In den letzten 12 Monaten lag die durchschnittliche Oberflächentemperatur des Planeten 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau – ein Meilenstein der globalen Erwärmung, den die Nationen im Pariser Klimaabkommen von 2015 zu vermeiden versprochen hatten. Daten des Copernicus Climate Service der Europäischen Union zeigen, dass die Erde zwischen Juli 2023 und Juni 2024 die höchsten Temperaturen aller Zeiten erreichte, die durchschnittlich 1,64 °C über den vorindustriellen Temperaturen lagen.
Die Ergebnisse bedeuten nicht, dass die Staats- und Regierungschefs bereits ihre Versprechen gebrochen haben, die globale Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts um 1,5 Grad zu begrenzen – ein Ziel, das in Durchschnittswerten von Jahrzehnten und nicht von einzelnen Jahren gemessen wird –, sondern dass die sengende Hitze mehr Menschen extremen Wetterbedingungen ausgesetzt haben wird. Ein anhaltender Temperaturanstieg über dieses Niveau erhöht auch das Risiko ungewisser, aber katastrophaler Kipppunkte.
Da die Temperaturen in manchen Monaten nur „sehr knapp“ über 1,5 Grad Celsius lagen, können Datensätze anderer Klimabehörden diese zwölfmonatige Temperaturschwankung möglicherweise nicht bestätigen, so die Wissenschaftler.
„Jetzt ist nicht die Zeit, die Bemühungen aufzugeben, den Anstieg einzudämmen“, sagt der Umweltpolitikwissenschaftler François Gemenne: „Es geht nicht um 1,5 °C oder den Tod – jedes 0,1 °C ist sehr wichtig, da wir über globale Durchschnittstemperaturen sprechen, die sich lokal in massive Temperaturunterschiede niederschlagen.“
Wie wirkt sich der Klimawandel in Oberösterreich aus, wie wird sich die Natur und das Leben der Menschen verändern? Wird genug zum Klimaschutz getan? Mit diesen Fragen kam Redakteurin Sarah Kowatschek von den Oberösterreichsichen Nachrichten auf die Scienitist For Future OÖ zu. Herausgekommen ist ein Artikel und Video-Interview mit Martin Hoffmann und Mirko Javurek.
Klimawandel in Oberösterreich: „Es geht fast zu 100 Prozent in die falsche Richtung“
LINZ. Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf Oberösterreich? Experten gehen davon aus, dass Temperaturen ansteigen, Schädlinge sich ausbreiten und extreme Wetterereignisse häufiger werden.
Vergangene Woche wurde die Klimastrategie für das Land Oberösterreich im Landtag beschlossen. Die Klimaallianz Oberösterreich stellt ein schlechtes Zeugnis aus: „Leider ist das Dokument eine riesige Enttäuschung“, fasst die Allianz nach einer Schnellprüfung der 160 Seiten langen Strategie zusammen. „An keiner Stelle wird das Papier auch nur annähernd dem Anspruch gerecht, eine Anleitung zu sein, wie die Klimaziele 2030 bzw. 2040 erreicht werden können.“ In der Klima-Allianz Oberösterreich haben sich verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen zusammengeschlossen, die sich für einen Klimaschutzplan des Landes einsetzen – Fridays For Future Linz etwa, aber auch Radlobby Oberösterreich und Scientists for Future sind Teil davon.
„Damit machen wir in Oberösterreich, was machbar ist und setzen unseren Weg der Nachhaltigkeit und des Klimaschutzes fort“, sagte Landeshauptmann Thomas Stelzer zur Klimastrategie. Und, dass diese „umfassend und realistisch“ sei. Dem können sich Mirko Javurek und Martin Hoffmann, beide Mitglieder von Scientists for Future, nicht ganz anschließen: „Realistisch wird sie schon sein. Aber die Frage ist, zu welchen Zielen. Die Pariser Klimaziele werden damit nicht erreicht werden.“ Für Hoffmann ist Klimawandel ein soziales Problem: Der Überkonsum sei ein Hauptgrund für den Klimawandel.
