Wie die Lobau das erste Mal gerettet wurde
von Martin Auer

FacebooktwitterredditpinterestlinkedinmailFacebooktwitterredditpinterestlinkedinmail
Lesedauer 11 Minuten.   

Vor fast vier Jahrzehnten verhinderte eine breite Bewegung den Bau des Donaukraftwerks Hainburg, um die Donauauen von der Lobau bis Stopfenreuth zu retten. Heute, wo der Nationalpark durch ein klimaschädliches und verkehrstechnisch unsinniges Bauprojekt gefährdet ist, lohnt es, sich in Erinnerung zu rufen, wie diese Auseinandersetzung damals vor sich ging und welche unterschiedlichen Widerstandspraktiken zusammenwirkten, um diese „größte Naturvernichtungsaktion der Geschichte Österreichs“ (Günther Nenning) zu verhindern.

Foto: Jakob Hürner

Von der Wiener Lobau bis zum Donauknie bei Hainburg erstreckt sich am Ufer der Donau der Nationalpark Donauauen. Seeadler brüten hier in alten Baumriesen und Biber bauen ihre Dämme. Hier ist die größte zusammenhängende naturnahe und ökologisch noch weitgehend intakte Aulandschaft dieser Art in Mitteleuropa. Viele gefährdete Tier- und Pflanzenarten haben hier eine Zuflucht zwischen Flussarmen und Tümpeln, an Ufern und Schotterbänken, auf Inseln und Halbinseln. Die Au ist ein natürlicher Rückhalteraum für Hochwässer, sie bietet sauberes Grundwasser, das als Trinkwasser genutzt wird. Menschen kommen hierher zum Wandern, Paddeln oder Fischen, um Vögel zu beobachten oder einfach nur die Füße ins Wasser hängen zu lassen. Denn nur hier und in der Wachau ist die österreichische Donau noch ein ein lebendiger, ungezähmter Fluss. Überall sonst fließt sie zwischen Betonmauern. Und um ein Haar wäre auch dieses letzte urwaldartige Augebiet zerstört worden, um dem geplanten Donaukraftwerk Hainburg zu weichen.

So hätte es auch bei Hainburg ausgesehen: Baustelle Donaukraftwerk Greifenstein.

Der Kampf um die Rettung der Donauauen im Jahr 1984 war ein Wendepunkt in der Geschichte Österreichs. Natur- und Umweltschutz sind seither im Bewusstsein der Bevölkerung, aber auch in der Politik zu zentralen gesellschaftspolitischen Anliegen geworden. Aber der Kampf hat auch gezeigt, dass es in einer Demokratie nicht genügt, die gewählten Vertreter und Vertreterinnen zwischen den Wahlen nach Belieben schalten und walten zu lassen. Die damaligen Politiker*innen in Regierung und Parlament haben sich immer wieder darauf berufen, dass sie ja mit einem Auftrag gewählt worden waren und es daher nicht nötig hätten, auf den Aufschrei zu hören, der aus der Bevölkerung kam. Das illustriert das Zitat von Bundeskanzler Sinowatz: „Ich glaube nicht, dass wir bei jeder Gelegenheit zu einer Volksabstimmung flüchten sollten. Die Menschen, die uns gewählt haben, haben damit verbunden, dass wir auch Entscheidungen treffen.“ Doch sie mussten auf die Bevölkerung hören. Sie taten es freilich erst, nachdem sie versucht hatten, eine gewaltlose, friedliche Besetzungsaktion mit Gewalt zu beenden, nachdem sie versucht hatten, die Besetzer und Besetzerinnen als Links- oder Rechtsradikale zu diffamieren, ihnen geheimnisvolle Hintermänner und Drahtzieher anzudichten, nachdem sie die Arbeiter*innenschaft gegen Studierende und Intellektuelle aufgehetzt hatten.

