Der Bedarf an erneuerbaren Energien nimmt Jahr für Jahr zu. 2020 beispielsweise hat der Anteil an erneuerbaren Energien für die Stromerzeugung in der EU erstmals Kohle und Gas abgehängt.1 Angesichts des fortschreitenden Klimawandels ist das sehr erfreulich. Doch die Anlagen zur Erzeugung, zum Transport und zur Speicherung des Stroms benötigen Rohstoffe, ebenso wie die elektronischen Geräte, die die Digitalisierung der Wirtschaft ermöglichen sollen. Um den wachsenden Bedarf an diesen Rohstoffen zu decken, bedarf es einer enormen Steigerung des Abbaus. Genau diesen Bedarf versucht die Europäische Kommission nun zu decken. Laut dem Bericht des Central and Eastern European Bankwatch Network2: „Raw Deal“ vom Jänner 2021 passiert dies jedoch häufig unter Missachtung von fairen Arbeitsbedingungen, Gesundheits- und Sicherheitsbestimmungen und Artenschutz.
Das Artensterben geht heute mindestens zehn bis hundert Mal so schnell vor sich wie in den letzten 10 Millionen Jahren. Es ist vor allem die Veränderung der Land- bzw. Meernutzung, die die Biodiversität auf unserem Planeten schädigt, also die Ausweitung der Landwirtschaft, die Abholzung von Wäldern, das Wachstum von Städten und Infrastruktur. An zweiter Stelle steht die direkte Ausbeutung der Ökosysteme, wie z.B. die Überfischung der Meere. Erst an dritter Stelle folgt der Klimawandel. Weitere Treiber sind Verschmutzung und Invasive gebietsfremde Arten.
Was ist Biodiversität?
Biodiversität ist die Diversität des Lebens auf verschiedenen Ebenen: genetische Diversität, Diversität von Populationen (z.B. verschiedene lokale Varianten von Leoparden), Diversität der Arten (z.B. alle die verschiedenen Spezies von Katzenartigen). Über den globalen Stand der Biodiversität gibt die IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services – Zwischenstaatliche Plattform für Biodiversität und Ökosystemleistungen) Auskunft in ihrem jüngsten Bericht1.
Was tut die Natur für uns?
Die lebendige Natur ist unsere Lebensgrundlage. Sie bietet uns Lebensraum, sie versorgt uns mit materiellen und spirituellen Gütern. Drei Viertel unserer Nahrungspflanzen profitieren von tierischer Bestäubung und 35 Prozent sind vollständig von tierischer Bestäubung abhängig. 60 Prozent der CO2-Emissionen, die wir verursachen, werden von natürlichen Ökosystemen an Land und in den Ozeanen aufgenommen. Mehr als zwei Milliarden Menschen brauchen Feuerholz für ihren täglichen Energiebedarf, rund vier Milliarden Menschen sind auf natürliche Medizin angewiesen. Die lebendige Natur trägt auch zu den nicht-materiellen Aspekten der Lebensqualität bei, sie bietet Inspiration, körperliche und seelische Erholung, und viele Menschen beziehen aus ihrer natürlichen Umgebung ihre Identität.
Eine brandneue Studie von Conservation International1 beschreibt, welche entscheidenden Ökosysteme auf der Erde die Menschheit schützen muss, um eine Klimakatastrophe zu vermeiden. Diese Ökosysteme sind wichtig, weil sie besonders viel Kohlenstoff pro Hektar Landfläche speichern. Es sind Mangroven, tropische Wälder und Torfgebiete sowie alte Wälder in den gemäßigten Breiten. Wenn diese Ökosysteme zerstört würden und der Kohlenstoff, den sie enthalten, in Form von CO2 in die Atmosphäre gelangen würde, dann könnte dieser Kohlenstoff nicht mehr rechtzeitig wieder zurückgeholt werden. „Rechtzeitig“ heißt hier: Uns stehen noch 30 Jahre zur Verfügung um unsere CO2-Emissionen auf netto-null zu bringen. Selbst wenn man einen abgeholzten Wald wieder aufforsten oder ein trockengelegtes Moor wieder befeuchten würde, würden sich diese Kohlenstoffspeicher in dieser Zeit auch nicht annähernd wieder auffüllen. Darum nennen die Forscher*innen diese Speicher „unwiederbringlichen Kohlenstoff“ („irrecoverable carbon“). Die Gebiete, wo dieser unwiederbringliche Kohlenstoff konzentriert ist, müssen unbedingt vor Zerstörung bewahrt werden, um die Klimakatastrophe abzuwenden.
Am 10. Juni 2021 veröffentlichten die zwei großen zwischenstaatlichen Gremien für Klimaschutz und Artenschutz einen gemeinsamen Bericht, nämlich das IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) und IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services). Es handelt sich um die erste Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftler*innen der beiden Gremien.
Der Meeresboden ist das größte CO2-Reservoir auf der Erde. Besonders auf lange Sicht ist dies für uns wichtig – Der Meeresboden kann CO2 über Jahrtausende binden. Der Boden kann den gebundenen Kohlenstoff jedoch wieder als CO2 ins Wasser abgeben, wenn er beschädigt wird. Auslöser dafür können Schleppnetze sein, die beim industriellen Fischfang über den Meeresgrund gezogen werden. Das CO2, das dabei freigesetzt wird, kann eine Versauerung des Meeres verursachen. Dies kann sich wiederum negativ auf die Artenvielfalt und die Produktion von Nahrungsmitteln durch den Ozean auswirken.
Es gibt inzwischen mehr menschengemachte Dinge auf der Erde als Pflanzen und Tiere. Was macht das mit dem Planeten? Mehr als 90 Prozent aller großen Säugetiere sind Menschen und ihre Nutztiere, und nur ein verschwindender Teil sind noch Wildtiere. Wohin führt uns das? Wir sprechen mit dem Biodiversitätsforscher Franz Essl über die weltweite Übernutzung von Atmosphäre, Land und Wasser. Außerdem geht es um die Schwierigkeiten, den Wohlstand zu bewahren und gleichzeitig den Ressourcenverbrauch zu senken. Wir fragen, ob wir Arbeit und Arbeitszeit nicht neu gestalten sollten und wie wir die Landnutzung regeln sollen, damit wir weiter fruchtbare Böden und eine vielfältige Tier- und Pflanzenwelt haben. Wir sprechen auch darüber, ob es in der Landwirtschaft nur darum gehen kann, möglichst billige Nahrungsmittel herzustellen, und wie ein sozialer Ausgleich aussehen könnte, wenn nachhaltige Produktion auch entsprechend bezahlt wird.
Anlässlich des österreichischen Earth Overshoot Day am 07.04.2021 macht Martin Auer ein Interview mit Assoz.Prof. Mag. Dr. Franz Essl vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien.