Steinzeit oder Lebensqualität? Wie lebt es sich in einem klimaneutralen Österreich im Jahr 2050?

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Lesedauer 10 Minuten.   

Den Vorwurf, dass Umweltschutz das Land in die Steinzeit zurückbefördern würde, hörten wir schon bei der Auseinandersetzung um das Atomkraftwerk Zwentendorf in den 1970er Jahren. Das Atomkraftwerk ist heute ein Museum und die Steinzeit ist nicht hereingebrochen. Wir hörten ihn wieder bei der Auseinandersetzung um die Zerstörung der Hainburger Au durch einen Kraftwerksbau. Inzwischen gibt es statt eines Kraftwerks den Nationalpark Donauauen und die Steinzeit ist nicht hereingebrochen.

Heute stellt sich die Frage, in welche Welt uns der Klimaschutz führen wird. Führende österreichische Klimawissenschaftler*innen und über 70 Expert*innen aus allen Disziplinen haben einen Plan1 ausgearbeitet, wie Österreich bis 2050 klimaneutral werden kann. In einem zusammenfassenden Kapitel beschreiben sie, wie das Leben in diesem Land 2050 ausschauen könnte. Auf diese Vision stützt sich – teils auch wörtlich – unser Beitrag. Das ist möglich, da die Quelle dankenswerter Weise unter die Creative-Commons-Lizenz BY 4.0 gestellt wurde.

Dazu ist zu sagen, dass die Vision zwar von Österreichs Anteil an der globalen Verantwortung für das Klima ausgeht, aber nichts über das Leben in anderen Teilen der Welt sagt. Zweitens schreiben die Wissenschaftler*innen keinen bestimmten Weg zu diesem Ziel vor. Sie stellen stattdessen mögliche Transformationspfade zur Diskussion: Durch Regulierungen und marktwirtschaftliche Anreize von oben, oder durch gesellschaftliche Erneuerung von unten, durch technologische oder sozio-ökonomische Innovation.

Der Earth-Overshoot-Day oder Welterschöpfungstag – der Tag, an dem die Menschheit alle Ressourcen verbraucht hat, die der Planet in einem Jahr zur Verfügung stellen kann – fällt heuer auf den 29. Juli. Genau aus diesem Anlass wollen wir ein positives Bild einer möglichen Zukunft innerhalb der planetaren Grenzen zur Diskussion stellen.

Die Vision: Österreich im Einklang mit den Pariser Klimazielen

Das Leben hat sich in Österreich in vielfacher Weise verändert und ändert sich noch weiter, denn die bereits umgesetzten und die eingeleiteten Maßnahmen ziehen weitere Veränderungen nach sich. Es hat sich gezeigt, dass Vieles viel leichter ging als erwartet, nachdem der Anfang gemacht war. Manches hat auch mehr Probleme gemacht.

Erneuerbare Energien und Energieeffizienz machen unabhängiger

Erneuerbare, vielfach dezentral genutzte Energiequellen liefern saubere, leistbare Energie und machen das Land wie auch Regionen unabhängiger von Energieimporten. Durch einen Fokus auf hocheffiziente Energiedienstleistungen wurde gleichzeitig die Energieeffizienz gesteigert und der Energiebedarf deutlich gesenkt.

Energieeffizienz lohnt sich, weil Primärenergie teurer geworden ist. Ab einem bestimmten Mindestbedarf wird die einzelne Kilowattstunde umso teurer, je mehr man verbraucht. Das gilt für Haushalte, Handel, Industrie und Gewerbe. Raumplanung, Mobilitätsplanung und die Planung der Energieversorgung erfolgen gemeinsam. Dabei geht man von den Bedürfnissen der Menschen aus. Aus der gewünschten Funktion (z.B. schnell und bequem von zu Hause zur Arbeit zu kommen, oder mit Gütern des täglichen Bedarfs versorgt zu werden, aber auch für die Erfordernisse der Produktion) leitet sich die Gesamtplanung ab. Daraus ergibt sich die die benötigte Menge an Energie, der passende Energieträger und die Form der Bereitstellung. Sektorkopplung zwischen Elektritizät, Wärmeversorgung, Verkehr und Industrie sorgt dafür, dass überschüssige Energie aus einem Sektor in einen anderen Sektor, wo Bedarf besteht, umgeleitet wird.

