Österreich hat seit eineinhalb Jahren kein Klimaschutzgesetz, das die jährlichen Höchstmengen an Treibhausgasen festlegen würde. Es gibt derzeit keine Möglichkeit, gegen Säumnisse wie diese rechtlich vorzugehen. Ein Grundrecht auf Klimaschutz in der Verfassung könnte Abhilfe schaffen und ist eine der Forderungen des Klimavolksbegehrens, das von 380.590 ÖsterreicherInnen unterstützt wurde. (Siehe unseren Beitrag in °CELSIUS und die Aufzeichnung des Talk for Future zum Thema.)
Die S4F-Fachgruppe Recht und Politik hat für uns eine Liste von Fragen und Antworten zu den wichtigsten juristischen Fachbegriffen zusammengestellt, die in der Diskussion immer wieder genannt werden.
Grundrechte allgemein
1. Was sind Grundrechte? Was ist der Unterschied zwischen Grund- und Menschenrechten?
- Grundrechte sind die „grundlegendsten“/wichtigsten Rechte einer Rechtsordnung.
- Es sind Rechte des Einzelnen, die in der Verfassung garantiert werden.
- Grundrechte schützen einzelne Personen in unterschiedlichen Lebensbereichen vor willkürlichen oder ungerechtfertigten Eingriffen des Staates (Zum Beispiel kann die Polizei nicht grundlos Menschen festnehmen. Der Staat kann nicht ohne Anlass Grundeigentümer:innen enteignen).
- Außerdem wird dem Staat der Schutz der Grundrechte auferlegt (Zum Beispiel muss der Staat erlaubte Versammlungen vor Störungen durch Gegendemonstrationen schützen)
- Beispiele für Grundrechte: Recht auf Leben, Folterverbot, Gleichheitssatz, Meinungsfreiheit
- Unterschied zu Menschenrechten: es gibt einige wenige Grundrechte, die nur Staatsbürger:innen (+ EU-Bürger:innen) vorbehalten sind (sogenannte Bürgerrechte, zum Beispiel das Wahlrecht) und es gibt Grundrechte, die jeder Mensch hat (sogenannte Menschenrechte) – das heißt, nicht jedes Grundrecht ist ein Menschenrecht, aber viele Menschenrechte sind in Österreich ein Grundrecht.
- Grundrecht auf Klimaschutz wäre ein Menschenrecht, weil es nicht von der Staatsbürgerschaft oder Unionsbürgerschaft (EU) abhängig wäre.
2. Wo sind die Grundrechte geregelt?
- Es gibt in Österreich kein „Grundrechtsgesetz“, in dem alle Grundrechte gesammelt enthalten sind.
- Die Grundrechte sind an verschiedenen Stellen geregelt: Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), Staatsgrundgesetz (StGG).
3. Wen schützen Grundrechte?
- In der Regel einzelne Personen. Damit kann jede Person den Staat (in allen Erscheinungsformen, zum Beispiel Behörden) auf die Einhaltung des Grundrechts klagen. Privatpersonen oder Unternehmen können grundsätzlich nicht auf die Einhaltung eines Grundrechts geklagt werden.
4. Wie schützen Grundrechte?
- Aus den Grundrechten folgt eine Schutzpflicht. Der Staat wird zur Einhaltung der Grundrechte verpflichtet (Schutz bzw. Gewährleistung von Freiheiten).
- Die Gesetzgebung muss Grundrechte wahren: Gesetze müssen Grundrechten entsprechen. Aus einem Grundrecht kann ein Auftrag an den Gesetzgeber folgen, dass ein neues Gesetz zu erlassen ist.
- Die Verwaltung ist an die Grundrechte gebunden (Eine Verwaltungsbehörde kann zum Beispiel nicht grundlos eine Strafe ausstellen).
5. Wie kann ein Grundrecht geltend gemacht („eingeklagt“) werden?
- In erster Linie vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH).
Grundrecht auf Klimaschutz
6. Welche Rechte mit Bezug auf Klimaschutz gibt es bereits in Österreich?
- Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK): Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs.
- Artikel 2 EMRK: Recht auf Leben.
- Bundesverfassungsgesetz über die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung und die Forschung (BVG Nachhaltigkeit).
