Die vielfältige Welt der Commons – von Wikipedia bis zum selbstverwalteten Park
von Martin Auer

Lesedauer 4 Minuten.   

Die Ökonomin Elinor Ostrom hat gezeigt, dass selbstorganisierte Gruppen sehr wohl imstand sind, gemeinschaftliche Güter nachhaltig zu bewirtschaften – entgegen der pessimistischen Theorie von der „Tragödie der Commons“. Aber geht es hier nur um traditionelle Dorfgemeinschaften?

Die Welt der Commons ist reich und vielfältig, aber es ist oft unsere Erziehung, die uns den Blick dafür verstellt. Wir werden nämlich nicht als Egoisten geboren. Es sind die Verhältnisse, die wir als selbstverständlich erachten, die aus ursprünglich kooperationsbereiten sozialen Wesen den „homo oeconomicus“, den „rationalen Nutzenmaximierer“ machen. In einem Experiment1 mit 20 Monate alten Kindern ließ der Experimentator einen Löffel fallen und bemühte sich vergeblich, ihn mit der Hand zu erreichen. Die meisten Kinder erkannten seine Not und brachten ihm den Löffel. Das taten sie auch dann immer wieder, wenn er sich nicht einmal bedankte. Doch wenn er sie mit einer Süßigkeit belohnte, und die Belohnung nach ein paar Wiederholungen plötzlich ausblieb, verloren die meisten Kinder ihre Hilfsbereitschaft. Doch die Bereitschaft zur Kooperation ist nicht gleichbedeutend mit selbstverleugnendem Altrusimus. Commoners können durchaus Nutzenmaximierer sein, nämlich des gemeinschaftlichen Nutzens.

Das bekannteste Beispiel für ein funktionierendes Commons ist Wikipedia. Hier kann jede und jeder Wissen teilen und Wissen schöpfen. Diese Wissens-Allmende wird von den User:innen selbst verwaltet. Aus anarchischen Anfängen hat sich ein komplexes System von Checks und Balances entwickelt, das die Übernahme durch Trolle und andere Trittbrettfahrer:innen weitgehend abwehren kann. Sieht man sich zentral verwaltete Plattformen wie X oder Facebook an, sieht man, wie hoch dieser Erfolg einzuschätzen ist.

Auch das Computer-Betriebssystem Linux ist aus der Commons-Idee heraus entstanden. Jede und jeder kann es nutzen, und jede und jeder darf es verbessern, abwandeln, den eigenen Bedürfnissen anpassen. Alle Open Source Software orientiert sich am Commons-Prinzip. Aber es gibt auch Open Source Hardware – also frei nutzbare, patentfreie Konstruktionspläne vom Sessel bis zum Passivhaus.

Das Mietshäuser Syndikat in Deutschland ist ein Zusammenschluss von 187 Gemeinschafts-Wohnprojekten. Die Projekte sind so verschiedenartig wie ihre Entstehungsgeschichte. Manche sind aus rein praktischen Erwägungen entstanden, andere mit politischen und gesellschaftsverändernden Zielsetzungen oder um Abrissplänen zuvorzukommen. Das Syndikat nützt sein Konw-how und berät neue Projekte, organisiert Direktkredite von Privaten und unterhält einen Solidarfonds. Das Syndikat bietet aber vor allem den einzelnen Hausprojekten einen Schutz vor sich selbst. Um die Häuser dauerhaft dem Immobilienmarkt zu entziehen, schließt sich jeweils ein Hausprojekt mit dem Syndikat zu einer GmbH zusammen. Dadurch erhält das Syndikat in Fragen des Verkaufs oder der Umwandlung in Eigentumswohnungen ein gleichberechtigtes Stimmrecht.


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Omni Commons ist ein Gemeinschaftsprojekt von mehreren Kollektiven in Oakland, Kalifornien: Alle Projekte hier sind für alle Menschen zugänglich und werden gemeinschaftlich geführt: naturwisenschaftliches Labor, Hackerspace, Kunstatelier, Versammlungs- und Proberäume, Druckerei, Konzert- und Theaterraum, eine Schule, in der jede/r unterrichten und jede/r lernen kann, und eine Cafeteria, die Gratisessen aus geretteten Lebensmitteln ausgibt.

Im vorigen Jahr wurde der „alternative Nobelpreis“ – korrekte Bezeichnung: „Right Livelihood Award“ – an das Kooperativen-Netzwerk Cecosesola in Venezuela vergeben. Und zwar „Für die Errichtung eines gerechten und kooperativen wirtschaftlichen Modells als einer robusten Alternative zu profitgetriebenen Ökonomien“. Cecosesola (Central de Cooperativas de Lara) ist ein Netzwerk von ländlichen und städtischen Kooperativen im Andenvorland, das über 100.000 Familien in sieben venezolanischen Bundesstaaten mit erschwinglichen Gütern und Dienstleistungen versorgt. Und das seit 55 Jahren. Die Kooperativen produzieren und vertreiben Lebensmittel, bieten Gesundheitsdienste, Transport und sogar Bestattungen an. Sie betreiben vier große Märkte in der 1,25-Millionen-Stadt Barquisimento. Die Lebensmittel werden dort zu einem einheitlichen Kilopreis verkauft – 1 kg Tomaten kostet gleich viel wie 1 kg Kartoffeln. Die einzelnen Dorfgemeinschaften beraten mit den Angestellten der Genossenschaft, welche Produktionskosten sie haben: Saatgut, Bewässerungsrohre, Treibstoff für Pumpen, Maultiere, die das Gemüse bis zu den befahrbaren Straßen bringen… Die Kosten aller Gemeinden werden zusammengelegt, ebenso die Mengen der von jedem Dorf produzierten Gemüse. Daraus ergibt sich der einheitliche Kilopreis. Unterschiedliche Produktionsbedingungen in günstigen und weniger günstigen Lagen werden so ausgeglichen, Der Einheitspreis erspart eine Menge Bürokratie, es gibt keine Kosten für Marketing und Werbung, keinen Zwischenhandel. „Unser Maßstab sind einfach die Produktionskosten inklusive dem, was die Produzierenden zum Leben brauchen“, erklärt Kooperativenmitglied Noel Vale Valera. Dadurch liegen die Preise von Cecosesola deutlich unter den üblichen Marktpreisen. Über ein halbes Jahrhundert konnte die Kooperativen-Kooperative politische und wirtschaftliche Krisen überstehen, auch eine Hyperinflation, die 1917 fast 3.000 Prozent betrug. Nachzulesen in dem Buch „Die Welt der Commons“ von Silke Helfrich und David Bollier.2

Auf der Webseite des Buchs steht in einem sternförmigen Logo:„Open Access“. Open Access ist die Umsetzung des Commons-Gedankens in der Wissenschaft. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG bietet die folgende Definition: „Open Access (englisch für offener Zugang) ist der freie Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen und anderen Materialien im Internet. Ein unter Open-Access-Bedingungen publiziertes wissenschaftliches Dokument kann jede und jeder lesen, herunterladen, speichern, verlinken, drucken und damit entgeltfrei nutzen.“ In der Praxis heißt das zum Beispiel, dass man das Buch von Silke Helfrich als PDF herunterladen kann. Wissenschaftliche Journale sind teuer und die einzelnen Artikel im Internet sind meist hinter einer Bezahlschranke verborgen. Es gibt aber eben auch Open-Access-Zeitschriften, deren Beiträge genau wie die anderer Journale von unabhängigen Gutachter:innen geprüft sind (Peer-Review), aber im Internet ohne Bezahlung zugänglich sind. Aber nicht alles, was jemand als wissenschaftlich ins Internet stellt, darf sich Open Access nennen. Um die Qualität sicherzustellen gibt es das „Directory of Open Access Journals“ und das „Directory of Open Access Books“.

Nicht nur für wissenschaftliche, sondern für jegliche Art von Publikationen wurde „Creative Commons“ geschaffen. Das sind international standardisierte Lizenzen, die es den Produzent:innen ermöglichen, ihre Produkte so der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, dass sie nicht von anderen vereinnahmt werden können. So können Inhalte uneingeschränkt oder mit verschiedenen Bedingungen geteilt werden. Am häufigsten wird eine Lizenz verwendet, die die Nennung der Autor:in verlangt und dass die Weitergabe unter derselben Bedingung erfolgt. Möglich ist auch die Beschränkung auf nichtkommerzielle Nutzung oder die Bedingung, dass das Werk nicht abgewandelt werden darf.

Zurück zu handgreiflicheren Commons. Haben Sie Lust auf „Kriacherln“? In Innsbruck Ecke Andreas-Hofer-Straße und Franz-Fischer-Straße, über der Zufahrt zur Tiefgarage, steht ein schöner, frei zugänglicher Mirabellenbaum. Verzeichnet ist er, wie tausende andere Obstbäume und Beerensträucher auf öffentlichem Grund, in der Karte von mundraub.org.

Und kennen Sie den einzigen selbstverwalteten Park von Wien? Es ist der Planquadratgarten im 4. Bezirk. Wie sich die Anwohner:innen in den 1970er Jahren diesen Gemeinschaftsgarten erkämpft und den Abbruch ihrer Häuser verhindert haben, und zwar mit tatkräftiger Unterstützung durch ein Fernsehteam des ORF, das können Sie auf der Webseite des Ersten Wiener Protestwanderwegs hören und sehen.

Titelbild: Wild Woods Farm in Iowa versorgt 200 Haushalte direkt mit 30 verschiedenen Gemüsearten. Das hier ist der wöchentliche Anteil, den sich Mitglieder an einer der sieben Pick-up-Stationen abholen können.
Foto: U.S. Dept. of Agriculture – Public Domain


1 Warneken, Felix/Tomasello, Michael (2008): »Extrinsic Rewards Undermine Altruistic Tendencies in 20-Month-Olds«, in: Developmental Psychology, Vol 44 (6), S. 1785-1788.

2 Silke Helfrich, David Bollier, Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.) (2015): Die Welt der Commons. Muster gemeinsamen Handelns. Berlin, Boston, Bielefeld.

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COP28: Was bringt der „Global Stocktake“?
von Martin Auer

Lesedauer 4 Minuten.   

Bei der COP28 findet der erste „Global Stocktake“ auf Grund des Pariser Abkommens statt, eine Bilanz darüber, wie weit die Welt bei der Eindämmung der Klimakatastrophe (Mitigation), bei der Anpassung an die Folgen des Klimawandels (Adaptation) und bei der Finanzierung dieser Bereiche gekommen ist. Laut dem Pariser Abkommen soll diese Bestandsaufnahme nun alle fünf Jahre erfolgen.

