Am 17. Mai stimmte der Umweltausschuss des Europaparlaments über einen Vorschlag zur Überarbeitung der Verordnung über Landnutzung und Forstwirtschaft und der Richtlinie über erneuerbare Energie ab1. Laut diesem Entwurf soll die Energiegewinnung aus „primärer holzartiger Biomasse“ nicht mehr als nachhaltig gelten. Gemeint sind damit Bäume, die zur Energiegewinnung gefällt werden. Diese Form der Energieerzeugung aus Biomasse könnte dann nicht mehr von Förderungen für erneuerbare Energien profitieren, sondern wäre der CO2-Bepreisung unterworfen.
Ausgenommen wäre „sekundäre holzartige Biomasse“, also Abfälle, die bei anderen Arten der Holznutzung entstehen, wie Sägespäne, Rinde, Schwarzlauge aus der Papierherstellung und Abfälle bei der Holzgewinnung wie Äste und Wipfel.
Freilich ist noch unklar, ab das Europäische Parlament sich diesem Entwurf anschließen wird. Martin Pigeon, Wald- und Klimabeauftragter der Umweltorganisation Fern: „Die Bioenergiebranche ist vor allem dank dieser Anreize gewachsen und wird sich gegen diese Begrenzung ihres Angebots heftig wehren. Dabei kann sie leider auf die Unterstützung einiger verbündeter EU-Regierungen zählen, wie beispielsweise die der derzeitigen Regierungen Schwedens, Finnlands oder Österreichs.“2
Holz emittiert pro Energieeinheit mehr CO2 als fossile Brennstoffe
Zunächst muss man wissen, dass Holz pro Energieeinheit mehr CO2 emittiert als jeder fossile Brennstoff. Pro Gigajoule (das sind 277,8 kWh) Primärenergie emittiert Holz 109,6 kg CO2. Bei Kohle sind es je nach Qualität 94,6 bis 101,2 kg CO2, bei Diesel 74,1 kg CO2 und bei Erdgas 55,8 kg CO2.3
Wenn die Bäume nachwachsen, nehmen sie das CO2 wieder auf. Doch das dauert seine Zeit: je nach Waldtyp 44 bis 104 Jahre.4 So lange gibt es also einen CO2-Überhang in der Atmosphäre, der größer ist, als wenn statt Holz fossile Energieträger verbrannt worden wären. Je mehr Holz verbrannt wird, desto größer wird die CO2-Schuld, die wir eingehen. Gleichzeitig müssen wir aber unsere Ökosysteme schützen, die Entwaldung stoppen und wenn möglich die bewaldeten Flächen wieder wachsen lassen.
Problematische EU-Richtlinie
Die EU-Richtlinie für erneuerbare Energie hat bisher praktisch jede Art von Holz und sonstiger Biomasse für die Energiegewinnung als CO2-neutral eingestuft, schreibt die Ökologin Mary S. Booth in einem kürzlich im Fachblatt Bulletin of the Atomic Scientists erschienen Beitrag.5 In den EU-Mitgliedstaaten wird mehr als die Hälfte des geernteten Holzes verbrannt, das sind mehr als 300 Millionen Tonnen jährlich. Bioenergie-Unternehmen erhalten jährlich 16 Milliarden Euro an Förderungen und ersparen sich 5 Milliarden an CO2-Zertifikaten, die sie kaufen müssten, wären sie nicht als CO2-neutral eingestuft. In Kraftwerken dienen Holzpellets als praktischer Ersatz für Kohle, schreibt Booth. Da sie getrocknet sind, haben sie einen höheren Energiegehalt als andere Holzarten und sind deshalb auch leichter zu transportieren. Frühere Kohlekraftwerke genießen jetzt Förderungen anstatt für CO2-Emissionen zu zahlen. Diese Anreize haben innerhalb und außerhalb der EU zu einem explosiven Anwachsen der Holzpellets-Industrie geführt.