Im vergangenen Jahr sind die Emissionen in Oberösterreich um etwa sechs Prozent gestiegen. Das zeigt eine Prognose, die im November von Umweltlandesrat Stefan Kaineder veröffentlicht wurde. „Im Laufe des Jahres wird das noch genauer ermittelt“, sagt Javurek. Der Anstieg sei „eine Katastrophe“. Das Ziel ist, bis 2030 die Emissionen gegenüber dem Jahr 2005 um die Hälfte zu reduzieren. Dadurch, dass sich in den vergangenen Jahren wegen Corona fast nichts getan hätte, müsse die Reduktion der Emissionen in den verbleibenden Jahren nun schneller voran gehen. Um sieben Prozent müssten die Emissionen jährlich sinken, um bis 2040 klimaneutral zu werden. „Es geht also fast zu 100 Prozent in die falsche Richtung“, sagt der Mechatroniker, der sich für die Umwelt engagiert.
Trauriger Rekord in Oberösterreich
Im bisher wärmsten Jahr der Messgeschichte, im Jahr 2018, war die Durchschnittstemperatur in Oberösterreich um 2,1 Grad Celsius höher als im langjährigen Mittel. In keinem anderen Bundesland war dieser Wert höher. Auch von Trockenheit und Dürre war Oberösterreich am meisten betroffen. Im Flächenmittel fiel um 20 Prozent weniger Niederschlag. Das zeigen Berechnungen der damaligen Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG, heute GeoSphere Austria).
Extreme Wetterereignisse werden sich in Zukunft häufen – eine Zunahme an Trockenheit und Hitzeperioden wird sowohl der Tier- als auch der Pflanzenwelt und den Menschen zusetzen. Das geht aus dem Klimaschutzbericht 2022 des Umweltbundesamtes hervor. Auch Unwetter mit hohem Niederschlag werden sich häufen – diese führen zu Rutschungen, Muren und Steinschlag. Ökonomische Folgen des Klimawandels betreffen alle Sektoren, wie den Tourismus, die Land-, Forst- und Energiewirtschaft und das Gesundheitswesen, heißt es in dem Bericht.
Schädlinge breiten sich aus
„Kontinentale Regionen werden wärmer als der globale Durchschnitt“, sagt Hoffmann. Durch den Temperaturanstieg fühlen sich Schädlinge wie der Borkenkäfer zunehmend wohler in den heimischen Wäldern. „Dementsprechend muss viel Schadholz geschlagen werden. Dadurch erhöht sich einerseits die Gefahr für Waldbrände, andererseits steigt auch der CO2-Ausstoß aus den Bodenflächen“, sagt Javurek. Der Kobernaußerwald etwa, einer der größten zusammenhängenden Wälder in Mitteleuropa, leidet bereits stark unter dem Klimawandel.
Auch der Wintertourismus steht vor einem Problem: „Der Schneemangel, den wir jetzt gerade erleben, wird sich in den kommenden Jahren dramatisch verschärfen“, sagt Javurek. Es gebe viele Skigebiete, in denen Talabfahrten in den kommenden Jahren immer seltener möglich sein werden. Andere würden so niedrig liegen, dass der Skibetrieb über kurz oder lang eingestellt werden müsse.
Zwischen Dürren und Überschwemmungen
In der Landwirtschaft muss aufgrund der Extremwetterereignisse wie Dürre, Überschwemmungen, Hagel und Frost mit massiven Ernteausfällen gerechnet werden, sagt Javurek. Auch für die Fischbestände bedeutet der Klimawandel nichts Gutes: Im Granit- und Gneisgebiet der Böhmischen Masse etwa konnten Wassertemperaturanstiege von durchschnittlich 1,4 Grad Celsius gemessen werden. „Das hört sich nach nicht viel an, aber biologisch gesehen ist das eine ziemliche Katastrophe. Wenn man es beispielsweise mit der Körpertemperatur vergleicht: Mit plus 1,4 Grad Celsius hat man Fieber.“ Fische werden also aufgrund der steigenden Temperaturen gezwungen sein, in kühlere Gewässer zu ziehen. Das geht aus einer Studie des Bundesamts für Wasserwirtschaft hervor.
Auch Gletscher sind von den steigenden Temperaturen betroffen. Im vergangenen Jahr schmolzen die Gletscher zwei bis vier Mal schneller als im langjährigen Durchschnitt. Das zeigten Messungen der ZAMG. Der Alpenraum wird sich laut Berechnungen von Klimamodellen auch in Zukunft stärker als im globalen Mittel erwärmen. „Flüsse sind wesentlich von Gletschern versorgt“, sagt Hoffmann. Haben die Flüsse nicht mehr den Wasserstand, hat das Auswirkungen auf die Wasserkraftwerke. „Oberösterreich bezieht einen Großteil seiner erneuerbaren Energien aus den Donaukraftwerken“, ergänzt Javurek. Diese könnten vor allem im Sommer, wenn der Wasserstand zu stark schwanke, keine konstanten Leistungen erbringen. Das würde zu längeren Einbrüchen in der Stromerzeugung führen. Gleichzeitig würde Flexibilität verloren gehen, die bei normalem Wasserstand gegeben ist. „Man braucht dann mehr Strom aus anderen Energiequellen. Und das ist derzeit oft fossiler oder Atomstrom.“ So würde auch das Risiko steigen, dass das Stromnetz zusammenbreche und es zu einem Black-Out komme, sagt der Mechatroniker.