Eine Rauchfangkehrermeisterin und eine Ärztin schlagen Alarm

Seit den 1950er Jahren hatte die Donaukraftwerke AG, ursprünglich ein Unternehmen im alleinigen Staatsbesitz, entlang der Donau acht Kraftwerke errichtet. Das neunte bei Greifenstein war im Bau. Ohne Zweifel waren die Kraftwerke wichtig für die Industrialisierung und Modernisierung des Landes. Doch nun waren schon 80 Prozent der Donau verbaut. Großartige Naturlandschaften waren verschwunden. Nun sollte das zehnte Kraftwerk bei Hainburg entstehen. Die ersten, die Alarm schlugen, waren eine Rauchfangkehrermeisterin aus Leopoldsdorf, eine Ärztin aus Orth an der Donau und ein Hainburger Bürger, die mit großem persönlichen Einsatz die ansässige Bevölkerung, Wissenschaftler*innen, Umweltschutzorganisationen und Politiker*innen darauf aufmerksam machten, dass hier der letzte große Auwald Mitteleuropas in Gefahr war.

Der WWF (damals World Wildlife Fund, heute Worldwide Fund for Nature) nahm sich der Sache an und finanzierte wissenschaftliche Untersuchungen und Öffentlichkeitsarbeit. Es gelang, die Kronenzeitung als Partner zu gewinnen. Die Untersuchungen zeigten unter anderem auch, dass das damals nur schlecht geklärte Abwasser aus Wien, wenn es aufgestaut worden wäre, schwere hygienische Probleme verursacht hätte. Trotzdem wurde die wasserrechtliche Bewilligung erteilt. Die Elektrizitätswirtschaft und die zuständigen Regierungsvertreter argumentierten nicht nur mit dem wachsenden Energiebedarf. Sie behaupteten auch, dass die Auwälder sowieso von Austrocknung bedroht wären, da sich die Sohle des Flusses immer mehr eintiefe. Nur wenn man die Donau aufstaue und Wasser in die Altarme leite, könne die Au gerettet werden.

Doch von wachsendem Energiebedarf konnte im Moment gar keine Rede sein. Tatsächlich gab es damals wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage ein Überangebot an Elektrizität. Auf einem geheimen Treffen der Energieerzeuger und der Elektroindustrie wurde, wie später bekannt wurde, darüber beraten, wie man den Verbrauch von Strom ankurbeln konnte, um die überschüssigen Kapazitäten loszuwerden.

Argumente genügen nicht

Im Herbst 1983 schlossen sich 20 Umweltschutzgruppen, Naturschutzgruppen und Bürgerinitiativen zur „Aktionsgemeinschaft gegen das Kraftwerk Hainburg“ zusammen. Unterstützt wurden sie von der Österreichischen Hochschülerschaft. Zu Anfang konzentrierten sich die Auschützer*innen auf Öffentlichkeitsarbeit. Man meinte, wenn man die Argumente der Kraftwerksbefürworter systematisch widerlegte, könnte man das Projekt verhindern. Doch der Landwirtschaftsminister erklärte das Projekt zum „bevorzugten Wasserbau“, was bedeutete, dass das Bewilligungsverfahren für die Betreiber viel einfacher wurde.

Auch Prominente schlossen sich den Auschützern und -schützerinnen an, zum Beispiel die Maler Friedensreich Hundertwasser und Arik Brauer. Der weltberühmte, wenn auch umstrittene Nobelpreisträger Konrad Lorenz schrieb Briefe an den sozialistischen Bundeskanzler und den ÖVP-Landeshauptmann von Niederösterreich, in denen er die Zerstörung seiner Heimat durch den Kraftwerksbau bei Greifenstein anprangerte und vor dem neuen Projekt warnte.

Die Pressekonferenz der Tiere

Im April 1984 erregte eine „Pressekonferenz der Tiere“ Aufsehen. Stellvertretend für die Tiere der Au präsentierten Persönlichkeiten aus allen politischen Lagern das „Konrad-Lorenz-Volksbegehren“ zur Errichtung eines Nationalparks anstelle des Kraftwerks. Als Rothirsch stellte der sozialistische Präsident der Journalistengewerkschaft Günter Nenning das Volksbegehren vor. Der Wiener ÖVP-Stadtrat Jörg Mauthe stellte sich als Schwarzstorch vor. Der ehemalige Chef der jungen Sozialisten, Josef Czapp, nun Abgeordneter, trat ohne Tierkostüm auf und fragte: „Wer regiert in Österreich? Ist es die E-Wirtschaft und ihre Lobby, die uns eine Fortschreibung eines Energiewachstumskurses vorschreiben wollen, dem jede Vernunft fehlt, oder ist es noch möglich, dass hier auch die Interessen der Umweltschutzbewegung und die Interessen der Bevölkerung hier stärker zum Tragen kommen?“ Die jungen Sozialisten schlossen sich dem Volksbegehren dann doch nicht an.

