Vor bald 50 Jahren erstellten Beschäftigte des britischen Großkonzerns „Lucas Aerospace“ einen detaillierten Plan für die Umstellung von militärischer Produktion auf klima-, umwelt- und menschenfreundliche freundliche Produkte. Sie forderten das Recht auf „gesellschaftlich nützliche Arbeit“. Das Beispiel zeigt, dass die Klimabewegung mit Erfolg auf die Beschäftigten in nicht so klimafreundlichen Industrien zugehen kann.
Unsere Gesellschaft erzeugt viele Produkte, die für die Umwelt und damit für die Menschen schädlich sind. Gängigste Beispiele sind Verbrennungsmotoren, die vielen Plastikprodukte oder die Chemikalien in vielen Reinigungs- und Kosmetikartikeln. Andere Produkte werden auf umweltschädliche Weise produziert, vor allem, indem Energie aus fossilen Rohstoffen zu ihrer Erzeugung verwendet wird, oder weil Abgase, Abwässer oder feste Abfälle in die Umwelt gelangen. Von manchen Produkten wird einfach zu viel hergestellt, man denke nur an Fast Fashion und andere Wegwerfprodukte und an all die Produkte vom Laptop bis zum Turnschuh, die viel länger halten könnten, wenn sie nicht schon von Anfang an dafür designt würden, schnell zu veralten oder kaputt zu gehen (man nennt das geplante Obsoleszenz). Oder man denke an die landwirtschaftlichen Produkte, die in der Erzeugung umweltschädlich und im (übermäßigen) Konsum gesundheitsschädlich sind, wie die riesigen Mengen an Fleischprodukten aus Massentierhaltung oder die Produkte der Tabakindustrie.
An all diesen Produkten hängen aber Arbeitsplätze. Und von diesen Arbeitsplätzen hängt das Einkommen vieler Menschen ab und von diesem Einkommen ihr Wohlergehen und das ihrer Familien.
Viele Beschäftigte wünschen sich mehr Mitsprache, um ihr Unternehmen umweltfreundlicher und sozialer zu gestalten
Viele Menschen sehen durchaus die Gefahren der Klimakatastrophe und der Umweltzerstörung, vielen ist auch bewusst, dass ihr Job nicht unbedingt der klima- und umweltfreundlichste ist. Laut einer aktuellen Umfrage unter 2.000 Beschäftigten in den USA und ebenso vielen in Großbritannien sind zwei Drittel der Befragten der Meinung, dass das Unternehmen, in dem sie arbeiten, „nicht genug Anstrengungen unternimmt, Umweltprobleme und soziale Probleme anzugehen“. 45 % (UK) und 39 % (US) sind der Meinung, dass den Spitzenmanagern diese Anliegen gleichgültig sind und sie nur auf ihren eigenen Gewinn aus sind. Die große Mehrheit möchte lieber in einem Unternehmen arbeiten, das „einen positiven Einfluss auf die Welt hat“ und ungefähr die Hälfte würde erwägen, den Job zu wechseln, wenn die Werte des Unternehmens nicht mit ihren eigenen Werten übereinstimmen. Von den unter 40jährigen würde fast die Hälfte dafür sogar Einkommenseinbußen in Kauf nehmen und zwei Drittel von ihnen wünschen sich, mehr Einfluss darauf zu haben, dass ihre Unternehmen „sich zum Besseren verändern“1.
Wie kann man in der Krise Arbeitsplätze erhalten?
Ein Beispiel dafür, wie Beschäftigte ganz konkret versuchen können, ihren Einfluss geltend zu machen, bietet der berühmte „Lucas Plan“.
