Grüner Wasserstoff: Große Lücken zwischen Ambition und Umsetzung

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Mehr als 60 Länder haben in den letzten Jahren Strategien entwickelt, um den Markthochlauf von Wasserstoff, insbesondere im Industriesektor, anzukurbeln. Doch 2023 wurden weniger als zehn Prozent der ursprünglich angekündigten grünen Wasserstoffproduktionen realisiert, so das Ergebnis einer aktuellen Studie, die im Fachmagazin „Nature Energy“ veröffentlicht wird. Der Hauptgrund: Wasserstoff ist nach wie vor ein teures Gut, für das es wenig Zahlungsbereitschaft gibt. Adrian Odenweller und Falko Ueckerdt vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) bestimmen diese Wettbewerbslücke für alle 1232 global angekündigten Wasserstoffprojekte. Sie plädieren für eine robuste politische Strategie, die auf realistischen Erwartungen an Wasserstoff basiert und die Umsetzungslücke schließt.

„In den vergangenen drei Jahren haben sich die globalen Projektankündigungen für grünen Wasserstoff fast verdreifacht“, sagt PIK-Forscher und Leiter der Studie Adrian Odenweller. „Allerdings sind in diesem Zeitraum nur sieben Prozent der ursprünglich für 2023 angekündigten Produktionskapazität auch rechtzeitig fertiggestellt worden.“ Laut der Studie lassen sich die jüngsten Probleme des Markthochlaufs von grünem Wasserstoff auf gestiegene Kosten, fehlende Zahlungsbereitschaft auf der Nachfrageseite und Unsicherheiten über zukünftige Förderung und Regulatorik zurückführen.„Es wären enorme zusätzliche Fördermaßnahmen in Höhe von etwa einer Billion US-Dollar erforderlich, um alle angekündigten Wasserstoffprojekte bis 2030 zu realisieren“, erklärt Falko Ueckerdt vom PIK. „Grüner Wasserstoff wird aufgrund fehlender Wettbewerbsfähigkeit auch in Zukunft Schwierigkeiten haben, die hohen Erwartungen zu erfüllen.“ Dauerhafte Subventionen seien allerdings keine Lösung. Deshalb raten die beiden Forscher, grünen Wasserstoff über nachfrageseitige Instrumente wie verbindliche Quoten gezielt in schwer zu elektrifizierende Sektoren wie Luftfahrt, Stahl oder Chemie zu lenken. So müssen nach einer EU-Regelung beispielsweise ab 2030 1,2 Prozent aller Flugzeugtreibstoffe synthetische Kraftstoffe auf Basis von Wasserstoff beigemischt werden. Bis 2050 soll diese Quote auf 35 Prozent steigen.

Subventionsbedarf übersteigt angekündigte globale Fördermittel weit

Die Forscher quantifizieren in ihrer Studie drei zentrale Lücken zwischen Theorie und Praxis: die Umsetzungslücke für vergangene Projekte, die zukünftige Ambitionslücke und die zukünftige Umsetzungslücke. Erstere ergibt sich aus den ursprünglich angekündigten Wasserstoffprojekten und den tatsächlich umgesetzten Projekten im Jahr 2023. Die Ambitionslücke bezieht sich auf die Diskrepanz zwischen der Wasserstoffmenge, die laut 1,5-Grad-Szenarien bis 2030 notwendig wäre, und den aktuell bis 2030 geplanten Projekten. Zwar zeigt sich, dass die angekündigten Wasserstoffprojekte für den Großteil der betrachteten Szenarien ausreichen, jedoch bleibt eine klaffende Umsetzungslücke: Der Bedarf an Subventionen, um alle Projekte bis 2030 umzusetzen, übersteigt bei Weitem die bislang angekündigten globalen Fördermittel.

Die Studie basiert auf einer globalen und manuell verifizierten Projektdatenbank mit 1232 grünen Wasserstoffprojekten, die bis 2030 angekündigt sind. Für jede der 14 ausgewiesenen Endanwendungen der Projekte berechnen die Autoren die Wettbewerbslücke zwischen dem grünen Produkt und seinem fossilen Wettbewerber. Zusammen mit dem Produktionsvolumen und dem Zeitpunkt der Projektankündigungen ergeben sich daraus die nötigen Subventionen, um alle Projekte bis 2030 umzusetzen.Die Forscher warnen vor fossilen Lock-Ins, die Unternehmen langfristig an fossile Energieträger binden könnten und so die Klimaziele gefährden. Langfristig sei ein Übergang zu technologieneutralen Marktmechanismen wie der CO2-Bepreisung entscheidend, um öffentliche Kosten zu begrenzen und einen fairen Wettbewerb mit anderen Klimaschutzoptionen zu gewährleisten. Sie empfehlen daher eine robuste Strategie, die Wasserstoffprojekte kurzfristig durch direkte Subventionen und nachfrageseitige Regulierung unterstützt, aber auf realistischen Erwartungen an Wasserstoff basiert.

Artikel: Adrian Odenweller, Falko Ueckerdt (2025): Green Hydrogen ambition and implementation gap. Nature Energy. [DOI: 10.1038/s41560-024-01684-7]

Weblink zum Artikelhttps://www.nature.com/articles/s41560-024-01684-7

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Verkehr wird 2030 fast die Hälfte der europäischen Treibhausgas-Emissionen verursachen

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Zu diesem Schluss kommt die jüngste Analyse von Transport & Environment (T&E), die Dachorganisation von nichtstaatlichen europäischen Organisationen, die sich für einen nachhaltigen Verkehr einsetzen. Die europäischen Verkehrsemissionen sind seit 1990 um mehr als ein Viertel gestiegen, und die T&E-Analyse zum Stand des europäischen Verkehrs kommt zu dem Ergebnis, dass die Emissionen in der gesamten Wirtschaft zwar bereits rückläufig sind, die Verkehrsemissionen jedoch weiter steigen. Europa muss beginnen, sein Verkehrsemissionsproblem ernst zu nehmen, wenn es im Jahr 2050 Netto-Null erreichen will, sagt T&E.

Dekarbonisierung des Verkehrs dreimal so langsam wie im Rest der Wirtschaft

Seit dem Höhepunkt der Emissionen aus Mobilität im Jahr 2007 verlief die Dekarbonisierung des Verkehrs mehr als dreimal langsamer als im Rest der Wirtschaft. Im Rahmen der aktuellen Klimapolitik könnte sein Anteil bis 2030 44 % aller Treibhausgasemissionen erreichen, gegenüber 29 % heute. Die Verkehrsemissionen in der EU betragen inzwischen mehr als 1000 Megatonnen CO2-Äquivalente.

Autos, die Benzin und Diesel verbrennen, sind mit einem Anteil von mehr als 40 % die größte Quelle der verkehrsbedingten Emissionen. Die Abhängigkeit vom Auto hat seit den 1990er Jahren zugenommen, was durch den Autobahnbau und eine wachsende Fahrzeugflotte ermöglicht wurde. Erst seit Kurzem ist eine Reduzierung der durchschnittlichen Autoemissionen zu beobachten, da eine Welle von Elektrofahrzeugen auf den Markt kommt.

Die Emissionen des Luftverkehrs haben sich in den letzten 30 Jahren verdoppelt – schneller als in jedem anderen Verkehrssektor. Die zusätzliche Belastung durch Kondensstreifen verdreifacht möglicherweise die Klimaauswirkungen des Fliegens.

EU-Klimavorschriften sind nicht ausreichend

Die EU-Klimavorschriften werden die Verkehrsemissionen bis zum Jahr 2040 nur um 25 % gegenüber 1990 senken und bis zum Jahr 2050 um 62 %. Autos, Lieferwagen und Lastwagen, die bis zur Mitte der 2030er Jahre gekauft werden, werden noch viele Jahre lang auf europäischen Straßen unterwegs sein und dabei Benzin und Diesel verbrennen. Schifffahrtsbetreiber haben wenig Anreiz, ihre betriebliche Effizienz zu steigern, und die durch die Erhöhung der Flughafenkapazität angekurbelte Nachfrage nach Flügen macht alle Gewinne aus der Einführung umweltfreundlicher Treibstoffe in diesem Jahrzehnt zunichte.

Ausbau von Flughäfen und Autobahnen stoppen

Um die Menge an erneuerbaren Energien, die für die Dekarbonisierung des Sektors erforderlich sind, zu reduzieren, muss die ständig wachsende Nachfrage nach Verkehrsmitteln gestoppt werden. Und das bedeutet, dass der Bau von Autobahnen und der Ausbau der Flughafenkapazitäten beendet werden muss.

Ehrgeizige und verbindliche Ziele für den Anteil an Elektrofahrzeuge für Unternehmen mit großen Fahrzeugflotten sind ein wesentlicher Schlüssel zur Beschleunigung des Übergangs zur Nullemission. Das könnte bis 2040 Einsparungen von 213 Mio. t CO2-Äquivalente bringen.

Die Erschließung von Effizienzsteigerungen im Schifffahrtssektor könnte zusätzliche 93 Mio. t CO2-Äquivalenteeinsparen.