Die Pressekonferenz der Tiere

Der Naturschutzlandesrat bewilligt den Kraftwerksbau

Die Auschützer*innen setzten ihre Hoffnung in das sehr strenge niederösterreichische Naturschutzgesetz. Die Donau-March-Thaya-Auen waren Landschaftsschutzgebiet und Österreich hatte sich in internationalen Abkommen zu ihrer Erhaltung verpflichtet. Doch zum allgemeinen Entsetzen erteilte der für Naturschutz zuständige Landesrat Brezovsky am 26. November 1984 die Bewilligung für den Bau. Verschiedene Jurist*innen und Politiker*innen stuften diese Bewilligung als eindeutig gesetzwidrig ein. Hunderte Studenten und Studentinnen besetzten als Protest für einige Stunden das niederösterreichische Landhaus, das damals noch in Wien war. Vertreter*innen des Konrad-Lorenz-Volksbegehren überreichten Innenminister Blecha 10.000 Unterschriften gegen das Kraftwerk. Am 6. Dezember erteilte Landwirtschaftsminister Haiden die wasserrechtliche Bewilligung. In der Regierung war man sich einig, dass man keinen Aufschub dulden wollte, denn die notwendigen Rodungsarbeiten konnten nur im Winter durchgeführt werden.

„Und wenn alles hin ist, dann gehen sie in Pension“

Für den 8. Dezember rief das Konrad-Lorenz-Volksbegehren zu einer Sternwanderung in die Au bei Stopfenreuth auf. Fast 8.000 Menschen kamen.

Großkundgebung am 8. Dezember

Freda Meißner-Blau, damals noch Mitglied der SPÖ und später Mitbegründerin der Grünen: „Sie sagen, sie tragen die Verantwortung. Die Verantwortung für die Luft, für unser Trinkwasser, für die Gesundheit der Bevölkerung. Sie tragen die Verantwortung für die Zukunft. Und wenn alles hin ist, dann gehen sie in Pension.“

Bei der Kundgebung wurde bekanntgeben, dass gegen Landesrat Brezovsky eine Anzeige wegen Amtsmißbrauchs eingebracht werden würde. Gegen Ende der Kundgebung nahm ungeplant ein Kundgebungsteilnehmer das Mikrofon in die Hand, und forderte die Demonstranten und Demonstrantinnen auf, dazubleiben und die Au zu bewachen. Als am 10. Dezember die ersten Baumaschinen anrollten, waren die Zufahrtswege zur Stopfenreuther Au bereits mit Barrikaden aus Fallholz versperrt und von Demonstranten und Demonstrantinnen besetzt. Zum Glück für die Geschichtsschreibung gibt es Video- und Tonaufzeichnungen, die später zu einem Dokumentarfilm1 zusammengesetzt wurden.

Dreiergruppen, Vierergruppen, Menschenketten

Ein Demonstrant, der offenbar schon Erfahrung mit solchen Aktionen hatte, erklärte die Vorgangsweise: „Wichtig ist: Kleine Gruppen, Dreiergruppen, Vierergruppen jetzt amal am Anfang, solang ma so wenige sind, das Gebiet einmal kennenlernen, damit ihr andere Leute dann führen könnt. Es wird so sein, dass einige möglicherweise festgenommen werden, die dann fehlen, da muss also dann jeder einspringen können für die, die ausgefallen sind.“

Eine Demonstrantin: „Blöde Frage: Wie verhindert man die wirklich am Arbeiten?“

„Ihr stellt’s euch einfach vorne hin, und wenn die zum Beispiel eine Rolle abrollen wollen, dann machts einfach Menschenketten und hängts euch vor die hin. Und wenn’s nur a Viererkette ist.“

„Es war nicht möglich, mit Gerät und Mann einzufahren“, beklagte sich der Einsatzleiter der DoKW, Ing. Überacker.

„Und wenn uns irgend jemand an unserem Recht hindert, dann müss ma die Exekutive befassen“, erklärte der Direktor Kobilka.

„Im Falle des Ungehorsams haben Sie mit Zwangsmitteln zu rechnen“

Und so geschah es auch. Während einige Demonstrantinnen Weihnachtslieder sangen, begann die Gendarmerie mit der Räumung: „Im Falle des Ungehorsams haben Sie mit Zwangsmitteln unter Gendarmerieeinsatz zu rechnen“.

