In der Gemeinde Kremsmünster wurde erstmals ein Entwicklungskonzept gemeinsam mit Bürger*innen erstellt, das sich an den Nachhaltigkeitszielen der UNO orientiert.
Kremsmünster – Eine moderne, zukunftsorientierte Gemeinde
Kremsmünster. Ein Markt mit etwa 6700 Einwohner*innen, im Erscheinungsbild dominiert vom Stift mit seinem markanten mathematischen Turm – ein Ort Gottes und der Wissenschaft. Berühmt durch den Tassilokelch, das Gunthergrab und seine Bibliothek. Ins Benediktinerstift ist ein Stiftsgymnasium integriert. Doch Kremsmünster hat noch eine andere Seite, die hier beleuchtet werden soll.

Als Johannes Tintner-Olifiers Martina Boro kennenlernt, die in der Gemeinde als Sachbearbeiterin für den Bereich „Projekte“ zuständig ist, merkt er schnell, dass die Arbeit in der Gemeinde auch nach 15 Jahren für sie nicht nur ein Beruf ist. Es sprudelt nur so aus ihr heraus: „Kremsmünster war eine der ersten Gemeinden in Österreich, die in Zusammenarbeit mit der oberösterreichischen Zukunftsakademie auch die globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen in das neue Zukunftsprofil eingearbeitet hat. In zahlreichen Workshops wurden möglichst alle Bevölkerungsgruppen eingebunden. Von Volksschulklassen zu Seniorengruppen war alles vertreten. Die ca. 300 Teilnehmerinnen brachten an die 160 Vorschläge ein. Viele nachhaltige Projekte sind daraus bereits entstanden und werden nun umgesetzt.“

Unter diesen Projekten finden sich ein Verkehrskonzept, eine Food-Coop, eine Einkaufsgemeinschaft für Photovoltaikanlagen, eine Aktion „Bäume für Kremsmünster“ und ein Generationenvertrag um den ökologischen Fußabdruck zu senken. 2022 soll ein Kost-nix-Laden entstehen.
Johannes Tintner-Olifiers, bei Scientists for Future eigentlich für die Arbeitsgruppe Veranstaltungen zuständig, lässt diese Geschichte nicht mehr los. Er will mehr wissen und organisiert ein Interview zwischen dem Bürgermeister Gerhard Obernberger, dem Mitarbeiter Gerhard Bruckner und Ines Clarissa Schuster vom °Celsius Blog.
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Entstehung des Zukunftsprofils – Wie alles begann
In Kremsmünster wird bereits seit langem alle 10 Jahre gemeinsam mit der Bevölkerung eine Vision für die nächsten zehn Jahre erarbeitet. Im Jahr 2019 startete zum dritten Mal der Agenda 211 Prozess. Nun kam die Idee auf, die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals, SDGs) als Basis in den Zukunftsprozess zu integrieren. „Dies stellte sich als sehr befruchtend heraus, da diese Ziele den Horizont jedes Einzelnen erweiterten. Früher kam jeder mit seinen persönlichen Anliegen in so einen Zukunftsprozess. Durch das Hinzunehmen der SDGs wurde jedem klar, dass es nicht nur um die individuellen Wünsche geht, sondern machte sich auch Gedanken um die Nachhaltigkeit.“ erklärt der Bürgermeister Gerhard Obernberger2.