In den 1970er Jahren befand sich die britische Industrie in einer schweren Krise. Sie war in ihrer Produktivität und damit in ihrer Wettbewerbsfähigkeit hinter andere Industrienationen zurückgefallen. Die Unternehmen reagierten darauf mit Rationalisierungsmaßnahmen, Betriebszusammenlegung und Massenentlassungen.2 Auch die Beschäftigen des Rüstungsunternehmens Lucas Aerospace sahen sich von einer massiven Entlassungswelle bedroht. Das hing einerseits mit der allgemeinen Krise der Industrie zusammen, andererseits auch damit, dass die damalige Labour-Regierung plante, die Rüstungsausgaben einzuschränken. Lucas Aerospace produzierte Komponenten für die wichtigsten Unternehmen der militärischen Luftfahrt in Großbritannien. Ungefähr die Hälfte seines Umsatzes machte das Unternehmen im militärischen Sektor. Von 1970 bis 1975 baute Lucas Aerospace 5.000 von ursprünglich 18.000 Jobs ab, viele Beschäftigte sahen sich praktisch über Nacht ohne Arbeit.3
„Shop Stewards“ schließen sich zusammen
Im Angesicht der Krise hatten die „Shop Stewards“ der 13 Produktionsstandorte ein „Combine Comittee“ gegründet. Den Begriff „Shop Stewards“ kann man nur ungenau mit „Betriebsräte“ übersetzen. Die britischen Shop Stewards hatten keinen Kündigungsschutz und auch keine institutionalisierten betrieblichen Mitspracherechte. Sie wurden direkt von ihren Kolleg:innen gewählt und waren ihnen direkt verantwortlich. Sie konnten auch jederzeit mit einfacher Mehrheit abgewählt werden. Sie vertraten ihre Kolleg:innen sowohl gegenüber der Unternehmensführung, als auch gegenüber den Gewerkschaften. Die Shop Stewards waren den Gewerkschaften gegenüber nicht weisungsgebunden, aber sie repräsentierten sie gegenüber den Kolleg:innen und kassierten zum Beispiel die Mitgliedsbeiträge ein.4
Das ungewöhnliche am Lucas Combine war, dass es Shop Stewards sowohl der gelernten und ungelernten Arbeiter:innen als auch Shop Stewards der Konstrukteur:innen und Designer:innen zusammenbrachte, die in unterschiedlichen Gewerkschaften organisiert waren.
In ihrem Wahlprogramm vor 1974 hatte sich die Labour Party das Ziel gesetzt, die Rüstungsausgaben zu senken. Das Lucas Combine begrüßte dieses Ziel, obwohl es bedeutete, dass laufende Projekte von Lucas Aerospace bedroht waren. Die Beschäftigten von Lucas wurden durch die Regierungspläne nur bestärkt in dem Wunsch, lieber zivile Produkte herzustellen. Als Labour im Februar 1974 an die Regierung zurückkehrte, verstärkte das Combine seinen Aktivismus und setzte ein Treffen mit dem Industrieminister Tony Benn durch, der von ihren Argumenten durchaus beeindruckt war. Allerdings setzte die Labour Party auf Verstaatlichung der Luftfahrtindustrie. Dem standen die Lucas-Beschäftigten skeptisch gegenüber. Nicht der Staat sollte die Kontrolle über die Produktion haben, sondern die Beschäftigten selber.5
Bestandsaufnahme über Wissen, Fähigkeiten und Einrichtungen im Unternehmen
Einer der Shop Stewards war der Konstrukteur Mike Cooley (1934-2020). In seinem Buch „Architect or Bee? The Human Price of Technology“ erzählt er: „Wir setzten einen Brief auf, der detailliert die Zusammensetzung der Belegschaft nach Alter und Qualifikationen beschrieb, die Werkzeugmaschinen, Ausrüstungen und Labors, die uns zur Verfügung standen, dazu den wissenschaftlichen Stab und seine Design-Kapazitäten.“ Der Brief ging an 180 führende Autoritäten, Institutionen, Universitäten, Gewerkschaften und andere Organisationen, die sich schon einmal zu Fragen eines sozial verantwortlichen Umgangs mit Technologie geäußert hatten, mit der Frage: „Was könnte eine Belegschaft mit diesen Fähigkeiten und Einrichtungen erzeugen, das im Interesse der breiten Bevölkerung wäre?“. Nur vier von ihnen antworteten.6
Wir müssen die Belegschaft fragen
„Darauf taten wir, was wir von Anfang an hätten tun sollen: Wir fragten unsere Belegschaftsmitglieder, was sie meinten, dass sie produzieren sollten.“ Dabei sollten die Befragten nicht nur ihre Rolle als Produzent:innen, sondern auch als Konsument:innen bedenken. Die Projektidee wurde über die Shop Stewards in die einzelnen Produktionsstätten getragen, in „Teach Ins“ und Massenversammlung der Belegschaft vorgestellt.