Der Global Stocktake beurteilt nicht die Fortschritte in einzelnen Ländern, sondern die Summe aller bisherigen Maßnahmen. Dadurch sollen individuelle Staaten ermutigt werden, ihre eigenen nationalen Ziele „hochzukurbeln“. Sobald der Global Stocktake abgeschlossen ist, haben die Länder zwei Jahre Zeit, ihre neuen „national festgelegten Beiträge“ (NDCs) vorlegen müssen. Die EU legt einen gemeinsamen Plan vor, in den der österreichische nationale Energie- und Klimaplan eingeht.

Der Global Stocktake gliedert sich in drei Phasen:

1. Sammlung von Informationen

Diese Phase begann bei der COP26 im November 2021 und endete mit den Bonner Klimagesprächen 2023. In dieser Phase wurden Berichte der einzelnen Länder, des IPCC, der Vereinten Nationen und dem Sekretariat des UN-Rahmenabkommens zum Klimawandel (UNFCCC) eingeholt. Aus diesen Informationen wurden 13 Syntheseberichte generiert: Stand der Treibhausgas-Emissionen, Stand der Anpassung, Stand der umfassenden Effekte der NDCs und der Finanzflüsse. Vier Reports kommen vom UNFCCC-Sekretariat, neun von den Vereinten Nationen, internationalen und regionalen Organisationen und Stakeholdern, die nicht dem Pariser Abkommen angehören. Das Global Stocktake-Portal des UNFCCC enthält über tausend Dokumente.

2. Technische Auswertung

Diese Phase (Mitte 2022 bis Mitte 2023) diente dazu, die Informationen der ersten Phase auszuwerten und jeweils in einem Synthesebericht zu Mitigation, Adaption und Finanzierung zusammenzufassen sowie einem übergreifenden Synthesebericht. Diese Phase wurde von zwei Moderatoren geleitet, einem aus einem entwickelten und einem aus einem sich entwickelnden Land, nämlich Farhan Akhtar aus den USA (Chief scientist for climate change US State Department) und Harald Winkler für Südafrika (Universität Kapstadt, Lead Autor IPCC Working Group III).

3. Politische Phase

Diese Phase findet bei der COP28 in Dubai vom 30. November bis 12. Dezember statt. Hierbei wird eine „Globalen Bestandsaufnahme“ durchgeführt, bei der die Erkenntnisse aus den Fachdialogen von den Regierungen der Mitgliedsstaaten bewertet werden. Von der COP28 werden Entscheidungen aufgrund des vorher erstellten Syntheseberichts erwartet, die ein größeres Engagement für die Ziele des Pariser Abkommens bewirken und dazu führen, dass die Vertragsstaaten ihre Klimaschutzanstrengungen verstärken.

Der Synthesebericht

Der Synthesebericht listet 17 Schlüsselerkenntnisse auf, die hier kurz zusammengefasst sind:

  1. Das Pariser Abkommen hat beinahe universell Klimamaßnahmen befördert, indem es Ziele gesetzt hat und Signale an die Welt gesendet hat, wie dringend es ist, die Klimakrise zu bewältigen. Es gibt Fortschritte, doch viel mehr muss an allen Fronten getan werden.
  2. Um die globale Antwort auf Bedrohung durch den Klimawandel im Kontext nachhaltiger Entwicklung und Armutsbekämpfung, müssen Regierungen Systemtransformationen unterstützen, die Klima-Resilienz und niedrige Treibhausgas-Emissionen in den Mittelpunkt stellen. Dazu gehören auch rigorose Berichterstattung und Glaubwürdigkeit.
  3. Systemtransformationen eröffnen viele Chancen, doch schneller Wandel kann zu Erschütterungen führen. Ein Fokus auf Inklusion und Gerechtigkeit kann die Unterstützung von Klimamaßnahmen fördern. Die am meisten vom Klimawandel Betroffenen müssen in die Erarbeitung von Lösungen einbezogen werden.
  4. Die globalen Emissionen entwickeln sich nicht entlang der Pfade, die für die Erreichung der Pariser Ziele notwendig sind. Das Fenster für die Erreichung des 1,5°C-Ziel schließt sich rapide.
  5. Dringender Handlungsbedarf besteht bei der Verwirklichung heimischer Klimaschutzmaßnahmen und beim Setzen ambitionierterer Ziele in den NDCs um die globalen Treibhausgasemissionen bis 2030 um 43 Prozent und bis 2035 um 60 Prozent im Vergleich zu 2019 zu senken und netto null bei CO2 bis 2050 zu erreichen. Es existieren genügend kostengünstige Möglichkeiten, die Emissionslücke bis 2030 zu schließen, doch bestehen große Herausforderungen, diese Chancen mit dem nötigen Tempo und im nötigen Maßstab zu realisieren. Klimaschutzmaßnahmen, die auch erfolgreich zu anderen Nachhaltigkeitszielen beitragen, können hochskaliert und in verschiedenen Zusammenhängen vervielfältigt werden.
  6. Um netto null Emissionen zu erzielen, sind Systemveränderungen quer über alle Sektoren notwendig. Das schließt den Ausbau der erneuerbaren Energien ebenso ein wie ein Auslaufenlassen aller fossilen Brennstoffe, deren Klimawirkung nicht durch technische Maßnahmen verhindert werden kann, ein Ende der Entwaldung, die Reduzierung von nicht-CO2-Treibhausgasen und Maßnahmen sowohl auf der Angebotsseite als auch auf der Nachfrageseite. Maßnahmen zur Systemtransformation in Industrie, Transport und Bautätigkeit müssen rasch Prozess- und Energieemissionen senken. Ein Beenden und Rückgängigmachen von Entwaldung und die Verbesserung landwirtschaftlicher Praktiken sind entscheidend für die Minderung von Emissionen und die Erhaltung von Kohlenstoffsenken. Nachhaltige Landwirtschaft muss intensiviert werden, ohne die landwirtschaftlichen Flächen auszudehnen. Transformationen müssen die gesamte Ökonomie, die gesamte Gesellschaft erfassen.
  7. Maßnahmen zu einem gerechten Übergang („just transition“) können zu robusteren Ergebnissen beim Klimaschutz führen. Kollektive und partizipatorische Entscheidungsprozesse sind notwendig, um gesellschaftliche Erschütterungen zu vermeiden.
  8. Ökonomische Diversifikation ist eine Schlüsselstrategie um negative Auswirkungen von Klimaschutzmaßnahmen aufzufangen. Dazu gehören eine grüne Industrialisierung und nachhaltige Lieferketten.
  9. Da der Klimawandel alle Länder, Gemeinschaften und Menschen rund um die Welt gleichermaßen bedroht, sind verstärkte Anpassungsmaßnahmen und Anstrengung zur Minimierung von Schäden und Verlusten („loss and damage“) und Maßnahmen zur Bewältigung dieser Schäden und Verluste notwendig, insbesondere für diejenigen, die am wenigsten auf Veränderungen vorbereitet sind und am wenigsten fähig, sich von Katastrophen zu erholen.
  10. Insgesamt gibt es gestiegene Ambitionen für Anpassung und Unterstützung für Anpassung, doch sind die meisten beobachteten Maßnahmen fragmentiert, auf bestimmte Sektoren beschränkt und über die Regionen ungleich verteilt.
  11. Wenn Anpassung sachkundig und in lokalen Kontexten angegangen und von der Bevölkerung getragen wird, kann das die Angemessenheit und Wirksamkeit der Maßnahmen erhöhen. Gelegenheiten dafür gibt es in allen Sektoren und vorbildliche Praktiken sind gut dokumentiert.
  12. Vermeidung, Minimierung und Entschädigung von Verlusten und Schäden erfordern dringend Handlungen quer durch alle Klima- und Entwicklungsstrategien. Die bisher vorhersehbaren Auswirkungen des Klimawandels werden die Grenzen für Anpassungsmöglichkeiten überschreiten. Die Auswirkungen werden irreversibel sein, wenn die Temperaturerhöhung mehr als 1,5°C erreicht.
  13. Vermeidung, Minimierung und Entschädigung für Verluste und Schäden müssen rapide verstärkt werden und Finanzflüsse müssen der Notwendigkeiten einer klimaresilienten Entwicklung entsprechen.
  14. Verstärkte Unterstützung für Klimaschutzmaßnahmen in sich entwickelnden Ländern bedeutet internationale Finanzierung strategisch einzusetzen. Zugang zu Finanzierungen für sich entwickelnde Länder muss besser ermöglicht werden.
  15. Um Finanzflüsse den Erfordernissen der Treibhausgasminimierung anzupassen, müssen Billionen von Dollars eingesetzt werden und Investitionen auf allen Gebieten in Klimaschutzmaßnahmen umgeleitet werden.
  16. Bestehende sauberere Technologien müssen rasch eingesetzt werden und Innovationen und Transfer neuer Technologien für die Bedürfnisse sich entwickelnder Länder beschleunigt werden.
  17. Der Ausbau menschlicher, gesellschaftlicher und institutioneller Kapazitäten ist grundlegend für breiten und nachhaltigen Klimaschutz. Die Unterstützung für sich entwickelnde Länder muss verstärkt werden, um den lokalen Bedürfnissen gerecht zu werden und indigene und traditionelle Wissenssysteme müssen genützt werden.

Der Synthesebericht zeigt klar: Klare, zielgerichtete Entscheidungen sind nötig. Dubai und die COP 28 sind der Ort für diese Entscheidungen.

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Trotz Net-Zero-Versprechen: Produzenten von fossilen Brennstoffen planen weitere Steigerungen

Lesedauer 2 Minuten.   

Der Production Gap Report des UN-Umweltprogramms (UNEP) für 2023 untersucht die Produktionspläne der 19 größten Produzenten von fossilen Brennstoffen und vergleicht sie mit den Ausstiegspfaden, die für die Pariser Klimaziele erforderlich wären.

Laut den bekannten Planungen sollen bis 2030 doppelt so viele fossile Brennstoffe gefördert werden, als für das 1,5°C-Ziel tragbar wären, beziehungsweise 70 Prozent über dem Limit für das 2,0°C-Ziel. Die Diskrepanz ist am höchsten bei dem schädlichsten der Brennstoffe, nämlich Kohle: die geplante Produktion übersteigt das Limit für 1,5°C um 460 Prozent. Die geplante Ölproduktion liegt um 30 Prozent über dem Limit und die Gasproduktion um 80 Prozent. Staatliche Subventionen für Fossile erreichten 2022 einen neuen Höchststand.

