Liebe Letzte Generation…

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Lesedauer 5 Minuten.   

Martin Auer, AG Öffentlichkeitsarbeit

Liebe Letzte Generation, ihr habt euch also aufgelöst. Schade! Das sage ich als einer, der Verständnis für euren Zorn und eure Motive hat, aber nicht alle eurer Aktionsformen für besonders zielführend hält. Nur damit das geklärt ist. Warum finde ich es schade? Weil, wenn ihr euch einfach nur auflöst und das Handtuch werft, der Bewegung für eine klimagerechte Welt eure Energie fehlen wird. Vielleicht wäre ein Pause der Selbstbesinnung und Reflexion die bessere Wahl gewesen.

Dass ihr, wie ihr in eurem Brief schreibt, „keine Perspektive für Erfolg mehr“ seht, stimmt mich traurig. Und ich fürchte, eure Resignation könnte auf einen Teil der Bevölkerung, vor allem der Jugend, ansteckend wirken.

Die Gesellschaft hat versagt? Wirklich, die Gesellschaft?

„Die Gesellschaft hat versagt“, schreibt ihr. Das ist ziemlich pauschal. In eurer Grundsatzerklärung, die dem Brief (immer noch?) angeschlossen ist, heißt es, ihr fordert, dass die Empfehlungen des Klimarats umgesetzt werden, beginnend mit der Einführung des Grundrechts auf Klimaschutz. Wenn dieser Klimarat ein repräsentativer Querschnitt durch die österreichische Gesellschaft ist, wie kann man dann behaupten, die Gesellschaft habe versagt? Daraus, dass die Empfehlungen des Klimarats nicht umgesetzt werden, folgt eher, dass mit unserer Demokratie etwas nicht stimmt.

Fossile Ignoranz?

„Wir sehen ein, dass Österreich weiter in fossiler Ignoranz leben will“. Da stimme ich nicht zu. In allen Umfragen der letzten Zeit zeigt sich, dass die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung den Klimawandel als eine Bedrohung empfindet und auch der Meinung ist, dass er menschengemacht ist: „77 Prozent der Befragten sind sehr oder eher davon überzeugt, dass es durch Menschen verursachten Klimawandel gibt und sie selbst seine negativen Auswirkungen noch miterleben werden.“ (Umfrage im Auftrag des Umweltministeriums 2020 und 2021). Das ist weit entfernt von fossiler Ignoranz. Es scheint eher so zu sein, dass ein Großteil der Bevölkerung sich zwar der Bedrohung bewusst ist, aber das Ausmaß der Bedrohung noch nicht erkannt hat und nur eine vage Vorstellung davon hat, welche Maßnahmen tatsächlich den Kollaps verhindern können. Für die meisten beschränkt es sich auf recyceln, regional einkaufen, Ökostromvertrag abschließen und die Gasheizung gegen Fernwärme austauschen. Ein Symptom für diese Verbindung von Wunsch nach Klimaschutz und wenig Wissen ist das ungeheure Ausmaß von Greenwashing, das sich durch alle Bereiche der Wirtschaft zieht. Jede Firma brüstet sich mit angeblich oder wirklich klimaneutralen Produkten. Warum? Weil die angeblich so ignorante Bevölkerung klimaneutrale Produkte haben will. Jetzt geht es darum dafür zu sorgen, dass die Produkte wirklich klimafreundlich werden.

Es geht nicht mehr nur ums Aufrütteln

Es geht nicht so sehr ums Aufrütteln, es geht viel eher um die Verbreitung von konkretem Wissen. Wissen darüber, wie radikal und wie umfassend die Maßnahmen sein müssen, um die Katastrophe abzuwenden und wie diese Maßnahmen in der Realität aussehen können. „Hört auf die Wissenschaft!“ muss noch immer das Motto sein. Laut einer Umfrage vom letzten Jahr, die im Standard veröffentlicht wurde, sind nämlich 31 % der Befragten der Meinung, dass in Österreich „genug“ Maßnahmen gegen den Klimawandel getroffen werden. Das ist bedenklich. Aber 42 % meinen, dass Österreich „zu wenig“ Maßnahmen gegen den Klimawandel setzt. Unter Menschen mit Präferenz für die ÖVP sind 52 % mit den Maßnahmen zufrieden, aber auch hier wollen 31 % „mehr“ Klimaschutz.

Es ist eine Unzulänglichkeit solcher Umfragen, dass mit „genug“ oder „zu wenig“ nichts über die Art der notwendigen Maßnahmen ausgesagt wird; ob die Menschen CO2-Bepreisung befürworten oder Obergrenzen für Luxuskonsum oder eine Entwicklung zur autofreien Stadt, kommt hier nicht zum Ausdruck.

20 % der Befragten meinten allerdings, dass in Österreich „zu viele“ Maßnahmen gegen den Klimawandel gesetzt werden. Diese Meinung herrscht eher bei Männern vor (24 %), bei Menschen über 50 (24 %), bei Menschen mit einfacher Bildung (25 %) und vor allem bei Menschen mit Affinität zur FPÖ (49 %). Hier konzentriert sich die „fossile Ignoranz“, und zwar die bewusst gesteuerte, durch Falschinformationen befeuerte Ignoranz, die das ganze Gemisch aus Halbwissenschaft, Scheinwissenschaft und purem Unsinn nachplappert, das von der fossilen Industrie finanzierte Klimaleugnerthinktanks wie EIKE oder das Heartland Institute verbreiten.