Innerhalb von vier Wochen wurden von den Lucas-Beschäftigten 150 Vorschläge eingereicht. Diese Vorschläge wurden geprüft und mündeten zum Teil in konkrete Konstruktionspläne, Kosten- und Gewinnberechnungen und sogar einige Prototypen. Im Jänner 1976 wurde der Lucas-Plan der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Financial Times beschrieb ihn als einen „der radikalsten Alternativpläne, die Arbeiter jemals für ihr Unternehmen aufgestellt haben.“7
Der Plan
Der Plan umfasste sechs Bände, jeder zu ca. 200 Seiten. Das Lucas Combine strebte einen Mix von Produkten an: Produkte, die in sehr kurzer Zeit produziert werden konnten und solche, die langfristige Entwicklung benötigten. Produkte, die im globalen Norden (damals: „Metropole“) genutzt werden konnten, und solche, die den Bedürfnissen des globalen Südens (damals: „dritte Welt“) angepasst wären. Und schließlich sollte es einen Mix geben von Produkten, die nach den Kriterien der Marktwirtschaft profitabel wären und solchen, die nicht notwendig profitabel, aber gesellschaftlich von großem Nutzen wären.8
Medizinische Produkte
Noch in der Zeit vor dem Lucas Plan hatten Lucas-Mitarbeiter für Kinder mit Spina Bifida, einer angeborenen Schädigung des Rückenmarks, das „Hobcart“ entwickelt. Ein Rollstuhl, so war die Überlegung, würde die Kinder von anderen abheben. Das Hobcart, das aussah wie ein Go-Cart, sollte ihnen ermöglichen, mit gleichaltrigen auf Augenhöhe zu spielen. Die australische Spina Bifida Association wollte 2.000 davon bestellen, aber Lucas weigerte sich, das Produkt zu realisieren. Die Konstruktion des Hobcart war so einfach gehalten, dass es später von Jugendlichen in einer Jugendstrafanstalt hergestellt werden konnte, mit dem zusätzlichen Nutzen, den straffälligen Jugendlichen das Bewusstsein einer sinnvollen Beschäftigung zu vermitteln.9
Weitere konkrete Vorschläge für Medizinprodukte waren: ein transportables lebenserhaltendes System für Menschen, die einen Herzinfarkt erlitten haben, mit dem die Zeit bis zum Eintreffen im Spital überbrückt werden kann, oder ein Heimdialysegerät für Menschen mit Nierenfehlfunktion, das ihnen den mehrmals wöchentlichen Besuch in der Klinik ersparen konnte. Großbritannien war damals massiv unterversorgt mit Dialysegeräten, laut Cooley starben deswegen jährlich 3.000 Menschen. Im Gebiet von Birmingham, schrieb er, erhielt man keinen Platz in einer Dialyseklinik wenn man unter 15 oder über 45 Jahre alt war.10 Eine Zweigfirma von Lucas erzeugte Dialysegeräte für Spitäler, die als die besten galten, die in Großbritannien zu haben waren.11 Lucas wollte den Betrieb an eine Schweizer Firma verkaufen doch die Belegschaft verhinderte das, indem sie mit Streik drohte und gleichzeitig einige Parlamentarier:innen einschalteten. Der Lucas-Plan forderte, die Produktion der Dialysegeräte um 40 % zu steigern. „Wir halten es für skandalös, dass Menschen sterben, weil ihnen kein Dialysegerät zur Verfügung steht, während diejenigen, die diese Geräte produzieren könnten, von Arbeitslosigkeit bedroht sind“.12
Erneuerbare Energie
Eine große Produktgruppe betraf Systeme für erneuerbare Energie. So sollten die aerodynamischen Kenntnisse aus der Produktion von Flugzeugen für die Konstruktion von Windkraft-Turbinen eingesetzt werden. Verschiedene Formen von Sonnenkollektoren wurden entwickelt und in einem Niedrig-Energie-Haus des Designers Clive Latimer praktisch erprobt. Dieses Haus war so konzipiert, dass es von den Besitzer:innen mit Unterstützung durch qualifizierte Arbeiter:innen selbst gebaut werden konnte.13 In einem Gemeinschaftsprojekt mit der Gemeine Milton Keynes wurden Wärmepumpen entwickelt und die Prototypen in einigen der gemeindeeigenen Wohnhäuser eingebaut. Die Wärmepumpen wurden direkt mit Erdgas betrieben anstatt mit durch Erdgas erzeugtem Strom, was eine weitaus verbesserte Energiebilanz brachte.14
Mobilität