Direkte Elektrifizierung ist effizienter als Wasserstoff und E-Fuels

Die direkte Elektrifizierung des Straßenverkehrs ist mehr als zweimal effizienter als Wasserstoffantrieb und viermal effizienter als die Verwendung von E-Fuels. Europa kann es sich nicht leisten, erneuerbare Elektrizität zu verschwenden.

Vorläufige Daten zeigen, dass die Emissionen im Straßenverkehr im vergangenen Jahr um 8 Mio. t CO2-Äquivalente und im Schiffsverkehr um 5 Mio. t CO2-Äquivalente zurückgegangen sind. Diese Reduzierung wurde durch das Wachstum der Luftfahrtemissionen zunichte gemacht, die um 15 Mio. t CO2-Äquivalente anstiegen.

Titelfoto: Dieter Heinrich via flickr, CC BY-ND

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Interview mit Prof. Tobias Pröll Teil 2: Negative Emissions

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von Marco Sulzgruber

Immer wieder werden in der öffentlichen Debatte um die Klimakatastrophe Technologien angepriesen, die zumindest auf den ersten Blick helfen können, den globalen Kohlendioxid (CO2)-Ausstoß deutlich zu verringern. Zuletzt sorgte die Kernfusion für Schlagzeilen, im letzten Jahr war aber auch die Abscheidung und Lagerung von CO2 ein Thema in den Medien.

Bei diesen Entwicklungen ist grundsätzlich Skepsis angebracht: Übertriebenes Vertrauen in neue, noch nicht ausgereifte Technologien kann den Kampf gegen den Klimawandel bremsen. Genauso gefährlich wäre es aber, wissenschaftliche Errungenschaften außer Acht zu lassen, wenn sie tatsächlich einen Beitrag zur Eindämmung der Klimakatastrophe leisten können.

Im ersten Teil unseres Interviews mit Professor Tobias Pröll von der Universität für Bodenkultur Wien haben wir mit ihm darüber gesprochen, wie klassische Carbon Capture Systeme funktionieren. Im zweiten Teil geht es um das Potential solcher Systeme, zur Bekämpfung der Klimakatastrophe beizutragen, um Negative Emission Technologies, und um die Frage, ob es sinnvoll ist, CO2 direkt aus der Luft zu filtern, laut IPCC eine der möglichen solchen Technologien.

Celsius: Von Seiten vieler Klimaforscher:innen und -aktivist:innen kommt oft die Kritik, dass Carbon Capture and Storage (CCS) und Negative Emission-Technologies viel versprechen, aber nicht genug liefern. Warum wurde Ihrer Meinung nach bis jetzt nicht mehr davon umgesetzt?

Tobias Pröll: Das Problem bei der Umsetzung von CCS ist, dass es wirksame Regelungen braucht, damit CCS für die Betreiber wirtschaftlich darstellbar ist. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass wir stets technologieoffen steuern sollten. Das wären wirksame CO2-Preise auf alle Emissionen. Meiner Ansicht wäre bei CO2-Preisen von etwas mehr als 100 Euro/Tonne CO2, die tatsächlich gutgeschrieben werden, wenn das CO2 eben nicht emittiert, sondern permanent gespeichert wird, bereits mit der „freiwilligen“ Implementierung von CCS zu rechnen. Wo genau die Wirtschaftlichkeit beginnt, hängt erstens vom Emittenten ab, weil der Großteil der Kosten ist mit der Abscheidung des CO2 aus Gasgemischen verbunden. Das beginnt mit Bioethanolproduktion, wo fast reines CO2 vorliegt, über die Chemieindustrie, wo teilweise auch sehr konzentrierte CO2-Ströme auftreten, bis hin zu Verbrennungsanlagen, wo für die Abscheidung aus dem Abgas etwa 1 MWh Wärme bei 120°C pro Tonne CO2 aufgewendet werden muss. Zweitens vom Standort: je näher an der Speicherstätte, desto kostengünstiger.

Celsius: Aber welchen Beitrag zum Klimaschutz können solche Technologien realistisch wirklich leisten?

Tobias Pröll: Zum Potenzial habe ich keine Zahlen parat. Ich würde CCS für Emissionen aus Technologien reservieren wollen, die wir auch in Zukunft schwer vermeiden können werden: Zementwerke, thermische Abfallbehandlungsanlagen, Stahlindustrie, Papier- und Zellstoff, und so weiter. Das sind riesige Mengen an CO2, Großteils fossil, teilweise biogen. Wir müssen mittelfristig jede Emission vermeiden, darum werden wir CCS brauchen. Zusammen mit CCS werden wir auch Bioenergy mit CCS (BECCS) machen, das ist der Schritt hin zu negativen Emissionen, das geht fließend: im Hausmüll, der in Wien verbrannt wird, sind z.B. 60% des Kohlenstoffs biogen, also nicht fossil.

Die Abscheidung aus der Umgebungsluft sehe ich wegen des theoretisch mindestens dreimal, in der Praxis aber 6-10 mal höheren Energiebedarfs im Vergleich zur Abscheidung aus Abgasen in absehbarer Zukunft nicht. Das ist in energielimitierten Settings nicht sinnvoll.

Der Energiebedarf für verschiedene CO2-Abscheidungsprozesse im Überblick: Bei Case 1 wird CO2 aus der Umgebungsluft abgeschieden, bei Case 2 und 3 aus den Abgasströmen eines Gasturbinenkraftwerks bzw. eines Feststoffverbrennungskraftwerks. Quelle: https://pubs.acs.org/doi/10.1021/acs.iecr.9b06177?fig=fig9&ref=pdf

Celsius: Kommen wir noch zur zweiten Kategorie von Prozessen, den Negative Emission Technologies beziehungsweise zum Filtern von CO2 aus der Luft. Wie funktioniert das und wie sinnvoll sind diese Technologien generell?

Tobias Pröll: Der Kohlenstoffkreislauf funktioniert ja so, dass Biomasse wächst und CO2 aus der Atmosphäre aufnimmt. Wenn die Biomasse dann verrottet oder verbrannt wird, geht das CO2 wieder zurück in die Atmosphäre. Im natürlichen Kreislauf ist das CO2-neutral. Was wir Menschen jetzt machen ist, wir holen fossile Rohstoffe aus der Geosphäre, setzen dieses CO2 zusätzlich frei und der CO2-Anteil in der Atmosphäre steigt. Wir haben verschiedene Möglichkeiten, diesen von uns veränderten Kohlenstoffkreislauf sozusagen wieder zu reparieren. Wir können zum Beispiel die Pflanzen daran hindern, das CO2 wieder freizusetzen. Da gibt es wirklich die unterschiedlichsten Untersuchungen, zum Beispiel wurde die Idee untersucht, Baumstämme in der Tiefsee zu versenken oder in Gruben einzubuddeln, um dort einfach den Kohlenstoff zu speichern. Das wäre relativ kostengünstig.

Aber de facto müssen wir unsere Lösungsvorschläge vor dem Hintergrund durchdenken, dass wir auf einem Planeten mit 8 bis 9 Milliarden Menschen leben. Zum Leben brauchen wir Menschen Energie, die wir heute global zu 80% aus Kohle, Öl und Erdgas beziehen. Dieser Anteil von 80% hat sich übrigens über die letzten 30 Jahre nicht verändert. Also müssen wir alle Lösungsansätze auch vor diesem Hintergrund sehen. Dieser Aspekt zieht sich durch die gesamte Diskussion und kommt meines Erachtens auch im IPCC nicht zur Geltung: Mir erscheint manchmal, dass hier scheinbar in einer Welt gelebt wird, in der wir schon dekarbonisiert sind. Ich kann Energie aufwenden, um beispielsweise Holzstämme einzugraben. Ich könnte aber auch aus den Holzstämmen Energie gewinnen und damit Öl oder Kohle substituieren. Dann muss ich lebenszyklus-analytisch betrachten, was gescheiter ist. Jetzt könnte ich aber die Energie aus den Holzstämmen nutzen und zusätzlich das CO2 aus dem Abgas abtrennen und das CO2 wieder verpressen. Das wäre natürlich in unserer Welt, wo wir Homo sapiens leben, keine so blöde Idee. Wo wir doch die Energie so dringend brauchen, dass wir uns so zukunftsfeindlich verhalten (und die fossilen Energieträger nutzen, Anm.), kann ich keinen Vorschlag machen, wo ich einen nicht fossilen Energieträger einbuddle. Das ist irgendwie widersinnig.

Genauso die Idee, CO2 aus der Umgebungsluft abzuscheiden, wo die Konzentration nur 400 parts per million ist. Das Problem ist, dafür brauche ich irrsinnige Mengen an Energie. Den Vorschlag kann man in einer Welt machen, in der erneuerbare Energie im Überschuss verfügbar ist. Und das „verfügbar“ ist das Keyword hier. Dann würde ich sagen: „ja, bevor wir die Windräder jetzt abdrehen und uns sonst nichts mehr einfällt, holen wir noch CO2 aus der Atmosphäre.“ Das ist zwar extrem ineffizient auf Tonnen CO2 pro Megawattstunde Energie gerechnet, aber bevor ich nichts mit dem Strom mache, wäre das eine Idee. Noch besser wäre es wahrscheinlich, die Energie für den Winter zu speichern, falls man da keinen Überschuss hat.

