Warum „Nature“ sich mit Politik befasst

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Anlässlich der Präsidentschaftswahlen in den USA veröffentlicht die Fachzeitschrift Nature erneut eine dreiteilige Podcast-Serie, in der erklärt wird, „warum wir als Wissenschaftsmagazin und -journal bei Bedarf auch über Politik berichten.“ Die Serie erklärt, wie sich Politik auf das Berufsleben eines Wissenschaftlers auswirkt, die Qualität und Richtung der Forschung beeinflusst und warum Nature sich daher nicht einfach „auf die Wissenschaft beschränken“ kann.

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Fortschritt neu denken: Auf dem Weg zur Wachstumsunabhängigkeit

Lesedauer 4 Minuten.   

von Hans Holzinger

Der Wirtschafts- und Sozialgeograf Hans Holzinger über die wirtschaftlichen Herausforderungen in Österreich und die Notwendigkeit einer Wirtschaft, die von Wachstum unabhängig ist und auf einem neuen Wohlstandsverständnis basiert.

Österreichs Wirtschaft schlittert in ihr zweites Rezessionsjahr, so Wifo-Direktor Gabriel Felbermayr und IHS-Direktor Holger Bonin in einer Pressekonferenz zur Konjunkturprognose 2024 und 2025. Beide Institute erwarten heuer einen Rückgang der realen Wirtschaftsleistung von 0,6 Prozent, bei der Sommerprognose war noch mit 0,0 beziehungsweise 0,3 Prozent plus gerechnet worden. Auch die Zahl der Arbeitslosen werde weiter steigen – und das Budgetdefizit 2024 der Regierung werde über die von der EU vorgegebene Drei-Prozentmarke an der Gesamtwirtschaftsleistung liegen. Vor allem die rückläufige Geschäftsentwicklung in der Industrie und am Bau sowie ein schwacher Konsum werden im laufenden Jahr die Konjunkturentwicklung in Österreich bremsen, so die Wirtschaftsforschungsinstitute.

Irrwege gegen die Abwärtsspirale

Es tritt ein, was in den Wirtschaftswissenschaften als Abwärtsspirale beschrieben wird: Unternehmen investieren aufgrund schlechter Wirtschaftsprognosen weniger, die Bürger und Bürgerinnen halten sich mit Konsumentscheidungen zurück. Der Staat bekommt weniger Steuereinnahmen. Und so fort. Die klassische keynesianische Antwort lautet: Investitionen und Konsum ankurbeln. Die Neoliberalen drängen den Staat zu Ausgabenkürzungen und zu Anreizen, mehr zu arbeiten. In Deutschland wird eine neue Abwrackprämie für jene diskutiert, die den Verbrenner durch ein E-Auto ersetzen, um den E-Mobilitätsmarkt zu beleben und der kränkelnden Automobilindustrie unter die Arme zu greifen. In Österreich fordern Wirtschaftsverbände und manche Parteien, die Attraktivität von Teilzeit mittels Lohneinbußen bzw. durch einen Vollzeitbonus zu verringern. Manche plädieren für erneute Unternehmensspritzen, um die Abwanderung von Produktionsstätten hintanzuhalten und die Verteuerung der Energie abzufedern.

Aus Sicht der Ökologischen Ökonomie führt beides in die Irre. Seit Jahrzehnten wird darauf hingewiesen, dass fossile Energien zu billig sind und dass wir Marktanreize in Gestalt von höheren CO2-Steuern brauchen, um den Umstieg auf Erneuerbare Energie zu beschleunigen. Zudem wird eine Postwachstumsstrategie empfohlen. Im Strombereich sind Sonne und Wind bereits die kostengünstigste Energieform, bei Wasserstoff leider nicht. Zweitens wird darauf verwiesen, dass der private Konsum an Gütern zurückzufahren sei, weil in allen Produkten Energie und Ressourcen stecken, und die Entkopplung des Konsumniveaus vom Ressourcenverbrauch nicht im geforderten Maß gelingt. Das führt drittens zur Forderung, Konzepte für eine Wachstumsunabhängigkeit unserer in Summe bereits sehr starken Volkswirtschaften zu entwickeln.

Qualitätsvolle Versorgung mit Grundgütern

Investitionen in die Energie- und Mobilitätswende mit staatlichen Anreizen zu fördern, ist sinnvoll. Das ist kein verlorenes Geld – im Gegenteil, jeder Euro, den wir durch die Verringerung des Imports an fossilen Energien sparen, ist willkommen und erhöht die inländische Wertschöpfung. Eine generelle Ankurbelung des Konsums ist jedoch kontraproduktiv. Vielmehr ginge es darum, den Fokus auf eine qualitätsvolle Versorgung mit den Grundgütern für alle sicherzustellen: leistbares Wohnen, Lebensmittel hoher Qualität, Zugang zu qualitätsvoller Bildung für alle, zufriedenstellende Gesundheitsdienstleistungen ohne Zwei-Klassenmedizin. Da beißt sich jedoch die Katze in den Schwanz – den all das sind öffentliche Leistungen und diese kosten öffentliches Geld.

Strategien einer wachstumsunabhängigen Wirtschaft setzen daher auf drei Dinge:

  • Vermeidung von Negativkosten, etwa duch Gesundheitsprävention und die Förderung gesunder Lebensstile
  • Neujustierung der Steuersysteme
  • Neue Bilder von Wohlstand

Gesundheitsprävention

Verringerung der Negativkosten etwa durch Gesundheitsprävention und die Förderung gesunder Lebensstile: von einer geänderten Ernährung − wir essen zu süß und salzig sowie zu viel Fleisch − bis hin zu mehr Bewegung. Mehr Alltagswege mit dem Rad oder zu Fuß zurückzulegen, gehört dazu. Motto: Fitnesscenter Arbeitswelt. Auch psychische Gesundheit und Resilienz verringert Krankheitskosten. Der Abbau von zu viel Arbeitsstress sowie von Vereinsamung sind keine hinreichenden, aber notwendige Bedingungen dafür. Erfahrene Selbstwirksamkeit führt übrigens auch zu Resistenz gegenüber vereinfachender Angstmache etwa vor Migration. Länger arbeiten, weil wir länger leben, ist zu enttabuisieren. Negativkosten vermeiden wir aber auch durch wirksame Klimawandelanpassungen – von begrünten Städten gegen die zunehmenden Hitzetage bis hin zu Renaturierungen, die zugleich Hochwasserschutz bieten.

Neujustierung der Steuersysteme

Zweitens braucht es eine Neujustierung der Steuersysteme. Das Ziel von Steuern ist zu steuern. Wenn die Vermögens- und Einkommenskluft immer größer wird, muss der Staat hier gegensteuern. Zu große Reichtumsunterschiede sind demokratiepolitisch und volkswirtschaftlich schädlich – und wir können uns diese auch aus ökologischen Gründen nicht mehr leisten. Laut dem UN-Klimarat sind die zehn Prozent reichsten der Weltbevölkerung für fast die Hälfte der Treibhause verantwortlich. Der Wirtschaftsanthropologe Jason Hickel verweist darauf, dass fast ein Viertel der globalen Wirtschaftsleistung den fünf Prozent Reichsten zufließt. Sein Plädoyer: „Wenn Wachstum ein Ersatz für Verteilung war, dann ist Verteilung auch ein Ersatz für weiteres Wachstum.“ Eine bessere Verteilung des Wirtschaftsprodukts ist auch volkswirtschaftlich sinnvoll: Menschen mit niedrigem Einkommen geben dieses für die Grundversorgung aus und stärken damit die lokale Wirtschaft, Menschen mit höherem Einkommen sparen bei einer generellen Entlastung den verfügbaren Mehrbetrag oder geben diesen für weitere Urlaube im Ausland aus. Klimapolitik braucht daher Sozialpolitik im Sinne von Just Transition.

