1. August: Welterschöpfungstag

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Am 1. August 2024 hat die Menschheit die Ressourcen, die die Erde in einem Jahr zur Verfügung stellen kann, aufgebraucht. Ab dann leben wir auf Kosten zukünftiger Generationen. Zu sagen „die Menschheit“ ist allerdings zu einfach. Denn verschiedene Menschen in verschiedenen Weltgegenden haben einen sehr unterschiedlichen Ressourcenverbrauch. Die Differenzierung nach Ländern gibt da einen Einblick, wenn es natürlich auch innerhalb eines einzelnen Landes große Unterschiede gibt. Länder wie Quatar, Luxemburg oder die Vereinigten Arabischen Emirate haben ihren Anteil schon im Februar aufgebraucht. Aber Österreich liegt da nicht weit zurück: Österreich hat die ihm zustehenden Ressourcen schon am 7. April verbraucht, Am längsten kommen Jamaica, Irak, Ecuador und Indonesien aus. Aber auch nicht unbedingt aus ökologischer Einsicht, sondern wegen der dort herrschenden Armut.

Die Entwicklung des Welterschöpfungstags seit 1971

Nach der Definition des Global Footprint Network von 2017 soll ein ökologischer Fußabdruck von unter 1,5 globalen Hektar und ein HDI ( Index der menschlichen Entwicklung) von über 0,7 als nachhaltig gelten. Nach dieser Definition erreichen nur sieben Lönder diese Kriterien: Philippinen (Ökologischer Fußabdruck 1,17 – HDI 0,71), der Staat Palästina (0,65 – 0,72), Jordanien (1,37 – 0,72), Ägypten (1,47 – 0,73), Tunesien (1,37 – 0,74), Sri Lanka (1,04 – 0,78) und Bahamas (1,44 – 0,81).

Der HDI ist ein Index für Gesundheit (gemessen an der durchschnittlichen Lebenserwartung), Bildung (gemessen an der durchschnittlichen Dauer des Schulbesuchs) und Einkommen (Bruttonationaleinkommen pro Kopf). Da diese Maßzahlen sehr ungleich verteilt sein können, gibt das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) den ungleichheitsbereinigten Index der menschlichen Entwicklung (IHDI) heraus.

Und hier schneiden die Philippinen (0,57), Palästina (0,58), Jordanien (0,617), Ägypten (0,52), Tunesien (0,58), Sri Lanka (0,68) und Bahamas (0,66) nicht so gut ab. Mit anderen Worten: Kein Land der Welt schafft es derzeit, seinen Bürger:innen ein gutes Leben bei einem verträglichen Ressourcenverbrauch zu ermöglichen. Österreich zum Beispiel mit einem einem IHDI von 0,86 an 15. Stelle, steht beim ökologischen Fußabdruck an 31. Stelle gleich hinter Saudi Arabien, Russland und Australien.

Titelbild: Global Footprint Network, https://www.footprintnetwork.org/our-work/earth-overshoot-day/

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Das ’stille Sterben‘ von Weidelandschaften bedroht Klima, Ernährung und Wohlergehen

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Die Verschlechterung von ausgedehnten, oft weitläufigen natürlichen Weidelandschaften durch Überlastung, missbräuchliche Nutzung, Klimawandel und Biodiversitätsverlust stellt eine ernsthafte Bedrohung für die globale Nahrungsmittelversorgung und das Überleben von Milliarden von Menschen dar, warnen die Vereinten Nationen in einem umfassenden Bericht vom Mai 2024.

Bis zu 50 % der globalen Weideflächen sind degradiert, sage die Autor:innen des Global Land Outlook Thematic Report on Rangelands and Pastoralists, der in Ulanbaatar (Mongolei) von der UN Wüstenkonvention (UNCCD) vorgestellt wurde. Zu den Symptomen dieser Verschlechterung gehören verminderte Bodenfruchtbarkeit und Nährstoffversorgung, Erosion, Versalzung, Alkalisierung und Bodenverdichtung, die das Pflanzenwachstum hemmt. Dies führt unter anderem zu Trockenheit, Niederschlagsschwankungen und dem Biodiversitätsverlust über und unter der Erde.

Ursachen sind vornehmlich die Umwidmung von Weideland in Ackerland und andere Landnutzungsänderungen aufgrund von Bevölkerungswachstums und Verstädterung, steigendem Bedarf an Nahrungsmitteln, Faserprodukten und Biotreibstoffen; Überweidung; Aufgabe von Weideflächen und durch die Politik vorangetriebene Übernutzung der Flächen.

Die Bedeutung von Weideland

In die Kategorie „Weideland“ fallen natürliche Graslandschaften, die von Vieh und Wildtieren als Weide- und Futterfläche genutzt werden, so auch Savannen, Buschland, Feuchtgebiete, Tundra und Wüsten.

Zusammengenommen machen diese Flächen 54 % der gesamten Landbedeckung aus, liefern ein Sechstel der weltweiten Nahrungsmittelproduktion und stellen fast ein Drittel des Kohlenstoffspeichers der Erde dar.

„Die Umgestaltung alter Weideflächen geschieht in aller Stille und ruft kaum öffentliche Reaktionen hervor“, sagt UNCCD-Exekutivsekretär Ibrahim Thiaw.

„Obwohl sie weltweit schätzungsweise eine halbe Milliarde Menschen ausmachen, werden die Hirtengemeinschaften häufig übersehen, haben kein Mitspracherecht bei politischen Entscheidungen, die sich direkt auf ihren Lebensunterhalt auswirken, werden an den Rand gedrängt und sogar oft als Außenseiter:innen in ihrem eigenen Land betrachtet.“

Insgesamt sind zwei Miliarden Menschen – Kleinhirt:innen, Viehzüchter:innen und Landwirt:innen – oft vulnerabel und ausgegrenzt – sind weltweit von intakten Weideflächen abhängig.

Der Bericht unterstreicht, dass paradoxerweise gerade die Bemühungen zur Erhöhung von Ernährungssicherheit und Produktivität durch Umwandlung von Weideflächen in Ackerland in den meisten trockenen Regionen zu einer Verschlechterung der Bodenqualität und zu geringeren landwirtschaftlichen Erträgen geführt haben. Weiter werden „schwache und ineffektive Regierungsführung“, „schlecht umgesetzte Politiken und Vorschriften“ und „fehlende Investitionen in Weidelandgemeinschaften und nachhaltige Produktionsmodelle“ als Gründe für die Zerstörung von Weideland genannt.

Laut der mehr als 60 Experten aus über 40 Ländern liegen die bisherige Schätzung der weltweiten Degradierung von Weideland – 25 % – deutlich zu niedrig und könnten tatsächlichen bis zu 50 % betragen.

Der Nutzen von Weideland und seine Funktionsweise werden oft schlecht verstanden, und Mangel an verlässlichen Daten verhindert größtenteils die nachhaltige Bewirtschaftung dieser für Nahrungsmittelversorgung und Klimaregulierung immens wertvollen Flächen.

Wichtigste Empfehlung: das Hirtenwesen schützen

Der Bericht stellt einen innovativen Ansatz vor, der es politischen Entscheidungsträger:innen ermöglichen würde, Weideland zu sichern, wiederherzustellen und zu verwalten.

Der neue Ansatz stützt sich auf Erfahrungen, die in Fallstudien aus fast allen Regionen der Welt zusammengetragen wurden, und zieht wichtige Lehren aus Erfolgen und Misserfolgen in der Weidewirtschaft.

Eine zentrale Empfehlung lautet: Schutz des Hirtenwesens, einer Jahrtausende alten mobilen Lebensform, die sich auf die weidebasierte Zucht von Schafen, Ziegen, Rindern, Pferden, Kamelen, Yaks, Lamas und anderen domestizierten Pflanzenfressern sowie halbdomestizierten Arten wie Bisons und Rentieren konzentriert.

Die weltweit am stärksten von der Verschlechterung der Weideflächen betroffenen Gebiete, in absteigender Reihenfolge:

Zentralasien, China, Mongolei Privatisierung und Agrarindustrialisierung hat die Hirt:innen von unzureichenden natürlichen Ressourcen abhängig gemacht, mit dem Resultat einer weit verbreiteten Degradation. Die allmähliche Wiederherstellung der traditionellen, gemeinschaftsbasierten Weidewirtschaft führt zu deutlichen Fortschritten bei der nachhaltigen Bewirtschaftung.

Nordafrika und Naher Osten Die Auswirkungen der Klimakrise in einer der trockensten Regionen der Welt treiben die Hirt:innen in die Armut durch Verschlechterung von lebensnotwendigen Weideflächen. Die Modernisieriung traditioneller Einrichtungen wie Agdals (Futterreservoirs, die zwischenzeitliche Regeneration natürlicher Ressourcen ermöglichen) und unterstützende Maßnahmen verbessern die Bewirtschaftung der Weideflächen.

Sahel und Westafrika Konflikte, Machtverhältnisse und Grenzfragen haben die Mobilität der Viehherden unterbrochen und zu einer Verschlechterung der Weideflächen geführt. Einheitlichere Maßnahmen, Anerkennung der Rechte von Viehzüchter:innen und grenzüberschreitende Vereinbarungen helfen, die essentielle Mobilität der Viehzüchter:innen wiederherzustellen.

Südamerika Klimakrise, Entwaldung (insb. durch industrialisierten Landwirtschaft und Bergbau) sowie die Umwidmung sind in Südamerika die Hauptursachen für die Verschlechterung der Weideflächen. Multifunktionalität und Vielfalt in Weidesystemen sind daher der Schlüssel zur Wiederherstellung einiger der bedeutendsten Weideländer der Welt (etwa Pampa, Cerrado– und Caatinga-Savannen und die Puna in den peruanischen Anden.).

Ostafrika Migration und Zwangsumsiedlung bedingt durch konkurrierender Landnutzungen (Jagd, Tourismus usw.) vertreiben die Hirt:innen, was die Degradierung der Weideflächen zur Folge hat. Von Frauen geführte Initiativen und verbesserte Landrechte sichern den Lebensunterhalt der Hirt:innen, schützen die Biodiversität und sichern die Ökosystemleistungen von Weideland.

Nordamerika Die Zerstörung traditioneller Graslandschaften und trockener Weideflächen bedroht die Artenvielfalt typischer nordamerikanischer Ökosysteme wie der Hochgrasprärien oder der südlichen Wüsten. Die Einbeziehung der indigenen Bevölkerung in die Bewirtschaftung von Weideland ist ein wichtiger Schritt zur Wiederherstellung der historischen Landschaften.