Celsius: Derzeit sinnvoll wäre Ihrer Meinung nach also nur das Abscheiden von CO2 bei der Verbrennung von Biomasse?

Tobias Pröll: Den Ansatz finde ich schon überlegenswert – und ich finde, dass Schweden zum Beispiel hier auf dem richtigen Weg ist: Da gibt es eine ähnliche Forstwirtschaft wie in Österreich, wo die Wälder eben nicht verwüsten wie in anderen Weltregionen. Dort ist es sehr gängig, dass große Städte zum Beispiel mit Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen auf Holzhackschnitzelbasis mit Wärme versorgt werden. Dort das CO2 aus dem Abgas zu holen und in Norwegen in die Lagerstätten zu verpressen, halte ich für eine sehr spannende Denkrichtung.

Kategorisch wären Negative Emission-Technologies nicht auszuschließen, es müssen nur vernünftige sein. Wir sollten auf den Energiebedarf achten. Wenn der globale Mix 80% fossil ist, ist wahrscheinlich etwas, was zusätzlich viel Energie braucht, keine gute Lösung. Es gibt immer Alternativen: Vielleicht ist in Island ein realer Überschuss an erneuerbarer Energie da, dann könnte man lokal so ein Projekt machen. Man könnte aber auch mit der erneuerbaren Energie noch mehr Aluminium produzieren und dafür woanders substituieren, wo die Energie aus fossilen Rohstoffen kommt. Das hätte wesentlich mehr Klimawirkung.

Celsius: Ein anderer Ansatz für Biomasse-basierte Negative Emission Technologies wäre, Biokohle aus landwirtschaftlichen Substraten herzustellen.

Tobias Pröll: Da kann man ungefähr 50% der Energie nutzen – für Trocknungsanlagen im landwirtschaftlichen Bereich zum Beispiel – und in der Biokohle, die entsteht, sind die Nährstoffe aus dem Substrat für Pflanzen verfügbar, der Kohlenstoff ist aber nicht abbaubar. Das heißt, wenn man das auf einem Feld appliziert, kann man einen Ertragsgewinn für die Landwirtschaft haben und braucht weniger fossilen Phosphatdünger. Man nutzt zwar nur einen Teil der Energie, hat aber ein nachhaltigeres Bodenproduktionssystem.

Wir haben das für Baumwollstängel durchgerechnet: Da könnte man ungefähr ein Drittel des CO2, das jährlich durch die Baumwollpflanzen aus der Luft geholt wird, langfristig im Boden speichern.

Celsius: Das heißt, es ist sozusagen eine Kohlenstoffdeponie – es bleibt aber ein Boden, den man für Landwirtschaft nutzen kann?

Tobias Pröll: Ja genau, der Kohlenstoff wird einfach im Boden angereichert und verbessert potenziell die Bodenfruchtbarkeit. Von Jahr zu Jahr immer mehr. Das ist gerade im warmen Klima sinnvoll, wo wir sandige Böden vorfinden, also für Europa wäre das im Mittelmeerraum. Dort gibt es ja keine nennenswerten Mengen Waldbiomasse, aber landwirtschaftliche Nebenprodukte: Stroh, Pinienkernschalen, Oliventrester und ähnliches – super angereichert mit Nährstoffen. Wenn man diese Nebenprodukte zu Biokohle umwandelt, kann man die Nährstoffe dort, wo die Pflanzen angepflanzt werden, wieder anwenden – und es wächst dadurch mehr Biomasse. Zusätzlich kann man– abhängig vom Wassergehalt – ungefähr 50% des Heizwertes der Einsatzstoffe in Form von Hochtemperaturwärme nutzen (durch Verbrennen der Pyrolysegase, Anm.).

Celsius: Das ist auch ein Forschungsgebiet von Ihnen?

Tobias Pröll: Ja, die systemische Betrachtung von Negative Emission Technologies speziell die Biomasse-basierten Negative Emission Technologies. Es gibt da auch andere, die ich jetzt nicht erwähnt habe.

Celsius: Weil die in der Welt mit 80% fossilem Energiemix eigentlich nicht vernünftig sind?

Tobias Pröll: Das ist meine Meinung, es gibt viele andere, die anderer Meinung sind, vor allem auch im IPCC. Und ich finde es bedenklich, dass die Regierenden sich so auf das verlassen, weil es gibt, glaube ich, sehr einfache Argumente, wie man das ins rechte Licht rücken kann. Aber ich vermute, dass im IPCC viele Leute schon gedanklich in dieser dekarbonisierten Welt leben und aus der heraus argumentieren. Das ist aber ein Trugschluss, denn die Welt ist leider zu 80% fossil.

Bei den Baumwollstängeln sieht man, das wären Negative Emissions. Aber damit bekommt man keine Forschungsförderung. Da wird gesagt, „das ist ja low-tech, das ist well-known Technology, da brauchen wir nicht mehr forschen“. So etwas geht auch in Zusammenhang mit Kraft-Wärmekopplungsanlagen, wie ich vorhin gesagt habe, in Schweden. Man kann relativ schnell sehen, wo die Potentiale liegen würden, und man sieht auch, was es dem Klima netto bringt. Da muss man halt ehrlich sein. Das ist ganz wichtig

Celsius: Wäre das auch Ihr Schlussplädoyer für dieses Interview?

Tobias Pröll: Ich möchte dazu ermutigen, immer die Frage zu stellen, wo die Energie herkommt. Weil: Die Klimakrise ist eine Energiekrise – würden wir die Energie nicht brauchen, für unseren Wohlstand, hätten wir keine Klimakrise. Der Schlüssel ist die Energie. Etwas vorzuschlagen, was die Energiekrise nicht löst, wird auch die Klimakrise nicht lösen. Darum plädiere ich sehr stark für den Ausbau der direkten erneuerbaren Energie – Wind, Photovoltaik, für Österreich zumindest. In anderen Weltregionen gibt es vielleicht noch Wasserkraftpotentiale, bei uns sehe ich die nicht mehr.

Der Mensch braucht Energie für den Wohlstand, man kann punktuell effizienter werden, das wird typischer weise aufgefressen vom Rebound Effekt (Steigerung der Effizienz führt dabei nicht zu verringerten Emissionen, sondern durch niedrigere Preise zu höherer Nachfrage, Anm.). Die Menschen werden sich den Wohlstand nicht nehmen lassen wollen, und wir müssen Maßnahmen schaffen, wie wir dekarbonisieren können, ohne die Volkswirtschaft in einer Weise zu beeinflussen, dass die Menschen das demokratisch nicht mittragen. Wir brauchen clevere Policies, bei denen die Menschen mitgehen. Freiwillig. Und wo zumindest 50% der Menschen uns wählen. Und ein Ansatz wäre, es müssen Policies sein, wo die vielen, die wenig emittieren, die selten fliegen, die selten Skiurlaub machen, netto profitieren. Und die, die viel verschmutzen, einen Nachteil haben. Aber die sind bei der Abstimmung, bei der Wahl dann nicht die Mehrheit.

Prof. Tobias Pröll ist Professor für Energietechnik und Energiemanagement an der Universität für Bodenkultur Wien und forscht unter anderem am Thema Negative Emission Technologies. Er ist Fachgutachter in zahlreichen wissenschaftlichen Zeitschriften, Mitglied des Scientific Committees der International Conference on Negative Emissions und Gründungsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für innovative Computerwissenschaften, sowie des IEAGHG Networks on High Temperature Solid Looping Cycles.

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Interview mit Prof. Tobias Pröll Teil 1: Carbon Capture

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von Marco Sulzgruber

Immer wieder werden in der öffentlichen Debatte um die Klimakatastrophe Technologien angepriesen, die zumindest auf den ersten Blick helfen können, den globalen Kohlendioxid (CO2)-Ausstoß deutlich zu verringern. Zuletzt sorgte die Kernfusion für Schlagzeilen, im letzten Jahr war aber auch die Abscheidung und Lagerung von CO2 ein Thema in den Medien.

Bei diesen Entwicklungen ist grundsätzlich Skepsis angebracht: Übertriebenes Vertrauen in neue, noch nicht ausgereifte Technologien kann den Kampf gegen den Klimawandel bremsen. Genauso gefährlich wäre es aber, wissenschaftliche Errungenschaften außer Acht zu lassen, wenn sie tatsächlich einen Beitrag zur Eindämmung der Klimakatastrophe leisten können.