„Der Zukunftsprozess wurde von der SPES Zukunftsakademie in Schlierbach mit Frau Sabine Wurzenberger eineinhalb Jahre lang begleitet. Basierend auf den 169 Unterzielen wurden alle Aktivitäten der Gemeinde einzeln bewertet: Wo steht Kremsmünster im Moment und wo gibt es besonderen Handlungsbedarf. Dies gab uns eine gute Struktur. Vor allem waren wir zu großen Teilen beruhigt, da wir feststellen konnten, in vielen Bereichen sind wir bereits sehr gut aufgestellt. Ausgehend von dem erhobenen Ist-Zustand wurde angeregt, wo es Handlungsbedarf gibt. Wichtig war, dass wir nicht nur gemeinsam die übergeordneten Ziele erarbeiten, sondern auch direkt konkrete Maßnahmen definieren, wie diese erreicht werden können. Aus dem Zukunftsprofil-Prozess entstanden zahlreiche Projekte, welche von ehrenamtlichen Projekt-Paten umgesetzt werden.“
Aktuelle Projekte
Food-Coop – „s´Kerbal“
Gerhard Obernberger: „Bei unserer Food-Coop handelt es sich um eine Vereinigung zwischen Produzenten und Konsumenten. Direktvermarkter haben die Möglichkeit ihre Produkte auf einer Plattform einzustellen. Die Konsumenten können bis Dienstag Mitternacht bei verschiedenen bäuerlichen Betrieben bestellen und am Freitag von einem zentralen Ort abholen. Es gibt in der Region um Kremsmünster viele Direktvermarkter, die Produkte hoher Qualität verkaufen. Dazu passend gibt es viele, die bei den Bauern der Region einkaufen wollen. Dank der Food-Coop muss der Konsument nicht von einem zum anderen fahren. So erspart er sich viel Zeit und auch Kilometer mit dem Auto. Es sind bereits 18 Produzenten und um die 150 Konsumenten beteiligt.“3

Generationenvertrag
Gerhard Bruckner ist der verantwortliche Projekt-Pate, der dieses Zukunftsprojekt vorantreibt: „Der Generationenvertrag soll die Menschen motivieren, ihren eigenen CO2-Wert zu bestimmen: Wieviel CO2 brauche ich pro Jahr. Weiters geht es darum, diesen Wert Jahr für Jahr, mit unserer Unterstützung, zu senken. Wenn jeder seinen CO2 -Wert jährlich um 3-4% senkt, dann kommt man bis 2030 zu einem Ergebnis, welches bei dem Pariser Klimaabkommen vereinbart wurde. Wir wollen alle Leute von Klein bis Groß, Vereine, Schulen, etc. motivieren mitzumachen. Alle Teilnehmer bekommen regelmäßige, einfache Tipps wie sie CO2 einsparen können.
Derzeit arbeiten wir daran einen Kindergarten in das System aufzunehmen. Wir bestimmen den CO2 Wert des Gebäudes. Basierend auf der Nutzung überlegen wir, was man einfach ändern kann, um CO2 zu sparen. Auch die Kinder werden mit einbezogen – es gibt zum Beispiel eines, das für das Licht verantwortlich ist und darauf achtet, dass es immer abgeschaltet ist, wenn es nicht gebraucht wird.“
Der Bürgermeister ergänzt: „Auch der Generationenvertrag ist nicht ein Akt des einmaligen Unterschreibens. Der Prozess wird von Gerhard Bruckner und seinem Team begleitet und aktiv unterstützt.“

Nachhaltige Energieversorgung
Als wichtiger Baustein für die Zukunft wurde in Kremsmünster die Energiewende erkannt. Mit der „Einkaufsgemeinschaft Photovoltaik“ soll der Ausbau von PV weiter angekurbelt werden. Im Rahmen des Forschungsprojektes „SCHALTwerk 2030“ wollen wir eine der ersten erneuerbaren Energiegemeinschaften Österreichs in Kremsmünster gründen: „Wir wollen gleich mit einer regionalen Energiegemeinschaft starten, welche jederzeit erweiterbar ist. Zunächst sollen nur ein paar Pilotfirmen teilnehmen. Hier wurden große Verbraucher ausgewählt, zum Beispiel eine Fleischerei und ein Wirtshaus. Zu Beginn wird es einen Einspeiser in diese Energiegemeinschaft geben. Auch diese sollen nächstes Jahr erweitert werden. Das Projekt wird unterstützt von Herrn Thomas Nacht von 4wardenergy, welcher als Konsortialpartner im Projekt Schaltwerk mitwirkt.