Im Bereich der Mobilität entwickelten die Lucas-Beschäftigten einen benzin-elektrischen Hybridmotor. Das Prinzip (das übrigens Ferdinand Porsche schon 1902 entwickelte): Ein kleiner Verbrennungsmotor, der mit optimaler Drehzahl läuft, versorgt den Elektromotor mit Strom. Dadurch sollte weniger Kraftstoff verbraucht werden als beim Verbrenner und es würden kleinere Batterien gebraucht als beim reinen Elektrofahrzeug. Ein Prototyp wurde am Queen Mary College in London gebaut und erfolgreich getestet, ein Vierteljahrhundert bevor Toyota den Prius auf den Markt brachte.15
Ein weiteres Projekt war ein Bus, der sowohl das Schienennetz als auch das Straßennetz benutzen konnte. Durch die Gummiräder konnte er größere Steigungen überwinden als eine Lokomotive mit Stahlrädern. Dadurch sollte es möglich sein, Schienenstränge an die Landschaft anzupassen anstatt Hügel zu durchschneiden und Täler mit Brücken zu verbauen. Das würde auch den Bau neuer Eisenbahnstrecken im globalen Süden verbilligen. Nur kleine stählerne Führungsräder hielten das Fahrzeug auf den Schienen. Diese konnten eingezogen werden, wenn das Fahrzeug von der Schiene auf die Straße wechselte. Ein Prototyp wurde auf der East Kent Railway mit Erfolg getestet.16
„Stillschweigendes Wissen“ erhalten
Ein anderer Schwerpunkt waren „telechirische“ Geräte, also ferngesteuerte Geräte, die die Bewegungen der menschlichen Hand auf Greifer übertragen. Sie sollten zum Beispiel bei Reparaturarbeiten unter Wasser verwendet werden, um die Unfallgefahr für die Arbeiter:innen zu reduzieren. Einen multifunktionalen Roboter für diese Arbeiten zu programmieren hatte sich als nahezu unmöglich erwiesen. Einen sechseckigen Schraubenkopf zu erkennen, den richtigen Schraubenschlüssel auszuwählen und die richtige Kraft anzuwenden, erfordert einen gewaltigen Programmieraufwand. Doch ein geübter menschlicher Arbeiter kann diese Arbeit ausführen „ohne darüber nachzudenken“. Cooley nannte das „stillschweigendes Wissen“ ( („tacit knowledge“). Den am Lucas-Plan Beteiligten ging es auch darum, dieses Erfahrungswissen von Arbeiter:innen zu erhalten, anstatt es durch Digitalisierung zu verdrängen.17
Produkte für den globalen Süden
Typisch für die Denkweise der Lucas-Beschäftigten war das Projekt einer Allround-Kraftmaschine für den Einsatz im globalen Süden. „Zur Zeit ist unser Handel mit diesen Ländern im wesentlichen neokolonialistisch“, schrieb Cooley. „Wir streben danach, Formen von Technologie einzuführen, die sie von uns abhängig machen“. Die Allround-Kraftmaschine sollte unterschiedliche Brennstoffe verwenden können, von Holz bis Methangas. Sie sollte mit einem speziellen Getriebe ausgestattet sein, das variable Output-Geschwindigkeiten ermöglichte: Mit hoher Geschwindigkeit konnte es ein Stromaggregat für nächtliche Beleuchtung antreiben, mit geringerer Geschwindigkeit einen Kompressor für pneumatische Geräte oder Hebevorrichtungen und mit sehr geringer Geschwindigkeit konnte es eine Pumpe für Bewässerung antreiben. Die Komponenten waren für eine Betriebsdauer von 20 Jahren ausgelegt, das Handbuch sollte die Benutzer:innen befähigen, Reparaturen selbst auszuführen.18
Was ist gesellschaftlich nützlich?
Die Lucas-Beschäftigten gaben keine akademische Definition von „gesellschaftlich nützlicher Arbeit“, aber ihre Vorstellungen unterschieden sich deutlich von denen des Managements. Das Management schrieb, dass es „nicht akzeptieren kann, daß [sic] Flugzeuge, zivile und militärische, nicht sozial nützlich sein sollen. Zivilflugzeuge werden zu Geschäfts- und Vergnügungszwecken gebraucht und es ist aus Verteidigungszwecken notwendig, militärische Flugzeuge zu unterhalten. (…) Wir beharren darauf, daß [sic] alle Produkte von Lucas Aerospace sozial nützlich sind.“19
Die Parole der Lucas-Beschäftigten dagegen lautete: „Weder Bomben noch stempeln gehen, sondern Konversion!“20
Einige wesentliche Merkmale von sozial nützlichen Produkten kristallisierten sich heraus:
- Aufbau, Funktionsweise und Wirkung der Produkte sollten möglichst verständlich sein.