Europa Die Förderung industrielle Landwirtschaft gegenüber der Weidewirtschaft sowie falsche Anreize führen zur Aufgabe und Verschlechterung von Weideland und anderer offener Ökosysteme. Doch zugleich können politische und wirtschaftliche Unterstützung, einschließlich rechtlicher Anerkennung und Differenzierung, zur Trendwende beitragen und damit beispielsweise zunehmende Häufigkeit und Intensität von Waldbränden und den Klimawandel eindämmen.

Südafrika und Australien Aufforstung, Bergbau und die Umwandlung von Weideflächen in andere Nutzungen führen zu einer Verschlechterung und zum Verlust von Weideflächen. Die gemeinsame Schaffung von Wissen durch Erzeuger und Forscher sowie die Achtung und Nutzung des traditionellen Wissens indigener Gemeinschaften eröffnen neue Wege zur Wiederherstellung und zum Schutz von Weideland.

Paradigmenwechsel

Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass ein Paradigmenwechsel in der Bewirtschaftung auf allen Ebenen – von der Basis bis zur globalen Ebene – erforderlich ist, um die Verschlechterung aufzuhalten.

Pedro Maria Herrera Calvo, Hauptautor des Berichts: „Die sinnvolle Beteiligung aller Interessengruppen ist der Schlüssel zu einer verantwortungsvollen Bewirtschaftung von Weideland, die kollektives Handeln fördert, den Zugang zu Land verbessert und traditionelles Wissen und praktische Fähigkeiten einbezieht“.

Die Lösungen müssen auf die stark variierenden Merkmale und die Dynamik der Weidegebiete zugeschnitten sein. Darüber hinaus fordert der Bericht, dass Hirt:innen ihren Erfahrungsschatz aktiv einbringen und einbezogen werden, von der Planung über die Entscheidungsfindung bis hin zur Verwaltung. Häufig, so der Bericht, unterschätzen herkömmliche Bewertungsmethoden den tatsächlichen wirtschaftlichen Beitrag von Weideland und Hirtentum.

Die wichtigsten Empfehlungen:

  • Strategien zur Klimawandelabschwächung und -Anpassung und nachhaltige Bewirtschaftung von Weideland integrieren, um die CO2 Bindung und Speicherung zu erhöhen und die Widerstandsfähigkeit von Hirten- und Weidelandgemeinschaften zu stärken
  • Vermeidung oder Verringerung von Landnutzungsänderungen, die die Diversität und Multifunktionalität von Weideland beeinträchtigen, insbesondere auf indigenem und kommunalem Land
  • Maßnahmen zur Erhaltung von Weideland innerhalb und außerhalb von Schutzgebieten, um die Biodiversität über und unter der Erde zu fördern und die Gesundheit, Produktivität und Widerstandsfähigkeit extensiver Viehhaltungssysteme zu stärken
  • Strategien und Praktiken stärken, die auf der Weidewirtschaft basieren und dazu beitragen, Schäden für die Gesundheit der Weideflächen, wie Klimawandel, Überweidung, Bodenerosion, invasive Arten, Dürre und Waldbrände, zu mindern
  • Förderung einer unterstützenden Politik, einer umfassenden Beteiligung der Bevölkerung und flexibler Verwaltungs- und Governance-Systeme, um die Leistungen von Weideland und Hirtentum für die gesamte Gesellschaft zu stärken.

Quelle: https://www.unccd.int/news-stories/press-releases/silent-demise-vast-rangelands-threatens-climate-food-wellbeing-billions

Der vollständige Bericht hier zum Downloade (Englisch): https://www.unccd.int/resources/global-land-outlook/glo-rangelands-report

Titelbild: Wüste Gobi, Mongolei, HBieser über Pixabay

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Das System geht aus den Fugen: zur Neuerscheinung „Kapitalismus am Limit“ von Ulrich Brand und Markus Wissen

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von Martin Auer

Alle reden vom Klima, aber niemand redet vom Sand. Sand gibt es doch wie Sand am Meer. Leider nein. Wenn die Bautätigkeit so weiter geht wie bisher, gibt es 2050 keinen für die Zementherstellung brauchbaren Sand mehr. Schon jetzt ist Sand knapp und so teuer, dass kriminelle Banden minderwertigen und illegal geförderten Sand an die Bauindustrie verkaufen. Absurd, oder? Tatsächlich gibt es nur eine Ressource, von der wir mehr verbrauchen: Wasser. Und auch das wird knapp, nämlich das Wasser im Boden. Und wer redet von der Phosphorkrise? Phosphor ist Bestandteil allen organischen Lebens. Deshalb braucht man ihn ja für Düngemittel. Der Preis von Rohphosphor hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Die Vorräte reichen noch 300 Jahre – wenn’s gut geht. Wenn nicht, dann noch 100 Jahre. Das sind nur ein paar der Krisen, von denen weniger gesprochen wird als von der Klimakrise und dem Artensterben. Bei letzterem geht es übrigens nicht nur um Tiger und Eisbären. Das Artensterben findet zu einem großen Teil unter den Bodenlebewesen statt, die die Erde erst fruchtbar machen. Und die letzte Pandemie hat uns allen vor Augen geführt, dass das immer tiefere Vordringen in noch unberührte Natur uns vom Tier auf den Menschen überspringenden Krankheiten aussetzt, die sich wie Buschfeuer um den Globus verbreiten und auch vor Reichen und Mächtigen nicht Halt machen.

Alle diese Krisen belegen, dass wir mit unserem Ressourcenverbrauch und unserem Verbrauch an Senken für unsere Abfälle (z . B. CO2) am Limit sind. Wir? Wer oder was hat uns an diese Grenzen, beziehungsweise schon weit über die ökologischen Belastungsgrenzen hinaus geführt? Bei der dreitägigen „Beyond Growth Konferenz“, die als Teil eines EU-Projekts kürzlich in Wien stattgefunden hat (Die Eröffnung war im Parlament unter den Auspizien des Bundespräsidenten und des Parlamentspräsidenten), waren sich die Mehrheit der Speaker und des Publikums einig: Der kapitalistische Wachstumszwang ist es, der uns ans Limit gebracht hat.

Ulrich Brand und Markus Wissen
© Bärbel Högner | © SBK

Kapitalismus am Limit“ heißt auch das neue Buch der Politikwissenschaftler Ulrich Brand und Markus Wissen. Bekannt geworden sind die beiden Autoren durch ihren Bestseller von 2017 über die „Imperiale Lebensweise„. Die Autoren behaupten nicht, dass das Ende des Kapitalismus unmittelbar bevorsteht. Sie zeigen auf, wie der Kapitalismus seine eigene Existenz untergräbt. Die billige Natur, an der er sich Jahrhunderte lang bedient hat, ist teuer geworden, Ressourcen sind heftig umkämpft. Viele Staaten wollen ihre Ökonomien dekarbonisieren. Gerade das führt aber dazu, dass geopolitische Rivalitäten sich immer mehr an Rohstoffen, die für eine ökologische Modernisierung notwendig sind, entzünden. Öko-imperiale Spannungen nennen das die Autoren. Lange Zeit konnten die Krisen verborgen, das heißt externalisiert werden. Die sozial-ökologischen Kosten wurden dem globalen Süden aufgehalst; den Frauen im Süden wie im Norden, die unbezahlte Reproduktionsarbeit (Care, Sorgearbeit) leisten; und den künftigen Generationen. Immer neue Sphären der Rohstoff-Extraktion wurden erschlossen (zum Beispiel die Tiefsee). Doch auf allen diesen Gebieten wird es eng. Aufstrebende Ökonomien wie die chinesische oder die indische konkurrieren mit den alteingesessenen kapitalistischen Ökonomien sowohl um Rohstoffe als auch um Märkte. Immer mehr Gruppen wehren sich dagegen, sich die Kosten aufhalsen zu lassen. Frauen wehren sich dagegen, dass sie die Last der unbezahlten Care-Arbeit tragen sollen, indigene Völker kämpfen gegen Bergwerksbetriebe und Ölförderungen, die ihre Umwelt bedrohen. Umweltbewegungen beschränken sich nicht mehr auf Appelle an „die Politik“ sondern wehren sich aktiv, etwa durch Besetzungsaktionen wie die mehr als ein Jahr dauernde Besetzung des Dorfes Lützerath, das einem Braunkohle-Tagebau weichen sollte. Im globalen Süden wird die Forderung nach Reparationen für die Folgen des Klimawandels und die Schäden durch den Kolonialismus immer lauter.

Fossiler oder grüner Kapitalismus?

Während konservative Kräfte sich für den Fortbestand der fossilen Wirtschaft einsetzen, setzen andere auf einen „grünen Kapitalismus“, der ohne ständig steigenden Verbrauch von Ressourcen und Senken auskommen soll. Sie setzen auf Digitalisierung, CO2-Abscheidung und Speicherung, das E-Auto, Effizienzsteigerung, Recycling, und so weiter. Davon versprechen sie sich – und uns – eine Abkopplung des Wirtschaftswachstums vom Ressourcenverbrauch. Ein ganzes Kapitel widmen die Autoren dem European Green Deal. Doch „grünes Wachstum“ findet nicht statt. Es gibt zwar Gebiete und Zeiträume, in denen die CO2-Emissionen zurückgehen während das Brutto-Inlandsprodukt wächst, doch dieser Rückgang ist weit von dem entfernt, was für die Klimaneutralität Mitte des Jahrhunderts notwendig wäre. Die Extraktiomn von Bodenschätzen wird von Kohle, Öl und Gas auf Kupfer, Bauxit, Lithium, Kobalt, seltene Erden usw. verlagert, und zwar wiederum zum großen Teil auf Kosten der Natur und der Bevölkerung des globalen Südens, und die Konkurrenz darum verschärft geopolitische Spannungen.

