten und mit diesen besser umzugehen. Eine Mindestvorratshaltung ist in Haushalten und in Gemeinden zur Selbstverständlichkeit geworden, ebenso wie regelmäßige Notfallübungen. Die Erkenntnis, dass Resilienz (Widerstands- und Anpassungsfähigkeit) wichtig ist und nicht alles der Forderung nach maximaler Effizienz unterzuordnen ist, hat sich durchgesetzt.
Es gibt mehr Flächen für Bio-Landwirtschaft durch weniger Fleischproduktion.
Biologische Landwirtschaft ist extensiv und braucht größere Flächen. Infolge des geringeren Fleischkonsums wurden dafür die Flächen verfügbar, die zuvor zur Futtermittelproduktion für Rinder, Schweine, Hühner etc. genutzt wurden. Zugleich wurde die rasante Verbauung landwirtschaftlicher Flächen radikal eingeschränkt. Wo immer möglich wird sogar rückgebaut, um die Bodenversiegelungsauswüchse der Vergangenheit wiedergutzumachen. Boden bezieht seinen Wert nun auch durch seine Funktion als Kohlenstoff- und Wasserspeicher.
Ein wesentlicher Beitrag zur Senkung der landwirtschaftlichen Emissionen war die Ernährungsumstellung hin zu saisonaler, biologischer und primär regionaler Nahrung mit deutlich mehr pflanzlichen Produkten und rund 50 % weniger Fleisch. Dazu kam auch eine deutliche Senkung der Lebensmittelabfälle. Düngemittelproduktion und Landnutzungsänderungen konnten zurückgefahren werden. Der geringere Viehbestand senkte den Futtermittelbedarf sowie die Ausgasungen der Wiederkäuer. Die umgestellte Ernährung entspricht viel besser den Vorgaben der WHO bzw. der Mediziner für eine gesunde Ernährung. Da außerdem weniger Rückstände von Pestiziden, Hormonen und Antibiotika in den Körper gelangen, tut sie auch der Gesundheit der Bürger*innen gut .
Der Boden wird als Kohlenstoff- und Wasserspeicher geschützt.
Die 5 bis 10 Prozent verbliebenen Treibhausgasemissionen (im Vergleich zu 2005) werden durch naturverträgliche Kohlenstoffspeicherung in Boden und Biomasse ausgeglichen. Land- und Forstwirtschaft konnten den Aufbau von Humus und Holzbiomasse als Kompensation sicherstellen. Die regenerative, biologische und humusfördernde Landwirtschaft hat die Aufnahmefähigkeit des Bodens auch für das Wasser erhöht, sodass Dürreperioden und Starkniederschläge, die mit dem Klimawandel einhergehen, besser abgepuffert werden können. Die Landwirte haben trotz Klimawandel einigermaßen verlässliche Ernten. Auch kleinere landwirtschaftliche Betriebe finden wieder ein gutes Auskommen, da der Bedarf an land- und forstwirtschaftlichen Produkten ausgeweitet wurde und neuen Formen solidarischer Landwirtschaft und direkter Vermarktung sich immer mehr durchgesetzt haben. In der Bioökonomie haben Kreislauforientierung und Nachhaltigkeit einen festen Platz gewonnen. Es haben sich aufgrund der Kreislaufwirtschaft und innovativer kaskadischer Nutzungen Wege gefunden, die stoffliche Nutzung der Biomasse voranzutreiben, ohne die Kohlenstoffsenken zu reduzieren. Kaskadische Nutzung bedeutet, einen Rohstoff möglichst oft zu nutzen, bevor er zur Energiegewinnung gebraucht wird, z.B. Holz zu Möbeln zu verarbeiten, die alten Möbel umzubauen, schließlich Spanlatten daraus zu machen und erst möglichst spät zur Energiegewinnung zu verbrennen. Die vermehrte Holznutzung in langlebigen Infrastrukturen trägt sogar zur Stabilisierung der Kohlenstoffspeicherung bei. In vielen Bereichen sind auch 2050 noch dynamische Neu- und Weiterentwicklungen im Gange – wesentliche Innovationen sind noch zu erwarten. Diese Innovationen könnten auch für die Energiegewinnung gekoppelt mit aktiver Kohlenstoffspeicherung bedeutsam sein. Dennoch kann die energetische Nutzung von Biomasse – aus Gründen der Knappheit landwirtschaftlicher Nutzflächen und des Schutzes der Biodiversität – nicht das primäre Ziel sein.