Quelle: 2023 Production Gap Report

Die für die Pariser Ziele errechneten Limits beruhen freilich auf der Annahme, dass durch Carbon Capture and Storage ein gewisses Maß an CO2-Emissionen nicht in die Atmosphäre gelangen wird. Doch sind diese Technologien noch bei weitem nicht ausgereift, was bedeutet, dass der Ausstieg aus Fossilen noch schneller gehen muss, wenn die Klimaerhitzung nicht über 1,5°C hinausgehen soll.

Von den 20 untersuchten Ländern haben 17 Net-Zero-Verpflichtungen abgegeben, doch bei keinem stimmen die Planungen mit den Versprechungen überein. Brasilien, Saudi Arabien und die USA planen gewichtige Steigerungen der inländischen Ölproduktion, Qatar und Russland planen die größten Steigerungen bei der Gasproduktion. Was die Produktion von Kohle betrifft, planen Indien, Indonesien und Russland massive Steigerungen. Das würde den Effekt der von USA und China geplanten Reduzierungen verringern oder zunichte machen. Aus Südafrika waren keine Daten zu bekommen. Die einzigen Öl- und Gasproduzenten, die signifikante Reduktionen planen, sind Großbritannien und Norwegen.

Zum Teil werden die Steigerungen mit der Energieknappheit durch den Ausfall der russischen Produktion begründet, wie es zum Beispiel durch die Biden-Administration tut. Andere Länder begründen die Steigerung damit, dass sie von den Einkünften aus dem Export abhängig sind und wieder andere wollen ihre Abhängigkeit von Importen reduzieren. Selbst wenn einige Gesichtspunkte gerechtfertigt sein mögen, führen sie in der Summe zur Überproduktion.

In dieser Grafik werden Emissionen aus fossilen Brennstoffen nicht dem Land zugeordnet, wo sie verbrannt werden, sondern dem Land, wo sie erzeugt werden.
Quelle: 2023 Production Gap Report

Eine andere Studie, Navigating Peak Demand des Carbon Tracker Thinktanks warnt die fossilen Unternehmen vor Fehlinvestitionen. Die internationale Energieagentur (IEA) rechnet in ihrem neuesten Bericht damit, dass die Nachfrage nach fossilen Energien noch in diesem Jahrzehnt ihren Höhepunkt erreichen und danach sinken wird. Das bedeutet, dass die Unternehmen möglicherweise Hunderte Milliarden von Dollars in langfristige Projekte investieren, die bald wertlos sein werden. Nicht direkt angesprochen wird in dem Bericht, dass ein Zusammenbruch dieser – oder einiger – Unternehmen infolge solcher Fehlinvestitionen eine massive Wirtschaftskrise auslösen könnte. Das ist ein weiterer Gesichtspunkt, der für einen geplanten und koordinierten Ausstieg aus Fossilen spricht.

UN-Generalsekretär António Guterres zum Production Gap Report: „Wir können die Klimakatastrophe nicht bewältigen, ohne ihre Grundursache anzugehen: die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. COP28 muss ein klares Signal senden, dass dem fossilen Zeitalter das Benzin ausgeht – dass sein Ende unausweichlich ist. Wir brauchen glaubhafte Verpflichtungen, Erneuerbare voranzutreiben, Fossile auslaufen zu lassen, Energieeffizienz zu steigern und einen gerechten Übergang zu gewährleisten.“

Titelbild: Peabody Energy, Inc. CC BY-SA

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Globale Commons – lokale Lösungen
von Martin Auer

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In ihrem Artikel „Revisiting the Commons“ von 19991 betont Ostrom, dass Erfahrungen von nachhaltig bewirtschafteten lokalen Commons nicht eins zu eins auf globale Commons wie die Atmosphäre oder die Weltmeere übertragen werden können. Traditionelle Commons beruhen oft auf jahrhundertelangen Prozessen von Versuch und Irrtum. Bei einem Fehlschlag konnten die Menschen bisher auf andere Ressourcen ausweichen. Da wir nur eine Erde haben, ist uns das global nicht möglich.

Was lässt sich von Strategien erfolgreicher Commons lernen? Sicherlich können sich acht Milliarden Menschen nicht auf einem Dorfplatz versammeln, um Regeln auszuarbeiten. Es sind Also die Staaten, die ihre Vertreter:innen an den Verhandlungstisch schicken. Dass es solche Verhandlungen und internationale Vereinbarungen wie das Pariser Abkommen überhaupt gibt, ist in der Geschichte der Menschheit noch nicht dagewesen. Auch dass es von allen Staaten anerkannte wissenschaftliche Gremien gibt wie den Welklimarat IPCC oder den Weltbiodiversitätsrat IPBES.

Doch die Vertreter:innen, die da verhandeln, müssen denen gegenüber, die sie vertreten,auch rechenschaftspflichtig sein, damit ihnen vertraut werden kann. Staatliche Verhandlungsteams neigen dazu, kurzfristige politische Erfolge über echte Nachhaltigkeit zu stellen, indem sie ein für die heimische Wirtschaft günstiges Ergebnis nach Hause bringen. Unabhängige Organisationen wie Climate Watch oder Climate Action Tracker überprüfen, wie zielführend die Versprechungen der einzelnen Staaten sind, wie glaubwürdig sie sind und wie weit sie letztlich eingehalten werden. Es braucht aber auch eine Öffentlichkeit, die solche Kontrollmöglichkeiten nutzt und ihre Vertreter:innen bei Bedarf zur Rechenschaft zieht.

Dass die globalen Probleme ohne die Erkenntnisse der Wissenschaft nicht bewältigt werden können, sollte klar sein. Doch die Verhandler:innen, die die Regeln ausarbeiten, müssen auch das Wissen und die Erfahrungen derer, die sie vertreten, mit einbeziehen.

Auch auf der globalen Ebene müssen nicht nur Regeln erarbeitet werden, es muss auch sichergestellt werden, dass die Regeln möglichst wenig gebrochen werden. Es muss die Möglichkeit zu Sanktionen geben. Die Erfahrung aus traditionellen Commons zeigt: Die meisten halten sich an die Regeln, solange sie sicher sind, dass die meisten sich an die Regeln halten.

Wesentlich für eine nachhaltige Bewirtschaftung von Commons ist Transparenz. Auch wenn nicht alle alles über alle wissen können: Die Möglichkeit zur Kontrolle muss vorhanden sein. Insbesondere große Akteure wie Konzerne müssen kontrollierbar sein. Um Transparenz sicherzustellen, genügt es auch nicht, dass ich mir Informationen beschaffen kann – ich muss sie verstehen. Bildungssysteme müssen möglichst breit Umweltwissen vermitteln.

Globale Gemeingüter, wie sie das Mercator Institute for Global Commons and Climate sieht
Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) gGmbH, Berlin, Globale Gemeingueter MCC Research Institute, CC BY-SA 3.0

Warum gerade wir?

Die erste Hürde, um überhaupt zu gemeinsamem Handeln zu kommen, ist oft die Frage: Warum soll gerade ich, warum sollen gerade wir anfangen? Selbst die Bemühungen, die anderen an den Verhandlungstisch zu bringen, sind ja schon kostspielig.

Auf der globalen wie auf der lokalen Ebene kann der Gewinn von Ansehen ein Anreiz sein, den ersten Schritt zu tun. Viele Maßnahmen, die den Ausstoß von Treibhausgasen verringern – von denen also die ganze Weltbevölkerung profitiert – haben auch einen Nutzen für die lokale Bevölkerung und die eigene Staats-, Landes- oder Gemeindekasse. Begrünung der Städte durch Bäume und Parks bindet CO2, verbessert aber auch das Kleinklima in der Stadt. Beschränkungen für Verbrennungsmotoren verringern nicht nur den Ausstoß von CO2, sondern auch die lokale Luftverschmutzung durch Feinstaub. Das erspart immense Kosten im Gesundheitssystem. Zwei Milliarden Menschen auf der Erde heizen und kochen mit Holz, Dung und dergleichen und leiden unter der Luftverschmutzung innerhalb ihrer Behausungen. Diese Haushalte zu elektrifizieren – oder auch sie mit Gaskochern auszustatten – verringert die Entwaldung und damit die Bodenerosion und erspart ungeheure Kosten für Erkrankungen des Atmungssystems und der Augen. Sparsamer, genau berechneter Einsatz von Kunstdünger spart Geld, verlangsamt die Zerstörung der natürlichen Bodenfruchtbarkeit und verringert den Ausstoß von Lachgas, einem besonders potenten Treibhausgas.

Manche wirtschaftliche Anreize sind allerdings zweifelhaft. Wenn Länder in die Entwicklung erneuerbarer Energien investieren, um die Marktführerschaft für neue Technologien zu erringen, kann das zu einem Wettbewerb führen, der wiederum in der Überausbeutung von Ressourcen mündet, sowohl von Energie als auch von Rohstoffen wie Lithium, Kobalt, Bauxit (Aluminium) und anderen.

Alle diese CO-Benefits können ein Anstoß sein, unabhängig von dem, was andere tun, mit Klimaschutzmaßnahmen zu beginnen. Wenn ich mich statt ins Auto aufs Fahrrad setze, sind die Auswirkungen aufs Klima minimal – die Auswirkungen auf meine Gesundheit aber unmittelbar spürbar.

Multilevel Governance

Eine wichtige Erkenntnis aus Elinor Ostroms Forschungen ist, dass große Commons durch ineinander verschachtelte Institutionen, also durch Zusammenschlüsse von kleineren Commons verwaltet werden können. Entscheidungen werden nicht von der Obersten Instanz gefällt. Informationen und Beschlüsse fließen von unten nach oben und von oben nach unten. Die Aufgabe der oberen Instanzen ist vor allem, die Anliegen der unteren Instanzen zusammenzuführen und die Voraussetzungen für die Arbeit der unteren Instanzen zu schaffen.

Globale Commons und lokale Lösungen

Die Erhaltung der Wälder als Kohlenstoffspeicher ist von globalem Interesse für die Verhinderung der absoluten Klimakatastrophe. Jedoch: „Jedes einzelne formelle Gesetz, das dazu gedacht ist, ein großes Territorium mit verschiedenen ökologischen Nischen zu verwalten, muss notgedrungen in vielen der Lebensräume, für die es gelten soll, versagen“2, schrieb Ostrom 1999. Die besten „Hüter des Waldes“ sind die Menschen, die ihn kennen, weil sie dort leben. Der Schutz dieser Wälder vor Abholzung, Zerstörung durch Bergbau, Landgrabbing usw. ist in ihren unmittelbaren Interesse. Staatliche und überstaatliche Institutionen sollten also vor allem das Recht dieser Gemeinschaften auf Selbstorganisation garantieren und ihnen die Unterstützung geben, die sie dazu brauchen.