Die autoritäre Rechte

Ein eigenes Kapitel widmet sich dem Erstarken der autoritären Rechten in der Krise der imperialen Lebensweise. In Europa sind die CO2-Emissionen seit 1990 um 29 % gesunken. Das ist ja positiv. Doch wer hat seine Emissionen wirklich eingeschränkt? Der Climate Inequality Report zeigt: Die Pro-Kopf-Emissionen der ärmeren 50 Prozent sind um 30,6 Prozent gesunken, die des reichsten einen Prozent um 1,7 %. Die ärmeren 50 Prozent verursachen durch ihren Konsum pro Kopf 5 Tonnen CO2 im Jahr, die mittleren 40 Prozent 10,7 Tonnen, die reichsten 10 Prozent durchschnittlich 29,4 Tonnen und das reichste eine Prozent 90,6 Tonnen pro Kopf und Jahr. In Österreich, wo die Emissionen kaum gesunken sind, hat das reichste eine Prozent seine Pro-Kopf-Emissionen um 45 % gesteigert, und nur die Emissionen der ärmsten 50 Prozent sind gesunken. Es gibt also einen krassen Unterschied zwischen Oben und Unten. Die autoritäre Rechte aber zieht die Grenze nicht zwischen Oben und Unten, sondern zwischen Innen und Außen: „Wir“ gegen Migrant:innen und Geflüchtete, und setzt auf die Stärkung einer in die Krise geratenen Männlichkeit. In gewisser Weise ist das ein Protest von rechts gegen Globalisierung und Neoliberalismus, „mit einem autoritären, militaristisch-männlichen und menschenfeindlichen Angebot, das Menschen entlang von Kriterien wie Herkunft oder Religion sortiert, mit Kategorien wie ‚das Volk‘ vermeintlich Einheitlichkeit schafft und verlorengegangene Regierbarkeit zurückzugewinnen verspricht.“ Es ist ein Versuch, „die imperiale Lebensweise autoritär zu stabilisieren“. Doch die autoritäre Rechte bricht nicht wirklich mit dem Neoliberalismus. Sie setzt die Politik der Privatisierung und Deregulierung in vielen Bereichen fort.

Die imperiale Lebensweise ermöglichte in den Ländern des Nordens seit dem Ende des zweiten Weltkriegs einen Klassenkompromiss: Die Arbeitnehmer:innen konnten sich einen Anteil an der durch fossile Energie und Neokolonialismus ermöglichten Steigerung der Produktion von Konsumgütern erkämpfen. Der Fortbestand der kapitalistischen Ordnung in Form der Konsumgesellschaft war von der Kaufkraft der Massen abhängig. Doch der Kompromiss beginnt zu bröckeln. Die Krise der Lebenshaltungskosten, die Verluste von Arbeitsplätzen und Einkommen durch die Corona-Pandemie, die sogenannte Finanzkrise von 2008 fördern berechtigte Verlustängste. Und diese Ängste werden verstärkt durch die Ahnung, dass es im Ganzen so nicht weitergehen kann. Die autoritäre Rechte ergreift rhetorisch Partei für die „kleinen Leute“, verteidigt sie vor der Bedrohung von außen durch „Globalisten“ einerseits, und anderseits vor der Bedroh2ung durch kleine Leute, die noch schlechter dran sind: Migrant:innen und Geflüchtete, die angeblich in unser Sozialsystem einwandern und unsere Kultur bedrohen. In der Praxis aber stimmt sie für Politiken, die auf Kosten eben dieser kleinen Leute gehen, bzw. setzt sie dort durch, wo sie sich an die Macht spülen hat lassen.

Was kommt danach?

Das letzte Kapitel widmet sich – anders ist es ja nicht zu erwarten – den Möglichkeiten zur Überwindung der auf Konkurrenz und Wachstumszwang beruhenden Wirtschaftsweise. Unter anderem wird hier der wachsenden Degrowth- und Postgrowth-Bewegung eine wichtige Rolle zuerkannt und Bewegungen wie Ende Gelände, Fridays for Future oder Letzte Generation. Umweltbewegungen und soziale Bewegungen rücken näher zusammen. Letzten Monat demonstrierte in Wien die Klimabewegung gemeinsam mit den Busfahrer:innen in der Gewerkschaft vida unter dem Motto „Wir fahren gemeinsam“ für bessere Arbeitsbedingungen bei den privaten Buslinien. Die Verkehrswende kann schwerlich gelingen, wenn Beschäftigte im öffentlichen Verkehr an der Endstation nicht einmal ein richtiges Klo vorfinden.

Jenseits vom Wachstum

Und das bringt uns zurück zur „Beyond Growth Konferenz“. Wer von Überwindung des Kapitalismus spricht, von der Notwendigkeit, die Wirtschaft zu demokratisieren und planbar zu machen, und die Produktion von Gütern und die Bereitstellung von Leistungen zu vergesellschaften, bekommt bekommt schnell zu hören: „Was willst du denn? Eine Planwirtschaft mit Schlangen vor den Geschäften? Eine staatliche Plankommission, die Normen für Schuhe nach Gewicht plant, worauf nur genagelte Bergschuhe produziert werden, um den Plan schneller zu erfüllen?“ Die FPÖ bezichtigte kürzlich gar auf ihren Wahlplakaten die EU des „Öko-Kommunismus“. Doch niemand wünschte sich auf dieser Konferenz eine staatliche Plankommission. Eine Vielzahl von Wegen und möglichen Modellen wurde vorgestellt und diskutiert. Ein Thema, das sich durch die meisten Modelle durchzog, ist: Demokratisierung der Wirtschaft bedeutet ein aktives Mitspracherecht der Beschäftigten und der Konsument:innen darüber, was, wo, wie und von wem produziert werden soll. Die Abstimmung an der Supermarktkasse reicht da nicht. Die Mitbestimmung kann auf verschiedenen Ebenen geschehen. Natürlich auch auf staatlicher Ebene. Der Ausbau des Sozialstaats und eine bedingungslose Grundversorgung für alle spielt in den meisten Modellen eine bedeutende Rolle. Aber auch auf Betriebsebene ist Mitbestimmung gefordert, und zwar weit über das, was Betriebsräten heute zugestanden wird. Als Betriebsräte in einem österreichischen Rüstungsbetrieb zum Beispiel vorgeschlagen haben, statt Panzern Löschfahrzeuge zur Bekämpfung von Waldbränden zu produzieren, wurde das vom Unternehmen einfach abgeschmettert. Das soll es in einer demokratischen Wirtschaft nicht geben. Als die Beschäftigten des Rüstungsbetriebs Lucas Aerospace in den 1970er Jahren von einer Kündigungswelle bedroht waren, forderten sie das „Recht auf gesellschaftlich nützliche Arbeit“ und entwickelten einen Plan, was sie mit ihren Fähigkeiten und der vorhandenen Ausrüstung machen konnten: Windräder, Wärmepumpen, Heimdialysegeräte, Go-Carts für behinderte Kinder… Als die Beschäftigten des Autozulieferers GKN Automotive in Campo Bisenzio bei Florenz am 9. Juni 2021 per Email gekündigt wurden, besetzten sie die Fabrik, beriefen eine Betriebsversammlung in Permanenz ein und beschlossen, eine Genossenschaft zu gründen, die statt Achsen für schwere Autos Lastenfahrräder produziert. Die Prototypen sind in Florenz schon unterwegs.

Beeindruckend war der Bericht über einen kleinen Laden in Wien Ottakring: den Mila Mitmach-Supermarkt bei der Beyond Growth Konferenz. Er gehört denen, die dort einkaufen, einer Genossenschaft von derzeit 600 Mitgliedern. Jedes Mitglied arbeitet alle vier Wochen drei Stunden im Laden. Ein Mitglied der Genossenschaft erklärte, warum nur Mitglieder dort einkaufen dürfen: Die Mitglieder arbeiten für sich selber. Darum müssen sie keinen Gewinn machen. Sie müssen die Kundschaft nicht motivieren, mehr zu kaufen, als sie eigentlich will, sie nicht mit Muzak in Einkaufsstimmung bringen. Obst und Gemüse wird einzeln verkauft, niemand muss eine Kilopackung kaufen, wenn er oder sie nur eine Karotte braucht. Die Genossenschaft muss nicht mit anderen Firmen um Kunden konkurrieren, weil die Genossenschafter:innen ihre eigenen Kunden sind. Sie schlagen einheitlich 30 % auf den Einkaufspreis auf, und was sie so einnehmen, dient dazu, den Betrieb zu erhalten und zu erweitern. Über das Sortiment entscheiden die Mitglieder. Sie entscheiden, ob sie beim Einkauf mehr Gewicht auf den Preis oder auf die Qualität legen. Sie wollen wachsen, weil sie mehr Menschen diese Möglichkeit, Qualität zu niedrigen Preisen zu kaufen, geben wollen, aber sie sind nicht gezwungen dazu. Tatsächlich werden sie demnächst einen „richtigen“ Supermarkt eröffnen.

Mila ist ein Modell im Kleinen für eine solidarische Wirtschaft, eines von vielen unterschiedlichen Modellen, die aber gut nebeneinander existieren und einander ergänzen können. Allen diesen Modellen ist gemeinsam, dass nicht das produziert wird, was den meisten Profit bringt, sondern das, was Nutzen für die Gemeinschaft bringt. Lässt sich so ein Modell skalieren? Die Park Slope Food Coop betreibt den größten Supermarkt von New York und hat 17.000 Mitglieder. Vielleicht sind Kooperativen von Kooperativen der Weg, auch größere wirtschaftliche Zusammenhänge demokratisch zu organisieren. Die Kooperative hat auch den Vorteil, dass sie schon im jetzigen System bestehen kann. Die Suche nach Alternativen zum Kapitalismus ist noch lange nicht abgeschlossen und ganz sicher gibt es nicht nur eine.

Ulrich Brand, Markus Wissen
Kapitalismus am Limit
Öko-imperiale Spannungen, umkämpfte Krisenpolitik und solidarische Perspektiven.
ISBN: 978-3-98726-065-0
Softcover, 304 Seiten (auch als Epub oder PDF)

Titelbild: Martin Auer mithilfe von KI
Der Beitrag erschien zuerst im Standard am 18. Juni 2024

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Am Sonntag renaturieren und von Montag bis Freitag zubetonieren? S4F-Protest vor der SPÖ-Zentrale

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Klimawahljahr 2024 – Wissenschaftler:innen analysierten die Klimapolitik der SPÖ und stellten bei einer Aktion vor der Parteizentrale der SPÖ ein durchwachsenes Zeugnis aus: “Die Klimapolitik hat in der SPÖ unter dem Parteivorsitzenden Andreas Babler an Bedeutung gewonnen. Teile der SPÖ treiben allerdings nach wie vor den Bau neuer Autobahnen voran oder setzen auf Klimaschutz, den niemand merkt – Montag bis Freitag betonieren und am Sonntag renaturieren wird nicht reichen. Wir erwarten uns von der SPÖ mehr Mut und Klarheit in der Klimapolitik”, fasst Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik, zusammen. Dass sich die SPÖ für die Zustimmung zum Renaturierungsgesetz ausgesprochen hat, sei positiv zu beurteilen, erklärt Prof. Sigrid Stagl von der Wirtschaftsuniversität Wien. 
Abgeordnete zum Nationalrat Julia Herr stellte sich der Diskussion und betonte, dass die SPÖ den Austausch mit der Wissenschaft sucht.

