von Marco Sulzgruber
Immer wieder werden in der öffentlichen Debatte um die Klimakatastrophe Technologien angepriesen, die zumindest auf den ersten Blick helfen können, den globalen Kohlendioxid (CO2)-Ausstoß deutlich zu verringern. Zuletzt sorgte die Kernfusion für Schlagzeilen, im letzten Jahr war aber auch die Abscheidung und Lagerung von CO2 ein Thema in den Medien.
Bei diesen Entwicklungen ist grundsätzlich Skepsis angebracht: Übertriebenes Vertrauen in neue, noch nicht ausgereifte Technologien kann den Kampf gegen den Klimawandel bremsen. Genauso gefährlich wäre es aber, wissenschaftliche Errungenschaften außer Acht zu lassen, wenn sie tatsächlich einen Beitrag zur Eindämmung der Klimakatastrophe leisten können.
Wir haben uns mit Professor Tobias Pröll von der Universität für Bodenkultur Wien getroffen, um mit ihm über Carbon Capture (ein Verfahren zur Reduzierung von CO2-Emissionen) und Negative Emission Technologies (Ansätze zum Entnehmen von Treibhausgasen aus der Atmosphäre) zu reden. Im ersten Teil des Interviews erklärt er, wie klassische und neuere Prozesse helfen können, industrielle CO2-Emissionen direkt beim Erzeuger zu verringern, wo das Sinn macht, welche Irrwege es gibt und was Politik und Wirtschaft in seinen Augen tun müssten, um den Anschluss an andere Länder nicht zu verpassen.
Celsius: Was ist Ihrer Meinung nach das wichtigste Anliegen bei dem Thema Carbon Capture und vergleichbare Technologien?
Tobias Pröll: Wichtig ist mir bei diesen Sachen immer, dass man den Zeithorizont betrachtet und dass man Dinge nicht vermischt. Ich leide darunter, dass in der öffentlichen Diskussion Dinge grob fahrlässig vermischt werden, zum Beispiel, wenn wir über Kohlendioxid-Abscheidung und Speicherung sprechen: Es ist ein Unterschied, ob man Kohlendioxid aus einem Industrieprozess, oder einem Kraftwerk abscheidet, oder aus der Umgebungsluft; wenn man das vermischt, dann tut man der ganzen Sache eventuell nichts Gutes.
Auch die Energie muss man immer mitdenken. Energie kann man nicht sehen, aber es ist natürlich nicht egal, ob ein Prozess sehr viel erneuerbare Energie, zum Beispiel Überschussstrom oder grünen Wasserstoff verbraucht oder nicht. In der Diskussion wird oft davon ausgegangen, grüner Wasserstoff wäre verfügbar, so als würden wir jetzt an Lösungen für 2050 arbeiten. Aber wir sind jetzt in einer fossilen Realität, wo wir uns global zu 80 % durch Kohle, Öl und Erdgas mit Energie versorgen. Und in dieser Realität muss man anders argumentieren als in einer Realität, wo wir vielleicht in 30 Jahren sein werden, wo man dann tatsächlich technisch verfügbare Überschüsse an erneuerbarer Energie zur Verfügung haben wird.
Celsius: Eine Sache, die wohl auch oft vermischt wird, bei Carbon Capture: Das hört sich so an, als würde man Kohlendioxid aus der Umgebungsluft herausfiltern, aber das ist nicht so. Also, was ist denn Carbon Capture eigentlich?
Tobias Pröll: Das klassische Carbon Capture and Storage (CCS) setzt so, wie es auch thermodynamisch vernünftig ist, dort an, wo bereits Kohlendioxid konzentriert vorliegt, also überall dort, wo wir klassischerweise die fossilen Energieträger Kohle, Öl und Gas verwenden. Das passiert zu über 90 % zur Energiebereitstellung, auch in der Industrie. Dort entsteht CO2 im Abgas, wo die Konzentration um einen Faktor 100 bis 500 höher ist, als in der Umgebungsluft. Technisch ist es so: Je geringer die Konzentration in der Quelle ist, desto energieaufwendiger ist es, das herauszuholen.