Wir haben uns mit Professor Tobias Pröll von der Universität für Bodenkultur Wien getroffen, um mit ihm über Carbon Capture (ein Verfahren zur Reduzierung von CO2-Emissionen) und Negative Emission Technologies (Ansätze zum Entnehmen von Treibhausgasen aus der Atmosphäre) zu reden. Im ersten Teil des Interviews erklärt er, wie klassische und neuere Prozesse helfen können, industrielle CO2-Emissionen direkt beim Erzeuger zu verringern, wo das Sinn macht, welche Irrwege es gibt und was Politik und Wirtschaft in seinen Augen tun müssten, um den Anschluss an andere Länder nicht zu verpassen.

Celsius: Was ist Ihrer Meinung nach das wichtigste Anliegen bei dem Thema Carbon Capture und vergleichbare Technologien?

Tobias Pröll: Wichtig ist mir bei diesen Sachen immer, dass man den Zeithorizont betrachtet und dass man Dinge nicht vermischt. Ich leide darunter, dass in der öffentlichen Diskussion Dinge grob fahrlässig vermischt werden, zum Beispiel, wenn wir über Kohlendioxid-Abscheidung und Speicherung sprechen: Es ist ein Unterschied, ob man Kohlendioxid aus einem Industrieprozess, oder einem Kraftwerk abscheidet, oder aus der Umgebungsluft; wenn man das vermischt, dann tut man der ganzen Sache eventuell nichts Gutes.

Auch die Energie muss man immer mitdenken. Energie kann man nicht sehen, aber es ist natürlich nicht egal, ob ein Prozess sehr viel erneuerbare Energie, zum Beispiel Überschussstrom oder grünen Wasserstoff verbraucht oder nicht. In der Diskussion wird oft davon ausgegangen, grüner Wasserstoff wäre verfügbar, so als würden wir jetzt an Lösungen für 2050 arbeiten. Aber wir sind jetzt in einer fossilen Realität, wo wir uns global zu 80 % durch Kohle, Öl und Erdgas mit Energie versorgen. Und in dieser Realität muss man anders argumentieren als in einer Realität, wo wir vielleicht in 30 Jahren sein werden, wo man dann tatsächlich technisch verfügbare Überschüsse an erneuerbarer Energie zur Verfügung haben wird.

Celsius: Eine Sache, die wohl auch oft vermischt wird, bei Carbon Capture: Das hört sich so an, als würde man Kohlendioxid aus der Umgebungsluft herausfiltern, aber das ist nicht so. Also, was ist denn Carbon Capture eigentlich?

Tobias Pröll: Das klassische Carbon Capture and Storage (CCS) setzt so, wie es auch thermodynamisch vernünftig ist, dort an, wo bereits Kohlendioxid konzentriert vorliegt, also überall dort, wo wir klassischerweise die fossilen Energieträger Kohle, Öl und Gas verwenden. Das passiert zu über 90 % zur Energiebereitstellung, auch in der Industrie. Dort entsteht CO2 im Abgas, wo die Konzentration um einen Faktor 100 bis 500 höher ist, als in der Umgebungsluft. Technisch ist es so: Je geringer die Konzentration in der Quelle ist, desto energieaufwendiger ist es, das herauszuholen.

Celsius: Genauso wie man sich vorstellen kann, bei der Gewinnung von Rohstoffen im Bergbau wird man auch da anfangen, wo eine besonders reiche Ader von diesem Rohstoff vorhanden ist.

Tobias Pröll: Richtig, und darum ist eben vor 20 Jahren begonnen worden davon zu sprechen bei Kraftwerken, aber auch bei Industrieprozessen, CO2 abzuscheiden. Auch vom IPCC gab es einen „Special Report On Carbon Capture and Storage“ im Jahr 2005[1]. Was die Abscheide-Technologie, den Transport des CO2 und die Lagerstätten betrifft, hat sich seit damals Vieles in der Substanz nicht verändert.

Celsius: Wie kann man sich diesen Prozess technisch vorstellen?

Tobias Pröll: Das Energieaufwändigste ist das Aufkonzentrieren von CO2 aus dem Abgasstrom. Der Transport hat dann hohe Anforderungen an die Reinheit dieses Kohlendioxids, da sollten keine korrosiven Stoffe dabei sein, zum Beispiel auch kein Wasser. 75% der Kosten vom CCS sind beim Capture, das ist natürlich nur wirtschaftlich bei großen Punktquellen wie Industriekombinaten oder Kohlekraftwerken, wobei letztere sich sehr einfach substituieren lassen. Die sollten wir gar nicht mehr betreiben.

Zur Frage nach den Technologien: Da gibt es verschiedene Ansätze. Die große Gruppe, die auch am weitesten fortgeschritten sind, sind die sogenannten Post-Combustion Capture Verfahren. Da wird aus dem Abgas CO2 selektiv herausgeholt und das passiert klassisch mit flüssigen Waschverfahren. CO2 reagiert sauer und wird von basischen Lösungsmitteln selektiv zurückgehalten – auf der anderen Seite wird mit Wasserdampf ausgekocht und dort erhält man dann ein Wasserdampf-CO2-Gemisch. Nach Kondensation des Wasserdampfs hat man reines CO2. Man sieht schon, man braucht für diesen Prozess zusätzliche Energie. Um in einem Kraftwerk zum Beispiel die gleiche Menge elektrische Energie zu produzieren, braucht man ungefähr 20 bis 25 % mehr Brennstoff.

Celsius: Und das heißt, es kommt auch am Ende 25% mehr CO2 heraus, das zwar jetzt nicht in die Atmosphäre abgegeben, sondern aufgefangen wird und dann muss man irgendetwas damit machen.

Tobias Pröll: Richtig. Und das ist auch ein wesentliches Argument, der Kritiker:innen der Technologie, dass das eigentlich in die falsche Richtung geht: Ich brauche dann noch mehr von dem fossilen Brennstoff um die gleiche Menge Nutzen zu erzielen. Es gibt da ein Kohlekraftwerk in Kanada, da ist eine große Anlage in Betrieb und man sieht das auch am Foto, wie riesig diese Waschanlagen sind, wo man schon erahnen kann, wie teuer das ist.

Celsius: Wie sieht es mit den anderen Verfahren aus?

Tobias Pröll: Es gibt noch andere Verfahren, die alle ihre Vor- und Nachteile haben und es ist nicht eindeutig, welche „besser“ sind. Es gibt Pre-Combustion Capture, da dekarbonisiert man den Brennstoff. Zum Beispiel kann aus Erdgas CO2 und Wasserstoff erzeugt und der Wasserstoff dann als Energieträger genutzt werden.

Ein dritter Ansatz wäre, Luft in Sauerstoff und Stickstoff aufzutrennen und dann mit reinem Sauerstoff zu verbrennen, da spricht man von Oxifuel Combustion. Dann muss man aber mit Sauerstoffüberschuss arbeiten und bekommt nie zu 100% reines CO2 heraus. Aber auch diese Oxifuel Technologien haben sich letztendlich bis heute nicht im kommerziellen Maßstab durchgesetzt.

Dann gibt es noch Emerging Technologies, an denen ich auch die letzten 15 Jahre mitforschen durfte. Das Ziel ist, den Energieaufwand deutlich zu verringern: Bei den bisher genannten Technologien muss man immer Gase von Gasen trennen, ob das jetzt CO2 aus dem Abgas ist, oder Sauerstoff aus der Luft. Das ist einfach viel Arbeit und wirkt sich auf den Energieverbrauch aus. Da gibt es interessante Technologien, wie Chemical Looping Combustion, wo man von Anfang an die Vermischung von Brennstoff und Luft vermeidet, und daher auch nicht entmischen muss. Dabei wird zum Beispiel ein Metall in einem Luftreaktor verbrannt, nimmt also Sauerstoff auf, gibt diesen im Brennstoffreaktor wieder ab und ermöglicht so, dass der Brennstoff zu CO2 und Wasserdampf oxidiert. In der Theorie ist das sehr schön, man hat keine sogenannte Energy-Penalty (keine zusätzliche Energie, die aufgebracht werden muss, um die gleiche Leistung zu erzielen, Anm.). An dem Prozess haben wir viel geforscht, es ist nicht so leicht, den Brennstoff vollständig zu oxidieren, wie wenn man das direkt mit Luft macht; sehr gut funktioniert dieser Luftreaktor, also das Rückoxidieren vom Metalloxid, dort wird auch die Wärme frei. Das wäre eine Emerging Technology, an der große Hoffnungen hängen.

Celsius: Jetzt haben all diese Prozesse gemeinsam, dass man dann am Ende reines oder fast reines CO2 hat, das irgendwie gelagert werden muss. Wie macht man das und wie stellt man sicher, dass dieses CO2 auch langfristig nicht entweicht?