Reinhard Steurer: Am Sonntag renaturieren und von Montag bis Freitag zubetonieren – das geht sich nicht aus

Reinhard Steurer ist assoz. Professor für Klimapolitik an der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien.


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Reinhard Steurer: Am Sonntag renaturieren und von Montag bis Freitag zubetonieren – das geht sich nicht aus

Die Rede von Prof. Reinhard Steurer zum Nachlesen

Sigrid Stagl: Der Schlüssel ist die soziale Frage

Prof. Sigrid Stagl ist Ökonomin am Department für Sozioökonomie der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien


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Sigrid Stagl: Der Schlüssel ist die soziale Frage

Die Rede von Prof. Sigrid Stagl zum Nachlesen

Günter Emberger: Die SPÖ muss ihre selbstgesteckten Ziele konsequent verfolgen

Günter Emberger ist Professor am Institut für Verkehrswissenschaften der Technischen Universität (TU) Wien


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Die Rede von Prof. Günter Emberger zum Nachlesen

Sicherheitsrisiko Klimakrise

Die ersten Hitzetage und Unwetter bringen die unmittelbaren Gefahren der Klimakrise wieder verstärkt ins Bewusstsein der Bevölkerung und verdeutlichen, dass diese auch für die Menschen in Österreich bei weiterer Erwärmung ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellen wird. “So ehrlich müssen wir sein: Klimaschutz ist Menschenschutz”, betont Dr. Fabian Schipfer und erinnert: “Allein eine Transformation unseres Mobilitätssystems bringt so viele Vorteile mit sich – darauf sollten wir nicht verzichten.“

Von guten Ansätzen bis zu Projekten des vorigen Jahrtausends

Klimapolitik habe in der SPÖ unter dem Parteivorsitzenden Andreas Babler an Bedeutung gewonnen. “Während die anderen Großparteien ÖVP und FPÖ beim Klimaschutz Teil des Problems sind, ist es gut und wichtig, dass die SPÖ Teil der Lösung sein will – und beim Beschluss des Renaturierungsgesetzes auch schon war. Allerdings fehlt nach wie vor ein umfassendes Programm, mit dem Klimaziele glaubhaft erreicht werden können. Ein Transformationsfonds, eine Attraktivierung öffentlicher Verkehrsmittel und ein Verbot von Privatjets wird nicht reichen. Besonders dann nicht, wenn Teile der SPÖ nach wie vor den Bau neuer Autobahnen vorantreiben und zudem glauben, man könne Klimaschutz so betreiben, dass niemand etwas davon bemerkt“, erklärt Steurer und fasst zusammen: “Montag bis Freitag betonieren und am Sonntag renaturieren wird nicht reichen. Wir erwarten uns von der SPÖ also mehr Mut und Klarheit in der Klimapolitik, vor allem den Mut, sich von Ideen und Projekten des vorigen Jahrtausends zu verabschieden, ob in der Lobau oder in Schwechat.”

Nachhaltige Mobilitätspolitik ist nachhaltig soziale Politik

Von der Wissenschaft und vielen Vertreter:innen der Zivilgesellschaft werden schon lange Tempolimits gefordert: 100 km/h auf Autobahnen, 80 km/h auf Freilandstraßen und 30 km/h in Ortsgebieten. Dies diene sowohl dem Klimaschutz, als auch dem Menschenschutz durch weniger Feinstaub- sowie Lärmbelastung und weniger Todesfälle im Straßenverkehr. “Für eine Partei, die Teil des ökologischen Transformationsprozesses sein will, sollte es Priorität haben, dies rasch umzusetzen”, erklärt Günter Emberger, Professor am Institut für Verkehrswissenschaften der TU Wien und ergänzt: “Wir erwarten von der SPÖ außerdem, schnellstmöglich Maßnahmen zur Erreichung der Kostenwahrheit im Verkehr.” Das beginne damit, Prioritäten und finanzielle Mittel richtig zu setzen. “Damit meinen wir die Abschaffung der Steuerbefreiung von Flugbenzin, die Aufhebung der Dienstwagenprivilegien, eine Ökologisierung der Pendlerpauschale und die Beseitigung weiterer kontraproduktiver staatlicher Subventionen. Ein “Weiter-wie-bisher” im Verkehrssektor asphaltiert ein sozial ungerechtes Mobilitätssystem weiter ein und versiegelt landwirtschaftlich nutzbare Böden – die Grundlage für unsere eigene Nahrungsmittelversorgung”, führt Emberger abschließend aus.

Julia Herr: Wir wollen als Sozialdemokratie den Austausch mit der Wissenschaft suchen

Julia Herr ist Abgeordnete zum Nationalrat und stellvertretende Klubvorsitzende der SPÖ


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Die Rede von Julia Herr zum Nachlesen

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Wissenschaftsaktivismus: Mehr als nur Papers schreiben

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Über Jahrzehnte haben Wissenschafter*innen durch konventionelle wissenschaftliche Arbeit, Artikel und Berichte vor der Klimakrise gewarnt. Dennoch sind Vermeidungs- und Anpassungsmaßnahmen längst unzureichend, um alle Menschen angemessen vor den Auswirkungen der Klima- und Umweltkrise zu schützen. Aus diesem Grund wenden sich immer mehr Wissenschafter*innen anderen Formen der Teilnahme am öffentlichen Diskurs zu. Welche Formen des Wisenschaftsaktivismus halten die Forscher:innen für besonders wirksam, welche halten sie für legitim, welche lehnen sie ab? Scientists for Future haben dazu rund 2.000 Wissenschaftler:innen, die in Österreich tätig sind, gebeten, einen Fragebogen auszufüllen.

Was wirkt?

Als die effektivste Form des Wissenschaftsaktivismus wurde in den meisten Antworten Lobbyarbeit bezeichnet (7,5 von 10 Punkten), dicht gefolgt von Workshops, Pressegesprächen und Vorträgen (jeweils 7 von 10 Punkten). Offene Briefe, angemeldete Demonstrationszüge, Stellungnahmen, Mahnwachen, Blogs und Solidaritätsaktionen gelten als überdurchschnittlich wirksam. Von Sabotage halten die Forscher:innen nicht viel, auch Hungerstreiks, Nichtkooperation, Hacktivismus und Streiks werden als unterdurchschnittlich wirksam angesehen.

Was ist legitim?

Für absolut legitim halten die Befragten Lobbyarbeit, Boykotte und Solidaritätsaktionen (10 von 10 Punkten). Streiks, Hungerstreiks und die Teilnahme an Blockaden hält eine Mehrzahl ebenfalls für legitim. Für Nichtkooperation halten sich die Einschätzungen die Waage, Hacktivismus und Sabotage werden von der großen Mehrheit als illegitim betrachtet.

Sabotage und Hungerstreiks nicht erwünscht

Sabotage und Hungerstreiks sollen vermieden werden. Hacktivismus, Nichtkooperation und Streiks werden von den meisten mit weniger als 5 von 10 Punkten bewertet und sind somit ebenfalls von vielen Wissenschafter:innen nicht erwünscht.

Mehr Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit

Besonders gewünscht werden verstärkte Stellungnahmen, Pressegespräche, Vorträge, Lobbyarbeit, offene Briefe, Blogs, Petitionen und angemeldete Demonstrationszüge . Eine Mehrheit wünscht sich auch Informationsstände, Briefe und E-Mails, angemeldete Mahnwachen, Boykotte und Solidaritätsaktionen bei Blockaden.

Wenn schon blockieren, dann nicht gerade Straßen

Solidaritätsaktionen für zivilen Ungehorsam anderer Gruppen werden als legitim, eher wirksam und erwünscht betrachtet. (Zum Beispiel haben Wissenschaftler*innen sich im vorigen Jahr am Rand von Straßenblockaden der Letzten Generation versammelt, um darauf aufmerksam zu machen, dass ihre Anliegen vom wissenschaftlichen Standpunkt aus begründet und ihre Aktionen legitim sind). Die meisten der Befragten halten Blockaden für legitim, finden aber Blockaden von Gebäuden, Baustellen oder Infrastruktur sinnvoller.

Ideen für die Zukunft

Als Ideen für zukünftige Aktionen wurden genannt: Werbung für umweltfreundliche Initiativen in verschiedenen Medien, Klima-Entrepreneurship, Craftivismus, Kooperationen mit der Kunstszene und die Organisation von nachhaltigen Veranstaltungen und Bildungsangeboten in der Öffentlichkeit.

Die vollständige Auswertung gibt es hier:

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Der Climate Action Tracker Leitfaden für gute Klimaziele 2035

Lesedauer 5 Minuten.   

Zum zweiten Mal in Folge bricht die Welt Temperaturrekorde, während die Treibhausgasemissionen immer weiter steigen. Extreme Hitze und Überschwemmungen sind die Folge, die weltweit Menschenleben fordern und viele Menschen obdachlos machen.

Laut dem Pariser Abkommen sollen die Regierungen ihre Klimaziele („National festgelegte Beiträge“, – NDCs) mit Zielen für 2035 bis Anfang 2025 vorlegen. Die Analysen des Climate Action Tracker (CAT) zeigen jedoch immer noch, dass sowohl die individuellen als auch die kollektiven Minderungsambitionen der Länder für die Ziele für 2030 nicht mit dem übereinstimmen, was notwendig ist, um die Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen. Noch besorgniserregender ist, dass die Regierungen nicht genügend politische Maßnahmen ergreifen, um selbst diese unzureichenden Ziele zu erreichen!

Regierungen müssen in den Notfallmodus wechseln

Ab November dieses Jahres müssen die nationalen Regierungen 1,5°C-angepasste NDC-Ziele für 2035 vorlegen, aber damit die Welt das 1,5˚C-Temperaturziel des Pariser Abkommens einhalten kann, müssen sie in den Notfallmodus wechseln und die Ambitionen ihrer NDC-Ziele für 2030 sowie ihre aktuellen politischen Maßnahmen verstärken. Ziele und Maßnahmen für 2030 müssen mit dem Weg zu Netto-Null-CO2-Emissionen bis 2050 weltweit übereinstimmen, der dann auch die NDC-Ziele für 2035 definieren sollte.

