Klimaklagen weltweit: Wie wir unsere Rechtssysteme zur Bekämpfung der Klimaerwärmung nutzen können
von Bianca Lehner

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Lesedauer 4 Minuten.   

In mehr als 1.500 Fällen weltweit stehen derzeit Staaten oder Unternehmen vor Gericht, um sich für ihren Beitrag zum Klimawandel zu verantworten.

Bei diesen Klimaklagen (Englisch: climate change litigation) geht es darum, dass Klagen in Zusammenhang mit dem Klimawandel vor Gericht gebracht werden, um die Folgen des Klimawandels abzumildern und Staaten oder Unternehmen für die globale Klimaerwärmung oder die Nichteinhaltung von Treibhausgasemissionszielen zur Verantwortung zu ziehen. Besonders in den Vereinigten Staaten, aber auch in anderen Ländern, haben Aktivist*innen und Anwält*innen in den letzten 10 Jahren ihre Bemühungen intensiviert, inationale und internationale Rechtssysteme zu nutzen, um die Belange des Klimawandels voranzubringen. Dabei besteht eine breite rechtliche Übereinstimmung über die Ursachen, das Ausmaß, die Dringlichkeit und die Folgen des Klimawandels. Heute halten die Gerichte die wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass sich das Klima erwärmt, dass menschliche Aktivitäten die beobachteten und erwarteten Veränderungen vorantreiben und dass diese Veränderungen eine Reihe von negativen Auswirkungen für gültig und maßgebend (Banda, 2020, S. 2).

Die Zahl der Klagen hat insbesondere deshalb zugenommen, weil die ersten Auswirkungen des Klimawandels spürbar werden und es wahrscheinlich ist, dass die Klimaziele des Pariser Übereinkommens mit den gegenwärtig durchgeführten oder geplanten Maßnahmen nicht erreicht werden können. Derzeit gibt es weltweit über 1.500 Klimaklagen, davon etwas mehr als 1.000 in den Vereinigten Staaten als Reaktion auf die dortige Klimapolitik (Liv Christiansen, 2021). Grundsätzlich wird zwischen Klagen gegen Staaten, die unter das öffentliche Recht fallen, und Klagen gegen Unternehmen, die hauptsächlich unter das Zivilrecht fallen, unterschieden.

Zu den Klagen gegen Staaten gehören auch solche vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, wie die Klage von sechs portugiesischen Kindern und Jugendlichen, die mit Waldbränden und tödlichen Hitzewellen konfrontiert sind und 33 Länder verklagt haben, weil die Untätigkeit der Regierungen angesichts des Klimawandels ihre Zukunft gefährdet (Bacchi, 2020). Dazu gehören aber auch Klagen von Staaten gegen Staaten, insbesondere von Inselstaaten gegen größere Länder, wie die der Inselgruppe Vanuatu, die den Internationalen Gerichtshof um ein Gutachten über die Rechte heutiger und künftiger Generationen auf Schutz vor den negativen Auswirkungen des Klimawandels bat (Al Jazeera, 2021).

Zu den Klagen gegen Unternehmen gehört auch die Feststellungs- und Schadensersatzklage gegen RWE, Deutschlands größten Stromerzeuger, die der peruanische Bergführer und Landwirt Saul Luciano Lliuya im November 2015 in Deutschland eingereicht hat. Der Kläger argumentiert, dass RWE durch den wissentlichen Ausstoß erheblicher Mengen an Treibhausgasen (THG) zum Klimawandel beigetragen hat und daher in gewissem Maße für Überschwemmungsgefahr durch den Gletschersee oberhalb der Stadt Huaraz in den peruanischen Anden verantwortlich ist (Sabin Center for Climate Change Law, 2015). Der Fall gegen RWE ist einer der am meisten beachteten Präzedenzfälle zu der Frage, ob einzelne Großemittenten für den Schutz vor Klimarisiken zahlen sollen. Hier sei angemerkt, dass RWE am 2. Februar 2021 im Rahmen des Energiecharta-Vertrags selbst eine Klimaklage gegen die niederländische Regierung eingereicht hat, weil diese es versäumt habe, ausreichend Zeit und Ressourcen für den Kohleausstieg bereitzustellen (Sabin Center for Climate Change Law, 2021b).