Drei Windräder pro Monat wären nötig
„Insofern ist es völlig unverständlich, warum das Land Oberösterreich die Windkraftplanung auslässt. Oberösterreich zählt zu den drei Bundesländern, die sich noch keine Ziele gesetzt haben, wie die Windkraft ausgebaut werden soll“, sagt Javurek. In der neuen Klimastrategie sei zwar vorgesehen, dass bestehende Windkraftanlagen erneuert und ausgebaut werden. „Das ist aber nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.“ Um bis 2030 das Ziel zu erreichen, dass 100 Prozent des benötigten Stroms aus Erneuerbaren Energien kommt, müssten monatlich mindestens drei Windräder gebaut werden.
Javurek vergleicht den Kampf gegen den Klimawandel mit dem Kampf gegen das Gewicht. „Wenn ich weiß, dass ich innerhalb einer gewissen Zeit ein gewisses Gewicht abnehmen möchte, muss ich einen Plan haben und Monitoring betreiben, damit ich das Ziel erreiche. Genau so etwas passiert im Hinblick auf den Klimawandel gerade weder in Oberösterreich noch auf Bundesebene“, sagt der Wissenschaftler.
Vor der Klimakonferenz in Sharm El Sheikh wurden in den letzten Tagen, wie auch in vergangenen Jahren, wichtige Reports von UNO Organisationen veröffentlicht. Es ist zu hoffen, dass in den Verhandlungen darauf Bedacht genommen wird.
UNEP EMISSIONS GAP REPORT 2022
Der Emissions Gap Report des UNO Umweltprogramms (UNEP) analysiert jeweils den Effekt der derzeitigen Maßnahmen und der vorliegenden nationalen Beiträge (Nationally Determined Contributions, NDC) und stellt sie den Treibhausgas (THG) Emissionsreduktionen, die für die Erreichung des 1,5°C bzw. 2°C Ziel notwendig sind, gegenüber. Der Report analysiert auch Maßnahmen in verschiedenen Sektoren, die zur Schließung dieses „Gaps“ geeignet sind.
Die wichtigsten Eckdaten sind wie folgt:
Nur mit derzeitigen Maßnahmen, ohne Berücksichtigung der NDC, sind im Jahr 2030 THG Emissionen von 58 GtCO2e zu erwarten und bis Ende des Jahrhunderts eine Erwärmung von 2,8°C.
Werden alle bedingungslosen NDC umgesetzt so ist eine Erwärmung von 2,6°C zu erwarten. Durch Implementierung aller NDC, die an Bedingungen wie finanzielle Hilfen geknüpft sind, könnte der Temperaturanstieg auf 2,4°C reduziert werden.
Für eine Begrenzung der Erwärmung auf 1,5°C bzw. 2°C dürfen die Emissionen im Jahr 2030 nur noch 33 GtCO2e bzw. 41 GtCO2e betragen. Die aus den vorliegenden NDC resultierenden Emissionen liegen aber 23 GtCO2e bzw. 15 GtCO2e darüber. Diese Emissions Gap muss durch zusätzliche Maßnahmen geschlossen werden. Wenn die NDC implementiert werden, die an Bedingungen geknüpft sind, verringert sich das Emissions Gap um jeweils 3 GtCO2e.
Die Werte sind etwas niedriger als in vorangegangenen Berichten, da viele Länder begonnen haben Maßnahmen umzusetzen. Auch der jährliche Anstieg der globalen Emissionen hat etwas abgenommen und liegt bei 1,1% pro Jahr.
In Glasgow wurden alle Staaten aufgefordert verbesserte NDC zu präsentieren. Diese führen jedoch nur zu einer weiteren prognostizierten THG Emissionsreduktion im Jahr 2030 von 0,5 GtCO2e oder weniger als 1%, also nur zu einer unwesentlichen Verringerung des Emissions Gaps.
Die G20 Staaten werden voraussichtlich ihre selbst gesteckten Ziele nicht erreichen, was das Emissions Gap bzw. den Temperaturanstieg erhöht.