Die Demonstrant*innen antworteten mit Sprechchören: „Es lebe die Demokratie, es lebe die Demokratie!“

Einer von ihnen berichtete hinterher: „Es is a Wahnsinn. Die Mehrheit is eigentlich so, dass sie net so auf Gewalt aus sind, aber es sind einige dabei, die reißen und treten in Mag’n, des is a Wahnsinn. Es san aber nur wenige, glaub i, und die schaukeln des auf.“

Demonstrant wird weggetragen

An diesem Tag kommt es zu drei Festnahmen und den ersten Verletzungen. Als über den Gendarmerieeinsatz in den Nachrichten berichtet wird, strömen noch der Nacht neue Besetzer*nnen in die Au. An die 4.000 sind es nun.

„Wir lassen uns nicht unterkriegen. Nie! Es wird nicht gebaut!“ erklärt einer. Und ein zweiter: „Wir besetzen die Au genauso für den DoKW-Arbeiter, der uns versucht zu verdrängen, oder für den Polizisten. Weil des is ja a wichtiger Lebensraum, net nur für’n Wiener Raum. Des is a wieder a große Ökozelle, die umfallt.“

„Dann kann man die Republik zusperren“

Bundeskanzler Sinowatz besteht auf dem Bau: „Wenn es in Österreich nicht möglich ist, einen auf korrektem Weg zustandegeommenen Plan zur Errichtung eines Kraftwerkes durchzuführen, dann wird in Österreich überhaupt nichts mehr gebaut werden können letztlich, und dann kann man die Republik zusperren.“

Und Innenminister Karl Blecha: „Und es ist auch nicht die Gendarmerie, die Gewalt anwendet, wie das jetzt immer wieder behauptet wird, sondern jene sind es, die Gewalt anwenden, die das Gesetz missachten.“

Da die zwei Versuche, mit den Rodungen zu beginnen, nicht gelungen sind, suchen die Verantwortlichen das Gespräch mit Vertreter*innen des Volksbegehrens und verkünden eine viertägige Unterbrechung der Rodungsarbeiten.

Die Bevölkerung unterstützt die Besetzer*innen

In der Au entstehen die ersten Lager. Die Besetzerinnen und Besetzer stellen Zelte auf und bauen Hütten, organisieren die Versorgung mit Lebensmitteln. Die Bevölkerung von Stopfenreuth und Hainburg unterstützt sie dabei: „Do, aan Kaffee bring i eahna, an haaßen. Des is ja was Einmaligs, des kummt nie wieder, was si da abspielt“ erklärt eine Bäuerin begeistert. „Spitze! Kann ma net mehr sagn.“

Zeltlager in der Winterkälte

Wenn es möglich ist, diskutieren die BesetzerInnen auch mit den Gendarmeriebeamten. Ein junger Gendarm: „Wann’s mei Meinung hörn’ woll’n, ob des baut wer’n soll, bin i dageg’n. Aber wia si die aufführn da, is eahna Problem. Aber andererseits unser Problem aa wieder, wäu mia miass’n a geg’n die einschreiten.“

Ein zweiter Gendarm: „Na ja, es is irgendwie eahna Standpunkt, für den treten’s ein, des is sicher einmalig bis jetzt in Österreich, muaß ma irgendwie anerkennen, auf der andern Seiten muass ma natürlich aa sag’n, dass’s trotzdem irgendwo a illegale Aktion is, die g’macht wird, und immer wieder passiver Widerstand geleistet wird, und sicher von uns, von die Beamten her, aa ka große Freude vorhanden is, wann si die Leut dann hinsetzen und miassn’ vo uns weggazaht wer’n …“

Der Beamte wurde im wahren Sinn des Wortes durch einen Vorgesetzten – zurückgepfiffen.