Das Stromnetz ist dezentral, multidirektional und intelligent. Lebensqualität orientiert sich nicht an Konsum und Profit.

Das Stromnetz hat sich von einem zentralistischen, unidirektionalen zu einem dezentralen, multidirektionalen und intelligenten Stromnetz gewandelt. Strom wird also nicht nur in großen Kraftwerken erzeugt und zentral verteilt, sondern an vielen Stellen auch von Privaten, Gemeinden usw. und kann auch ins Netz eingespeist werden. Gleichzeitig wurde die Verfügbarkeit gesichert und der Schutz vor Cyberkriminalität verbessert. Die Veränderungen waren bereits tiefgreifend und sie gehen noch immer weiter. Es werden stets neue, nachhaltigere Technologien entwickelt. Gleichzeitig werden Lebensstile nachhaltiger und brauchen weniger Energie: Gute Lebensqualität geht vor Profit und Konsum. Die Auswirkungen mancher Änderungen in anderen Sektoren werden erst langsam im Energiesektor spürbar.

Einerseits ist der Strombedarf gestiegen, weil wirtschaftliche Aktivitäten elektrifiziert wurden. Andererseits kam es zu Bedarfssenkungen, z. B. durch bessere Wärmedämmung von Gebäuden, effiziente Mobilität und die klimaschutzorientierte Raumplanung. Viele haben die Ursachen der Klimakrise verstanden und den Wert der Genügsamkeit für das eigene Wohlbefinden wiederentdeckt. Weniger ist oft mehr, und es genügt oft weniger, als man haben könnte.

Man muss kein Auto besitzen, um weiterzukommen.

Neue Raumplanungs- und Mobilitätskonzepte sowie neue Steuermodelle haben den Verkehr verändert: Der Individualverkehr ist zugunsten der aktiven Mobilität (Gehen, Fahrradfahren) zurückgegangen. Der öffentliche Verkehr wurde ausgebaut und auch im ländlichen Raum hat innovative Logistik neue Möglichkeiten eröffnet. Moderne Kommunikationsmöglichkeiten und Konzepte wie Sammeltaxis, Ride & Carsharing und Gemeindefahrzeuge ermöglichen Mobilität ohne eigenes Auto. Die meisten Menschen besitzen keine PKWs mehr, sondern nutzen sie nur noch. Das entlastet die Nutzer*innen nicht nur finanziell, sondern nimmt ihnen auch Verantwortung ab.

Für die Bevölkerung bringt die Veränderung gesundheitliche Verbesserungen durch mehr Bewegung, bessere Luftqualität, weniger Lärm und Stress und mehr Zeit für Beziehungen und bewusstes Leben. Mehr Platz in den Städten ermöglicht mehr Grün zur Dämpfung der Hitze. Der zusätzliche Begegnungsraum macht die Städte sicherer.

Durch lokale Produktion gibt es weniger Güterverkehr.

Der österreichische und europäische Güterverkehr ist zurückgegangen, weil die Wirtschaft sich stärker regional ausrichtet, und die Transporte wurden auf die Schiene verlagert. Der Umbau zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft, die Rücknahmepflicht der Händler und die lokalere Produktion auf Basis von 3D-Druckverfahren haben den internationalen Güteraustausch reduziert.

Für Containerschiffe und Flugfracht gelten strenge Umweltbestimmungen. Ihre Antriebsenergie kommt weitgehend aus erneuerbaren Energieträgern (z. B. Windkraftunterstützung auf See und „Power-to-X“-Treibstoffe, die mit täglichen Überschussmengen von Solarstrom erzeugt werden). Der Lkw-Transport in den Städten läuft elektrisch. Die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen für diese Umstrukturierungen wurden rechtzeitig beschlossen, geplant und installiert, sodass keine Verzögerungen durch fehlende Infrastruktur entstanden sind.

In der Kreislaufwirtschaft halten Gebrauchsgüter länger und können repariert werden.

