175 Mitgliedsländer der Umweltversammlung der Vereinten Nationen (UNEA) haben am 1. März in einer Resolution1 beschlossen, bis 2024 einen verbindlichen Vertrag zur Beendigung der Plastikverschmutzung zu schließen. Dieser Vertrag soll den kompletten Lebenszyklus von Plastik von der Produktion bis zur Entsorgung regeln. Damit hat sich laut der Zeitschrift New Scientist2 der Entwurf von Peru und Ruanda durchgesetzt, der die gesamte Kette von der Produktion über den Gebrauch bis zur Entsorgung einschließt. Ein zweiter Entwurf, für den sich vor allem Japan einsetzte, konzentrierte sich nur auf die Plastikverschmutzung der Meere. Die Resolution verlangt einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag. Sie erkennt auch an, dass Länder mit niedrigem Einkommen3 es schwerer haben, das Problem der Plastikverschmutzung zu bewältigen, und daher auch ein Finanzierungsmodell notwendig ist, das die Lasten gerechter verteilt.
Inger Andersen, Exekutivdirektorin des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, sagte, der Beschluss sei die wichtigste internationale Vereinbarung seit dem Pariser Klimaschutzabkommen4: „Ein umfassendes Herangehen im Sinn der Kreislaufwirtschaft könnte die Menge an Plastik, die in unseren Ozeanen landet, bis 2040 um 80 Prozent reduzieren. Es könnte die Produktion von neuem Plastik um 55 Prozent verringern. Es könnte Regierungen bis 2040 Einsparungen in Höhe von 70 Milliarden USD bringen. Es könnte Treibhausgasemissionen um 25 Prozent reduzieren. Und es könnte 700.000 neue Jobs im globalen Süden schaffen. Und wenn es richtig umgesetzt wird, kann es ein Modell für den Übergang zur Kreislaufwirtschaft in anderen Sektoren sein.“
Seit dem Beginn des Plastikzeitalters um 1950 hat die Welt rund 9 Milliarden Tonnen Plastik erzeugt, schreibt New Scientist. Allein 2015 waren es 381 Millionen Tonnen, und es wird geschätzt, dass Hunderttausende Tonnen jedes Jahr in den Ozeanen enden, das meiste davon aus Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen. Die Verschmutzung mit Plastik schädigt das Leben in den Ozeanen. Meerestiere verfangen sich darin oder verschlucken es. Es wird aber auch vermutet, dass das allgegenwärtige Mikroplastik die menschliche Gesundheit schädigt5.
Hintergrund: Durch Plastik und andere „neuartige Substanzen“ wird eine weitere planetare Grenze überschritten
Im Jänner dieses Jahres, also einige Wochen vor dem Beschluss der Resolution, publizierte ein internationales Team um Linn Persson vom Stockholm Environment Institute in der Fachzeitschrift Environmental Science and Technology eine Untersuchung6, in der sie feststellen, dass durch „neuartige Substanzen“ eine weitere planetare Grenze überschritten worden ist. „Planetare Grenzen“ oder „ökologische Belastungsgrenzen“ definieren den sicheren Bereich, in dem die Menschheit agieren kann, ohne das Erdsystem aus dem Gleichgewicht zu bringen, in dem es sich seit rund 10.000 Jahren befindet. Das Konzept der planetaren Grenzen wurde 2009 von einem Team um Johan Rockström vom Stockholm Resilience Center entwickelt7. Neun für das Überleben der Menschheit wesentliche Belastungsgrenzen wurden definiert. 2015 kamen die Wissenschaftler*innen zu dem Schluss, dass vier der planetaren Grenzen bereits überschritten sind: Sie betreffen den Klimawandel, den Verlust der Biodiversität, Entwaldung und andere Landnutzungsänderungen, und schließlich den Phosphor- und Stickstoffkreislauf. Nur was die schützende Ozonschicht, die Versauerung der Ozeane und den Süßwasserverbrauch betrifft, bewegt sich die Menschheit noch im „grünen Bereich“, wie die Grafik zeigt. Der Bereich der chemischen Verschmutzung und der Verschmutzung der Atmosphäre durch Aerosole konnte bis 2015 noch nicht quantifiziert werden. Eine dieser Lücken schließt nun die neue Untersuchung.