Die Bodenversiegelung in Österreich zu bremsen, ist ein nationales – und letztlich auch ein globales – Anliegen. Aber die Problemlagen sind von Region zu Region, von Gemeinde zu Gemeinde zu unterschiedlich.

Die Erhaltung der Bodenqualität in der Landwirtschaft erfordert je nach Landschaft unterschiedliche Maßnahmen und lokale Zusammenarbeit.

Energiesparmaßnahmen können in Hausgemeinschaften, Dorfgemeinschaften, Bezirken oder auf der Ebene von Städten ausgehandelt werden. Die Gestaltung des privaten und öffentlichen Verkehrs ist eine Frage der Raumplanung, die überall auf unterschiedliche Bedingungen stößt.

Auf all diesen Ebenen gibt es zwischen den beiden Extremen – die Regulierung dem Markt zu überlassen oder sie der zentralen Staatsgewalt zu übertragen – noch eine dritte Möglichkeit: die Selbstorganisation von Commons.

P.S.: Die Stadt Wien hat Elinor Ostrom einen Park im 22. Bezirk gewidmet

Titelbild: Public Domain via Rawpixel
Zuerst erschienen im Standard


1 Ostrom, Elinor et al. (1999): Revisiting the Commons: Local Lessons, Global Challenges. In: Science 284, S. 278–282. DOI: 10.1126/science.284.5412.278.

2 Ostrom, Elinor (1994): Neither Market nor State: Governance of Common-Pool Resources in the Twenty-First Century. Washington D.C. Online: https://ebrary.ifpri.org/utils/getfile/collection/p15738coll2/id/126712/filename/126923.pdf

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Können sich Tiere, Pflanzen und Pilze an (menschengemachte) Klimaveränderungen anpassen?
von Anja Marie Westram

Lesedauer 6 Minuten.   

Beutetiere schützen sich durch Tarnfarben vor Fressfeinden. Fische können sich durch ihre längliche Form schnell im Wasser bewegen. Pflanzen locken mit Duftstoffen Bestäuberinsekten an: Anpassungen von Lebewesen an ihre Umwelt sind allgegenwärtig. Solche Anpassungen sind in den Genen des Organismus festgelegt und durch Evolutionsprozesse über Generationen entstanden – anders als zum Beispiel viele Verhaltensweisen werden sie also nicht spontan im Laufe des Lebens durch die Umwelt beeinflusst. Eine sich schnell verändernde Umwelt führt deshalb zu „Fehlanpassungen“. Physiologie, Farbe oder Körperbau sind dann nicht mehr auf die Umwelt abgestimmt, sodass Fortpflanzung und Überleben erschwert sind, die Populationsgröße abnimmt und die Population eventuell sogar ausstirbt.

Die menschengemachte Zunahme von Treibhausgasen in der Atmosphäre verändert die Umwelt auf vielfältige Weise. Bedeutet das, dass viele Populationen nicht mehr gut angepasst sind und aussterben werden? Oder können sich Lebewesen auch an diese Veränderungen anpassen? Werden im Laufe einiger Generationen also Tiere, Pflanzen und Pilze entstehen, die besser mit zum Beispiel Hitze, Trockenheit, Versauerung der Meere oder reduzierter Eisbedeckung von Gewässern umgehen und somit den Klimawandel gut überstehen können?

Arten folgen dem Klima, an das sie bereits angepasst sind, und sterben lokal aus

Tatsächlich haben Laborexperimente gezeigt, dass sich Populationen mancher Arten an veränderte Bedingungen anpassen können: In einem Experiment an der Vetmeduni Wien zum Beispiel legten Taufliegen nach etwas mehr als 100 Generationen (keine lange Zeit, da sich Taufliegen schnell vermehren) unter warmen Temperaturen deutlich mehr Eier und hatten ihren Stoffwechsel verändert (Barghi et al., 2019). In einem anderen Experiment konnten sich Miesmuscheln an saureres Wasser anpassen (Bitter et al., 2019). Und wie sieht es in der Natur aus? Auch dort zeigen einige Populationen Hinweise auf Anpassung an veränderte Klimabedingungen. Der Bericht der Arbeitsgruppe II des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) fasst diese Ergebnisse zusammen und betont, dass diese Muster vor allem bei Insekten gefunden wurden, die zum Beispiel als Anpassung an längere Sommer später mit ihrer „Winterpause“ beginnen (Pörtner et al., 2022).

Leider legen wissenschaftliche Studien zunehmend nahe, dass (ausreichende) evolutionäre Anpassung an die Klimakrise wahrscheinlich eher die Ausnahme als die Regel ist. Die Verbreitungsgebiete zahlreicher Arten verschieben sich in höhere Lagen oder in Richtung der Pole, wie ebenfalls im IPCC-Bericht zusammengefasst wurde (Pörtner et al., 2022). Die Arten „folgen“ also dem Klima, an das sie bereits angepasst sind. Lokale Populationen am wärmeren Rand des Verbreitungsgebietes passen sich oft nicht an, sondern wandern ab oder sterben aus. Eine Studie zeigt zum Beispiel, dass bei 47% der 976 analysierten Tier- und Pflanzenarten Populationen am wärmeren Rand des Verbreitungsgebietes (kürzlich) ausgestorben sind (Wiens, 2016). Arten, für die eine ausreichende Verschiebung des Verbreitungsgebietes nicht möglich ist – zum Beispiel, weil ihre Verbreitung auf einzelne Seen oder Inseln beschränkt ist – können auch komplett aussterben. Eine der ersten nachweislich durch die Klimakrise ausgestorbenen Arten ist die Bramble-Cay-Mosaikschwanzratte: Sie kam nur auf einer kleinen Insel im Great Barrier Reef vor und konnte wiederholten Überschwemmungen und klimabedingten Vegetationsveränderungen nicht ausweichen (Waller et al., 2017).

Für die meisten Arten ist eine ausreichende Anpassung unwahrscheinlich

Wie viele Arten bei zunehmender Klimaerhitzung und Meeresversauerung zu ausreichender Anpassung fähig sein werden und wie viele (lokal) aussterben werden, lässt sich nicht genau vorhersagen. Zum einen sind schon die Klimaprognosen selbst mit Unsicherheiten behaftet und können oft nicht kleinräumig genug getroffen werden. Zum anderen müsste man, um eine Vorhersage für eine Population oder Art zu treffen, deren für Klimaanpassungen relevante genetische Vielfalt messen – und das ist selbst mit kostspieligen DNA-Sequenzierungen oder aufwändigen Experimenten schwierig. Aus der Evolutionsbiologie wissen wir aber, dass für viele Populationen eine ausreichende Anpassung unwahrscheinlich ist:

  • Schnelle Anpassung benötigt genetische Vielfalt. Im Hinblick auf die Klimakrise bedeutet genetische Vielfalt, dass Individuen in der Ausgangspopulation durch genetische Unterschiede zum Beispiel unterschiedlich gut mit hohen Temperaturen zurechtkommen. Nur wenn diese Vielfalt vorliegt, können bei Erwärmung die warm-angepassten Individuen in der Population zunehmen. Die genetische Vielfalt hängt von vielen Faktoren ab – zum Beispiel von der Größe der Population. Arten, deren natürliches Verbreitungsgebiet klimatisch unterschiedliche Lebensräume einschließt, haben einen Vorteil: Genvarianten bereits warm-angepasster Populationen können in wärmer werdende Gebiete „transportiert“ werden und kalt-angepassten Populationen beim Überleben helfen. Wenn Klimaveränderungen dagegen zu Bedingungen führen, an die bis jetzt keine Population der Art angepasst ist, ist oft nicht genug nützliche genetische Vielfalt vorhanden – genau das passiert in der Klimakrise, vor allem am wärmeren Rand von Verbreitungsgebieten (Pörtner et al., 2022).
  • Umweltanpassung ist komplex. Die Klimaveränderung selbst stellt oft mehrfache Anforderungen (Veränderungen von Temperatur, Niederschlag, Sturmhäufigkeit, Eisbedeckung…). Dazu kommen indirekte Effekte: Das Klima wirkt sich auch auf andere Arten im Ökosystem aus, und damit zum Beispiel auf die Verfügbarkeit von Futterpflanzen oder die Anzahl der Fressfeinde. Viele Baumarten sind beispielsweise nicht nur größerer Trockenheit, sondern auch mehr Borkenkäfern ausgesetzt, da letztere von Wärme profitieren und mehr Generationen pro Jahr produzieren. Ohnehin geschwächte Bäume werden also noch zusätzlich belastet. In Österreich betrifft dies zum Beispiel die Fichte (Netherer et al., 2019). Je mehr unterschiedliche Herausforderungen die Klimakrise also stellt, desto unwahrscheinlicher wird eine erfolgreiche Anpassung.
  • Das Klima verändert sich durch menschliche Einflüsse zu schnell. Viele Anpassungen, die wir in der Natur beobachten, sind über tausende oder Millionen von Generationen entstanden – das Klima verändert sich dagegen momentan innerhalb weniger Jahrzehnte drastisch. Bei Arten, die eine kurze Generationszeit haben (sich also rasch vermehren), läuft die Evolution relativ schnell ab. Das könnte teilweise erklären, warum Anpassungen an menschengemachte Klimaveränderungen häufig bei Insekten festgestellt wurden. Dagegen brauchen große, langsam wachsende Arten, wie zum Beispiel Bäume, oft viele Jahre, bis sie sich reproduzieren. Das macht es sehr schwierig, mit der Klimaveränderung Schritt zu halten.
  • Anpassung bedeutet nicht Überleben. Populationen können sich durchaus in gewissem Maß an Klimaveränderungen angepasst haben – also zum Beispiel Hitzewellen heute besser überstehen als vor der industriellen Revolution – ohne dass diese Anpassungen ausreichen, langfristig Erhitzungen um 1,5, 2 oder 3°C zu überstehen. Zusätzlich ist wichtig, dass evolutionäre Anpassung auch immer bedeutet, dass schlechter angepasste Individuen wenige Nachkommen haben oder ohne Nachkommen sterben. Wenn das zu viele Individuen betrifft, sind die Überlebenden vielleicht besser angepasst – die Population kann aber trotzdem so sehr schrumpfen, dass sie früher oder später ausstirbt.
  • Manche Umweltveränderungen lassen keine schnellen Anpassungen zu. Wenn sich ein Lebensraum grundlegend verändert, ist Anpassung schlicht nicht vorstellbar. Fischpopulationen können sich nicht an ein Leben in einem ausgetrockneten See anpassen, und Landtiere überleben nicht, wenn ihr Lebensraum überflutet wird.
  • Die Klimakrise ist nur eine von mehreren Bedrohungen. Anpassung ist umso schwieriger, je kleiner die Populationen, je fragmentierter der Lebensraum, und je mehr Umweltveränderungen zeitgleich auftreten (siehe oben). Der Mensch erschwert Anpassungsprozesse durch Bejagung, Lebensraumzerstörung und Umweltverschmutzung also noch zusätzlich.