Diskussion mit Gendarmen

Gewerkschaftschefs argumentieren mit Arbeitsplatzsicherung …

Auch die Gewerkschaften stellten sich auf die Seite der Kraftwerksbefürworter. Für sie stellte sich die Frage so dar, dass man die Energiegewinnung ausbauen musste, damit die Industrie wachsen und Arbeitsplätze erhalten und neue Arbeitsplätze geschaffen werden konnten. Dass man mit moderneren Techniken mit weitaus weniger Energie auskommen kann, bei der Industrieproduktion genauso wie im Verkehr oder bei der Beheizung und Klimatisierung, das waren Gedanken, die erst von den Umweltschützer*nnen eingebracht wurden. Solarenergie und Windenergie galten als utopische Spielereien. Dass neue Umwelttechnologien auch neue Arbeitsplätze schaffen könnten, kam den Gewerkschaftsbossen nicht in den Sinn.

… und mit Verleumdungen und Drohungen

Arbeiterkammerpräsident Adolf Czettel bei einer Versammlung: „Wir nehmen ganz einfach nicht zur Kenntnis, dass hier in diesem Lande Studenten tun können, was sie wollen. Studenten, für die ihr alle arbeitet, damit sie studieren können!“

Und der Präsident der Niederösterreichischen Arbeiterkammer Josef Hesoun: „Weil hinter – so bin ich der Meinung – weil hinter diesen ihren Vorgangsweisen gewaltige Interessen stehen, sei es Interessen aus dem Ausland, oder sei es Interessen, die im wirtschaftlichen Bereich zu suchen sind. Wir wissen, dass aus der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Tagen etwa 400 Bürger aus der Bundesrepublik in der Au anzutreffen sind. Diese Menschen sind militärisch gut vorbereitet, sie verfügen über hochqualifizierte technische Geräte, sie verfügen über Funkgeräte, die über weite Bereiche senden. Ich würde sagen, ich glaube, wenn hier in der Geisteshaltung der Kraftwerksgegner sich nichts verändert, werden wir nur sehr schwierig organisatorisch imstande sein, dem Unwillen der Beschäftigen in den Betrieben Einhalt zu gebieten.“

Die Drohung war nicht zu überhören.

Freda Meißner-Blau: „Ich glaube, dass die ökologische Frage ja zugleich eine soziale Frage ist. Und dass trotz dieser Spaltung die zu einem großen Teil gelungen ist, immer noch die Arbeiter diejenigen sind, die am meisten unter den ökologischen Missständen leiden. Sie müssen leben wo’s stinkt, sie müssen arbeiten, wo’s giftig ist, sie können sich keine biologische Nahrung kaufen …“

Eine Arbeiterdemonstration nach Hainburg wurde angekündigt, doch im letzten Moment abgesagt.

„Da wert uns psychisch nit kalt“

Während die Vertreter*innen des Volksbegehrens mit den Vertreter*innen von Regierung und Industrie verhandelten, richteten sich die Besetzer und Besetzerinnen in den Lagern ein. Das Wetter schlug um, es wurde winterlich kalt: „Wann amal Schnee liegt, jetzt am Anfang is’s natürlich kalt, des is klar. Und des Stroh is nass. Aber wann’s amal anfangt zu frieren – also wir ham so Erdhäuser in den Boden reingegraben – und wann des amal gefriert, dann isoliert des viel besser, und dann is uns viel wärmer, wann ma schlafen.“

„Da wert uns psychisch nit kalt, ganz im Gegenteil. Da is die große Wärme no da. I glaub, da halt ma no lang aus.“

Zeitweise unterband die Gendarmerie die Zulieferung von Proviant an die BesetzerInnen. Autos, die Richtung Hainburg unterwegs waren, wurden nach Waffen durchsucht. Jedoch der niederösterreichische Sicherheitsdirektor Schüller musste eingestehen, dass ihm nichts von Waffen berichtet worden war.

Die Besetzerinnen erklärten immer wieder, dass ihr Widerstand gewaltfrei sei.

Mit allerhand Verdächtigungen und Hinweise auf dunkle Geldquellen wollten die Kraftwerksbefürworter die Gewaltfreiheit der BesetzerInnen in Zweifel ziehen.

Innenminister Blecha: „Wir haben natürlich einen Teil der Anarcho-Szene, die aus Wien bekannt ist, jetzt auch in diesem sogenannten Au-Einsatz, und wir haben natürlich auch schon unten Vertreter rechtsextremistischer Gruppierungen. Und die Geldquellen, die es geben muss, sind zum Teil im Dunkel und nur zum Teil bekannt.“

Hier gibt’s Experten – und jetzt soll das Volk entscheiden?