Vom materiellen Statusdenken zum Wohlbefinden

Drittens geht es – wie bereits angedeutet wurde – um neue Bilder von Wohlstand. Kate Raworth ist Begründerin der Donut-Ökonomie. Sie setzt die ökosystemischen Grenzen in Beziehung zu den menschlichen Grundbedürfnissen wie soziale Sicherheit und Zugang zu Basisleistungen wie Bildung oder Energie. Raworth ist überzeugt:  „Kein Land kann Wohlstand ohne Wachstum erreichen. Aber ebenso kann kein Land ökologische Probleme mit Wachstum lösen.“ Der deutsche Ökonom Rudi Kurz formuliert es ähnlich: „Eine zukunftsfähige Strategie muss den Test der Wachstumsunabhängigkeit bestehen. Nur wenn sie auch ohne Wirtschaftswachstum zur Zielerreichung führt, kann eine Strategie als resilient bezeichnet werden. Neben anders produzieren und konsumieren tritt weniger konsumieren in allen Bedarfsfeldern.“ Kurz spricht von einem Erwartungsmanagement: „Über Jahrzehnte geprägte Erwartungen müssen sich verändern. Die Erfüllung immer neuer Konsumwünsche ist nicht mehr möglich.“ Und auch er plädiert für eine Neuverteilung des nicht mehr wachsenden Kuchens.

Konzepte für Wachstumsunabhängigkeit

Österreich ist eines der reichsten Länder der Erde. Im Gegensatz zur gefühlten Stimmung geht es den meisten Menschen materiell noch immer gut. Nicht nur Österreich, sondern alle Volkswirtschaften mit hoher Wirtschaftsleistung stehen vor der Herausforderung, sich vom Wachstumszwang zu verabschieden. An die Stelle von Wachstum tritt Strukturwandel. Wohlstandszuwächse werden im immateriellen Bereich erreicht – durch mehr Wohlbefinden. Der Fortschritt bekommt eine andere Richtung. Es geht um regeneratives Wirtschaften im Einklang mit den Ökosystemen.

Der von der Uno jährlich herausgegebene Weltglückreport  listet als Kriterien für Zufriedenheit auf: soziale Sicherheit, Vertrauen in sich selbst, ineinander und in den Staat, ein positives Demokratiebild sowie lokales Eingebundensein in Gemeinschaften. Die Rangfolge wird seit Jahren von den skandinavischen Ländern angeführt. Österreich lag zuletzt an 14. Stelle – das heißt, es gibt hier Luft nach oben. Erfolgreiche Wirtschaftspolitik wird auch weiterhin an Zahlen gemessen werden und der Umbau in Richtung Wachstumsunabhängigkeit ist kein Spaziergang, aber er ist möglich. Und er wird uns nicht erspart bleiben: „Slow down by design“ ist allemal besser als „by desaster“.

Mag. Hans Holzinger ist Wirtschafts- und Sozialgeograph und Senior Adviser der Robert-
Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg sowie Mitglied von Scientists for Future.
Soeben ist sein neues Buch „Wirtschaftswende. Transformationsansätze und neue
ökonomische Konzepte im Vergleich
“ bei oekom (München) erschienen.

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Citizen Science: Hast du Mikroben im Haus, die CO2 in nährstoffarmen Umgebungen binden können?

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Mikroorganismen sind überall, und die meisten von ihnen sind noch unerforscht! Bei dem Citizen Science Projekt „Extremophile Campaign: In Your Home“, initiiert vom Two Frontiers Project (2FP) , geht es darum, die Welt der Mikroben in den extremen Umgebungen Deines Zuhauses zu erforschen. Von der sengenden Hitze deiner Spülmaschine bis zur kalten Zone der Abtropfschale deiner Klimaanlage könntest du neue, unerforschte Mikroorganismen entdecken. Diese kleinen Wunder verfügen möglicherweise über einzigartige Fähigkeiten, wie z. B. das Überleben in nährstoffarmen Umgebungen oder das Gedeihen unter extrem trockenen Bedingungen.  Als Freiwilliger bei diesem Projekt wirst du gebeten, in deinem Haus nach Anzeichen von seltsamem mikrobiellem Wachstum (Schleim, verkrustete Matten, faseriges Wachstum) zu suchen, ein Foto davon zu machen und ein paar Fragen zu dem zu beantworten, was du siehst. Das Wissenschaftsteam wird den Katalog der gemeldeten Beobachtungen analysieren, um zu bestimmen, welche mikrobiellen Lebewesen beprobt werden sollen. Einige Proben werden mithilfe der DNA-Sequenzierung der mikrobiellen Gemeinschaft untersucht und in der Two Frontiers Project Living Database zur weiteren Untersuchung durch die Wissenschaftsgemeinschaft freigegeben.
Link: https://citsci.org/projects/the-extremophile-campaign-in-your-home

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Earth Commission Report: Gerechtigkeit ist die Voraussetzung für die Sicherheit des Planeten und der Menschen

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Das erweiterte Konzept der „planetaren Grenzen“: Sichere und gerechte Erdsystemgrenzen

von Martin Auer

Wir müssen unsere Wirtschaftssysteme und Technologien drastisch ändern, um zumindest einen grundlegenden Lebensstandard für alle Menschen auf der Erde aufrechtzuerhalten. Das belegt ein bahnbrechendes Dokument, das letzten Monat in der Zeitschrift „Lancet Planetary Health“ veröffentlicht worden ist: der Bericht der Earth CommissionEine gerechte Welt auf einem sicheren Planeten1. Der Bericht ist das Ergebnis der dreijährigen Arbeit von über 60 führenden Wissenschaftler:innen aus den Natur- und Sozialwissenschaften, geleitet von Johan Rockström vom Stockholm Institut für Klimafolgenforschung, Joyeeta Gupta von der Universität Amsterdam und Qin Dahe von der chinesischen Akademie der Wissenschaften.

Die Forschung beruht auf drei Säulen: Erstens dem Konzept der „Planetaren Grenzen“, das bereits 2009 von einer Gruppe um Johan Rockström entwickelt (und seither von verschiedenen Wissenschaftler:innen ergänzt und erweitert) wurde, und das die ökologischen Grenzen der Belastbarkeit für verschiedene Erdsysteme untersuchte. Zweitens dem Konzept der „Doughnut-Economics“, das 2012 von Kate Raworth erstmals präsentiert wurde und auf den Planetaren Grenzen aufbauend den „sicheren und gerechten Bereich“ für die Menschheit zwischen den Minimalanforderungen für ein menschenwürdiges Leben und den maximalen Möglichkeiten des Planeten definierte. Als dritte Säule bezieht sich der Bericht der Earth Commission auf die UNO-Ziele für nachhaltige Entwicklung bis 2030 (SDGs).

Die Arbeit baut auf früheren Forschungsarbeiten auf , die zeigten, dass viele der wesentlichen Belastbarkeitsgrenzen der Erde, die für die Stabilität des Planeten und ein sicheres Leben der Menschen notwendig sind – die sogenannten Erdsystemgrenzen – bereits überschritten sind. In diesem Bericht konzentrieren sich die Forscher:innen auf fünf dieser Systeme: Klima, Wasserhaushalt, Nährstoffkreislauf, intakte Natur und Aerosole.

Für jedes dieser Systeme haben die Forscher:innen einen „sicheren und gerechten Bereich“ errechnet. Sie haben nicht nur die oberen Belastbarkeitsgrenzen für die Stabilität des Planeten untersucht – „safe boundaries“ – sondern auch die Belastungsgrenzen, die nicht überschritten werden können, ohne Menschen erheblichen Schaden zuzufügen – „just boundaries“.

Dazu haben sie auch noch für jedes Erdsystem das Mindestmaß an Belastung festgestellt, das notwendig ist, um allen Menschen das Notwendigste für ihr Wohlergehen zur Verfügung zu stellen. Der sichere und gerechte Bereich für das Gedeihen der Menschen und des Planeten wird nach unten durch dieses Minimum begrenzt, nach oben durch die gerechte“ oder die „sichere“ Grenze, je nachdem, welche die strengere ist.