Was kann gegen das Aussterben unternommen werden?

Was kann man tun, wenn keine Hoffnung besteht, dass sich die meisten Arten erfolgreich anpassen? Das Aussterben lokaler Populationen wird kaum zu verhindern sein – aber zumindest können verschiedene Maßnahmen dem Verlust ganzer Arten und dem Zusammenschrumpfen von Verbreitungsgebieten entgegenwirken (Pörtner et al., 2022). Schutzgebiete sind wichtig, um Arten dort, wo sie gut genug angepasst sind, zu erhalten, und um vorhandene genetische Vielfalt zu bewahren. Wichtig ist außerdem die Vernetzung der unterschiedlichen Populationen einer Art, sodass warm-angepasste genetische Varianten sich gut verbreiten können. Zu diesem Zweck werden Natur“korridore“ eingerichtet, die geeignete Lebensräume miteinander verbinden. Das kann schon eine Hecke sein, die in einem landwirtschaftlich genutzten Gebiet verschiedene Baumbestände oder Schutzgebiete verbindet. Etwas umstrittener ist die Methode, Individuen bedrohter Populationen aktiv in Gebiete (zum Beispiel in höheren Lagen oder höheren Breitengraden) zu transportieren, in denen sie besser angepasst sind.

Bei all diesen Maßnahmen sind die Folgen jedoch nicht genau abzuschätzen. Auch wenn sie helfen können, einzelne Populationen und ganze Arten zu erhalten, reagiert doch jede Art anders auf Klimaveränderungen. Verbreitungsgebiete verschieben sich auf unterschiedliche Weise, und Arten treffen in neuen Kombinationen aufeinander. Interaktionen wie zum Beispiel Nahrungsketten können sich so grundlegend und unvorhersagbar verändern. Die beste Methode, Biodiversität und ihren unschätzbaren Nutzen für die Menschheit angesichts der Klimakrise zu erhalten, ist damit immer noch eine wirksame und schnelle Bekämpfung der Klimakrise selbst.


Barghi, N., Tobler, R., Nolte, V., Jakšić, A. M., Mallard, F., Otte, K. A., Dolezal, M., Taus, T., Kofler, R., & Schlötterer, C. (2019). Genetic redundancy fuels polygenic adaptation in Drosophila. PLOS Biology, 17(2), e3000128. https://doi.org/10.1371/journal.pbio.3000128

Bitter, M. C., Kapsenberg, L., Gattuso, J.-P., & Pfister, C. A. (2019). Standing genetic variation fuels rapid adaptation to ocean acidification. Nature Communications, 10(1), Article 1. https://doi.org/10.1038/s41467-019-13767-1

Netherer, S., Panassiti, B., Pennerstorfer, J., & Matthews, B. (2019). Acute drought is an important driver of bark beetle infestation in Austrian Norway spruce stands. Frontiers in Forests and Global Change, 2. https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/ffgc.2019.00039

Pörtner, H.-O., Roberts, D. C., Tignor, M. M. B., Poloczanska, E. S., Mintenbeck, K., Alegría, A., Craig, M., Langsdorf, S., Löschke, S., Möller, V., Okem, A., & Rama, B. (Eds.). (2022). Climate Change 2022: Impacts, Adaptation and Vulnerability. Contribution of Working Group II to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change.

Waller, N. L., Gynther, I. C., Freeman, A. B., Lavery, T. H., Leung, L. K.-P., Waller, N. L., Gynther, I. C., Freeman, A. B., Lavery, T. H., & Leung, L. K.-P. (2017). The Bramble Cay melomys Melomys rubicola (Rodentia: Muridae): A first mammalian extinction caused by human-induced climate change? Wildlife Research, 44(1), 9–21. https://doi.org/10.1071/WR16157

Wiens, J. J. (2016). Climate-related local extinctions are already widespread among plant and animal species. PLOS Biology, 14(12), e2001104. https://doi.org/10.1371/journal.pbio.2001104

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Zu arm um zu gehen: Durch den Klimawandel Verarmte können nicht flüchten
Potsdam Institut für Klimafolgenforschung

Lesedauer 2 Minuten.   

Der Klimawandel verstärkt Migration weltweit. In den vergangenen 30 Jahren wurde dieser Effekt aber stark verringert, weil der Klimawandel das Wirtschaftswachstum in den Ländern des globalen Südens schwächt. Das haben Forschende des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) herausgefunden, indem sie die beobachteten Migrationsströme mit einem Szenario ohne die Auswirkungen des Klimawandels verglichen haben.
„Der Klimawandel verringert das Wirtschaftswachstum in fast allen Ländern der Welt“, erläutert Jacob Schewe, Leiter des PIK FutureLabs Sicherheit, ethnische Konflikte und Migration und einer der Autoren der Studie, die in der Fachzeitschrift Environmental Research Letters veröffentlicht wurde. „Dies wirkt sich aber in ärmeren und reicheren Ländern sehr unterschiedlich aus. Insgesamt hat die Migration im Zusammenhang mit dem Klimawandel zugenommen – aber sie hat das in geringerem Maße getan, als man hätte erwarten können. Der Grund ist bitter: In armen Ländern fehlen vielen Menschen in Not die Mittel, um auswandern zu können. Ihnen bleibt keine Wahl als zu bleiben, wo sie sind.“

In ihrer Studie konzentrierten sich die PIK-Wissenschaftler auf einen wichtigen Einflussfaktor für Migrationsströme – das Einkommensniveau eines Landes. Sie untersuchten, wie sich der Klimawandel auf die internationale Migration auswirkt, indem sie das Einkommensniveau mehrerer Länder von 1990 bis 2020 analysierten.

„Das Wirtschaftswachstum beeinflusst das nationale Einkommensniveau und dieses wiederum die Migration. Sowohl aus Ländern mit hohem als auch aus Ländern mit sehr niedrigem Einkommensniveau wandern relativ wenige Menschen aus. Bei den armen Ländern liegt das unter anderem daran, dass sich viele Menschen einfach die Ausreise nicht leisten können“, erläutert Christian Otto, PIK Wissenschaftler und ebenfalls Ko-Autor der Studie. Sehr arme Menschen bleiben also oft in ihrem Heimatland, auch wenn sie dort in Not geraten oder aus anderen Gründen gern auswandern würden.

„Bei unserer Studie ging es nicht um die durch Naturkatastrophen verursachte Flucht“, ergänzt Anders Levermann, Leiter der Komplexitätsforschung am PIK, Professor an der Universität Potsdam und Wissenschaftler an der New Yorker Columbia University, ein Mitautor der Studie. „Vielmehr ging es um die von den Lebensumständen motivierte Migration. Die globale Erwärmung hält viele Menschen im globalen Süden weiter in Armut und erschwert ihnen so das Auswandern. Der Klimawandel nimmt Menschen eine wichtige Möglichkeit, sich an seine Folgen anzupassen, und verstärkt damit die Schere zwischen Arm und Reich.“

Artikel: Albano Rikani, Christian Otto, Anders Levermann, Jacob Schewe (2023): More people too poor to move: Divergent e ffects of climate change on global migration patterns. Environmental Research Letters [DOI 10.1088/1748-9326/aca6fe]

Weblink zum Artikel: https://iopscience.iop.org/article/10.1088/1748-9326/aca6fe

Titelfoto: Climate Change, Agriculture and Food Security via flickr, CC BY-NC-SA

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Commons – Wie Nachhaltigkeit gelingen kann
von Martin Auer

Lesedauer 7 Minuten.   

Die Theorie von der „Tragödie der Commons“ taucht immer wieder in der Diskussion um die Klimakatastrophe und die planetare Krise auf. Laut ihr sind Gemeingüter unweigerlich der Übernutzung und dem Verfall preisgegeben. Die Politologin und Ökonomin Elinor Ostrom hat gezeigt, warum das nicht so sein muss und wie Ressourcen von selbstorganisierten Gemeinschaften oft über Jahrhunderte nachhaltig genutzt werden können.

Intelligente Wesen, die unseren Planeten beobachten, müssten zu dem Schluss kommen, dass sich hier eine schreckliche Tragödie abspielt: Wir Erdenmenschen zerstören unseren Planeten. Wir wissen, dass wir ihn zerstören. Wir wollen ihn nicht zerstören. Und doch scheint es, dass wir keinen Weg finden, die Zerstörung zu beenden.

Eine theoretische Formulierung dieses Phänomens stammt von dem US-amerikanischen Ökologen Garrett Hardin (1915 bis 2003). Mit seinem 1968 erschienenen Artikel „The Tragedy of the Commons1 – auf Deutsch: „Die Tragödie der Commons“ oder „Die Tragik der Allmende“ – hat er ein geflügeltes Wort geschaffen, das den Vorgang beschreibt, bei dem das Handeln Einzelner zu einem Ergebnis führt, das niemand gewollt hat. In dem Beitrag versucht Hardin zu zeigen, dass frei zugängliche Allgemeingüter wie die Atmosphäre, die Weltmeere, Fischgründe, Wälder oder gemeinschaftliche Weidegründe notwendig übernutzt und zugrunde gerichtet werden. Von der Gemeindeflur, der Weide, die von einem Dorf gemeinsam benutzt wurde, nimmt er auch den Begriff der „Commons“ beziehungsweise der „Allmende“. Eine solche gemeinschaftlich genutzte Weide dient ihm als Beispiel.

Die Rechnung geht ungefähr so: Auf einer Weide grasen 100 Kühe. Das sind gerade so viele, dass sich die Weide jedes Jahr regenerieren kann. Zehn dieser Kühe gehören mir. „Als rationales Wesen“, sagt Hardin, „strebt jeder Viehzüchter danach, seinen Nutzen zu maximieren“: Wenn ich jetzt statt zehn Kühen noch eine elfte auf die Weide schicke, verringert sich der Milchertrag pro Kuh um ein Prozent, weil jede jetzt weniger zu fressen hat. Zwar sinkt auch mein Milchertrag pro Kuh, aber da ich jetzt elf statt zehn Kühe habe, steigert sich mein gesamter Milchertrag um fast neun Prozent. Ich wäre also dumm, wenn ich auf die elfte Kuh verzichten würde, um die Weide nicht zu überlasten. Und noch dümmer wäre ich, wenn ich zusehen würde, wie andere Viehzüchter zusätzliche Kühe auf die Weide treiben, und ich als einziger die Weide schonen wollte. Der Milchertrag meiner zehn Kühe würde sich verringern, und die anderen hätten den Vorteil. Ich würde also bestraft werden dafür, dass ich mich verantwortungsvoll verhalte.