Tobias Pröll: Es ist natürlich keine Option, das CO2 in großen Tanks zu lagern, sondern man müsste es in geologische Formationen verbringen, um es wirklich vom kurzfristigen Kohlenstoffkreislauf wegzusperren. Die muss man sich so vorstellen, wie die Öl- und Gaslagerstätten, wo das Erdgas auch herkommt. Weil das CO2 sauer ist, würde es mit dem Gestein, das sehr häufig basische Mineralien enthält, reagieren und wäre dann dort gebunden. Für solche Lagerstätten haben wir weltweit riesige Potentiale, allein unter dem Nordseegrund ungefähr in 1000 m Tiefe gibt es poröse Formationen, wo seit Ende der 1990er Jahre CO2 testweise eingebracht wird. Die Formation ist sehr gut untersucht, sie könnte für mehrere Jahrzehnte den gesamten europäischen CO2-Ausstoß aufnehmen, das ist off-shore, da gibt es keine Anrainer, die Bedenken haben müssten, dass dort das Grundwasser versauert wird oder dergleichen.

Celsius: Wie würde der Transport zu diesen Lagerstätten funktionieren?

Tobias Pröll: Das wäre auch in dem Bericht aus 2005 sehr schön drinnen: Es gibt sehr viel Erfahrung mit dem Transport von CO2 aus den USA, wo das CO2 zum Beispiel mit Pipelines über tausende Kilometer aus Texas nach Wyoming gebracht und dort für tertiäre Ölförderung verwendet wird. Das bräuchten wir nicht mehr entwickeln, es ist einfacher, CO2 zu transportieren, als Erdgas.

Auch das Pressen in die Lagerstätten ist übrigens für die Öl- und Gasindustrie Standard. Wir hatten schon in den 1980er Jahren ein Erdgasfeld in Österreich, wo das Erdgas bereits CO2 enthalten hat. Da hat man das CO2 abgetrennt und wieder in die gleiche Lagerstätte hineingebracht, um den Druck aufrecht zu erhalten. Irgendwann hat sich dann der CO2-Gehalt an dem Bohrloch so sehr erhöht, dass das Ganze nicht mehr wirtschaftlich war und dann hat man das verschlossen.

Celsius: Wie sehen Sie die Lage in Österreich, was die Verbreitung dieser Technologien angeht?

Tobias Pröll: Wenn Sie mich nach CCS fragen, dann ist Österreich nach wie vor im Dornröschenschlaf. Es wurde 2011 die Lagerung von CO2 verboten, aufgrund von Sicherheitsbedenken der Bevölkerung, was als politische Entscheidung nachvollziehbar ist. In Österreich wird stark das Thema Kohlendioxidabscheidung und Weiterverwendung gepusht, also Carbon Capture and Utilization (CCU). Da muss man aber immer überlegen, ob sich der hohe Aufwand für die Abscheidung lohnt. Wenn man diesen Aufwand betreibt und das CO2 weiterverwendet, indem man es in ein kurzlebiges Produkt umwandelt, zum Beispiel in Harnstoffdünger, der auf dem Feld eine Halbwertszeit von wenigen Tagen hat, dann ist das CO2 erst recht wieder in der Atmosphäre. Wenn das der Effekt ist, man aber das Zertifikat gutgeschrieben bekäme, für so eine Maßnahme, dann wäre das Greenwashing.

CCU ist aus meiner Sicht sehr mit Vorsicht zu genießen. Es ist auch ein Versuch, die gesamte Forschung in dem Bereich und das Interesse der Industrie nicht abzuwürgen, aber gleichzeitig das politische Problem der Lagerung zu umschiffen. Die Hoffnung ist, dass trotzdem technologische Entwicklungen möglich sind, die dann auch für wahrscheinlich klimarelevantere CCS von Nutzen sind. Das heißt politisch ist es in Österreich derzeit so: CCS wird herumgereicht, wie eine heiße Kartoffel; CCU wird derzeit breit ausgerollt.

Celsius: Was müsste oder könnte Ihrer Meinung nach die Politik tun, damit es ein Umdenken in Bezug auf das CCS gibt?

Tobias Pröll: Ich hielte es für dringend angeraten, Möglichkeiten zu untersuchen und Infrastruktur aufzubauen, um CO2 von Standorten in Österreich zu europäischen CO2-Entsorgungszentren zu bekommen. Die entstehen gerade in Hamburg, in niederländischen Häfen oder entlang der norwegischen Küste und so weiter. Wenn die EU uns dazu zwingt, zu dekarbonisieren, dann wäre es für die österreichische Industrie wahrscheinlich gut, wenn es Infrastruktur gäbe, das CO2 auch wirklich loszuwerden. Sonst können sie natürlich auch zusperren und wir machen Stahl und Zement nur noch an der Küste, wo wir mit den Schiffen zu den Lagerstätten kommen. Ich denke, auch unsere Industrie wäre gut beraten, in diese Richtung zumindest Konzepte auszuarbeiten. Was passiert, wenn die EU hier die Schrauben anzieht, und wenn es wirklich einmal für dekarbonisierte Produkte einen Marktvorteil gibt? Dann haben die Nordseeanrainer einen Standortvorteil – und das wird zum Nachteil für die anderen. Das wird aber notwendig sein, wenn wir uns irgendwie in Richtung Klimaneutralität hinbewegen wollen.

Aufgrund der Länge erscheint dieses Interview in zwei Teilen. Im zweiten Teil wird es um das Potential von Carbon Capture and Storage-Systemen, zur Bekämpfung der Klimakatastrophe beizutragen gehen, um Negative Emission Technologies, und um die Frage, ob es sinnvoll ist, CO2 direkt aus der Luft zu filtern, laut IPCC eine der möglichen solchen Technologien.

Prof. Tobias Pröll ist Professor für Energietechnik und Energiemanagement an der Universität für Bodenkultur Wien und forscht unter anderem am Thema Negative Emission Technologies. Er ist Fachgutachter in zahlreichen wissenschaftlichen Zeitschriften, Mitglied des Scientific Committees der International Conference on Negative Emissions und Gründungsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für innovative Computerwissenschaften, sowie des IEAGHG Networks on High Temperature Solid Looping Cycles.


[1] https://www.researchgate.net/publication/239877190_IPCC_Special_Report_on_Carbon_dioxide_Capture_and_Storage

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100% Renewables

Lesedauer 4 Minuten.   

von Marco Sulzgruber

Kommen wir nur mit Energie aus erneuerbaren Quellen aus?

Um die globale Erwärmung einzuschränken wird es notwendig sein, die Energiegewinnung aus fossilen Brennstoffen drastisch zu reduzieren oder ganz zu beenden. Aber kann der globale Energiebedarf überhaupt nur mit erneuerbaren Quellen gedeckt werden? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich zuerst die Frage stellen, wie viel Energie die Menschheit eigentlich braucht und in Zukunft brauchen wird. Dazu gibt es unterschiedliche Modelle und Szenarien, in manchen bleibt der Energiebedarf in etwa gleich, in manchen wird er ansteigen und in anderen sinken. Laut einer Prognose von Statista wird bis 2050 global jährlich fast anderthalbmal so viel Energie verbraucht werden, wie noch 2020.

„Die Forschung meines Teams folgt dem Prinzip eines stetigen Anstiegs der Energiedienstleistungen“ gibt auch Christian Breyer Scientists4Future gegenüber Auskunft. Der Professor für Solarwirtschaft an der finnischen LUT Universität ist einer der Autor:innen eines kürzlich erschienenen Papers[1], das die bisherige Forschung über Energiesysteme zusammenfasst, die zu 100% aus erneuerbarer Energie bestehen. Die zentrale These: Bis 2050 wäre es durchaus möglich, den globalen Energiebedarf kostengünstig mit erneuerbaren Quellen zu decken. Wichtige Elemente dabei sind neben der Gewinnung von nutzbarer Energie auch die Fähigkeit, sie zu speichern und die Art und Weise, wie sie verbraucht wird. Professor Breyer geht etwa von einer verstärkten Elektrifizierung aus: „teilweise reduziert das den finalen Energiebedarf (man denke an Fahrzeuge mit Elektrobatterien gegen Verbrennungsfahrzeuge) und es reduziert auch massiv den Bedarf an primärer Energie, durch das Auslaufenlassen von ineffizienten Verbrennungsprozessen“. Auch beim Heizen und Kühlen wären moderne Wärmepumpen effizienter, als heute übliche Prozesse und diese gesteigerte Effizienz sei wichtig, denn dass ein Großteil der Menschen ihren Lebenswandel ändern und zum Beispiel weniger oft ins Flugzeug steigen wird, glaubt Breyer nicht.

Die Energiequellen der Zukunft: Wind, Sonne & Wasser

Bei der Energiegewinnung selbst werden laut Paper vorwiegend Photovoltaik und Windräder zum Einsatz kommen. Auf regionaler oder nationaler Ebene soll aber auch Wasserkraft eine Rolle spielen. Bereits jetzt gewinnen einige (vor allem kleinere) Länder wie Albanien, Costa Rica, Norwegen oder Island ihren Strom fast ausschließlich aus Wasserkraftwerken. Die Länder Paraguay und Bhutan produzieren sogar so viel Strom aus Wasserkraft, dass ein großer Teil davon exportiert werden kann. In einigen größeren Ländern fußt außerdem regional fast die gesamte Stromerzeugung auf Wasserkraft, etwa auf Tasmanien, in Teilen des amerikanischen Bundesstaates Washington und in mehreren Provinzen Kanadas. Wieder andere Länder, etwa Äthiopien und die Demokratische Republik Kongo haben zwar Wasserkraftwerke, die einen Großteil des verfügbaren Stroms produzieren, allerdings hat hier bei weitem nicht die gesamte Bevölkerung Zugang zu Stromverbrauch. Dies könnte sich in Zukunft noch verschärfen, denn der Klimawandel stellt für diese Art von Energiegewinnung ein Problem dar.