1.5°C ist sicher, aber nicht gerecht

Ein Beispiel mach das deutlich: Die sichere Grenze für die Klimaerwärmung sind die bekannten 1,5°C über dem vorindustriellen Niveau. Die Einhaltung dieser Grenze verhindert, dass wesentliche Subsysteme des Planeten kippen, beispielsweise, dass das Grönlandeis abschmilzt oder der Amazonas-Regenwald zur Savanne wird. Doch bei dieser Temperatur würden bereits 200 bis 500 Millionen Menschen erheblichen Schaden erleiden: durch den Anstieg des Meeresspiegels, eine jährliche Durchschnittstemperatur von mehr als 29°C oder eine Feuchtkugeltemperatur über 35°C an mindestens einem Tag im Jahr – das ist eine Kombination von Hitze und Luftfeuchtigkeit, bei der der Körper sich nicht mehr durch Schwitzen abkühlen kann, und bei der ein längerer Aufenthalt im Freien daher tödlich ist. Deshalb liegt die gerechte Grenze weit unterhalb der sicheren Grenze, nämlich bei 1°C über dem vorindustriellen Niveau. Es ist offensichtlich, dass die gerechte Grenze bereits überschritten ist.

Konkrete Zahlen als Leitlinien

Die Earth Commission stellte sich zur Aufgabe, die sicheren ökologischen und die gerechten sozialen Grenzen nicht nur begrifflich darzustellen, sondern zu beziffern. Das gibt der Politik die Möglichkeit, konkrete Schritte zu planen und des gibt auch der Zivilgesellschaft handfeste Grundlagen, um Forderungen an die Politik zu stellen. Der Bericht zielt aber auch darauf ab, Städten und Unternehmen die Möglichkeit zu geben, die Grenzen auf ihren eigenen Maßstab herunterzubrechen, konkrete Schritte danach auszurichten. Städte und Unternehmen sind oft flexibler als Staaten, einige von ihnen sind nicht nur in ihren Nachhaltigkeitszielen, sondern auch in der praktischen Umsetzung viel weiter als die Staaten.

Klima

Eine globale Erwärmung um 1°C über das vorindustrielle Niveau − die bereits überschritten ist − würde eine mäßige Wahrscheinlichkeit für Kipppunkte wie den Zusammenbruch des Grönlandeises oder das plötzliche Auftauen des borealen Permafrosts bedeuten und würde erheblichen Schaden für Millionen Menschen vermeiden. Derzeit beträgt die Erwärmung schon 1,2°C. Da eine Rückkehr zu 1°C und zu einem CO2-Gehalt von 350ppm in absehbarer Zeit nicht möglich ist, sind Anpassungsmaßnahmen und Entschädigungen um so dringender.

Biosphäre

Für dieses Erdsystem werden zwei komplementäre Bereiche untersucht: Die Fläche von großteils intakten natürlichen Ökosystemen und die funktionelle Integrität aller Ökosysteme, städtische und landwirtschaftliche mit eingeschlossen. Auf Grundlage von Klima- Wasser- und Artenerhaltungsmodellen werden großteils intakte natürliche Gebiete im Ausmaß von 50 bis 60 Prozent der globalen Landflächen für erforderlich gehalten, dazu auch Meeresgebiete in einer ähnlichen Größenordnung. Das ist sowohl für die Kohlenstoffbindung an Land und im Wasser notwendig als auch um weiteres Artensterben an Land und im Wasser großteils zu vermeiden. Derzeit sind 45 bis 50 Prozent der Landfläche noch großteils intakte Ökosysteme.

Da die Biosphäre eng vernetzt ist, müssen auch naturnahe Flächen relativ gleichmäßig verteilt sein. Die Forscher schlagen vor, dass auf jedem Quadratkilometer 20 bis 25 Prozent naturnahe Fläche vorhanden sein sollen. Es ist leicht einsehbar, dass Bestäuber oder Nützlinge, die Pflanzenschädlinge erbeuten, nur jeweils in einem relativ kleinen Umkreis wirksam sind, dass manche Pflanzen ihre Samen nur wenige Meter weit verbreiten können, dass kleine Säugetiere zu einander finden müssen, um sich fortpflanzen zu können und so weiter. Kleinräumigkeit von naturnahen Flächen ist auch notwendig für den den Wasserhaushalt, die Wasserqualität, Bodenschutz, Schutz vor Naturgefahren und die Erholungsmöglichkeiten für Menschen. Derzeit liegt nur ein Drittel der von Menschen bewohnten Landfläche innerhalb dieser Grenze.

Süßwasser

Strömungsveränderungen von Flüssen gehören zu den Hauptursachen für den Artenverlust im Süßwasser, der noch schlimmer ist als in terrestrischen oder marinen Systemen. Das beeinträchtigt die Ökosystemleistungen für Menschen wie Küsten- und Flussfischerei, von der Millionen Menschen abhängig sind. Als sichere Grenze wird angenommen, dass die Wasserführung von Flüssen zu 80 Prozent auf dem natürliche Niveau verbleiben muss und nur 20 Prozent für Bewässerung, Stromerzeugung etc. abgezweigt werden dürfen. Zwei Drittel der globalen Landfläche erfüllen diese Vorgaben.

Für Grundwasser liegt auf der Hand, dass nicht mehr Wasser entnommen werden darf, als in einem Jahr wieder aufgefüllt wird. Es wird geschätzt, dass in 47 Prozent der Wasserscheiden der Grundwasserspiegel immer mehr absinkt, weil zu viel Wasser entnommen wird.

Nährstoffkreisläufe

Stickstoff und Phosphor sind unentbehrliche Bausteine für alles Leben. Die Ernährung von Milliarden Menschen ist von Stickstoff-. und Phosphordüngung abhängig. Doch wenn mehr Stickstoff und Phosphor ausgebracht wird, als die zu düngenden Pflanzen aufnehmen, wird der Überschuss ausgespült und gelangt in die Gewässer. Hohe Konzentrationen vor allem in ursprünglich nährstoffarmen Gewässern beeinträchtigen Ökosysteme und ihre Leistungen durch Eutrophierung, also übermäßiges Wachstum von Algen und Wasserpflanzen, die anderen Spezies die Lebensgrundlage entziehen. So können Fischbestände zusammenbrechen, Algenblüten Giftstoffe abgeben. Nitratverseuchtes Trinkwasser gefährdet die Gesundheit ebenso wie Luftverschmutzung durch aus Ammoniak entstehende Aerosole. Daher wird eine sichere und gerechte Grenze von 61 Gigatonnen Stickstoffüberschuss und 4,5 bis 9 Gigatonnen Phosphorüberschuss pro Jahr festgelegt. Derzeit werden pro Jahr 232 Gigatonnen Stickstoff eingesetzt, wovon mehr als die Hälfte, nämlich 119 Gigatonnen überschüssig sind. Gleichzeitig sind manche Menschen vom Zugang zu Düngemitteln ausgeschlossen. Der Phosphor-Überschuss beträgt ca. 10 Gigatonnen pro Jahr, die jährliche Förderung ca. 17 Gigatonnen. Dazu ist zu bedenken, dass mineralisches Phosphat eine begrenzte Ressource ist, und der Abbau arme und marginalisierte Gemeinschaften durch Bergbauabfälle, Zerstörung von Land und Verletzung von Menschenrechten schädigt.

Luftverschmutzung durch Aerosole

Einerseits ist Luftverschmutzung durch Aerosole, insbesondere Feinstaub, gesundheitsgefährdend. Andererseits wirken sich Aerosole auf die Sonneneinstrahlung aus. Ein zu großer Unterschied zwischen dem Aerosolgehalt auf der Nord- und auf der Südhalbkugel könnte eine Verschiebung des Monsunregens nach Norden oder Süden bewirken. Der Unterschied sollte daher nicht mehr als 15 Prozent betragen.

Um die Wahrscheinlichkeit von erheblichem Schaden durch Erkrankungen der Atemwege und des Herz-Kreislaufsystems zu minimieren, sollte der Schadstoffgehalt der Luft nicht mehr als 15 μg pro m³ betragen. 85 Prozent der Weltbevölkerung sind derzeit höheren Feinstaubkonzentrationen ausgesetzt, was bewirkt, dass jedes Jahr 4,2 Millionen Menschen vorzeitig sterben.