- Sie sollten reparierbar sein, möglichst einfach und robust sein und auf lange Haltbarkeit ausgelegt..
- Erzeugung, Gebrauch und Reparatur sollten energiesparend, materialsparend und ökologisch nachhaltig sein.
- Die Produktion sollte die Zusammenarbeit zwischen Menschen als Erzeuger:innen und Konsument:innen fördern, ebenso die Zusammenarbeit zwischen Nationen und Staaten.
- Produkte sollten hilfreich für Minderheiten und benachteiligte Menschen sein.
- Produkte für die „Dritte Welt“ (den globalen Süden) sollten gleichberechtigte Beziehungen ermöglichen.
- Produkte sollten eher nach ihrem Gebrauchswert als nach ihrem Tauschwert bewertet werden.
- In der Produktion, im Gebrauch und in der Reparatur sollte nicht nur auf möglichste Effizienz geachtet werden, sondern auch auf den Erhalt und die Weitergabe von Kompetenzen und Wissen.
Die Unternehmensleitung weigert sich
Der Lucas-Plan scheiterte einerseits am Widerstand der Firmenleitung und an ihrer Weigerung, das Combine Committee als Verhandlungspartner anzuerkennen. So lehnte die Firmenleitung die Produktion von Wärmepumpen ab, weil sie nicht profitabel sei. Dabei hatten die Lucas-Beschäftigten in Erfahrung gebracht, dass das Unternehmen eine amerikanische Consulting-Firma mit einem Bericht beauftragt hatte, und dieser Bericht besagte, dass der Markt für Wärmepumpen in der damaligen Europäischen Gemeinschaft bis Ende der 1980er Jahre eine Milliarde Pfund betragen würde. „Lucas war also bereit, auf einen solchen Markt zu verzichten, nur um zu demonstrieren, dass Lucas, und nur Lucas, zu entscheiden hatte, was produziert wurde, wie es produziert wurde und in wessen Interesse es produziert wurde.“21
Die Unterstützung durch die Gewerkschaften ist uneinheitlich
Die Unterstützung des Combine durch britischen Gewerkschaften war sehr uneinheitlich. Die Transportarbeitergewerkschaft (TGWU) unterstützte den Plan. Angesichts der erwarteten Kürzung der Rüstungsausgaben forderte sie die Shop Stewards in anderen Betrieben auf, die Ideen des Lucas-Plans aufzugreifen. Während der größte Dachverband, der Trade Union Congress (TUC) anfänglich Unterstützung signalisierte, fühlten sich verschiedene kleinere Gewerkschaften vom Combine in ihrem Vertretungsanspruch übergangen. Eine standort- und spartenübergreifende Organisation wie das Combine passte nicht in die nach Sparten und geographischen Gebieten aufgesplitterte Struktur der Gewerkschaften. Als größtes Hindernis erwies sich die Haltung der „Confederation of Shipbuilding and Engineering Unions“ (CSEU), die darauf bestand, alle Kontakte zwischen Gewerkschaftler:innen und Regierungsvertreter:innen zu kontrollieren. Die Confederation sah ihre Aufgabe nur darin, Arbeitsplätze zu erhalten, ungeachtet der Produkte.
Die Regierung verfolgt andere Interessen
Die Labour-Regierung selbst war eher an Großbritanniens führender Rolle in der Rüstungsindustrie interessiert als an alternativer Produktion. Nach dem Sturz von Labour und der Übernahme der Regierung durch die Konservative Partei unter Margaret Thatcher waren die Aussichten auf Verwirklichung des Plans auf null gesunken.22
Das Vermächtnis des Lucas-Plans
Dennoch hat der Lucas-Plan ein Vermächtnis hinterlassen, das bis heute in der Friedens-, Umwelt- und Gewerkschaftsbewegung diskutiert wird. Der Plan inspirierte auch die Gründung des „Centre for Alternative Industrial and Technological Systems“ (CAITS) am „Northeast London Polytechnic“ (heute University of North East London) und das Unit for the Development of Alternative Products (UDAP) am Coventry Polytechnic. Mike Cooley, einer der treibenden Shop Stewards, wurde 1981 mit dem „Right Livelihood Award“ (auch als „Alternativer Nobelpreis“ bekannt) ausgezeichnet.23 Im selben Jahr wurde er von Lucas Aerospace gekündigt. Als Direktor der Abteilung Technologie des Greater London Enterprise Board konnte er weiter für die Entwicklung menschengerechter Technologien tätig sein.