Derselben Logik müssen auch alle anderen Viehzüchter folgen, wenn sie nicht untergehen wollen. Und darum ist es so unausweichlich wie das Schicksal in der griechischen Tragödie, dass die Weide übernutzt wird und schließlich verödet.

Folgen von Überweidung am Rukwasee, Tansania
Lichinga, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Feindbild Bevölkerungswachstum

Um die Tragödie zu verhindern, gibt es laut Hardin nur zwei Möglichkeiten: entweder die Regulierung durch eine zentrale Verwaltung oder die Aufteilung der Gemeinschaftsgüter in private Parzellen. Ein Viehzüchter, der seine Kühe auf seinem eigenen Land weidet, wird darauf achten, seinen Boden nicht zu zerstören, so das Argument. „Entweder privates Unternehmertum oder Sozialismus“, formulierte er später. Die meisten Darstellungen der „Tragik der Allmende“ enden hier. Doch es ist gut zu wissen, welche weitergehende Schlussfolgerungen Hardin gezogen hat. Es sind Argumentationen, die immer wieder in der Debatte über die Klimakatastrophe auftauchen.

Die eigentliche Ursache für Übernutzung von Ressourcen sieht Hardin im Bevölkerungswachstum. Er macht das am Beispiel der Umweltverschmutzung fest: Wenn ein einsamer Pionier im Wilden Westen seinen Abfall in den nächsten Fluss geschmissen hat, war das weiter kein Problem. Ab einer gewissen Bevölkerungsdichte kann die Natur unseren Abfall nicht mehr aufnehmen. Doch die Lösung der Privatisierung, die – nach Hardins Ansicht – für Viehweiden funktionieren soll, funktioniert nicht für Flüsse, Meere oder die Atmosphäre. Die lassen sich nicht einzäunen, die Verschmutzung breitet sich überallhin aus. Da er einen direkten Zusammenhang zwischen Umweltverschmutzung und Bevölkerungsdichte sieht, lautet Hardins Schlussfolgerung: „Die Freiheit zur Fortpflanzung ist nicht tolerierbar.“ („Freedom to breed is intolerable.“)

Rassismus und Ethno-Nationalismus

In einem späteren Artikel von 1974 mit dem Titel „Life Boat Ethics: the Case against Helping the Poor“ („Rettungsboot-Ethik: Plädoyer gegen Hilfe für die Armen“)2 wird er deutlich: Nahrungsmittelhilfe für arme Länder fördere nur das Bevölkerungswachstum und verschärfe so die Probleme der Übernutzung und Verschmutzung. Die Bevölkerung der reichen Länder, so seine Metapher, sitzt in einem Rettungsboot, das nur eine begrenzte Zahl an Menschen tragen kann. Das Boot ist umgeben von verzweifelten Ertrinkenden, die hineinwollen. Doch sie ins Boot zu lassen würde den Untergang aller bedeuten. Solange es keine Weltregierung gebe, die die Fortpflanzung der Menschen kontrolliere, sagt Hardin, sei eine Ethik des Teilens nicht möglich. „Für die vorhersehbare Zukunft ist unser Überleben davon abhängig, dass wir unser Handeln von der Ethik des Rettungsboots leiten lassen, so hart diese auch sein mag.“

Hardin schrieb 27 Bücher und verfasste 350 Artikel, von denen viele offen rassistisch und ethno-nationalistisch waren. Doch wenn Hardins Ansichten der Öffentlichkeit präsentiert werden, wird der weiße Nationalismus, von dem sein Denken geprägt war, weitgehend übergangen. Hauptsächlich auf Webseiten von weißen Suprematisten findet man Erörterungen seines vollständigen Gedankenguts. Wie die US-Organisation SPLC schreibt, wird er dort als Held gefeiert.3

Muss es also tragisch enden? Müssen wir wählen zwischen Diktatur und Untergang?

Der Streit um „Zentralgewalt“ oder „Privatisierung“ dauert bis heute an. Dass es zwischen den beiden Polen noch eine dritte Möglichkeit gibt, zeigte die US-amerikanische Ökonomin Elinor Ostrom (1933 bis 2012). Sie erhielt 2009 als erste Frau den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften für ihr Werk4, in dem sie sich intensiv mit den Fragen der Commons auseinandersetzte. In der Würdigung des Nobel-Komitees heißt es, dass sie gezeigt hat, „wie gemeinschaftliches Eigentum von Nutzerorganisationen erfolgreich verwaltet werden kann“.

Jenseits von Markt und Staat

Elinor Ostrom
Foto: Prolineserver 2010, Wikipedia/Wikimedia Commons (cc-by-sa-3.0)

In ihrem 1990 erstmals erschienenen Buch „Governing the Commons“4 (deutsch: „Die Verfassung der Allmende – Jenseits von Markt und Staat“) stellte Ostrom Hardins These von der Tragik der Allmende auf den Prüfstand. Sie untersuchte vor allem praktische Beispiele für Gemeinschaften, die über lange Zeit hinweg eine Ressource nachhaltig verwaltet und genutzt haben, aber auch Beispiele für das Misslingen einer solchen Selbstverwaltung. Bei der theoretischen Analyse nutzte sie Spieltheorie, um zu zeigen, dass weder die Kontrolle durch eine äußere (staatliche) Macht noch die Privatisierung optimale Lösungen für die nachhaltige Nutzung und dauerhafte Erhaltung von Gemeingütern garantieren.

Im ersten Fall müsste die staatliche Gewalt vollständige Informationen über die Eigenschaften der Ressource und das Verhalten der Nutzer:innen haben, um schädliches Verhalten korrekt sanktionieren zu können. Sind ihre Informationen unvollständig, können ihre Sanktionen erst wieder zu Fehlverhalten führen. Je besser und genauer die Überwachung ist, umso teurer wird sie aber. Diese Kosten werden von Befürworter:innen staatlicher Kontrolle meist außer Acht gelassen.

Privatisierung wiederum erlegt den Nutzer:innen Kosten für Einzäunung und Überwachung auf. Im Fall einer aufgeteilten Viehweide kann es geschehen, dass das Wetter einige Gebiete begünstigt, während andere unter Trockenheit leiden. Die Viehzüchter können aber jetzt nicht mehr in die fruchtbaren Gebiete ausweichen. Das führt zur Überweidung der trockenen Gebiete. Im nächsten Jahr kann die Dürre dann wieder andere Gebiete treffen. Futter aus den fruchtbaren Gebieten zu kaufen erfordert die Einrichtung neuer Märkte, was auch wieder Kosten verursacht.

Der dritte Weg

Sowohl theoretisch als auch empirisch legt Ostrom dar, dass es zwischen Markt und Staat noch andere Lösungen gibt. Sie untersucht so unterschiedliche Fallbeispiele wie Gemeinschaftsalmen und Gemeinschaftswälder in der Schweiz und in Japan, gemeinsam verwaltete Bewässerungssysteme in Spanien und den Philippinen, Grundwasserverwaltungen in den USA, Fischereigründe in der Türkei, Sri Lanka und Kanada. Einige der erfolgreichen Systeme ermöglichen schon seit Jahrhunderten eine nachhaltige gemeinschaftliche Bewirtschaftung.
Ostrom stellt in ihren Fallstudien und auch in Laborexperimenten fest, dass nicht alle Nutzer:innen eines Gemeinschaftsguts gleichermaßen „rationale Nutzenmaximierer“ sind. Es gibt Trittbrettfahrer:innen, die immer eigennützig handeln und in Entscheidungssituationen nie kooperieren. Es gibt Nutzer:innen, die nur dann kooperieren, wenn sie sicher sein können, dass sie nicht von Trittbrettfahrer:innen ausgenützt werden. Es gibt solche, die bereit sind, die Zusammenarbeit zu suchen, in der Hoffnung, dass ihr Vertrauen erwidert wird. Und schließlich gibt es vielleicht auch noch ein paar echte Altruist:innen, die immer das Wohl der Gemeinschaft suchen.
Wenn es einigen gelingt, vertrauensvoll zusammenzuarbeiten und dadurch gemeinsam einen höheren Nutzen zu erlangen, können andere, die das beobachten, motiviert werden, ebenfalls zu kooperieren. Wichtig ist, dass alle das Verhalten der anderen beobachten können und auch den Nutzen des gemeinsamen Handelns erkennen können. Der Schlüssel für die Bewältigung der Probleme liegt also in der Kommunikation und der Bildung von Vertrauen.

Was erfolgreiche Commons auszeichnet

Verallgemeinert stellt Ostrom fest, dass die nachhaltige gemeinsame Nutzung eines Gemeinguts dann wahrscheinlicher ist, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind:

  • Es gibt klare Regeln, wer zur Nutzung berechtigt ist und wer nicht.
  • Die Regeln für die Aneignung und Bereitstellung einer Ressource entsprechen den örtlichen Bedingungen. In unterschiedlichen Fischgründen werden zum Beispiel unterschiedliche Netze oder Fangleinen erlaubt. Gemeinsame Arbeiten im Wald oder bei der Ernte werden zeitlich festgelegt usw.
  • Die Nutzer:innen selbst legen die Regeln fest und ändern sie nach Bedarf. Da sie selbst von den Regeln betroffen sind, können sie ihre Erfahrungen einbringen.
  • Die Einhaltung der Regeln wird überwacht. In kleinen Gruppen können die Beteiligten das Verhalten der anderen direkt beobachten. Personen, die die Einhaltung der Regeln überwachen, sind entweder selbst Nutzer:innen oder sind von den Nutzer:innen bestellt und ihnen rechenschaftspflichtig.
  • Regelverletzungen werden sanktioniert. Meistens werden erstmalige Übertretungen milde behandelt, mehrmalige umso strenger. Je sicherer die Beteiligten sind, dass sie nicht von Trittbrettfahrer:innen ausgenützt werden, umso eher werden sie sich selbst an die Regeln halten. Wird jemand beim Regelbruch ertappt, leidet auch sein oder ihr Ruf.
  • Konfliktlösungsmechanismen sind schnell, kostengünstig und direkt, wie zum Beispiel örtliche Versammlungen oder ein von den Nutzer:innen bestelltes Schiedsgericht.
  • Der Staat erkennt das Recht der Nutzer:innen an, ihre Regeln selbst zu bestimmen. Die Erfahrung zeigt, dass staatliche Eingriffe in traditionelle Commons oft zu einer Verschlechterung geführt haben.
  • Eingebettete Organisationen: Wenn ein Gemeingut eng mit einem großen Ressourcensystem verbunden ist, zum Beispiel lokale Bewässerungssysteme mit größeren Kanälen, sind Verwaltungsstrukturen auf mehreren Ebenen miteinander „verschachtelt“. Es gibt nicht nur ein einziges Verwaltungszentrum.