Gefahr von negativen Kipppunkten

Die Autor:innen warnen, dass dieser sichere und gerechte Bereich immer kleiner wird und dass es ohne drastische Veränderungen im Jahr 2050 nicht mehr möglich sein könnte, im Rahmen der Erdsystem-Grenzen allen Menschen auch nur grundlegende Ressourcen wie Nahrung, Wasser und Energie zur Verfügung zu stellen.

„Es besteht die Gefahr, dass die Systeme der Erde Kipppunkte überschreiten und weiteren Schaden anrichten, wenn wir nicht unsere Energie-, Nahrungsmittel- und Stadtsysteme grundlegend verändern“, erklärt IIASA-Forscherin Caroline Zimm, eine der Studienautor:innen.

Ungleichheit ist das Hauptproblem

Die Studie hebt hervor, dass Ungleichheit und der übermäßige Verbrauch von Ressourcen durch einen kleinen Teil der Weltbevölkerung die Hauptursachen für diesen schrumpfenden Lebensraum sind, und dass ärmere Gemeinschaften, die bereits jetzt am stärksten unter Klimawandel, Artensterben und Umweltverschmutzung leiden, am stärksten gefährdet sind.

In einer früheren Arbeit stellte sich die Earth Commission die Frage: Was würde es für die Erdsystem bedeuten, wenn man allen Menschen, die heute in Armut leben, die Mindestmenge an Ressourcen zur Verfügung stellen würde, die einen grundlegenden Lebensstandard ermöglichen? Das Ergebnis war, dass die Gewährleistung eines Mindestzugangs in der heutigen ungleichen Welt den Druck auf die natürlichen Erdsysteme nur gering vergrößern würde. Mit einer Ausnahme: dem Klima. Auswirkungen auf das Klimasystem könnten erheblich sein. Die Annahme, dass Wirtschaftswachstum zur Verringerung der Armut führt, weil es den Wohlstand für alle, also auch die Ärmsten, erhöht, stimmt nicht mehr. Die Ressourcen der Erde geben das nicht mehr her. Aber der Druck, der entstehen würde, wenn etwa das ärmste Drittel der Menschheit in der Größenordnung des „Mindestzugangs“ konsumieren würde, wäre genauso hoch wie der Druck, der durch den Konsum der reichsten 1 bis 4 Prozent entsteht. Dies bedeutet, dass zur Erreichung gesellschaftlicher und ökologischer Ziele ein transformativer Wandel Ressourcenverbrauch von den „Überkonsument:innen“ zu den „Unterkonsument:innen“ umverteilen muss.

Auch die Wohlhabenden sind gefährdet

Niemand ist jedoch vor den Folgen einer anhaltenden Schädigung der Erdsysteme sicher. Selbst die Wohlhabenden, die die Auswirkungen zunächst vielleicht weniger spüren, sind auf lange Sicht gefährdet, wenn die Umweltsysteme, die Leben und Wirtschaft ermöglichen, zusammenbrechen.

„Wir beginnen zu erkennen, welchen Schaden die Ungleichheit der Erde zufügt. Zunehmende Umweltverschmutzung und schlechte Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen fügen Menschen und Natur erheblichen Schaden zu. Je länger wir die Kluft zwischen denen, die zu viel haben, und denen, die nicht genug haben, vergrößern, desto extremer sind die Folgen für alle, da die Unterstützungssysteme, die unsere Lebensweise, unsere Märkte und unsere Volkswirtschaften stützen, zusammenbrechen“, erklärt Studienleiterin Joyeeta Gupta, ehemalige Co-Vorsitzende der Earth Commission und Professorin für Umwelt und Entwicklung im globalen Süden an der Universität Amsterdam.

Drei Schlüsselbereiche

Um weiteren Schaden zu verhindern und eine stabile Zukunft zu gewährleisten, fordern die Autor:innen dringendes Handeln in drei Schlüsselbereichen:

  • Wirtschaft und Gesellschaft: Regierungen, Unternehmen und Gemeinschaften müssen zusammenarbeiten, um Strategien zu entwickeln, die die Ungleichheit verringern und gleichzeitig den Druck auf den Planeten senken.
  • Ressourcenmanagement: Ressourcen müssen gerechter und effizienter geteilt werden.
  • Nachhaltige Technologien: Wir brauchen mehr Investitionen in nachhaltige Technologien, die weniger Ressourcen verbrauchen und den schrumpfenden sicheren und gerechten Raum wieder öffnen .

Große Veränderungen sind nötig

Diese Veränderungen erfordern große Veränderungen in der Funktionsweise von Gesellschaften, Unternehmen und Volkswirtschaften. Die Autor:innen betonen jedoch, dass das Wissen und die Instrumente für diese Transformationen bereits vorhanden sind.

„Städte und Unternehmen sind besonders gut positioniert, um diese Bemühungen anzuführen, da sie über die Flexibilität verfügen, die Transformation hin zu einem positiven Kippen menschlicher Systeme zu leiten, um ein negatives Kippen des Erdsystems zu vermeiden. Indem sie wissenschaftlich fundierte Ziele setzen und sich auf die Verbesserung der Effizienz und Angemessenheit bei der Nutzung planetarischer Ressourcen und Erdsystemdienste konzentrieren, können sie eine Schlüsselrolle bei der Schaffung einer sicheren und gerechten Zukunft für alle spielen“, sagt der Co-Autor der Studie und IIASA Distinguished Emeritus Research Scholar, Nebojsa Nakicenovic.

Die Autor:innen kommen zu dem Schluss, dass der einzige Weg in eine nachhaltige und gerechte Zukunft darin besteht, die Ungleichheit zu verringern und die Art und Weise zu verändern, wie wir die Ressourcen der Erde nutzen. Wenn wir jetzt handeln, können wir immer noch sicherstellen, dass jede und jeder auf dem Planeten der Armut entkommt und vor Schäden durch Umweltveränderungen geschützt ist. Das Zeitfenster für Maßnahmen schließt sich jedoch schnell.

Referenz
Gupta, J., Bai, X., Liverman, DM, Rockström, J., Qin, D., Stewart-Koster, B., Rocha, JC, Jacobson, L., et al. (2024): A just world on a safe planet: a Lancet Planetary Health–Earth Commission report on Earth-system boundaries, translations, and transformations The Lancet Planetary Health DOI: 10.1016/S2542-5196(24)00042-1

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Lesen für die Klima-, Biodiversitäts- und andere Krisen

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Mitglieder der Scientists4Future Österreich geben Empfehlungen für Sachbücher, Essays und Romane zur Klimakrise, Biodiversitätskrise und zu anderen Krisen.1

SACHBÜCHER

Thomas Brudermann, Die Kunst der Ausrede. Warum wir uns lieber selbst täuschen, statt klimafreundlich zu leben. Oekom Verlag München, 2022

Der Autor ist Professor an der Universität Graz und Scientist4Future. Er fragt, was klimafreundliches Handeln so schwer macht und was es aus Sicht der Psychologie für eine nachhaltige Gesellschaft braucht. Die feinen Cartoons mit freundlichen Capibaras machen die Lektüre besonders erfreulich, eine Tabelle mit allen Ausreden und möglichen Umgangsweisen damit am Ende des Buches sind eine ausgezeichnete Grundlage für die Kommunikation mit anderen. Das Werk wurde 2023 mit dem Eunice Foote Preis für Klimakommunikation ausgezeichnet. (VW)

Daniel Ennöckl (Hrsg), Klimaschutzrecht im Querschnitt von Wissenschaft und Praxis, Verlag Österreich, 2023

Dieses Handbuch bietet eine umfassende, fundierte Aufbereitung der Querschnittsmaterie Klimaschutzrecht. In 21 Kapiteln behandeln Autorinnen aus Wissenschaft und Praxis alle wesentlichen Bereiche dieses dynamischen Rechtsgebiets: von den völker-, unions- und verfassungsrechtlichen Grundlagen des Klimaschutzes über Emissionshandel, Energieeffizienz und erneuerbare Energien bis hin zu Klimaklagen, Zivilgesellschaft und Zivilrecht. Als erste derartige Gesamtdarstellung in der österreichischen Rechtsliteratur wendet sich dieses Handbuch an alle Rechtsanwenderinnen, Wissenschaftler*innen und Studierenden, die sich einen Überblick über die Rolle des Klimaschutzes im Recht verschaffen oder ihr einschlägiges Wissen vertiefen wollen.