Celsius: Genauso wie man sich vorstellen kann, bei der Gewinnung von Rohstoffen im Bergbau wird man auch da anfangen, wo eine besonders reiche Ader von diesem Rohstoff vorhanden ist.
Tobias Pröll: Richtig, und darum ist eben vor 20 Jahren begonnen worden davon zu sprechen bei Kraftwerken, aber auch bei Industrieprozessen, CO2 abzuscheiden. Auch vom IPCC gab es einen „Special Report On Carbon Capture and Storage“ im Jahr 2005[1]. Was die Abscheide-Technologie, den Transport des CO2 und die Lagerstätten betrifft, hat sich seit damals Vieles in der Substanz nicht verändert.
Celsius: Wie kann man sich diesen Prozess technisch vorstellen?
Tobias Pröll: Das Energieaufwändigste ist das Aufkonzentrieren von CO2 aus dem Abgasstrom. Der Transport hat dann hohe Anforderungen an die Reinheit dieses Kohlendioxids, da sollten keine korrosiven Stoffe dabei sein, zum Beispiel auch kein Wasser. 75% der Kosten vom CCS sind beim Capture, das ist natürlich nur wirtschaftlich bei großen Punktquellen wie Industriekombinaten oder Kohlekraftwerken, wobei letztere sich sehr einfach substituieren lassen. Die sollten wir gar nicht mehr betreiben.
Zur Frage nach den Technologien: Da gibt es verschiedene Ansätze. Die große Gruppe, die auch am weitesten fortgeschritten sind, sind die sogenannten Post-Combustion Capture Verfahren. Da wird aus dem Abgas CO2 selektiv herausgeholt und das passiert klassisch mit flüssigen Waschverfahren. CO2 reagiert sauer und wird von basischen Lösungsmitteln selektiv zurückgehalten – auf der anderen Seite wird mit Wasserdampf ausgekocht und dort erhält man dann ein Wasserdampf-CO2-Gemisch. Nach Kondensation des Wasserdampfs hat man reines CO2. Man sieht schon, man braucht für diesen Prozess zusätzliche Energie. Um in einem Kraftwerk zum Beispiel die gleiche Menge elektrische Energie zu produzieren, braucht man ungefähr 20 bis 25 % mehr Brennstoff.
Celsius: Und das heißt, es kommt auch am Ende 25% mehr CO2 heraus, das zwar jetzt nicht in die Atmosphäre abgegeben, sondern aufgefangen wird und dann muss man irgendetwas damit machen.
Tobias Pröll: Richtig. Und das ist auch ein wesentliches Argument, der Kritiker:innen der Technologie, dass das eigentlich in die falsche Richtung geht: Ich brauche dann noch mehr von dem fossilen Brennstoff um die gleiche Menge Nutzen zu erzielen. Es gibt da ein Kohlekraftwerk in Kanada, da ist eine große Anlage in Betrieb und man sieht das auch am Foto, wie riesig diese Waschanlagen sind, wo man schon erahnen kann, wie teuer das ist.
Celsius: Wie sieht es mit den anderen Verfahren aus?
Tobias Pröll: Es gibt noch andere Verfahren, die alle ihre Vor- und Nachteile haben und es ist nicht eindeutig, welche „besser“ sind. Es gibt Pre-Combustion Capture, da dekarbonisiert man den Brennstoff. Zum Beispiel kann aus Erdgas CO2 und Wasserstoff erzeugt und der Wasserstoff dann als Energieträger genutzt werden.
Ein dritter Ansatz wäre, Luft in Sauerstoff und Stickstoff aufzutrennen und dann mit reinem Sauerstoff zu verbrennen, da spricht man von Oxifuel Combustion. Dann muss man aber mit Sauerstoffüberschuss arbeiten und bekommt nie zu 100% reines CO2 heraus. Aber auch diese Oxifuel Technologien haben sich letztendlich bis heute nicht im kommerziellen Maßstab durchgesetzt.