Wenn es nicht gelingt, die Ambitionen der aktuellen Ziele und Maßnahmen für 2030 deutlich zu steigern, wird eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 °C nicht möglich sein und wahrscheinlich zu einer jahrzehntelangen, deutlichen Überschreitung dieser Grenze führen, selbst wenn dann strenge Ziele für 2035 folgen. In dem Briefing hebt das CAT vier Schlüsselelemente für das hervor, was von der nächsten Runde der NDCs für 2035 benötigt wird: Sie müssen ehrgeizig, fair, glaubwürdig und transparent sein und Aspekte der Klimafinanzierung sowie eines gerechten und fairen Übergangs beinhalten.

Ambition

Die Regierungen müssen in den Notfallmodus wechseln und sowohl ihre Ziele für 2030 als auch ihre aktuellen Richtlinien überarbeiten, um erhebliche Emissionssenkungen einzuschließen und wesentlich zur Schließung der Emissionslücke 2030 beizutragen, wenn die Welt eine echte Chance haben soll, die Erderwärmung auf 1,5°C zu begrenzen. Die Regierungen sollten bis Anfang 2025 ehrgeizige NDC-Ziele für 2035 vorschlagen, die mit einem 1,5°C-kompatiblen Netto-Null-Pfad übereinstimmen, damit die COP30 in Brasilien die Fortschritte in Richtung 1,5°C-Anpassung umfassend bewerten kann. Ehrgeizige landesweite NDC-Ziele müssen auf sektoralen Zielen und Plänen aufbauen, sich an 1,5°C-kompatiblen Benchmarks orientieren und zu den globalen sektoralen Zielen aus dem Global Stocktake beitragen.

Finanzen & Gerechtigkeit

Die Industrieländer müssen die internationale Klimafinanzierung und andere Unterstützungsmaßnahmen deutlich aufstocken. Die Industrieländer sollten in ihren NDCs 1,5°C-angepasste nationale Minderungsziele festlegen und die finanzielle und andere Unterstützung kommunizieren, die sie den Entwicklungsländern gewähren werden. Die Entwicklungsländer sollten klar kommunizieren, welche Klimafinanzierung, sie benötigen, um ehrgeizige 1,5°C-angepasste bedingte Ziele festzulegen und zu erreichen.

Glaubwürdigkeit

Glaubwürdige NDCs sollten auf robusten nationalen Planungsprozessen aufbauen, die das wirtschaftsweite Emissionsreduktionsziel in allen Sektoren in die Tat umsetzen. Die Regierungen müssen die Umsetzung ihrer bestehenden Ziele beschleunigen und ihre Strategien weiterentwickeln, um die – immer noch erhebliche – Emissionslücke zwischen den aktuellen Strategien und 1,5°C-kompatiblen Pfaden zu schließen.

Widersprüchliche Strategien müssen angegangen und umgekehrt werden: Die Produktion fossiler Brennstoffe muss schrittweise eingestellt werden, während die Exploration fossiler Brennstoffe und die Subventionen fossiler Brennstoffe beendet werden müssen.

Transparenz

Die Regierungen sollten absolute, wirtschaftsweite Emissionsreduktionsziele festlegen, die alle Treibhausgase einschließen und die Emissionswerte für jedes Jahr als X MtCO2e (ohne LULUCF3) angeben, damit sie klar, transparent und immun gegen kreative Buchführung sind. Die NDC-Ziele sollten sich in erster Linie auf ihre inländischen Reduktionen konzentrieren, indem alle Wirtschaftssektoren dekarbonisiert werden, anstatt sich auf Forstsenken, andere Kohlendioxidentfernungen (CDR) oder Kohlenstoffmärkte zu verlassen. Die Regierungen sollten die folgenden Elemente (zusätzlich zu ihrem inländischen Ziel) klar und transparent kommunizieren:

  • Der inländische Beitrag der Forstwirtschaft und Landnutzung
  • Der erwartete Beitrag anderer CDR nach Art
  • Ihre Absicht, Artikel 6 zu nutzen und die zu erwartenden Beiträge1


Titelbild: Martin Auer mithilfe von AI


1 Artikel 6 des Pariser Abkommens „erkennt an, dass sich einige Vertragsparteien für eine freiwillige Zusammenarbeit bei der Umsetzung ihrer national festgelegten Beiträge entscheiden, um ehrgeizigere Minderungs- und Anpassungsmaßnahmen erreichen und eine nachhaltige Entwicklung und Umweltintegrität fördern zu können.“

2 Für die Jüngeren unter unseren Leser:innen: So hieß ein Western von Sergio Leone aus dem Jahr 1966 mit Clint Eastwood und Lee van Cleef .

3 LULUCF: Land use, land use change and forestry (Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft)

Das komplette Dokument des CAT:

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Offener Brief: Wissenschaftler:innen sind besorgt über Rückschritte in der EU-Umweltgesetzgebung

Lesedauer 8 Minuten.   

Als Reaktion auf den Rückschritt in der Umweltgesetzgebung in der EU haben 11 wissenschaftliche Vereinigungen und Netzwerke am 29.05.2024 einen Offenen Brief veröffentlicht, in dem sie ihre ernste Besorgnis über diese Entscheidungen ausdrücken und zu verantwortungsvollem Handeln aufrufen.

Aktualisierung: Am 5. 6. haben insgesamt 20 Vereinigungen den Offenen Brief unterzeichnet. Der untenstehende Link führt zur aktuellsten Version.

Der Brief kann hier eingesehen werden

Übersetzung der Zusammenfassung (aus dem Englischen)

(Zur Übersetzung des Briefes geht es hier)

In diesem Offenen Brief bringen Wissenschaftsverbände und -netzwerke aus ganz Europa ihre tiefe Besorgnis über eine Reihe von Entscheidungen europäischer Entscheidungsträger zum Ausdruck, die die Umweltagenda der EU und ihre internationalen Verpflichtungen untergraben. Wir stellen fest, dass diese Angriffe auf den Green Deal die Natur gefährden und die Zukunft der EU-Bürger:innen aufs Spiel setzen.

Während die politischen Entscheidungsträger der EU behaupten, dass die Maßnahmen als Reaktion auf die Proteste der Landwirte getroffen wurden, betonen Wissenschaftler:innen, dass die Entscheidungen schlecht begründet sind, die Probleme, die sie lösen sollen, nicht angehen und gleichzeitig stichhaltige wissenschaftliche Beweise gegen sie ignorieren. Wir weisen insbesondere hin auf die Ablehnung der Verordnung zur nachhaltigen Nutzung (SUR), die Schwächung grundlegender Umweltstandards in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), den Aufschub der Genehmigung des Gesetzes zur Wiederherstellung der Natur (NRL), den Vorschlag der Kommission für Ausnahmen in der Nitratrichtlinie und die Entscheidung der Kommission, den Rahmen für nachhaltige Lebensmittelsysteme (FSFS) auf Eis zu legen.

Die Wissenschaftsgemeinschaft hält diese Entscheidungen für schlecht begründet und gefährlich. Sie führen zu einem Rückbau von Umweltstandards und -vorschriften, von denen einige das Ergebnis jahrzehntelanger Bemühungen sind und von Wissenschaft und Gesellschaft stark unterstützt werden.

In einer Zeit zahlreicher Krisen, die meist auf die Überschreitung der planetaren Belastungsgrenzen zurückzuführen sind, halten wir es für inakzeptabel, dass sich europäische Gouverneure dafür entscheiden, die Bedingungen, die diese Krisen verursachen, zu verschlimmern. Als Wissenschaftler:innen lehnen wir politische Entscheidungen, die diese vermeidbaren Krisen beschleunigen, entschieden ab.

Wir fordern die politischen Entscheidungsträger:innen auf, eine klare und ehrgeizige Agenda für den Umweltschutz und den Green Deal für die Zeit nach den Wahlen festzulegen, sich mit Wissenschaftler:innen zu beraten, um nicht auf der Grundlage von Fehlinformationen zu handeln, Änderungen innerhalb der GAP zurückzunehmen, die NRL dringend zu genehmigen und eine weitere Verwässerung der Umweltvorschriften und -politiken zu vermeiden.

Wir fordern außerdem Bürger:innen, zivilgesellschaftliche Organisationen und politische Parteien auf, eine verantwortungsvolle Politikgestaltung zu unterstützen, die eine sichere(re) Zukunft sichert.

Übersetzung des gesamten Briefs (aus dem Englischen)

Ausdruck der Besorgnis von Wissenschaftler:innen: Rückschritt in der EU-Umweltgesetzgebung und -politik gefährdet die Zukunft der EU-Bürger

Liebe Entscheidungsträger:innen,

Als Wissenschaftler:innen beobachten wir mit großer Sorge die überstürzte Deregulierung der Umweltstandards und -vorschriften in der EU und den ungerechtfertigten Widerstand gegen den Green Deal. Innerhalb von nur wenigen Monaten wurden Entscheidungen getroffen, die einem systematischen, rückschrittlichen Angriff auf den Green Deal gleichkommen. Diese Maßnahmen untergraben nicht nur die eigene Agenda der EU und ihre internationalen Verpflichtungen und ihre Rolle als globale Vorreiterin, sondern machen sogar vergangene Erfolge zunichte. Wir listen einige der wichtigsten Entscheidungen und Maßnahmen auf, für die wir eine schwache Begründung feststellen, gegen die wir aber substanzielle wissenschaftliche Beweise sehen.

1) Verordnung zur nachhaltigen Nutzung (Sustainable Use Regulation, SUR)

Der ursprüngliche SUR-Vorschlag der Kommission entsprach den eindeutigen Erkenntnissen über die breite und wachsende Verbreitung von Agrochemikalien in unseren Lebensmitteln und unserem Wasser und die damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt. Trotz wiederholter Abschwächung wurde die SUR vom Europäischen Parlament abgelehnt und dann von der Kommission zurückgezogen. Dabei ignorierten sie einen auf Fakten basierenden offenen Brief, der von 6.000 Wissenschaftler:innen unterzeichnet wurde, sowie einen Appell von über einer Million Bürger:innen zugunsten der SUR.