Aktuell werden rund 22% des Brutto-Endenergieverbrauchs in der EU mit Erneuerbaren gedeckt.6 Davon stammen 45% aus Holz7, aus Biomasse insgesamt 60%.8
Angesichts der Ukraine-Krise hat die Internationale Energieagentur IEA schon vorgeschlagen, den Verbrauch von Biomasse in den EU-Kraftwerken zu erhöhen, da diese derzeit nur mit halber Auslastung arbeiten würden. Dazu sollten entsprechende Anreize geschaffen werden.9 Booth befürchtet, dass durch solche Anreize die Holzschlägerungen zunehmen und die Fortschritte der EU bei den Klima- und Ökosystemzielen unterminiert würden. Die EU will bis 2050 CO2-neutral sein, das heißt, 100% der noch vorhandenen Emissionen müssen dann durch CO2-Senken kompensiert werden. Doch 2019 konnten CO2-Senken wie Wald, Moore und andere nur 6% der registrierten Emissionen aufnehmen. Und in den letzten Jahren sinkt die Menge an CO2, die die europäischen Wälder aufnehmen.
Verschwendete Wertschöpfung
Nicht nur vom ökologischen, sondern auch vom wirtschaftlichen Standpunkt aus sollte Verbrennen erst das letzte Glied einer sogenannten „kaskadischen“ Holznutzung sein. Sinnvollerweise sollten am Beginn der Nutzung langlebige Holzprodukte stehen. Sowohl als Baustoff wie auch als Rohstoff für Möbel kann Holz über Jahrzehnte bis Jahrhunderte Kohlenstoff speichern. Und Vollholzprodukte können durchaus mehrere Recyclingrunden durchlaufen. Aus den Abfällen bei der Holzgewinnung und Holzverarbeitung und altem Vollholz können Spanplatten hergestellt werden. Sein drittes Leben kann Holz in Form verschiedener Faserprodukte wie Papier führen und sein viertes Leben in Form verschiedener chemischer Produkte. Auf jeder dieser Stufen fallen Abfälle an, die zum Teil in der nächst unteren Stufe verarbeitet werden können oder sich wirklich nur mehr zur energetischen Nutzung eignen.10
Falsche Argumente
Ein Argument, das von der Bioenergie-Industrie gerne vorgebracht wird, beruht laut Booth schlicht auf einem Rechentrick. Die Regeln des IPCC für die Berichte zu Treibhausgas-Emissionen sehen vor, dass Emissionen aus der Holzernte dem Landnutzungssektor zugeschrieben werden. Damit sie nicht doppelt verrechnet werden, werden die Emissionen bei der Verbrennung nicht noch einmal gezählt. Das stellen Kraftwerksbetreiber wie Drax in England dann so dar, als ob beim Verheizen von Biomasse kein CO2 anfallen würde. Drax ist ein auf Pellets umgerüstetes Kohlekraftwerk, das größte seiner Art auf der Welt. Vor genau solch einer Interpretation warnt der IPCC ausdrücklich.11
Ein weiteres Argument ist, dass die Biomasse nur aus Resten und Abfällen gewonnen würde. Doch auch dieses Argument ist zweifelhaft, schreibt Booth. Holzreste wie Äste oder Wipfel, die nach der Holzernte im Wald belassen werden, geben wohl bei der Zersetzung CO2 ab. Doch während bei der Verbrennung das CO2 sofort freigesetzt wird, zersetzen sich Holzreste nur langsam und geben das CO2 über einen längeren Zeitraum hinweg ab. Sie spielen eine wichtige Rolle in der Waldökologie, bieten Lebensräume für unterschiedliche Pflanzen, Pilze und Tiere und reichern auch den Boden mit Kohlenstoff an. Der Zeitunterschied im Vergleich zur Verbrennung ist für den Zeitraum, der uns zur Vermeidung des schlimmsten Klimawandels bleibt, durchaus relevant, wie Booth betont. Außerdem bleibt zu überprüfen, ob es sich wirklich nur um Reste handelt. Dabei ist zu bedenken, dass beispielsweise Abfallholz von Möbeln oder Zäunen, das lackiert oder imprägniert ist, zu großen Problemen bei der Verbrennung führen kann. Für die meisten großen Holzkraftwere, wie z.B. Drax in England, sind nur Pellets aus unbehandeltem Holz eine Option.