„Neuartige Substanzen“ ersetzt den ursprünglichen Begriff „chemische Verschmutzung“. Der Ausdruck bezeichnet Stoffe, die im geologischen Sinn neuartig sind, die also vor der Ankunft des Menschen in dieser Form auf dem Planeten nicht existiert haben. Vor allem ist damit die Verschmutzung durch Plastik und andere menschengemachte chemische Produkte gemeint. Dass diese Verschmutzung problematisch ist, ist nichts Neues. Die Untersuchung des Teams um Persson hat das Problem erstmals quantifiziert und gezeigt, dass es ein Ausmaß angenommen hat, das das Gleichgewicht des Erdsystems gefährdet.Die Geschwindigkeit, mit der diese Schadstoffe in die Umwelt gelangen, ist nicht mehr beherrschbar und ihr Ausmaß nicht mehr kontrollierbar. In der EU beispielsweise wurden in den letzten 10 Jahren 23.000 chemische Produkte aufgrund der REACH-Verordnung8 registriert. 10.000 davon sind noch nicht auf ihre Unbedenklichkeit überprüft.. Doch global sind derzeit ungefähr 350.000 verschiedene chemische Produkte auf dem Markt. Darunter Plastik, Pestizide, Industriechemikalien, Chemikalien in Verbrauchsgütern, Antibiotika und andere pharmazeutische Produkte. In Ländern im globalen Süden wächst die chemische Industrie, doch die Kapazitäten dieser Länder zur Kontrolle oder zum Abfall-Management sind vergleichsweise noch geringer als die der EU. Produktion und Verbrauch von „neuartigen Substanzen“ nehmen ständig zu. Die Produktion von Chemikalien beträgt heute das 50fache von 1950 und es wird prognostiziert, dass sie sich bis 2050 noch einmal verdreifacht. Die Masse von Plastik auf der Erde ist bereits doppelt so groß wie die Masse aller lebenden Säugetiere. Ungefähr 80 % allen jemals produzierten Plastiks verbleiben in der Umwelt.
Diese von Menschen produzierten Schadstoffe, sagen die Autor*innen, sind überall zu finden, von der Arktis bis zur Antarktis und auch in menschlichen Ausscheidungen, und sie können äußerst langlebig sein. Es gibt überwältigende Beweise für den negativen Einfluss auf Erdsysteme wie Biodiversität und biochemische Zyklen.
Die Autor*innen der Studie betonen, dass eine globale Obergrenze für die Produktion von Plastik und anderen „neuartigen Substanzen“ gesetzt werden muss, ähnlich der Obergrenze für CO2 in der Atmosphäre, auf die sich die Staaten der Welt geeinigt haben. Damit verbunden muss ein Übergang zur Kreislaufwirtschaft sein. Produkte müssen so gestaltet werden, dass die Materialien wiederverwertbar sind, Chemikalien müssen viel besser auf ihre Sicherheit geprüft werden.
Gesichtet: Ines Maria Schuster
Titelfoto: Installation vor dem UNEP-Zentrum in Nairobi von Benjamin Von Wong. Hergestellt aus Plastikabfällen, die Frauen aus Kibera, dem größten Slum in Afrika, gesammelt haben.
UNEP/Cyril Villemain vie Flickr, CC BY-NC-SA
1https://www.unep.org/news-and-stories/story/what-you-need-know-about-plastic-pollution-resolution
2https://www.newscientist.com/article/2310115-countries-agree-to-end-plastic-pollution-in-ambitious-global-treaty/
3Als „Low income countries“ bezeichnet die Weltbank Länder mit einem Pro-Kopf-Einkommen unter 1.026 USD.
4https://www.unep.org/news-and-stories/speech/leap-forward-environmental-action
5https://www.newscientist.com/article/mg24432590-300-we-constantly-eat-microplastics-what-does-that-mean-for-our-health/
6Persson, Linn; Carney Almroth, Bethanie M.; Collins, Christopher D.; Cornell, Sarah; Wit, Cynthia A. de; Diamond, Miriam L. et al. (2022): Outside the Safe Operating Space of the Planetary Boundary for Novel Entities. In: Environmental science & technology 56 (3), S. 1510–1521. DOI: 10.1021/acs.est.1c04158.
7Das Konzept wurde 2009 von einem Team um Johan Rockström vom Stockholm Resilience Center entwickelt. Vgl. Rockström, Johan (2010): Planetary Boundaries. In: New Perspectives Quarterly 27 (1), S. 72–74. DOI: 10.1111/j.1540-5842.2010.01142.x.
8https://echa.europa.eu/de/regulations/reach/understanding-reach
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