Corporate Greenwashing: Die Klimaversprechen vieler großer Unternehmen halten einer näheren Untersuchung nicht stand
von Martin Auer

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Lesedauer 5 Minuten.   

Ein aktueller Report nimmt 25 Unternehmen unter die Lupe

2019 hat Amazon zusammen mit anderen Großunternehmen The Climate Pledge gegründet, einen von mehreren Zusammenschlüssen von Firmen, die sich verpflichten, bis 2040 klimaneutral zu werden. Doch bis heute hat Amazon nicht im Detail dargelegt, wie es dieses Ziel erreichen will. Es ist nicht klar, ob das Versprechen nur die CO2-Emissionen oder alle Treibhausgase umfasst, und es ist nicht klar, in welchem Umfang die Emissionen tatsächlich reduziert oder bloß durch CO2-Kompensation ausgeglichen werden sollen.

Ikea möchte bis 2030 „klimapositiv“ sein. Was genau damit gemeint ist, bleibt unklar, aber es suggeriert, dass Ikea bis dahin noch mehr als klimaneutral werden will. Konkret plant das Unternehmen eine Reduktion seiner Emissionen bis 2030 um nur 15 Prozent. Für den Rest will sich Ikea unter anderem „vermiedene“ Emissionen anrechnen, d. h. Emissionen, die eigentlich seine Kund:innen vermeiden, wenn sie Solarpaneele von Ikea kaufen. Weiter rechnet Ikea sich den in seinen Produkten gebundenen Kohlenstoff an. Dabei ist sich das Unternehmen bewusst, dass dieser Kohlenstoff im Durchschnitt nach ca. 20 Jahren wieder freigesetzt wird (z. B. wenn Holzprodukte entsorgt und verbrannt werden). Das macht natürlich die Klimawirkung dann wieder zunichte.

Apple wirbt auf seiner Website: „Wir sind CO2-neutral. Und bis 2030 werden alle Produkte, die du liebst, es auch sein“. Dieses „Wir sind CO2-neutral“ bezieht sich aber nur auf die eigenen unmittelbaren Operationen, Dienstreisen und Arbeitswege der Beschäftigten. Die machen allerdings nur 1,5 Prozent der gesamten Emissionen des Konzerns aus. Die übrigen 98,5 Prozent fallen in der Lieferkette an. Hier hat sich Apple bis 2030 ein Reduktionsziel von 62 Prozent auf der Basis von 2019 gesetzt. Das ist ambitioniert, aber noch weit entfernt von CO2-Neutralität. Detaillierte Zwischenziele fehlen. Auch fehlen Ziele, wie der Energieverbrauch durch die Nutzung der Produkte gesenkt werden soll. 

Gute und schlechte Praktiken

Ähnliche Situationen zeigen sich bei anderen großen Unternehmen. Der Thinktank New Climate Institute hat die Pläne von 25 Großkonzernen genauer unter die Lupe genommen und die Detailpläne der Firmen analysiert. Bewertet wurde dabei einerseits die Transparenz der Pläne und andererseits, ob die geplanten Maßnahmen durchführbar sind und ausreichend, die selbstgesteckten Ziele der Firmen zu erreichen. Nicht in die Bewertung einbezogen wurden die übergeordneten Unternehmensziele, also ob die Produkte in dieser Form und diesem Umfang überhaupt gesellschaftlichen Bedürfnissen entsprechen. 

Die Ergebnisse wurden im Bericht „Corporate Climate Responsibility Monitor 2022“[1] gemeinsam mit der NGO Carbon Market Watch veröffentlicht. 

Der Report nennt mehrere gute Praktiken, an deren Einhaltung Klimaversprechen von Unternehmen zu messen sind:

  • Unternehmen sollten alle ihre Emissionen nachverfolgen und jährlich offenlegen. Und zwar die aus eigener Produktion („Scope 1“), aus der Produktion der Energie, die sie verbrauchen („Scope 2“) und aus der Zulieferkette und den nachgelagerten Prozessen wie Transport, Konsum und Entsorgung („Scope 3“). 
  • Unternehmen sollten in ihren Klimazielen festhalten, dass diese Ziele Emissionen in Scope 1, 2 und 3 umfassen sowie andere relevante Klimatreiber (wie veränderte Landnutzung). Sie sollten Ziele festsetzen, die keine Kompensationen enthalten und mit den 1,5°C-Vorgaben für diese Branche übereinstimmen. Und sie sollten eindeutige Zwischenziele festlegen, die nicht weiter als fünf Jahre auseinanderliegen.
  • Unternehmen sollten Maßnahmen zur tiefen Dekarbonisierung durchführen und auch offenlegen, sodass andere sie nachahmen können. Sie sollten die höchste Qualität erneuerbarer Energien beschaffen und alle Details der Beschaffung offenlegen.
  • Sie sollten ambitionierte finanzielle Unterstützung für die Minderung des Klimawandels außerhalb ihrer Wertschöpfungskette leisten, ohne diese als Neutralisierung ihrer Emissionen auszugeben. Was CO2-Kompensationen anbelangt, sollten sie irreführende Versprechungen vermeiden. Nur solche CO2-Kompensationen sollten gezählt werden, die absolut unvermeidbare Emissionen ausgleichen. Die Unternehmen sollten nur Lösungen wählen, die den Kohlenstoff über Jahrhunderte oder Jahrtausende binden (mindestens 100 Jahre) und die exakt quantifizierbar sind. Diesen Anspruch können nur technologische Lösungen erfüllen, die CO2 mineralisieren, also beispielsweise in Magnesiumcarbonat (Magnesit) oder Calciumcarbonat (Kalk) umwandeln, und die erst in einer noch nicht näher bestimmbaren Zukunft verfügbar sein werden.

An schlechten Praktiken nennt der Report unter anderem:

  • Selektive Offenlegung von Emissionen vor allem aus Scope 3. Damit verschleiern manche Unternehmen bis zu 98 Prozent ihres gesamten Fußabdrucks.
  • Überhöhte Angabe von früheren Emissionen, um die Reduktionen größer erscheinen zu lassen.
  • Auslagerung von Emissionen an Subunternehmen.
  • Untätigkeit hinter großartigen Zielen verbergen.
  • Emissionen aus Lieferketten und nachgelagerten Prozessen nicht mit einbeziehen.
  • Falsche Ziele: mindestens vier der 25 untersuchten Unternehmen haben Ziele veröffentlicht, die in Wahrheit keinerlei Reduktion zwischen 2020 und 2030 erfordern.
  • Vage oder unglaubwürdige Angaben über die verwendeten Stromquellen.
  • Doppelte Verrechnung von Reduktionen.
  • Einzelne Marken herauspicken und  als CO2-neutral bewerben.

Kein erster Platz in der Wertung

In der Wertung anhand dieser guten und schlechten Praktiken erreicht keines der untersuchten Unternehmen den ersten Platz. 

Auf dem zweiten Platz („annehmbar“) landet Maersk. Die größte Containerschiff-Reederei der Welt hat im Jänner 2022 angekündigt, bis 2040 Netto-Null-Emissionen für das ganze Unternehmen einschließlich aller drei Scopes erreichen zu wollen. Das ist eine Verbesserung gegenüber früheren Plänen. Bis 2030 sollen die Emissionen von Terminals um 70 Prozent sinken und die Emissionsintensität der Schifffahrt (also Emissionen pro transportierter Tonne) um 50 Prozent. Wenn gleichzeitig die Frachtvolumen sich erhöhen, läuft das natürlich auf weniger als 50 Prozent der absoluten Emissionen hinaus. Den Hauptteil der Reduzierungen müsste Maersk dann zwischen 2030 und 2040 erreichen. Weiter hat Maersk sich Ziele für den direkten Umstieg auf CO2-neutrale Brennstoffe gesetzt, also synthetische und Bio-Brennstoffe. Flüssiggas als Übergangslösung wird nicht in Betracht gezogen. Da diese neuartigen Brennstoffe mit Nachhaltigkeits- und Sicherheitsproblemen behaftet sind, hat Maersk auch entsprechende Forschungen in Auftrag gegeben. 2024 sollen acht Frachter in Betrieb genommen werden, die sowohl mit fossilem Brennstoff als auch mit Bio-Methanol oder E-Methanol betrieben werden können. Damit will Maersk ein Lock-In vermeiden. Das Unternehmen hat sich auch bei der Weltschifffahrtsorganisation für eine generelle Kohlenstoff-Abgabe für die Schifffahrt eingesetzt. Negativ bewertet der Report, dass Maersk im Gegensatz zu den detaillierten Plänen für alternative Brennstoffe nur wenig klare Ziele für Emissionen aus Scope 2 und 3 vorlegt. Kritisch wird vor allem sein, aus welchen Energiequellen letztlich der Strom für die Erzeugung der alternativen Brennstoffe kommen wird.

Dritte Plätze („mäßig“) bekommen Apple, Sony und Vodafone.