Gemeinsam in den Holzschlag

Eine traditionelle Allmende zeigt dieses Video über eine „Waldnachbarschaft“ in Bladersbach, Nordrhein-Westfalen, deren Wurzeln bis in das 16. Jahrhundert zurückreichen.


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Charakteristisch für die Waldnachbarschaften ist der ungeteilte Waldbesitz einer Gemeinde als Erbenwald. Die angestammten Familien nutzen ihn gemeinschaftlich. Im Winter wird Brennholz geschlagen. Die gewählten „Deputierten“ geben jedes Jahr einen Teil des Waldes zur Holzung frei. Dieser Teil wird entsprechend der Anzahl der Familien unterteilt. Die Grenzen der „Örter“ werden durch das Einschlagen von dicken Ästen markiert, die jeweils eine Nummer eingeschnitzt bekommen. Wenn das Ausmessen abgeschlossen ist, werden die einzelnen Waldabschnitte unter den Familien verlost. Danach markieren die Inhaber:innen der Nachbarflächen von den Grenzpfählen ausgehend gemeinsam die Grenzen ihrer Gebiete.

Bis in die 1960er-Jahre wurden die Eichen in diesem Mischwald zur Gewinnung von Gerberlohe genutzt. Die Arbeit des Rindenschälens geschah im Frühjahr. Im Winter konnten Birken, Hainbuchen und Erlen gefällt werden. In einer früheren Phase wurden nicht die Waldflächen verlost, sondern die Waldnachbarn machten die Arbeit gemeinsam und verlosten später die Brennholzstapel. Der Wald ist ein „Niederwald“. Die Triebe der Laubbäume wachsen aus dem Wurzelstock nach. Nach 28 bis 35 Jahren müssen die mittelstarken Stämme geschlagen werden, sonst ist die Wurzel zu alt, um neue Triebe zu bilden. Durch die rotierende Nutzung kann sich der Wald immer wieder regenerieren.

Commons müssen aber keineswegs nur traditionelle Dorfgemeinschaften sein. In der nächsten Folge dieser kleinen Serie sollen einige heute funktionierende Commons vorgestellt werden, von Wikipedia bis zu Cecosesola, einem Zusammenschluss von Kooperativen in Ecuador, der seit über 50 Jahren 100.000 Familien mit erschwinglichem Obst und Gemüse, Gesundheits- und Bestattungsdiensten versorgt.

Titelfoto: Marymoor Park community garden, USA. King County Parks, CC BY-NC-ND


Fußnoten:

Hardin, Garrett (1968): The Tragedy of the Commons. In: Science 162 (3859), S. 1243–1248. Online: https://www.jstor.org/stable/1724745.

Hardin, Garrett (1974): Lifeboat Ethics_ the Case Against Helping the Poor. In: Psychology Today (8), S. 38–43. Online: https://rintintin.colorado.edu/~vancecd/phil1100/Hardin.pdf

Vgl.. https://www.splcenter.org/fighting-hate/extremist-files/individual/garrett-hardin

Ostrom, Elinor (2015): Governing the Commons. Cambridge: Cambridge University Press. Das Buch ist erstmals 1990 erschienen.

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Amazonas-Kipppunkt: Weniger Monsun-Regen durch Entwaldung
Potsdam Institut für Klimafolgenforschung

Lesedauer 2 Minuten.   

Die Auswirkungen der globalen Erwärmung, der Entwaldung und der intensivierten Landnutzung können zu einer kritischen Destabilisierung des südamerikanischen Monsuns führen. Das ist das Ergebnis einer jetzt im Fachjournal Science Advances veröffentlichten Studie. Ist der Punkt der kritischen Destabilisierung einmal überschritten, ist in weiten Teilen des südamerikanischen Kontinents mit deutlich weniger Niederschlag zu rechnen. Dies hätte wiederum erhebliche Auswirkungen auf die Stabilität des Amazonas-Regenwaldes. Auch Gebiete, die noch nicht direkt von Landnutzungsänderungen betroffen sind, wären dann von existentiellen Schäden bedroht.

In ihrer Studie haben Forschende des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und der Universität Tromsø (UiT) untersucht, wie Veränderungen von Waldschäden und der Monsunzirkulation miteinander zusammenhängen. „Waldverluste durch direkte Abholzung, Dürren und Brände können das Klima in Südamerika demnach erheblich verändern und dazu führen, dass die komplexen Kopplungsmechanismen zwischen Amazonas-Regenwald und südamerikanischer Monsunzirkulation einen kritischen Punkt der Destabilisierung überschreiten. Die hier vorgestellten Ergebnisse deuten auf eine bevorstehendn Verschiebung im Amazonas-Ökosystem hin, wenn die Abholzung und die globale Erwärmung nicht gestoppt werden“, sagt der Erstautor der Studie, Nils Bochow, von der Universität Tromsø, Norwegen und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

Signifikante Anzeichen für abnehmende Stabilität des Monsunsystems

Der Feuchtigkeitsaustausch, der zwischen Regenwald und Atmosphäre über Niederschlag und die Verdunstung erfolgt, ist ein Schlüsselmechanismus für das südamerikanische Hydroklima und die Stabilisierung des Amazonasgebiets insgesamt: Ein großer Teil des Regens in den westlichen Teilen des Amazonasgebiets und im südlichen Südamerika stammt aus der Verdunstung durch Amazonasbäume selbst. Für das Funktionieren des südamerikanischen Monsuns und damit auch für die Verfügbarkeit der Feuchtigkeit, die der Amazonas-Regenwald zum Überleben braucht, ist dieser Feuchtigkeitsaustausch entscheidend. Vor allem im östlichen Amazonasgebiet, wo in den letzten Jahren am stärksten abgeholzt wurde, erhöht die Schädigung des Waldes jedoch das Risiko, dass dieser Feuchtigkeitsaustausch unterbrochen wird. Anhand eines dynamischen Simulationsmodells der komplexen Wechselwirkungen zwischen Regenwald und Atmosphäre konnten die Forschenden des PIK und der UiT zunächst die Auswirkungen der Entwaldung auf den Feuchtigkeitstransport in Südamerika vorhersagen. In Beobachtungsdaten konnten sie auf der Grundlage der Ergebnisse der Simulationen dann entsprechende, signifikante Anzeichen dafür erkennen, dass die Stabilität des südamerikanischen Monsunsystems in den letzten Jahrzehnten tatsächlich abgenommen hat. Vermutet wird, dass diese Entwicklung eine Reaktion auf den anhaltenden Klima- und Landnutzungswandel und die daraus resultierende Degradierung des Amazonas ist.

„Ein Zusammenbruch des gekoppelten Regenwald-Monsum-Systems würde in weiten Teilen Südamerikas zu einem erheblichen Rückgang der Niederschläge führen“, so PIK-Forscher und Koautor Niklas Boers. Aufgrund der Komplexität dieses Systems ist eine Abschätzung der Auswirkungen eines Zusammenbruchs des Monsuns jedoch noch mit großen Unsicherheiten verbunden. Die Niederschläge würden vor allem im westlichen Amazonasgebiet und weiter stromabwärts der atmosphärischen Strömung in Richtung der Subtropen stark abnehmen. Dadurch wäre der tiefe westliche Amazonas-Regenwald von einem großflächigen Absterben bedroht. Dies würde wiederum zu einer erheblichen zusätzlichen globalen Erwärmung führen, aufgrund der zusätzlichen Freisetzung von Treibhausgasen durch die absterbenden Bäume. Ein Rückgang des südamerikanischen Monsuns hätte auch potenziell dramatische Folgen für die Ernährungssicherheit; im La-Plata-Becken mit seiner extensiven Landwirtschaft beispielsweise hängen die Niederschläge entscheidend von der Feuchtigkeitszufuhr aus dem Amazonas ab.

Die Studie liefert zwar wichtige Hinweise darauf, dass es einen kritischen Punkt der Destabilisierung für das gekoppelte Regenwald-Monsun-System gibt und dieser näher rückt, doch lassen sich zum jetzigen Zeitpunkt keine Rückschlüsse auf die genaue Position dieses Kipppunkts oder auf seinen Zeitpunkt ziehen, betonen die Autoren. „Unsere Studie setzt den südamerikanischen Monsun auf die Landkarte der potenziellen Kipppunkte des Erdsystems. Sie bestätigt auch die bestehenden Befürchtungen hinsichtlich des Amazonas-Regenwaldes. Der Übergang würde zu wesentlich trockeneren Bedingungen führen, unter denen der Regenwald wahrscheinlich nicht mehr erhalten werden könnte“, erklärt Niklas Boers.
Artikel: Nils Bochow, Niklas Boers (2023): The South American monsoon approaches a critical transition in response to deforestation. Science Advances 9 (40). [DOI:10.1126/sciadv.add9973]

Weblink zum Artikelhttp://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.add9973

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USA: Umweltorganisationen unterstützen den Streik der Automobil-Arbeiter:innen
von Martin Auer

Lesedauer 3 Minuten.   

Am Freitag, 15. September hat der Streik der Gewerkschaft United Auto Workers (UAW)gegen die drei großen amerikanischen Automobilhersteller General Motors, Ford und Stellantis (Früher Fiat-Chrysler) begonnen. Über 100 Umweltorganisationen wie Fridays for Future USA oder Greenpeace und andere zivilgesellschaftliche Organisationen unterstützen den Streik in einem offenen Brief.

Worum geht es bei dem Streik?