„Trockenperioden sind eine große Herausforderung für Länder, die auf Wasserkraft setzen, gar keine Zweifel“ so Breyer. Allerdings: „In unseren Studien haben wir bemerkt, dass die Kombination mit solarer PV und Windkraft eine große Hilfe sind, das Risiko auszubalancieren. Vielleicht wird in solchen Ländern eine strategische Reserve für Dürre-Jahre gebraucht“. Auch andere Probleme mit Wasserkraft werden im Paper beschrieben, denn durch den Bau von Staudämmen müssen teilweise indigene Bevölkerungsgruppen umgesiedelt werden. Überhaupt sind Stauseen ein großer Eingriff in die Natur und können eine große Belastung für die Biodiversität sein (Hinweis: Scientists4Future veranstaltete zum Thema Naturschutz/Landschaftsschutz vs. Klimaschutz am 29.09.2022 einen Talk for Future, der bald auch hier nachgesehen werden kann). Aus diesem Grund hat sich Professor Breyer etwa gegen den Bau der Grand-Inga-Dämme in der Demokratischen Republik Kongo ausgesprochen, die eine Gefährdung für hunderte endemische Spezies bedeuten würde.

Auch Bioenergie aus Energiepflanzen oder Biokraftstoffen erteilt Breyer eine Absage. Diese stünden „in einem massiven Konflikt mit Biodiversität und Nahrungssicherheit“ und hätten eine extrem niedrige Energieeffizienz. In seinen Modellen verwendet Breyer nur Bioenergie aus Abfällen und Nebenprodukten, weist aber darauf hin, dass andere Wissenschaftler hier unterschiedliche Ansätze verwenden würden.

Verfügbarkeit und Effizienz der Energiegewinnung sind heutzutage keine Argumente mehr gegen erneuerbare Energien

Neben potentiellen Schäden an der Biodiversität werden auch andere Kritikpunkte an der Idee, Energie nur aus erneuerbaren Quellen zu gewinnen, in dem neuen Paper diskutiert. Kein unlösbares Problem ist laut den Autor:innen beispielsweise die von Kritiker:innen oft angeführte Tatsache, dass Solar- und Windkraftwerke nicht durchgehend ihre Höchstleistungen liefern können. Hier gäbe es nämlich eine Reihe von Maßnahmen, die zur Stabilisierung der Energieverfügbarkeit beitragen können. Ein Beispiel ist die Erzeugung von Wasserstoff zu Zeiten, wo mehr Strom erzeugt wird, als verbraucht werden kann. Dieser Wasserstoff kann dann wieder in Energie umgewandelt werden, wenn der Stromverbrauch die -erzeugung übersteigt. Auch die Kritiken, dass Strom aus Photovoltaik und Wasserkraft zu teuer, oder der energetische Return on Investment zu gering wäre, sind laut den Autor:innen veraltet und würden durch neue Technologien immer mehr an Bedeutung verlieren.

Die größten Problempunkte: Rohstoffgewinnung und -Entsorgung

Gewichtiger sei die Frage nach der Rohstoffgewinnung für den Bau von Anlagen. Doch auch hier könnte durch neue Strategien und Technologien Abhilfe geschafft werden. Ein Beispiel ist Lithium, das etwa in Batterien verwendet wird. Hier wird ein mögliches Recyclingsystem für Lithium angeführt, außerdem wäre es möglich, dass die Kosten für die Extraktion von Lithium aus Meerwasser in Zukunft deutlich sinken werden, oder dass der Bedarf sinkt, weil etwa Batterien, die stattdessen auf Natrium-Ionen basieren, praktikabler werden. Auch andere Materialien, wie Kobalt, Silber oder Magnete aus Neodym und Dysprosium, die beim Bau von Windturbinen und Elektrofahrzeugen verwendet werden, könnten bei Knappheit durch leichter verfügbare Ressourcen ersetzt werden.

Ein zusätzliches Problem ist die Entsorgung von Bauteilen, da diese oft giftige Schwermetalle enthalten. Dies verstärkt sich dadurch, dass etwa Photovoltaikanlagen oft schon vorzeitig entsorgt werden, weil neue Generationen der Anlagen mit besserer Leistung auf den Markt kommen. Auch bei der Erzeugung von Solarpanelen ist die Belastung durch toxische Komponenten ein Problem. Hier muss auch der Aspekt der sozialen Gerechtigkeit genannt werden, denn während vor allem wohlhabende Bevölkerungsschichten die Möglichkeit haben, auf eigenen Dächern Photovoltaikanlagen zu installieren und so vom erzeugten Strom zu profitieren, trifft die gesundheitliche Belastung vor allem die Arbeiter:innen, die an der Herstellung, Installation und später der Entsorgung der Anlagen beteiligt sind.

Dennoch: Erneuerbare Energien sind insgesamt deutlich weniger schädlich als fossile Brennstoffe

Allen Kritikpunkten kann laut Breyer und seinen Koautor:innen jedenfalls eines entgegengestellt werden: „Erneuerbare Energie ist immer noch in fast jeder Hinsicht weniger schädlich, als fossile Brennstoffe“ und während Probleme bei Letzteren möglicherweise inhärent und unlösbar sind, könnten sie bei erneuerbarer Energie verhindert, oder zumindest minimiert werden. Dass beispielsweise Ressourcen auf der Welt ungleich verteilt sind, trifft etwa auch auf Erdöl-Vorkommen zu und auch hier sind Länder mit besonders hohen Fördermengen nicht immer Musterschüler, wenn es um soziale Gerechtigkeit oder Einhalten der Menschenrechte geht. Und während einige seltene Elemente sich grundsätzlich aus alten Solarpanelen oder Batterien zurückgewinnen lassen, ist das bei fossilen Brennstoffen, wenn sie einmal verbrannt sind, nicht mehr möglich.


[1] Breyer, Christian et al (2022).: On the History and Future of 100% Renewable Energy Systems Research- In: IEEE Access 10. Online: https://ieeexplore.ieee.org/document/9837910

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Raus aus Öl und Gas! Aber woher dann den Schwefel nehmen?

Lesedauer 3 Minuten.   

von Martin Auer

Jede Lösung schafft neue Probleme. Um die Klimakrise einzudämmen, müssen wir so schnell wie möglich aufhören, Kohle, Öl und Gas zu verbrennen. Doch Erdöl und Erdgas enthalten normalerweise 1 bis 3 Prozent Schwefel. Und dieser Schwefel wird gebraucht. Und zwar bei der Herstellung von Phosphatdünger und bei der Extraktion von Metallen, die für die neuen grünen Technologien benötigt werden, von Photovoltaik-Anlagen bis zu Batterien für Elektrofahrzeuge. 

Die Welt verbraucht derzeit jährlich 246 Millionen Tonnen Schwefelsäure.  Mehr als 80 Prozent des weltweit genutzten Schwefels stammen aus fossilen Energieträgern. Schwefel fällt derzeit als Abfallprodukt bei der Reinigung der fossilen Produkte an, um die Schwefeldioxid-Emissionen einzuschränken, die sauren Regen verursachen. Der Ausstieg aus diesen Energieträgern wird das Angebot an Schwefel drastisch reduzieren, während die Nachfrage aber steigen wird. 

Mark Maslin ist Professor für Erdsystemwissenschaften am University College London. Eine unter seiner Leitung durchgeführte Studie[1] hat ergeben, dass beim Ausstieg aus Fossilen, der notwendig ist, um das Netto-Null-Ziel zu erreichen, im Jahr 2040 bis zu 320 Millionen Tonnen Schwefel fehlen werden, also mehr, als wir heute jährlich verbrauchen. Das würde zu einem Anstieg der Preise für Schwefelsäure führen. Diese Preise könnten eher von den hochprofitablen „grünen“ Industrien verkraftet werden, als von den Düngemittelproduzenten. Das wiederum würde zu einer Verteuerung des Düngers und damit zu einer Verteuerung von Lebensmitteln führen. Vor allem kleine Produzenten in ärmeren Ländern könnten sich weniger Dünger leisten und ihre Erträge würden zurückgehen.

Schwefel kommt in vielen Produkten vor, von Autoreifen bis zu Papier und Waschmitteln. Doch seine wichtigste Anwendung findet er in der chemischen Industrie, wo die Schwefelsäure gebraucht wird, um eine breite Palette von Materialien aufzuspalten. 