Die Gesundheit verbessert sich.
Die Kosten für das Gesundheitssystem, Krankenstände und krankheitsbedingte Frühpensionierungen sind gesunken und sinken weiter, denn die Mobilitäts- und die Ernährungsumstellungen haben das Leben nicht nur weniger riskant, sondern auch gesünder gemacht. Es wurde auch deutlich Druck aus dem Berufsleben genommen.
Das Kapital hat sich aus fossilen Energieträgern zurückgezogen.
Ein wesentlicher Motor für die Transformation war der zunächst langsame, dann aber sich stark beschleunigende Abzug von Kapital aus fossilen Energieträgern (Divestment) und die Investition in erneuerbare Energien und zukunftsfähige, sozial-ökologische Innovationen. Die Investitionen haben sich in deutlich höherem Maße in die Realwirtschaft verlagert, was nicht nur technologische Innovationen in beachtlichem Ausmaß ermöglicht hat und weiter ermöglicht, sondern auch die Stabilität des Finanzmarktes wesentlich erhöht.
Das Bildungssystem fördert Neugier und Kreativität und das Denken in Zusammenhängen.
Das Bildungssystem wurde grundlegend reformiert. Wichtige Erkenntnisse der Hirnforschung, der Psychologie und der Pädagogik der letzten Jahrzehnte fanden Eingang in die Praxis. Die Neugier, Motivation, Individualität und Kreativität der Kinder, Jugendlichen und Studierenden wird stark gefördert. Zudem werden ihre Fähigkeiten interdisziplinäre Brücken zu bauen, in Zusammenhängen zu denken, Lösungen für komplexe Probleme zu finden und das Leben zu gestalten, statt sich lediglich vom Leben formen zu lassen, gezielt gefördert. Das ermöglicht ihnen, von Ressourcen-Ausnutzer*innen zu Potenzial-Entfalter*innen zu werden. Bei der Wissensvermittlung wandert der Schwerpunkt vom Verfügungs- und Handlungswissen hin zu umfassendem, ganzheitlichem und wertbezogenem Orientierungswissen und systemischen, projektbezogenen, kreativen Herangehensweisen.
Die Forschung entwickelt menschengerechte Lösungen.
Eine Zeit lang ist es – angesichts der lebensbedrohenden Entwicklungen der Klima- und Umweltkrise – in der Forschung fast ausschließlich darum gegangen, wissenschaftliche Fragen zu beantworten, die für die Gesellschaft hoch relevant sind. Alle Universitäten und Forschungseinrichtungen haben sich stark daran ausgerichtet. Das alles war unter anderem möglich, weil auch der Staat sich wieder in stärkerem Maße für die Forschung zuständig fühlte. Er förderte gesellschaftlich-transformative Ziele in der Wissenschaft und schränkte wirtschaftliche Einzelinteressen im Forschungsbetrieb ein. Die Wissenschaft hat sich verstärkt auf gesellschaftliche Zukunftsfragen ausgerichtet und bearbeitet inzwischen wieder ein breites, offenes inter- und transdisziplinäres Forschungsspektrum. In der Forschung wird kooperativ und interdisziplinär gearbeitet, von den Naturwissenschaften bis hin zu den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Geisteswissenschaften, Theologie und Kunst. Betroffene werden wo immer sinnvoll von Anbeginn einbezogen (transdisziplinäre Forschung). Allein technologieorientierte Lösungen sind kaum mehr von Interesse. Wesentlich ist es, menschengerechte Lösungen zu finden. Der Status in der wissenschaftlichen Welt hängt nicht mehr primär von Publikationen ab, sondern wesentlich davon, wie die Verantwortung gegenüber der Gesellschaft im Hinblick auf die Nachhaltigkeitswirkung („sustainability impact“) der Forschung wahrgenommen wird. Auf Unabhängigkeit der Forschung und Transparenz in der Forschungsfinanzierung wird großer Wert gelegt. Die Forschung ist so zu einem wahren Motor für die Nachhaltigkeit der Gesellschaft geworden.
Die Schere zwischen Arm und Reich verringert sich.