Gebrauchsgüter sind im Sinn des konsequenten Umbaus zur Kreislaufwirtschaft langlebiger und reparierbar geworden. Die Erzeuger nehmen die Produkte am Ende der Lebenszeit zurück und führen die Komponenten einer Wiederverwertung zu, die die Ressourcen effizient ausnützt. Wichtig ist, dass die Produkte von Anfang an so designt werden, das sie am Ende ihrer Lebenszeit leicht in ihre Bestandteile zerlegt und wiederverwertet werden können. Zugleich werden viele Produkte, nicht nur die legendäre Bohrmaschine, nur noch ausgeliehen – man muss nicht besitzen, was man selten braucht. Das bedeutet einerseits Rückgang der materiellen Produktion und damit Ressourcenschonung, andererseits aber mehr Qualitätsarbeit. Die Qualität und Zahl der Arbeitsplätze hat sogar zugenommen.

Da man weniger Güter kaufen muss, kann man sich auch höhere Preise leisten. Werbemaßnahmen orientieren sich am aktuellen Wissensstand und an der sozialen und ökologischen Herausforderung. Sie dienen nicht dem Mehr-Konsum, sondern einem nachhaltigen Konsum.

Forschung für Nachhaltigkeit wird gezielt gefördert.

Die notwendigen Innovationen für die industriellen Prozesse werden durch zielgerichtete Forschungsförderung beschleunigt. Neue Möglichkeiten der Materialproduktion werden dabei ebenfalls im Auge behalten (z. B. biobasierte Polymere, emissionsärmere Produktion, Kreislaufwirtschaftsinnovationen wie De-Polymerisierung zur effizienten Rohstoffrückgewinnung).

Die Digitalisierung ermöglicht geringeren Ressourcenverbrauch.

Die dynamischen technologischen Entwicklungen, die unter dem Namen Digitalisierung oder „Industrie 4.0“ zusammengefasst werden, wie automatisierte Fahrzeuge, Drohnen- und Blockchain-Technologie, wurden durch gesetzliche Regelungen auf Anwendungen orientiert, die das Einhalten der Klimaschutzziele und der ökologischen Grenzen erleichtern, ohne zusätzlichen Ressourcenverbrauch zu erzwingen.

Neue Perspektiven für Arbeitnehmer*innen werden geschaffen.

Ein zentraler Erfolgsfaktor dafür ist die inzwischen tiefgreifend verankerte, stark regional ausgerichtete Kreislaufwirtschaft, bei der die Potenziale der Digitalisierung nutzbringend eingesetzt werden. Für einige Unternehmen ist in einer klimaemissionsfreien Wirtschaft kein Platz. Deren Arbeitnehmer*innen werden durch politische Begleitmaßnahmen aufgefangen. Ihnen werden durch Re-, Neu- und Umqualifizierungsmaßnahmen neue Perspektiven geboten. Die Transformation wird sozial gerecht („Just Transition“) gestaltet. Generell wird viel mehr Arbeit in Bereichen wie Gesundheit und Pflege, Bildung, Kultur und Sport, aber auch in der Landwirtschaft benötigt.

Anpassung und Widerstandsfähigkeit gegen Extremwetterereignisse werden gefördert.

Die kritische Infrastruktur ist mittlerweile recht gut geschützt gegen Extremwetterereignisse. Diese liegen zwar auch bei einer globalen Erwärmung um 1,5 °C noch deutlich über den aus früheren Zeiten bekannten Ausmaßen, aber man muss nicht mehr fürchten, dass sie von Jahr zu Jahr intensiver werden und länger andauern. Das Klima stabilisiert sich. Bei den notwendigen Umbau- und Klimawandel-Anpassungsmaßnahmen wurde auch auf Herausforderungen in verschiedenen Dimensionen geachtet – wie etwa die gute Anbindung an öffentlichen Verkehr, die Wiederverwendbarkeit von Strukturen, die Rezyklierbarkeit von Komponenten und Gebäuden oder die Einplanung von schattigen Rastplätzen.

Dennoch: Absoluten Schutz vor Unvorhergesehenem gibt es nicht. Die Menschen haben gelernt, sich auf Krisensituationen besser vorzubereiten und mit diesen besser umzugehen. Eine Mindestvorratshaltung ist in Haushalten und in Gemeinden zur Selbstverständlichkeit geworden, ebenso wie regelmäßige Notfallübungen. Die Erkenntnis, dass Resilienz (Widerstands- und Anpassungsfähigkeit) wichtig ist und nicht alles der Forderung nach maximaler Effizienz unterzuordnen ist, hat sich durchgesetzt.