Das rapide Wachstum von CO2-armen Technologien wie Hochleistungsbatterien, leichten Fahrzeugmotoren oder Solarpaneelen wird zu einer Steigerung des Abbaus von Mineralien führen, vor allem kobalt- und nickelhaltigen Erzen. Die Nachfrage nach Kobalt könnte bis 2050 um 460 Prozent zunehmen, die nach Nickel um 99 Prozent und nach Neodymium um 37 Prozent. Alle diese Metalle werden heutzutage mithilfe von großen Mengen Schwefelsäure extrahiert.
Die Zunahme der Weltbevölkerung und geänderte Essgewohnheiten werden auch die Nachfrage der Düngerindustrie nach Schwefelsäure steigern.

Es gibt zwar einen gewaltigen Vorrat an Sulfatmineralen, Eisensulfiden und elementarem Schwefel, unter anderem in vulkanischem Gestein, doch müsste zu ihrer Gewinnung der Abbau drastisch erweitert werden. Sulfate in Schwefel umzuwandeln braucht viel Energie und verursacht bei den derzeitigen Methoden große Mengen an CO2-Emissionen. Die Gewinnung und Verarbeitung von Schwefel bzw. Sulfidmineralien kann eine Quelle von Luft-, Boden und Wasserverschmutzung sein,  zur Versauerung von Oberflächen- und Grundwasser führen und Gifte wie Arsen, Thallium und Quecksilber freisetzen. Und intensiver Bergbau ist immer wieder mit Menschenrechtsproblemen verbunden.

Recycling und Innovation

Es müssen also neue Quellen für Schwefel gefunden werden, der nicht aus fossilen Brennstoffen stammt. Zusätzlich muss die Nachfrage nach Schwefel durch Recycling und durch innovative Industrieprozesse gesenkt werden, die mit weniger Schwefelsäure auskommen.

Phosphate aus Abwässern zurückzugewinnen und zu Dünger zu verarbeiten, würde die Notwendigkeit reduzieren, Schwefelsäure zur Verarbeitung von Phosphatgesteinen zu verwenden. Das würde helfen, einerseits den begrenzten Vorrat an Phosphatgesteinen zu schonen und andererseits die Überdüngung von Gewässern zu verringern. Durch Überdüngung hervorgerufene Algenblüten führen zu Sauerstoffmangel und ersticken so Fische und Pflanzen. 

Mehr Lithium-Batterien zu recyceln wäre ebenfalls ein Beitrag zur Lösung des Problem. Auch die Entwicklung von Batterien und Motoren, die weniger der seltenen Metalle brauchen, würde zu einer Verringerung des Bedarfs an Schwefelsäure führen.

Die Speicherung von erneuerbarer Energie ohne den Einsatz von Batterien, durch Technologien, die  zum Beispiel komprimierte Luft nutzen oder die Schwerkraft oder die kinetische Energie von Schwungrädern und andere Innovationen, würde sowohl den Bedarf an Schwefelsäure wie an fossilen Brennstoffen reduzieren und die Dekarbonisierung vorantreiben. In Zukunft könnten auch Bakterien eingesetzt werden, um Schwefel aus Sulfaten zu gewinnen.

Nationale und internationale Politiken müssen also bei der Planung der Dekarbonisierung auch die zukünftige Knappheit an Schwefel in Betracht ziehen, indem sie Recycling fördern und alternative Quellen finden, die möglichst geringe soziale und Umweltkosten mit sich bringen.

Titelbild: Prasanta Kr Dutta auf Unsplash

Gesichtet: Fabian Schipfer


[1]    Maslin, M., Van Heerde, L. & Day, S. (2022) Sulfur: A potential resource crisis that could stifle green technology and threaten food security as the world decarbonises. The Geographical Journal, 00, 1– 8. Online: https://rgs-ibg.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/geoj.12475

Bzw: https://theconversation.com/sulfuric-acid-the-next-resource-crisis-that-could-stifle-green-tech-and-threaten-food-security-186765

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Gold, Kupfer, Lithium: Schmutzige Rohstoffe aus Osteuropa für den Green Deal?
von Theresa Neunteufl und Martin Auer

Lesedauer 7 Minuten.   

Der Bedarf an erneuerbaren Energien nimmt Jahr für Jahr zu. 2020 beispielsweise hat der Anteil an erneuerbaren Energien für die Stromerzeugung in der EU erstmals Kohle und Gas abgehängt.1 Angesichts des fortschreitenden Klimawandels ist das sehr erfreulich. Doch die Anlagen zur Erzeugung, zum Transport und zur Speicherung des Stroms benötigen Rohstoffe, ebenso wie die elektronischen Geräte, die die Digitalisierung der Wirtschaft ermöglichen sollen. Um den wachsenden Bedarf an diesen Rohstoffen zu decken, bedarf es einer enormen Steigerung des Abbaus. Genau diesen Bedarf versucht die Europäische Kommission nun zu decken. Laut dem Bericht des Central and Eastern European Bankwatch Network2: „Raw Deal“ vom Jänner 2021 passiert dies jedoch häufig unter Missachtung von fairen Arbeitsbedingungen, Gesundheits- und Sicherheitsbestimmungen und Artenschutz.

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von Theresa Neunteufl und Martin Auer
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„Nachhaltige“ Atomkraft? Nein, danke!
von Klaus Jäger

Lesedauer 4 Minuten.   

Die EU-Klimataxonomie soll – so der Plan – Greenwashing im Finanzbereich verhindern. Wer also z.B. sein Geld in einen Öko-Fonds investiert, soll sicher sein können, dass das Geld zur Finanzierung nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten verwendet wird und nicht Firmen zugute kommt, die sich selbst als grüner darstellen, als sie wirklich sind. So soll Geld von großen und kleinen Anleger*innen in nachhaltige Bereiche gelenkt werden. Was als nachhaltig und ökologisch gilt, soll detailliert in dieser Taxonomieverordnung beschrieben werden. Nach dem letzten EU-Gipfel hat Kommissionspräsidentin von der Leyen erklärt, dass neben Erneuerbaren auch „eine verlässliche Energiequelle – Atomkraft – und während der Übergangszeit auch Gas“ benötigt würde, und deshalb als nachhaltig in die Taxonomie aufgenommen werden würden1. Österreich lehnt beides ab. Umweltministerin Gewessler hat während des Glasgower Klimagipfels zusammen mit den deutschen, dänischen, luxemburgischen und portugiesischen Umweltminister*innen eine gemeinsame Erklärung für eine atomkraftfreie EU-Taxonomie veröffentlicht2. In der EU führt Frankreich eine Gruppe von Ländern an, die darauf drängen, Atomkraft aufzunehmen. Frankreich bezieht 70 Prozent seiner Energie aus Atomkraftwerken. Die Entscheidung soll noch vor Jahresende fallen. Ministerin Gewessler hat angekündigt, dass sie gegen eine Entscheidung zugunsten von Atomkraft und Gas notfalls auch gerichtlich vorgehen will3. Das Umweltministerium hat schon im Vorjahr eine Studie zu dem Thema in Auftrag gegeben. Sigrid Stagl, Professorin für Umweltökonomie und Umweltpolitik an der WU Wien, hat diese Studie durchgeführt. Die Studie4 hat ergeben, dass die Kernenergie nicht nachhaltig ist und kein Beitrag zum Klimaschutz liefert. Stagl und Gewessler haben sie gemeinsam in einer Pressekonferenz5 im Februar vorgestellt. Sigrid Stagl ist seit kurzem auch Mitglied des Fachkollegiums von Scientists for Future Österreich. Was die Studie im Detail besagt, ist in diesem Beitrag zu lesen.

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von Klaus Jäger
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Was kann Atomkraft zum Kampf gegen die Erderhitzung beitragen?
von Klaus Jäger

Lesedauer 3 Minuten.   

Mit Hilfe des En-ROADS Klimasimulators können Sie sich selbst die Frage beantworten, ob ein weiterer Ausbau der Atomkraft einen maßgeblichen Beitrag zum Klimaschutz liefern kann. Das Ergebnis ist bescheiden. Es müssten weltweit in den nächsten 80 Jahren mindestens 2100 Atomkraftwerke neu gebaut werden, um eine Reduktion der Klimaerwärmung um ein Zehntel Grad zu erreichen.

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von Klaus Jäger
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Talks for Future: (Irr-)Wege aus der Klimakrise

Lesedauer 4 Minuten.   

mit

Philipp Steininger – Fridays for Future
Mag. Lukas Hammer – Abgeordneter zum Nationalrat, die Grünen
Univ.-Prof. Dr. Sigrid Stagl – Institute of Ecological Economics, Wirtschaftsuniversität Wien
Dr. René Sedmik – Atominstitut, Technische Universität Wien
Dr. Fabian Schipfer – Energy Economics Group, Technische Universität Wien

Moderation: Philip Pramer – Ressortleiter „Edition Zukunft“, Der Standard
Begrüßung: Markus Palzer-Khomenko MSc.
Technische Abwicklung: Dr. Martin Hoffmann

"(Irr-)Wege aus der Klimakrise" | Talks for Future vom 1.7.2021

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Der Hintergrund

Der ursprüngliche Anlass für diese Diskussion war, dass die Wirtschaftskammer Oberösterreich propagiert, Ölheizungen und Verbrennungsmotoren könnten angesichts der Klimakrise doch beibehalten werden, da über kurz oder lang synthetische Brennstoffe die fossilen ersetzen würden. Scientists for Future haben sich intensiv mit dieser Frage auseinandergesetzt und dazu auch eine Stellungnahme veröffentlicht. In dieser Diskussionsrunde sollte die Frage nach den Versprechungen, die uns neue Technologien machen, etwas breiter gefasst werde. Leider hat, wie Markus Palzer von S4F einleitend sagt, die Wirtschaftskammer die Einladung zur Diskussion nicht angenommen.

