Passivhaus: Vom wissenschaftlichen Experiment zum simplen Standard
von Ines Clarissa Schuster

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Lesedauer 4 Minuten.   

Die Anfänge des Passivhauses

Wolfgang Feist wollte es wirklich wissen. Den Physiker, der heute an der Universität Innsbruck lehrt, hat es persönlich interessiert: Wie weit kann man den Energieverbrauch von Gebäuden maximal minimieren? Mit wie wenig kann ein Gebäude im allerbesten Fall auskommen? Zunächst überlegte er in der Theorie und ermittelte mit Computer-Simulationen, was an Einsparungspotentialen vorhanden war. Das Ergebnis war verblüffend. Seine eigenen Erwartungen wurden übertroffen. Wenn gut gebaut wird, dann kann man den Energieverbrauch um 90% reduzieren. Wesentlich sind dafür: eine gut gedämmte und luftdichte Gebäudehülle, gut isolierende luftdichte Fenster, die Vermeidung von Wärmebrücken und eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung. Wolfgang Feist nannte das Konzept „Passivhaus“.

Mit freundlicher Genehmigung von Rainer Pfluger

Aber war die Idee auch in der Realität umsetzbar? Die allererste Umsetzung des Passivhaus-Prinzips war ein finanzielles Wagnis. Für dieses Experiment nahm er sich ein kleines Reihenhaus vor. Eine Förderung des Landes Hessen unterstützte das Projekt.

Passivhaus für mehrgeschoßigen Hochbau

Es macht Sinn, eine neue Idee zuerst im Kleinen auszuprobieren, und nicht gleich ein mehrgeschoßiges Wohngebäude zu errichten. Allerdings erhöhte sich dadurch der Schwierigkeitsgrad. Ein Einfamilienhaus hat im Vergleich zu seinem Volumen „V“ (=Gebäudeinhalt) viel mehr Oberfläche „A“ nach außen. Dieses schlechte A/V Verhältnis bewirkt, dass über die große Oberfläche mehr Energie verloren geht. Um den gleichen Heizwärmebedarf zu erzielen, muss viel Stärker auf die Details geachtet werden: Die optimale Ausrichtung muss sehr gut durchdacht sein, es muss stärker gedämmt werden etc.

Das Wagnis des ersten Passivhauses war dann tatsächlich erfolgreicher als zuvor angenommen: Rainer Pfluger, Feists Kollege an der Uni Innsbruck: „Es wurde sehr gut gemacht, sogar extrem gut, sodass dieses Projekt als Nullheizenergiehaus klassifiziert wurde.“ Der Energiebedarf des Forschungsobjektes wurde detailliert über mehrere Jahrzehnte nachgemessen und hat die vorherigen Simulationsergebnisse bestätigt.

1996 gründete Wolfgang Feist das Passivhaus Institut in Darmstadt, das er bis heute leitet.

Trotzdem ist die Umsetzung des Passivhaus-Konzepts in größeren Objekten einfacher. Rainer Pfluger begann selbst 2002 in Kassel-Marbachshöhe mit dem ersten Passivhaus im großen Maßstab (2 Gebäudeblöcke mit insgesamt 40 Wohneinheiten). Es handelte sich um einen sozialen Wohnungsbau. Das bedeutet, es gab eine strenge Kostenobergrenze, welche nicht überschritten werden durfte. „Wir konnten zeigen, dass man mit einfachen Mitteln ökonomisch gut auskommt.“

Das erste mehrgeschossige Passivhaus Deutschlands
Copyright: ASP_Architekten

Wenn man so günstig ein Passivhaus errichten kann – wieso baut man noch anders?

Kürzlich wurde in einem Passivhaus-Wohnbau in Tirol ein besonders guter Mietpreis von nur 5 EUR/m² erzielt. „Es zeigt, besonders effizientes Bauen führt nicht zwingend zu Mehrkosten.“

Das Bauen ist generell teurer geworden. Aber wo liegen die Hauptkostentreiber? Diese liegen oft in neuen Anforderungen bezüglich Brandschutzes oder Barrierefreiheit. Natürlich gibt es auch Mehrkosten durch den Passivhausstandard: Bessere Dämmung, bessere Fenster usw. sind teurer. Die Analysen zeigen allerdings: Die Mehrkosten halten sich im Rahmen. In diversen Forschungsprojekten wurde genau untersucht, welche Mehrkosten allein durch die Energieverbrauchs-Optimierung des Gebäudes entstehen. Das Ergebnis lautet: 5-7%. „Dies ist so gering. Man wundert sich, warum es nicht verpflichtend ist, im Passivhausstandard zu bauen.“

Mit freundlicher Genehmigung von Rainer Pfluger

Wenn man die Kostenstruktur von Bau-Projekten genau ansieht, ist die Schwankungsbreite allein schon 5%. Wenn man sauber plant und am Anfang mehr Denkarbeit investiert, entstehen kaum Mehrkosten. Ein gutes, luftdicht geplantes Haus braucht kaum mehr Material als ein schlecht geplantes. Wichtig ist, dass die Anschlüsse dort geplant sind, wo sie hingehören und sauber aufeinander abgestimmt sind. Es ist wichtig, dass der Plan sauber, transparent und eindeutig ist. Dann passieren den Handwerkern weniger Fehler und die Gebäudeinfrastruktur hält Jahrzehnte.