Dann gibt es noch Emerging Technologies, an denen ich auch die letzten 15 Jahre mitforschen durfte. Das Ziel ist, den Energieaufwand deutlich zu verringern: Bei den bisher genannten Technologien muss man immer Gase von Gasen trennen, ob das jetzt CO2 aus dem Abgas ist, oder Sauerstoff aus der Luft. Das ist einfach viel Arbeit und wirkt sich auf den Energieverbrauch aus. Da gibt es interessante Technologien, wie Chemical Looping Combustion, wo man von Anfang an die Vermischung von Brennstoff und Luft vermeidet, und daher auch nicht entmischen muss. Dabei wird zum Beispiel ein Metall in einem Luftreaktor verbrannt, nimmt also Sauerstoff auf, gibt diesen im Brennstoffreaktor wieder ab und ermöglicht so, dass der Brennstoff zu CO2 und Wasserdampf oxidiert. In der Theorie ist das sehr schön, man hat keine sogenannte Energy-Penalty (keine zusätzliche Energie, die aufgebracht werden muss, um die gleiche Leistung zu erzielen, Anm.). An dem Prozess haben wir viel geforscht, es ist nicht so leicht, den Brennstoff vollständig zu oxidieren, wie wenn man das direkt mit Luft macht; sehr gut funktioniert dieser Luftreaktor, also das Rückoxidieren vom Metalloxid, dort wird auch die Wärme frei. Das wäre eine Emerging Technology, an der große Hoffnungen hängen.
Celsius: Jetzt haben all diese Prozesse gemeinsam, dass man dann am Ende reines oder fast reines CO2 hat, das irgendwie gelagert werden muss. Wie macht man das und wie stellt man sicher, dass dieses CO2 auch langfristig nicht entweicht?
Tobias Pröll: Es ist natürlich keine Option, das CO2 in großen Tanks zu lagern, sondern man müsste es in geologische Formationen verbringen, um es wirklich vom kurzfristigen Kohlenstoffkreislauf wegzusperren. Die muss man sich so vorstellen, wie die Öl- und Gaslagerstätten, wo das Erdgas auch herkommt. Weil das CO2 sauer ist, würde es mit dem Gestein, das sehr häufig basische Mineralien enthält, reagieren und wäre dann dort gebunden. Für solche Lagerstätten haben wir weltweit riesige Potentiale, allein unter dem Nordseegrund ungefähr in 1000 m Tiefe gibt es poröse Formationen, wo seit Ende der 1990er Jahre CO2 testweise eingebracht wird. Die Formation ist sehr gut untersucht, sie könnte für mehrere Jahrzehnte den gesamten europäischen CO2-Ausstoß aufnehmen, das ist off-shore, da gibt es keine Anrainer, die Bedenken haben müssten, dass dort das Grundwasser versauert wird oder dergleichen.
Celsius: Wie würde der Transport zu diesen Lagerstätten funktionieren?
Tobias Pröll: Das wäre auch in dem Bericht aus 2005 sehr schön drinnen: Es gibt sehr viel Erfahrung mit dem Transport von CO2 aus den USA, wo das CO2 zum Beispiel mit Pipelines über tausende Kilometer aus Texas nach Wyoming gebracht und dort für tertiäre Ölförderung verwendet wird. Das bräuchten wir nicht mehr entwickeln, es ist einfacher, CO2 zu transportieren, als Erdgas.
Auch das Pressen in die Lagerstätten ist übrigens für die Öl- und Gasindustrie Standard. Wir hatten schon in den 1980er Jahren ein Erdgasfeld in Österreich, wo das Erdgas bereits CO2 enthalten hat. Da hat man das CO2 abgetrennt und wieder in die gleiche Lagerstätte hineingebracht, um den Druck aufrecht zu erhalten. Irgendwann hat sich dann der CO2-Gehalt an dem Bohrloch so sehr erhöht, dass das Ganze nicht mehr wirtschaftlich war und dann hat man das verschlossen.
Celsius: Wie sehen Sie die Lage in Österreich, was die Verbreitung dieser Technologien angeht?
