Anja Westram, AG Öffentlichkeitsarbeit
Die Letzte Generation war umstritten. Eines hat sie aber auf jeden Fall erreicht: Durch ihren Mut war das Klima immer wieder in den Schlagzeilen. Sollten wir Wissenschaftler:innen in einer „Aktivismus-Landschaft“ ohne LG erst recht laut werden, zu neuen Aktionsformen greifen, sogar auf zivilen Ungehorsam setzen? Oder zeigt das Ende der LG, dass man mit ihren Ansätzen am Ende nicht weiterkommt? Ich weiß es nicht. Was ich aber weiß, ist, dass wir so viele Menschen wie möglich brauchen, die sich irgendwie für Klima- und Biodiversitätsschutz einsetzen. Wir können und müssen uns wahrscheinlich nie völlig einig sein, was die „beste“ Aktionsform angeht – Hauptsache, wir gehen die Krise auf vielfältige Weise an. Dazu braucht es Teilnehmende an Demos und öffentlichkeitswirksamen Aktionen, aber genauso auch Leute, die Informationen auswerten und allgemeinverständlich aufbereiten, Kampagnen entwickeln, mit Schulklassen arbeiten, hinter den Kulissen organisieren, Menschen vernetzen.
Trotz dieser vielen Möglichkeiten engagieren sich die meisten Wissenschaftler:innen nicht, auch wenn ihnen Klima und Biodiversität am Herzen liegen. Ich glaube, ein Grund dafür ist die fehlende Zeit und Energie – Wissenschaftler:innen stehen oft unter enormem Druck. Ein weiterer Grund: die Vorstellung, dass wir nicht politisch agieren „dürfen“ und die Angst, Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Beide Gründe hängen damit zusammen, was wir als Wissenschaftler:innen als unsere Aufgabe in der Gesellschaft betrachten. Viele von uns glauben, unsere Aufgabe sei es, zu forschen, zu lehren und in wissenschaftlichen Zeitschriften zu publizieren (letzteres so viel wie möglich!). Das ging mir lange Zeit genauso. Aber ich finde, es ist an der Zeit, das zu überdenken. Wir befinden uns in einer Krise. Die Klima- und Biodiversitätskrise bedroht unsere Lebensgrundlagen (und damit im Übrigen auch die zukünftige Finanzierung der Wissenschaft und die Leserschaft unserer Paper…). Warum nehmen wir eigentlich an, dass das, was wir unter „normalen“ Umständen so machen, auch mitten in einer Krise angemessen ist? Krisen erfordern Veränderung – und dass diejenigen, die zur Bewältigung beitragen können, ihre Tätigkeiten verlagern. In anderen Krisen (z.B. Corona) schien das offensichtlich.
Und wir als Wissenschaftler:innen gehören nun einmal zu denjenigen, die etwas beitragen können. Denn bei der Biodiversitäts- und Klimakrise geht es zu einem großen Teil um die (fehlende) Akzeptanz, Vermittlung und Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Wir sind Expert:innen darin, die Bedeutung von Daten zu verstehen, Informationen zu überprüfen und zu präsentieren und logische Schlussfolgerungen von Wunschdenken zu unterscheiden. Auch diejenigen unter uns, die nicht direkt im Bereich Klima, Natur oder Nachhaltigkeit arbeiten, kennen sich damit besser aus als die meisten Nicht-Wissenschaftler:innen.
Deshalb kann es nicht unsere einzige Aufgabe sein, immer mehr (Grundlagen)wissen anzuhäufen und so viele Publikationen zu schreiben wie möglich. Es muss jetzt Teil unseres Jobs – nicht unserer Freizeit – sein, sich für die Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse im politischen Handeln einzusetzen, Menschen über die Auswirkungen von Biodiversitäts- und Klimakrise zu informieren und Desinformation zu entlarven. Das heißt: Diese Aktivitäten sollten im wissenschaftlichen System genauso honoriert werden wie wissenschaftliche Publikationen. Das liegt natürlich vor Allem in der Verantwortung derer, die fest angestellt sind und wenig negative Konsequenzen zu erwarten haben, wenn sie sich für einen Wandel unseres „Wertesystems“ einsetzen. Und natürlich stelle ich mir das nicht so vor, dass wir Demoteilnahmen im Lebenslauf ähnlich „zählen“ wie wissenschaftliche Publikationen. Aber es gibt eben noch sehr viel dazwischen, das in den Zuständigkeitsbereich von uns Wissenschaftler:innen fällt, und das man leicht z.B. bei Personalentscheidungen berücksichtigen könnte .Je mehr wir unsere Rolle als Wissenschaftler:innen überdenken, umso mehr können wir bewirken; und umso weniger gibt es Grund, die Hoffnung zu verlieren.
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