Umwelt- und menschenfreundliche Produktion kann nur gemeinsam mit den Beschäftigten gestaltet werden
Das Beispiel des Lucas-Plans sollte die Klimagerechtigkeitsbewegung ermutigen, gerade auch auf die Beschäftigten in den „nicht klimafreundlichen“ Industrien und Produktionen zuzugehen. Der APCC-Special-Report „Strukturen für ein klimafreundliches Leben“ hält fest: „Umstellungsprozesse im Bereich der Erwerbsarbeit hin zu einem klimafreundlichen Leben können durch betrieblich und politisch begleitete und am klimafreundlichen Leben orientierte, aktive Teilhabe der Belegschaft erleichtert werden“.24
Den Lucas-Beschäftigten war von Anfang an klar, dass ihr Plan nicht die ganze Industrielandschaft Großbritanniens umwälzen würde: „Unsere Intentionen sind weitaus maßvoller: Wir wollen die Grundvoraussetzungen unserer Gesellschaft ein wenig in Frage stellen und dazu einen kleinen Beitrag leisten, indem wir zeigen, dass Arbeiter bereit sind, für das Recht auf Arbeit an Produkten zu kämpfen, die menschliche Probleme wirklich lösen, statt sie selbst erst hervorzubringen.“25
Quellen
Cooley, Mike (1987): Architect or Bee? The Human Price of Technology. London.
APCC (2023): Zusammenfasung für Entscheidungstragende In: Special Report: Strukturen für ein klimafreundliches Leben. Berlin/Heidelberg.: Springer Spektrum. Online: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=4225480
Löw-Beer, Peter (1981): Industrie und Glück: Der Alternativplan von Lucas Aerospace. Mit einem Beitrag von Alfred Sohn-Rethel: Produktionslogik gegen Aneignungspolitik. Berlin.
Mc Loughlin, Keith (2017): Socially useful production in the defence industry: the Lucas Aerospace combine committee and the Labour government, 1974–1979. In: Contemporary British History 31 (4), S. 524–545. DOI: 10.1080/13619462.2017.1401470.
Dole queue or useful projects? In: New Scientist, vol 67, 3.7.1975:10-12.
Salesbury, Brian (o.J.): Story of the Lucas Plan. https://lucasplan.org.uk/story-of-the-lucas-plan/
Wainwright, Hilary/Elliot, Dave (2018 [1982]): The Lucas Plan: A new trade unionism in the making? Nottingham.
Gesichtet: Christian Plas
Titelfoto: Worcester Radical Films
1 2023 Net Positive Employee Barometer: https://www.paulpolman.com/wp-content/uploads/2023/02/MC_Paul-Polman_Net-Positive-Employee-Barometer_Final_web.pdf
2 Löw-Beer 1981: 20-25
3 McLoughlin 2017: 4
4 Löw-Beer 1981: 34
5 McLoughlin 2017:6
6 Cooley 1987: 118
7 Financial Times, 23.1.1976, zit. nach https://notesfrombelow.org/article/bringing-back-the-lucas-plan
8 Cooley 1987: 119
9 New Scientist 1975, vol 67: 11.
10 Cooley 1987: 127.
11 Wainwright/Elliot 2018:40.
12 Wainwright/Elliot 2018: 101.
13 Cooley 1987: 121
14 Cooley 1982: 121-122
15 Cooley 1987: 122-124.
16 Cooley 1987: 126-127
17 Cooley 1987: 128-129
18 Cooley 1987: 126-127
19 Löw-Beer 1981: 120
20 McLoughlin 2017: 10
21 Cooley 1987: 140
22 McLoughlin 2017: 11-14
23 Salesbury o.J.
24 APCC 2023: 17.
25 Lucas Aerospace Combine Plan, zit. nach Löw-Beer (1982): 104
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