Die Stadt Huaraz in den peruanischen Anden, gefährdet durch den oberhalb liegenden Gletschersee
Foto links: Battory via Wikimedia, CC BY, Foto rechts: Diego Baravelli via Wikimedia, CC BY-SA

Ein Problem im Zusammenhang mit Klimaforderungen ist, dass nicht aus allen Menschenrechten Verpflichtungen abgeleitet werden können, die den Staaten vorschreiben, wie sie zu handeln oder welche Maßnahmen sie zu ergreifen haben. Allerdings haben die Staaten bestimmte Schutzpflichten, und wenn negative Auswirkungen vermieden werden können, die Staaten dies aber nicht tun, entstehen daraus konkrete Ansprüche für den*die Einzelne*n (Liv Christiansen, 2021). Die Frage ist immer, inwieweit man in dem Rechtssystem, in dem man lebt, die eigene Situation mit dem Klimawandel in Verbindung bringen kann.

In Österreich reichten Einzelkläger*innen und NGOs 2017 eine Klage gegen die Genehmigung des Baus einer dritten Start- und Landebahn am Flughafen Wien ein, mit der Begründung, dass die geplante Start- und Landebahn die jährlichen Emissionen Österreichs erhöhen würde. Das Gericht kam zunächst zu dem Schluss, dass die neue Landebahn sowohl gegen nationales Gesetzes- und Verfassungsrecht, als auch gegen Österreichs Verpflichtungen aus dem EU-Recht und dem Pariser Übereinkommen verstößt (Banda, 2020, S. 86). Nach erfolgreicher Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) wurde der Gerichtsfall über den Bau der dritten Landebahn jedoch 2018 vom Verwaltungsgerichtshof mit einer rechtskräftigen Baugenehmigung abgeschlossen.

Mex im Rollstuhl in der Box-Trainingshalle
Mex verklagt den österreichischen Staat vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Foto: Fridays for Future

Eine weitere Klimaklage hat die Rechtsanwältin Mag. Michaela Krömer, LL.M (Harvard), mit dem Fall von Mex M. vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gebracht, nachdem in Österreich alle verfügbaren nationalen Rechtsmittel ausgeschöpft waren. Der österreichische Staatsbürger Mex M. leidet an einer temperaturabhängigen Form der Multiplen Sklerose (MS) und verklagt nun die österreichische Regierung wegen Verletzung seiner Menschenrechte, da sie keine wirksamen Klimamaßnahmen ergriffen hat, um die Treibhausgasemissionen zu verringern und letztlich den Auswirkungen des Klimawandels entgegenzuwirken (Sabin Center for Climate Change Law, 2021a).

Quellen:

Al Jazeera. (2021, 25. September). Vanuatu to push international court for climate change action. Climate Crisis News | Al Jazeera. Abgerufen von https://www.aljazeera.com

Bacchi, U. (2020, 3. September). Portuguese youth sue European states over „life-threatening“ climate change. Abgerufen am 13. März 2022, von https://www.reuters.com/article/us-europe-climatechange-lawsuit-idUSKBN25U1K8

Banda, M. L. (2020, April). Climate Science in the Courts. A Review of U.S. and International Judicial Pronouncements. Environmental Law Institute (ELI). Abgerufen von https://www.eli.org/sites/default/files/eli-pubs/banda-final-4-21-2020.pdf

Christiansen, L. (2021). Klimaklagen im Europäischen Mehrebenensystem: Völkerrechtliche Tagesthemen 7Völkerrechtsblog. doi:10.17176/20210217-144650-0, https://voelkerrechtsblog.org/klimaklagen-im-europaeischen-mehrebenensystem/.

Germanwatch. (o. D.). Der Fall Huaraz. Abgerufen am 13. März 2022, von https://www.germanwatch.org/de/huaraz

Sabin Center for Climate Change Law. (2015). Luciano Lliuya v. RWE AG. Abgerufen am 13. März 2022, von http://climatecasechart.com/climate-change-litigation/non-us-case/lliuya-v-rwe-ag/

Sabin Center for Climate Change Law. (2021a). Mex M. v. Austria. Abgerufen am 13. März 2022, von http://climatecasechart.com/climate-change-litigation/non-us-case/mex-m-v-austria/

Sabin Center for Climate Change Law. (2021b, Mai 27). RWE v. Kingdom of the Netherlands. Abgerufen am 13. März 2022, von http://climatecasechart.com/climate-change-litigation/non-us-case/rwe-v-kingdom-of-the-netherlands/

Titelbild : PxHere
Gesichtet: Martin Auer



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