Als häufigstes Argument nennt Booth, das Holz werde ja nachhaltig geerntet. Das Nachhaltigkeits-Argument beruft sich darauf, dass in einem bestimmten Gebiet in einem Jahr nicht mehr Holz geerntet wird, als im selben Zeitraum in diesem Gebiet nachwächst. Doch wie man es dreht und wendet, das geerntete Holz ist im Moment als Kohlenstoffspeicher verloren und das CO2 aus der Verbrennung erhöht die in der Atmosphäre angesammelte Menge an CO2. Hätten die Bäume weiterwachsen können, hätten sie sogar noch zusätzlichen Kohlenstoff gespeichert. Und die Bäume, die anderswo im betrachteten Gebiet wachsen, wären sowieso gewachsen. Sie können also nicht wirklich als Ausgleich herangezogen werden. Wenn alter Wald abgeholzt wird, kann es sein, dass die CO2-Schuld überhaupt nie zurückgezahlt wird, nämlich wenn der Wald weiter bewirtschaftet wird und nicht mehr zur Reife kommt.12
Ein Aspekt, der laut Booth viel zu wenig Beachtung findet, sind die gesundheitlichen Folgen des Verbrennens von Holz. In der EU starben 2018 mehr als 1000 Menschen pro Tag an den Folgen von Luftverschmutzung durch Feinstaub. 54% des Feinstaubs wurden von Haushalten und anderen Einrichtungen verursacht, die mit festen Brennstoffen, vor allem Holz heizen. Der Energiesektor war nur für 18% und der Straßenverkehr für 11% des Feinstaubs verantwortlich.13 Privaten rät das deutsche Bundesumweltamt eindringlich, Alternativen zur Pelletsheizung zu prüfen, und bei Neubauten auf jeden Fall ein brennstofffreies Heizsystem (ohne Gas, Öl, Holz) zu installieren.14 Am schädlichsten für die Gesundheit sind offene Kamine.15
Der akute Bedarf an Ersatz für russisches Öl und Gas könnte, so befürchtet Booth, zu einem drastischen Anstieg der Schlägerungen führen, wenn die EU-Richtlinie nicht geändert wird und Holz-Biomasse weiterhin als CO2-neutral behandelt wird.
Titelfoto: Kyle Spradley via Flickr, CC BY-SA
1https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/ENVI-AD-703044_EN.pdf
2https://www.euractiv.de/section/energie-und-umwelt/news/umweltverbaende-erringen-historischen-sieg-bei-biomassevorschriften/
3Quasching, Volker (2021): Specific Carbon Dioxide Emissions of Various Fuels, https://www.volker-quaschning.de/datserv/CO2-spez/index_e.php
4Sterman John D. et al (2018) : Does replacing coal with wood lower CO2 emissions? Dynamic lifecycle analysis of wood bioenergy. In: Environmental Research Letters 13 015007, https://iopscience.iop.org/article/10.1088/1748-9326/aaa512
5Booth, Mary S. (2022): “Sustainable” biomass: A paper tiger when it comes to reducing carbon emissions. In: Bulletin of the Atomic Scientists 78 (3), S. 139–147. DOI: 10.1080/00963402.2022.2062938.
6Europäische Umweltagentur (2022): Share of energy consumption from renewable sources in Europe. https://www.eea.europa.eu/ims/share-of-energy-consumption-from
7UNECE (2018): Wood Energy in the ECE Region. https://unece.org/DAM/timber/publications/SP-42-Interactive.pdf
8EU (2019): Brief on biomass for energy in the European Union. https://op.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/7931acc2-1ec5-11e9-8d04-01aa75ed71a1/language-en/format-PDF/source-228478685
9Bioenergy Europe. 2022. “Soaring Energy Prices: Time to Break with the Structural Instability and Move to a Resilient and Affordable European Energy Block.” Bioenergy Europe, March 9. https://bioenergyeurope.org/index.php?view=article&id=353
10Föhrenbach, Horst et al.: Biomassekaskaden. Mehr Ressourceneffizienz durchKaskadennutzung von Biomasse. https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2017-06-13_texte_53-2017_biokaskaden_kurzfassung.pdf
11(IPCC) Intergovernmental Panel on Climate Change. 2022. “Frequently Asked Questions.” Intergovernmental Panel on Climate Change. Accessed 24 March 2022. https://www.ipcc-nggip.iges.or.jp/faq/faq.html
12Holtsmark, Bjart (2010): Use of wood fuels from boreal forests will create a biofuel carbon debt with a long payback time. https://www.ssb.no/a/publikasjoner/pdf/DP/dp637.pdf
13European Environment Agency (2020): Air quality in Europe 2020-Report. https://www.eea.europa.eu/publications/air-quality-in-europe-2020-report
14https://www.umweltbundesamt.de/umwelttipps-fuer-den-alltag/heizen-bauen/pelletkessel
15https://www.lungenaerzte-im-netz.de/news-archiv/meldung/article/feinstaub-aus-kaminoefen-ist-aehnlich-schaedlich-wie-dieselruss/
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