Es gibt mehr Flächen für Bio-Landwirtschaft durch weniger Fleischproduktion.

Biologische Landwirtschaft ist extensiv und braucht größere Flächen. Infolge des geringeren Fleischkonsums wurden dafür die Flächen verfügbar, die zuvor zur Futtermittelproduktion für Rinder, Schweine, Hühner etc. genutzt wurden. Zugleich wurde die rasante Verbauung landwirtschaftlicher Flächen radikal eingeschränkt. Wo immer möglich wird sogar rückgebaut, um die Bodenversiegelungsauswüchse der Vergangenheit wiedergutzumachen. Boden bezieht seinen Wert nun auch durch seine Funktion als Kohlenstoff- und Wasserspeicher.

Ein wesentlicher Beitrag zur Senkung der landwirtschaftlichen Emissionen war die Ernährungsumstellung hin zu saisonaler, biologischer und primär regionaler Nahrung mit deutlich mehr pflanzlichen Produkten und rund 50 % weniger Fleisch. Dazu kam auch eine deutliche Senkung der Lebensmittelabfälle. Düngemittelproduktion und Landnutzungsänderungen konnten zurückgefahren werden. Der geringere Viehbestand senkte den Futtermittelbedarf sowie die Ausgasungen der Wiederkäuer. Die umgestellte Ernährung entspricht viel besser den Vorgaben der WHO bzw. der Mediziner für eine gesunde Ernährung. Da außerdem weniger Rückstände von Pestiziden, Hormonen und Antibiotika in den Körper gelangen, tut sie auch der Gesundheit der Bürger*innen gut .

Der Boden wird als Kohlenstoff- und Wasserspeicher geschützt.

Die 5 bis 10 Prozent verbliebenen Treibhausgasemissionen (im Vergleich zu 2005) werden durch naturverträgliche Kohlenstoffspeicherung in Boden und Biomasse ausgeglichen. Land- und Forstwirtschaft konnten den Aufbau von Humus und Holzbiomasse als Kompensation sicherstellen. Die regenerative, biologische und humusfördernde Landwirtschaft hat die Aufnahmefähigkeit des Bodens auch für das Wasser erhöht, sodass Dürreperioden und Starkniederschläge, die mit dem Klimawandel einhergehen, besser abgepuffert werden können. Die Landwirte haben trotz Klimawandel einigermaßen verlässliche Ernten. Auch kleinere landwirtschaftliche Betriebe finden wieder ein gutes Auskommen, da der Bedarf an land- und forstwirtschaftlichen Produkten ausgeweitet wurde und neuen Formen solidarischer Landwirtschaft und direkter Vermarktung sich immer mehr durchgesetzt haben. In der Bioökonomie haben Kreislauforientierung und Nachhaltigkeit einen festen Platz gewonnen. Es haben sich aufgrund der Kreislaufwirtschaft und innovativer kaskadischer Nutzungen Wege gefunden, die stoffliche Nutzung der Biomasse voranzutreiben, ohne die Kohlenstoffsenken zu reduzieren. Kaskadische Nutzung bedeutet, einen Rohstoff möglichst oft zu nutzen, bevor er zur Energiegewinnung gebraucht wird, z.B. Holz zu Möbeln zu verarbeiten, die alten Möbel umzubauen, schließlich Spanlatten daraus zu machen und erst möglichst spät zur Energiegewinnung zu verbrennen. Die vermehrte Holznutzung in langlebigen Infrastrukturen trägt sogar zur Stabilisierung der Kohlenstoffspeicherung bei. In vielen Bereichen sind auch 2050 noch dynamische Neu- und Weiterentwicklungen im Gange – wesentliche Innovationen sind noch zu erwarten. Diese Innovationen könnten auch für die Energiegewinnung gekoppelt mit aktiver Kohlenstoffspeicherung bedeutsam sein. Dennoch kann die energetische Nutzung von Biomasse – aus Gründen der Knappheit landwirtschaftlicher Nutzflächen und des Schutzes der Biodiversität – nicht das primäre Ziel sein.

Die Gesundheit verbessert sich.