Alle Maßnahmen im Zuge der Transformation der Gesellschaft wurden jeweils sorgfältig auf ihre sozialen Auswirkungen geprüft und haben dazu beigetragen, dass die Schere zwischen Arm und Reich langsam zuging. Dazu hat eine wirtschaftlich, sozial- und umweltgerechte Steuerreform beigetragen. Sie war eine der ersten und wirksamsten Maßnahmen, die den Menschen mit niedrigen Einkommen einen wesentlichen Teil der Steuereinnahmen auf fossile Brennstoffe als Klimabonus auszahlte und ihnen zeigte, dass zwar die Klimakrise bedrohlich war, nicht aber die Klimaschutzmaßnahmen.
Als diese Steuereinnahmen infolge des geringeren Einsatzes fossiler Brennstoffe zurückgingen, verschafften bereits andere Maßnahmen, wie z. B. verbesserter öffentlicher Verkehr und Ride & Carsharing, den Haushalten wesentliche Entlastungen bei ihren Kosten. Erleichtert wurden staatliche Investitionen, weil die gleichmäßigere Vermögens- und Einkommensverteilung auch zum Sinken der Kosten für den Sicherheitsapparat, das Sozialsystem und das Gesundheitswesen führte. Bildung und Forschung beanspruchen jetzt einen höheren Anteil des staatlichen Budgets, aber diese Mittel sind gut eingesetzt. Geldflüsse aus dem reformierten Finanzsystem und Einsparungen, die sich in anderen Bereichen ergeben haben, entlasten sogar den Staatshaushalt.
Die Bevölkerung nimmt aktiv Teil an den Entscheidungen.
Die Maßnahmen wurden in Teilhabeprozessen unter Einbeziehung der Bevölkerung erarbeitet. Dies hat dazu geführt, dass Interessens- und Zielkonflikte offen ausgetragen werden konnten und gemeinsam nach Lösungen gesucht wurde. Lokalen Besonderheiten und Wünschen, insbesondere hinsichtlich Reihenfolge und Geschwindigkeit der Änderungen, wurde soweit möglich nachgekommen. Das hat sich günstig auf das Demokratieverständnis ausgewirkt und Bürger*innen übernehmen wieder deutlich mehr Verantwortung im gesellschaftlichen Prozess.
Neben der in Österreich schon lange hochstehenden Gesinnungsethik hat sich durch diese Teilhabeprozesse auch eine Verantwortungsethik eingestellt – man weiß nicht nur, was richtig wäre, sondern man tut es auch. Die Politik ist sachorientierter und vorausschauender geworden. Sie darf vorübergehende Verschlechterungen zugunsten klar argumentierter und allgemein verständlicher langfristiger Verbesserungen riskieren, ohne schon bei den nächsten Wahlen abgestraft zu werden.
Wir verbrauchen weniger, doch die Lebensqualität steigt.
Der Konsum-Lebensstandard, gemessen an der Zahl der Autos, Fernsehschirme, Fernreisen etc. ist zwar materiell gesunken, aber die Lebensqualität ist klar gestiegen; die Österreicher*innen sind deutlich zufriedener. Der Transformationsprozess ist nicht abgeschlossen, aber die Bevölkerung nimmt ihn an: Es herrscht Aufbruchsstimmung. In den Bürger*innenräten sind viele Ideen aufgekommen, die zum Teil noch nicht umgesetzt sind, aber viel Potenzial zu weiteren Verbesserungen haben, die weit über die Klimakrise hinausgehen – es wird spannend sein, zu beobachten, wo das noch hinführt.
Und rückblickend auf das Erreichen der Klimaneutralität Mitte 2045 und auf die um 2050 nahezu vollständig erreichte Befreiung von den fossilen Emissionen heißt es zu guter Letzt bei der Jahrhundertfeier auf dem Heldenplatz in Wien am 15. Mai 2055: Österreich ist klimaemissionsfrei!
Fotos: Pixabay Bearbeitet: M.A. und A.B.
1 Kirchengast, G., Kromp-Kolb, H., Steininger, K., Stagl, S., Kirchner, M., Ambach, Ch., Grohs, J., Gutsohn, A., Peisker, J., Strunk, B. (2019): Referenzplan als Grundlage für einen wissenschaftlich fundierten und mitden Pariser Klimazielen in Einklang stehenden Nationalen Energie- und Klimaplan für Österreich (Ref-NEKP) — Gesamtband, November 2019, 204 S., CCCA Wien-Graz. – Verlag der ÖAW, Wien, Österreich. Online unter: https://ccca.ac.at/refnekp – Creative Commons by 4.0 licence https://creativecommons.org/licenses/by/4.0