Hans Holzinger, Wirtschaftswende, Oekom 2024

Das Buch macht deutlich, dass es mittlerweile zahlreiche Transformationsansätze gibt, und es beschreibt, wie die Wirtschaftwende gelingen könnte. Es richtet sich an ein breites Publikum, um die Zukunftsvorschläge über die Fachwelt hinaus bekannt und diskutierbar zu machen. Der Autor benennt die Nichtnachhaltigkeit unserer aktuellen Wirtschafts- und Lebensweise, er skizziert aber insbesondere die vielen Neuansätze in den Bereichen Energie und Ernährung, Mobilität und Stadt, Finanzen und Steuern sowie Unternehmen und Konsum. Deutlich wird, wie all diese Wenden mit Wirtschaft zu tun haben. (MA, ganze Rezension hier)

Naomi Oreskes, Erik M. Conway: Die Machiavellis der Wissenschaft: Das Netzwerk des Leugnens. Wiley-VCH Verlag, Weinheim 2014

Ein Klassiker, der die Vorgangsweise großer Konzerne seziert, die Zweifel säen, um ihre Geschäfte nicht zu gefährden, dargestellt unter anderem an der Tabakindustrie. Der englische Titel „Merchants of Doubt“ (etwa: Die Händler des Zweifels) trifft besser als die deutsche Übersetzung. Leider inzwischen vergriffen, vielleicht antiquarisch erhältlich.  (VW)

Friederike Otto, Wütendes Wetter. Auf der Suche nach den Schuldigen für Hitzewellen, Hochwasser und Stürme. Ullstein Verlag, Berlin 2019

Die Autorin ist Professorin in Oxford, hochrangiges Mitglied des Weltklimarates und die Mitbegründerin der Zuordnungsforschung. Sie erklärt verständlich und erzählt packend die Geschichte der Entwicklung ihrer Forschungsrichtung entlang einiger Katastrophen, für die es ihrem Team gelang, den Beitrag der Treibhausgasemissionen zu berechnen. Spannend, informativ, erklärend ohne belehrend zu wirken. (VW)

Corine Pelluchon, Manifest für die Tiere, aus dem Französischen übersetzt von Michael Bischoff, C.H. Beck, München 2020

In ihrem kurzen und gut zu lesenden Buch befasst sich die Philosophin Corine Pelluchon mit der uns so selbstverständlich erscheinenden Unterdrückung von Tieren. Wie wir mit nicht-menschlichen Tieren umgehen betreffe im Kern die Frage nach unserer Menschlichkeit. Dabei bleibt sie nicht bei einer theoretischen Auseinandersetzung, sondern gibt auch konkrete Tipps und benennt (Zwischen-)Ziele, die einen – sozial gerechten – Ausweg aus dem System der Misshandlung und Ausbeutung von Tieren aufzeigen. (VW)

Michael Rosenberger, Was der Seele Leben schenkt. Spiritualität aus Erde. Echter Verlag Würzburg, 2020

Der Autor ist Professor für Moraltheologie an der Katholischen Privatuniversität Linz; von ihm stammen zahlreiche Veröffentlichungen zu umweltethischen Fragen. Er wirkt bei S4F im Fachkollegium mit. Er vermittelt eine erdgebundene, allen Menschen zugängliche Spiritualität, die von den menschlichen Grunderfahrungen ausgeht, um daraus Orientierung für die praktische Lebensgestaltung zu gewinnen. Eine Buch, das die Seelsorge, als Sorge um die Menschen, die sich engagieren und dabei ausbrennen, als Sorge um die Menschen, die aus Angst nicht handeln, als Sorge um alle Menschen, ins Zentrum stellt. Gut lesbar, knapp, und ein ganz anderer Zugang zur Klimakrise als üblich. (VW)

ESSAYS

Rachel Carson, Silent Spring, Houghton Mifflin, 2002 (Englisch)  

Wohl eines DER Öko-Bücher, welches maßgeblich für die Gründung der US EPA war. (MS)

Gregory Fuller, Das Ende – Von der heiteren Hoffnungslosigkeit im Angesicht derökologischen Katastrophe, Meiner, 2017
 

Obgleich erstmals 1994 erschienen ist dieser Essay unverändert aktuell (auch wenn heute manche Aspekte fachlich anders  gesehen werden) und bietet viel Nachdenkstoff zum ethischen Umgang mit der Umweltkrise.

Amitav Ghosh, Die große Verblendung. Der Klimawandel als das Undenkbare. Karl Blessing Verlag, München 2017

Der indische Autor, studierter Sozialanthropologe, der in New York lebt, schreibt seit Jahrzehten über Indien. Hier geht es aber – durchaus aus postkolonialer Perspektive, um mehr: Warum ist der Klimawandel kein Thema der Literatur? Dieser Essay argumentiert, dass die Kunst sich zu wenig mit dem Klimawandel beschäftige. Das mag sich seit 2017 geändert haben, die Grundfrage, ob die Menschheit verblendet sei, ist nach wie vor aktuell. Sprachlich eleganter Essay von einem großen Autor. In seinem Buch Gun Island (Dt. Die Inseln, Karl Blessing Verlag 2019) nimmt er seine Herausforderung an, Klimaflüchtlinge und Umweltaktivismus spielen eine große Rolle in diesem Roman. (VW)

Daniel R. Headrick, Macht euch die Erde untertan – Die Umweltgeschichte des Anthropozäns,
 wbg Theiss, 2021
 

Um die heutigen multiplen Umweltkrisen besser einordnen zu können, ist diese Zusammenschau unbedingt lesenswert.

Bruno Latour/Nikolaj Schultz, Zur Entstehung einer ökologischen Klasse, edition suhrkamp, 2022


Latour und Schultz erörtern aus soziologischer Sicht, warum es der Bildung einer “ökologischen Klasse” (analog zur Bildung der Arbeiterklasse) bedarf.

Martha Nussbaum, Gerechtigkeit für Tiere wbg Theiss, 2023


Eine rechtliche, philosophische und ethische Grundlegung primär in Bezug auf unseren Umgang mit Tieren – mit vielem, was man darüber hinaus weiterdenken kann.

Verena Winiwarter, Der Weg zur klimagerechten Gesellschaft. Sieben Schritte in eine nachhaltige Zukunft, picus, Wien 2022

Die Autorin ist Umwelthistorikerin und engagiert sich bei S4F im Fachkollegium. Aus einer „Wiener Vorlesung“ ging dieser kurze Text hervor (72 S), der Grundrechtsdemokratie, die Auflösung der Öffentlichkeit durch soziale Medien und ihre Algorithmen, Daseinsvorsorge und fossile Energie in einen unerwarteten Zusammenhang bringt. Sie schlägt einen Verfassungskonvent vor, der mit einer klimagerechten Verfassung die Grundlage für eine klimagerechte Gesellschaft legt. (VW)

Schule und Kinder

David Nelles & Christian Serrer, Kleine Gase – Große Wirkung. Spiegel Verlag, 2018

Für Einsteiger*innen: Das Buch eignet sich für Laien, Schulen, Lehrer*innen, um auch schnell mal zwischendurch einen Informationshappen gut aufbereitet aufzunehmen; es greift gut fundiert viele Themen auf, ohne zu überfordern.

Andri Snaer Magnason (Author), Aslaug Jonsdottir (Illustrator), Julian Meldon D’Arcy (Translator), The Story of the Blue Planet, Triangle Square (Englisch)


Sehr nett gestaltetes Kinderbuch, das neben vielen anderen Themen auch eine ökologische Message beinhaltet. (MS)

ROMANE

Margaret Atwood, Oryx und Crake, Piper, 2017


Atwood verbindet einen Thriller in einer künftigen Welt der Klimakatastrophe mit einem schmerzhaften Kommentar zu unserer Zeit.