2) Gemeinsame Agrarpolitik (GAP)

Sowohl das Parlament als auch der Rat stimmten hastig für einen Vorschlag der Kommission, die Umweltwirksamkeit von fünf von neun grundlegenden Umweltstandards zu schwächen – darunter die Beseitigung von Brachen auf Ackerland und die Verbesserung der Möglichkeiten, Grünland in Ackerland umzuwandeln. Obwohl es keine Beweise dafür gibt, dass diese Entscheidungen die Kernprobleme der Landwirte lösen würden, könnten sie die Risiken für die Landwirtschaft – und die Ernährungssicherheit – erhöhen, indem sie Bodenerosion, Bodendegradation und den Verlust der Artenvielfalt beschleunigen, die potenziellen Auswirkungen extremer Wetterereignisse verschlimmern und wichtige Ökosystemleistungen, die für die Landwirtschaft von entscheidender Bedeutung sind, wie Schädlingsbekämpfung, Bestäubung und Wasserrückhaltung, weiter beeinträchtigen.

3) Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (NRL)

Die Kosteneffizienz der Naturwiederherstellung ist bekannt. Die Tatsache, dass 80 % der Lebensraumtypen in der EU in schlechtem Zustand sind und die rasche Verschlechterung des Zustandes der Umwelt insgesamt zeigen die Dringlichkeit des NRL zur Wiederherstellung von Ökosystemen. Dessen positive Beiträge für die Gesellschaft, darunter die menschliche Gesundheit, die Ernährungssicherheit, die Widerstandsfähigkeit gegenüber extremen Wetterereignissen und die Kohlenstoffbindung, wurden wiederholt von Wissenschaftler:innen, der Zivilgesellschaft und Unternehmen hervorgehoben und gefordert. Nach intensiven Trilogverhandlungen zwischen dem Parlament, dem Rat und der Kommission wurde das NRL schließlich vom Parlament angenommen. Es wird nun von einigen Ländern verhindert, die verfahrensmäßige Minderheitenschutzbestimmungen anwenden, im Widerspruch zu einem etablierten wissenschaftlichen Konsens und einem Appell von über 1 Million Bürger:innen zugunsten des NRL.

4) Kommissionsentwurf für Ausnahmen in der Nitratrichtlinie

Die aktuellen Pläne der EU-Kommission zur Lockerung der Verpflichtungen im Rahmen der Nitratrichtlinie könnten zu einer erhöhten Nitratanwendung in der Landwirtschaft führen. Zu den Folgen gehören die Verschlechterung der Wasserqualität in Oberflächen- und Grundwasser sowie Auswirkungen auf nachgelagerte Gebiete, z. B. auf Nord- und Ostsee, deren Zustand bereits mehr als kritisch ist. Da die Stickstoffüberschüsse in mehreren Regionen Europas außergewöhnlich hoch sind, könnte diese Lockerung die Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft (erneut) erhöhen, die Umweltverschmutzung verstärken und im Widerspruch zur Verpflichtung der EU stehen, Klimaneutralität anzustreben.

5) Rahmenwerk für nachhaltige Lebensmittelsysteme (FSFS):

Der Vorschlag der Kommission für ein FSFS, dessen Veröffentlichung für Herbst 2023 geplant war, könnte viele Bedenken sowohl der Landwirt:innen als auch der Verbraucher:innen ausräumen. Die Tatsache, dass er trotz Veröffentlichungsreife vom Schreibtisch der Kommission verschwand, rechtfertigt eine gesellschaftliche Debatte.

Dies sind nur wichtige Beispiele unter anderen – darunter die erneute Zulassung der Verwendung von Glyphosat für weitere 10 Jahre, die Herabstufung des „Bodengesundheitsgesetzes“ zu einer bloßen „Bodenüberwachung“, anhaltende Diskussionen über die Herabstufung des Schutzstatus großer Fleischfresser, Forderungen nach einer Abschwächung oder sogar Aufhebung der Entwaldungsverordnung und die Einstellung der Diskussionen über den strengen Schutz von Urwäldern. Diese Entscheidungen und Prozesse spiegeln einen allgemeinen Geist der Rücknahme von Umweltstandards und -vorschriften wider, von denen einige das Ergebnis jahrzehntelanger Bemühungen sind, die von Wissenschaft und Gesellschaft stark unterstützt wurden.

Bei zu vielen Entscheidungsträger:innen der EU scheint eine umweltfeindliche Stimmung vorzuherrschen. Dies ist aus mehreren Gründen besorgniserregend: Erstens, weil viele Begründungen für diese Entscheidungen auf Fehlinformationen beruhen. Zweitens, weil diese Entscheidungen stark von den besonderen Interessen bestimmter Untergruppen und Wirtschaftsunternehmen innerhalb eines engen Spektrums der Gesellschaft beeinflusst zu sein scheinen – die sich teilweise in gewalttätigen und/oder undemokratischen Ansätzen äußern. Drittens, weil diese Entscheidungen im Widerspruch zu ihren eigenen erklärten Zielen stehen, indem sie gegen die Prinzipien der Nachhaltigkeit vertoßen. Nach bestem Wissen der Wissenschaft sind diese Entscheidungen nämlich schlecht begründet und gefährden unsere gemeinsame Zukunft – einschließlich der Zukunft der Landwirt:innen, denen sie angeblich helfen. Und schließlich sendet die EU als globale Vorreiterin in Sachen Klima-, Biodiversitäts- und Umweltgesetzgebung nun höchst bedauerliche Signale an den Rest der Welt.

In einer Zeit zahlreicher Krisen, die meist aus der Überschreitung der planetaren Belastungsgrenzen resultieren, ist es inakzeptabel, dass sich europäische Regierungen dafür entscheiden, die Bedingungen zu verschlimmern, die diese Krisen verursachen: nämlich die Übernutzung der Ressourcen der Erde, den Ausstoß von Treibhausgasen und Schadstoffen sowie die Entsorgung von Müll, Mikroplastik und giftigem Material um uns herum. Als Wissenschaftler:innen lehnen wir politische Entscheidungen, die diese vermeidbaren Krisen beschleunigen, entschieden ab. Wenn die Ernährungssicherheit auf dem Spiel steht, müssen die wahren Ursachen identifiziert und bekämpft werden. Diese sind umweltbedingt und werden durch sozioökonomische Faktoren verschärft. Dementsprechend sind wir der Ansicht, dass diese Entscheidungen angesichts der Gefahren, die sie mit sich bringen, gegen Kernprinzipien des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verstoßen, wie etwa das Präventionsprinzip, das Vorsorgeprinzip (AEUV-Artikel 191) und die Sorgfaltspflicht.

Wir fordern die politischen Entscheidungsträger:innen auf,

• eine klare und ehrgeizige Agenda für den Umweltschutz und den Green Deal für die Zeit nach den Wahlen festzulegen und Umweltprobleme ernst zu nehmen, da sie eine ernsthafte Bedrohung für die Gesellschaft darstellen;

• im Zweifelsfall Wissenschaftler:innen zu konsultieren, um nicht auf der Grundlage von Fehlinformationen zu handeln;

• Änderungen innerhalb der GAP zurückzunehmen, da sie die Gefahr einer Verschärfung von Umweltproblemen und Gesundheitsgefahren bergen;

• das NRL als dringende Maßnahme zu genehmigen, um die Umsetzung bestehender Maßnahmen zur Bewältigung der Biodiversitätskrise und zur Verbesserung der Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft gegenüber dem Klimawandel zu ergänzen und besser zu koordinieren;

• eine weitere Verwässerung der Umweltvorschriften und -politiken (Nitratrichtlinien, Entwaldungsverordnung) unbedingt zu vermeiden.

Abschließend rufen wir Bürger:innen, zivilgesellschaftliche Organisationen und politische Parteien dazu auf, eine verantwortungsvolle Politikgestaltung zu unterstützen, die eine sichere(re) Zukunft innerhalb der Grenzen unseres Planeten sichert.

Mit freundlichen Grüßen

Society for Conservation Biology – Region Europa

Scientists for Future (Interdisziplinäres Wissenschaftliches Gremium)

Society for Ecological Restoration Europe ALTER-Net

Ökologische Gesellschaft für Deutschland, Österreich und die Schweiz – European Ecological Federation

Niederländisches Netzwerk für ökologische Forschung EuropeForNature

Partnerschaft für Ökosystemdienstleistungen – Region Europa

International Mire Conservation Group

Society of Wetland Scientists

*

Die Society for Conservation Biology – Region Europa widmet sich der Erleichterung, Förderung und Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Erforschung und Erhaltung der biologischen Vielfalt.
https://conbio.org/groups/sections/europe

Scientists for Future (Interdisziplinäres Wissenschaftliches Gremium) unterstützt die globale Klimabewegung, indem es Aktivisten, Politikern, Entscheidungsträgern, Pädagogen und der breiten Öffentlichkeit Fakten und Materialien auf der Grundlage zuverlässiger und anerkannter wissenschaftlicher Daten zur Verfügung stellt. Es ist ein unabhängiges und freiwilliges Kollektiv von Wissenschaftler:innen, Forscher:innen und Akademiker:innen aus allen Disziplinen, die durch die tiefe Sorge für eine gemeinsame Zukunft vereint sind:
https://scientists4future.org

Die Society for Ecological Restoration Europe ist ein Netzwerk, das die Wissenschaft, Praxis und Politik der ökologischen Wiederherstellung vorantreibt, um die Artenvielfalt zu erhalten, die Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel zu verbessern und ein ökologisch gesundes Verhältnis zwischen Natur und Kultur wiederherzustellen.
https://chapter.ser.org/europe/

Alter-Net ist das Netzwerk der führenden Institute aus 21 europäischen Ländern, die das Ziel der Integration ihrer Forschungsfähigkeit zur Beurteilung von Veränderungen in der biologischen Vielfalt analysieren, die Auswirkungen dieser Veränderungen auf Ökosystem-Leistungen und die Öffentlichkeit und die Entscheidungsträger:inneneuropaweit zu informieren. https://alterneteurope.eu/

Die Gesellschaft für Ökologie E.V. ist der Ökologie in Wissenschaft und Praxis gewidmet. Die Gesellschaft unterstützt ökologische Forschung und Ausbildung und fördert den Austausch von Ökolog:innen in akademischen Einrichtungen, der öffentlichen Verwaltung und dem Privatsektor, indem sie jährliche Treffen und Arbeitsgruppen organisiert.

Das Niederländische ökologische Forschungsnetzwerk (NERN) ist das Netzwerk professioneller Ökolog:innen in den Niederlanden, an dem alle Universitäten und Forschungsinstitute mit einem Ökologieprogramm teilnehmen.