Und auf die Frage, warum man denn nicht eine Volksabstimmung mache wie bei Zwentendorf sechs Jahre zuvor, sprach Blecha dem Volk die Fähigkeit ab, sich zu informieren, abzuwägen und zu entscheiden: „Hier gibt’s Experten, die sagen: Die Au ist zu retten durch das Kraftwerk. Sie sagen sogar, es wäre zwingend, wenn man’s langfristig betrachtet. Auf der anderen Seite haben wir Experten, die sagen: Nein, das ist nicht richtig. Und jetzt soll das Volk entscheiden, welchen Experten es mehr trauen kann, dem X oder dem Y …“

Als die Verhandlungen kein Ergebnis bringen und die Frist für den Rodungsstop abläuft, ist den Besetzern und Besetzerinnen klar, dass es nun bald zu entscheidenden Auseinandersetzungen kommen wird. Sie betonen, dass sie sich auf eden Fall passiv verhalten würden, sich notfalls auch schlagen lassen und auf jeden Fall keine Gegenwehr leisten würden. Wenn sie hinausgetragen würden, würden die Leute immer wieder zurück in die Au gehen.

„… von Drahtziehern her militärisch vorbereitet“

Dazu der Bundeskanzler: „Zuerst einmal möcht ich noch sagen, dass sich ganz eindeutig am Montag herausgestellt hat, dass es sich nicht um einen gewaltfreien Widerstand handelt, sondern dass ganz einfach Widerstand geleistet wurde. Noch dazu ist ein Kinderkreuzzug veranstaltet worden. Ich lese hier: Frauen und Kinder verhindern die Rodung der Au. Das ist doch eigentlich unerhört, und dass kann natürlich auf die Dauer nicht hingenommen werden, und ich kann nur alle beschwören, dass mit solchen Methoden nicht vorgegangen wird, das ist nicht nur gesetzwidrig, diese Besetzung der Au, sondern das ist wirklich von den Drahtziehern her militärisch vorbereitet.“

Wer übt hier Gewalt aus?

In der Morgendämmerung des 19. Dezember umstellten Gendarmen die Lager der Auschützer*innen.

Eine Alarmabteilung der Polizei, die aus Wien angerückt war, mit Stahlhelmen und Gummiknüppeln ausgerüstet, riegelte ein Feld von der Größe eines Fußballfeldes ab. Baumaschinen fuhren ein, die Motorsägen begannen zu heulen und mit der Rodung dieses Feldes wurde begonnen. Demonstranten und Demonstrantinnen, die versuchten, aus den Lagern zu entkommen oder gegen den Absperrring anzurennen, wurden niedergeknüppelt und mit Hunden gejagt.

Gendarmerie setzt Hunde ein

Günter Nenning berichtete: „Frauen und Kinder wurden geschlagen, junge Bürger, die die rot-weiß-rote Fahne trugen, denen wurde sie entrissen, um den Hals gewickelt, und am Hals wurden sie herausgeschleift aus dem Wald.“

Die Brutalität dieses Einsatzes sei jedoch ein Beweis für die Stärke der Bewegung: „Ich nehme an, dass dieses Land da genau zuschaut und zuhört: Um die größte Naturvernichtungsaktion der österreichischen Geschichte durchzusetzen, 1,2 Millionen Bäume zu roden, braucht man — und da steckt auch sehr viel Positives drin — eine Bürgerkriegsarmee.“

Verletzte Demonstrantin
Der Autor dieses Berichts nach dem Polizeieinsatz: „Wir kommen wieder!“

Als die Details über den Einsatz von Polizei und Gendarmerie über die Medien bekannt wurden, war die Empörung im ganzen Land überwältigend. Noch am selben Abend demonstrierten in Wien geschätzte 40.000 Menschen gegen den Kraftwerksbau und gegen die Methoden, mit denen er durchgesetzt werden sollte.