T. C. Boyle, Blue Skies, Carl Hanser, 2023
 

Amerika in einer möglichen nahen Zukunft. Dystopisch, bissig und brillant.

Frank Herbert, Der Wüstenplanet, Heyne, 2016 und folgende


Bestimmt schon bekannt durch den Film, das Buch ist aber auf jeden Fall eine Empfehlung wert. Besonders Buch 1 ist aus ökologischer Sicht spannend. Für die ganze erste ökologische Transformation des Planeten muss man allerdings Buch 1 bis 4 lesen. (MS)

Maja Lunde, Die Geschichte der Bienen, btb, München 2017

Die Norwegerin ist als Autorin von Romanen und Drehbüchern inzwischen auch außerhalb Europas bekannt, dieser Roman ist der erste Teil des „Klimaquartetts“, von dem bisher drei Bände erschienen sind. Die Geschichte der Bienen zählt zum Packendsten, was es an Klimaromanen gibt. Eine in synthetischer Kleidung schwitzende chinesische Arbeiterin, die mühsam mit der Hand Obstbäume bestäubt wird zur Hauptfigur eines der ineinander verwobenen Teile dieses Romans, der die gesellschaftlichen Konsequenzen des Artensterbens greifbar macht und ganz nebenbei auch noch eine spannende Wissenschaftsgeschichte erzählt. (VW)

Maja Lunde, Die Geschichte des Wassers, btb, München 2018

Was geschieht, wenn Wasser durch die Klimakrise zu einem unerreichbaren Gut wird? Gewalt, Flucht, verlassene Landstriche, ein Schiff auf dem Trockenen und ein unerwarteter lebensrettender Fund machen diese Geschichte zu einer abenteuerlichen Lektüre. Zweiter Teil des Klimaquartetts, macht wie der erste band die Konsequenzen für Einzelne und Staaten (mit-)fühlbar. Wie im Bienen-Band werden mehrere Erzählstränge ineinander verwoben. (VW)

Maja Lunde, Die letzten ihrer Art, btb München, 2019

Geht es hier um die Przewalskipferde, ihre Geschichte, ihre Erhaltung durch auswildern oder darum, dass das Überleben für Menschen Mitte des 21. Jahrhunderts immer schwieriger werden wird? Wie in den ersten beiden Bänden des „Klimaquartetts“ der Autorin werden mehrere Geschichten miteinander verknüpft, die Schauplätze reichen von der Mongolei bis Norwegen. (VW)

Günther Neuwirth, Vogelstimmen, Edition Keiper 2024

Der Ornithologe Rémy erforscht im Wald die Gesänge der Vögel, die Informatikerin Verena sammelt im Südpolarmeer Daten, der Gitarrist Alwin verbringt sein Leben in Tonstudios, die Australierin Karlene zieht mit ihrer Geige durch Europas Städte, Harald und Katja erleben die Abschaffung der Demokratie am eigenen Leib. Und an den Stränden des Mittelmeers hungern immer mehr Mitglieder der friedlichen Sekte der Weißen Tücher. Was macht der nahende Kollaps der Ökosphäre mit den sechs jungen Menschen? Was tun, wenn Umweltschutz als Terrorismus gilt? Wo bleibt das Glück inmitten des ausbrechenden Irrsinns? (MA)

Richard Powers, Die Wurzeln des Lebens, aus dem Englischen übersetzt von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié, S. Fischer, Frankfurt am Main 2020

Der US-amerikanische Schriftsteller Richard Powers widmet sich in seinen Werken oft naturwissenschaftlichen und philosophischen Themen und Fragen. Sein Roman „Die Wurzeln des Lebens“, der beides verknüpft, wurde 2019 unter anderem in der Kategorie Unterhaltung als Wissensbuch des Jahres ausgezeichnet. Auf fesselnde Weise beschreibt Powers in ihm, wie das Leben aller Protagonist*innen, der menschlichen wie nicht-menschlichen, so wie das titelgebende Wurzelgeflecht der Bäume miteinander verknüpft ist. Alle eint der Kampf für den Schutz der Bäume vor Abholzung und die Auseinandersetzung mit dem zuwiderlaufenden politischen und gesellschaftlichen Dynamiken. Dabei lässt sich einiges über die auch für uns so lebenswichtigen Bäumen lernen, die manch eine*r nach der berührenden Lektüre sicherlich mit anderen Augen sieht. (VW)

Kim Stanley Robinson, New York 2140, Heyne 2018

Der amerikanische Science Fiction Spezialist hat schon mehrfach Preise für „Eco-Fiction“ gewonnen. “Climate Fiction” gibt es inzwischen wie Sand am Meer, aber ein Buch wie dieses, das auf über 800 Seiten einen weiblichen Internetstar im Luftschiff Eisbären in die Antarktis fliegen lässt, was Artenschützer nicht nur mit Begeisterung erfüllt, in dem zwei Computergeeks eine Entdeckung machen, die sie in Lebensgefahr bringt, in dem eine der Hauptrollen das durch den Meeresspiegelanstieg zum Archipel von Hochhausspitzen gewordene Manhattan spielt, in dem Finanzspekulation in der Gezeitenzone auf Hochtouren läuft und einzig und allein die Isländer, die immer schon etwas mißtrauischer waren, noch über alle ihre Personenstandsdaten verfügen, ein Buch wie dieses gibt es nicht alle Tage. Die unvermeidliche Liebesgeschichte ist eine der wenigen Schwächen dieses nicht nur fabulierlustigen, sondern auch sehr informativen Buches: denn aus der Zukunft wird auf die Vergangenheit, unsere Gegenwart, geblickt – das gibt Anlaß für Klimabildung aller Art. Leichtfüßig, witzig und trotzdem durchaus zum Nachdenken anregend. An diesem Buch scheiden sich die Geister, aber wer dicke Bücher, die vor Leben und Details strotzen, schätzt und wer New York kennt und vielleicht sogar mag, ist hier gut beraten. (VW)

Kim Stanley Robinson, Das Ministerium für die Zukunft, Heyne 2023

Das erste Kapitel dieses im Jahr 2025 spielenden Romans ist hart. Die Unbarmherzigkeit einer Hitzewelle in Indien lässt niemanden kalt. Danach wird es weniger drastisch. Barack Obama und Bill Gates haben dieses Buch beide empfohlen. Es ist trotzdem lesenswert, im Vergleich zu New York 2140 vom selben Autor deutlich weniger verästelt, aber kunstvoll und kenntnisreich erzählt. Pflichtlektüre für alle, die sich fragen, wie das mit der Klimakrise im globalen Süden denn so sein wird. (VW)

Empfehlungen von unseren Follower:innen

Dave Goulsen, Stumme Erde – Warum wir die Insekten retten müssen, Hanser 2022

Dave Goulsen, The Garden Jungle, Penguin Books 2020

Bibliotheken

Südwind Bibliotheken: https://www.suedwind.at/bildungsangebot-und-globales-lernen/suedwind-bibliotheken/

  1. Die Liste wird laufend ergänzt. Gerne nimmt die AG Öffentlichkeitsarbeit Vorschläge mit einem persönlichen Begründungstext wie oben entgegen. ↩︎
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Internationale Energie Agentur: Billige Erneuerbare werden Preis für Gas und Öl drücken

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Wie der Guardian berichtet, rechnet die IEA in ihrem neuesten Report damit, dass die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen ab 2030 zurückgehen wird. Doch die die Ölkonzerne investieren immer noch in neue Projekte in den USA, Kanada und Südamerika. Das sollte zu einem Überangebot an Öl und Gas führen, das die Preise sinken lassen wird. Die Nachfrage Chinas nach Öl war in den letzten Jahrzehnten der Motor der Ölmärkte, doch der rapide Ausbau von Erneuerbaren in China wird diesen Motor ins Stocken bringen. E-Autos haben derzeit einen Anteil von 20 Prozent an allen neu verkauften Autos, bis 2030 sollen es 50 Prozent werden. In China sind es bereits 50 Prozent. Niedrigere Preise für Fossile werden aber auch die Erneuerbaren unter Druck setzen, noch billiger zu werden. Die Nachfrage nach sauberer Elektrizität wird sich in den nächsten Jahren beschleunigen, rechnet die IEA. Pro Jahr werden Kapazitäten in der Größenordnung von Japans jährlichem Energieverbrauch hinzukommen. Diese Nachfrage würde noch stärkMetto-Null-Emissionen gerecht werden.