Passivhaus-Standard fehlt im Erneuerbare-Wärme-Gesetz

Die Bundesregierung legte einen Entwurf zum Erneuerbare-Wärme-Gesetz (EWG) vor. Das Ziel des EWG ist, den Einsatz fossiler Brennstoffe für privaten Wärmebedarf bis spätestens 2040 komplett zu stoppen. Es werden viele Maßnahmen vorgeschlagen. Definitiv fehlt aber die Vorschrift, dass im Neubau im Passivhausstandard gebaut werden muss. Keine andere Maßnahme hat so einen großen Effekt.

Es scheint, dass das Geschäft mit dem Gas immer noch zu lukrativ ist. Es bleibt beinahe nur zu hoffen, dass die Energiekosten weiter so rasant steigen und es dadurch noch wirtschaftlicher wird, im Passivhausstandard zu errichten.

Das „Investor-Nutzer Dilemma“

Nun gibt es das „Investor-Nutzer Dilemma“: Wenn der Bauherr die Investitionen tätigt, um energieeffizienter zu bauen hat nicht er selbst, sondern der Mieter den finanziellen Vorteil, da dessen Energiekosten geringer werden. Aus diesem Grund ist der Bauherr eher motiviert, sich die Investitionen zu sparen. Eine Variante, um von den Mehrkosten selbst zu profitieren, ist die „Warmmiete“. Also die Energiekosten in den allgemeinen Miet- und Betriebskosten pauschal zu integrieren. In Deutschland wird bereits von einigen Wohnbaugesellschaften „warm“ vermietet. Im Passivhaus macht die Vermietung „warm“ besonders viel Sinn, da der Verbrauch sehr gering ist: Rainer Pfluger: „Wenn man bei 100 EUR Heizkosten pro Jahr liegt, ist die Abrechnung absurd. Man muss in jeder Wohnung eigene Zähler einzubauen. Diese müssen alle 5 Jahre erneuert werden und geeicht werden. Die Zähler-Daten müssen abgelesen oder übertragen werden. Die Abrechnung ist ein bürokratischer Aufwand. Rein ökonomisch und volkswirtschaftlich kann man die individuelle Abrechnung in Passivhäusern nicht rechtfertigen.“

Die Wohnungsbaugesellschaften haben es rechtlich nicht leicht, ihre Mehrinvestitionen geltend zu machen. Leichter fällt es, wenn sie sich die Kosten über die Warmmiete wieder hereinholen. Der Investor sorgt selbst für minimale Heizkosten und spart so direkt. Das „Investor-Nutzer Dilemma“ ist umgangen.

Kritik von Wiener Wohnen

Im Gespräch mit °CELSIUS berichtete ein Mitarbeiter von Wiener Wohnen von negativen Erfahrungen. In einem als Passivhaus ausgeführten Gemeindebau sei der tatsächliche Verbrauch der Mieter um ein Vielfaches höher als ursprünglich berechnet. Viele Mieter in diesem konkreten Gebäude sind Raucher. Sie haben die Fenster oft geöffnet und verursachen damit große Energieverluste.

Rainer Pfluger würde hier die Verantwortung nicht generell den Bewohnern in die Schuhe schieben,. Höherer Verbrauch kann ja auch an der Planung oder Ausführung begründet liegen. Auf jeden Fall sind solche Beschwerden: „Jammern auf hohem Niveau: Selbst, wenn der gemessene Verbrauch doppelt so hoch ist wie der ursprünglich angenommene, ist dieser immer noch ein Bruchteil.“ Prinzipiell gibt es in Wohnhäusern immer eine gewisse Verbrauchs-Streuung. Manche Bewohner brauchen etwas mehr, andere brauchen etwas weniger. Der Planungswert von 15 kWh pro Jahr und Quadratmeter ist ein Mittelwert über mehrere Wohneinheiten.

Das Problem liegt oft daran, dass die Dimensionierung der Heizung so ausgelegt wird, dass die Innenräume auch dann warmgehalten werden können, wenn die Fenster immer offenstehen. Das muss nicht so sein. Eine knappere Dimensionierung führt automatisch dazu, dass das Fenster wieder zugemacht wird, wenn es kühler wird.

Titelfotos: Herbert Krabal und ASP_Architects
Gesichtet: Martin Auer

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