Es geht um die Kollektivverträge für 145.000 Arbeiter:innen. Die Gewerkschaft fordert eine Viertage-Woche zu 32 Stunden. Der Präsident der Gewerkschaft, Shawn Fain, erklärte, dass Automobilarbeiter:innen oft sieben Tage in der Woche 10 bis 12 Stunden am Band stehen würden, um über die Runden zu kommen. Die Gewerkschaft fordert auch massive Lohnerhöhungen. Die CEOs der „Großen Drei“ haben sich in den letzten vier Jahren Gehaltserhöhungen um durchschnittlich 40 % genehmigt. Die Gewerkschaft fordert für die Arbeiter:innen Stundenlöhne von rund $32,00. Im Jahr 2007 betrug der Anfangslohn $19,60. Berücksichtigt man die Inflation seither, würde das heute $28,69 entsprechen. Doch tatsächlich beträgt der Anfangslohn heute $18,04. In den letzten 20 Jahren wurden 65 Fabriken der „Großen Drei“ geschlossen, mit katastrophalen Folgen für die umliegenden Gemeinden. Die UAW fordert ein „Familienschutzprogramm“: Wenn eine Fabrik geschlossen wird, sollen betroffene Arbeiter:innen die Möglichkeit bekommen, bezahlte gemeinnützige Arbeit zu verrichten. Der Streik beginnt an jeweils einem der Standorte der großen Drei in Detroit, mit insgesamt über 12.000 Beschäftigten.

Quelle: CBS News (https://www.cbsnews.com/news/uaw-strike-update-four-day-work-week-32-hours/)

Warum unterstützen Umweltorganisationen den Streik?

In dem offenen Brief weisen die Organisationen darauf hin, dass die Beschäftigten und ihre Gemeinden in den letzten Monaten beispiellose extreme Hitze, Rauchverschmutzung, Überschwemmungen und andere Katastrophen erlebt haben. „Die Führungskräfte Ihrer Unternehmen haben in der Vergangenheit Entscheidungen getroffen, die diese beiden Krisen in den letzten Jahrzehnten verschärft haben – was zu weiterer Ungleichheit und zunehmender Umweltverschmutzung geführt hat.“ In den nächsten Jahren, so der Brief, muss der Übergang weg von fossilen Brennstoffen und Verbrennungsmotoren gemeistert werden. Mit dieser Verschiebung ergibt sich für die Arbeitnehmer:innen in den Vereinigten Staaten eine Chance, von einer Wiederbelebung und Erneuerung der Fertigungsindustrie, einschließlich Elektrofahrzeugen und kollektiven Transportmitteln wie Bussen und Zügen, als Teil der Revolution der erneuerbaren Energien zu profitieren. „Der Übergang zu Elektrofahrzeugen“, heißt es weiter, „darf kein ‚Wettlauf nach unten‘ sein, der die Arbeitnehmer:innen weiter ausbeutet.“

Der Brief schließt: „Wir und Millionen Amerikaner:innen wollen, wofür die UAW verhandelt: familienerhaltende, gemeinschaftsfördernde, gewerkschaftlich organisierte Arbeitsplätze in einer grünen Energiewirtschaft; einer Wirtschaft, die uns allen ermöglicht, auf einem lebendigen Planeten den Lebensunterhalt zu verdienen.“

Unterzeichnet haben unter anderem: Fridays for Future USA, 350.org, Greenpeace USA, Friends of the Earth, Labor Network for Sustainability, Oil Change International, Union of Concerned Scientists neben 109 weitere Organisationen.

Quelle: https://www.labor4sustainability.org/uaw-solidarity-letter/

Kein Entweder-Oder zwischen guten und grünen Jobs

Trevor Dolan von Evergreen Action erklärte dazu: „Wir müssen uns nicht zwischen guten und grünen Arbeitsplätzen entscheiden. Konzerntitanen werden versuchen, unsere Bewegung zu spalten, indem sie uns vor eine falsche Wahl stellen. Sie werden versuchen zu argumentieren, dass der Bau saubererer Autos wichtiger sei als die Unterstützung der Arbeitnehmer:innen. Aber wir wissen es besser. Unsere kollektive Bewegung kann nur dann erfolgreich sein, wenn die Arbeitnehmer:innen direkt von den Klimaschutzmaßnahmen profitieren. Evergreen und die Umweltbewegung sind bereit, den Arbeitnehmer:innen zur Seite zu stehen, denn ein fairer Übergang zu einer Zukunft mit sauberer Energie bedeutet nicht nur den Einsatz sauberer Technologie, sondern auch die Förderung einer Wirtschaftsagenda der Arbeiter:innenklasse, die Arbeitnehmer:innen und Gemeinschaften unterstützt. Es obliegt dem Präsidenten und der Klimabewegung, die UAW in diesem Kampf weiter zu unterstützen und dazu beizutragen, dass der Übergang zu Elektrofahrzeugen nicht zu einem Wettlauf der Unternehmen nach unten wird.“

Quelle: https://www.citizen.org/news/uaw-ev-transition/

Unternehmen haben auch Verantwortung gegenüber den Steuerzahler:innen

Erika Thi-Patterson vom Public citizen’s Climate Program: „Der Inflation Reduction Act wird Milliarden von Steuergeldern in die Bemühungen der Autohersteller um den Übergang zu Elektrofahrzeugen pumpen. Da die Steuerzahler:innen den Übergang vorantreiben, müssen die Autohersteller der Schaffung von Millionen guter, gewerkschaftlich organisierter Arbeitsplätze für ihre Mitarbeiter:innen Priorität einräumen – neben der Umstellung auf grünen Stahl, dem nachhaltigen Recycling von Elektrofahrzeugbatterien und einer robusten Transparenz für Verbraucher:innen und Gemeinden.“

Quelle: https://www.citizen.org/news/uaw-ev-transition/

Das Titelbild zeigt ein Wandgemälde von Diego Rivera im Detroit Institute of Arts aus den Jahren 1932 bis 33, das die Arbeit in den Ford-Werken von Detroit zum Thema hat.
Aufnahme: Cdschock via flickr, CC BY 2.0

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Offener Brief zur Bedeutung einer Bodenschutzstrategie für Österreich

Lesedauer 2 Minuten.   

Anlässlich der ÖROK-Sitzung am 27. September 2023 hat die Fachgruppe Bodenverbrauch der S4F Österreich einen weiteren offenen Brief formuliert, um erneut auf die Bedeutung einer Bodenschutzstrategie für Österreich aufmerksam zu machen.

Sehr geehrte/r Frau Landeshauptfrau/ Herr Landeshauptmann,

als lebendes Ökosystem bildet der Boden die Grundlage für die landwirtschaftliche Produktion, unser Trinkwasser, den Erhalt der Biodiversität und nicht zuletzt für unser eigenes Wohlergehen. Doch unsere Böden stehen unter zunehmendem Druck. Durch jeden Quadratmeter versiegelten Boden verlieren wir nicht nur die Basis für den Anbau unserer Lebensmittel, sondern auch die Möglichkeit zum Beispiel Kohlenstoff (und damit CO2) und Wasser zu speichern. Wir, Wissenschaftler:innen der Scientists for Future der Fachgruppe Boden, haben mit großer Sorge zur Kenntnis genommen, dass die in einem breiten Diskurs erarbeitete nationale Bodenschutzstrategie noch immer nicht beschlossen worden ist. Die aktuelle Praxis ohne Strategie gefährdet die Nahrungsmittelversorgung, fördert Überschwemmungen und führt zu hohen Kosten [1,2]. Jeder Tag ohne einen nationalen „Fahrplan“ bedeutet den Verlust weiterer wertvoller landwirtschaftlicher und biologisch aktiver Flächen. Boden ist eine nicht vermehrbare Ressource und kann nicht ersetzt werden.

In Österreich liegt es in der Hand der Bundesländer, hier geeignete Maßnahmen durch die überörtliche Raumplanung zu setzen. Die Bodenstrategie gibt ihnen dazu Vorschläge in die Hand. Viele dieser Vorschläge werden in den einzelnen Bundesländern bereits erfolgreich angewendet, doch gilt es nun diese zu bündeln und österreichweit umzusetzen. Und es ist Aufgabe von Bund und Ländern Ziele und Maßnahmen zur Reduktion des „Bodenverbrauchs“ festzulegen, um die von der EU festgelegten Netto-Null-Flächenneuinanspruchnahme bis spätestens 2050 zu erreichen [3,4]. Dazu braucht es einen nationalen Schulterschluss – nicht nur der Bundesländer, sondern aller administrativen Ebenen. Denn letztendlich müssen die Gemein-den gemeinsam mit Betrieben und den Bürger:innen vor Ort die Umsetzung bewerkstelligen und mittragen.

Vor diesem Hintergrund sehen wir eine zügige Beschlussfassung der Bodenstrategie als einen notwendigen ersten Schritt, damit dringend erforderliche Maßnahmen rasch umgesetzt und weitere Instrumente für den Erhalt unserer Böden entwickelt werden können. Als ein sehr wirksames Instrument sei eine Erhebung aller Gewerbe- und Industriebrachen und der Leerstände von Gebäuden angeführt. Durch eine Förderung der Nutzung dieser ca. 40.000 ha könnte ein Großteil des Bedarfs abgedeckt werden, ohne dass es zu neuen Bodenverlusten kommt.

Handeln wir nicht jetzt, werden zukünftige Lösungen deutlich mehr Konfliktpotential in sich bergen, weil die Einschnitte in die Lebensgewohnheiten der Menschen in Österreich immer gravierender werden.

In diesem Sinne tragen wir gerne mit unserem Wissen zu einer gemeinsamen Gestaltung unseres Lebensraumes bei und würden uns über die Möglichkeit direkter Gespräche freuen.

Mit freundlichen Grüßen,

DI Dr. Christina Hummel (Scientists for Future, Koordinatorin Fachgruppe Boden)
Univ.-Prof. DI Dr. Dr.h.c. mult. Martin H. Gerzabek (Universität für Bodenkultur Wien, ÖAW)
DI Gaby Krasemann (Universität Klagenfurt, Scientists for Future)
DI Dr. Sigrid Schwarz (Vizepräsidentin, Österreichische Bodenkundliche Gesellschaft)
DI MSc. Gerlinde Krawanja-Ortner (Bodenkunde, GeoPark Karnische Alpen)
Priv.Doz. DI Dr. Johannes Tintner-Olifiers (Umweltwissenschaftler, denkstatt gmbH)
DI Barbara Steinbrunner, MSc (Institut für Raumplanung, TU Wien)
DP DI Franz Fehr, MSc (UniNEtZ, Universität für Bodenkultur Wien)


1 https://www.rechnungshof.gv.at/rh/home/home/Bund_2023_17_Lebensmittel.pdf
2 https://www.hagel.at/wp-content/uploads/2023/07/PK-Studie_Flaechenentwicklung.pdf
3 https://info.bml.gv.at/dam/jcr:0d5df73f-114b-447d-8186-cbf0d68fbe3e/Studie%20UBA%20Bodenverbrauch.pdf
4 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52021DC0699


Der offene Brief steht hier zum Download bereit.


Titelbild: geri cleveland auf Pixabay

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