Verkehrsgruppe „AktivBewegt“
Die Zukunftsgruppe „AktivBewegt“ arbeitet an Ideen, um den Verkehr stärker auf Fuß und Radwege zu verlagern. „Wir stellten fest, in Kremsmünster besteht 43% des Autoverkehrs aus Binnenverkehr – also Strecken innerhalb des Ortes. Dies wollen wir in den nächsten Jahren unbedingt reduzieren. Wir arbeiten gerade an einer Alltagswege-Karte. Damit wollen wir diverse Schleichwege bekannt machen und den Bewohnern zeigen, oft ist man zu Fuß schneller, als wenn man sich ins Auto setzt und dann Parkplatz sucht. In diesem Bereich ist ein wesentlicher Faktor die Bewusstseinsbildung, damit die neuen Ideen besser angenommen werden.“

Gerhard Bruckner wird in Zukunft zusätzlich den Mobilitätsausschuss der Gemeinde als Sachbearbeiter unterstützen. Dieser erarbeitet mit externen Planern ein umfassendes Mobilitätskonzept, in welches die Ideen der „AktivBewegt“ – Gruppe einfließen. Hier sind auch viele große Projekte geplant, deren Finanzierung erst aufgestellt werden muss, wie zum Beispiel das Errichten einer Begegnungszone.
In den nächsten Monaten wird ein E-Ladestellenkonzept umgesetzt, im Wirtschaftshof wird ein Fahrzeug durch ein E-Auto ersetzt (ein Erdgas-Auto ist bereits in Betrieb), E-Bikes sind als Amtsräder im Einsatz.
Baumpatenschaft
Baumpaten kaufen einen Baum und schauen auch nach der Pflanzung sein ganzes Leben auf den Baum.