Der Unterschied zwischen nicht können und nicht wollen

Der Regierung Inkompetenz in Klimafragen vorzuwerfen, verkennt die Tatsachen. Erstens sitzt in der Regierung eine in Klimafragen sehr kompetente Umweltministerin, die unter anderem mit ihrer Stimme und gegen den Willen des Koalitionspartners der EU Verordnung zur Wiederherstellung der Natur zum Durchbruch verholfen hat. Das hätte sie wohl nicht wagen dürfen, wenn sie nicht gewusst hätte, dass sie dabei 80 Prozent der österreichischen Bevölkerung hinter sich hatte. Und diese 80 Prozent sind nicht von selber gekommen. Ein offener Brief von 170 Wissenschaftler:innen, eine Petition mit 23.000 Unterstützer:innen, Demonstrationen mit Stellungnahmen von Wissenschaftler:innen haben ihr den Rücken gestärkt und Diskussionen an der Basis der SPÖ haben zu einem Umlenken des Wiener Bürgermeisters geführt. Ohne die gesellschaftliche Diskussion, die ihr – schon vergessen? – mit eurer Besetzungsaktion in Gang gesetzt habt, hätte sie auch den Bau des Lobautunnels nicht absagen können.

Auf der anderen Seite haben wir den Koalitionspartner. Und dem würde ich auch keine Inkompetenz diagnostizieren. Denn es liegt nicht daran, dass er nicht kann, sondern dass er nicht will. Genau so gut könnte man der Wirtschaftskammer Inkompetenz vorwerfen. Die Wirtschaftskammer macht ihre Sache sehr gut, nur ist es eben nicht unsere Sache sondern die Sache der „Wirtschaft“, oder gar nur eines Teils davon.

Statt jedem, der nicht unserer Meinung ist, Ignoranz, Dummheit oder Inkompetenz vorzuwerfen, sollten wir analysieren, welche Interessen hinter den einzelnen politischen Kräften stehen, wo die fossile Industrie ihre Finger drin hat, mit allen, die von ihr abhängig sind, von Autozulieferern bis zu Straßenbauunternehmen, wo ausländische Mächte auf Fake News setzen, wo die Marketingabteilungen die Konsument:innen in die Irre führen und so weiter.

Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die befürchten, dass Klimaschutzmaßnahmen ihre Arbeitsplätze gefährden und/oder die Lebenshaltungskosten erhöhen. Diese Menschen gilt es aufzuklären. Ein wichtige Rolle kommt dabei der größten zivilgesellschaftlichen Organisation überhaupt zu, den Gewerkschaften. Und die Klimabewegung hat in der letzten Zeit ihre Beziehungen zu den Gewerkschaften verstärkt. Das ist einer der vielen Hebel, die angesetzt werden können.

Die Emissionen sinken endlich, aber nicht von selber

Und dann bitte, überseht nicht: In den letzten beiden Jahren sind die Emissionen in Österreich um 11,1 Prozent gesunken und liegen erstmals unter dem  Niveau von 1990 und zwar um 14 Prozent. Das ist zum Teil auf Faktoren zurückzuführen wie einen milden Winter, ein Jahr wirtschaftlicher Flaute, und gestiegene Energiepreise in Folge des Ukrainekriegs. Aber nur zum Teil, wie die Berechnungen des Wegener Instituts zeigen. Zum anderen Teil sind diese Emissionseinsparungen auf Maßnahmen auf allen Ebenen, von einzelnen Bürger:innen, von Gemeinden, Industriebetrieben und dem Staat zurückzuführen. Und daran, dass sich das Bewusstsein für die Notwendigkeit solcher Maßnahmen verbreitet hat, hat die Klimabewegung ihren nicht zu unterschätzenden Anteil. Es ist einfach nicht gerechtfertigt zu sagen: „Es nutzt eh alles nix, alle haben versagt.“ Im Gegenteil: Wir müssen auf diesen Abwärtstrend hinweisen, wir müssen sagen: „Schaut her, es geht. Aber es geht nicht von selber. Wir müssen diesen Trend aktiv verstärken!“

Die Klimabewegung findet nicht nur auf der Straße statt

Der Kampf um Klimagerechtigkeit findet eben nicht nur auf der Straße statt, er muss in die Schulen, die Betriebe, in die zivilgesellschaftlichen Organisationen von der freiwilligen Feuerwehr bis zur Kirchengemeinde hineingetragen werden, er muss in den Universitäten und in den Parteien geführt werden, beim Gespräch in der Familie und beim Anstellen an der Supermarktkasse, in den sozialen Medien, durch Druck auf die kommerziellen Medien, durch juristische Mittel (Klimaklagen) und auch durch Lobbying bei der Politik. Und Aufklärung darf sich nicht nur auf die wissenschaftlichen Fakten beschränken, auf Parts per Million CO2 und den Methanausstoß von Wiederkäuern, sie muss auch die wirtschaftlichen und Machtinteressen aufdecken,die hinter politischen Entscheidungen stehen und sie muss die gesellschaftlichen Veränderungen umfassen, die notwendig sind, um ein klimafreundliches Leben zu ermöglichen. Das heißt: „Hört nicht nur auf die Klimawissenschaft, hört auch auf die Sozialwissenschaften“. Der APCC Special Report „Strukturen für ein klimafreundliches Leben“ fasst zusammen, welche möglichen Wege zur Umgestaltung der Gesellschaft die Sozialwissenschaften in Österreich aufzeigen. Das sind vielfältige und schwierige Aufgaben, die einen langen Atem und viel Mut und Einsatzbereitschaft erfordern. Aber nur so kann es gelingen, dass einmal nicht Hunderte und Tausende, sondern Hunderttausende auf die Straße gehen und ein menschenwürdiges, gutes, gesundes und sicheres Leben für alle einfordern.

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