Die folgenden Unternehmen entsprechen den Kriterien nur wenig: Amazon, Deutsche Telekom, Enel, Glaxosmithkline, Google, Hitachi, Ikea, Volkswagen, Walmart und Vale. 

Und sehr wenig Entsprechung findet der Report bei Accenture, BMW Group, Carrefour, CVS Health, Deutsche Post DHL, E.On SE, JBS, Nestlé, Novartis, Saint-Gbain und Unilever.

Nur drei dieser Firmen haben Reduktionspläne erstellt, die die gesamte Wertschöpfungskette betreffen: der dänische Schifffahrtsriese Maersk, das britische Kommunikationsunternehmen Vodafone und die Deutsche Telekom. 13 Unternehmen haben detaillierte Maßnahmenpakete vorgelegt. Diese Pläne reichen im Durchschnitt für eine Reduktion der Emissionen um 40 Prozent statt der versprochenen 100 Prozent. Mindestens fünf der Konzerne kommen mit ihren Maßnahmen nur auf 15 Prozent Reduktion. Sie beziehen beispielsweise die Emissionen nicht ein, die bei ihren Zulieferern oder bei nachgelagerten Prozessen wie Transport, Nutzung und Entsorgung anfallen. Zwölf der Unternehmen haben keine klaren Details für ihre Pläne zur Treibhausgasreduktion vorgelegt. Nimmt man alle untersuchten Unternehmen zusammen, so erreichen sie nur 20 Prozent der versprochenen Emissionsminderung. Um das 1,5°C-Ziel noch zu erreichen, müssten bis 2030 alle Emissionen um 40 bis 50 Prozent im Vergleich zu 2010 reduziert werden.

CO2-Kompensationen sind problematisch

Besonders problematisch ist, dass viele der Firmen in ihre Planungen CO2-Kompensation mit einbeziehen, und zwar zum größten Teil durch Aufforstungsprogramme und andere naturbasierte Lösungen, wie das zum Beispiel Amazon in großem Maßstab tut. Problematisch deshalb, weil der so gebundene Kohlenstoff wieder in die Atmosphäre gelangen kann, zum Beispiel durch Waldbrände oder durch Abholzen und Verbrennen. Auch benötigen solche Projekte Flächen, die nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen und die dann möglicherweise für die Nahrungsproduktion fehlen. Ein weiterer Grund ist, dass Kohlenstoffbindung (sogenannte negative Emissionen) zusätzlich zur Reduzierung der Emissionen notwendig ist. Die Firmen sollten also solche Programme zur Aufforstung oder zur Wiederherstellung von Moorlandschaften und so weiter unbedingt finanziell unterstützen, aber sie sollten diese Unterstützungen nicht als Vorwand benutzen, ihre Emissionen nicht zu senken, also nicht als Negativposten in ihr Emissionsbudget mit einbeziehen. 

Auch Technologien, die der Atmosphäre CO2 entziehen und dauerhaft binden (mineralisieren), können als glaubwürdiger Ausgleich nur dann gelten, wenn dadurch in Zukunft unvermeidbare Emissionen ausgeglichen werden sollen. Dabei müssen die Unternehmen in Betracht ziehen, dass auch diese Technologien, wenn sie verwirklicht werden, immer nur in begrenztem Umfang zur Verfügung stehen werden und immer noch große Unsicherheiten damit verbunden sind. Sie müssen die Entwicklungen genau verfolgen und ihre Klimapläne im Hinblick darauf laufend aktualisieren.

Einheitliche Standards müssen geschaffen werden

Insgesamt stellt der Bericht fest, dass einheitliche Standards auf nationaler und internationaler Ebene fehlen, um Klimaversprechen von Unternehmen zu bewerten. Solche Standards wären dringend notwendig, um echte Klimaverantwortung von Greenwashing zu unterscheiden.

Um solche Standards für die Netto-Null-Pläne von nicht-staatlichen Körperschaften wie Unternehmen, Investor:innen, Städten und Regionen zu entwickeln, haben die Vereinten Nationen im März diesen Jahres eine hochrangige Expert:innengruppe ins Leben gerufen. Empfehlungen sollen noch vor Ende des Jahres veröffentlicht werden.

Gesichtet: Renate Christ

Titelbild: Canva/nachbearbeitet von Simon Probst


[1]    Day, Thomas; Mooldijke, Silke; Smit, Sybrig; Posada, Eduardo; Hans, Frederic; Fearnehough, Harry et al. (2022): Corporate Climate Responsibility Monitor 2022. Köln: New Climate Institute. Online: https://newclimate.org/2022/02/07/corporate-climate-responsibility-monitor-2022/, Zugriff am 02.05.2022.

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