Herausforderungen
Ines Schuster: „Im Zukunftsprofil steht zum Thema Bodenschutz: Durch die Stärkung des Zentrums wirken wir der Zersiedelung an den Ortsrändern Kremsmünsters entgegen. Bei Bauvorhaben erschließen wir Flächen sparsam und nachhaltig und gehen sorgsam mit unserem Boden um. Soweit ich weiß, wohnen Menschen, gerade am Land, gerne in Einfamilienhäusern mit eigenem Garten und weniger gern in Wohnungen. Natürlich sind Wohnungen nachhaltiger, im Sinne der Flächennutzung, der Baumaterialien, der Heizenergie, etc. außerdem führt der mehrgeschoßige Wohnbau zu einer höheren Wohndichte was wiederum zu kürzeren Wegen und weniger motorisierter Mobilität führt.
Ist es tatsächlich so, dass in Kremsmünster die Bewohner offener sind und auf die Annehmlichkeiten des eigenen Hauses im Sinne Der Nachhaltigkeit verzichten?“
Gerhard Obernberger lacht: „Wenn es so einfach wäre,… Es ist immer eine Gratwanderung. Natürlich bevorzugen auch die Kremsmünsterer ein Haus. Viele Junge wünschen sich einen Baugrund, um ihr eigenes Heim für ihre Familie zu gestalten. Wenn sie in Kremsmünster keinen passenden finden, ziehen sie in Nachbargemeinden. Wir versuchen durch unseren Prozess der Flächenvergabe der Zersiedelung entgegenzuwirken. Wir gestalten die Grundstücksflächen kleiner und motivieren zu Doppelhäusern und Reihenhäusern. Weiters sind wir dabei den mehrgeschossigen Wohnbau in Kremsmünster auszubauen und attraktiver zu gestalten.“
Gerhard Bruckner ergänzt: „Ein eigenes Haus hat auch viele Nachteile. Es gibt immer Arbeiten und permanent Kosten die auf einen zukommen. In einer Wohnung hat man weniger Verantwortung und ist oft zentraler gelegen, wodurch Besorgungen und der Weg zur Arbeit oder Schule kurz und zu Fuß machbar ist.“
Motivation für weitere Vorreiter
Wir fragen uns natürlich, wie kann so ein umfassender, langwieriger Prozess finanziert werden? Herr Obernberger: „Auf der einen Seite gab es ein Gemeindebudget für diesen Prozess. Andererseits gibt es für so einen Agenda 21 Prozess eine Landesförderung welche 2/3 der Kosten abdeckt. Als Gemeinde haben wir uns zusätzlich um die Verpflegung und Lokalitäten gekümmert, damit sich alle Teilnehmer wohl fühlen und wahrnehmen, wie wichtig uns der Prozess ist. Alle Mitwirkenden sollen spüren, ihre Arbeit wird Früchte tragen. Diese Workshops waren nicht einmalige Events, wonach die Ergebnisse in der Schublade landen, sondern es gibt weiterfolgende Projekte in denen Maßnahmen umgesetzt werden. Das gemeinsam erarbeitete Zukunftsprofil ist die Bibel für die nächsten 10 Jahre, die bei all unseren Entscheidungen immer mitschwingen wird.“
Der Bürgermeister ist überzeugt: das Inkludieren aller Bedürfnisse der Menschen ist das Erfolgsrezept für jede Umsetzung in Gemeinden: „Wir müssen bei jedem Einzelnen ankommen. Sonst können wir verordnen was wir wollen, das wichtige ist, dass es angenommen wird. Jedem der selbst am Entstehungsprozess aktiv beteiligt war, ist das Ganze ein viel größeres Anliegen. Er wird darüber reden, sich im Familien- und Bekanntenkreis dafür einsetzen und die Ergebnisse vertreten.
Wenn Menschen finale Beschlüsse vorgegeben bekommen, dann meinen sie oft, sie hätten selbst alles besser gewusst und anders gemacht. Auf diese Weise sind alle selbst am Prozess beteiligt. Mir gefallen die Diskussionen so gut: Der Eine hat diese Idee, der Andere hat eine andere Idee und gemeinsam müssen sie an einer gemeinsamen Idee arbeiten, einen Konsens finden. Durch diesen Prozess, der dabei durchgangen wird, habe ich die Leute im Boot.“
Auszeichnung SDG Award
Das erfolgreiche Engagement zur Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele wurde mit der Auszeichnung des „SDG-Award“ welche der „Senat der Wirtschaft“ Ende 2021 an Kremsmünster verlieh, bestätigt.
Kremsmünster zeigt, dass auf der Ebene der Gemeinde viel erreicht werden kann, weil hier demokratische Prozesse überschaubar sind. Hier können Menschen von Angesicht zu Angesicht zusammenkommen, miteinander reden und individuelle Interessen mit gemeinsamen Zielen koordinieren. Demokratie ist eben mehr als gelegentliches Abstimmen über von oben vorgelegte Programm und Konzepte. Auch für größere Städte, auf Landes- und Bundesebene wäre hier einiges zu lernen, wenn auch die konkreten Umsetzungen anders aussehen müssten.
Doch auch in Kremsmünster sind die Mühen der Ebene zu spüren. Der Prozess dauert, so etwas geht nicht von heute auf morgen. Und eigentlich müsste er nicht hunderte, sondern tausende Menschen erreichen. Nicht alle machen auf Anhieb mit, es gibt auch Vorbehalte. Bürgermeister Gerhard Obernberger erklärt: „Wir als Gemeinde sind bereit, Vorreiter zu sein und Schritte zu gehen, die vielleicht andere erst überlegen.“
Für Menschen, die einen ähnlichen Prozess in ihrer Gemeinde oder ihrem Bezirk anstoßen wollen: Der gesamte Prozess ist auf der Seite der Marktgemeinde Kremsmünster ausführlich dokumentiert, es gibt eine Kurz- und eine Langfassung des Zukunftsprofils, den Generationenvertrag und Protokolle der verschiedenen Info-Abende, Zukunfts-Stammtische, Bürger*innen-Cafés und – besonders lesenswert – des Bürger*innenrats.
Gesichtet: Martin Auer
Titelbild: Isiwal via Wikimedia Commons CC BY-SA
1 Agenda 21 ist ein Aktionsprogramm der Vereinten Nationen. Von 178 Staaten auf der Konferenz für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen (UNCED) in Rio de Janeiro 1992 beschlossen, setzt es Leitlinien für das 21. Jahrhundert, vor allem zur nachhaltigen Entwicklung. An dieser Konferenz nahmen neben Regierungsvertretern auch viele nichtstaatliche Organisationen teil. (Wikipedia)
2 Der gesamte Prozess wurde ausführlich dokumentiert. Die Protokolle von jedem einzelnen Workshop, Zukunftsstammtisch und Bürger*innnenrat sind auf der Webseite von Kremsmünster zu finden ebenso wie die Kurz- und Langfassung des Zukunftsprofils und Fotos von den diversen Veranstaltungen: https://www.kremsmuenster.at/Gemeinde_Service/Gemeindepolitik/Zukunftsprofil_2020
3 Ein ausführliches Video zur Food-Coop gibt es auf Facebook.
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