Die Kosten für das Gesundheitssystem, Krankenstände und krankheitsbedingte Frühpensionierungen sind gesunken und sinken weiter, denn die Mobilitäts- und die Ernährungsumstellungen haben das Leben nicht nur weniger riskant, sondern auch gesünder gemacht. Es wurde auch deutlich Druck aus dem Berufsleben genommen.

Das Kapital hat sich aus fossilen Energieträgern zurückgezogen.

Ein wesentlicher Motor für die Transformation war der zunächst langsame, dann aber sich stark beschleunigende Abzug von Kapital aus fossilen Energieträgern (Divestment) und die Investition in erneuerbare Energien und zukunftsfähige, sozial-ökologische Innovationen. Die Investitionen haben sich in deutlich höherem Maße in die Realwirtschaft verlagert, was nicht nur technologische Innovationen in beachtlichem Ausmaß ermöglicht hat und weiter ermöglicht, sondern auch die Stabilität des Finanzmarktes wesentlich erhöht.

Das Bildungssystem fördert Neugier und Kreativität und das Denken in Zusammenhängen.

Das Bildungssystem wurde grundlegend reformiert. Wichtige Erkenntnisse der Hirnforschung, der Psychologie und der Pädagogik der letzten Jahrzehnte fanden Eingang in die Praxis. Die Neugier, Motivation, Individualität und Kreativität der Kinder, Jugendlichen und Studierenden wird stark gefördert. Zudem werden ihre Fähigkeiten interdisziplinäre Brücken zu bauen, in Zusammenhängen zu denken, Lösungen für komplexe Probleme zu finden und das Leben zu gestalten, statt sich lediglich vom Leben formen zu lassen, gezielt gefördert. Das ermöglicht ihnen, von Ressourcen-Ausnutzer*innen zu Potenzial-Entfalter*innen zu werden. Bei der Wissensvermittlung wandert der Schwerpunkt vom Verfügungs- und Handlungswissen hin zu umfassendem, ganzheitlichem und wertbezogenem Orientierungswissen und systemischen, projektbezogenen, kreativen Herangehensweisen.

Die Forschung entwickelt menschengerechte Lösungen.

Eine Zeit lang ist es – angesichts der lebensbedrohenden Entwicklungen der Klima- und Umweltkrise – in der Forschung fast ausschließlich darum gegangen, wissenschaftliche Fragen zu beantworten, die für die Gesellschaft hoch relevant sind. Alle Universitäten und Forschungseinrichtungen haben sich stark daran ausgerichtet. Das alles war unter anderem möglich, weil auch der Staat sich wieder in stärkerem Maße für die Forschung zuständig fühlte. Er förderte gesellschaftlich-transformative Ziele in der Wissenschaft und schränkte wirtschaftliche Einzelinteressen im Forschungsbetrieb ein. Die Wissenschaft hat sich verstärkt auf gesellschaftliche Zukunftsfragen ausgerichtet und bearbeitet inzwischen wieder ein breites, offenes inter- und transdisziplinäres Forschungsspektrum. In der Forschung wird kooperativ und interdisziplinär gearbeitet, von den Naturwissenschaften bis hin zu den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Geisteswissenschaften, Theologie und Kunst. Betroffene werden wo immer sinnvoll von Anbeginn einbezogen (transdisziplinäre Forschung). Allein technologieorientierte Lösungen sind kaum mehr von Interesse. Wesentlich ist es, menschengerechte Lösungen zu finden. Der Status in der wissenschaftlichen Welt hängt nicht mehr primär von Publikationen ab, sondern wesentlich davon, wie die Verantwortung gegenüber der Gesellschaft im Hinblick auf die Nachhaltigkeitswirkung („sustainability impact“) der Forschung wahrgenommen wird. Auf Unabhängigkeit der Forschung und Transparenz in der Forschungsfinanzierung wird großer Wert gelegt. Die Forschung ist so zu einem wahren Motor für die Nachhaltigkeit der Gesellschaft geworden.

Die Schere zwischen Arm und Reich verringert sich.

Alle Maßnahmen im Zuge der Transformation der Gesellschaft wurden jeweils sorgfältig auf ihre sozialen Auswirkungen geprüft und haben dazu beigetragen, dass die Schere zwischen Arm und Reich langsam zuging. Dazu hat eine wirtschaftlich, sozial- und umweltgerechte Steuerreform beigetragen. Sie war eine der ersten und wirksamsten Maßnahmen, die den Menschen mit niedrigen Einkommen einen wesentlichen Teil der Steuereinnahmen auf fossile Brennstoffe als Klimabonus auszahlte und ihnen zeigte, dass zwar die Klimakrise bedrohlich war, nicht aber die Klimaschutzmaßnahmen.