Die Initiative EurpeForNature setzt sich zum Ziel, Bürger:innen in Europa darauf aufmerksam machen, wie wichtig es ist, Natur und Nachhaltigkeit zu priorisieren, und sie zu befähigen, ihre Stimme zu nutzen, indem sie: 1) das kollektive Fachwissen, die Erkenntnisse und Visionen von Wissenschaftler:innen in ganz Europa für eine nachhaltige Zukunft nutzen; und 2) durch proaktives Engagement und Lobbyarbeit eine breite öffentliche Unterstützung für nachhaltige europäische Politik demonstrieren.
https://europefornature.eu/

Ecosystem Services Partnership (ESP) – Europäische Region. ESP ist ein globales Netzwerk, das über 3.500 Menschen verbindet und Wissenschaftler:innen, Praktiker:innen, Interessenvertreter:innen und politische Entscheidungsträger:innen im Bereich Ökosystemleistungen auf lokaler, nationaler, regionaler und globaler Ebene vernetzt. ESP zielt darauf ab, Kommunikation, Koordination und Zusammenarbeit zu verbessern und ein starkes Netzwerk von Einzelpersonen und Organisationen aufzubauen, die an Ökosystemdienstleistungen arbeiten.
http://www.es-partnership.org/

Die International Mire Conservation Group (IMCG) ist ein internationales Netzwerk von Spezialist:innen, die den Schutz von Mooren und verwandten Ökosystemen international fördern, unterstützen und, wo angemessen, koordinieren und den Austausch von Informationen und Erfahrungen in Bezug auf Moore und sie beeinflussende Faktoren international verbessern. IMCG umfasst über 550 Kontakte in fast 60 Ländern.
https://www.imcg.net/

Die Society of Wetland Scientists (SWS) setzt sich für die Förderung bewährter Verfahren in den Bereichen Feuchtgebietsforschung, -bildung, -erhaltung, -wiederherstellung und -management ein. Die SWS hat über 3.000 Mitglieder in mehr als 60 Ländern.
https://www.sws.org

Ausgewählte Links zu relevanten Veröffentlichungen und offenen Briefen von Wissenschaftler:innen:

Zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP):

  • Leopoldina (2020): Biodiversity and Management of Agricultural Landscapes,
    Published by the German National Academy of Sciences Leopoldina, Halle/Saale.
    https://bit.ly/3RVnXtW
  • WBAE (2019): Designing an effective agri-environment-climate policy as part of the post-2020 EU Common Agricultural Policy, Statement of the Scientific Board for Food and Environmental Policy (WBAE) at the Federal Ministry for Food and Agriculture, Berlin.
    https://bit.ly/4aDojvb
  • WBAE (2018): For an EU Common Agricultural Policy serving the public good after 2020: Fundamental questions and recommendations, Statement of the Scientific Board for Food and Environmental Policy (WBAE) at the Federal Ministry for Food and Agriculture, Berlin.
    https://bit.ly/4bKtLOk
  • Pe’er et al. (2020): Action needed for the EU Common Agricultural Policy to address sustainability challenges, People and Nature 2 (2): 305-316.
    https://doi.org/10.1002/pan3.10080
  • Pe’er et al. (2022): How can the European Common Agricultural Policy help halt biodiversity loss? Recommendations by over 300 experts, Conservation Letters 15 (6): e12901.
    https://doi.org/10.1111/conl.12901
  • Jongeneel, R.A. (2018): Research for AGRI Committee – The CAP support beyond 2020: assessing the future structure of direct payments and the rural developments interventions in the light of the EU agricultural and environmental challenges, European Parliament, Policy Department for Structural and Cohesion Policies,Brussels.
    http://bit.ly/2zStfOk

Zu NRL und SUR:

  • Pe’er et al. (2023) Scientists support the EU’s Green Deal and reject the unjustified argumentation against the Sustainable Use Regulation and the Nature Restoration Law. https://doi.org/10.5281/zenodo.8128624 – signed by 6000 scientists

Zum Renaturierungsgesetz (NRL):

Zu Fleischfressern in Europa:

  • Revilla et al. 2023. Institutional Science for Policy Report on the damages produced by and the conservation status of wolves in Europe. Estación Biológica de Doñana CSIC.
    https://digital.csic.es/handle/10261/337169

Zum Green Deal als Ganzes:

Titelbild: Martin Auer mithilfe von KI

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Naturschutzmaßnahmen wirken – wenn sie umgesetzt werden (Mit Petition)

Lesedauer 3 Minuten.   

Neue Studie zur Wirksamkeit von Naturschutz

Hat Naturschutz einen positiven Effekt auf die Biodiversität? Diese Frage stellt eine kürzlich im renommierten Fachmagazin Science veröffentlichte Studie. Im Gegensatz zu früheren Arbeiten trägt sie die Ergebnisse von 186 Einzelstudien aus zahlreichen Ländern und Ökosystemen in einer Meta-Analyse zusammen und ist damit besonders aussagekräftig. Die analysierten Naturschutzmaßnahmen umfassen ganz unterschiedliche Ansätze – z.B. die Einführung von Schutzgebieten, die Bekämpfung invasiver Arten und die Wiederherstellung natürlicher Lebensräume. Das Ergebnis ist eindeutig: In 66% der Fälle entwickelte sich die Natur mit Naturschutzmaßnahmen besser als ohne. Diese Interventionen hatten entweder einen absoluten positiven Effekt (z.B. Zunahme der Population einer bedrohten Art) oder schwächten zumindest negative Entwicklungen ab (z.B. Abnahme der Entwaldungsrate in einem Schutzgebiet, verglichen mit der Situation ohne Schutzgebiet). Dabei wurden oft nicht nur kleine Effekte beobachtet, sondern sehr deutliche Verbesserungen. Positive Auswirkungen zeigten sich außerdem auf allen untersuchten Biodiversitätslevels – auf die genetischen Vielfalt innerhalb von Arten, den Zustand spezifischer Arten und ganzer Ökosysteme.

Wie erklärt sich die Minderheit der Fälle, in denen sich die Biodiversität ohne Interventionen besser entwickelt hätte? Zum Teil könnten diese darauf zurückzuführen sein, dass Naturschutz in komplexe Systeme eingreift und deshalb manchmal unvorhersehbare Auswirkungen hat. Von Schutzgebieten für eine bestimmte Art können z.B. ungewollt deren Prädatoren besonders profitieren. Diese Projekte sind aber dennoch nicht nutzlos – solche Erfahrungen ermöglichen besser angepasste Maßnahmen in der Zukunft.

Anscheinend wissen wir Menschen also oft recht genau, wie wir die Natur schützen können. Warum befinden wir uns dann trotzdem in einer massiven Biodiversitätskrise? Weil es nicht reicht, dass Maßnahmen wirkungsvoll sind – sie müssen auch tatsächlich in großem Umfang umgesetzt werden, um unterschiedlichste Arten und Ökosysteme zu bewahren. Die Autor:innen der Studie betonen, dass größere Investitionen in den Naturschutz dringend notwendig sind. Ende 2022 einigte sich die internationale Gemeinschaft bereits auf ambitionierte Ziele zum Erhalt der Biodiversität, wie z.B. bis 2030 30% der Landesfläche weltweit unter Schutz zu stellen (Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework). Diese Ziele sind aber nicht bindend; für ihre Umsetzung müssen die Staaten eigene Pläne und Gesetze festlegen.

Umsetzung: Das geplante EU-Renaturierungsgesetz

Das geplante EU-Renaturierungsgesetz zielt genau darauf ab. Es sieht für die EU vor, bis 2030 für 30% der Lebensräume in derzeit schlechtem Zustand Maßnahmen zu ergreifen, und bis 2050 für mindestens 90%. Weitere Vorgaben dienen der Förderung der Biodiversität speziell in Mooren, Wäldern, landwirtschaftlichen und städtischen Ökosystemen. Auch Flussverbauungen sollen reduziert werden. Zur Umsetzung auf nationaler Ebene soll jedes Land seinen eigenen Plan zur Wiederherstellung der Natur formulieren. Dieses Gesetz wäre eine große Chance, durch gesetzlich festgelegten Naturschutz Biodiversität, Klima, und damit unsere Lebensgrundlagen zu schützen. Das sagen zahlreiche Wissenschaftler:innen: Bereits 2023 befürworteten 6000 Wissenschaftler:innen aus der ganzen EU in einem offenen Brief das Gesetz. Im April diesen Jahres plädierten 170 Wissenschaftler:innen aus Österreich in einem vom WWF organisierten Brief noch einmal dringend dafür. Trotzdem ist derzeit unklar, ob das Gesetz im EU-Ministerrat die erforderliche Mehrheit erhält. Österreich spielt eine entscheidende Rolle, denn aufgrund der Ablehnung der meisten Bundesländer ist immer noch nicht klar, ob Österreich für das Gesetz stimmen wird. Österreich könnte damit dieses wichtige Gesetz verhindern.

Was kann ich tun?

  • In Österreich wohnhafte Personen: Die Petition an die Landeshauptleute unterzeichnen! So zeigen wir die Unterstützung in der Gesellschaft, auch außerhalb der Wissenschaft, und können vielleicht zu einer Kursänderung beitragen. Die Seite informiert zudem übersichtlich zu Fake News und Fakten zum Renaturierungsgesetz.
  • EU-Bürger:innen: Über diese europaweite Petition Alexander De Croo (Vorsitzender der EU-Ratspräsidentschaft und belgischer Premierminister) aufrufen, sich für das Renaturierungsgesetz einzusetzen!
  • Petitionen mit Freund:innen, Familie und Kolleg:innen teilen!
  • Zur Vertiefung des Themas an unserem Talk4Future „Wiederherstellung der Natur in Österreich: Wie und warum?“ teilnehmen! Am Dienstag, 4. Juni, 18:30 Uhr (online) diskutieren wir mit Rafaela Schinegger (BOKU), Joschka Brangs (WWF) und Christian Schröck (IG Moorschutz) über Chancen und Herausforderungen von Renaturierungen.

Quelle

Langhammer, P. F., Bull, J. W., Bicknell, J. E., Oakley, J. L., Brown, M. H., Bruford, M. W., Butchart, S. H. M., Carr, J. A., Church, D., Cooney, R., Cutajar, S., Foden, W., Foster, M. N., Gascon, C., Geldmann, J., Genovesi, P., Hoffmann, M., Howard-McCombe, J., Lewis, T., … Brooks, T. M. (2024). The positive impact of conservation action. Science, 384(6694), 453–458.