Tobias Pröll: Wenn Sie mich nach CCS fragen, dann ist Österreich nach wie vor im Dornröschenschlaf. Es wurde 2011 die Lagerung von CO2 verboten, aufgrund von Sicherheitsbedenken der Bevölkerung, was als politische Entscheidung nachvollziehbar ist. In Österreich wird stark das Thema Kohlendioxidabscheidung und Weiterverwendung gepusht, also Carbon Capture and Utilization (CCU). Da muss man aber immer überlegen, ob sich der hohe Aufwand für die Abscheidung lohnt. Wenn man diesen Aufwand betreibt und das CO2 weiterverwendet, indem man es in ein kurzlebiges Produkt umwandelt, zum Beispiel in Harnstoffdünger, der auf dem Feld eine Halbwertszeit von wenigen Tagen hat, dann ist das CO2 erst recht wieder in der Atmosphäre. Wenn das der Effekt ist, man aber das Zertifikat gutgeschrieben bekäme, für so eine Maßnahme, dann wäre das Greenwashing.
CCU ist aus meiner Sicht sehr mit Vorsicht zu genießen. Es ist auch ein Versuch, die gesamte Forschung in dem Bereich und das Interesse der Industrie nicht abzuwürgen, aber gleichzeitig das politische Problem der Lagerung zu umschiffen. Die Hoffnung ist, dass trotzdem technologische Entwicklungen möglich sind, die dann auch für wahrscheinlich klimarelevantere CCS von Nutzen sind. Das heißt politisch ist es in Österreich derzeit so: CCS wird herumgereicht, wie eine heiße Kartoffel; CCU wird derzeit breit ausgerollt.
Celsius: Was müsste oder könnte Ihrer Meinung nach die Politik tun, damit es ein Umdenken in Bezug auf das CCS gibt?
Tobias Pröll: Ich hielte es für dringend angeraten, Möglichkeiten zu untersuchen und Infrastruktur aufzubauen, um CO2 von Standorten in Österreich zu europäischen CO2-Entsorgungszentren zu bekommen. Die entstehen gerade in Hamburg, in niederländischen Häfen oder entlang der norwegischen Küste und so weiter. Wenn die EU uns dazu zwingt, zu dekarbonisieren, dann wäre es für die österreichische Industrie wahrscheinlich gut, wenn es Infrastruktur gäbe, das CO2 auch wirklich loszuwerden. Sonst können sie natürlich auch zusperren und wir machen Stahl und Zement nur noch an der Küste, wo wir mit den Schiffen zu den Lagerstätten kommen. Ich denke, auch unsere Industrie wäre gut beraten, in diese Richtung zumindest Konzepte auszuarbeiten. Was passiert, wenn die EU hier die Schrauben anzieht, und wenn es wirklich einmal für dekarbonisierte Produkte einen Marktvorteil gibt? Dann haben die Nordseeanrainer einen Standortvorteil – und das wird zum Nachteil für die anderen. Das wird aber notwendig sein, wenn wir uns irgendwie in Richtung Klimaneutralität hinbewegen wollen.
Aufgrund der Länge erscheint dieses Interview in zwei Teilen. Im zweiten Teil wird es um das Potential von Carbon Capture and Storage-Systemen, zur Bekämpfung der Klimakatastrophe beizutragen gehen, um Negative Emission Technologies, und um die Frage, ob es sinnvoll ist, CO2 direkt aus der Luft zu filtern, laut IPCC eine der möglichen solchen Technologien.
Prof. Tobias Pröll ist Professor für Energietechnik und Energiemanagement an der Universität für Bodenkultur Wien und forscht unter anderem am Thema Negative Emission Technologies. Er ist Fachgutachter in zahlreichen wissenschaftlichen Zeitschriften, Mitglied des Scientific Committees der International Conference on Negative Emissions und Gründungsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für innovative Computerwissenschaften, sowie des IEAGHG Networks on High Temperature Solid Looping Cycles.
[1] https://www.researchgate.net/publication/239877190_IPCC_Special_Report_on_Carbon_dioxide_Capture_and_Storage
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