Viele Länder haben netto-null Ziele vorgelegt. Allerdings ist die Wirksamkeit solcher Ziele ohne konkrete kurzfristige Reduktionsziele nicht abschätzbar und wenig glaubwürdig.
Das Klimasekretariat wurde von den Vertragsstaaten beauftragt, den Effekt der vorgelegten NDC und langfristigen Pläne zu analysieren. Der Bericht kommt zu sehr ähnlichen Schlussfolgerungen wie der UNEP Emissions Gap Report.
Wenn alle vorliegenden NDC umgesetzt werden, wird die Erwärmung bis Ende des Jahrhunderts 2,5°C betragen.
Nur 24 Staaten haben nach Glasgow verbesserte NDC vorgelegt, mit geringem Effekt.
62 Staaten, die 83% der globalen Emissionen repräsentieren, haben langfristige netto-null Ziele, allerdings oft ohne konkrete Umsetzungspläne. Dies ist einerseits ein positives Signal, birgt aber die Gefahr, dass dringend notwendige Maßnahmen in die ferne Zukunft aufgeschoben werden.
Bis 2030 ist ein Anstieg der THG Emissionen von 10,6% gegenüber 2010 zu erwarten. Nach 2030 wird kein weiterer Anstieg mehr erwartet. Dies ist eine Verbesserung gegenüber vorherigen Berechnungen, die von einem Anstieg von 13,7% bis 2030 und darüber hinaus ausgingen.
Das steht noch immer in krassem Gegensatz zur erforderlichen THG Reduktion zur Einhaltung des 1,5°C Ziels von 45% bis 2030 im Vergleich zu 2010, bzw. 43% im Vergleich zu 2019.
Pressestatement und weiterführende Links zu den Reports
Indiens Treibhausgasemissionen sollen in den nächsten sieben Jahren auf 45 Prozent des Standes von 2005 sinken. Das ist eine Verbesserung gegenüber den 2016 bekanntgegebenen Zielen um 10 Prozent. Bis 2030 soll auch die Hälfte des Elektrizitätsbedarfs durch Erneuerbare gedeckt werden. Auch das ist eine Verbesserung um 10 % gegenüber dem letzten Ziel. Laut der indischen Regierung hat das Land das Ziel von 40 Prozent Erneuerbaren im Dezember 2021 erreicht. Nach dem Pariser Abkommen sollen die Staaten alle fünf Jahre ihre national festglegten Klimaziele (NDCs) nachbessern. Indien hatte seine neuen Ziele schon bei der COP26 angekündigt, doch erst jetzt formell verabschiedet. https://www.reuters.com/world/india/india-approves-new-emissions-targets-tackle-climate-change-2022-08-04/
Wo stehen wir heute und stimmt der Kurs? S4F Österreich hat dazu gemeinsam mit dem Climate Change Centre Austria, der Allianz Nachhaltige Universitäten und dem Uninetz-Projekt eine Stellungnahme ausgearbeitet. Darin wird klar festgehalten, dass auch Österreich weit davon entfernt ist, Vorreiter im Klimaschutz zu sein und unverzüglich wirksame Maßnahmen setzen muss, um seinen Beitrag zum 1,5° Ziel erfüllen zu können. Die Verfasser*innen fordern daher „einen nationalen Schulterschluss, ähnlich jenem in der Nuklearpolitik, der Klimaschutz an die Spitze der politischen Priorität in Österreich stellt und einen Fahrplan zur Klimaneutralität festlegt und umsetzt, der über Regierungswechsel hinweg Bestand hat“ und rufen dazu auf diesen gemeinsamen Appell hier zu unterzeichnen.
Am 9. September 2019 stellte die wissenschaftliche Community den von ihr als Referenz ausgearbeiteten Nationalen Energie- und Klimaplan (Ref-NEKP) für Österreich vor, der darlegt wie unser Land seinen Beitrag zur Erreichung der Pariser Klimaziele gewährleisten kann, wie der Übergang zu einer nahezu treibhausgasemissionsfreien und klimarobusten Wirtschaft und Gesellschaft gelingen kann. Auf welchem Weg befindet sich Österreich seit damals, was ist zur Bewältigung der Klimakrise geboten?
Corona hat die globale Erwärmung nur minimal beeinflusst, die klimapolitische Arbeit aber stark überlagert! Die erforderliche strukturelle Umstellung der österreichischen Wirtschaft ist im Herbst 2020 gebotener denn je.