Als diese Steuereinnahmen infolge des geringeren Einsatzes fossiler Brennstoffe zurückgingen, verschafften bereits andere Maßnahmen, wie z. B. verbesserter öffentlicher Verkehr und Ride & Carsharing, den Haushalten wesentliche Entlastungen bei ihren Kosten. Erleichtert wurden staatliche Investitionen, weil die gleichmäßigere Vermögens- und Einkommensverteilung auch zum Sinken der Kosten für den Sicherheitsapparat, das Sozialsystem und das Gesundheitswesen führte. Bildung und Forschung beanspruchen jetzt einen höheren Anteil des staatlichen Budgets, aber diese Mittel sind gut eingesetzt. Geldflüsse aus dem reformierten Finanzsystem und Einsparungen, die sich in anderen Bereichen ergeben haben, entlasten sogar den Staatshaushalt.

Die Bevölkerung nimmt aktiv Teil an den Entscheidungen.

Die Maßnahmen wurden in Teilhabeprozessen unter Einbeziehung der Bevölkerung erarbeitet. Dies hat dazu geführt, dass Interessens- und Zielkonflikte offen ausgetragen werden konnten und gemeinsam nach Lösungen gesucht wurde. Lokalen Besonderheiten und Wünschen, insbesondere hinsichtlich Reihenfolge und Geschwindigkeit der Änderungen, wurde soweit möglich nachgekommen. Das hat sich günstig auf das Demokratieverständnis ausgewirkt und Bürger*innen übernehmen wieder deutlich mehr Verantwortung im gesellschaftlichen Prozess.

Neben der in Österreich schon lange hochstehenden Gesinnungsethik hat sich durch diese Teilhabeprozesse auch eine Verantwortungsethik eingestellt – man weiß nicht nur, was richtig wäre, sondern man tut es auch. Die Politik ist sachorientierter und vorausschauender geworden. Sie darf vorübergehende Verschlechterungen zugunsten klar argumentierter und allgemein verständlicher langfristiger Verbesserungen riskieren, ohne schon bei den nächsten Wahlen abgestraft zu werden.

Wir verbrauchen weniger, doch die Lebensqualität steigt.

Der Konsum-Lebensstandard, gemessen an der Zahl der Autos, Fernsehschirme, Fernreisen etc. ist zwar materiell gesunken, aber die Lebensqualität ist klar gestiegen; die Österreicher*innen sind deutlich zufriedener. Der Transformationsprozess ist nicht abgeschlossen, aber die Bevölkerung nimmt ihn an: Es herrscht Aufbruchsstimmung. In den Bürger*innenräten sind viele Ideen aufgekommen, die zum Teil noch nicht umgesetzt sind, aber viel Potenzial zu weiteren Verbesserungen haben, die weit über die Klimakrise hinausgehen – es wird spannend sein, zu beobachten, wo das noch hinführt.

Und rückblickend auf das Erreichen der Klimaneutralität Mitte 2045 und auf die um 2050 nahezu vollständig erreichte Befreiung von den fossilen Emissionen heißt es zu guter Letzt bei der Jahrhundertfeier auf dem Heldenplatz in Wien am 15. Mai 2055: Österreich ist klimaemissionsfrei!

Fotos: Pixabay
Bearbeitet: M.A. und A.B.


1 Kirchengast, G., Kromp-Kolb, H., Steininger, K., Stagl, S., Kirchner, M., Ambach, Ch., Grohs, J., Gutsohn, A., Peisker, J., Strunk, B. (2019): Referenzplan als Grundlage für einen wissenschaftlich fundierten und mit den Pariser Klimazielen in Einklang stehenden Nationalen Energie- und Klimaplan für Österreich (Ref-NEKP) — Gesamtband, November 2019, 204 S., CCCA Wien-Graz. – Verlag der ÖAW, Wien, Österreich. Online unter: https://ccca.ac.at/refnekp – Creative Commons by 4.0 licence https://creativecommons.org/licenses/by/4.0

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