Quelle: https://www.theguardian.com/environment/2024/oct/16/fossil-fuels-could-become-cheaper-and-more-abundant-says-iea

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Biodiversitätsgipfel: Folgen von Krieg für die Artenvielfalt einbeziehen

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Obwohl es mehr bewaffnete Konflikte gibt als jemals zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg – und es immer mehr Hinweise darauf gibt, dass Krieg schwere und langfristige Auswirkungen auf die Artenvielfalt hat – zögern Regierungen und Naturschutzorganisationen, das Thema in ihrer Naturschutzpolitik explizit anzusprechen. Das stellt eine Gruppe von Forscher:innen des ukrainischen Umweltministeriums, der gemeinnützigen Organisation Conflict and Environment Observatory und der Naturschutzorganisationen ZSL und WWF Colombia in einem ausführlichen Beitrag in der Zeitschrift Nature fest. Vom 21. Oktober bis 1. November treffen sich Entscheidungsträger:innen in Kolumbien zur 16. Konferenz der Vertragsparteien des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (IPBES), und eines der Themen ist „paz con la naturaleza“ – „Frieden mit der Natur“. Die Teilnehmer:innen sollten sich diesen Slogan zu Herzen nehmen und die Auswirkungen bewaffneter Konflikte auf die Artenvielfalt sowie die Rolle des Naturschutzes bei der Förderung des Friedensaufbaus stärker betonen, sagen die Autor:innen.

Quelle: https://www.nature.com/articles/d41586-024-03341-1

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Klima Overshoot: Gibt es ein Zurück nach 1,5 Grad Celsius?

Lesedauer 3 Minuten.   

Viele optimistische Vorhersagen für unsere Klimazukunft räumen ein, dass es uns nicht gelingen wird, die globale Erwärmung unter 1,5 Grad Celsius zu halten – gehen aber davon aus, dass wir der Katastrophe entkommen können, wenn wir nachträglich CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernen. Das könnte allerdings nur eine Illusion sein, argumentiert ein Leitartikel in der Zeitschrift Nature: Neue Forschungsergebnisse kommen zu dem Ergebnis, dass einige Erdsysteme wahrscheinlich nicht in ihr vorheriges Gleichgewicht zurückgeführt werden können, selbst wenn man davon ausgeht, dass die Entfernung des überschüssigen CO2 machbar ist.

Ein Team unter der Leitung von Carl-Friedrich Schleussner von Climate Analytics, einem gemeinnützigen Forschungsinstitut in Berlin, berichtet jüngst in der Zeitschrift Nature, dass selbst eine vorübergehende Temperaturüberschreitung dazu führen wird, dass sich die Klimaauswirkungen über die nächsten Jahrzehnte hinweg akkumulieren ( C.F Schleussner et al ., Nature 634 , 366-373; 2024).

Zu diesen Auswirkungen würden heftigere Stürme, Hitzewellen und die Zerstörung von Ökosystemen gehören, und es würde alles andere als einfach sein, genügend CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen, um den Kurs umzukehren.
Es ist nicht so, dass Methoden zur Kohlenstoffentfernung nicht funktionieren. Manche funktionieren. Die einfachste ist natürlich das Pflanzen von Bäumen, oder besser gesagt, die Schaffung und Wiederherstellung von natürlichen Kohlenstoffsenken wie Wäldern, Mooren und Feuchtgebieten, Mangrovenwäldern, Seegraswiesen und so weiter. Komplexere Maßnahmen umfassen die direkte Extraktion von Kohlenstoff aus der Atmosphäre. Wenn die derzeitigen Emissionen ungebremst weitergehen, müssten, wie Schleussner und seine Kollegen schätzen, bis zum Jahr 2100 bis zu 400 Gigatonnen CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden, um die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.

400 Gigatonnen CO2 enthalten 109 Gigatonnen Kohlenstoff, das ist fast ein Sechstel des derzeit in den Wäldern der Erde gespeicherten Kohlenstoffs. Die Wälder, die diesen Kohlenstoff ab 2050 aufnehmen sollen, müssten jetzt gepflanzt werden, weil nur reife Wälder die erforderliche Aufnahmekapazität haben. Tatsächlich verlieren wir aber derzeit jährlich 0,33 Prozent unserer Wälder.

Derzeit wird viel über CO2-Abscheidung gesprochen und geschrieben. Dabei geht es um unterschiedliche Verfahren mit unterschiedlichen Zwecken. CO2-Abscheidung und Nutzung (CCU: Carbon Capture and Utilization) soll CO2 aus Verbrennungsgasen (vor allem von Kraftwerken, Stahl- und Zementproduktionen) das Kohlenstoffdioxid herausfiltern und einer industriellen Nutzung zuführen. CO2-Abscheidung und Speicherung (CCS: Carbon Capture and Storage) soll das CO2 aus Verbrennungsgasen dauerhaft unterirdisch speichern. Beide Methoden verringern nicht den CO2-Gehalt der Atmosphäre. Es gelangt bloß weniger CO2 in die Atmosphäre als bei ungefilterter Verbrennung. Bei CCU gelangt das CO2 in den meisten Anwendungsbereichen überhaupt nur später in die Atmosphäre.

Um die Durchschnittstemperatur der Erdatmosphäre zu senken, muss jedoch der CO2-Gehalt der Atmosphäre verringert werden. Denn diese Temperatur ist abhängig von der absoluten Menge an CO2, die in der Atmosphäre enthalten ist. Zur technischen Verringerung des CO2-Gehalts kommt nur direkte Entnahme von CO2 aus der Luft und die anschließende Speicherung in Frage (DACS: Direct Air Capture and Storage). Hier werden große Mengen Luft mit riesigen Gebläsen durch einen Abscheideapparat geleitet. Das CO2 wird dort entweder in einer Flüssigkeit herausgewaschen oder an einen Feststoff gebunden. Anschließend wird das reine Gas je nachdem durch Verdampfen oder Erhitzen des Feststoffs entzogen.

Die größte derzeit geplante Anlage zur direkten Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre soll eine Kapazität von 500.000 Tonnen CO2 jährlich haben. Um die 400 Milliarden Tonnen zu bewältigen, müssten 16.000 solcher Anlagen 50 Jahre lang arbeiten. Die Kostenschätzungen für direkte Kohlenstoffentnahme bewegen sich zwischen 200 und 700 USD pro Tonne. Die Kosten würden sich also zwischen 80 und 280 Billionen Dollar bewegen.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass es möglich ist, diese Menge an CO2 beziehungsweise Kohlenstoff zu entfernen, werden einige Erdsysteme wahrscheinlich nicht zu ihrem vorherigen Gleichgewicht zurückkehren. Einige Veränderungen, wie der steigende Meeresspiegel, sich verändernde Ökosysteme und regionale Klimaveränderungen, werden wahrscheinlich von Dauer sein und nachhaltige Auswirkungen auf die Landwirtschaft und andere Industriezweige haben. Für viele Menschen wird das Klima, das sie nach einem Überschreiten der Zielvorgaben erleben werden, nicht das gleiche sein wie zuvor, selbst wenn die globalen Durchschnittstemperaturen auf das Niveau vor dem Überschreiten zurückkehren.