Nachdenkpause und Weihnachtsfrieden – die Au ist gerettet

Am 21. Dezember verkündete Bundeskanzler Sinowatz: „Ich habe mich nach sorgfältiger Überlegung entschlossen, in der Auseinandersetzung um Hainburg einen Weihnachtsfrieden und eine Arbeitsruhe über den Jahreswechsel hinaus vorzuschlagen. Der Sinn einer Nachdenkphase liegt offensichtlich darin, dass man einige Tage nachdenkt, und da einen Weg sucht. Und daher kann nicht vorher schon gesagt werden, was das Ergebnis des Nachdenkens sein wird.“

Im Jänner entschied dann der Verfassungsgerichtshof, dass eine von den Kraftwerksgegner*innen eingebrachte Beschwerde gegen den Wasserrechtsbescheid aufschiebende Wirkung habe. Damit war an den geplanten Termin für den Baubeginn nicht mehr zu denken. Die Regierung setzte eine Ökologie-Kommission ein, die sich letztlich gegen den Standort Hainburg aussprach.

Bittbriefe und Unterschriftenaktionen, wissenschaftliche Untersuchungen, juristische Gutachten, eine Pressekampagne, spektakuläre Veranstaltungen mit Prominenten, ein Volksbegehren, Informationsstände in Stadt und Land, gerichtliche Anzeigen und Klagen, Demonstrationsmärsche und eine standhafte, gewaltlose Besetzungsaktion durch viele junge und alte Menschen aus ganz Österreich – all das musste zusammenwirken, um eine gewaltige, nicht wieder gutzumachende Naturzerstörung zu verhindern.

Dieser Bericht erschien erstmals als Audiobeitrag auf der Seite des 1. Wiener Protestwanderwegs

Credits

Einige Standfotos und einige Originaltöne wurden dem Film
1Stauraum Hainburg“ von Eva Flicker, Renate Holubek und Hermann Peseckas, Österreich 1985, 60 min entnommen.

Literatur (Auswahl)

Günther Nenning, Andreas Huber (Hsg.): Die Schlacht der Bäume – Hainburg 1984, Hannibal, Wien 1985

Gundi Dick u.a (Hsg.): hainburg ein basisbuch, 276.485 anschläge gegen den stau, Verlag für Gesellschaftskritik, Wien 1985

Christian Dickinger: Die Skandale der Republik – Haider, Proksch & Co., Verlag Carl Ueberreuter, Wien 2001

Robert Foltin: Und wir bewegen uns doch – Soziale Bewegungen in Österreich, edition grundrisse, Wien 2004

Gesichtet: Klaus Jäger



FacebooktwitterrssyoutubeinstagramFacebooktwitterrssyoutubeinstagram

Franz Schellhorns Sackgasse

FacebooktwitterredditpinterestlinkedinmailFacebooktwitterredditpinterestlinkedinmail
Lesedauer 2 Minuten.   

Franz Schellhorns Reaktion auf die Fridays for Future im Profil vom 8. Mai 2021 ist vor allem eines: radikale Angstrhetorik. Er malt ein düsteres Zukunftsbild von staatlich verordnetem Verzicht und vermindertem Lebensstandard, um eine Bewegung zu diffamieren, die den bevorstehenden Wandel zu einer klimaneutralen Gesellschaft vorausschauend gestalten will. Er schließt sich damit der derzeitigen Argumentation der Wirtschaftskammer an und ignoriert damit, dass auch zukunftsorientierte Unternehmer*innen für Steuerungsmechanismen zum Klimaschutz eintreten.

Selbstverständlich verdanken wir unserem derzeitigen Wirtschaftssystem mehr Wohlstand für viele Gesellschaftsschichten. Effizientere Prozesse und andere Innovationen sind freilich auch Ergebnis einer effektiven Förderlandschaft und sinnvoller Regulierungen. Doch 2021 ist es internationaler wissenschaftlicher Konsens, dass ein „weiter wie bisher“ nicht funktioniert. Denn der Weg des unkontrollierten Wachstums befeuert die Klimakrise durch Übernutzung unserer natürlichen Ressourcen und bedroht die Lebensqualität der meisten Menschen dieser und der kommenden Generationen. Franz Schellhorn hofft darauf, dass unser Hals alleine durch technologische Innovationen und die Wirksamkeit des Marktes gerettet wird.