Wir fassen hier die wichtigsten Aussagen und Diskussionbeiträge zusammen.

Die Eingangsstatements

Lukas Hammer von den Grünen: Die Technologien für die Energiewende sind bereits vorhanden. Wir dürfen nicht auf etwas hoffen, dass es noch nicht gibt. Er spricht sich für echte Technologieoffenheit aus und nennt als Beispiel, dass Wasserstoff als Antrieb für Autos nicht sinnvoll sei, aber sehr wohl beim Einsatz in der Stahlproduktion.

Stefan Gara von den Neos ist Physiker und hat sich schon immer mit Photovoltaik auseinandergesetzt: Die vorhandenen Technologien sind jetzt schon wirtschaftlich und es braucht eine intelligente Vernetzung der Energiesystem. Die Diskussion darüber, wann wir Klimaneutralität erreichen wollen, ist schon obsolet. Wir brauchen einen klaren Ausstiegspfad, und das muss sich im Budget widerspiegeln. Allein in Wien müssen in den nächsten 20 Jahren 24.000 Gasheizungen getauscht werden.

Sigrid Stagl, Ökonomin an der Wirtschaftsuniversität Wien: Die Veränderung der Wirtschaft erfordert eine interdisziplinäre Herangehensweise. Die ökologische Ökonomie fragt: Was sind eigentlich die Ziele des Wirtschaftens? Die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts? Die Erhaltung der Arbeitsplätze? Oder das Wohlbefinden der Bevölkerung und die Beseitigung von sozialer Ungleichheit? Die Ziele der Wirtschaft müssen nicht nur eine, sondern mehrere Dimensionen haben.

René Sedmik ist Physiker und befasst sich beruflich am Atominstitut mit Theorien zu dunkler Materie und dunkler Energie. Für S4F beschäftigt er sich auch mit den aktuellen Energiesystemen: Zur Bewältigung der Klimakrise brauchen wir einen klaren Plan. Zwar werden wir in Zukunft auch CO2 aus der Atmosphäre zurückholen müssen, doch müssen wir jetzt vor allem mit der CO2-Vermeidung beginnen, denn dies ist der schnellere und einfachere Weg. Allerdings ist das Hintergrundwissen dazu in der Bevölkerung immer noch nicht weit verbreitet. Viele denken, ihr eigener Einfluss wäre unwirksam. Doch jede und jeder Einzelne kann wirksam beitragen, zum Beispiel beim Thema Heizen. Allein eine gute thermische Isolation könnte 70% Heizkosten und damit auch CO2 einsparen.

Fabian Schipfer von S4F forscht beruflich an Energiesystemmodellen. Bei S4F leitet er die Arbeitsgruppe Faktencheck: Wir haben noch einigen Raum für Innovationen, und zwar nicht nur technische, sondern auch organisatorische und soziale Innovationen. Die Gesellschaft muss an den Entscheidungen Anteil haben, und besonders dezentrale Lösungen haben da große Möglichkeiten.

Philipp Steininger von Fridays for Future: Wir müssen vom Wissen zum Handeln kommen. Der Bau des Lobautunnels steht im Widerspruch zum Anspruch der Stadt Wien, Klimamusterstadt zu sein.

Die Problemstellungen

Lukas Hammer knüpft an: Die Verkehrsministerin hat angekündigt, dass sie das Bauprogramm der ASFINAG evaluieren wird. Sofort kommt der Aufschrei: Die Zukunft einer ganzen Region sei in Gefahr. Wenn es konkret wird, fallen viele in die alten Denkmuster zurück.

René Sedmik erklärt, was synthetische Treibstoffe sind und wie sie hergestellt werden. Das Verfahren ist eigentlich schon alt. Doch um CO2-neutrale synthetische Treibstoffe herzustellen, braucht man Strom aus erneuerbaren Energiequellen. Dabei verliert man aber 60 Prozent der Energie durch Umwandlungsverluste. Um Verkehr und Heizung auf synthetische Treibstoffe umzustellen, bräuchten wir zwanzig Mal so viel erneuerbare Stromproduktion, wie aktuell geplant ist.

Philip Pramer vom Standard: Warum wird das so vorangetrieben?

Stefan Gara: Durch diese Lobbyarbeit will man möglichst die bestehenden Strukturen erhalten. Man kennt das Geschäftsmodell, und fürchtet neue Geschäftsmodelle.

Fabian Schipfer: Auch wenn wir jetzt schon eine Pilotanlage haben, müssen wir uns Fragen: Wie lange dauert es, bis wir genügend Anlagen haben? Dieser Treibstoff wird sehr teuer sein.

Einige Lösungsideen

Lukas Hammer: Das Ziel sollte sein, unsere Energie selbst zu produzieren. Wir müssen dafür sorgen, dass klimafreundliches Verhalten belohnt wird. Alternativen bieten, Förderungen bieten. Und wir brauchen die ökosoziale Steuerreform, um Umweltfolgekosten einzupreisen.

Sigrid Stagl: Die klassische Ökonomie erwartet, dass die Individuen sich nachhaltig verhalten. Aber wenn die Strukturen so sind, dass nachhaltiges Verhalten teurer und mühsamer ist, kann man sich nur wundern, dass so viele sich bemühen, nachhaltig zu handeln. Märkte sind Regelwerke. Und Regeln sind menschengemacht und können geändert werden. Aktuell stammen viele unserer Regelwerke von alten Problemstellungen, entsprechen aber nicht mehr den aktuellen Problemen.

Fabian Schipfer: Wir brauchen die Steuerung durch den Markt, aber auch durch Regulierung. Die Bevölkerung braucht Möglichkeiten, sich ein besseres Leben zu schaffen.

Sigrid Stagl: Wir müssen zwischen verschiedenen wirtschaftlichen Interessen unterscheiden: Welche Teile der Wirtschaft werden hier von wem geschützt? Auf die Frage, wie hoch der CO2-Preis sein soll, meint sie: Ab 100 € pro Tonne beginnen wir zu diskutieren. Aber Untersuchungen sagen, dass die wahren Kosten bis zu 600 € pro Tonne betragen. Es geht darum, den Preis so hochzutreiben, dass die Reduktion stattfindet. Aber je mehr Reduktion durch Regulierung erreicht wird, umso weniger muss der CO2-Preis erhöht werden.

Philipp Steininger: Fridays for Future fordert, dass bis 2030 500 Mio t CO2 eingespart werden. Fossile Subventionen müssen schnellstmöglich abgeschafft werden. Die Einnahmen durch eine CO2-Steuer sollen auch für klimagünstige Förderungen verwendet werden.

René Sedmik: Wir können diese Ausgaben als Investitionen ansehen – Investitionen gegen wachsende Klimafolgekosten: Für 2050 rechnet man mit 8 Mrd. € Klimafolgenkosten für Österreich. Dabei werden Kosten durch einen höheren Bedarf im Gesundheitssektor, aber auch durch stärkere und häufigere Naturkatastrophen und Ernteausfälle verursacht. Auch hierbei leidet die Wirtschaft. Wenn wir jetzt investieren, können wir viel davon vermeiden.

Ein Vorbild sein

Stefan Gara: Wir müssen in kleinen Strukturen denken, die auch viel versorgungssicherer sind. Mit innovativen Konzepten und Beispielen kann Österreich ein Vorbild für andere Regionen sein und zeigen, dass es geht.

Fabian Schipfer: Wir dürfen die Verantwortung nicht auf andere abwälzen.

Philpp Steininger: Österreich kann Vorreiterin sein. Wenn wir es nicht schaffen, wer soll es dann schaffen?

Lukas Hammer und Stefan Gara: Es braucht auch den Druck von der Straße, von der Zivilgesellschaft.

Sigrid Stagl: Konflikte müssen angesprochen werden. Es ist wichtig, den Blick für Scheinlösungen zu schärfen. Was ist wirklich transformativ?

Schlußworte

René Sedmik spricht den anwesenden Politikern Lob aus. Wir sollen erwachsener reagieren, das heißt mehr auf die Fakten reagieren als auf unsere persönlichen Befindlichkeiten.

Stellen wir uns die Frage: Was bedeutet Wohlstand? Konsummaximierung kann nicht das Lebensziel sein. Wohlstand bedeutet, dass wir rausgehen können und eine gesunde Umwelt vorfinden. Eine Welt, die jedem eine Lebensgrundlage bietet, vorallem auch für kommende Generationen.

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