Gefahr von Kipppunkten

Darüber hinaus erhöhen höhere Temperaturen  –  selbst für kurze Zeit  –  das Risiko von Kipppunkten, die das Erdsystem oder Teile davon in einen völlig neuen Zustand versetzen könnten. Zu dieser Schlussfolgerung gelangen Annika Högner vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Tessa Möller vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse in Laxenburg, Österreich (T. Möller et al. Nature Commun. 15 , 6192; 2024) in einer im August veröffentlichten Studie.

Mit jedem weiteren Temperaturanstieg über 1,5 Grad Celsius nimmt das Risiko zu, klimatische Kipppunkte zu überschreiten. Und das wären Ereignisse, die nicht rückgängig gemacht werden können: Wenn der grönländische Eisschild zusammenbricht, kann er nicht wieder regeneriert werden, wenn der Amazonas-Regenwald sich in eine Savanne verwandelt, kann er nicht wieder zum Regenwald werden.

Regierungen und Industrie müssen sich mit aller Kraft auf die bevorstehenden Risiken und deren Eindämmung konzentrieren. Das bedeutet nichts weniger als die Emissionen drastisch zu senken und die Menschen durch Anpassungsmaßnahmen vor den Folgen der Klimaerhitzung möglichst zu schützen. Abzuwarten und die Atmosphäre später zu reinigen, wäre eine Katastrophe – für die Menschen und den Planeten.

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Die Fähigkeit der Ökosysteme, CO2 aufzunehmen, war 2023 drastisch geschwächt

Lesedauer 2 Minuten.   

Die natürlichen Kohlenstoffsenken des Planeten – wie Ozeane, Wälder und Böden – absorbieren etwa die Hälfte der von Menschen verursachten Emissionen. Doch im Jahr 2023 haben diese natürlichen Systeme kaum CO2 absorbiert, wie eine vorläufige Analyse durch ein internationales Forschungsteam zeigt. Das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, verschärft durch die Abholzung von Wäldern, führte zu Situationen wie einem anormalen Kohlenstoffverlust im von Dürre geplagten Amazonasgebiet und Emissionen durch Waldbrände in riesigen Teilen Kanadas. Die Geschwindigkeit und das Ausmaß des Effekts lassen einige Wissenschaftler:innen befürchten, dass Voraussagen von Klimamodellen zu optimistisch sind.

Die Wissenschaftler:innen stellen fest, dass der CO2-Gehalt der Atmosphäre im Jahr 2023 stärker gestiegen ist als die weltweiten Emissionen von CO2 aus der Verbrennung von fossilen Brennstoffen. Daraus schließen sie, dass die Aufnahmekapazität der Landsenken und der ozeanischen Senken dramatisch geschwächt war. Der größte anormale Kohlenstoffverlust fand im Amazonasgebiet während der Dürre in der zweiten Hälfte des Jahres 2023 statt. Dazu kamen extreme Feueremissionen in Kanada und ein Kohlenstoffverlust in Südostasien. Seit 2015 ist die CO2-Aufnahme an Land nördlich des 20. Breitengrads um die Hälfte zurückgegangen. In der Zwischenzeit haben sich die Tropen von dem Kohlenstoffverlust durch El Niño 2015-16 erholt, in den La Niña-Jahren (2020-2023) Kohlenstoff aufgenommen und dann während des El Niño 2023 wieder einen Kohlenstoffverlust verzeichnet. Die Ozeansenke war im äquatorialen Ostpazifik stärker als normal, da der Auftrieb durch den Rückgang von La Niña Anfang 2023 abnahm und sich später El Niño entwickelte. Landregionen, die im Jahr 2023 extremer Hitze ausgesetzt waren, trugen ebenfalls zu einem beträchtlichen Kohlenstoffverlust bei.

„Dies deutet darauf hin, dass die Rekorderwärmung im Jahr 2023 einen starken negativen Einfluss auf die Fähigkeit der terrestrischen Ökosysteme hatte, den Klimawandel abzumildern“, schreiben die Forscher:innen.

Quelle: Piyu Ke et al. (2024):Low latency carbon budget analysis reveals a large decline of the land carbon sink in 2023, https://arxiv.org/pdf/2407.12447

Siehe auch den Bericht im Guardian.

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IIASA-Studie: Die Landwirtschaft hat großes Potenzial, CO2 zu binden statt auszustoßen

Lesedauer 2 Minuten.   

Das Nahrungsmittelsystem ist eine der bedeutendsten Quellen von Treibhausgasemissionen auf der Erde. Die Reduzierung der Emissionen in diesem Sektor ist daher für politische Entscheidungsträger auf der ganzen Welt eine Priorität. Forscher:innen des IIASA untersuchten das Potenzial der Kohlenstoffbindung auf landwirtschaftlichen Flächen zur Bekämpfung des Klimawandels und lieferten Einblicke in die wirtschaftlichen Auswirkungen sowie das Potenzial zur Eindämmung des Klimawandels.

Unter Kohlenstoffbindung auf landwirtschaftlichen Flächen versteht man den Prozess der Bindung und Speicherung von Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre im Boden und in Pflanzen auf landwirtschaftlichen Flächen. Laut den Autor:innen einer neuen IIASA-Studie, die gerade in Nature Food veröffentlicht wurde, haben diese Praktiken ein großes Potenzial zur Reduzierung der globalen Erwärmung und zur Senkung der gesamtwirtschaftlichen Kosten für die Eindämmung des Klimawandels.

Um Kohlendioxid aus der Luft zu absorbieren und im Boden oder in Pflanzen auf ihren Farmen zu speichern, können Landwirt:innen beispielsweise Techniken wie den Anbau von Zwischenfrüchten, die Verwendung von Biokohle (eine Art Holzkohle aus organischen Abfällen) oder Agroforstwirtschaft (Anpflanzen von Bäumen neben Feldfrüchten oder Weiden) anwenden und so ihre landwirtschaftlichen Flächen in eine Kohlenstoffsenke verwandeln.

Die Studienergebnisse zeigen, dass diese landwirtschaftlichen Praktiken bis 2050 ebenso viele Treibhausgasemissionen reduzieren könnten wie das Pflanzen neuer Wälder, insbesondere in Regionen wie Afrika südlich der Sahara und Südamerika. Die Kohlenstoffbindung auf landwirtschaftlichen Flächen ist nicht nur für die Bemühungen zur Eindämmung des Klimawandels wichtig, sondern kann auch die landwirtschaftliche Produktivität und Widerstandsfähigkeit gegen den Klimawandel verbessern und den Sektoren Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Landnutzung helfen, bis 2050 weltweit Netto-Null-Emissionen zu erreichen, und zwar zu Kosten zwischen 80 und 120 US-Dollar pro Tonne CO2-Äquivalent.

„Diese Bemühungen würden nicht nur die gesamtwirtschaftlichen Kosten der Emissionsreduzierung senken, sondern auch die Verluste der globalen Wirtschaftsleistung bis Mitte des Jahrhunderts um 0,6 % reduzierent“, bemerkt Studienkoautor Andrey Lessa Derci Augustynczik. „Darüber hinaus könnten Landwirt:innen durch diese Aktivitäten beträchtliche Einnahmen erzielen – bis zu 235 Milliarden Dollar bis 2050 –, wenn sie bei einem prognostizierten Treibhausgaspreis von 160 Dollar pro Tonne CO2-Äquivalent im Jahr 2050 für jede zusätzliche Tonne CO2, die sie in Böden und Biomasse speichern, finanzielle Anreize erhalten.“

Die Autor:innen betonen, dass die Umsetzung dieser Änderungen starke Institutionen und eine weltweite Überwachung der Systeme erfordert, um sicherzustellen, dass die Landwirte diese Praktiken richtig anwenden und für ihre Bemühungen fair bezahlt werden.

Referenz

Frank, S., Lessa Derci Augustynczik, A., Havlík, P., Boere, E., Ermolieva, T., Fricko, O., Di Fulvio, F., Gusti, M., Krisztin, T., Lauri, P., Palazzo, A., Wögerer, M. (2024). Die Verbesserung landwirtschaftlicher Kohlenstoffsenken bringt Vorteile für Landwirte und Klima. Nature Food DOI: 10.1038/s43016-024-01039-1

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