- Artikel 37 der EU-Grundrechtecharta (EU-GRC): Hohes Umweltschutzniveau, Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung.
- Artikel 1 Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern (BVG Kinderrechte): Anspruch auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung, Generationengerechtigkeit.
7. Wieso brauchen wir ein Grundrecht auf Klimaschutz?
- Weil der Rechtsschutz des Einzelnen auf Klimaschutz in Österreich fehlt (trotz der im Punkt 6 angeführten Rechte).
- Wirksamer Rechtsschutz bedeutet
1) klimaschädliche Regelungen rechtlich zu bekämpfen und
2) gegen staatliche Untätigkeit vorzugehen, wenn der Staat seinen Klimaschutzverpflichtungen nicht nachkommt.
8. Wie könnte ein Grundrecht auf Klimaschutz ausgestaltet sein?
Die inhaltlichen Möglichkeiten sind vielfältig, zum Beispiel:
- bezogen auf Umweltschutz, Klimaschutz, Biodiversität allgemein
- Verantwortung für künftige Generationen
- Bezug auf Pariser Klimaabkommen: „Beschränkung der Erderwärmung auf deutlich unter 2 und möglichst auf 1,5 Grad“
- Verpflichtung des Staates zur Klimaneutralität z.B. bis 2040.
Wer hätte Rechtsschutz?
- jeder Mensch (Menschenrecht).
Könnten auch NGOs klagen?
- Das hängt davon ab, wie der Rechtsschutz ausgestaltet wird. Grundsätzlich ist das rechtlich aber möglich. (Zum Beispiel kann der Verein für Konsumenteninformation [VKI] Ansprüche für Verbraucher:innen geltend machen.)
9. Gibt es so ein Grundrecht bereits in anderen Staaten?
- Ja.
- In Deutschland und in den Niederlanden etwas haben die Höchstgerichte ein solches bejaht und entsprechende Urteile gefällt (Beispiel: Das deutsche Klimaschutzgesetz sah eine Reduktion der Treibhausgasemissionen nur bis 2030 vor. Deshalb verpflichtete das deutsche Bundesverfassungsgericht in Verantwortung für künftige Generationen den Gesetzgeber zu weitergehenden Maßnahmen.)
10. Was würde passieren, wenn ein Grundrecht auf Klimaschutz im Widerspruch zu anderen Grundrechten stehen würde?
- Auch nach der jetzigen Rechtslage stehen Grundrechte immer wieder miteinander in Konflikt.
- Beispiel: Während der Pandemie standen das Recht auf Freiheit und jenes auf Gesundheit in Konflikt. In so einem Fall kommt es zu einer Abwägung der gegenseitigen Interessen, sodass die meisten Grundrechte auch eingeschränkt werden können. Das würde auch für das Recht auf Klimaschutz gelten.
- Ein Grundrecht auf Klimaschutz hätte daher nicht „automatisch“ Vorrang vor anderen Grundrechten, z.B. dem Recht auf Eigentum oder Freiheit. Es kommt bei so einer Abwägung immer auf den einzelnen, konkreten Fall an.
Weiterführende Links:
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2021/03/rs20210324_1bvr265618.html
Pressemitteilung zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-031.html
Urteil des niederländischen Höchstgerichts (Hoge Raad)
https://uitspraken.rechtspraak.nl/inziendocument?id=ECLI:NL:HR:2019:2007
Kurzstudie Dr. Daniel Ennöckl, LL.M. Langversion https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/III/III_00365/imfname_987168.pdf
Kurzstudie Dr. Daniel Ennöckl, LL.M. Zusammenfassung
https://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2021/PK0904/index.shtml
BKA-Verfassungsdienst Stellungnahme
https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/III/III_00365_U1/imfname_1002906.pdf
Forderungen
https://fridaysforfuture.at/forderungen
https://klimavolksbegehren.at/forderungen
https://www.jeder-mensch.eu/informationen/
Sigmund Freud Privatuniversität: Grundrechtswissen vereinfacht
https://grundrechte.at/
Folder Parlamentsdirektion
https://www.parlament.gv.at/ZUSD/PDF/Grundrechte_14122020_BF.pdf
Europäische Menschenrechtskonvention (englisch)
https://www.echr.coe.int/documents/convention_eng.pdf
Titelbild: Martin Auer
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