Titelfoto: Triplec85 via Wikimedia, CC 0

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21 Ölkonzerne planen CO2-Bomben im Ausmaß von 100 Gigatonnen

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Die Internationale Energieagentur veröffentlichte Mitte 2021 ein Netto-Null-Szenario, in dem es heißt, dass keine neue Infrastruktur für fossile Brennstoffe entwickelt werden sollte, wenn das Temperaturziel von 1,5 °C eingehalten werden soll. Eine Forschungskooperation zwischen Urgewald und dem Global Registry of Fossil Fuels zeigt jedoch, dass Öl- und Gasunternehmen weltweit neue Felder erschließen, in denen mehr als 100 Gigatonnen Kohlendioxidäquivalent (CO2e)-Emissionen enthalten sind.

Über 20 Unternehmen haben Projekte in der Pipeline, die jeweils mehr als eine Milliarde Tonnen eingebettetes CO2e enhalten. Das größte Unternehmen ist Qatar Energy mit 7,4 Milliarden Tonnen, die in neue Projekte fließen, hauptsächlich durch die Erweiterung seiner Gasfelder. Sechs der zehn Unternehmen mit den höchsten Emissionen sind staatliche Unternehmen im Nahen Osten, Osteuropa und Asien.

In Projekte eingebettete Emissionen nach Firmen. Die Farbbalken bezeichnen die verschiedenen Länder, in denen die Firmen tätig sind.
Quelle: Global Registry of Fossil Fuels, CC BY-NC-SA

Westliche Supermajors entwickeln in vielen Ländern der Welt weiterhin Portfolios neuer Projekte. Beispielsweise sind bei ExxonMobil schätzungsweise 3,1 Milliarden Tonnen CO2e in Projekte in der Entwicklung in 14 Ländern eingebettet, während bei Shell 2,5 Milliarden Tonnen CO2e in neue Projekte in 21 Ländern eingebettet sind.

Die Analyse umfasst nicht nur die Verbrennung, sondern auch die Lieferkette, einschließlich Betrieb, Transport, Methan und diffuse Emissionen.

Bis 2030 werden die Länder der Welt doppelt so viele fossile Brennstoffe produzieren, wie mit dem 1,5°C-Ziel vereinbar sind

Die Global Registry of Fossil Fuels ist die erste Open-Source-Datenbank zur weltweiten Öl-, Gas- und Kohleproduktion und zu den entsprechenden Reserven. Durch die Erhöhung der Transparenz der Produktion fossiler Brennstoffe möchte die Datenbank das Verständnis der Auswirkungen der Gewinnung auf das verbleibende Kohlenstoffbudget verbessern und letztlich Entscheidungsträger:innen Informationen über dessen Management liefern.

Diese Grafik zeigt, wie schnell das verbleibende CO2-Budget (laut IPCC) unter verschiedenen Szenarien erschöpft sein wird. In der interaktiven Grafik können die unterschiedlichen Parameter eingestellt werden. Hier nur einige Beispiele.

Das Budget, um das 1,5°CZiel mit 83prozentiger Wahrscheinlichkeit zu erreichen, ist in allen Szenarien 2026 aufgebraucht.
Das Budget, um die Erderwärmung mit 50prozentiger Wahrscheinlichkeit auf 1,7°C zu beschränken, ist mit Business as usual 2036 und mit den verlautbarten Verpflichtungen 2037 aufgebraucht.
Selbst das Budget, um die Erderwärmung mit 50prozentiger Wahrscheinlichkeit auf 2°C zu beschränken, ist bei Business as Usual 2043 und mit verlautbarten Verpflichtungen 2045 aufgebraucht.

Quelle: Global Registry of Fossil Fuels, CC BY-NC-SA

Schätzungen zufolge werden Länder auf der ganzen Welt bis 2030 mehr als das Doppelte der fossilen Brennstoffe produzieren, die mit 1,5 °C vereinbar wären. Es ist klar, dass die Bewältigung der Klimakrise neben Maßnahmen auf der Nachfrageseite, also einer Steuerung des Verbrauchs, auch eine Steuerung des Angebots an fossilen Brennstoffen erfordert, und dass diese Steuerung fair und gerecht sein muss. Die Global Registry of Fossil Fuels ist die erste umfassende, unabhängige, politikneutrale und vollständig Open-Source-Datenbank, die das Ausmaß der CO2-Emissionen im Zusammenhang mit den nationalen Reserven und der Produktion jedes Landes aufzeigt und so politischen Entscheidungsträger:innen, Investor:innen und anderen helfen soll, fundierte Entscheidungen zu treffen, um die Produktion fossiler Brennstoffe an das 1,5 °C-Ziel anzupassen und Forscher mit den Daten auszustatten, die sie für eine zeitnahe Analyse benötigen.

Die Global Registry of Fossil Fuels fasst Daten aus Tausenden von Regierungs- und Unternehmensquellen aus der ganzen Welt an einem Ort zusammen – von der globalen Ebene bis hin zu einzelnen Projekten. Sie enthält Daten aus 139 Ländern, die fossile Brennstoffe produzieren, was 99 % der auf nationaler Ebene aggregierten Produktion fossiler Brennstoffe ausmacht.

Quelle: https://fossilfuelregistry.org/ CC BY-NC-SA

Titelbild: Martin Auer unter Zuhilfenahme von KI

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Renaturierungsgesetz jetzt! Mehr Lebensqualität für alle! Demo: 23. Mai ab 08:30 beim Denkmal der Republik

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Aufnahmen von der Demo:


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Sofia Palzer-Khomenko S4F

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Reinhard Steurer S4F

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Renate Christ S4F

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Leila Kriechbaum FFF

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Juliana Krohn S4F und Schülerinnen der NMS Enkplatz

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Wolfgang Suske Petition

Am 23. Mai findet im Wiener Rathaus eine Sondersitzung des Wiener Landtages zur Blockade des EU- Renaturierungsgesetzes statt. Wir werden deshalb am 23. Mai ab 08:30 Uhr Bürgermeister Ludwig darin bestärken, gemeinsam mit dem Kärntner Landeshauptmann Kaiser an der Zustimmung zum Renaturierungsgesetz festzuhalten. Handeln Sie im Sinne und im Interesse der Bürger:innen dieser Stadt, dieses Landes und von ganz Europa und plädieren Sie aktiv für das Renaturierungsgesetz!

Asphaltwüsten in unseren Städten und Dörfern, Agrarwüsten auf unseren Feldern, Fichten-Plantagen in unseren Wäldern – in Österreich und in ganz Europa wurden primäre Ökosysteme massiv zurückgedrängt. Die wenigen verbleibenden Ökosysteme geraten nun durch die voranschreitende Klimaerhitzung in noch größere Gefahr. Unsere Böden – Grundlage unserer Nahrungsversorgung – leiden unter den Belastungen der intensiven Landwirtschaft und gleichzeitig fallen diese wertvollen Böden – beispielsweise bei Wiener Neustadt – der Versiegelung durch Beton und Asphalt zum Opfer. Weniger intakte, naturnahe Ökosysteme bedeuten auch weniger Lebensqualität und mehr Risiken für uns alle!

Die Natur in Europa ist aus dem Gleichgewicht und hat der voranschreitenden Aufheizung unseres Kontinents nur wenig entgegenzusetzen. Dass die Zeit zum Handeln gekommen ist, führen uns nicht zuletzt die jüngsten Hochwasserkatastrophen eindrücklich vor Augen. Wollen wir die schlimmsten Szenarien der drohenden Klimakatastrophe abwenden, dürfen wir keine Zeit verlieren! Das EU-Renaturierungsgesetz stellt hierfür ein essentielles Instrument dar, in dessen Kern die Wiederherstellung wichtiger Ökosysteme steckt. Mit dem Gesetz können wir in Europa das Gleichgewicht in der Natur wiederherstellen und die Widerstandskraft gegenüber der Klimakrise und anderen menschengemachten Belastungen erhöhen.

Die ursprüngliche Blockade des Renaturierungsgesetzes durch den einstimmigen Beschluss der Bundesländer bezieht sich dabei auf eine veraltete Version des Gesetzes. In der aktuellen Fassung vom Februar diesen Jahres wurden zahlreiche Gegenargumente berücksichtigt. Wir sind erfreut, dass man das in Wien und Kärnten offensichtlich ähnlich sieht. Auch die in den vergangenen Tagen angeführten Kritikpunkte aus den verbliebenen Bundesländern können entkräftet werden, wie ein Faktencheck des WWF Anfang der Woche zeigte. Irreführende Aussagen wie jene, dass das Gesetz Enteignungen von Landbesitzer:innen mit sich bringe, können klar widerlegt werden. Im Gegensatz zu dem Plänen der ÖVP- geführten NÖ Landesregierung rund um Wiener Neustadt – dort sollen Landwirte für eine Umfahrungsstraße enteignet werden – sieht das Renaturierungsgesetz keine verpflichtenden Stilllegungen vor! Auch die Kritik an vermeintlichen Kosten läuft ins Leere, da klar gezeigt werden kann, dass jeder investierte Euro zu einem Mehrwert von 12 Euro für alle Europäer:innen führt.

Wenn die Landeshauptleute aus Wien und Kärnten der angekündigten Unterstützung Taten folgen lassen, steht einer Zustimmung aus Österreich nichts mehr im Weg. Die Stimme aus Österreich könnte entscheidend sein, um dieses zentrale Gesetzesvorhaben im Interesse der 450 Millionen EU-Bürger:innen auf den Weg zu bringen. Wir fordern daher erneut alle Landeshauptleute von SPÖ und ÖVP auf, jetzt für den Schutz der breiten Bevölkerung durch Renaturierung zu stimmen: Folgen Sie dem dringenden Handlungsaufruf zahlreicher EU-Mitgliedsstaaten und der Wissenschaft – lassen Sie das Renaturierungsgesetz Realität werden!

Anlässlich der Sondersitzung des Wiener Landtages am 23. Mai demonstrieren wir gemeinsam mit zahlreichen Bewegungen ab 08:30 Uhr vor dem Denkmal der Republik (Schmerlingplatz) unter dem Motto „Renaturierungsgesetz Jetzt! – Mehr Lebensqualität für Alle!“. Wir fordern die Wiederherstellung von Ökosystemen, die Stabilisierung der Biodiversität, den Schutz unserer Böden und eine nachhaltige Landwirtschaft als Grundlage unseres Wohlstandes! Wir fordern das EU-Renaturierungsgesetz!

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