Der Artikel ignoriert auch die Frage der Verantwortung. In einer globalen Gesellschaft, in der nur ein geringer Teil der Weltbevölkerung aus wenigen Regionen den größten Beitrag zur Klimakrise und Übernutzung unserer natürlichen Ressourcen sowie dem Verlust der Biodiversität beigesteuert hat und noch immer beisteuert, haben die historischen Nutznießer auch Verantwortung zu übernehmen. Das bedeutet nicht nur, Klimaschulden abzutragen und klimaschädliche Subventionen einzustellen. Es bedeutet vor allem, klimafreundliche und ressourcenschonende Wirtschaftsweisen zu entwickeln, diese gesellschaftspolitisch zu unterstützen, und sie dann auch denen zur Verfügung zu stellen, die sich diese Erneuerungen selbst nicht leisten können. Glücklicherweise wären damit sogar zusätzliche Geschäfts- und Exportmöglichkeiten verbunden.

Zu guter Letzt fehlt in dieser Attacke auf die Fridays for Future eine Zukunftsvision für ein besseres Leben für alle. Wird denn unser Lebensstandard tatsächlich verringert, wenn wir unseren Kindern ermöglichen, in einer Großstadt ohne Unfallgefahr mit dem Fahrrad in die Schule zu gelangen – oder gar auf der Straße zu spielen? Oder wenn der städtische Erdgeschoßwohnraum in Österreich durch verringerten Straßenlärm erst lebenswert wird? Würde eine ausgeglichene, qualitativ hochwertige Ernährung auf Basis nachhaltiger Landwirtschaft nicht mehr zu unserer Gesundheit und unserem Wohlbefinden beitragen als täglicher Fleischkonsum aus Massentierhaltung?

Innovationen bieten dann einen erstrebenswerten gesellschaftlichen Fortschritt, wenn sie nicht nur einem kleinen, ausgewählten Teil der Gesellschaft zugutekommen. Hier hat sich auch in der Vergangenheit gezeigt, dass demokratisch legitimierte Regulierungen auch Innovationen hervorbringen können, die sich inzwischen als globale Exportschlager erweisen. So ist nicht zuletzt Umwelttechnik „Made in Austria“ heute auch in den Wachstumsmärkten Indien und China heiß begehrt.

Ja, globale Probleme erfordern globale Lösungen. Gleichzeitig braucht es Pionier*innen, die die Zeichen der Zeit erkannt haben und – wenn notwendig – auch im Alleingang zeigen, dass eine nachhaltige Wirtschaft und ein effektiver Klimaschutz kein Widerspruch sind. 

Franz Schellhorn und den Politiker*innen und Interessensvertreter*innen, die seine Agenda Austria berät, sei gesagt: „Klimaschutz geht nicht ohne gesellschaftlichen Fortschritt und Pioniergeist!“

Gerne liefern Ihnen die Scientists for Future Österreich sowie die CEOs FOR FUTURE die aktuellen wissenschaftlichen Fakten. Fragen und kontaktieren Sie uns für eine effektive Unterstützung auf dem Weg zu einer fossilfreien und ressourcenschonenden Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft.



FacebooktwitterrssyoutubeinstagramFacebooktwitterrssyoutubeinstagram

Heute 13 Uhr, Livestream: Finale Sitzung des Umweltausschusses zum Klimavolksbegehren

FacebooktwitterredditpinterestlinkedinmailFacebooktwitterredditpinterestlinkedinmail
Lesedauer < 1 Minute.   

Die Sitzung wird per Livestream übertragen.

Der Abschluss des Volksbegehrens im Parlament wird zeigen, welche Ambitionen für Klimaschutz die Parteien tatsächlich haben. Die letzten Jahre waren voller Versprechen, während in der tatsächlichen Umsetzung bisher wenig vorangegangen ist. Es ist derzeit noch offen, ob es einen Mehrparteienantrag geben wird und in welchem Umfang die Forderungen übernommen werden. Wie auch diverse Medienberichte der letzten Zeit gezeigt haben, steht und fällt dies mit dem Mut der Regierungsparteien – insbesondere der ÖVP. Wir erwarten uns eine überzeugende Strategie und klar definierte Schritte, wie jedes Jahr CO2 eingespart werden soll, und keine 1:1 Kopie des Regierungsprogramms! 

400.000 Menschen haben das Klimavolksbegehren mit ihrer Unterschrift unterstützt. Diese repräsentative Umfrage zeigt, dass es der ausdrückliche Wille der Bevölkerung ist, dass Parlament und Regierung die Klimakrise ernst nehmen.

Vor und nach der Ausschusssitzung wird es auch vor Ort Aktionen geben.



FacebooktwitterrssyoutubeinstagramFacebooktwitterrssyoutubeinstagram